Schwarzer Leopard, roter Wolf - Marlon James - E-Book

Schwarzer Leopard, roter Wolf E-Book

Marlon James

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Beschreibung

Sucher, der Jäger mit dem besonderen Sinn, wird vor seine schwierigste Aufgabe gestellt. Er muss einen Jungen aufspüren, der vor drei Jahren spurlos verschwand. Seine Fährte führt ihn durch Wälder und Städte, zu Gestaltwandlern, Ausgestoßenen und Hexen. Aber kann er den Jungen retten und die Welten wieder in Einklang bringen?

»Man Booker Prize«-Träger Marlon James legt mit »Schwarzer Leopard, roter Wolf« den Auftakt zu einer Trilogie vor, die afrikanische Geschichte und Mythen zu einem gewaltigen Fantasy-Epos verflicht.

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Seitenzahl: 1164

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Das Buch

Sucher, der Jäger mit dem besonderen Sinn, wird vor seine schwierigste Aufgabe gestellt. Als Teil einer Söldnergruppe soll er einen Jungen aufspüren, der vor drei Jahren spurlos verschwand. Die Fährte führt sie durch Wälder und Städte, zu Gestaltwandlern, Ausgestoßenen und Hexen. Dabei stellen sich ihnen gefährliche Feinde in den Weg. Sucher muss um sein Überleben kämpfen. Und er beginnt sich zu fragen: Wer ist der Junge wirklich? Warum ist er verschwunden? Was ist Wahrheit und was Lüge?

»Man Booker Prize«-Träger Marlon James legt mit »Schwarzer Leopard, roter Wolf« den Auftakt einer Reihe vor, die afrikanische Geschichte und Mythen zu einem gewaltigen Fantasy-Epos verflicht.

Der Autor

Marlon James, geboren 1970 in Kingston auf Jamaika, gilt als einer der bedeutendsten Literaten seiner Generation. Seine Romane wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen geehrt. Unter anderem erhielt James als erster Jamaikaner den Man Booker Prize. Das »Time Magazine« zählte ihn zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten 2019. James lebt heute in Minneapolis, Minnesota.

Lieferbare Titel

Der Kult

Eine kurze Geschichte von sieben Morden

Marlon James

Schwarzer Leopard, roter Wolf

Roman

DARK STAR TEIL 1

Aus dem Englischen von Stephan Kleiner

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Titel der englischen Originalausgabe

BLACK LEOPARD, RED WOLF

erschien 2018 bei Riverhead Books, New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2018 by Marlon James

Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Lektorat: Oskar Rauch/Herstellung: Udo Brenner

Redaktion: Kristof Kurz

Umschlaggestaltung: Margit Memminger / Nele Schütz Design,

nach dem Originaldesign von Helen Yentus

Umschlagillustration: © Pablo Gerardo Camacho

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-24415-6V002

www.heyne-hardcore.de

Für Jeff –

wegen Viertelmond und

einer Million anderer Dinge

Inhalt

FIGUREN DER ERZÄHLUNG

1. Ein Hund, eine Katze, ein Wolf und ein Fuchs

2. Malakin

3. Ein Kind mehr als sechs

4. Weiße Wissenschaft und schwarze Mathematik

5. Hier ist ein Oriki

6. Todeswolf

Figuren der Erzählung

In DJuba, Ku, Gangatom

kwash dara, Sohn des Kwash Netu, König des nördlichen Königreichs, auch der Spinnenkönig genannt

sucher, Jäger, den man unter keinem anderen Namen kennt

sein vater

seine mutter

geliebter onkel, ein großer Häuptling der Ku

ku, ein Flussstamm und -gebiet

gangatom, ein Flussstamm und -gebiet, Feinde der Ku

luala luala, ein Flussstamm und -gebiet nördlich der Ku

aboyami, ein Vater

ayodele, sein Sohn

hexer, Geisterbeschwörer der Ku

itaki, eine Flusshexe

kava/asani, Junge vom Stamm der Ku

leopard, gestaltwandelnder Jäger, unter einigen weiteren Namen bekannt

yumbos, Buschfeen und Wächter der Kinder

die sangoma, eine Antihexe

die mingi, als da wären:

Der Giraffenjunge

Das Rauchmädchen

Der Albino

Der Kugeljunge

Die aneinandergewachsenen Zwillinge

asanbosam, monströser Menschenfresser

der häuptling der Gangatom

IN MALAKAL

Der aesi, Kwash Daras Kanzler

bunshi/popele, Flussjengu, Meerjungfrau, Gestaltwandlerin

sogolon, die Mondhexe

sadogo, ein Ogo, große, mächtige Männer, die keine Riesen sind

amadu kasawura, ein Sklavenhändler

bibi, sein Diener

nsaka ne vampi, eine Söldnerin

nyka, ein Söldner

fumeli, der Bogenschütze des Leoparden

belekun der große, ein dicker Ältester

adagagi der weise, ein weiser Ältester

amaki der schlüpfrige, ein Ältester, den niemand kennt

nuya, eine vom Blitzvogel besessene Frau

die bultungi, Rächer

Zogbanu, Trolle aus dem Blutsumpf

Venin, ein Mädchen, das zum Futter für die Zogbanu herangezogen wurde

chipfalambula, ein großer Fisch

gommiden, zuweilen freundliche Waldwesen

ewele, ein bösartiger Gommid

egbere, sein Vetter, bösartig, wenn er Hunger hat

der irre affe, ein geistesgestörter Primat

IN Kongor

basu fumanguru, Ältester des nordischen Königreichs, ermordet

seine frau, ermordet

Seine Söhne, ermordet

die sieben schwingen, Söldner

kafuta, Herr eines Hauses

frau wadada, Besitzerin eines Freudenhauses

ekoiye, eine männliche Dirne, die Zibetmoschus liebt

der büffel, ein sehr kluger Büffel

armee des häuptlings der kongori, örtliche Schutzmänner

mossi von azar, dritter Präfekt der Armee des Häuptlings der Kongori

mazambezi, ein Präfekt

roter Ogo, ein weiterer Ogo

blauer ogo, ein weiterer Ogo

der meister der zerstreuungen, der Herr über die Ogo-Kämpfe

lala, seine Sklavin

die mawana-hexen, Erdmeerjungfrauen, auch als Schlammjengu bekannt

tokoloshe, ein kleiner Kobold, der sich unsichtbar machen kann

IN DOLINGO UND DEM MWERU

alter mann, Herr über eine Hütte und Griot aus dem Süden

die königin von dolingo, dem Titel gemäß

ihr kanzler

dolingonischer sklavenjunge

die weißen wissenschaftler, die finstersten der Geisterbeschwörer und Alchemisten

der böse ibeji, ein missgebildeter Zwilling

jakwu, weißer Wächter König Batutas

ipundulu, vampirischer Blitzvogel

sasabonsam, geflügelter Bruder Asanbosams

adze, Vampir und Insektenschwarm

eloko, Grastroll und Kannibale

lissisolo von akum, Schwester Kwash Daras, Nonne der göttlichen Schwesternschaft

schattenschwingen, Nachtdämonen, die dem Aesi dienen

IN MITU

ikede, ein Griot aus dem Süden

kamangu, ein Sohn

niguli, ein Sohn

kosu, ein Sohn

loembe, ein Sohn

nkanga, ein Sohn

khamseen, eine Tochter

IN DER MALANGIKA UND DEM SÜDLICHEN KÖNIGREICH

eine junge hexe

ein händler

seine frau

sein sohn

kamikwayo, ein zum Monstrum gewordener weißer Wissenschaftler

Ein Hund, eine Katze, ein Wolf und ein Fuchs

EINS

Das Kind ist tot. Weiter gibt es nichts zu wissen.

Ich höre, im Süden gebe es eine Königin, die denjenigen tötet, der ihr schlechte Kunde bringt. Besiegle ich also mein eigenes Todesurteil, wenn ich ihr den Tod des Jungen melde? Die Wahrheit frisst die Lüge, wie das Krokodil den Mond frisst, und doch ist mein Zeugnis heute dasselbe, das es morgen sein wird. Nein, ich habe ihn nicht getötet. Auch wenn ich seinen Tod herbeigewünscht haben mag. Danach gelechzt habe wie ein Vielfraß nach Ziegenfleisch. Ach, den Bogen anzulegen und ihm durch das schwarze Herz zu schießen und zuzusehen, wie schwarzes Blut daraus hervorspritzt, ihm in die Augen zu schauen, bis sie aufhören zu blinzeln, bis sie blicken, ohne zu sehen, auf das Brechen seiner Stimme zu lauschen und zu hören, wie seine Brust sich im Todesröcheln hebt und sagt: Seht, mein elendiger Geist verlässt diesen elendigsten aller Leiber, und diese Botschaft zu belächeln und diesen Verlust zu betanzen. Ja, ich schwelge in der Vorstellung. Aber nein, ich habe ihn nicht getötet.

Bi oju ri enu a pamo.

Nicht alles, was das Auge sieht, sollte der Mund aussprechen.

Diese Zelle ist größer als die vorherige. Ich rieche das getrocknete Blut Hingerichteter; ich höre ihre Geister noch schreien. In deinem Brot sind Rüsselkäfer, und in deinem Wasser ist die Pisse von zehn und zwei Wächtern und der Ziege, die sie zum Zeitvertreib ficken. Soll ich dir eine Geschichte erzählen?

Ich bin nur ein Mann, den manche einen Wolf genannt haben. Das Kind ist tot. Ich weiß, die Alte erzählt dir etwas anderes. Nenn ihn einen Mörder, sagt sie. Auch wenn ich nichts weiter bereue, als sie nicht getötet zu haben. Der Rothaarige sagte, der Kopf des Kindes sei voller Teufel gewesen. Wenn du an Teufel glaubst. Ich glaube an schlechtes Blut. Du siehst aus wie ein Mann, der nie Blut vergossen hat. Und doch klebt Blut zwischen deinen Fingern. Ein Junge, den du beschnitten hast, ein Mädchen, das zu klein war für deinen dicken … Sieh, wie dich das in Erregung versetzt. Sieh dich an.

Ich werde dir eine Geschichte erzählen.

Sie beginnt mit einem Leoparden.

Und einer Hexe.

Großinquisitor.

Fetischpriester.

Nein, du wirst nicht nach den Wächtern rufen.

Mein Mund könnte zu viel sagen, ehe sie ihn mit dem Knüppel schließen.

Betrachte dich. Ein Mann mit zweihundert Kühen, der sich am Hautfetzen eines Jungen ergötzt und an der Koo eines Mädchens, das niemandes Frau sein sollte. Denn das ist es, wonach du suchst, oder nicht? Ein dunkles kleines Ding, das nicht in dreißig Säcken Gold oder zweihundert Kühen oder zweihundert Ehefrauen zu finden ist. Etwas, was du verloren hast – nein, es wurde dir genommen. Dieses Licht, du siehst es, und du willst es – kein Licht von der Sonne oder dem Donnergott im Nachthimmel, sondern ein Licht ohne Makel, Licht in einem Jungen, der noch nie eine Frau hatte, einem Mädchen, das du für die Ehe gekauft hast, nicht weil du eine Frau gebraucht hättest, denn du hast zweihundert Kühe, aber den Leib einer Frau kannst du aufreißen, denn du suchst in Löchern danach, in schwarzen Löchern, nassen Löchern, noch nicht ausgewachsenen Löchern suchst du nach diesem Licht, nach dem Vampire auf der Suche sind, und du wirst es bekommen, du wirst dich für die Zeremonie kleiden, Beschneidung für den Jungen, Vollzug für das Mädchen, und wenn sie Blut vergießen und Spucke und Sperma und Pisse, dann lässt du es alles auf deiner Haut und gehst damit zum Iroko-Baum und gebrauchst jedes Loch, das du finden kannst.

Das Kind ist tot, und alle anderen sind es auch.

Ich lief tagelang, durch Fliegenschwärme im Blutsumpf, durch die Salzebenen, wo die Felsen in die Haut schneiden, Tage und Nächte lang. Ich ging nach Süden bis nach Omororo, ohne es zu merken oder mich daran zu stören. Sie nahmen mich als Bettler fest, hielten mich für einen Dieb, folterten mich als einen Verräter, und als die Kunde von dem toten Kind dein Königreich erreichte, sperrten sie mich als Mörder ein. Wusstest du, dass fünf Männer in meiner Zelle waren? Vor vier Nächten. Das Tuch um meinen Hals gehört dem einzigen Mann, der den Kerker aufrecht gehend verließ. Eines Tages wird er vielleicht sogar wieder auf dem rechten Auge sehen.

Die anderen vier. Merke dir, was ich sage.

Alte Männer sagen, die Nacht sei eine Närrin. Sie verurteilt nicht, aber was immer geschehen mag, sie warnt dich auch nicht. Der Erste kam an mein Bett. Ich erwachte von meinem eigenen Todesröcheln, und es war ein Mann, der mir die Kehle zudrückte. Kleiner als ein Ogo, aber größer als ein Pferd. Er roch, als hätte er eine Ziege geschlachtet. Packte mich am Hals und hob mich in die Luft, ohne dass die anderen einen Laut von sich gegeben hätten. Ich wollte seine Finger öffnen, doch ein Teufel steckte in seinem Griff. Gegen seine Brust zu treten hieß, einen Stein zu treten. Er hielt mich hoch, als betrachtete er ein wertvolles Juwel. Ich stieß ihm das Knie so fest gegen den Kiefer, dass seine Zähne die Zunge durchtrennten. Er ließ mich fallen, und ich ging wie ein Bulle auf seine Eier los. Er stürzte, ich griff mir sein Messer, scharf wie eine Rasierklinge, und schnitt ihm die Kehle durch. Der Zweite versuchte meine Arme zu packen, aber ich war nackt und schlüpfrig. Das Messer – mein Messer –, ich rammte es ihm zwischen die Rippen und hörte sein Herz platzen. Der dritte Mann tanzte mit den Füßen und Fäusten wie eine Nachtmotte, pfiff wie ein Moskito. Eine Faust ballte ich und streckte dann zwei Finger aus, wie Hasenohren. Bohrte sie ihm rasch ins linke Auge und zog es in einem Stück heraus. Er schrie. Ich sah zu, wie er heulend den Boden nach seinem Auge absuchte, und vergaß darüber die anderen beiden. Der Dicke hinter mir holte aus, ich duckte mich, er stolperte, er fiel, ich sprang, ich griff mir den Stein, der mein Kissen war, und schlug auf seinen Kopf ein, bis sein Gesicht nach Fleisch roch.

Der letzte Mann war ein Junge. Er weinte. Er war zu erschüttert, als dass er um sein Leben hätte flehen können. Ich sagte ihm, in seinem nächsten Leben solle er ein Mann werden, denn in diesem sei er weniger als ein Wurm, und rammte ihm das Messer in den Hals. Sein Blut berührte den Boden, ehe seine Knie es taten. Ich ließ den halb blinden Mann am Leben, denn wir brauchen Geschichten zum Leben, nicht wahr, Priester? Inquisitor. Ich weiß nicht, wie ich dich nennen soll.

Aber das waren nicht deine Männer. Gut. Dann musst du ihren Witwen kein Totenlied singen.

Du bist wegen einer Geschichte gekommen, und ich bin in der Stimmung zu erzählen, also sind die Götter uns beiden wohlgesinnt.

In der Purpurnen Stadt gab es einen Händler, der sagte, er habe seine Frau verloren. Sie war mit fünf goldenen Ringen, zehn und zwei Ohrringpaaren, zwanzig und zwei Armreifen und zehn und neun Fußspangen verschwunden. Man sagt, du hättest eine Nase, mit der du finden kannst, was lieber verloren bliebe, sagte er. Ich zählte beinahe zwanzig Jahre und war vor Langem aus dem Hause meines Vaters verbannt worden. Der Mann hielt mich für eine Art Spürhund, aber ich sagte: Ja, es heißt, ich hätte eine Nase. Er warf mir das Unterkleid seiner Frau zu. Die Spur war so schwach, dass sie beinahe verflogen war. Vielleicht hatte sie gewusst, dass man sie eines Tages jagen würde, denn sie hatte in drei Dörfern eine Hütte, und niemand wusste, in welcher sie lebte. In jedem Haus war ein Mädchen, das genau wie sie aussah und sogar auf ihren Namen hörte. Das Mädchen im dritten Haus bat mich herein und wies mich an, mich auf einen Schemel zu setzen. Sie fragte, ob ich durstig sei, und griff nach einem Krug Masukubier, ehe ich antworten konnte. Ich will dich daran erinnern, dass meine Augen nicht außergewöhnlich sind, aber man sagt, ich hätte eine Nase. Als sie mir den Krug Bier brachte, hatte ich daher das Gift bereits gerochen, das sie hineingetan hatte, ein Kobraspucke genanntes Gift, das seinen Geschmack verliert, wenn man es mit Wasser vermengt. Sie reichte mir den Krug, und ich nahm ihn, packte ihre Hand und drehte ihr den Arm auf den Rücken. Ich hob den Krug an ihre Lippen, zwang ihn zwischen ihre Zähne. Die Tränen liefen an ihr herunter, und ich nahm den Krug fort.

Sie brachte mich zu ihrer Herrin, die in einer Hütte am Fluss lebte. Mein Mann hat mich so sehr geschlagen, dass mein Kind herausgefallen ist, sagte die Herrin. Ich habe fünf Goldringe, zehn und zwei Paar Ohrringe, zwanzig und zwei Armreifen und zehn und neun Fußspangen, die ich dir geben will, und dazu eine Nacht in meinem Bett. Ich nahm vier Fußspangen, und ich brachte sie zurück zu ihrem Mann, weil ich lieber sein Geld wollte als ihren Schmuck. Dann sagte ich ihr, sie solle die Frau aus der dritten Hütte Masukubier für ihn machen lassen.

Die zweite Geschichte.

Als mein Vater eines Abends nach Hause kam, roch er nach einer Fischerin. Er hatte ihren Geruch an sich und das Holz eines Bao-Bretts. Und das Blut eines Mannes, der nicht mein Vater war. Er hatte eine Partie gegen einen Binga, einen Bao-Meister, gespielt und verloren. Der Binga hatte seinen Preis eingefordert, und mein Vater hatte das Bao-Brett genommen und es dem Meister gegen die Stirn geschlagen. Er sagte, er sei in einem weit entfernten Wirtshaus gewesen, um zu zechen, Frauen zu kraulen und Bao zu spielen. Mein Vater schlug auf den Mann ein, bis dieser sich nicht mehr bewegte, und verließ dann die Schänke. Aber er hatte keinen Schweißgeruch an sich, nicht viel Staub, kein Bier in seinem Atem, nichts. Er war nicht in einer Schänke gewesen, sondern in der Höhle eines Opium-Mönchs.

Vater kam also herein und rief mich aus dem Kornschuppen herbei, in dem ich lebte, denn zu dieser Zeit hatte er mich schon aus dem Haus verbannt.

»Komm, mein Sohn. Setz dich, und spiele Bao mit mir«, sagte er.

Das Brett lag auf dem Boden, viele Kugeln fehlten. Zu viele, um richtig spielen zu können. Doch mein Vater wollte gewinnen, nicht spielen.

Gewiss kennst du Bao, Priester; wenn nicht, muss ich es dir erklären. Vier Reihen mit acht Löchern auf dem Brett, jeder Spieler bekommt zwei Reihen. Dreißig und zwei Samenkapseln für jeden Spieler, aber wir hatten weniger, ich weiß nicht mehr, wie viele. Jeder Spieler legt sechs Samen in das Nyumba genannte Loch, aber mein Vater legte acht hinein. Vater, hätte ich sagen können, spielst du das Spiel nach südlicher Art, mit acht statt sechsen?, aber mein Vater spricht nicht, wenn er schlagen kann, und er hat mich schon für weniger geschlagen. Immer wenn ich einen Samen legte, sagte er: Erobere meine Samen, und nimm sie dir. Aber er hungerte nach einem Getränk und verlangte nach Palmwein. Meine Mutter brachte ihm Wasser, und er zog sie an den Haaren, schlug ihr zweimal ins Gesicht und sagte: Bis Sonnenuntergang wird deine Haut die Male vergessen haben. Meine Mutter tat ihm nicht den Gefallen zu weinen, sondern ging und kehrte mit Wein zurück. Ich schnupperte nach Gift, und ich wäre nicht eingeschritten. Aber während er meine Mutter schlug, weil sie durch Hexerei entweder machte, dass sie langsamer älter wurde oder er schneller, versäumte er das Spiel. Ich säte meine Samen, zwei in ein Loch ganz am Ende des Brettes, und eroberte seine Samen. Das gefiel meinem Vater nicht.

»Du hast die Mtaji-Runde eingeleitet«, sagte er.

»Nein, wir fangen doch gerade erst an«, sagte ich.

»Du wagst es, so respektlos mit mir zu sprechen? Nenn mich Vater, wenn du mit mir sprichst«, sagte er.

Ich sagte nichts und blockierte ihn mit dem nächsten Spielzug.

Er hatte keine Samen mehr in der inneren Reihe und konnte nicht setzen.

»Du hast betrogen«, sagte er. »Du hast mehr als dreißig und zwei Samen auf dem Brett.«

Ich sagte: »Entweder der Wein hat dich blind gemacht, oder du kannst nicht zählen. Du hast Samen gesät, und ich habe sie erobert. Ich habe entlang meiner ganzen Reihe gesät und eine Mauer gebaut, die du ohne Samen nicht durchbrechen kannst.«

Er schlug mir auf den Mund, ehe ich noch ein Wort sagen konnte. Ich fiel von dem Schemel, und er packte das Bao-Brett, um mich damit zu schlagen, wie er den Binga geschlagen hatte. Doch mein Vater war betrunken und langsam, und ich hatte zugesehen, wie sich die Ngulu-Meister am Fluss in ihrer Kampfkunst übten. Er schwang das Brett, und Samen flogen in die Luft. Ich machte drei rückwärtige Überschläge, wie ich es bei ihnen beobachtet hatte, und duckte mich wie ein lauernder Gepard. Er blickte sich suchend um, als wäre ich verschwunden.

»Komm raus, du Feigling. Feige wie deine Mutter«, sagte er. »Darum macht es mir so viel Spaß, sie zu schänden. Erst werde ich dich schlagen, dann werde ich sie dafür schlagen, dass sie dich aufgezogen hat, und dann werde ich ein Mal hinterlassen, damit ihr beide daran denkt, dass sie einen Jungen aufgezogen hat, der Männern als Mätresse dient«, sagte er.

Die Wut ist eine Wolke, die meinen Geist leer und mein Herz schwarz zurücklässt. Ich sprang und trat dabei in die Luft, mit jedem Mal höher.

»Jetzt hüpft er herum wie ein Tier«, sagte er.

Er stürzte sich auf mich, aber ich war kein Junge mehr. In dem kleinen Haus machte ich einen Satz auf ihn zu, warf mich auf den Boden und stützte mich mit den Händen ab, machte sie zu Füßen und bäumte mich auf, ließ meinen ganzen Körper kreisen wie ein Rad, die Beine in der Luft, wirbelte auf ihn zu, umklammerte seinen Hals mit beiden Füßen und warf ihn zu Boden. Sein Kopf schlug so laut auf dem Boden auf, dass meine Mutter es draußen krachen hörte. Sie kam hereingelaufen und schrie.

»Geh weg von ihm, Kind. Du hast uns beide ruiniert.«

Ich sah sie an und spie aus. Dann ging ich.

Diese Geschichte hat zwei Enden. Bei dem ersten umklammerten meine Beine sein Genick und brachen es, als ich ihn zu Boden warf. Er starb auf der Stelle, und meine Mutter gab mir fünf Kaurischnecken und in Palmblätter gewickeltes Sorghum und schickte mich fort. Ich sagte ihr, ich würde nichts mitnehmen, was ihm gehört hatte, nicht einmal Kleider.

Beim zweiten Ende breche ich ihm nicht das Genick, aber er landet trotzdem auf dem Kopf, der birst und blutet. Er wacht als Schwachsinniger auf. Meine Mutter gibt mir fünf Kauris und ein Bananenblatt voller Sorghum und sagt: Geh fort von hier, deine Onkel sind alle noch schlimmer als er.

Mein Name gehörte meinem Vater, also ließ ich ihn an seinem Tor zurück. Er pflegte hübsche Gewänder zu tragen, Seide aus Ländern, die er nie gesehen hatte, Sandalen von Männern, die ihm Geld schuldeten, alles, was ihn vergessen machte, dass er bei einem Stamm im Flusstal aufgewachsen war. Ich verließ das Haus meines Vaters und wollte nichts, was mich an ihn erinnerte. Die alten Bräuche riefen nach mir, ehe ich überhaupt aufgebrochen war, und ich wollte jedes einzelne Kleidungsstück ablegen. Wie ein Mann riechen, übel, stinkend, nicht nach dem Duft von Stadtfrauen und Eunuchen. Die Menschen würden mich mit jener Verachtung ansehen, die sie für die Sumpfleute übrighatten. Ich würde die Stadt oder die Schlafkammer mit dem Kopf voran betreten wie ein wertvolles, gejagtes Tier. Der Löwe braucht kein Gewand und die Kobra auch nicht. Ich würde nach Ku gehen, woher mein Vater stammte, auch wenn ich den Weg nicht wusste.

Ich heiße Sucher. Ich hatte einst einen Namen, aber ich habe ihn längst vergessen.

Die dritte Geschichte.

Die Königin eines Königreichs im Westen sagte, sie würde mich großzügig entlohnen, wenn ich ihren König fand. Ihr Hof glaubte, sie habe den Verstand verloren, denn der König war tot, vor nunmehr fünf Jahren ertrunken, aber es machte mir nichts aus, nach den Toten zu suchen. Ich nahm ihre Anzahlung und ging dorthin, wo die Ertrunkenen leben.

Ich lief, bis ich zu einer alten Frau kam, die mit einem langen Stock am Flussufer saß. Die Haare weiß an den Schläfen, die Oberseite des Kopfes kahl. Furchen zogen sich durch ihr Gesicht wie Pfade durch den Wald, und ihre gelben Zähne verrieten, dass ihr Atem faul war. In den Geschichten heißt es, sie würde jeden Morgen jung und schön erwachen, bis zum Mittag zu voller Blüte und Anmut reifen, bis Sonnenuntergang zum alten Weib werden und um Mitternacht sterben, um innerhalb der nächsten Stunde aufs Neue geboren zu werden. Der Buckel auf ihrem Rücken überragte ihren Kopf, doch ihre Augen blitzten, also war ihr Verstand scharf. Fische schwammen bis an die Spitze ihres Stockes heran, aber nicht darüber hinaus.

»Weshalb bist du hierhergekommen?«, fragte sie.

»Dieser Weg führt nach Monono«, sagte ich.

»Weshalb bist du hierhergekommen? Ein Lebender?«

»Das Leben ist Liebe, und ich habe keine Liebe mehr übrig. Die Liebe ist aus mir gesickert und in einen Fluss wie diesen geflossen.«

»Du hast nicht Liebe verloren, sondern Blut. Ich werde dich passieren lassen. Aber wenn ich das Lager mit einem Mann teile, lebe ich siebzig Monde, ohne zu sterben.«

Also fickte ich das alte Weib. Sie legte sich am Ufer auf den Rücken, die Füße im Fluss. Sie war nichts als Leder und Knochen, aber sie hatte mich hart gemacht, und ich war von Kraft erfüllt. Zwischen meinen Beinen schwamm etwas, was sich wie Fische anfühlte. Ihre Hand berührte meine Brust, und die weißen Lehmstreifen darauf wurden um mein Herz herum zu Wellen. Verdrossen über ihr Schweigen, stieß ich wieder und wieder in sie hinein. In der Dunkelheit spürte ich, wie sie jünger wurde, obwohl sie älter wurde. Flammen breiteten sich in mir aus, schossen in die Spitzen meiner Finger und in meine Spitze in ihr. Luft sammelte sich um Wasser, Wasser sammelte sich um Luft, und ich schrie und zog mich aus ihr zurück und ließ es auf ihren Bauch, ihre Arme und ihre Brüste regnen. Ein fünffacher Schauder durchlief mich. Sie war noch immer ein altes Weib, aber ich war nicht wütend. Sie sammelte meinen Regen von ihrer Brust und schleuderte ihn in den Fluss. Sogleich sprangen Fische aus dem Wasser, tauchten wieder ein, sprangen wieder heraus. Es war eine Nacht, in der die Dunkelheit den Mond fraß, aber die Fische trugen ein Licht in sich. Die Fische hatten den Kopf, die Arme und Brüste von Frauen.

»Folge ihnen«, sagte sie.

Ich folgte ihnen durch Tag und Nacht und wieder Tag. Mal reichte mir der Fluss nur bis zu den Knöcheln. Mal reichte mir der Fluss bis zum Hals. Das Wasser wusch alles Weiß von meinem Körper, ließ nur mein Gesicht unberührt. Die Fischfrauen, die Frauenfische führten mich Tag für Tag für Tag den Fluss hinunter, bis wir an einen Ort kamen, den ich nicht beschreiben kann. Es war entweder eine Wand aus einem Fluss, der aufrecht stand, obwohl ich meine Hand hindurchstecken konnte, oder der Fluss hatte sich aufwärtsgebeugt, und ich konnte weiterlaufen, die Füße auf dem Boden, der Körper aufrecht, ohne umzufallen.

Manchmal muss man durch etwas hindurch, um vorwärtszukommen. Also ging ich hindurch. Ich hatte keine Angst.

Ich kann dir nicht sagen, ob ich aufhörte zu atmen oder ob ich unter Wasser atmete. Aber ich lief weiter. Flussfische umgaben mich, als wollten sie mich fragen, was ich hier zu suchen hatte. Ich lief weiter. Das Wasser um mich herum ließ meine Haare wehen, spülte unter meinen Armen hindurch. Dann erreichte ich etwas, was ich noch in keinem der Königreiche je gesehen hatte. Eine Burg aus Stein auf einer freien Grasfläche, zwei, drei, vier, fünf, sechs Stockwerke hoch. An jeder Ecke ein Turm mit einem Kuppeldach, ebenfalls aus Stein. In jedem Stockwerk waren Fenster in den Stein gehauen und unter den Fenstern je ein Stück Boden mit goldenen Geländern, Terrasse genannt. Und aus dem Gebäude ragte ein Korridor, der es mit einem anderen Gebäude verband, und ein weiterer Korridor, der es mit einem weiteren Gebäude verband, sodass dort vier miteinander verbundene Burgen in einem Viereck standen.

Keine der Burgen war so groß wie die erste, und die letzte war eine Ruine. Ich weiß nicht, wann das Wasser verschwand und Stein, Gras und Himmel zurückließ. Bäume standen in einer geraden Reihe, so weit ich sehen konnte, rechteckige Gärten und kreisrunde Blumenbeete. Nicht einmal die Götter hatten einen Garten wie diesen. Es war nach der Mittagsstunde, und das Königreich war verlassen. Am Abend, der rasch kam, hob und senkte sich die Brise, und Winde zogen rau an mir vorbei wie dicke Männer in Hast. Bei Sonnenuntergang zeigten sich Männer, Frauen und Tiere, erschienen in den Schatten, verschwanden in den letzten Sonnenstrahlen, erschienen aufs Neue. Ich setzte mich auf die Stufen der größten Burg und sah zu, wie die Sonne das Dunkel floh. Männer, die neben Frauen gingen, Kinder, die wie Männer aussahen, und Frauen, die wie Kinder aussahen. Und Männer, die blau waren, und Frauen, die grün waren, und Kinder, die gelb waren, mit roten Augen und Kiemen am Hals. Und Wesen mit Grashaaren und Pferde mit sechs Beinen und Horden von Adabas mit den Beinen eines Zebras, dem Rücken eines Esels und dem Horn eines Nashorns auf der Stirn, die neben weiteren Kindern einherrannten.

Ein gelbes Kind kam zu mir und sagte: »Wie bist du hierhergekommen?«

»Ich kam durch den Fluss.«

»Und die Itaki hat dich hindurchgelassen?«

»Ich weiß nichts von einer Itaki, nur von einer alten Frau, die nach Moos roch.«

Das gelbe Kind wurde rot, und seine Augen wurden weiß. Seine Eltern kamen es holen. Ich stand auf und stieg die Stufen sechs Meter hoch zur Burg hinauf, wo weitere Männer, Frauen, Kinder und Tiere lachten, redeten, plauderten und schwatzten. Am Ende des Korridors hingen Bronzetafeln an der Wand, auf denen Kriege und Krieger dargestellt waren. Auf einem der Bilder erkannte ich die Schlacht des Binnenlands, in der viertausend Mann gefallen waren, auf einem anderen die Schlacht des halb blinden Prinzen, der seine gesamte Armee über eine Klippe geführt hatte, die er für einen Berg hielt. Am Fuße der Wand stand ein bronzener Thron, der den darauf sitzenden Mann klein wie einen Säugling erscheinen ließ.

»Das sind nicht die Augen eines gottesfürchtigen Mannes«, sagte er. Ich wusste, es war der König, denn wer hätte es sonst sein sollen?

»Ich bin gekommen, um Euch zu den Lebenden zurückzuholen«, sagte ich.

»Selbst das Land der Toten hat von dir gehört, Sucher. Aber du hast deine Zeit vergeudet und dein Leben vergebens riskiert. Ich wüsste keinen Grund zurückzukehren, weder für mich noch für dich.«

»Ich habe für nichts einen Grund. Ich finde, was die Menschen verloren haben, und die Königin hat Euch verloren.«

Der König lachte.

»Da bist du die einzige lebendige Seele hier in Monono, und doch ist keiner an diesem Hofe so tot wie du«, sagte er.

Inquisitor, ich wünschte, die Menschen würden begreifen, dass ich keine Zeit für solche Auseinandersetzungen habe. Ich kämpfe für nichts und werde nie für etwas kämpfen, also vergeude meine Zeit nicht mit Worten. Erhebe die Faust, und ich breche sie. Erhebe die Zunge, und ich schneide sie dir aus dem Mund.

Der König hatte keine Wachen im Thronsaal, also ging ich auf ihn zu und beobachtete, wie die Menge mich beobachtete. Er war weder aufgeregt noch ängstlich, sondern hatte diese Leere im Gesicht, die sagte: Dies ist, was dir geschehen muss. Vier Stufen führten zu der Plattform hinauf, auf der sein Thron stand. Zwei Löwen zu seinen Füßen, so reglos, dass ich nicht wusste, ob sie Fleisch oder Geist oder Stein waren. Er hatte ein rundes Gesicht mit einem unter dem Kinn hervorlugenden Kinn, großen schwarzen Augen, einer platten Nase mit zwei Ringen darin und einem schmalen Mund, als hätte er östliches Blut in sich. Er trug eine goldene Krone über einem weißen Tuch, das sein Haar bedeckte, einen weißen Mantel mit silbernen Vögeln darauf und einen purpurnen, ebenfalls mit Gold besetzten Latz über dem Mantel. Ich hätte ihn mit einem Finger hochheben können.

Ich trat bis an seinen Thron heran. Die Löwen rührten sich nicht. Ich berührte die zu einer erhobenen Löwenpfote geformte Messinglehne, und Donner grollte über mir, schwer, langsam, ein schwarzer Klang, der den Wind faulig riechen machte. Oben an der Decke: nichts. Ich schaute noch nach oben, als der König einen Dolch so fest in meine Hand stieß, dass er sich in die Armlehne bohrte und stecken blieb.

Ich schrie; er lachte und lehnte sich in seinen Thron zurück.

»Hast du geglaubt, dass die Unterwelt ihr Versprechen einlöst, das Land ohne Schmerz und Leid zu sein? Dieses Versprechen gilt nur den Toten«, sagte er.

Niemand stimmte in sein Lachen ein, doch alle sahen zu.

Er betrachtete mich mit einem argwöhnischen Blick und strich sich über das Kinn, als ich den Dolch griff und herauszog, was mich zum Schreien brachte. Der König sprang auf, als ich nach ihm griff, aber ich bekam einen Zipfel seines Mantels zu fassen und riss ihn ab. Er lachte, als ich meine Hand damit umwickelte. Ich schlug ihm mitten ins Gesicht, und da erst wurde die Menge unruhig. Ich hörte todbringende Schritte auf mich zukommen und wandte mich um. Die Menge hielt inne. Nein, etwas hielt sie zurück. Nichts lag auf ihren Gesichtern, weder Wut noch Angst. Und dann machte die Menge einen Satz zurück wie ein einziger Mann und blickte an mir vorbei auf den König, der mit der blutigen Löwenpfote in der Hand dastand. Der König warf die Pfote in die Luft, zur Decke hinauf, und die Menge schrie verwundert auf. Die Pfote kam nicht wieder herunter. In den hinteren Reihen liefen einige davon. Manche in der Menge riefen etwas, manche schrien. Mann überrannte Frau überrannte Kind. Der König lachte immer weiter. Dann ein Knarzen, dann ein Reißen, dann ein Brechen, als rissen die Götter des Himmels das Dach auf. Omoluzu, sagte irgendwer.

Omoluzu. Dachläufer, nächtliche Dämonen aus einer Zeit vor dieser Zeit.

»Sie haben dein Blut geschmeckt, Sucher. Omoluzu werden dir auf ewig folgen.«

Ich packte seine Hand und schnitt hinein. Er heulte wie ein Flussmädchen, während die Decke in Bewegung geriet und es klang, als würde sie bersten und brechen und zischen, doch sie blieb an ihrem Platz. Ich hielt seine Hand über meine eigene und fing sein Blut auf, während er um sich schlug und drosch wie ein kleiner Junge und sich loszureißen versuchte. Die erste Gestalt löste sich von der Decke, als ich das Blut des Königs in die Luft warf.

»Jetzt sind unsere Schicksale verbunden«, sagte ich.

Sein Lächeln verschwand, seine Kinnlade fiel hinunter, und seine Augen traten aus den Höhlen. Ich zerrte ihn die Stufen hinab, während die Decke grollte und krachte. Männer mit schwarzem Körper, schwarzem Gesicht, Schwärze, wo die Augen hätten sein sollen, stemmten sich aus der Decke, als würden sie aus Löchern klettern. Und als sie sich erhoben, standen sie auf der Decke wie wir auf dem Boden. Klingen aus Licht gingen von den Omoluzu aus, scharf wie Schwerter und rauchend wie brennende Kohlen. Der König lief schreiend davon und ließ sein Schwert liegen.

Sie griffen an. Im Weglaufen hörte ich sie von der Decke springen. Einer hüpfte hoch, landete aber nicht auf dem Boden, sondern wieder an der Decke, so als wäre ich derjenige, der auf dem Kopf stünde. Ich flüchtete in Richtung des Vorhofs, aber zwei von ihnen waren schneller als ich. Sie hüpften herunter und schwangen Schwerter. Mein Speer parierte beide Schläge, doch die Wucht dahinter warf mich um. Einer griff mich mit Schwertkunst an. Ich duckte mich nach links weg, wich seiner Klinge aus und stieß ihm meinen Speer in die Brust. Der Speer drang langsam ein, als bohrte er sich in Teer. Er sprang zur Seite und nahm meinen Speer mit sich. Ich griff nach dem Schwert des Königs. Von hinten umklammerten zwei meine Knöchel und rissen mich an die Decke, wo Schwärze strudelte wie das nächtliche Meer. Ich zog das Schwert durch das Schwarz, schnitt ihre Glieder ab und landete auf dem Boden wie eine Katze. Ein weiterer versuchte, meine Hand zu greifen, aber ich packte ihn und zog ihn auf den Boden, wo er sich auflöste wie Rauch. Einer griff mich von der Seite an, und ich duckte mich, aber seine Klinge traf mein Ohr, und es brannte. Ich wandte mich um und hieb mit meinem Schwert auf das seine ein, und Funken stoben im Dunkel auf. Er wankte. Meine Hände und Füße bewegten sich wie die eines Ngolo-Meisters. Ich kugelte und überschlug mich, von den Händen auf die Füße auf die Hände, bis ich meinen Speer bei den äußeren Kammern fand. Viele Fackeln brannten dort. Ich lief zu der ersten und tauchte meinen Speer in das Öl und die Flamme. Zwei Omoluzu waren direkt über mir. Ich hörte sie ihre Klingen zücken, um mich entzweizuschlagen. Aber ich sprang mit dem brennenden Speer vorwärts und lief mitten durch sie hindurch. Beide gingen in Flammen auf, die auf die Decke übergriffen. Die Omoluzu stoben auseinander.

Ich lief durch die äußere Kammer, den Gang hinunter und aus der Tür. Draußen schien der Mond bleich, wie Licht, das durch milchiges Glas fällt. Der dicke kleine König versuchte nicht davonzulaufen.

»Die Omoluzu erscheinen, wo es ein Dach gibt. Am offenen Himmel finden sie keinen Halt«, sagte er.

»Eure Frau wird diese Geschichte lieben.«

»Was weißt du schon von Liebe, die irgendwer für irgendwen empfindet?«

»Wir gehen.«

Ich zog ihn hinter mir her, aber wir kamen an einen weiteren Gang, der etwa fünfzig Schritte lang war. Nach fünf Schritten begann die Decke aufzureißen. Nach zehn Schritten liefen sie so schnell über die Decke, wie wir auf dem Boden liefen, und der dicke kleine König fiel allmählich zurück. Zehn und fünf Schritte, und ich duckte mich unter einem Schwerthieb weg, der meinen Kopf verfehlte und die Krone des Königs streifte. Nach zehn und fünf zählte ich nicht weiter. Auf halbem Wege durch den Gang griff ich mir eine Fackel und warf sie an die Decke. Einer der Omoluzu ging in Flammen auf und fiel herab, löste sich aber in Rauch auf, ehe er den Boden erreichte. Wir rannten wieder ins Freie. In der Ferne lag das Tor, mit einer steinernen Wölbung, die zu schmal war, als dass Omoluzu darauf hätten erscheinen können. Doch als wir darunter hindurchliefen, kamen zwei aus der Decke gesprungen, und einer schlitzte mir den Rücken auf. Nachdem wir zum Fluss gerannt waren und die Wand aus Wasser durchschritten hatten, waren beide Wunden verschwunden, ebenso wie die Erinnerung daran, wo sie gewesen waren. Ich suchte danach, doch meine Haut trug keine Spuren.

Wisse: Die Reise zu seinem Königreich war viel länger als die Reise zu seinem Totenland. Tage vergingen, ehe wir die Itaki am Flussufer erreichten, doch sie war keine alte Frau, bloß ein kleines Mädchen, das durch das Wasser hüpfte und mich durchtrieben ansah wie eine viermal so alte Frau. Als die Königin mit ihrem König zusammentraf, zankte und fluchte sie und schlug so fest auf ihn ein, dass ich wusste, es würde nur wenige Tage dauern, bis er sich wieder ertränkte.

Ich weiß, was dir gerade durch den Kopf gegangen ist. Und alle Geschichten sind wahr.

Über uns ist ein Dach.

ZWEI

Als ich das Haus meines Vaters verließ, sagte mir eine Stimme, vielleicht ein Teufel, ich solle laufen. Vorbei an Häusern und Gasthöfen und Herbergen für müde Reisende, hinter drei Mann hohen Mauern aus Lehm und Stein hindurch. Straßen wurden zu Gassen, und Gassen führten zu Musik, Trunk und Kampf, was zu Kampf, Trunk und Musik führte. Händlerinnen schlossen ihre Läden und packten ihre Buden zusammen. Männer gingen mit den Waffen von Männern vorbei, Frauen mit Körben auf den Köpfen, alte Leute saßen vor den Hauseingängen, wie sie es auch tagsüber taten. Ich stieß mit einem anderen Mann zusammen, und er fluchte nicht, sondern lächelte breit mit einem Mund voller Goldzähne. Du bist hübsch wie ein Mädchen, sagte er. Ich floh am Aquädukt entlang, versuchte, das Osttor zu finden, den Weg in den Wald.

Tagesreiter mit Speeren, in wallenden roten Gewändern, schwarzen Rüstungen und goldenen, federgeschmückten Kronen, die Reitpferde in das gleiche Rot gehüllt. Sieben Reiter näherten sich dem Tor, und der Wind war ein Wolf. Die Händel des Tages waren beendet, und ihre Pferde galoppierten in einer Staubwolke an mir vorbei. Dann begannen die Wachen, das Tor zu schließen, und ich rannte hinaus, über die Brücke mit dem Namen, den nicht einmal die Ältesten kennen. Niemand bemerkte es.

Ich lief durch freies Land, das sich wie das Sandmeer dahinstreckte. In jener Nacht kam ich an einer toten Stadt mit zerfallenden Mauern vorbei. Die verlassene Halle, in der ich schlief, hatte keine Türen und ein Fenster. Dahinter lag ein Schutthügel aus den Überresten vieler Häuser. Es gab kein Essen, und das Wasser in den Krügen schmeckte schal. Der Schlaf kroch über den Boden auf mich zu, begleitet vom Geräusch der überall in der Stadt zerfallenden Lehmwände.

Und mein Auge? Was damit ist?

Ach, welche Dinge es dir erzählen könnte, wäre es ein Mund, Inquisitor. Deine Lippen teilten sich, als du es zum ersten Mal blinzeln sahst. Schreib auf, was du siehst; sei es Hexenwerk, sei es weiße Wissenschaft, mein Auge ist, wofür du es hältst. Ich habe keine Verkleidung. Ich habe keine Erscheinung. Mein Gesicht ist eine breite, runde Stirn, so wie der Rest meines Kopfes. Brauen, die so tief in meine Augen hängen, dass sie ihnen Schatten spenden. Eine Nase, so steil wie ein Berg. Lippen, die sich so dick wie mein Finger anfühlen, wenn ich mir roten oder gelben Staub darauf reibe. Ein Auge, das mir gehört, und eines, das nicht mir gehört. Ich habe meine Ohren selbst durchstoßen und daran gedacht, dass mein Vater einen Turban trägt, um die seinen zu verbergen. Aber ich habe keine Erscheinung. Das ist es, was die Leute sehen.

Zehn Tage nachdem ich das Haus meines Vaters verlassen hatte, erreichte ich ein Tal, noch nass vom Regen, der einen Mond zuvor gefallen war. Bäume mit Blättern dunkler als meine Haut. Erdboden, der dich zehn Schritte trug, um dich beim elften zu verschlingen. Die Behausungen der Kriechenden, der Kobra und Viper. Ich war ein Narr. Ich glaubte, man lernte die alten Bräuche, indem man die neuen vergaß. Während ich durch den Busch lief, sagte ich mir, dass die Geräusche, die ich hörte, zwar allesamt neu, aber nicht beängstigend waren. Dass der Baum nicht verriet, wo ich mich zu verstecken suchte. Dass die Hitze unter meinem Hals kein Fieber war. Dass die Lianen nicht versuchten, mir an die Kehle zu springen und mich zu Tode zu würgen. Und Hunger und was mir als Hunger erschien. Der Schmerz, der von innen gegen meinen Bauch schlug, bis er des Schlagens müde wurde. Ich suchte nach Beeren, suchte nach junger Baumrinde, suchte nach Affen, suchte nach dem, was Affen fressen. Mehr Wahnsinn. Ich versuchte, Erde zu essen. Ich versuchte, Schlangen zu folgen, die Ratten durch den Busch folgten. Ich spürte, dass mir etwas Großes folgte. Ich kletterte über einen Felsen, und nasse Blätter schlugen mir ins Gesicht.

Ich erwachte in einer Hütte, die kühl war wie der Fluss. Ein Feuer loderte, doch die Hitze war in meinem Inneren.

»Im Wasser ist das Flusspferd unsichtbar«, sagte eine Stimme.

Entweder war es in der Hütte finster, oder ich war blind; ich wusste es nicht.

»Ye waren wupsi yeng ve. Warum hast du die Warnung nicht beherzigt?«, sagte er.

Die Hütte lag noch immer im Dunkeln, doch meine Augen sahen nun etwas mehr.

»Die Viper hat mit niemandem Streit, nicht einmal mit närrischen Knaben. Oba Olushere, die gelassene und freundliche Schlange, ist die gefährlichste.«

Meine Nase hatte mich in den Wald geführt. Ich hatte keine Schlange gesehen. Zwei Nächte zuvor, als er mich zitternd unter dem weinenden Baum gefunden hatte, war er sich meines Todes so gewiss gewesen, dass er ein Loch gegraben hatte. Doch dann hatte ich die ganze Nacht hindurch grüne Säfte gespien. Und so lag ich nun auf einer Matte in einer Hütte, die nach Veilchen, toten Büschen und brennender Scheiße roch.

»Antworte mit dem Herzen. Was treibst du im tiefen Busch?«

Ich wollte ihm sagen, dass mich die Suche nach mir selbst hergeführt hatte, doch das waren die Worte eines Narren. Oder etwas, was mein Vater gesagt hätte, doch damals glaubte ich noch, es gebe ein Ich, das man verlieren könne, und wusste nicht, dass man das Ich nie besitzt. Aber das habe ich schon gesagt. Also sagte ich nichts und hoffte, meine Augen würden sprechen. Selbst im Dunkeln spürte ich, dass er mich anstarrte. Mich und meine wilden Vorstellungen vom Busch, wo Männer mit den Löwen zogen und vom Lande aßen und neben den Baum schissen und keine Kunst kannten. Er kam aus der dunklen Ecke und schlug mir ins Gesicht.

»Der einzige Weg in deinen Kopf ist, dass ich ihn aufschneide und hineinschaue – oder du sprichst aus, was darin ist.«

»Ich dachte …«

»Du denkst, dass die Männer aus dem Busch und vom Fluss knurren und bellen wie Hunde. Dass wir uns nach dem Scheißen nicht den Arsch abwischen. Vielleicht reiben wir uns damit ein. Ich rede mit dir als Mann.«

Du, Inquisitor, bist ein Mann, der Worte sammelt. Du sammelst meine. Du hast Verse für einen kühlen Morgen, Verse für die Mittagsstunde der Toten, Verse für den Krieg. Doch die Abendsonne braucht deine Verse nicht und der rennende Gepard ebenso wenig.

Dieser weise Mann lebte nicht im Dorf, sondern am Fluss. Sein Haar war weiß von Asche und Milchrahm. Ich sah nur ein Mal, wie mein Vater sich auszog, und da sah ich punktförmige Narben wie einen Kreis aus Sternen auf seinem Rücken. Dieser Mann hatte einen Kreis aus Sternen auf seiner Brust. Er lebte allein in der Hütte, die er mit wilden Ästen als Wänden und mit Büschen als Dach gebaut hatte. Er hatte die Wände mit schwarzem Steinstaub eingerieben, bis sie glänzten, und dann Muster und Bilder darauf gemalt, eines von einer weißen Kreatur mit Armen und Beinen so lang wie Bäume. Ich hatte dergleichen noch nie gesehen.

»Und das ist gut so, denn du wärst nicht mehr am Leben, um mir davon zu erzählen«, sagte er.

Ich schlief ein, erwachte, schlief ein, erwachte und sah einen großen weißen Python sich um einen Stamm winden, erwachte und sah die Schlange vor der Wand verblassen. Sonnenlicht fiel herein, erhellte die Wände, und ich sah, dass wir in einer Höhle waren. Die Wände hatten die Form von schmelzendem Kerzenwachs, das auf Kerzenwachs tropft. In der Düsternis sahen Teile davon aus wie ein schreiendes Gesicht oder die Beine eines Elefanten oder der Schlitz eines jungen Mädchens.

Als ich mit der Hand darüberfuhr, fühlte sich die Wand an wie die Haut der Yamswurzel. An der Öffnung war sie weich, und Sträucher ragten daraus hervor wie lose Haare. Ich stand auf, und diesmal fiel ich nicht. Zwar torkelte ich wie ein mit Palmwein vollgesogener Mann, aber ich trat nach draußen. Ich wankte und presste mich an den Fels, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, doch das war kein Fels. Kein Stein. Baumrinde. Aber zu breit, zu groß. Ich blickte so weit hinauf, wie ich konnte, und lief so weit, wie ich konnte. Aber nicht nur, dass die Sonne noch hinter den Ästen und Blättern war, dieser Stamm hatte auch kein Ende. Als ich ihn umrundet hatte, wusste ich nicht mehr, wo sein Anfang war. Nur ganz oben hatte er Äste, die stummelig wie die Finger eines Säuglings waren und in ein Netz aus Zweigen und Blättern übergingen. Kleine Blätter, dick wie Haut, und Früchte so groß wie dein Kopf. Ich hörte kleine Füße auf und ab klettern, eine Pavianmutter mit ihrem Jungen.

»Der Affenbrotbaum war der schönste der Savanne«, sagte der Hexer hinter mir. »Das war vor der zweiten Götterdämmerung. Aber siehe da – der Affenbrotbaum wusste um seine Schönheit. Er verlangte, dass alle, die Lieder machen können, sie besangen. Er und sein Bruder waren hübscher als die Götter, selbst hübscher als Bikili-Lilis, deren Haar zu den einhundert Winden wurde. Dies ist, was geschah. Die Götter gebaren Zorn. Sie stiegen auf die Erde herab, rissen jeden einzelnen Affenbrotbaum aus der Erde, drehten ihn um und stießen ihn wieder hinein. Die Wurzeln brauchten fünfhundert Jahre, um Blätter zu bilden, und fünfhundert weitere, um Blüten und Früchte zu tragen.«

Innerhalb eines Mondes kam jeder Einwohner des Dorfes zu dem Baum. Ich sah, wie sie sich hinter Ästen und Blättern versteckten und ihn anschauten. Einmal kamen drei starke Männer aus dem Dorf. Sie waren alle groß, breitschultrig, geriffelt dort, wo dicke Männer Bäuche hatten, mit Beinen so stark wie die des Stieres. Der erste Mann war von Kopf bis Fuß in Asche gehüllt, weiß wie der Mond. Der zweite hatte seinen Körper mit weißen Streifen bemalt wie ein Zebra. Der dritte hatte keine andere Farbe als seine dunkle und prächtige Haut. Sie trugen Halsketten und Ketten um die Taille, die weiter keinen Schmuck brauchte. Ich wusste nicht, was sie von mir wollten, aber ich wusste, ihnen würde ich es geben.

»Wir haben dich oft im Busch beobachtet«, sagte der Gestreifte. »Du kletterst auf Bäume und jagst. Ohne Fertigkeit, ohne Können, aber vielleicht helfen dir die Götter. Wie alt bist du in Monden?«

»Mein Vater hat die Monde nie gezählt.«

»Dieser Baum hat sechs Jungfrauen verzehrt. Hat sie am Stück verschlungen. Nachts kann man sie schreien hören, aber es dringt nicht mehr als ein Flüstern heraus. Man glaubt, es sei der Wind.«

Er sah mich einen Augenblick lang starr an, dann lachten sie alle drei.

»Du wirst mit uns zum Zareba-Mannbarkeitsritus kommen«, sagte der Gestreifte.

Er deutete auf den Mondhellen.

»Eine Schlange hat gerade vor der Regenzeit seinen Gefährten getötet. Du wirst mit ihm gehen.«

Ich sagte nicht, dass ich einen Schlangenbiss überlebt hatte.

»Wir treffen uns unter der nächsten Sonne. Du solltest den Weg des Kriegers kennen, nicht den des weibischen Mannes«, sagte der Mondhelle.

Ich nickte. Er sah mich länger an als die anderen. Jemand hatte einen Stern in seine Brust geritzt. Die Ohren mit den Ringen darin hatte er, das wusste ich, selbst durchstoßen. Er war wenigstens einen Kopf größer als die anderen, was mir jedoch erst jetzt auffiel. In Juba hätten diese Jungen als Männer gegolten.

»Du wirst mit mir gehen«, hörte ich ihn sagen, auch wenn ich es ihn nicht sagen hörte.

Bei den Zarebas, den Mannbarkeitsritualen, gibt es keine Frauen. Dennoch muss man um ihren Nutzen für den Mann wissen. Das Zareba ist in deinem Verstand; das Zareba ist draußen im Busch, eine Reise von Sonnenaufgang bis zur Mittagsstunde entfernt. Du erreichst die Halle der Helden mit ihren Lehmwänden und dem Strohdach. Und Stöcken und Raum zum Kämpfen. Die Jungen treten hier ein, um von den stärksten Kämpfern sämtlicher Dörfer und Berge zu lernen. Du bedeckst dich mit Asche, sodass du in der Nacht aussiehst, als wärst du vom Mond heruntergekommen. Du isst Sorghum-Brei. Du tötest den Jungen, der du bist, um der Mann zu werden, der du bist, aber alles muss gelernt werden. Ich fragte den Mondscheinjungen, wie man alles über die Frauen lernt, wenn es keine Frauen gibt, von denen man lernen kann.

Willst du mehr hören, Inquisitor?

Eines Morgens witterte ich den Geruch der Sippe, der mir zum Fluss folgte. Ein Junge, der mich für den Sohn seines Onkels hielt. Ich jagte nach Fischen. Er kam ans Ufer und grüßte mich, als würde er mich kennen, bis er sah, dass er mich nicht kannte. Ich sagte nichts. Seine Mutter musste ihm vom Abarra erzählt haben, dem Dämon, der zu dir kommt wie jemand, den du kennst und von dem er alles außer der Zunge hat. Er rannte nicht fort, sondern ging langsam vom Ufer davon und setzte sich auf einen Felsen. Beobachtete mich. Er zählte nicht mehr als acht oder neun Jahre, mit einem weißen Lehmstrich von einem Ohr zum anderen und über seine Nase hinweg und weißen Flecken wie die eines Leoparden überall auf der Brust. Ich war ein Stadtjunge und hatte kein Glück beim Fischfang. Ich tauchte die Hände ins Wasser und wartete. Fische schwammen geradewegs in meine Hände hinein, entschlüpften aber, wenn ich einen zu packen versuchte. Ich wartete, er beobachtete mich. Ich bekam einen großen zu fassen, doch er wand sich und erschreckte mich, und ich stolperte und fiel in den Fluss. Der Junge lachte. Ich sah ihn an und lachte auch, doch dann drang ein Geruch in den Wald, kam näher und näher. Ich roch es – Erdfarbe, Sheabutter, Achselgestank, Muttermilch –, und er roch es auch. Wir wussten beide, dass der Wind jemanden mit sich brachte, aber er wusste auch, wer es war.

Sie kam zwischen den Bäumen hervor, als wäre sie von den Bäumen gesprungen. Eine größere Frau, eine ältere Frau, das Gesicht schon scharf und barsch, die rechte Brust noch nicht schlaff. Die linke hatte sie in ein über die Schulter geschlungenes Tuch gehüllt. Um den Kopf ein Band, rot, grün und gelb. Halsketten in allen Farben außer Blau türmten sich wie ein Berg bis zu ihrem Ohrläppchen. Ein Rock aus Ziegenhaut mit Kaurischnecken über einem geschwollenen Bauch, in dem sie ein Kind trug. Dann sah sie mich an und deutete in dieselbe Richtung.

An einem Morgen mit träger Sonne weckte mich der Hexer mit einem Schlag ins Gesicht und ging dann ohne ein Wort aus der Hütte. Neben mich hatte er Speer, Sandalen und Stoff gelegt, um meine Hüften zu umwickeln. Ich stand rasch auf und folgte ihm. Flussabwärts öffnete sich das Dorf mit den über ein Feld verteilten Hütten. Zuerst kamen wir an trockenen Grashaufen mit Spitzen wie Brustwarzen vorbei. Dann an runden Hütten aus Lehm und Erde, rot und braun mit Dächern aus Stroh und Buschwerk. Zur Mitte hin wurden die Hütten größer. Sie waren rund und in einem Verbund von fünfen oder sechsen errichtet, sodass sie wie Burgen aussahen, mit Wänden, die sie verbanden und uns bedeuteten: All das ist für einen Mann. Je größer die Hütten, desto glänzender die Wände, da die Besitzer es sich leisten konnten, sie mit schwarzem Stein abzureiben. Doch die meisten der Hütten waren nicht groß. Nur ein Mann mit vielen Kühen konnte eine Hütte für das Korn haben und eine zweite, um es zu kochen.

Der Mann mit den größten Hütten hatte sechs Frauen und zwanzig Kinder, von denen keines ein Junge war. Er suchte nach einer siebten Frau, die ihm endlich einen Sohn gab. Er war einer der wenigen, die aus ihren Hütten kamen, um mich zu begrüßen. Zwei Jungen und ein Mädchen, nackt und ohne Bemalung, folgten dem Hexer und mir, bis eine Frau in barscher Zunge etwas rief und sie zu einer Hütte hinter uns rannten. Wir waren jetzt in der Dorfmitte, vor den Hütten dieses Mannes. Zwei Frauen verteilten eine frische Lage Lehm auf der Außenwand eines Kornspeichers. Drei Jungen, etwa in meinem Alter, kehrten mit einem toten Buschbock von der Jagd zurück. Den Mondhellen sah ich nicht.

Die Rückkehr der Jäger ließ das Dorf erwachen. Mann und Frau, Mädchen und Junge, alle kamen sie heraus, um die Früchte der Jagd zu betrachten, hielten jedoch inne, als sie mich sahen. Der Hexer nannte einen Namen, den ich nicht kannte. Der Mann mit den sechs Frauen kam heraus und ging geradewegs auf mich zu. Ein groß gewachsener Mann mit einem großen Bauch. An seinem Hinterkopf ein mit Lehm geformter Haarknoten in Grau und Gelb, aus dem fünf Straußenfedern ragten. Der Knoten, weil er ein Mann war, und jede Feder für eine bedeutsame Tötung. Gelber Lehm säumte die Wangenknochen, und Siegesnarben bedeckten Brust und Schultern. Dieser Mann hatte viele Männer und Löwen und einen Elefanten getötet. Vielleicht gar ein Flusspferd. Zwei seiner Frauen kamen heraus, eine von ihnen war die Frau vom Fluss.

Der Hexer sagte zu ihm: »Vater, der mit dem Krokodil spricht, auf dass es uns während der Regenzeit nicht frisst, höre mich an.« Dann sagte er etwas zu dem Mann, was ich nicht verstand.

Der Mann musterte mich von Kopf bis Fuß und von Fuß bis Kopf. Er kam näher heran und sagte: »Sohn von Aboyami, Bruder von Ayodele, dieser Weg ist dein Weg, diese Bäume sind deine Bäume, dies Haus ist dein Haus, und ich bin dein geliebter Onkel.«

Ich kannte diese Namen nicht. Oder vielleicht waren es einfach nur Namen von Menschen, die nichts mit mir zu tun hatten. Sippe war im Busch nicht immer gleich Sippe, und Freund war nicht immer gleich Freund. Selbst Frau war nicht immer gleich Frau.

Er führte mich durch den Eingang und in den Innenhof, wo Kinder Hühnern nachjagten. Sie rochen nach Lehm und Blütenstaub und Hühnerdreck an den Fußsohlen. Das Haus hatte sechs Zimmer. Durch das Fenster sah ich zwei Frauen Mehl mahlen. Neben dem Kornspeicher entwich aus der Küche die Süße von Hirsebrei; neben der Küche wusch sich eine Frau in einem Wasserstrahl, der aus einem Loch in der Wand kam. Daneben eine Mauer, lang und dunkel, mit Brustwarzen aus Lehm gesprenkelt. Dann unter einem Strohdach ein offener Bereich mit Schemeln und Teppichen und dahinter die längste Mauer. Der Schlafraum meines Onkels, mit einem riesigen Schmetterling über den Schlafteppichen. Er folgte meinem Blick und sagte, die Kreise in der Mitte seien kleine Wellen in einem Wasserbecken, die für die Erneuerung stünden, welche mit jeder Regenzeit komme oder wann immer er in die Nässe der Wiwi seiner neuen Frau eintauche. Neben seinem Zimmer war der Lagerraum, in dem auch die Kinder schliefen.

»Dies Haus ist dein Haus, diese Teppiche sind deine Teppiche. Aber diese Frauen gehören nur mir«, sagte er und gluckste. Ich lächelte.

Wir saßen in dem offenen Bereich, ich auf einem Teppich, er so weit auf einem Stuhl zurückgelehnt, dass er lag, anstatt zu sitzen. Der Stuhl hatte eine Wölbung für seine Hinterbacken und eine gerade Rückenlehne aus drei Brettern, so geschnitzt, dass sie wie drei Reihen von Hühnereiern aussahen. Ich höre noch das Seufzen meines Vaters, als er seinen eigenen Rücken an einem solchen Stuhl rieb. Eine Kopfstütze, geschwungen wie ein riesiger Kopfschmuck aus Hörnern. Die hohe Lehne und die Stummelbeine verliehen ihm das Aussehen eines Buschbüffels. Mein darin liegender Onkel war in ein mächtiges Tier verwandelt.

»Dein Stuhl. So einen habe ich schon einmal gesehen, geliebter Onkel.«

Er richtete sich auf. Es schien ihn zu verstören, dass es zwei von dieser Art gab.

»Haben ihn deine Leute gemacht?«, fragte ich.

»Die Lobi, die Holzmeister in der Stadt, behaupteten, sie hätten nur einen gemacht. Aber Stadtmenschen lügen, das liegt in ihrer Natur.«

»Du kennst die Straßen der Stadt?«

»Ich bin viele von ihnen entlanggegangen.«

»Warum bist du zurückgekehrt?«

»Woher weißt du, dass ich das Dorf für die Stadt verlassen habe und nicht die Stadt für das Dorf?«

Ich hatte keine Antwort.

»Wo hast du diesen Stuhl gesehen?«

»In meinem Haus.«

Er nickte und lachte. »Blut bleibt Blut, auch wenn es durch den Sand getrennt ist«, sagte er und schlug mir auf die Schulter.

»Bringt meinem Blut Palmwein und Tabak«, rief er einer seiner Frauen zu.

Das Volk nannte sich selbst und sein Dorf Ku. Einst hatte es über beide Seiten des Flusses geherrscht. Dann wurden seine Feinde, die Gangatom, größer und stärker, und viele mehr schlossen sich ihnen an und trieben die Ku auf die Seite der Abendsonne. Ku-Männer waren geschickt im Umgang mit Pfeil und Bogen, im Führen der Rinder auf frische Weiden, im Milchtrinken und im Schlafen. Die Frauen waren geschickt im Rupfen von Gras für die Dächer, im Verkleiden der Wände mit Lehm oder Kuhdung, im Bauen von Zäunen für die Ziegen und die Kinder, die den Ziegen nachjagen, im Wasserholen, im Waschen der Milchschläuche, im Melken der Kühe, im Füttern der Kinder, im Suppekochen, im Waschen der Kürbisflaschen und im Butterstampfen. Die Männer gingen hinaus auf die nahen Felder, um das Getreide zu säen und zu ernten. Sie gruben nach Wasser. Beinahe wäre ich in ein Loch gefallen, das so tief war, dass man die alten Teufel, groß wie Bäume, sich unten im Schlaf wälzen hörte. Der mondhelle Junge sagte mir, bald komme die Zeit, das Sorghum zu ernten, die Zeit, in der die Frauen mit Körben auf die Felder gingen, um das Getreide einzuholen.

Eines Tages sah ich neun Männer, die ins Dorf zurückkehrten, groß und glänzend, manche frisch bemalt, andere mit roter Erdfarbe und Sheabutter eingerieben, Männer, die wie geborene Krieger aussahen.

Nachts sangen sie und tanzten und kämpften und sangen wieder und setzten Hemba-Masken auf, die dem Schimpansen glichen, doch Kava sagte, es sei das Ebenbild all der verstorbenen Ahnen, damit sie in den Geisterbäumen mit ihnen sprechen konnten. Sie sangen in den Hemba-Masken, um den Fluch vieler Monde der schlechten Jagd zu brechen. Der Trommelschlag ein kekeke; bammbammbamm, lakalakalakalaka im Wind.

Das Dorf erwachte inmitten eines neuen Geruchs, und er war überall. Neue Männer und neue Frauen reif bis zum Platzen. Ich beobachtete sie vom Haus des Mannes aus, der mein Onkel sein wollte, während er seine Frauen betrachtete und sich dabei am Bauch kratzte.

»Ein Junge hat mir gesagt, er werde mich zu den Mannbarkeitsritualen mitnehmen«, sagte ich.

»Ein Junge hat dir das Zareba versprochen? Auf wessen Befehl hin?«

»Er handelte eigenmächtig«, sagte ich.

»Das hat er dir gesagt?«, fragte er.

»Ja. Dass ich sein Gefährte sein solle, weil der alte an einem Schlangenbiss gestorben sei. Ich beherrsche jetzt eure Zunge. Ich kenne eure Bräuche, geliebter Onkel. Ich bin euer Blut. Ich bin bereit.«

»Welcher Junge war das?«, fragte mein Onkel.

Doch ich wusste nicht, wo dieser Junge lebte. Mein Onkel rieb sein Kinn und sah mich an. »Du wurdest geboren, als du gefunden wurdest, und das war vor nicht einmal einem Mond. Übereile es nicht mit dem Sterben.«

Ich sagte ihm nicht, dass ich bereits ein Mann war.

»Du hast sie doch gesehen. Die Jungen, die hier herumlaufen, kleiner als die Männer, die ins Dorf zurückgekehrt sind.«

»Welche Jungen?«

»Jungen mit roten Spitzen, die Weiblichkeit von der Männlichkeit abgetrennt.«

Ich wusste nicht, wovon er sprach, also nahm er mich mit nach draußen, um es mir zu zeigen. Der Himmel war grau und vom lauernden Regen angeschwollen. Zwei Jungen rannten vorbei, und er rief den größeren zu sich, dessen Gesicht rot, weiß und gelb war, das Gelb eine Linie in der Mitte des Kopfes bis ganz nach unten. Bedenke, mein Onkel ist ein sehr bedeutender Mann, der mehr Kühe hat als der Häuptling und sogar etwas Gold. Der Junge kam herüber, glänzend vor Schweiß.