Schwaben-Liebe - Klaus Wanninger - E-Book

Schwaben-Liebe E-Book

Klaus Wanninger

4,9

Beschreibung

Ein brutaler Mord vor den Limes-Thermen in Aalen! Der Tote ist Tobias Hessler, der Besitzer einer Partner-Vermittlungs-Agentur, die darauf spezialisiert ist, betuchte Kundinnen und Kunden an pittoresken Plätzen zusammenzuführen. Vor den Kulissen von Schloss Hohenzollern, Kloster Lorch oder Schloss Monrepos inszenierte er seine Anbahnungen. Wer trachtete dem erfolgreichen Unternehmer nach dem Leben? Kommissar Steffen Braig vom LKA Stuttgart findet schnell heraus, dass Hessler, der zu Lebzeiten zahlreiche handfeste Drohungen von unzufriedenen Kunden erhalten hat, offenbar auch in der Vermittlung weniger seriöser Dienste tätig war. Kam er halbseidenen Geschäftemachern in die Quere? Wo ist Hesslers Videokamera, mit der er in Aalen gefilmt hat? Wurde er zufällig Zeuge eines Geschehens, das im Verborgenen hätte bleiben sollen? Kommissar Braigs 15. Fall wimmelt nur so von zwielichtigen Verstrickungen und amourösen Untiefen.

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Klaus WanningerSchwaben-Liebe

Vom Autor bisher bei KBV erschienen:

Schwaben-Rache

Schwaben-Messe

Schwaben-Wut

Schwaben-Hass

Schwaben-Angst

Schwaben-Zorn

Schwaben-Wahn

Schwaben-Gier

Schwaben-Sumpf

Schwaben-Herbst

Schwaben-Engel

Schwaben-Ehre

Schwaben-Sommer

Schwaben-Filz

Schwaben-Liebe

Klaus Wanninger, Jahrgang 1953, evangelischer Theologe, lebt mit seiner Frau Olivera und den schwäbischen Katern Mogli und Balu in der Nähe von Stuttgart. Er veröffentlichte bisher zweiunddreißig Bücher. Seine Schwaben-Krimi-Reihe mit den Kommissaren Steffen Braig und Katrin Neundorf umfasst mittlerweile fünfzehn Romane in einer Gesamtauflage von über einer halben Million Exemplare.

Klaus Wanninger

SCHWABEN-LIEBE

Originalausgabe© 2012 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheimwww.kbv-verlag.deE-Mail: [email protected]: 0 65 93 - 998 96-0Fax: 0 65 93 - 998 96-20Umschlagillustration: Ralf Krampunter Verwendung von: www.fotolia.de · © mr.nicoRedaktion: Volker Maria Neumann, KölnDruck: Aalexx Buchproduktion GmbH, GroßburgwedelPrinted in GermanyPrint-ISBN 978-3-942446-71-6E-Book-ISBN 978-3-95441-124-5

Dr. Reinhard Ortwein gewidmet,der es mit seiner menschenfreundlichen Haltungund seiner positiven Ausstrahlungseit vielen Jahren ermöglicht,dass sich eine ganze Schulein einen lebensfrohen Raum verwandeln konnte.

Die Personen, Namen und Handlungen dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen oder tatsächlichen Ereignissen wäre rein zufällig.

1. Kapitel

September

Tobias Hessler fühlte sich überwacht und verfolgt, hatte Angst, einfach Angst. Seit Wochen glaubte er, dass sie hinter ihm her waren, neue, immer wieder frische, unbekannte Gesichter, und je länger er darüber nachdachte und darauf achtete, ob sie begründet wäre, diese Angst, oder nur auf einem Wahn beruhte, desto mehr fühlte er sich bestätigt.

Hessler blieb stehen, mitten vor dem zentralen Eingang der Limes-Thermen, und schaute sich um. Das junge Paar hinter ihm starrte ihn überrascht an, den Mann mit dem auffallend bunten Hemd unter der hellen Leinenjacke, die seine breite Schulter bedeckte. Wie ein Spanner stand er da, die kleine Kamera in der Rechten, begaffte die beiden mit angespannter Miene von Kopf bis Fuß, die Gesichter, die Augen, ihre Kleidung, starrte ihnen sogar noch nach, als sie im Bogen um ihn herumliefen, um ihm aus dem Weg zu gehen.

Die Dämmerung war gerade angebrochen an diesem Septemberabend, tauchte Aalen und seine Ausläufer in ein mildes Licht. Fast unwirklich wie die gerade gelandeten Raumschiffe von einem fremden Planeten erhoben sich die Glaspaläste der Thermen in leuchtendem Gelb-Grün aus ihrer Umgebung hoch über der Stadt, überragt vom bewaldeten Anstieg der Schwäbischen Alb. Hessler spürte den Schweiß unter seinen Achseln, die Tropfen perlten ihm über den Rücken, sein Unterhemd wurde zunehmend klamm und feucht. Er verfolgte das seltsame Paar, das im Bogen um ihn herumstolperte, mit seinem Blick, überlegte, ob er die Gesichter kannte oder ob er sie zu Unrecht verdächtigte.

Wenige Meter hinter ihm, am Ende der schmalen Lindenallee, standen zwei junge Männer, um die fünfundzwanzig etwa – groß, blond, sportlich der eine, muskulös, dunkel, eher klein geraten der andere. Sie beachteten ihn nicht, gafften zu einer Gruppe kichernder Mädchen, warfen ihnen provozierende Bemerkungen zu, die mit lautem Gelächter kommentiert wurden. Auffällig unauffällig liefen sie an ihm vorbei, zeigten ihm auch nicht für den Augenblick einer Sekunde ihre Gesichter. Er starrte ihnen nach, beobachtete sie, bis sie auf den oberen Teil des Parkplatzes abbogen.

Den alten Schäferhund, der in seinem Rücken hinter seiner Herrin her langsam auf ihn zutrottete, bemerkte er erst, als er dessen schnuppernde Nase an seiner Hose spürte. Er schrak zusammen, tastete impulsiv nach seiner Jackentasche, spürte das kalte Metall. So absurd es auch war, die bloße Anwesenheit der Waffe wirkte augenblicklich beruhigend. Hessler atmete tief durch, scheuchte das Tier von sich weg, lief ein paar Schritte, versuchte zu entspannen. Vielleicht war überhaupt nichts dran an seiner Angst, vielleicht litt er doch unter einer Phobie, wie Fred es ihm vor ein paar Minuten bei seinem Anruf wieder einmal klarzumachen versucht hatte.

»Einbildung, nichts als Einbildung«, hatte er ihm erklärt. »Du steigerst dich da in was rein, nimmst das viel zu ernst. Das war im Affekt, als die sich zu diesen Drohungen hinreißen ließen, die haben sich doch längst beruhigt.«

»Beruhigt?«, hatte er gefragt. »Drei Anrufe allein in der letzten Woche nennst du beruhigt?«

»Das ist doch überhaupt nichts mehr im Vergleich zu dem früheren Terror.«

»Und die anderen Andeutungen? Du weißt genau, was ich meine. Ich bin dafür, dass wir es abblasen. Die Sache ist zu gefährlich. Ich traue denen alles zu.«

Fred war für einen Moment verstummt, hatte erst kurz danach wieder zur Sprache gefunden. »Du schaust zu viele Filme, beschäftigst deine Fantasie mit den absurden Ideen irgendwelcher Regisseure oder Schauspieler, die es nicht wert sind, dass man sie beachtet.«

»Ich schaue fast gar keine Filme«, hatte er erwidert. »Weder im Kino noch im Fernsehen.«

»Du liest zu viele Krimis und Schundromane.«

»Ich lese überhaupt keine Bücher.«

»Dann reiß dich zusammen. Ganz einfach.«

»Das tue ich. Aber die Gefahr ist da. Sie beobachten mich.«

»Ach, Quatsch. Wer denn?«

»Du weißt genau, von wem ich spreche.«

»Ich weiß nichts, null.«

»Du hast sie noch nicht gesehen?«

»Sie gibt es nicht. Wir machen das. Noch ein, zwei Tage, dann bin ich soweit, endgültig. Basta!«

Hessler hatte verstanden. »Klar, dir geht es nur ums Geld. Du glaubst, wenn wir die Sache vollends durchziehen, können wir damit den großen Reibach machen. Die werden sich alle darauf stürzen und uns das Material aus der Hand reißen. Aber so weit wird es nicht kommen. Bis dorthin werden wir nicht mehr leben. Die lassen sich das nicht bieten, begreif das doch endlich!«

»Quatsch. Schluss jetzt mit dem Schwachsinn. Alles ist Einbildung. Es gibt keine Verfolger. Reiß dich endlich zusammen. Ich verbiete dir, mich nochmals mit dem Quark zu belästigen, hörst du? Ich lege das Handy jetzt weg und will meine Ruhe haben. Werd endlich wieder normal!«

Er hatte das Gespräch einfach beendet und ihn hier allein stehen lassen. Hessler blickte sich um, betrachtete die Passanten, die im Schein der Laternen auf den Eingang des Bades zuliefen oder von dort zu ihren Autos strebten. Er kannte niemand, vermochte nicht zu sagen, ob Leute dabei waren, die er in den letzten Tagen schon einmal bemerkt hatte. Der Typ mit den schwarzen Jeans und den Sportschuhen etwa, der mit gemächlichen Schritten auffällig langsam von den Thermen wegschlenderte? Er trug eine jener widerlichen Sonnenbrillen, die die Augen komplett verbargen, dem Gegenüber keine Chance gaben, das Gesicht vollständig zu sehen. Jetzt, bei Einbruch der Dämmerung, noch mit Sonnenbrille? Hessler spürte, wie ihm noch mehr Schweiß kalt aus den Achseln perlte. Hatte der Kerl nicht eben direkt zu ihm hergeschielt? Er bewegte sich ein paar Meter auf das kleine Häuschen der Bushaltestelle zu, wandte den Kopf zur Seite, drehte ihn dann blitzschnell wieder zurück. Die widerliche Sonnenbrille war verschwunden, der gesamte Eingangsbereich menschenleer. Hessler überflog den Parkplatz mit seinem Blick, sah den Mann in ein dunkles Auto steigen. Der Typ klemmte sich hinter das Steuerrad, schien sich nicht für ihn zu interessieren. War es doch Einbildung?

Er versuchte, sich endlich auf sein Vorhaben zu konzentrieren, nahm die Kamera hoch, schaltete sie ein. Der Blick durch den Sucher bestätigte ihm, dass er genau die richtige Tageszeit für die Aufnahmen gewählt hatte: die mehr und mehr ins Dunkle getauchte Umgebung, Tausende von winzigen Lichtern in den Straßen und Gebäuden der Stadt unten im Tal, dazu die schwarze Mauer der Schwäbischen Alb als hoch aufragende Begrenzung im Süden. Dann der Schwenk zu den in leuchtendem Gelb-Grün aus dem Dämmer tauchenden Glaspalästen der Thermen … Ein Traum, ein wunderbarer Traum als Aufmacher für den neuen Werbespot. Besser hätte es niemand in Szene setzen, effektvoller nicht der beste Regisseur auf den Chip bannen können …

Hessler schwenkte die Kamera weiter nach rechts, hatte Teile des Parkplatzes im Bild. Eine dunkle Limousine, zwei Männer im eifrigen Gespräch auf den Vordersitzen, die Gesichter deutlich zu erkennen.

Hessler hielt die Kamera still, versuchte, sich auf die beiden Männer zu konzentrieren. Er sah das dicke Geldbündel in der Hand des einen, zoomte sich so nahe heran, dass die Euro-Scheine deutlich zu erkennen waren. Hunderter, Fünfhunderter. In Großaufnahme war zu sehen, wie der andere den Packen mit weit aufgerissenen Augen entgegennahm. Der Mann schien sich zu bedanken, nickte dann mit dem Kopf, steckte das Geldbündel in seine Jackentasche. Im gleichen Moment erkannte Hessler den Mann.

Er blieb überrascht stehen, versuchte, das Gesicht hinter der Windschutzscheibe möglichst deutlich auf seinen Chip zu bannen. Der Mann in dem Fahrzeug ließ seine Augen über die Umgebung schweifen, blieb bei ihm hängen, schien plötzlich zu erstarren. Er stierte voll in die Kamera, riss seine Hände hoch, verdeckte sein Gesicht. Er rief seinem Nebensitzer mehrere Worte zu, tauchte nach unten ab. Hessler verfolgte die Szene fasziniert, sah, wie der andere plötzlich aufgeregt zu ihm herstarrte und nervös nach dem Fahrzeugschlüssel suchte. Mit laut aufheulendem Motor startete er den Wagen, riss das Steuer zur Seite, raste ohne Licht davon.

Hessler wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, hörte plötzlich das laute Lachen eines Paares. Er drehte die Kamera zur Seite, dorthin, wo der Weg von dem etwas erhöht gelegenen, großen Hotel mündete, sah eine Frau und einen Mann mittleren Alters eng umschlungen und verliebt miteinander schäkernd auf den Parkplatz zuschlendern. Er nahm die beiden Gesichter voll ins Visier, filmte ihr strahlendes Lachen, sah die Aufmerksamkeit der Frau plötzlich auf sich gerichtet. Im Augenblick einer Sekunde veränderte sich ihre Körperhaltung vollkommen. Sie löste sich aus der Umarmung ihres Begleiters, starrte krampfhaft von der Kamera weg auf die andere Seite, beschleunigte ihre Schritte. Sie eilte so schnell sie konnte auf den oberen Teil des Parkplatzes, rannte im Schatten der Bäume davon.

Hessler wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Zuerst die beiden Männer in der Limousine, dann das verliebt miteinander schäkernde Paar. Alle hatten, sobald sie die Kamera erblickten, nur noch ein Ziel: möglichst schnell abzutauchen. Er hielt den Camcorder ins Dämmerlicht der Bäume, dorthin, wo die Frau verschwunden war, hörte plötzlich einen Motor aufheulen. Das Auto jagte mit irrsinniger Geschwindigkeit über den unteren Parkplatz, preschte um die Kurve, raste direkt auf ihn zu. Hessler riss die Kamera von seinem Gesicht, versuchte, zur Seite zu springen, spürte impulsiv, dass ihm keine Chance mehr blieb. Der Wagen erwischte ihn mit seiner linken Frontpartie, katapultierte ihn mehrere Meter durch die Luft, bremste unmittelbar vor dem wie ein Sandsack auf den Asphalt schlagenden Körper ab. Dann heulte der Motor erneut auf.

2. Kapitel

Acht Monate zuvor

Daran, wie alles angefangen hatte, konnte sie sich im Nachhinein nicht mehr erinnern.

Tanja Geible war nach Stuttgart gekommen, um die Wohnung ihrer verstorbenen Schwester endgültig aufzulösen, hatte den ganzen Tag damit verbracht, die dazu notwendigen Botengänge zu erledigen und die letzten Utensilien auszuräumen. Am späten Abend, kurz vor 20 Uhr, hatte sie endlich die Schlüssel an den Vermieter übergeben. Aufgewühlt von einer Unmenge längst verschüttet geglaubter Erinnerungen war sie ins vorher gebuchte Hotel gefahren, hatte ihren Mann fernmündlich über ihren Tagesablauf informiert.

»Ich weiß nur nicht, ob ich heute überhaupt in den Schlaf finde. Die Wohnung aufzugeben … Jetzt ist wirklich alles vorbei. Du glaubst nicht, was mir alles durch den Kopf gegangen ist.«

»Dann schließ dich noch nicht in deinem Zimmer ein«, hatte er ihr empfohlen, »gönn dir noch eine oder zwei Stunden an der Bar. Geh noch etwas unter Menschen, du brauchst das. Die haben doch ein Lokal in dem Hotel, oder?«

So hatte sie sich dann, vielleicht eine halbe, vielleicht auch eine ganze Stunde später dazu aufgerafft, frisch geduscht und eingekleidet ins Erdgeschoss des Hotels zu fahren. Ihr eigener Mann hatte ihr dazu geraten!

Tanja Geible war am Empfang vorstellig geworden, hatte sich von dem freundlichen Portier die hoteleigene Bar empfehlen lassen. Die Wohnung ihrer Schwester war geräumt, die Schlüssel übergeben, alle Botengänge erledigt, warum den Tag nicht noch freundlich ausklingen lassen?

Sie ließ sich einen Cocktail servieren, Stuttgart Surprise, eine Spezialität des Hauses, wie der Barkeeper betonte. Sie genoss das fruchtige Aroma in großen Schlucken. Die hochprozentige Flüssigkeit breitete sich wohlig im ganzen Körper aus. Von Glücksgefühlen angespornt bestellte sie ein zweites Glas, spürte Schluck um Schluck, wie die Anspannung endgültig verflog. Minute um Minute fühlte sie sich gelöster.

Wie der bildhübsche, junge Beau unmittelbar an ihre Seite gelangt war, konnte sie später nicht mehr sagen. Dass der Kerl verdammt gut aussehend und viel zu jung war, dagegen schon. Diese Erkenntnis war wohl der letzte vernünftige Gedankengang, zu dem sie an diesem bereits sehr weit fortgeschrittenen Abend noch imstande war. Sonst hätten sie wahrscheinlich schon seine ersten Sätze misstrauisch werden lassen.

»Der Tag scheint sich doch noch zum Guten zu wenden. So eine hübsche Frau in meiner Nähe. Wie habe ich das verdient?«

Sie hatte schon eine harsche Replik auf diese plumpe Anmache auf den Lippen, ließ sich aber von den unmittelbar folgenden Worten des Charmeurs besänftigen.

»Dem Strahlen Ihrer wunderschönen Augen nach hatten Sie einen sehr guten Tag heute. Das Glück war Ihnen hold. Interpretiere ich das richtig?«

»Warum fragen Sie noch, wenn Sie es angeblich wissen?«

»Weil ich gerne an Ihrem Glück teilhaben würde.«

»An meinem Glück?« Sie schüttelte den Kopf. »Mein Gott, ich bin doch viel zu alt für Sie.« Zu alt und verheiratet, schoss es ihr durch den Kopf, glücklich verheiratet, dazu noch viel zu dick. Der Speckgürtel über der Taille, die Fettschicht an den Oberschenkeln … Jeder Blick in den Spiegel offenbarte unbarmherzig die sportlichen Versäumnisse der letzten Zeit.

»Alt?«, säuselte der Beau. »Den Begriff dürfen Sie nicht in den Mund nehmen. Was wollen Sie mit diesem Fremdwort? Es passt nicht zu Ihnen.«

Sie bemerkte seinen verträumten Blick, spürte ihre Verlegenheit. Was wollte der Kerl von ihr, warum ließ er sich nicht von einem der aufgemotzten, jungen Dinger abschleppen, die von einem der Tische mit unverhohlener Lüsternheit zu ihm herstarrten? Der konnte doch jede haben, so wie der aussah und auftrat. Jede, weshalb ausgerechnet sie? Lange, dunkle Locken bis weit über die Ohren, samtig gebräunte Haut, ein schmales, von einem energischen Kinn geprägtes Gesicht, tiefblaue, direkt der Farbe des klaren Winterhimmels entlehnte Augen …

»Manuel. Meine Freunde nennen mich Manu.«

»Manu.« In dem Moment schon hatte sie sich nicht mehr im Griff. Sie wiederholte seinen Namen, ließ ihn über ihre Lippen gleiten, als ob …

»Gönnen wir uns noch einen?« Seine Augen wiesen auf ihr fast leeres Glas.

Die Warnsignale in ihrem Gehirn liefen längst auf Sparflamme. Letzte, vergebliche Versuche, der drohenden Gefahr aus dem Weg zu gehen. »Warum nicht?« War es der Alkohol?

»Dann muss es aber ein ganz besonderer Drink sein. Zur Feier des Tages«, setzte er hinzu.

»Zur Feier des Tages?«

»Ich allein mit einer so schönen Frau.«

In einer letzten Aufwallung, den Verstand nicht komplett außen vor zu lassen, wandte sie den Kopf zur Seite, suchte nach der schönen Frau, von der er sprach. Kein weibliches Wesen war in der Nähe, mit Ausnahme der drei aufgemotzten Tussen an dem Tisch auf der anderen Seite. Meinte der wirklich sie?

»Ich weiß nicht einmal deinen Namen.«

»Tanja«, antwortete sie ohne jede Überlegung.

»Tanja. Wunderschön. Der passt sehr gut zu dir«, flötete er.

Wie konnte es sein, dass dieser junge, umwerfende Kerl sie so unverhohlen anbaggerte, ausgerechnet sie? Stand der auf ältere Frauen?

»Was trinken wir, Tanja?«

Sie wusste keine Antwort, stimmte seinem zögernd, aber doch mit Überzeugung vorgebrachten Vorschlag zu.

»Hot Kisses. Wie wäre es damit?«

»Hot Kisses. Warum nicht?« Sie überließ es ihm, den Barkeeper zu rufen, der gerade am anderen Ende des Tresens beschäftigt war. Der schwarz gekleidete Mann nahm die Bestellung entgegen, holte zwei frische Cocktailgläser aus dem Regal an der Rückwand, machte sich sofort ans Werk.

»Verrätst du mir, warum deine Augen so strahlen?«, fragte der Beau. »Hat es mit mir zu tun?« Er sah ihr tief in die Augen.

Im gleichen Moment spürte sie seine Hand auf ihrem Knie. »Mit dir? Aber na klar«, girrte sie. Die Hormone hatten endgültig die Oberhand gewonnen, den letzten Einfluss ihres Verstandes ausgeschaltet.

»Die schönsten Augen der ganzen Stadt«, charmierte er.

Der Barkeeper schob die beiden Gläser über den Tresen, lächelte ihr verschwörerisch zu. »Hot Kisses«, meinte er, »genau das Richtige. Genießen Sie ihn wie den ganzen Abend.«

Sie nahm das Glas in die Hand, prostete dem jungen Mann zu, nippte, trank einen weiteren Schluck, dann noch einen. Das Zeug schmeckte verteufelt scharf, ließ sie für einen Moment nach Luft schnappen. Mein Gott, was hatte sie da bestellt? Wie flüssiges Chili schoss ihr der Mix in den Leib.

»Und?«, hauchte der Beau. »Eigens für uns beide geschaffen, findest du nicht?«

»Für uns beide?«, lallte sie mit schwerer Zunge.

»Für uns beide«, wiederholte er. Seine Hand machte sich wieder an ihrem Knie zu schaffen, rutschte höher und höher.

»Uns beide?« Sie begriff es immer noch nicht, konnte nicht im Geringsten erfassen, weshalb ihr das Glück zufiel, mit diesem sanften Jungen … ausgerechnet sie? Dieser junge, dunkle Schönling und sie …

Mein Gott, ich könnte seine Mutter sein, jedenfalls fast, sagte sie sich.

Der Gedanke blieb in ihrem Unterbewusstsein stecken, schaffte es nicht an die Oberfläche. Ganz im Gegensatz zu den Sehnsüchten, Hoffnungen und Begierden, die seine zarten Hände in ihr auslösten. Zuerst nur wie winzige Sprossen gerade in den Boden gesäter Keimlinge, dann als immer kräftiger in die Höhe schießende, in ihrem Lauf kaum mehr aufzuhaltende Triebe …

Die sanften Melodien des Pianisten hinter ihnen gaben ihr den Rest. Strangers in the night …

Sie fühlte sich emporgehoben und durch die Luft getragen, entschwebte mit einer Leichtigkeit, die sie noch nie erlebt hatte, den Mühen des Alltags, vergaß alles, was ihr in den vergangenen Stunden das Licht der Sonne verdunkelt hatte.

»Das Leben kann schön sein. Wunderschön mit dir.« Er hatte seinen Mund unmittelbar an ihrem Ohr, hauchte ihr die Worte wie himmlische Verheißungen in ihre Träume.

Sie spürte seine Hand zärtlich über ihren Rücken gleiten, musste an sich halten, nicht laut aufzustöhnen. Lange, viel zu lange war es her, dass sie sich diesen Gefühlen hingegeben hatte …

»Von meinem Zimmer haben wir eine wunderbare Aussicht über die ganze Stadt«, hauchte er, mit seiner Rechten sanft ihren Arm massierend.

Sie merkte, wie ihr die Hitze nicht mehr nur in die Schläfen stieg. Ihr ganzer Blutkreislauf tobte, überall pochte und nagte die Sehnsucht, schwoll die Begierde …

»Von deinem Zimmer.« Sie formulierte die Worte nicht als Frage, wiederholte sie impulsiv, um keinen Zweifel daran zu lassen, wie sie sich den Fortgang des Abends vorstellte. »Hier im Hotel?«

»Hier im Haus. Drei Stockwerke höher.«

Sie trank den Rest des Cocktails, ließ sich von seiner ausgestreckten Hand vom Stuhl auf die Beine helfen. Geradeaus zu gehen war ihr fast unmöglich. Sie schwankte, stolperte über die eigenen Füße, fühlte sich erst wieder sicher, als sie seinen starken Arm spürte.

Er führte sie zum Fahrstuhl, holte ihn mit Knopfdruck aus den oberen Stockwerken, ließ ihr galant den Vortritt. Die geräumige Kabine war rundum, vom Boden bis zur Decke, mit Spiegeln ausstaffiert. Überrascht starrte sie geradeaus, sah eine deutlich angeheiterte Mittvierzigerin, deren rote Wangen erwartungsvoll aufleuchteten, in die Arme eines dunkellockigen kräftigen Schönlings geschmiegt. Bevor sie noch darüber nachdenken konnte, wen sie vor sich hatte, kam der Aufzug zum Stehen. Sie ließ sich auf den mit dicken, dunkelblauen Teppichen ausgelegten Hotelflur führen, stand kurz darauf in einem gemütlich anmutenden Zimmer, dessen größter Teil das Doppelbett einnahm.

»Und?«, hörte sie seine Stimme. »Gefällt es dir?«

Seine Hände machten sich an ihrer Kleidung zu schaffen, streiften sie Stück für Stück ab. Sie kam nicht mehr dazu, ihm zu antworten, war zu sehr damit beschäftigt, die sich zu Ewigkeiten dehnenden Augenblicke zu genießen. Welch detaillierten Fortgang der Abend fand, wurde deshalb von ihrem Erinnerungsvermögen nur in vagen Ansätzen gespeichert – dass er höchst angenehm verlaufen war, davon jubilierten am nächsten Morgen sämtliche Glieder ihres Körpers.

3. Kapitel

September

Eine äußerst brisante Angelegenheit. Es handelt sich um Hessler, diesen Prominenten-Makler.« Die Vibrationen in der Stimme des Aalener Beamten hatten dessen Aufregung sogar durchs Telefon deutlich zum Ausdruck gebracht.

»Ein Makler?«, hatte Kriminalhauptkommissar Steffen Braig sich erkundigt.

»Makler, was heißt Makler. Das ist wohl nicht das richtige Wort. Dieser Ehevermittler oder Kontakt-Arrangeur, wie nennt man das genau? Hessler, der mit den Prominenten. Der wurde doch seit Monaten bedroht. Stand eine Zeitlang unter unserem Schutz. Und dann passiert es ausgerechnet hier bei uns auf der Ostalb.«

Langsam hatte es Braig gedämmert, von wem hier die Rede war. Er war zwar nie selbst mit der Sache beschäftigt gewesen, hatte aber aus der Presse und in Gesprächen mit Kollegen davon gehört. Der Inhaber eines äußerst erfolgreichen Kontaktvermittlungsinstituts, das sich darauf spezialisiert hatte, Menschen an besonders ausgefallenen Orten oder zu extravaganten Anlässen zusammenzubringen, war von ehemaligen Klienten bedroht und – soweit Braig wusste – tatsächlich auch angegriffen worden und hatte deshalb Polizeischutz beantragt. Offenbar handelte es sich bei der Klientel des Mannes fast ausschließlich um finanziell besonders betuchte Leute, weshalb die Sache schnell ins Licht der Öffentlichkeit geraten war. Was die Aggressionen der ehemaligen Klienten konkret ausgelöst hatte, war dem Kommissar nicht bekannt. Hatte der Mann sie zu unverfroren übers Ohr gehauen?

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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