Schulentwicklung – gemeinsam unterwegs (E-Book) - Frank Brückel - E-Book

Schulentwicklung – gemeinsam unterwegs (E-Book) E-Book

Frank Brückel

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  • Herausgeber: hep verlag
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Neben der Organisation des Schulalltags gehört die Aufgabe der Schulentwicklung zum Kerngeschäft von Führungspersonen im Bildungssystem. Das Buch stellt mit dem Schulentwicklungsrad ein Modell vor, das Personen mit Führungs- und Projektverantwortung einen Überblick über die relevanten Faktoren bei Veränderungsprozessen bietet.  Neben der Beschreibung dieser Faktoren enthält das Buch praxisnahe Hinweise, wie es den verantwortlichen Personen gelingt, das grosse Ganze und damit das Zusammenspiel der Faktoren im Blick zu haben.

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Frank Brückel, Rachel Guerra, Reto Kuster, Susanna Larcher, Regula Spirig, Heike Beuschlein

Schulentwicklung – gemeinsam unterwegs

Veränderungsprozesse analysieren, planen und reflektieren

ISBN Print: 978-3-0355-2346-1

ISBN E-Book: 978-3-0355-2347-8

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 hep Verlag AG, Bern

hep-verlag.ch

Weitere Informationen und Arbeitsmaterialien finden sich unter

www.schulentwicklungsrad.ch oder www.schulentwicklungsrad.li.

Inhalt

Kapitel 1

Einleitung

Susanna Larcher, Frank Brückel, Rachel Guerra, Reto Kuster, Regula Spirig, Heike Beuschlein

Kapitel 2

Das Schulentwicklungsrad in Kürze

Regula Spirig, Rachel Guerra, Frank Brückel, Reto Kuster, Susanna Larcher, Heike Beuschlein

Kapitel 3

Lernen der Schüler:innen

Frank Brückel, Rachel Guerra

Kapitel 4

Mehrebenensystem Schule

Frank Brückel, Heike Beuschlein, Rachel Guerra

Kapitel 5

Prozessgestaltung

Rachel Guerra, Frank Brückel, Reto Kuster

Kapitel 6

Haltungen und Emotionen

Regula Spirig, Frank Brückel, Heike Beuschlein

Kapitel 7

Kooperation und Kommunikation

Susanna Larcher, Regula Spirig, Reto Kuster

Kapitel 8

Rahmenbedingungen

Rachel Guerra, Frank Brückel

Kapitel 9

Individuelle und organisationale Kompetenzen

Susanna Larcher, Regula Spirig

Kapitel 10

Führung

Reto Kuster, Regula Spirig

Kapitel 11

Dynamiken

Heike Beuschlein, Frank Brückel, Rachel Guerra, Reto Kuster, Susanna Larcher, Regula Spirig

Kapitel 12

Schulentwicklungshandeln

Frank Brückel, Rachel Guerra, Heike Beuschlein, Susanna Larcher, Regula Spirig, Reto Kuster

Herleitung

Herleitung und Entwicklung des Schulentwicklungsrads

Frank Brückel, Susanna Larcher, Reto Kuster, Regula Spirig, Rachel Guerra, Heike Beuschlein unter Mitarbeit von Luzia Annen und Christine Weilenmann

Kapitel 1

Einleitung

Einleitung

Susanna Larcher, Frank Brückel, Rachel Guerra, Reto Kuster, Regula Spirig, Heike Beuschlein

Obwohl wir alles beachtet haben, sind wir mit unserem Projekt irgendwann stecken geblieben. Wir haben das Projekt sorgfältig geplant, Anspruchsgruppen beigezogen und die Meilensteine beachtet. Am Ende mussten wir aufpassen, dass das Kollegium nicht so zerstritten ist, dass wir gar nicht mehr zusammenarbeiten können. (Schulleiterin bei einem Supervisionsgespräch 2012)

Schulentwicklung – unser Blick auf die Praxis und Forschung

Wir sind eine Gruppe von Mitarbeiter:innen der Pädagogischen Hochschule Zürich und des Schulamts des Fürstentums Liechtenstein. Schulentwicklung an der Schnittstelle zwischen Forschung und praktischer Umsetzung, insbesondere in Bezug auf die Unterstützung und Beratung von Gemeinden, Schulen oder einzelnen Personen, beschäftigt uns seit langem. Intendierte Veränderungsprozesse stehen im Fokus unseres Interesses. In unserem Arbeitsalltag tauschen wir uns regelmässig über unsere Erfahrungen und zu beachtende Handlungskonsequenzen bei der Umsetzung von Schulentwicklungsvorhaben aus.

Diesbezüglich haben wir immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es viele Schulentwicklungsvorhaben gibt, die – trotz Berücksichtigung entsprechender Forschungsergebnisse, sorgfältiger Planung und Durchführung – nicht wie geplant verlaufen, unvorhersehbare Dynamiken entwickeln, abgebrochen werden oder «irgendwie versanden».

Wir haben unseren Blick also verstärkt auf diese Unvorhersehbarkeiten und auf die Frage gerichtet, wie wir die Hintergründe erfassen und für unsere Arbeit nutzen können. Was als einfacher Gedanke begann, endete in einem umfangreichen und langjährigen Projekt. Aus einer anfänglich «losen Sammlung und Bündelung» verschiedener Schulentwicklungsdiskurse[1], Governanceüberlegungen[2], Institutionstheorien[3], Schultheorien[4], Schulführungsansätze[5] und anderer Überlegungen wie zum Beispiel der Grammar of Schooling[6], entstand das Bedürfnis einer fundierten Aufarbeitung der Thematik. Uns war bewusst, dass es neben den genannten Diskursen auch eine Vielzahl an Kritik zum Arbeitsfeld Schulentwicklung gibt, die wir ebenfalls berücksichtigen wollten.

Schulentwicklung – Versuch einer Systematisierung

Die Kritik an Arbeiten zu Schulentwicklung ist teilweise massiv und kommt von unterschiedlichen Seiten. Wir haben uns intensiv mit den kritischen Argumenten auseinandergesetzt und diese zum Anlass genommen, unsere eigene Sichtweise zu schärfen. Reinbacher (2016, 295) führt in seinem Beitrag viele dieser Kritikpunkte zusammen:

Wer sich in das Feld der Schulentwicklung wagt, begibt sich bestenfalls in unübersichtliches Gebiet, schlimmstenfalls in vermintes Gelände – jedenfalls aber in eine Gegend, die von induktiven Erfahrungen (aus der «Praxis») und von normativen Empfehlungen (für die «Praxis») beherrscht wird (vgl. nur z. B. Rolff, 1998). Es handelt sich um eine über weite Strecken theoriefreie Zone zwar nicht in dem Sinne, dass Schulentwicklung auf die Anwendung von Theorien unterschiedlicher Herkunft verzichtet, jedoch insofern, als es jenseits solcher eklektizistischer Bricolage an theoriegeleiteten Modellen zur Integration einzelner Befunde mangelt (vgl. z. B. Berkemeyer, Bonsen & Harazd, 2009; Dalin, 1999; Dedering, 2012; Esslinger-Hinz, 2006; Maag Merki, 2008; Rahm, 2005, 2008; Rolff, 2007).

Zusammengefasst bedeutet das, dass

• es derzeit keine anerkannte Theorie der Schulentwicklung gibt,

• vorliegende Publikationen zumeist nicht aufzeigen, wie einzelne Dimensionen analytisch zusammenhängen,

• es keine befriedigende Auskunft darüber gibt, wie in der Praxis mit den wissenschaftlichen Befunden gewinnbringend gearbeitet werden kann.

Insbesondere den letzten Punkt bemängeln Steffens, Heinrich u. Dobbelstein (2019, 15). Sie schreiben, dass sich die pädagogische Praxis Forschungsergebnissen gegenüber nachhaltig sperrt oder diese nur halbherzig aufgreift. Dies insbesondere deshalb, weil die Forschungsergebnisse nicht anschlussfähig sind und es daher einer grossen Übersetzungsleistung bedarf, um die Befunde in der Praxis wirksam werden zu lassen.

Schlee (2014, 157–167) geht der Frage nach, warum bei Modellversuchen mit geradezu idealen Voraussetzungen bei der Implementation und Realisierung von Schulentwicklung trotz vieler Fortbildungs- und Unterstützungsmassnahmen für Lehrpersonen und einzelne Schulen keine systematischen Lernzuwächse bei den Schüler:innen festgestellt werden konnten[7]. Er konstatiert als mögliche Gründe

• ein Theoriedefizit,

• Zielunklarheit,

• einen zu hohen Abstraktionsgrad, der Handlungsrelevanz verhindert,

• fehlende Systematik,

• mangelnden Bezug zu geltenden Rahmenbedingungen vor Ort.

Zusammenfassend stellt er eine «Implementationslücke» und ein «Realisierungsloch» (Schlee 2014, 157) fest und kommt am Ende zur kritischen Schlussfolgerung, dass Schulentwicklung und Schulentwicklungsforschung gescheitert sind.

Ziele dieses Projekts

Unter Beachtung dieser Kritik standen wir vor der Frage, wie wir vorgehen möchten. Trotz dieser kritischen Diagnosen blieben wir am Thema und haben in einem nächsten Schritt für unser Projekt festgelegt, welche Zielsetzungen wir verfolgen, welche Zielgruppe(n) wir ansprechen und welchen Detaillierungsgrad wir unter den gegebenen Rahmenbedingungen anstreben.

Ziele des Projekts

Das Ziel des vorliegenden Projekts ist es, herauszuarbeiten, von welchen Faktoren Schulentwicklungsprozesse beeinflusst werden und wie diese beschrieben werden können. Wichtig ist bei der Beschreibung, dass

• sie für die Praxis verständlich und relevant ist,

• sich auf die entsprechenden aktuellen wissenschaftlichen Diskurse bezieht,

• nicht normativ ist,

• und dass deutlich wird, wie die beschriebenen Faktoren zusammenhängen.

In einer zweiten Projektphase soll Unterstützungsmaterial online zur Verfügung gestellt werden, das Projektleitenden hilft, anstehende Schulentwicklungsprojekte zu analysieren, zu planen und zu reflektieren.

Es geht explizit nicht um einen weiteren Versuch, eine «Theorie der Schulentwicklung» vorzulegen, sondern darum, das nebeneinanderstehende Wissen aus den unterschiedlichsten Bezugswissenschaften neu zu bündeln und so aufzuarbeiten, dass es für die praktische Projektarbeit von Nutzen ist und den aktuellen Stand der jeweiligen Fachdiskussionen berücksichtigt.

Wir gehen davon aus, dass Schulentwicklungsprozesse hochkomplexe Situationen sind, die «Unberechenbarkeit zum Normalfall» werden lassen (Reckwitz 2003, 294 ff.) und denen nicht mit standardisierten «Rezepten» begegnet werden kann. Die Publikation des erarbeiteten «Schulentwicklungsrads» als Analyse-, Planungs- und Reflexionsinstrument soll einen Beitrag leisten, Unberechenbarkeit zu verringern und die Realisierung von Schulentwicklungsvorhaben zu unterstützen.

Aufbau der vorliegenden Publikation

Die vorliegende Publikation richtet sich an alle Personen, die sich mit Schulentwicklungsprozessen auseinandersetzen oder steuernde Funktionen übernehmen.

Nach einer kurzen überblicksartigen Beschreibung des entwickelten Instruments im Kapitel Schulentwicklungsrad in Kürze werden die in der Grafik ausgewiesenen Elemente jeweils in eigenen Kapiteln erläutert. Zur einfachen Orientierung ist jedes Kapitel ähnlich aufgebaut: nach einer kurzen Einordnung des Elements im Gesamtzusammenhang, werden die relevanten Facetten für Schulentwicklungsvorhaben dargelegt. Jedes Kapitel schliesst mit Hinweisen, welche Konsequenzen sich daraus für das Schulentwicklungshandeln ergeben.

Im Kapitel Dynamiken finden sich gebündelt nach den weiteren Elementen des Schulentwicklungsinstruments die zentralen förderlichen und hinderlichen Auslöser in Veränderungsprozessen.

Das Kapitel Schulentwicklungshandeln greift übergeordnete Handlungsaspekte auf, die es in allen Elementen zu beachten gilt.

Das abschliessende Kapitel Herleitung beschreibt, wie und in welchen Schritten das vorliegende Analyse-, Planungs- und Reflexionsinstrument erarbeitet wurde.

 

Literatur

Altrichter, Herbert und Katharina Maag Merki, Hrsg. 2016a. Handbuch Neue Steuerung im Schulsystem. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Educational Governance 7. Wiesbaden: Springer VS.

Bischof, Linda M. 2017. Schulentwicklung und Schuleffektivität. Wiesbaden: Springer.

Brüsemeister, Thomas. 2007. «Steuerungsakteure und ihre Handlungslogiken im Mehrebenensystem der Schule». In Governance, Schule und Politik, hrsg. v. Jürgen Kussau und Thomas Brüsemeister, 63–95. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Brüsemeister, Thomas. 2008. Bildungssoziologie: Einführung in Perspektiven und Probleme. Soziologische Theorie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Brüsemeister, Thomas. 2019. «Vergleichende Analyse mittels Governance-Regler». In Handbuch Educational Governance Theorien. Bd. 43, hrsg. v. Roman Langer und Thomas Brüsemeister, 35–49. Educational Governance. Wiesbaden: Springer.

Bryk, Anthony S. 2010. Organizing Schools for Improvement: Lessons from Chicago. Chicago: University of Chicago Press.

Buhren, Claus G. und Hans-Günter Rolff, Hrsg. 2017. Handbuch Schulentwicklung und Schulentwicklungsberatung. 2., durchgesehene und neu ausgestattete Aufl. Weinheim: Beltz.

Dalin, Per und Hans-Günter Rolff. 1990. Institutionelles Schulentwicklungsprogramm: E. neue Perspektive für Schulleiter, Kollegium u. Schulaufsicht. Lehrerfortbildung in Nordrhein-Westfalen. Soest: Soester Verlagskontor.

Esser, Hartmut. 2000. Institutionen. Studienausg. Soziologie spezielle Grundlagen; Bd. 5. Frankfurt/Main: Campus.

Fend, Helmut. 1981. Theorie der Schule. 2., durchges. Aufl. U-&-S-Pädagogik. München: Urban & Schwarzenberg.

Fend, Helmut. 2006. Neue Theorie der Schule: Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen. 1. Aufl. Lehrbuch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Heitmann, Kaja. 2013. Wissensmanagement in der Schulentwicklung: Theoretische Analyse und empirische Exploration aus systemischer Sicht. Wiesbaden: Springer VS.

Langer, Roman und Thomas Brüsemeister, Hrsg. 2019. Handbuch Educational Governance Theorien. Educational Governance. Wiesbaden: Springer.

Leithwood, Kenneth, Alma Harris und David Hopkins. 2020. «Seven strong claims about successful school leadership revisited». School Leadership & Management 40 (1): 5–22. doi:1 0.1080/13632434.2019.1596077.

Maag Merki, Katharina. 2008. «Die Architektur einer Theorie der Schulentwicklung: Voraussetzungen und Strukturen». Journal für Schulentwicklung 12 (2): 22–30.

Maag Merki, Katharina. 2017. «School Improvement Capacity als ein Forschungsfeld der Schulentwicklungs- und Schuleffektivitätsforschung: Theoretische und methodische Herausforderungen». In Schulgestaltung: Aktuelle Befunde und Perspektiven der Schulqualitäts- und Schulentwicklungsforschung. Grundlagen der Qualität von Schule 2, hrsg. v. Ulrich Steffens, Katharina Maag Merki und Helmut Fend. 1., neue Auflage, 269–86. Beiträge zur Schulentwicklung. Münster: Waxmann.

Maag Merki, Katharina. 2018. «Zukunftsweisende Schulentwicklungen in der Schweiz». Lehren & Lernen 44 (2): 16–23.

MacBeath, John, Neil Dempster, David Frost, Greer Johnson und Sue Swaffield. 2018. Strengthening the Connections Between Leadership and Learning: Challenges to Policy, School and Classroom Practice. London, New York: Routledge.

Reckwitz, Andreas. 2003. «Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken: Eine sozialtheoretische Perspektive». Zeitschrift für Soziologie 32 (4): 282–301.

Reinbacher, Paul. 2016. «Ein theoretischer Bezugsrahmen für ‹Schulentwicklung›». Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften 38 (2): 295–318.

Rolff, Hans-Günter. 2007. Studien zu einer Theorie der Schulentwicklung. Weinheim: Beltz.

Rolff, Hans-Günter. 2016a. Schulentwicklung kompakt: Modelle, Instrumente, Perspektiven. 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Pädagogik. Weinheim, Basel: Beltz.

Schlee, Jörg. 2014. Schulentwicklung gescheitert: Die falschen Versprechen der Bildungsreformer. 1. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer.

Steffens, Ulrich, Martin Heinrich und Peter Dobbelstein. 2019. «Praxistransfer Schul- und Unterrichtsforschung: eine Problemskizze». In Praxistransfer Schul- und Unterrichtsentwicklung, hrsg. v. Claudia Schreiner, Christian Wiesner, Simone Breit, Peter Dobbelstein, Martin Heinrich und Ulrich Steffens, 11–26. Münster, New York: Waxmann.

Tyack, David und William Tobin. 1994. «The ‹Grammar› of Schooling: Why Has it Been so Hard to Change?» American Educational Research Journal 31 (3): 453–79. doi:10.3102/00028312031003453.

Kapitel 2

Das Schulentwicklungsrad in Kürze

Inhaltsverzeichnis

1 Das Schulentwicklungsrad

1.1 Ausgangslage und Entstehung

1.2 Wozu dient das Schulentwicklungsrad?

1.3 Aufbau des Schulentwicklungsrads

2 Die Elemente des Schulentwicklungsrads

3 Die Arbeit mit dem Schulentwicklungsrad

4 Schulentwicklungshandeln: Das Spiel mit den Elementen

5 Was hinter den Elementen steckt: Übersicht für die Analyse, Planung und Reflexion schulischer Situationen und Veränderungsprojekte

6 Literatur

Das Schulentwicklungsrad in Kürze

Regula Spirig, Rachel Guerra, Frank Brückel, Reto Kuster, Susanna Larcher, Heike Beuschlein

1 Das Schulentwicklungsrad

Die Schulen und das Bildungssystem befinden sich im steten Wandel. Damit sie ihre Aufgaben in hoher Qualität erfüllen und gleichzeitig Veränderungen vorantreiben können, ohne sich zu überfordern, sind Wissen, Handlungsfähigkeit und Kapazität gefragt. Das Schulentwicklungsrad als praxisnahes Arbeitsinstrument zeigt auf, welche Faktoren bei Veränderungen zu beachten sind und wie sie zusammenspielen, welche Ebenen und Akteur:innen einbezogen werden müssen und welches Führungshandeln erforderlich ist. Die dazugehörenden Materialien sind praxisnahe Arbeitsinstrumente, die helfen, anhand der Elemente des Schulentwicklungsrades und der daraus abgeleiteten Handlungsaspekte Schulentwicklungsprozesse zu analysieren, zu reflektieren und zu planen.

1.1 Ausgangslage und Entstehung

Es gibt verschiedenste Modelle der Schul- oder auch Organisationsentwicklung. Das Schulentwicklungsrad soll explizit nicht lediglich ein weiteres Schulentwicklungsmodell sein. Die Autor:innen, selbst als Prozessbegleitende oder Projektverantwortliche im Bereich Schulentwicklung tätig, fanden sich immer wieder in Situationen, in denen Dynamiken bei Prozessen nicht anhand eines Modells erklärt oder interpretiert werden konnten. Erschwerende Emotionen waren spürbar, Zwischentöne wurden vernommen oder Entwicklungen standen still, obwohl aus Projektmanagementsicht «alles richtig gemacht» wurde.

Diese Phänomene bildeten den Ausgangspunkt des Vorgehens der Autor:innen nach der Methode des Design Based Research (DBR). Durch die Analyse von Fachliteratur, durch Interviews mit Fach- und Führungspersonen aus dem Bildungsbereich und durch wiederholte Anwendungen in und Rückmeldungen aus der schulischen Praxis ist das Schulentwicklungsrad entstanden (vgl. Herleitung). Es versteht sich als didaktische Intervention, weil es neben der Analyse- und Reflexionsmöglichkeit auch konkrete Handlungsaspekte und Planungshilfen zur Verfügung stellt (vgl. Schulentwicklungshandeln).

1.2 Wozu dient das Schulentwicklungsrad?

Das Schulentwicklungsrad verschafft einen Überblick über alle entwicklungsrelevanten Elemente und bietet im herausfordernden Alltagshandeln eine Orientierung. Bereitgestellte Materialien zu jedem einzelnen Element (wie Texte, Grafiken, Analyse- und Interventionsbeispiele) ermöglichen bedarfsgerechte Vertiefungen.

Das Instrument hat den Anspruch, Führungspersonen und Projektverant-wortliche auf allen Ebenen des Bildungssystems zu unterstützen.

Das Schulentwicklungsrad kann in dreifacher Form genutzt werden:

• Als Analyseinstrument dient es dazu, jedes Element während eines Prozesses periodisch anzuschauen und zu diskutieren. Verläuft ein Prozess wie geplant und erwartet, dient diese Überprüfung als Bestätigung. Andernfalls kann entlang der vorgeschlagenen Elemente gezielt analysiert werden, wo mögliche Gründe für Abweichungen liegen und wie interveniert werden kann.

• Als Planungsinstrument hilft die Berücksichtigung der einzelnen Elemente bei einer zielgerichteten Aufgleisung eines Veränderungsprozesses.

• Als Reflexionsinstrument kann es eingesetzt werden, um im Nachhinein Veränderungsprozesse zu überdenken und daraus für künftige Projekte zu lernen.

Zusammenfassend empfiehlt es sich, das Schulentwicklungsrad sowohl in alltäglichen Situationen wie auch bei umfangreichen Entwicklungsvorhaben als Orientierungshilfe zu nutzen. Gelingt es, die Auseinandersetzung mit dem Instrument in die Arbeitsroutine und auch in alltägliche Fragestellungen zu integrieren, ist die Voraussetzung geschaffen, eine gemeinsame Sprache zu Schulentwicklung zu etablieren sowie das Wissen und die Erfahrungen über die einzelnen Elemente für kommende Ereignisse zu nutzen und damit die Schulentwicklungskapazität sukzessive zu erweitern (vgl. Lernen der Schüler:innen; Individuelle und organisationale Kompetenzen).

1.3 Aufbau des Schulentwicklungsrads

Im Kern des Schulentwicklungsrads (vgl. Abb. 1) steht das Lernen der Schüler:innen, welches Ausgangspunkt und Ziel aller Schulentwicklungsprozesse bildet und bilden muss (vgl. Maag Merki 2017). Davon ausgehend bzw. darauf wirkend sind die fünf Faktoren Rahmenbedingungen, Haltungen und Emotionen, Kommunikation und Kooperation, individuelle und organisationale Kompetenzen und Prozessgestaltung als Speichen angeordnet. Die Reihenfolge in der Beschreibung entspricht keiner Ordnung oder Gewichtung. Eingebettet sind der Kern und die fünf Speichenfaktoren im Mehrebenensystem Schule, welches sich aus der Bildungspolitik, der Verwaltung und Behörde sowie dem Lebensraum Schule zusammensetzt. Umfasst wird das Ganze vom Faktor Führung. Schulentwicklung findet nicht losgelöst, sondern im Kontext der die Schule umgebenden Gesellschaft statt. Zwischen den Faktoren und Ebenen spielen Dynamiken, welche Entwicklungsprozesse sowohl befördern als auch erschweren können.

Abb. 1: Das Schulentwicklungsrad mit den für Schulentwicklung relevanten Elementen

2 Die Elemente des Schulentwicklungsrads

Die Kenntnis der einzelnen Elemente des Schulentwicklungsinstruments und der Umgang mit ihnen hilft, den Überblick zu behalten, Prozesse sorgfältig zu planen und zu reflektieren und somit komplexe Entwicklungsprojekte zu führen. Im Folgenden finden sich Kurzbeschreibungen:

Gesellschaft

Schulen gelten als «Institutionen der gesellschaftlich organisierten Sozialisation» (Fend 2006, 28), deren Aufgabe darin besteht, der nächsten Generation «kulturelle Grundüberzeugungen» (vgl. Fend 2006, 29) sowie das Wissen und solche Fertigkeiten weiterzugeben, die als so wichtig angesehen werden, dass sie jede:r wissen und können soll. Fend (2008, 31) bezeichnet das als die «Vergesellschaftung von Lehren und Lernen». Damit die Auswahl der Inhalte bis hin zur Umsetzung vollzogen werden kann, muss gewährleistet werden, dass Entscheidungen im öffentlichen Bildungswesen einem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess, also einem demokratischen Verfahren folgen, bevor sie durch die Verwaltung bearbeitet und in Schulen umgesetzt werden. Unter Rahmenbedingungen und Mehrebenensystem Schule werden gesellschaftliche Aushandlungsprozesse und entsprechende Umsetzungsverfahren beschrieben.

Lernen der Schüler:innen

Schulentwicklungsprojekte sollen die Frage des Lernens der Schüler:innen ins Zentrum stellen. Sie ist Ausgangspunkt und Ziel jeden Projekts. Es zeigt sich jedoch, dass häufig nur vermeintlich klar ist, was schulisches Lernen zum Ziel hat, und dass die Erwartungen bei unterschiedlichen Zielgruppen schnell divergieren. Unter Lernen der Schüler:innen wird aufgezeigt, warum sich eine vertiefte Auseinandersetzung über das vorherrschende bzw. angestrebte Lernverständnis empfiehlt.

Mehrebenensystem Schule

Das deutschsprachige Bildungswesen ist als «ausgeprägtes Mehrebenensystem» (Appius u. Nägeli 2017, 35 ff.) konzipiert, wobei jede Ebene ihre ganz spezifische Funktion hat und ein Zusammenspiel zwischen den Ebenen unabdingbar ist. Es umfasst die Ebenen Bildungspolitik, Verwaltung/Behörde und den Lebensraum Schule. Die Herausforderung besteht darin, dass jede dieser Ebenen ihrer eigenen Logik folgt und eine je eigene Perspektive auf das Feld Schule hat (vgl. Bonsen 2016, 303). Sie sind aufeinander bezogen und stehen in gegenseitiger Abhängigkeit (Langer 2008).

Prozessgestaltung

Der Faktor Prozessgestaltung macht deutlich, dass schulische Veränderungsprozesse intendiert, also geplant sind und gesteuert werden können. Es wird aufgezeigt, dass im Idealfall verschiedene Schritte aufeinander folgen, an deren Ende die Einführung oder Umsetzung des neuen Projekts steht.

Sicherheit in der Prozessgestaltung und -führung hilft dabei, flexibel zu agieren und auf Unberechenbarkeiten besser reagieren zu können.

Haltungen und Emotionen

Unter Haltungen und Emotionen wird beschrieben, welch hohe Bedeutung diese in einem Veränderungsprozess haben und wie proaktiv mit ihnen umgegangen werden kann. Zusammenfassend gilt, dass Projekte, in denen die tiefsitzenden Annahmen thematisiert und verschiedene Perspektiven zusammengeführt werden, nur gewinnen können: «Es sind also die Menschen und der Geist, die beim Transfer den Unterschied machen. Und äußerer Transfer gelingt nur, wenn es auch inneren gibt» (Rolff 2016a, 215).

Kooperation und Kommunikation

In Abgrenzung zum Arbeitsalltag mit seinen Routinen und Gewohnheiten erfordern Veränderungsprozesse eine sorgfältige Kommunikation, eine aufmerksame Beobachtung der Interaktion von Akteur:innen und die Schaffung von Zusammenarbeitsgefässen, um Kommunikation und Interaktion zu unterstützen.

So kann die Zusammenführung unterschiedlicher Perspektiven entwicklungsfördernd sein, gleichzeitig birgt sie grosses Konfliktpotenzial. Beispielsweise schreiben Weick u. Sutcliffe (2016, 130): «Unterschiedliche Perspektiven und Standpunkte helfen einer Organisation dabei, der Tendenz zu widerstehen, im Voraus darüber zu entscheiden, welche Probleme der Aufmerksamkeit wert sind und welche nicht. [...] Vereinfachende Annahmen und Interpretationen zu vermeiden ist wichtig, vor allem dann, wenn sich der Kontext laufend verändert».

Rahmenbedingungen

Unter Rahmenbedingungen sind rechtliche, bildungspolitische, organisationale, institutionelle und gesellschaftliche Vorgaben sowie die Handlungsbedingungen vor Ort (organisationale Besonderheiten, Teamkonstellation und einzelne Personen sowie Merkmale der Schüler:innenschaft und Herkunft) gemeint. Schulentwicklungsvorhaben erfordern eine fundierte Kenntnis der Rahmenbedingungen, damit Gestaltungsräume erkannt und genutzt werden können.

Individuelle und organisationale Kompetenzen

Individuelle und kollektive Wissensbestände und Kompetenzen haben einen Einfluss auf Veränderungsprozesse im Bildungssystem. Sie sind Grundlage des organisationalen Lernens und des individuellen und kollektiven Wissens- und Kompetenzmanagements einer Organisation und eines Systems.

Es lohnt sich, regelmässig eine Auslegeordnung über vorhandene Wissensbestände und Kompetenzen zu machen und diese gezielt zu erweitern, um sie für das Lernen der Schüler:innen sowie in Veränderungsprozessen gewinnbringend zu nutzen.

Führung

Personen mit Führungsverantwortung nehmen eine Schlüsselfunktion ein. Sie sind gefordert, das grosse Ganze und damit das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren und Ebenen im Blick zu behalten und zu nutzen. Führung wird dabei als soziale Einflussnahme verstanden (vgl. Spillane 2006, in Strauss u. Anderegg 2020, 48). Geklärte gemeinschaftliche Führung innerhalb der und über die Ebenen hinweg mit einem konsequenten Fokus auf das Lernen aller Beteiligten kann helfen, den roten Faden in Veränderungsprozessen zu gewährleisten.

Dynamiken

In der Physik wird Dynamik als Lehre vom Zusammenhang zwischen den Kräften und den von ihnen erzeugten Bewegungen bezeichnet (Lexikon der Physik 2003). Spielen äussere und innere Kräfte adäquat zusammen, entstehen positive Dynamiken und bringen so die beabsichtigte Veränderung voran. Durch Kenntnis der Elemente des Schulentwicklungsinstruments und die Anwendung der Handlungsaspekte kann gezielt Einfluss auf Dynamiken in Veränderungsprozessen genommen werden.

3 Die Arbeit mit dem Schulentwicklungsrad

Dieses Schulentwicklungsinstrument ermöglicht einen ganzheitlichen Blick auf Schulentwicklung und damit verbundene Veränderungsvorhaben, indem es die relevanten zu berücksichtigenden Elemente aufführt. Kennen Führungspersonen und Projektverantwortliche diese, können sie Prozesse umfassend planen oder reflektieren sowie passende Interventionen erarbeiten. Dafür ist es erforderlich, einen Schritt weiter in die Tiefe zu gehen und die Frage zu stellen: Was steckt hinter den einzelnen Elementen?

Die Abbildung 2 gibt einen Überblick, welche Themen die Grundlagen des Lernverständnisses, des Mehrebenensystems Schule und der sechs Faktoren bilden. Mit dieser zusätzlichen Orientierungshilfe lässt sich schnell bestimmen, wo sich Ansatzpunkte für eine bestimmte Situation oder für ein Veränderungsvorhaben finden. Je nach Ausgangslage kann entschieden werden, ob vertiefte Kenntnisse oder Kompetenzen in diesem Bereich notwendig werden. Dann empfiehlt es sich, das entsprechende Kapitel zu vertiefen. Stellt sich die Frage nach konkreten Vorgehensweisen im definierten Bereich, kann jeweils der Abschnitt «Konsequenzen für das Schulentwicklungshandeln» weiterhelfen oder das zusammenfassende Kapitel Schulentwicklungshandeln.

4 Schulentwicklungshandeln: Das Spiel mit den Elementen

Wie bereits ausgeführt, zeigt das Schulentwicklungsrad auf, welche Faktoren bei Veränderungen zu beachten sind, welche Ebenen und Akteur:innen einbezogen werden müssen und welches Führungshandeln erforderlich ist. Mit dem Wissen über das WAS ist jedoch noch nicht geklärt, WIE eine Führungsperson handeln kann, um Veränderungsprozesse zielführend und kontinuierlich voranzutreiben. Obwohl auch die vorliegende Publikation keine Anleitung mit Gelingensgarantie für erfolgreiches Schulentwicklungshandeln darstellt, zeigen die Autor:innen gesammelt auf, dass es acht über alle Elemente hinweg gültige Handlungsaspekte gibt, die sich auf Erfolg oder Misserfolg von Entwicklungsprozessen auswirken. Diese übergeordneten Handlungsaspekte werden ausführlich im Kapitel Schulentwicklungshandeln beschrieben. Durch das Wissen über die einzelnen Elemente des vorliegenden Analyse-, Planungs- und Evaluationsinstruments und die Anwendung der Handlungsaspekte kann bewusst Einfluss auf mögliche Dynamiken in Veränderungsprozessen genommen werden (vgl. Einleitung). Das wird als «Spiel mit den Faktoren und Ebenen» bezeichnet.

5 Was hinter den Elementen steckt: Übersicht für die Analyse, Planung und Reflexion schulischer Situationen und Veränderungsprojekte

Abb. 2: Leitfrage und Grundthemen der einzelnen Elemente des Schulentwicklungsrads

 

6 Literatur

Appius, Stephanie und Amanda Nägeli. 2017. Schulreformen im Mehrebenensystem: Eine mehrdimensionale Analyse von Bildungspolitik. Educational Governance 35. Wiesbaden: Springer.

Bonsen, Martin. 2016. «Schulleitung und Führung in der Schule». In Handbuch Neue Steuerung im Schulsystem, 301–23. Wiesbaden: Springer VS.

Fend, Helmut. 2006. Neue Theorie der Schule: Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen. 1. Aufl. Lehrbuch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Fend, Helmut. 2008. Schule gestalten: Systemsteuerung, Schulentwicklung und Unterrichtsqualität. 1. Aufl. Lehrbuch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Langer, Roman, Hrsg. 2008. «Warum tun die das?»: Governanceanalysen zum Steuerungshandeln in der Schulentwicklung. 1. Aufl. Educational Governance 6. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Lexikon der Physik. 1999 [erschienen 2003]. [Sonderausg.]. Heidelberg: Spektrum, Akad. Verl.

Maag Merki, Katharina. 2017. «School Improvement Capacity als ein Forschungsfeld der Schulentwicklungs- und Schuleffektivitätsforschung: Theoretische und methodische Herausforderungen». In Schulgestaltung: Aktuelle Befunde und Perspektiven der Schulqualitäts- und Schulentwicklungsforschung. Grundlagen der Qualität von Schule 2, hrsg. v. Ulrich Steffens, Katharina Maag Merki und Helmut Fend. 1., neue Auflage, 269–86. Beiträge zur Schulentwicklung. Münster: Waxmann.

Rolff, Hans-Günter. 2016a. Schulentwicklung kompakt: Modelle, Instrumente, Perspektiven. 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Pädagogik. Weinheim, Basel: Beltz.

Strauss, Nina-Cathrin und Niels Anderegg, Hrsg. 2020. Teacher Leadership – Schule gemeinschaftlich führen. 1. Auflage. Führung von und in Bildungsorganisationen 1. Bern: hep Verlag.

Weick, Karl E. und Kathleen M. Sutcliffe. 2016. Das Unerwartete managen: Wie Unternehmen aus Extremsituationen lernen. 3., vollständig überarbeitete Auflage. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

Kapitel 3

Lernen der Schüler:innen

Inhaltsverzeichnis

1 Das Lernen der Schüler:innen im Kontext von Schulentwicklung

2 Herleitung «Lernen der Schüler:innen»

3 Der Diskurs über das «Lernen der Schüler:innen» im Kontext Schule

3.1 Fends Schultheorie und ihre Aussagen über die Aufgaben der Schule

3.2 Von den Aufgaben zu Zielen: Der Lehrplan 21

3.3 Die pädagogische Lerntheorie von Göhlich und Zirfas

4 Zusammenfassung

5 Konsequenzen in Bezug auf Schulentwicklungshandeln

6 Literatur

Lernen der Schüler:innen

Das Kerngeschäft und seine Facetten Frank Brückel, Rachel Guerra

1 Das Lernen der Schüler:innen im Kontext von Schulentwicklung

Als Schulleiter frage ich mich: Haben wir eine gemeinsame Definition oder ein gemeinsames Verständnis dessen, was Lernen bedeutet? Noch nie habe ich an einer Schule gearbeitet, in der die Kolleg:innen ein gemeinsames Verständnis von Lernen definiert haben. Ist es nicht ironisch, dass wir in einer lernenden Organisation arbeiten und kein gemeinsames Verständnis dessen haben, was Lernen bedeutet.[8] (Schulleiter aus Kanada)

Im Fachdiskurs herrscht Konsens darüber, dass Schulentwicklung immer die Frage ins Zentrum rücken sollte, wie das Lernen der Schüler:innen verbessert werden kann (vgl. z. B. Maag Merki 2020; Rolff 2016b; Bischof 2017; Dedering 2012).

Allerdings ist auch auffallend, dass es neben diesem Konsens nur wenige Hinweise darauf gibt, was genau unter «Verbesserung des Lernens» verstanden wird. Daher beschäftigen sich die folgenden Kapitel zunächst mit der Frage, warum das Lernen im Zentrum steht (Kap. 2) und welche Aufgaben schulisches Lernen hat (Kap. 3.1).

Im Anschluss daran werden diese Aufgaben mittels des aktuellen Lehrplans 21 (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz 2016) konkretisiert und in den Kontext der pädagogischen Lerntheorie von Göhlich und Zirfas (2007) und des Lernkompasses 2030 (OECD 2019a) gestellt (Kap. 3.2–3.4). Kapitel 4 zeigt auf, wie eine Auseinandersetzung über das Lernen im Kontext eines Schulentwicklungsprozesses gelingen kann. In Kapitel 5 wird der Bezug zwischen dem Lernen der Schüler:innen und den sechs Faktoren des Schulentwicklungsrads beschrieben.

2 Herleitung «Lernen der Schüler:innen»

Umfassende Schulentwicklungsprozesse sind in der Regel Antworten auf gesellschaftlichen Wandel (vgl. Herleitung). Betrachtet man die grossen Veränderungen der letzten Jahre, dann geht es im Wesentlichen um Themen wie Evidenzbasierung, Standardisierung, Kompetenzorientierung, Digitalisierung, Vereinbarkeit Familie und Beruf und den Umgang mit Heterogenität. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich in den meisten Fällen, dass die Erwartungen hinsichtlich des Lernens der Schüler:innen bei den unterschiedlichen Zielgruppen sehr schnell auseinander gehen. Christian Nerowski (2015, 38) schreibt beispielsweise in Bezug auf die Einführung von Tagesschulen, dass unterschiedliche Gruppierungen mit unterschiedlichen Interessenlagen unterschiedliche Erwartungen formulieren, «jedoch sind diese Forderungen uneinheitlich, begrifflich unpräzise, teilweise widersprüchlich und für die Schulpraxis in keiner Weise rechtlich oder moralisch bindend». Ähnliches kann für andere Schulentwicklungsvorhaben festgestellt werden. Daher lohnt sich eine vertiefte Auseinandersetzung darüber, was unter Lernen genau verstanden werden kann und welche Erwartungen damit verbunden sind.

Grundsätzlich hat Lernen viele Facetten, Menschen lernen laufend und in verschiedensten Kontexten (zum Beispiel Familie, Peergroup, Medien oder Schule). Gerade in Bezug auf das schulische Lernen scheint es offensichtlich (und damit auch vermeintlich klar) zu sein, was genau unter Lernen verstanden wird, da die Anleitung zum Lernen der Grundauftrag der Schule ist (vgl. Ausführungen in Kap. 2 unter Kooperation und Kommunikation). Beispielsweise formuliert der Deutschschweizer Lehrplan 21 bezogen auf das Harmos-Konkordat, Art. 3 (Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren 2021d):

Bildungsauftrag

«In der obligatorischen Schule erwerben und entwickeln alle Schülerinnen und Schüler grundlegende Kenntnisse und Kompetenzen sowie kulturelle Identität, die es ihnen erlauben, lebenslang zu lernen und ihren Platz in der Gesellschaft und im Berufsleben zu finden».

Ziel ist es, dass sich die Schüler:innen nach Abschluss der Schule, im Berufsleben und in der Gesellschaft zurechtfinden und weitere dafür notwendige Lernprozesse eigenverantwortlich realisieren. Damit dies gelingt, erhalten die Schüler:innen über elf Pflichtschuljahre (Kindergarten bis Klasse 9) hinweg eine umfassende schulische Grundbildung (vgl. Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz 2016).

Sieht man sich die wissenschaftliche Fachdiskussion jedoch genauer an, so kann in vielen Fällen nur noch vermutet werden, was unter Lernen der Schüler:innen gemeint ist: Maag Merki (2017, 273) bezieht sich beispielsweise auf «Lernziele», die zu erreichen sind. Rolff (2016b, 20) nennt die «Lernfortschritte der Schülerinnen und Schüler» den «ultimativen Bezugspunkt» von Schulentwicklung. Allmen et al. (2018, 229) setzen «schulische Leistungen» in Bezug auf Schrader, Helmke u. Hosenfeld (2008) gleich mit kognitiven Kompetenzen in mathematischen und sprachlichen Bereichen.

Dass die Diskussion über den «schulischen Lernerfolg» in vielen Fällen vor allen Dingen auf «kognitiven Lernerfolg» zielt, wird auch von Fend (2006, 50) angemerkt. Er wies bereits 2006 darauf hin, dass schulisches Lernen vor allen Dingen mit «Qualifikation», mit konkreten und messbaren Ergebnissen in den kognitiven Fächern gleichgesetzt und daran gemessen wird. Andere Aufgaben der Schule, so Fend (2006, 50) werden in den Hintergrund gedrängt (vgl. Kap. 3.1, Fends Schultheorie und ihre Aussagen über die Aufgaben der Schule).

Zudem – und das macht eine Annäherung an das Lernen der Schüler:innen nicht einfacher – gibt es verschiedene wissenschaftliche Diskurse, die sich mit Lernen auseinandersetzen. Göhlich u. Zirfas (2007, 11) sind der Ansicht, dass die Pädagogik mit ihren Lerntheorien dabei eine eher randständige Rolle spielt. Dominant erscheinen hingegen Psychologie und Neurologie. Insbesondere Letztere gilt in jüngster Zeit vielen als die Wissenschaft, von der allein wahre Aussagen über das Phänomen «Lernen» zu erwarten sind.

Wenn es um das schulische Lernen geht, soll im Folgenden zunächst in Anlehnung an Fend (2006, 2008) beschrieben werden, welche Aufgaben[9] Schulen haben. Seine Arbeiten gelten bis heute als Referenz und geniessen hohe Anerkennung. Danach wird aufgezeigt, wie sich sowohl der Lehrplan 21, aber auch die pädagogische Lerntheorie von Göhlich und Zirfas (2007) und der 2019 publizierte Lernkompass 2030 der OECD in Bezug zu diesen Aufgaben verorten (OECD 2019a).

3 Der Diskurs über das «Lernen der Schüler:innen» im Kontext Schule

3.1 Fends Schultheorie und ihre Aussagen über die Aufgaben der Schule

Eingebettet ist das schulische Lernen immer in den institutionellen Rahmen des Bildungswesens (Fend 2008, 16). Dieser zeigt sich zum Beispiel am hierarchischen Aufbau von Makro-, Meso- und Mikroebene (vgl. Mehrebenensystem Schule) oder daran, dass Lerninhalte in Lehrplänen festgeschrieben werden und durch evidenzbasierte Entscheidungsfindungen mehr und mehr versucht wird, Rückmeldungen über das «Lernen der Schüler:innen» zu erhalten, um daraus weitere Entwicklungen abzuleiten (vgl. z. B. Fend 2006, Altrichter, Moosbrugger u. Zuber 2016; Bellmann 2016). Fend (2006, 31) spricht in diesem Zusammenhang davon, dass erwünschte Lernprozesse in Schulsystemen über gesetzliche Normierungen, die Entwicklung von Programmen, die Bereitstellung materieller und personeller Ressourcen und vor allem über die Entwicklung der Kompetenzen des Lehrens arrangiert werden (vgl. Rahmenbedingungen). Das, was gelernt werden soll, ist in den Lehrplänen festgeschrieben, drückt aus, was ein:e Schüler:in nach ihrer/seiner Schulzeit sein, können und tun sollte (vgl. Fend 2006, 31) und geht weit über die Vermittlung von fachlichem Lernen hinaus. Fend (2006) nennt vier Funktionen (Enkulturations-, Qualifikations-, Allokations-, und Integrationsfunktion), die eine Schule zu erfüllen hat:

Enkulturationsfunktion: Schüler:innen sollen grundlegende Kulturen, Denkweisen, kulturelle Fertigkeiten und Verständigungsformen einer Gesellschaft kennenlernen, damit der Zusammenhalt eines Gemeinwesens gesichert werden kann (Fend 2006, 47 ff.). Zum Beispiel lernen Kinder und Jugendliche über Jahre hinweg, dass sie in unserem Kulturkreis pünktlich in die Schule kommen müssen und ihre Hausaufgaben machen sollen. Sie lernen, wie man mit Erwachsenen umgeht, dass die Geschlechter gleichberechtigt sind oder dass ihre Leistungen ständig überprüft werden.

Qualifikationsfunktion: Die Qualifikationsfunktion zielt auf Kompetenzen, die zur «Ausübung konkreter Arbeit erforderlich sind» (Fend 2006, 50). Ziel ist es, dass junge Menschen befähigt werden, eine «selbständige berufliche Lebensführung» (Fend 2006, 53) in Angriff zu nehmen. Fend (2006, 50) merkt dabei kritisch an, dass die Qualifikationsfunktion in den letzten Jahren so an Bedeutung gewonnen hat, dass die anderen Funktionen in den Hintergrund gedrängt wurden. Beispielsweise werden schulische Leistungen von Schüler:innen, aber auch von Bildungssystemen nicht selten daran gemessen, wie der Lernerfolg in den «PISAFächern» oder anderen standardisierten Prüfungen (z. B. Stellwerktest in der Schweiz und Liechtenstein) ausfällt.

Allokationsfunktion (Selektions- oder Verteilfunktion): Hiermit eng verknüpft ist der Auftrag an die Schule, die jungen Menschen entsprechend ihren Leistungen unterschiedlich qualifizierenden Bildungswegen zuzuweisen (Gymnasium, berufliche Lehre, Anlehre, etc.). Fend (2006, 44) spricht von der Allokationsfunktion und meint «in einem hoch industrialisierten und nach Qualifikationsprofilen hierarchisierten Beschäftigungssystem optimale Zuordnungen von Fähigkeitsprofilen der Schulabgängerinnen und Schulabgänger zu Anforderungsprofilen im stark differenzierten Beschäftigungssystem zu vollziehen».

Integrationsfunktion: Daneben ist es in einem demokratischen Gemeinwesen wichtig, dass die nachfolgende Generation lernt, solche Normen, Werte und Weltsichten kennenzulernen, die zur Stabilisierung der politischen Verhältnisse dienen (Fend 2006, 50). Beispielsweise ist das Recht auf Mitsprache durch die UN-Kinderrechtskonvention verbrieft (vgl. Bundesrat 2016). Die Konvention beruht auf vier Grundprinzipien, unter anderem dem Recht auf Anhörung und Partizipation. Im Kanton Zürich wird das beispielsweise über das Volksschulgesetz (VSG § 50 Absatz 3) geregelt. Dort wird festgehalten, dass die Schüler:innen an den sie betreffenden Entscheiden beteiligt werden, soweit nicht ihr Alter oder andere wichtige Gründe dagegensprechen (vgl. Volksschulgesetz Kanton Zürich 2005).

Fend (2006, 53) spricht im Zusammenhang mit diesen vier Aufgaben von einer «Doppelfunktion des Bildungswesens». Gemeint ist, dass die Schule sowohl individuelle «Handlungs- und Entwicklungschancen» ermöglichen wie auch der Gesellschaft dienen soll. Zusammen führen die Aufgaben dazu, «dass heranwachsende Menschen in ihrer Kultur keine Fremden bleiben» (Fend 2006, 48). Am Ende ihrer Schulzeit sollen die Schüler:innen

1. am sozialen Leben teilnehmen können (Enkulturationsfunktion).

2. Kompetenzen erwerben, die zur «Ausübung konkreter Tätigkeiten erforderlich sind» (Fend 2006, 50) (Qualifikationsfunktion).

3. wissen, warum sie welche Position in der Gesellschaft einnehmen (Allokationsfunktion).

4. Normen, Werte und Weltsichten verinnerlichen, die zur «Stabilisierung der politischen Verhältnisse dienen» und die zur Zustimmung und zum Vertrauen in das politische System führen (vgl. Fend 2006, 50) (Integrationsfunktion).

3.2 Von den Aufgaben zu Zielen: Der Lehrplan 21

Damit die Schule ihre Aufgaben wahrnehmen kann, braucht es verbindliche Vorgaben, konkretisiert durch Lehrpläne. In der Schweiz und in Liechtenstein beschreibt der Lehrplan 21 «den bildungspolitisch legitimierten Auftrag der Gesellschaft an die Volksschule. Er legt die Ziele für den Unterricht aller Stufen der Volksschule fest und ist ein Planungsinstrument für Lehrpersonen, Schulen und Bildungsbehörden. Er orientiert Eltern und Erziehungsberechtigte, Schülerinnen und Schüler, die Abnehmer der Sekundarstufe II, die pädagogischen Hochschulen und die Lehrmittelschaffenden über die in der Volksschule zu erreichenden Kompetenzen» (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz 2016, Einleitung).

Auch der Lehrplan macht deutlich, dass Schule weit mehr Ziele hat als kognitives Lernen. Bildung wird dort als ein offener, lebenslanger und aktiv gestalteter Entwicklungsprozess des Menschen verstanden (Deutschschweizer Erzie-hungsdirektoren-Konferenz 2016, Bildung). Vergleicht man die im Lehrplan beschriebenen Ziele mit den Aufgaben von Fend (2006), zeigt sich eine grosse Übereinstimmung. Dies wird beispielsweise an folgenden Stellen des Lehrplans 21 ersichtlich:

Funktionen der Schule nach Fend (2006)

Aussagen des Lehrplans 21

Enkulturationsfunktion

«In der obligatorischen Schule erwerben und entwickeln alle Schülerinnen und Schüler grundlegende Kenntnisse und Kompetenzen sowie kulturelle Identität, die es ihnen erlauben, lebenslang zu lernen und ihren Platz in der Gesellschaft und im Berufsleben zu finden» (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz 2016, Bildungsziele, gesetzliche Grundlagen).

Qualifikationsfunktion

Der Lehrplan 21 gliedert die schulische Grundbildung in die sechs Fachbereiche Mathematik, Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG), Gestalten, Musik, Bewegung und Sport sowie das Modul Medien und Informatik, die Bildung für Nachhaltige Entwicklung und überfachliche Kompetenzen. Für alle Bereiche werden die Kompetenzen beschrieben, welche die Schülerinnen und Schüler im Laufe der Volksschule erwerben (vgl. Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz 2016, Fachbereiche).

Allokationsfunktion

«Gleichzeitig ist schulische Beurteilung die Grundlage für die Qualifikation der Schülerinnen und Schüler und dient der Selektion. Entsprechend sorgfältig und verantwortungsbewusst muss sie erfolgen. […] Prognostische Beurteilung ist für Laufbahnentscheide (Promotion, Selektion, Berufs- und Schulwahl) von Bedeutung. Sie fragt, ob die Voraussetzungen für die erfolgreiche Teilnahme an einem nächsten Abschnitt in der Bildungslaufbahn gegeben sind. Sie stützt sich ab auf Ergebnisse der summativen Beurteilung und bezieht im Sinne einer Gesamtbeurteilung Elemente der formativen Beurteilung, überfachliche Kompetenzen sowie weitere Persönlichkeitsdimensionen mit ein» (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz 2016, Grundlagen).

Integrationsfunktion

«Die Schülerinnen und Schüler befassen sich mit unterschiedlichen Gesellschaftsformen, Traditionen und Weltsichten, diskutieren deren Entstehung und Wandel und lernen historische, gesellschaftliche und politische Zusammenhänge verstehen. […] Die Schülerinnen und Schüler engagieren sich in der schulischen Gemeinschaft und gestalten diese mit» (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz 2016, Leitidee BNE).

Tab. 1: Die Funktionen der Schule nach Fend (2006) im Überblick

Während in Kapitel 3.1 aufgezeigt wurde, dass öffentliche Schulen grundsätzlich vier Aufgaben haben und in diesem Kapitel der Zusammenhang dieser Aufgaben mit dem Bildungsverständnis des Lehrplans 21 skizziert wurde, zeigt das folgende Kapitel 3.3 auf, dass pädagogische Lerntheorien sowohl an die Aufgaben wie den Lehrplan anschlussfähig sind.

3.3 Die pädagogische Lerntheorie von Göhlich und Zirfas

Göhlich und Zirfas legten 2007 eine pädagogische Lerntheorie vor, die in der Fachdiskussion hohe Anerkennung geniesst. Sie definieren Lernen als erfahrungsreflexive Prozesse, die der Gewinnung von spezifischem Wissen und Können dienen. Dieses Wissen und Können wirken sich dann auf die Lebensfähigkeit und Lebensweise der Lernenden aus (Göhlich u. Zirfas 2007, 17 ff.). Die Autoren unterscheiden vier Aspekte des Lernens: Wissen-Lernen, Können-Lernen, Leben-Lernen und Lernen-Lernen.

Wissen-Lernen: Nach Göhlich und Zirfas (2007, 181) ist Wissen-Lernen ein rein sachlicher Prozess, «objektiv» und nach standardisierbaren Kriterien prüfbar. Da Wissen «von der Person lösbar ist» (Göhlich u. Zirfas 2007, 182), eignet es sich sehr gut dafür, «die Verfügbarkeit eines vorab bereits als wahr vorausgesetzten und damit zumindest innerhalb des schulischen Kontextes schlicht normativ gesetzten Wissens» festzustellen. Dieses normative Wissen ist nach Göhlich und Zirfas (2007, 182) gesellschaftlich anerkannt: «Schule prüft, ob und inwieweit der Schüler über diesen Wissenskanon verfügt, und weist den in der Prüfung festgestellten Wissensstand als solchen (und zugleich als Lernerfolg bzw. Misserfolg) aus» (Göhlich u. Zirfas 2007, 183).

Können-Lernen: Im Unterschied dazu handelt es sich beim Können um praktisches Wissen, das auch automatisiert ausgeübt werden kann (vgl. Göhlich u. Zirfas 2007, 184). Anders als Wissen ist Können untrennbar an die einzelnen Lernenden gebunden: «Weil Können nicht […] vom könnenden Akteur und der betreffenden Tätigkeit gelöst werden kann, kann es nicht in Sprache oder Schrift vermittelt, sondern nur in der Ausführung» erlernt bzw. auf- und vorgeführt werden. Ziel des Können-Lernens ist die Erlangung einer Prozessgewissheit, die durch Versuche und wiederholtes Üben erreicht wird. Wie beim Wissen auch stellt sich die Frage, welches Können aus dem jeweiligen kulturellen Kontext angestrebt wird.

Leben-Lernen: Beim Leben-Lernen unterscheiden Göhlich u. Zirfas (2007, 187–194) zwischen den sechs Facetten Überleben-, Lebensbewältigung-, Lebensbefähigung-, biografisches Lebenskunst- und Sterben-Lernen. Zusammen zielen sie darauf, dass Menschen lernen,

• wie das Leben gesichert werden kann. Gemeint sind basale Fertigkeiten, Techniken und Ressourcenbildungen, die zum Beispiel vor Unterversorgung in unterschiedlichen Lebensbereichen wie Gesundheit, Bildung, Wohnen und Lebensumfeld schützen, aber auch die Bewältigung von Ausgrenzungserfahrungen ermöglichen sollen (Überleben-Lernen).

• wie es gelingen kann, ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln, sich sozial orientieren zu können, sozialen Rückhalt zu erfahren (Lebensbewältigung-Lernen).

• kritisch zu leben und nicht Opfer der Interessen anderer zu werden. Dabei sind Fragen der Emanzipation, der Chancengleichheit sowie der Mitgestaltung des Alltags von besonderer Bedeutung (Lebensbefähigung-Lernen).

• die eigene Lebensgeschichte zu reflektieren. Der Aufbau der eigenen Identität, der Umgang mit anderen und der Welt sowie die Einschätzung dessen, was als sinnhaft erachtet wird, ist unmittelbar auf Erfahrungen angewiesen, die man mit sich selbst macht (biografisches Lernen).

• «ihrem Leben eine Form zu geben» (ebd., 189). Damit dies gelingt, sind der Aufbau von Lebensperspektiven, der Umgang mit negativen Ereignissen, die Bewertung des Lebens mit Kriterien des Glücks und der Schönheit, die Stilisierung des eigenen Ichs sowie der Umgang mit den eigenen Grenzen wichtig (Lebenskunst-Lernen).

• «dass zum Leben auch das Sterben lernen und damit die Integration der Schattenseiten des Lebens, von Einsamkeit, Schmerzen, Angst, Melancholie und Tod gehört» (ebd., 189) (Sterben-Lernen).

Lernen-Lernen: Lernen-Lernen hat das Ziel, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erlangen, um Lernsituationen und Lernprozesse für das eigene Leben zu nutzen. Göhlich und Zirfas (2007, 190) machen deutlich, dass sich dieser Aspekt durch alle anderen durchzieht und gerade deshalb als letzter und umfassender Punkt genannt wird. Die Autoren nennen in diesem Zusammenhang die (Selbst-)Reflexivität, Selbstsorge, Kritikfähigkeit, Kreativität, lebenslange Lernfähigkeit, Selbststeuerung und Selbstorganisation des Lernens, aber auch die Methodisierung bzw. das Methodenlernen oder Effizienzsteigerung.

Diese vier Aspekte des Lernens sind bis heute aktuell. Dies zeigt sich im Vergleich mit neueren Publikationen, wie z. B. dem Lernkompass 2030 der OECD (2019a). Dort beschäftigen sich die Autor:innen mit der Frage, wie es gelingen kann, «dass Schülerinnen und Schüler den Willen und die Fähigkeit haben, ihr eigenes Leben und die Welt um sie herum positiv zu beeinflussen, sowie die Kapazität, sich ein Ziel zu setzen, zu reflektieren und verantwortlich zu handeln, um Veränderungen herbeizuführen» (vgl. OECD 2019a, 20).

4 Zusammenfassung

Schulentwicklungsprojekte sollen nach dem vorliegenden Verständnis die Frage des Lernens der Schüler:innen ins Zentrum stellen. Es zeigt sich jedoch, dass häufig nur vermeintlich klar ist, was schulisches Lernen zum Ziel hat und dass die Erwartungen bei unterschiedlichen Zielgruppen sehr schnell auseinander gehen können. Es wurde aufgezeigt, weshalb sich eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Aufgaben der Schule aufdrängt. Nach Fend (2006, 2008) haben Schulen vier wesentliche Aufgaben zu erfüllen: junge Menschen sollen sozial, beruflich, leistungsbezogen und politisch an einer Gesellschaft teilhaben. Auch der Lehrplan macht deutlich, dass Schule viele Ziele hat, die über das kognitive Lernen hinausgehen. Bildung wird dort als ein offener, lebenslanger und aktiv gestalteter Entwicklungsprozess des Menschen verstanden (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz 2016, Bildung). Göhlich und Zirfas (2007) nennen in ihrer pädagogischen Lerntheorie die vier Aspekte «Wissen-Lernen», «Können-Lernen», «Leben-Lernen» und «Lernen-Lernen», die zusammen zu gesellschaftlicher Teilhabe führen. Dass dieser Ansatz hochaktuell ist, zeigt zum Beispiel der Lernkompass 2030 der OECD (2019a).

Im Überblick kann das «Lernen der Schüler:innen» wie folgt dargestellt werden:

Abb. 1: Grafische Darstellung dessen, was unter Lernen der Schüler:innen in Anlehnung an Fend (2006), den Lehrplan 21 und der pädagogischen Lerntheorie von Göhlich und Zirfas (2007) verstanden werden kann. Zusammen führen sie dazu, dass junge Menschen in ihrer Kultur «keine Fremden» bleiben (Fend 2006, 48).

5 Konsequenzen in Bezug auf Schulentwicklungshandeln

Zunächst einmal ist es wichtig, dass bei Schulentwicklungsprojekten die Frage nach dem Lernen der Schüler:innen ins Zentrum gerückt wird. Führungspersonen sollten sich bewusst sein, dass jedoch häufig nur vermeintlich klar ist, was schulisches Lernen zum Ziel hat und welche Erwartungen damit verknüpft sind.

Wie kann in einem Schulentwicklungsprozess proaktiv mit dem Lernen der Schüler:innen verfahren werden? Die bisherigen Ausführungen geben eine Reihe von Hinweisen, die bei der Führung von Veränderungsprozessen berücksichtigt werden können. Im Kern geht es darum, das eigene Lernverständnis zu reflektieren und mit anderen darüber in ein Gespräch zu kommen.

Im Kapitel Schulentwicklungshandeln werden vier über alle Elemente des vorliegenden Schulentwicklungsinstruments hinweg geltende Handlungsaspekte beschrieben, die zusammen zu einer veränderungsoffenen Schulkultur führen:

• Aspekte des Austauschs

• Aspekte der Informationsgewinnung

• Aspekte der Meinungsbildung

• Aspekt der Entscheidungsfindung

Darüber hinaus gibt es drei Bereiche, die insbesondere beim Lernen der Schüler:innen zu beachten sind: sich seines eigenen Lernverständnisses bewusst werden, das eigene Lernverständnis mit anderen abgleichen und ein konsensfähiges Lernverständnis für die eigene Organisationseinheit formulieren, welches für den jeweiligen Veränderungsprozess handlungsleitend ist.

Eine intensive Auseinandersetzung im Team über mögliche Ziele des Lernens, die mit dem kommenden Veränderungsprozess erreicht werden sollen, ist eine wichtige Grundlage, um ein gemeinsames Verständnis über das Vorhaben und dessen Intention zu erarbeiten.

Zusammenfassend sollten Verantwortliche von Schulentwicklungsprozessen um die Herleitung des Lernverständnisses wissen, bedeutende Diskurse über Lernen im Kontext von Schule kennen, ein gemeinsames schulinternes Verständnis erarbeiten, daraus Strategien ableiten und diese zielführend umsetzen. Sie sollten bereit sein, sich auf kontroverse Diskussionen einzulassen und genügend Zeit für eine sorgfältige Erarbeitung eines gemeinsamen Verständnisses des Lernens von Schüler:innen einzuräumen.

 

6 Literatur

Allmen, Benjamin von, Marianne Schüpbach, Lukas Frei und Wim Nieuwenboom. 2018. «Tagesschulangebote und Schulleistungsentwicklung». In Tagesschulen, hrsg. v. Marianne Schüpbach, Lukas Frei und Wim Nieuwenboom, 229–45. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Altrichter, Herbert, Robert Moosbrugger und Julia Zuber. 2016. «Schul- und Unterrichtsentwicklung durch Datenrückmeldung». In Handbuch Neue Steuerung im Schulsystem, 235–77. Wiesbaden: Springer VS.

Bellmann, Johannes. 2016. «Datengetrieben und/oder evidenzbasiert?» Z Erziehungswiss 19 (S1): 147–61. doi:10.1007/s11618-016-0702-6.

Bischof, Linda M. 2017. Schulentwicklung und Schuleffektivität. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Bundesrat. 2016. «Übereinkommen über die Rechte des Kindes». Zugriff 8. Oktober 2021. https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1998/2055_2055_2055/de.

Dedering, Kathrin. 2012. Steuerung und Schulentwicklung: Bestandsaufnahme und Theorieperspektive. Wiesbaden: Springer VS.

Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz. 2016. «Lehrplan 21». Zugriff 8. Oktober 2021. https://www.lehrplan21.ch/.

Fend, Helmut. 2006. Neue Theorie der Schule: Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen. 1. Aufl. Lehrbuch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Fend, Helmut. 2008. Schule gestalten: Systemsteuerung, Schulentwicklung und Unterrichtsqualität. 1. Aufl. Lehrbuch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Göhlich, Michael und Jörg Zirfas. 2007. Lernen: Ein pädagogischer Grundbegriff. Allgemeine Pädagogik. Stuttgart: Kohlhammer.

Maag Merki, Katharina. 2017. «School Improvement Capacity als ein Forschungsfeld der Schulentwicklungs- und Schuleffektivitätsforschung: Theoretische und methodische Herausforderungen». In Schulgestaltung: Aktuelle Befunde und Perspektiven der Schulqualitäts- und Schulentwicklungsforschung. Grundlagen der Qualität von Schule 2, hrsg. v. Ulrich Steffens, Katharina Maag Merki und Helmut Fend. 1., neue Auflage, 269–86. Beiträge zur Schulentwicklung. Münster: Waxmann.

Maag Merki, Katharina. 2020. «Das Educational Governance-System im Dienste der Schulentwicklung. Oder: Wie kann Steuerung die Weiterentwicklung von Schulen unterstützen?». In Bewegungen: Beiträge zum 26. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, hrsg. v. Isabell van Ackeren, Helmut Bremer, Fabian Kessl, Hans C. Koller, Nicolle Pfaff, Caroline Rotter, Dominique Klein et al., 405–17. Opladen: Barbara Budrich.

Nerowski, Christian. 2015. «Erwartungen an Ganztagsschulen». In Basiswissen Ganztagsschule: Konzepte, Erwartungen, Perspektiven, hrsg. v. Sibylle Rahm, Kerstin Rabenstein und Christian Nerowski, 38–64. Pädagogik Band 28. Weinheim, Basel: Beltz.

OECD. 2019. «OECD Lernkompass 2030: OECD-Projekt Future of Education and Skills 2030. Rahmenkonzept des Lernens». Deutsche Arbeitsgruppe im internationalen OECD-Projekt Future of Education and Skills 2030. https://www.oecd.org/education/2030-project/contact/OECD_Lernkompass_2030.pdf.

Rolff, Hans-Günter. 2016b. Schulentwicklung kompakt: Modelle, Instrumente, Perspektiven. 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Pädagogik. Weinheim, Basel: Beltz.

Schrader, Friedrich-Wilhelm, Andreas Helmke und Ingmar Hosenfeld. 2008. «Stichwort: Kompetenzentwicklung im Grundschulalter». Z Erziehungswiss 11 (1): 7–29. doi:10.1007/s11618-008-0001-y.

Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. 2021. «Obligatorische Schule: Die Kantone sind zuständig für die Harmonisierung der obligatorischen Schule». Zugriff 8. Oktober 2021. https://www.edk.ch/de/themen/harmos.

Volksschulgesetz Kanton Zürich. 2005. «Volksschulgesetz (VSG) vom 7. Februar 2005». Zugriff 8. Oktober 2021. http://www2.zhlex.zh.ch/appl/zhlex_r.nsf/0/B6DFC1347AA5482FC12575C1003D4B7F/$file/412.100_7.2.05_65.pdf.

Kapitel 4

Mehrebenensystem Schule

Inhaltsverzeichnis

1 Bedeutung des «Mehrebenensystems Schule» im Gesamtzusammenhang

2 Das föderale Mehrebenensystem

2.1 Die Ebenen im Überblick

2.2 Die Aufgabe des Bildungssystems in föderalen Gesellschaften

3 Makroebene – Bildungspolitik

3.1 Entscheiden im Namen der Gesellschaft

3.2 Zentrale Akteur:innen der Bildungspolitik

3.3 Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen der Bildungspolitik im Überblick

4 Makroebene – Bildungsverwaltung

4.1 Umsetzung der politischen Entscheidungen

4.2 Akteur:innen der Bildungsverwaltung

4.3 In die Bildungsverwaltung integrierte oder an Verwaltung angehängte Akteur:innen

4.4 Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen der Bildungsverwaltung

4.5 Besonderheiten der Schweiz

5 Mesoebene – Lebensraum Schule

5.1 Ort der unmittelbaren Begegnung mit Kindern und Jugendlichen

5.2 Multifunktionalität und Multiprofessionalität

5.3 Akteur:innen der Mesoebene

5.4 Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen der Mesoebene im Überblick

6 Mikroebene – Unterricht und weitere schulische Angebote

6.1 Akteur:innen der Mikroebene

6.2 Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen der Mikroebene im Überblick

7 Abhängigkeiten der Ebenen

8 Dekontextualisierung

8.1 Vorgaben im Mehrebenensystem sind keine Einbahnstrassen

8.2 Grafische Darstellung der Dekontextualisierung

9 Handlungslogiken im Mehrebenensystem

9.1 Bildungspolitik

9.2 Bildungsverwaltung

9.3 Einzelschule

9.4 Grafische Darstellung der unterschiedlichen Handlungslogiken

10 Konsequenzen für das Schulentwicklungshandeln

11 Literatur

Mehrebenensystem Schule

Architektur und Dynamik der öffentlichen Bildung Frank Brückel, Heike Beuschlein, Rachel Guerra

1 Bedeutung des «Mehrebenensystems Schule» im Gesamtzusammenhang

Wer verstehen möchte, wie komplex Schulentwicklungsprozesse sein können, wird nicht daran vorbeikommen, sich mit den institutionellen Bedingungen zu beschäftigen, unter denen das Bildungssystem arbeitet. Fend (2008, 16) bezeichnet das Bildungswesen als «Institutionalisierung von Lehren und Lernen», das in der Gestalt von Makro-, Meso- und Mikroebene organisiert ist. Appius u. Nägeli (2017, 35 ff.) schreiben, dass das Schweizer Bildungssystem als «ausgeprägtes Mehrebenensystem»[10] konzipiert ist, in dem jede Ebene bestimmte Aufgaben wahrnehmen muss und ein Zusammenspiel der Ebenen unabdingbar ist. Verkürzt ausgedrückt, bedeutet das, dass die Einzelschule in der Literatur zwar oft als «Motor der Schulentwicklung» (Dalin u. Rolff 1990; Näpfli 2019, 127) bezeichnet wird, diese jedoch in der Regel nicht autonom entscheiden und handeln kann. Wenn daher bei Schulentwicklungsprozessen ausschliesslich auf Prozesse der Einzelschule fokussiert wird, besteht die Gefahr, die anderen Ebenen und ihre Aufgaben aus dem Blick zu verlieren. Das wiederum kann Prozesse verlangsamen oder verunmöglichen, weil zum Beispiel Vorgaben nicht oder nicht ausreichend beachtet werden.

Die folgenden Abschnitte zeigen auf, wie das Mehrebenensystem des Bildungswesens konzipiert ist, welcher Ebene welche Aufgabe zukommt, wie diese Aufgabenteilung zusammenhängt und welche Auswirkung dieses Zusammenspiel auf Schulentwicklung hat.

Es muss dabei beachtet werden, dass in den unterschiedlichen nationalen, regionalen und lokalen Kontexten jeweils andere Begriffe und Funktionslogiken gelten können. Die übergeordnete Funktionsweise der unterschiedlichen Bildungssysteme ist jedoch sehr ähnlich.

Abbildung 1 zeigt von links nach rechts die Architektur dieses Kapitels auf. Nach einer Begriffsklärung des Mehrebenensystems werden die einzelnen Ebenen mit ihren Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen näher beschrieben, um später Abhängigkeiten sowie Spannungsfelder aufzuzeigen und daraus Konsequenzen für das Schulleitungshandeln zu ziehen.

Abb. 1: Aufbau des Kapitels Mehrebenensystem Schule

2 Das föderale Mehrebenensystem

2.1 Die Ebenen im Überblick

In Mehrebenensystemen gibt es eine «Normenhierarchie» (Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren 2021a; Appius u. Nägeli 2017, 35 ff.), in der jede Ebene ihre spezifischen Aufgaben hat. Das System funktioniert nur im Zusammenspiel dieser Ebenen. Das führt dazu, dass die verschiedenen Aufgaben und damit verbundenen Kompetenzen und Verantwortungen miteinander verzahnt sind und dass Probleme in der Regel nur ebenenübergreifend gelöst werden können (vgl. Brüsemeister 2007, 64; Rahmenbedingungen).

Die Herausforderung bei diesem Zusammenspiel besteht darin, dass es zwar in der theoretischen Konzeption gut durchdacht ist, in der täglichen Praxis jedoch längst nicht alles so funktioniert, wie von den Akteur:innen erwünscht (vgl. Langer 2008). Die entstehenden Reibungen sind mittlerweile gut erforscht und können überblickartig so beschrieben werden, dass jede dieser Ebenen ihrer eigenen Logik folgt und ihre spezifische Perspektive auf die Felder Schule und Bildung hat (vgl. z. B. Bonsen 2016, 303; Niedlich u. Bormann 2019, 506; Langer 2008, 31).

In Anlehnung an die aktuelle Fachdiskussion wird im Folgenden hier von drei Ebenen ausgegangen. Wacker, Maier u. Wissinger (2012, 19) betonen in diesem Zusammenhang, dass über eine solche Aufteilung in Ebenen und die Zahl der Ebenen kein Konsens besteht. Altrichter u. Maag Merki (2016b, 10) sprechen beispielsweise von zusätzlichen intermediären Ebenen, womit die Schulaufsicht oder die Schulträger gemeint sein können. Wacker, Maier u. Wissinger (2012, 18 ff.) gehen in Anlehnung an Berkemeyer (2010, 143) von sechs Ebenen aus. Das zeigt, dass die Begriffe Makro-, Meso- und Mikroebene «leere Platzhalter» (Langer 2008, 96) sind, die konzeptuell gestaltet und mit Bedeutung gefüllt werden müssen. Zudem sollte offengelegt werden, welche Akteur:innen welchen Ebenen zugewiesen werden. Der Vorteil einer solchen Beschreibung liegt darin, dass die an einem Entwicklungsprozess beteiligten Akteur:innen ihre Aufgaben zuordnen können und das Beziehungsgeflecht einfacher identifizierbar ist.

Mehrebenensystem

In den folgenden Ausführungen wird in Anlehnung an Altrichter u. Maag Merki (2016b, 11) unter Makroebene der bildungspolitische Kontext sowie die Schulverwaltung subsumiert, die Mesoebene gleichgesetzt mit der Einzelschule, während die Mikroebene das Schulleben (Unterricht und ausserunterrichtliche Angebote etc.) abbildet.