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Im Bildungswesen sind Organisationsstrukturen im Allgemeinen auf Stabilität ausgerichtet und weniger auf Flexibilität. Das macht es Schulen schwer, sich an geänderte gesellschaftliche Voraussetzungen und neue Anforderungen der Arbeitswelt anzupassen. Menno Huber geht in diesem Buch von der Idee einer agilen Schulführung aus, die sich konsequent an Ergebnissen ausrichtet und Ziele aktiv verfolgt. Schulführung wird dabei als Aufgabe des ganzen Systems Schule beschrieben. Eine agile Schulführung stellt Bestehendes kontinuierlich in Frage, lenkt mit dem Blick aus der Zukunft und ermöglicht Kreativität, Leidenschaft und Engagement für Kinder und ihre Bildung. Sie gestaltet ihre Organisation so, dass diese wandlungsfähig und lebendig bleibt. Es ist eine Führung, die Lehrkräften und Schulen Gestaltungsräume ermöglicht, ohne den Blick auf das Ganze zu verlieren. Lehrer und Schulleitungsteams erhalten mit diesem Buch konkrete Werkzeuge an die Hand, mit denen sie ihren Teil der Organisation Schule mit einer flexiblen Stabilität gestalten können. Das vorgestellte Konzept basiert auf systemtheoretischen Grundlagen und lässt Erfahrungen aus der Schulentwicklung und dem Schulalltag einfließen.
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Seitenzahl: 198
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Menno Huber
Zweite Auflage, 2021
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
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Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)
Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)
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Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)
Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)
Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)
Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)
Dr. Roswita Königswieser (Wien)
Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)
Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)
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Reihengestaltung: Uwe Göbel
Umschlagfoto: pixabay
Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten
Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Zweite Auflage, 2021
ISBN 978-3-8497-0272-4 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8181-1 (ePUB)
© 2019, 2021 Carl-Auer-Systeme Verlag
und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
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Vorwort von Rudolf Wimmer
Einleitung
1Sechs Prinzipien agiler Schulführung
1.1Paradoxien managen
1.2Zeitmanagement
1.3Fokus auf Schul- und Unterrichtsqualität
1.4Umgang mit Veränderungen
1.5Interaktion und Selbstorganisation
1.6Komplexität reduzieren
2Ein innovatives Bildungsbiotop schaffen
2.1Politische Ebene der Bildungsregion
2.2Bildungsverwaltung
2.3Lokale Schulbehörde
3Sechs Arbeitsfelder der Schulführung
3.1Strategieentwicklung: Navigieren im Fluss des Schulalltags
3.2Controlling: Sich selbst beobachten und darüber berichten
3.3Personalmanagement: Mitarbeitende im Zentrum
3.4Ressourcenmanagement: Umgang mit begrenzten Ressourcen
3.5Schulumfeld und Stakeholder: Den Blick nach außen richten
3.6Organisationsentwicklung: Zwischen Flexibilität und Stabilität
4Rollenverteilung in der Schulführung
4.1Schulbehörde
4.1.1Politisch und strategisch führen
4.1.2Operative Aufgaben der Schulbehörde
4.1.3Zeitlicher Aufwand für die Behördentätigkeit
4.1.4Finanzkompetenzen
4.2Schulleitung
4.2.1Strategische Aufgaben der Schulleitung
4.3Schulverwaltung
5Das Zusammenspiel von Behörde, Schulleitung und Verwaltung
5.1Voraussetzungen
5.1.1Einheitsgemeinde oder Schulgemeinde
5.2Vier Grundmuster von Führungsstrukturen
5.2.1Behördenmodell
5.2.2Geschäftsleitungsmodell
5.2.3Stabsstellenmodell
5.2.4Rektoratsmodell
5.3Leitfragen für eine Umstrukturierung der Schulführung
5.4Schulleitungskonferenz oder Schulleitungsteam
6Bildung von Schuleinheiten
6.1Eine Schulleitung führt zwei oder mehr Schulhäuser
6.2Doppelleitung
6.3Eine Schulleitung – zwei Gemeinden
6.4Cluster
7Schulbehördenarbeit in der Praxis
7.1Schulen steuern und beaufsichtigen
7.1.1Situationsanalyse
7.1.2Optionen entwickeln
7.1.3Grundsätzliche Ausrichtung festlegen
7.1.4Aufträge und Qualitätskriterien formulieren
7.1.5Maßnahmen beobachten
7.2Bewährtes aus der Praxis für Schulbehörden und Schulpräsidien
7.2.1Pflegen Sie Förmlichkeiten!
7.2.2Nutzen Sie die Chancen von Formalitäten!
7.2.3Unterscheiden Sie Notfälle von Kurzfristigem und von spontanen Aktionen!
7.2.4Nutzen Sie Entscheidungsbeschleuniger!
7.2.5Pflegen Sie den informellen Austausch untereinander!
7.2.6Das Führungskontinuum oder »Entscheidungen von A bis F«
7.2.7Flexibel entscheiden als Behörde
7.2.8Paradoxien mit dem Tetralemma bearbeiten
7.2.9Beschreiben – erklären – bewerten – Maßnahmen ergreifen
7.2.10 Die »Regierungserklärung«
7.2.11 Führungszyklus
8Die Schule als Organisation
8.1Verbindliche Zusammenarbeit in Schulen: Formelle Strukturen
8.2Zwischen Tür und Angel: Informelle Strukturen
8.3Wir sind ein Team – oder doch nicht?
8.3.1Großgruppen und ihre Dynamik (ab ca. 14 Personen)
8.3.2Gruppendynamik im Team
8.4Bewährtes aus der Praxis für Schulleitungen
9Agiles Arbeiten im pädagogischen Team
9.1Mehr erreichen im Team
9.2Etwas Rugby für pädagogische Teams – Scrum
9.2.1Vier Rollen für die agile Zusammenarbeit
9.2.2Teamarbeit in Etappen
9.2.3So viel Schriftlichkeit muss sein
9.2.4Die Rolle der Schulleitung
9.2.5Schüler und Eltern
9.3Scrum in Schulen einführen
9.4Scrum mit Fachlehrpersonen?
10Agiles Projektmanagement
11Entwickeln und verändern
11.1Die bisherige Praxis optimieren
11.2Krisenmanagement
11.3Vorausschauende Selbsterneuerung
11.4Radikale Transformation
11.5Prinzipien des Change Managements in Schulen
11.5.1Wohin die Reise geht: Zukunftsbild
11.5.2Handlungsbedarf und Ressourcen sichtbar machen
11.5.3Angemessener Umgang mit Komplexität
11.5.4Beteiligung der Betroffenen
11.5.5Entwicklung bedingt Ressourcen
11.5.6Prozessorientierung als Schlüsselfaktor
11.5.7Die richtige Person auf dem geeigneten Posten
11.5.8Die Kommunikation über die Entwicklung
11.6Umgang mit Veränderungen in der Schulpraxis
12Steuerungsinstrumente agiler Führung
12.1Schulprogramm
12.2Entwicklungsplan
12.3Agiles Schulprogramm
12.4Legislaturziele der Schulbehörde
12.5Jahresbericht der Schulleitung
12.6Konzepte und Reglements
12.7Handbuch
12.7.1Protokolle
12.8Checkliste für Dokumente
13Mitarbeiterführung
13.1Neues Personal einführen
13.2Probezeit
13.3Selbstverantwortliche Mitarbeiterbeurteilung
13.3.1Lohnwirksame Beurteilung
13.4Weiterbildung von Lehrpersonen
14Qualitätsmanagement
Zum Schluss
Literatur
Über den Autor
Im öffentlichen Diskurs hat das Thema Bildung schon seit Längerem Hochkonjunktur. In keiner Politikerrede darf der Hinweis fehlen, wie wichtig es gerade jetzt sei, in Bildung zu investieren. Damit wird zweifelsohne ein sensibler Nerv in der Wahrnehmung der Menschen getroffen. Die großen gesellschaftlichen Umwälzungen unserer Zeit hinterlassen – bedingt durch die Folgen der Globalisierung, durch den sich beschleunigenden Prozess der Digitalisierung und die nicht mehr leugbaren Konsequenzen des Klimawandels – in breiten Kreisen der Bevölkerung große Verunsicherungen. Lang gepflegte Gewissheiten der eigenen Existenzsicherung verlieren ihre orientierungsstiftende Kraft. Das Vertrauen in die Möglichkeiten einer besseren Zukunft schwindet, im Gegenteil: Die Angst, das bereits erreichte Wohlstandsniveau zu verlieren, verbreitet sich epidemisch.
Der Wandel hin zu einer alle Lebensbereiche durchdringenden Wissensgesellschaft ist sichtlich in eine neue Phase eingetreten. Bislang bewährte Wissens- und Erfahrungsbestände altern in einem noch nie dagewesenen Tempo. Die digitale Welt mit den sie begleitenden Innovationen pflügt in den allermeisten Berufsfeldern die Anforderungen an gelingende Arbeit in einem Ausmaß um, das die betroffenen Menschen in allen Altersgruppen vor ganz ungewöhnliche, wenn auch unterschiedliche, Herausforderungen stellt. Wir leben in einer Phase des gesellschaftlichen Umbruchs, in der die Lebenschancen der Bürger noch sehr viel stärker als früher nach den Fähigkeiten verteilt werden, die jeder einzelne mobilisieren kann, um sich auf neue, in der Regel wesentlich komplexere Verhältnisse einstellen zu können. Die Kompetenz, das eigene Kompetenzprofil ständig zu erneuern, ist gesellschaftsweit zur Schlüsselkompetenz geworden.
Wie ist unser Bildungssystem, speziell unser Schulwesen für diese Herausforderungen gerüstet? Spiegeln die aktuellen bildungspolitischen Debatten jenes Problembewusstsein wider, das es jetzt bräuchte, um zukunftsorientiert die richtigen Weichen zu stellen? Von der OECD wird dem Bildungssystem in den deutschsprachigen Ländern in regelmäßigen Abständen attestiert, dass die in Bildung investierten Mittel im Vergleich zu anderen Ländern wenig effizient eingesetzt werden und dass darüber hinaus die Barrieren zwischen den sozialen Schichten durch unser Bildungssystem eher verstärkt denn durchlässiger gemacht werden. Wir reproduzieren durch Bildung schon seit Längerem die erheblichen gesellschaftlichen Ungleichheiten in den Chancen der Heranwachsenden und zementieren damit die großen sozialen Unterschiede in den Lebensverhältnissen der Menschen. Angesichts des schier unglaublichen Beharrungsvermögens in unserem Schulwesen ist zu befürchten, dass die aktuelle gesellschaftliche Veränderungsdynamik diese Problemlagen noch massiv verschärfen wird.
Was hat das alles mit dem vorliegenden Buch zu tun? Sehr, sehr viel! Es reiht sich nicht in die bekannten bildungspolitischen Auseinandersetzungen um die Frage ein, welcher Mix an unterschiedlichen Schultypen den aktuellen Herausforderungen am besten gerecht wird. Es setzt demgegenüber bei der konkreten Schule an und geht dabei der Frage nach, wie die Schule als ganz besonderer Typus von Organisation zu gestalten und zu führen ist, damit eine an jedem einzelnen Schüler und seinem Begabungspotenzial ansetzende Pädagogik sich überhaupt situationsgerecht entfalten kann. Das Buch rückt zu Recht die einzelne Schule und ihr relevantes Umfeld (die Gemeinde, die Schulaufsicht, die Verwaltung, natürlich auch die Eltern) ins Zentrum der Betrachtung. Es beschreibt dabei auf eine sehr anschauliche Weise jene spezifischen Aufgabenfelder und Kooperationsanforderungen, denen sich die Führungsverantwortlichen auf den verschiedenen Ebenen des Systems mit aller Konsequenz zu widmen haben, damit die Schule zu einem sozialen Ort werden kann, an dem sich im persönlichen Zusammenspiel aller Akteure (Schüler, Lehrer, Psychologen, Eltern) mit Blick auf die Zukunft geeignete Lernräume auftun können. Es ist das besondere Verdienst dieser praxisnahen Arbeit, dass sie den Zusammenhang von Führung und Organisation neben der Lehrerpersönlichkeit und ihrer pädagogischen Kompetenz als kritische Variable des Bildungsgeschehens so stark in den Vordergrund rückt, weil sich gerade diese Dimensionen üblicherweise im blinden Fleck des Systems und seiner Entwicklungsanstrengungen befindet. Nicht zuletzt deshalb ist diesem Buch die verdiente Resonanz und Wirksamkeit zu wünschen. Es macht Mut, die vorhandenen Gestaltungsräume gemeinsam mit anderen Verantwortungsträgern aktiv anzugehen und nicht auf die großen Reformlösungen zu warten.
Univ.-Prof. Dr. Rudolf WimmerWien, November 2018
Als Organisationsberater ist es beeindruckend zu sehen, mit wie viel Engagement Lehrer, Schulleitungen, Behördenmitglieder, Politiker und sonstige Verantwortliche sich tagtäglich für ihre Klasse, ihre Schule oder das Schulsystem – und damit für die Bildung der Jugend – einsetzen. Viele gehen, ohne zu zögern, die Extrameile und leisten mehr, als verlangt wird.
Dennoch stehen Schulen in der Kritik. Lehrbetriebe und weiterführende Institutionen beklagen sich darüber, dass die Schülerinnen und Schüler zu wenig lernen. Lehrpersonen sind nur mittelmäßig zufrieden mit ihrer beruflichen Situation, wie die Studie von Landert zur Berufszufriedenheit in der Schweiz zeigt (Landert 2014). Beklagt werden unter anderem die vielen Reformen und ihre Umsetzung sowie der Aufwand für die Koordination der Fachpersonen. Umgekehrt sind Schulleitungen, Schulbehörden und die Verantwortlichen in den Bildungsregionen immer wieder irritiert über den mäßigen Erfolg von Reformen.
Diese Diskrepanzen machen nachdenklich. Sie sind Anlass und die Motivation für dieses Buch. Letztlich zeigen sich die Schwierigkeiten im Schulsystem bei den einzelnen Menschen – den Lehrpersonen, Schulleitungen und Behördenmitgliedern. Viele von ihnen engagieren sich individuell enorm für die Schüler1 und die Schule und erreichen zu oft weniger als erhofft. Enttäuschung macht sich breit. Dabei fehlt oft gar nicht mehr viel zu besserer Qualität und den erwünschten Erfolgen.
In diesem Buch zeige ich mögliche Wege auf, wie sich Schulen effektiv führen, gestalten und nach Bedarf weiterentwickeln lassen. Im Zentrum stehen Denkwerkzeuge, die es ermöglichen, gemeinsam ein innovatives Schulsystem und zukunftsfähige Schulen zu entwickeln. Zukunftsfähigkeit beschreibt die Veranlagung, auch künftig als Organisation qualitativ erfolgreich zu wirken und sich weiterzuentwickeln. Erfolg für eine Schule bedeutet kurz gesagt, den Schülern jene Kompetenzen mitgeben zu können, die für ihr (künftiges) Leben relevant sind.
Der Schwerpunkt in diesem Buch liegt auf dem System Schule und der Frage, wie die unterschiedlichen Akteure zusammenwirken, um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Die Schule, wie wir sie kennen, hat ihre Wurzeln in der Industrialisierung. Sie ist je nach Land geprägt von der Kirche, die viele Schulen gegründet hat, oder vom Militär. Noch heute ist die Schule inhaltlich stark durch die Anforderungen der Industriegesellschaft bestimmt und entsprechend ausgerichtet. Die Arbeit am Fließband in der Fabrik wurde von oben hierarchisch organisiert. Die Mitarbeitenden mussten die gleiche Arbeit x-fach in der gleichen Qualität ausführen. Das verlangte viel Disziplin und wenig Kreativität. Die Anforderungen in der Dienstleistungsgesellschaft, in der wir längst leben, unterscheiden sich davon deutlich. Hier werden höhere fachliche und soziale Kompetenzen wie beispielsweise Teamfähigkeit oder Selbstständigkeit verlangt.
Diese Differenz schafft zunehmend Reibungen zwischen der Schule und der sich verändernden (Um-)Welt. Die Gesellschaft, die Arbeitswelt und die Technologien bewegen sich rasch, getrieben von der Digitalisierung sowie der Globalisierung.
Die Veränderungen gehen und gingen nicht spurlos an den Akteuren im Bildungswesen und den Schulen vorbei. Sie erleben das Spannungsfeld zwischen den bestehenden Strukturen, Vorgaben und Arbeitsweisen und den sich verändernden Anforderungen tagtäglich. Die Spannungen zeigen sich im Unterricht, wo man sich zunehmend die Frage stellt, wie man Schülerinnen und Schüler auf eine Welt vorbereitet, von der wir nicht wissen, wie sie sein wird. Wir kennen weder die künftigen Technologien noch die möglichen Berufe, auf die man Schüler vorbereiten sollte. Zahlreiche Schulen und einzelne Bildungsregionen haben sich in den letzten Jahren auf den Weg gemacht und Reformen angestoßen – mit dem Ziel, andere Kompetenzen der Schüler zu fördern. Längst nicht überall gelingen diese Schritte.
Mit den herkömmlichen Führungsansätzen und Organisationsstrukturen ist das Schulsystem zunehmend damit überfordert, den Erwartungen der Öffentlichkeit gerecht zu werden. Die Strukturen sind auf Stabilität ausgerichtet und nicht auf Flexibilität. Das verhindert wesentliche Anpassungen an die sich ändernden gesellschaftlichen Voraussetzungen und die Anforderungen der Arbeitswelt.
Zukunftsfähige Schulen verfügen über Strukturen und Prozesse, die es erlauben, Veränderungen innen und außen wahrzunehmen und darauf adäquat zu reagieren. Ein passendes Organisationsdesign ermöglicht es, die relevanten Themen mit dem Fokus auf die Schul- und Unterrichtsqualität und damit auf die einzelnen Schüler rollengerecht zu diskutieren und die notwendigen Entscheidungen zu fällen. Dieses Buch gibt Anregungen und zeigt Wege auf, wie sich das in der Praxis umsetzen lässt.
Im Zentrum steht die Leistungsfähigkeit der Organisation Schule mit Blick auf eine hohe Schulqualität und ihre Fähigkeit, sich an die Umwelt anzupassen. Bildungsreformen bedingen Strukturen, welche den Betroffenen die Arbeit an Veränderungen ermöglichen. Erst wenn Form und Inhalt zusammenpassen, erzielen Reformen die erwünschte Wirkung.
Der Ausgangspunkt dieses Buches ist die Idee der agilen Schulführung, die sich an Ergebnissen ausrichtet und Ziele aktiv verfolgt. Sie stellt Bestehendes immer wieder infrage, lenkt aus der Zukunft und ermöglicht Kreativität, Leidenschaft und Engagement für Kinder und ihre Bildung. Die agile Schulführung gestaltet ihre Organisation so, dass diese wandlungsfähig und lebendig bleibt. Es ist eine Führung, die den Lehrpersonen Gestaltungsräume ermöglicht, ohne den Blick auf das Ganze zu verlieren.
Das Manifest für agile Softwareentwicklung (2016) stand Pate beim Titel dieses Buches und gab Anlass zu weiterem Nachdenken. »Scrum« als Anwendung dieses Manifests und »Kanban« aus Japan werden in den Schulkontext übertragen und geben Impulse für den konkreten Alltag. Die neueren Systemtheorien von Simon (2006; 2007) bilden den theoretischen Boden. Sie werden ergänzt durch die Erkenntnisse aus der Gruppendynamik von König und Schattenhofer (2010). Dazu kommen weitere Elemente aus der »Beratung im Dritten Modus« von Wimmer (Wimmer, Glatzel u. Lieckweg 2014), der systemischen Strategieentwicklung von Nagel und Wimmer (2009) und dem Lösungsfokus in Organisationen von Burgstaller (2015). Zudem wurden für dieses Buch die Ansätze von Doppler und Lauterburg (2002) für das Change Management ebenso verwendet wie die Grundlagen des Organisationsdesigns von Nagel (2014). Die vielfältigen Erfahrungen mit Schulreformen in der Schweiz sind für mich ein umfassender Schatz. Diese Praxiserfahrung liegt dem Buch ebenso zugrunde wie die oben aufgeführten Theorien.
Die Hoheit über die Bildung liegt in der Schweiz bei den Kantonen. Jeder steht vor Herausforderungen, und jeder sucht immer wieder eigene Lösungen in der Schulentwicklung, auch wenn die zu lösenden Probleme ähnlich sind. In einem föderalistischen System sind das bei 26 Kantonen meist ebenso viele Lösungsansätze. Auf der einen Seite kann man die sich daraus ergebende mangelnde Koordination im Bildungswesen beklagen und als Nachteil empfinden. Andererseits entsteht durch diese Herangehensweise eine Ideenvielfalt, die inspiriert und zum Weiterdenken anregt. In meinem Buch wird Ihnen diese Schweizer Perspektive immer wieder begegnen, sei es in Form von Ideen oder auch von Begriffen. Damit Lesende aus allen deutschsprachigen Ländern diese verorten können, folgt hier eine Begriffsklärung und zunächst etwas Staatskunde.
Deutschland, Österreich und die Schweiz sind als Staaten grundsätzlich gleich aufgebaut, und damit ist auch das Bildungswesen in wesentlichen Teilen vergleichbar. Der Bundesstaat setzt sich in Deutschland und Österreich aus den Bundesländern zusammen, diese entsprechen den Schweizer Kantonen. Während in Österreich das Bildungswesen im Kern Sache des Bundes ist, liegt die Bildung in Deutschland und der Schweiz im Zuständigkeitsbereich der Bundesländer respektive der Kantone. Für die Denkmodelle in diesem Buch reicht diese Unterscheidung, auch wenn sie in der Praxis wesentlich komplexer ist. Schneider (2005) stellt in seinem internationalen Vergleich der Strukturen und der Organisation des Bildungswesens in Bundesstaaten fest, dass sich das Bildungswesen offenbar nicht für eine strikte Trennung von Bundes- und Landeszuständigkeiten eigne.
In allen drei Ländern bilden die Gemeinden die unterste Stufe im Verwaltungsaufbau. Sie sind zuständig für die Organisation der lokalen Schulen. In Deutschland gibt es dafür den Begriff des Schulträgers, in Österreich ist es der »Schulerhalter«. Die wesentliche Aufgabe der Schulträger/Schulerhalter ist es, die Schule zu ermöglichen, also die Infrastruktur bereitzustellen und den Betrieb zu finanzieren.
In der stark föderalistischen Schweiz haben sich mehrere Formen der lokalen Schulsteuerung herausgebildet. Wichtig ist es an dieser Stelle zu wissen, dass es in der Schweiz möglich ist, neben der politischen Gemeinde funktionsbezogene Gemeinden zu bilden – beispielsweise die Schulgemeinde. Sie stellt eine eigenständige Organisation dar, die selbst Steuern erhebt und die lokale Schule betreibt. Ob politische Gemeinde oder Schulgemeinde: Die lokalen Schulbehörden in der Schweiz betreiben Schulen, haben eine Aufsichtsfunktion und einzelne inhaltliche Kompetenzen. Das gilt auch, wenn die Schulbehörde eine Kommission der Gemeindeexekutive ist. Die Schulaufsicht in Deutschland und Österreich ist Sache der Länder. In der Schweiz ist die Aufsicht kantonal unterschiedlich geregelt. Ein Teil liegt bei der lokalen Schulbehörde und der andere beim Kanton, wobei es Kantone gibt, die keine kantonale Aufsicht in Form einer Schulinspektion kennen.
Im Vergleich zu Deutschland und vor allem gegenüber Österreich ist die Schulführung in der Schweiz viel stärker auf der lokalen Ebene angesiedelt. Dadurch ist die Zivilgesellschaft viel näher an der Schule und kann auf sie Einfluss nehmen. Das hat große Vorteile, kann aber auf der anderen Seite zu Spannungen zwischen der professionellen Schulführung durch die Schulleitungen und den Laien in den Schulbehörden führen. Ein Anliegen dieses Buches ist es, Modelle zu zeigen, wie die Zusammenarbeit gelingen kann.
Im Weiteren verwende ich mehrheitlich folgende Begriffe, um die grobe Organisationsstruktur im Bildungswesen zu bezeichnen:
•Bildungsregionen sind die gesetzgebenden politischen Einheiten – in der Schweiz also die Kantone, in Deutschland die Bundesländer. In Österreich ist es der Bund, der die Bildungshoheit besitzt. Dort sind die Länder weitgehend in einer ausführenden Position. Zu den Bildungsregionen gehört die entsprechende Bildungsverwaltung.
•Unter Schulbehörden verstehe ich die lokale politische Führung auf Gemeindeebene. Der Begriff bezieht sich auch auf den Zusammenschluss von mehreren Gemeinden in einen Schulverbund. Die Administration auf lokaler Ebene bezeichne ich als Schulverwaltung.
In allen drei Ländern gibt oder gab es Initiativen, im Rahmen von Schulreformen neue Führungsmodelle einzuführen oder Kompetenzen zu verschieben. Aktuell ist dies in Österreich das Projekt »Autonome Schulen«. In Deutschland schreibt die Kultusministerkonferenz (2015) in ihren »Empfehlungen zur Arbeit in Grundschulen« vom Juni 2015: »Schulleiterinnen und Schulleitern kommt eine Schlüsselstellung für die Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität von Schule und Unterricht zu. Sie verstehen Schule als lernende Organisation und initiieren, moderieren und gestalten wirksame Schulentwicklungsprozesse. Dafür benötigen sie neben pädagogischen Kompetenzen insbesondere auch Leitungskompetenzen.« In der Schweiz wurden in vielen Kantonen erst in den letzten beiden Jahrzehnten Schulleitungen eingeführt. Vorher wurden die Schulen bzw. die einzelnen Lehrpersonen direkt von einer lokalen politischen Behörde geführt. Im Kanton Zürich hieß der Schulversuch, der Ende der 1990-er Jahre startete, »Teilautonome Versuchsschulen« und mündete darin, dass Schulleitungen eingeführt wurden.
Dieses Buch richtet sich an alle Akteure im Bildungswesen, insbesondere an Schulleiter, Behördenmitglieder und Bildungspolitiker.
Schulleiter erhalten Denkmodelle, wie sie ihre Schule im Fluss des Alltags navigieren und kontinuierlich weiterentwickeln können. Dabei geht es um die Kernfragen, worauf sich die Schulführung in einer zukunftsfähigen Schule ausrichtet und wie sie die Schule als Organisation gestaltet. Konkrete Ideen für den Führungsalltag runden das Angebot ab.
Ebenso richtet sich dieses Buch an Politiker, die sich mit einem leistungsfähigen und innovativen Schulsystem befassen. Es wird gezeigt, wie man effiziente Lösungen im Spannungsfeld zwischen politischer Verantwortung und der Umsetzung im Schulalltag gestalten kann. Eine zweckmäßige Rollenteilung zwischen der strategischen Ebene der Politik und der operativen Umsetzung durch die Schulleitungen ist die Basis für zukunftsfähige Schulen. Darüber hinaus finden Schulberater, Schulentwickler, Inspektoren, Schulevaluatoren, Projektverantwortliche, Dozierende an pädagogischen Hochschulen sowie Lehrpersonen Anregungen und Denkmodelle für ihre Arbeit.
Führungskräfte aus dem Gesundheits- und Sozialwesen bekommen ebenso Antworten auf ihre Fragen. Viele Organisationen aus diesem Umfeld haben ähnliche Grundvoraussetzungen wie Schulen und können die Ansätze der agilen Führung für sich adaptieren.
1Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch bei Personenbezeichnungen nur die männliche Form genannt, selbstverständlich sind damit immer alle Geschlechter gemeint.
Viele der heutigen Schulstrukturen, Führungskonzepte und Schulmodelle stammen aus Zeiten, als der gesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Wandel noch langsamer und weniger ausgeprägt war. Sie basieren auf der Annahme, dass die Welt grundsätzlich stabil und vorhersehbar sei.
Seit rund zwei Jahrzehnten ist man im Bildungswesen dabei, auf den Wandel in der Arbeitswelt und Gesellschaft zu reagieren. Mit verschiedenen Projekten werden Veränderungen auf allen Ebenen des Schulsystems initiiert. Die meisten sind als einmalige Anstrengungen konzipiert und streben mittelfristig eine neue überdauernde Stabilität an. Langfristige Sicherheit ist das implizite Ziel. Dieser Anspruch ist nicht mehr einzulösen. Das Schulsystem ist eng gekoppelt an ein sich ständig veränderndes und zunehmend komplexeres Umfeld. Es kann sich diesen Veränderungen nicht entziehen. Das deckt sich mit einem oft gehörten Bonmot, dass die Veränderung noch die einzige Konstante in der Schule sei. Aber selbst die Veränderung hat die Tendenz, sich zu beschleunigen.
Zukunftsfähige Schulen verfügen über Konzepte, wie sie mit diesen grundsätzlichen Herausforderungen einen passenden Umgang finden. Sie organisieren sich mit den – sich scheinbar widersprechenden – Anforderungen nach Stabilität und Veränderungen, ohne sich damit zu überfordern. Das Konzept der agilen Schulführung zeigt einen Weg, wie Schulen zu einer beweglichen Stabilität und Verlässlichkeit kommen. Dazu werden bekannte Theorien sowie Praxiserfahrungen zu einem Handlungsansatz kombiniert. Agil geführte Schulen zeichnen sich durch sechs Prinzipien aus:
1.Sie organisieren Paradoxien sinnstiftend.
2.Sie pflegen einen bewussten Umgang mit der Zeit in all ihren Aspekten.
3.Sie legen den Fokus ihrer Aufmerksamkeit konsequent auf die Qualität.
4.Sie nehmen interne und externe Veränderungen wahr und reagieren darauf angemessen.
5.Sie fördern die direkte Interaktion und die Selbstorganisation.
6.Sie reduzieren die Komplexität, ohne sie unzulässig zu vereinfachen.
Im Folgenden werden die sechs Prinzipien vertieft und einzelne Leitsätze formuliert, die handlungsleitend für den Alltag in agil geführten Schulen sind.
Es ist ein Widerspruch, sich als Organisation laufend zu verändern und gleichzeitig langfristig stabil zu sein. Im Führungsalltag kommen solche paradoxen Situationen immer wieder vor. Sie adäquat zu bearbeiten ist eine wesentliche Führungsaufgabe.
Paradoxien zeigen sich in sich widersprechenden Handlungsaufforderungen, wie »Sei spontan!« oder »Lerne freiwillig!«. Die zweite Form von Paradoxien sind Entscheidungen, bei denen die Alternativen offensichtlich beide passend oder beide unpassend sind (die Wahl zwischen Pest und Cholera). Das macht eine Entscheidung zu einer lähmenden Herausforderung. Man kann es nicht richtig machen und muss sich dennoch entscheiden.
Der Auftrag einer Schule ist eine solche Paradoxie. Der Unterricht soll so organisiert sein, dass alle Kinder optimal profitieren. Die Idee, Klassen entlang des Jahrgangs der Kinder zu organisieren, ist eine mögliche Lösung für diesen Auftrag. In der Praxis zeigt sich aber, dass der Auftrag so nicht umfassend erfüllt wird und nicht alle Kinder optimal profitieren. Die Kinder innerhalb eines Jahrgangs sind nicht wie erwartet eine homogene Gruppe. Deshalb werden Kinder, die nicht in die Klassen passen und die besonderen Bedürfnisse haben, in vielen Schulen von Heilpädagogen gefördert. Damit landen wir beim nächsten Paradox. Diese Kinder sollen möglichst in ihrer Klasse mithalten können und gleichzeitig individuell gefördert werden. Soll diese Förderung integrativ oder separativ erfolgen? Jeder Versuch, eine eindeutige Antwort zu finden, liefert neue Probleme. Wir wählen eine Alternative wegen der Sonnenseite der Entscheidung. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten. Mit den Schattenseiten, den unerwünschten Nebenwirkungen, müssen wir einen sinnvollen Umgang finden – egal, welche Entscheidung wir treffen.
In vielen Schulen hat die Teilzeitarbeit von Lehrpersonen stark zugenommen. Sie bietet die Möglichkeit, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Teilzeitarbeit erlaubt es, weniger zu arbeiten und die berufliche Belastung zu senken. Gleichzeitig steigt damit in der Schule der Koordinationsaufwand und damit wiederum die Belastung, weil immer mehr unterschiedliche Lehrer an einer Klasse arbeiten. Eine Lösung ist nicht einfach zu finden, da die Situation schon im Kern widersprüchlich ist. Unser Alltag und der Führungsalltag im Besonderen sind voller Widersprüchlichkeiten, wie diese zwei Beispiele zeigten.
Agile Führung ist sich der Paradoxien in ihrer Organisation bewusst und thematisiert sie.