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Charles Lewinsky versteht es wie kein zweiter, die Befindlichkeit der Schweiz auf ihren pointierten Witz zuzuspitzen. Nun beschreibt er in 24 unterschiedlichen Textarten ihre Zukunft – und trifft mit grandioser Komik ihre Gegenwart. So werden im Jahr 2064 die Besucher des Freilichtmuseums Ballenberg 2 staunen, was für ein kurioses Land das früher einmal war; dagegen steht die Abspaltung der Urkantone von der Restschweiz im Jahr 2072 unmittelbar bevor. Die Geschichten sprühen vor übermütigem Vergnügen daran, die gegenwärtige Entwicklung Helvetiens und seiner Politik in eine gnadenlose Konsequenz zu führen. Auf Lewinskys virtuose Feder und seine Kunst der Satire werden wir auch in Zukunft noch lange angewiesen bleiben.
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Seitenzahl: 163
N & K
Nagel & Kimche E-Book
Charles Lewinsky
Schweizen
24 Zukünfte
Nagel & Kimche
© 2013 Nagel & Kimche
im Carl Hanser Verlag München
Herstellung: Andrea Mogwitz und Rainald Schwarz
Satz: Satz für Satz. Barbara Reischmann
ISBN 978-3-312-00564-2
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Für Oriana,
damit sie die Schweiz
noch besser versteht
Schweizen, ein Vorwort
Ballenberg 2, ein Prospekt
Die Abhebung, ein Monolog
Vereinsversammlung, ein Protokoll
Stau, ein Drehbuch
Liebe Donjeta, ein Brief
Vom Kaninchen und seinen Nachbarn, eine Fabel
In Gottes Namen, ein Bundesbrief
Schneh®, ein Nachruf
Bettina, ein Tagebuch
Sicherheit für alle, ein Festspiel
Der Kandidat, ein Dialog
AONS, eine Kriminalgeschichte
Störfall, ein Fragebogen
Fischenthal, ein Testament
Unsere grosse Reise, ein Schulaufsatz
St. Cédricstag, eine Predigt
Cholesterin, ein Tischgespräch
Ordnung muss sein, eine Bewerbung
Die Ehrlichkeitsinitiative, ein Interview
Der Gang an die Urne, eine Ballade
Der arme Mann und die Fee, ein Märchen
Der Fall «Bismarck», eine Aktennotiz
Show and Tell, eine Science-Fiction-Story
Sie haben gekaufen, eine Gebrauchsanweisung
ein Vorwort
Den Seinen, sagt das Sprichwort, gibt’s der Herr im Schlaf. Nun habe ich zwar, weiss Gott, keinen Grund, mich besonders inniger Beziehungen zu höheren himmlischen Instanzen zu rühmen, und ich hege auch grosse Zweifel an der Theorie von Musen, die mit kussbereit gespitzten Lippen ins Dichterschlafzimmer flattern. Wer in Erwartung ihres Anflugs jede Nacht das Fenster offen lässt, vermute ich, holt sich eher eine Lungenentzündung als eine Idee. Aber der erste Gedanke zu den Texten, die ich hier bevorworte, kam mir tatsächlich in einem Traum.
Es war einer von der Sorte, zu deren Entschlüsselung man nicht jahrelang freudianische Theorien studiert haben muss. Ein ganz simpler Wunschtraum, in dem mir ein Kunststück gelungen war, das jeder Autor gern einmal schaffen möchte: Ich hatte ohne jede Anstrengung ein Buch geschrieben. (Das geht, glauben Sie mir, im Traum bedeutend müheloser als in der erdenschweren Wirklichkeit.) Nicht nur geschrieben war das erträumte Meisterwerk, sondern auch schon gedruckt und erschienen, und ich wollte das erste Exemplar gerade zu seinen Vorgängern ins Regal stellen. Das ist jedes Mal ein Höhepunkt im Schreiberleben, und deshalb als Traummaterial bestens geeignet.
Ohne jede Überraschung, wie das in Träumen so ist, las ich den Titel des Buches. «Schweizen» stand da auf dem Umschlag, und im Traum schien mir das ein durchaus einleuchtender und sinnvoller Begriff zu sein.
Bis ich dann aufwachte, und sich die Logik-Schaltkreise in meinem Kopf einer nach dem anderen wieder in Gang setzten. Zuerst, ich kann mich noch gut an das enttäuschte Gefühl erinnern, realisierte ich, dass das sich selbst schreibende Buch mal wieder nur ein Traum gewesen war. Dann, und das war auch nicht erfreulicher, wurde mir klar, dass es ein Wort wie «Schweizen» überhaupt nicht gibt. Ausser natürlich – jetzt blinkten die Schaltkreislämpchen schon in allen Farben – als Plural von «Schweiz». Obwohl unser Land natürlich so einmalig ist, dass es gar keinen Plural haben kann. Genauso wenig wie alle anderen Länder. Es gibt kein halbes Dutzend Frankreiche, und eine Nachbarschaft aus mehreren Deutschländern wäre eine eher erschreckende Vorstellung.
«Schweizen»? Zunächst einmal hatte ich keine Ahnung, was mir mein schlaftrunkenes Hirn damit sagen wollte. Oder die Muse, falls es sie doch gibt. Man weiss ja nie.
Aber dann fiel mir – vielleicht war auch das noch ein Traumsplitter – ein Untertitel dazu ein. Und der enthielt schon wieder einen Plural, den es gar nicht gibt: «Zukünfte.» Und weil mir sowohl Titel wie auch Untertitel gut gefielen, fing ich an zu überlegen, was für ein Buch man dazu schreiben könnte.
Normalerweise ist der Ablauf ja so: Man schreibt einen Text, denkt sich einen Titel dazu aus, und dann kommt der Verleger und ändert ihn. Oder versucht es zumindest. In diesem Fall war es genau umgekehrt. Zuerst war der Titel da, und dann lange nichts.
Bis dann plötzlich eine ganze Menge da war.
Es ist eine Sammlung von Geschichten geworden, die alle einen Trend unserer eidgenössischen Gesellschaft in die Zukunft extrapolieren oder sonstwie satirisch verzerren. Wobei die Zukünfte, von denen ich erzähle, natürlich keine Szenarien sind, die ich genau so erwarte. An die menschliche Fähigkeit, die Zukunft vorauszusagen, glaube ich so wenig wie an Musen.
Aber man sieht manche Dinge deutlicher, wenn man sie übertreibt. Karikaturen können ähnlicher sein als Spiegelbilder. Und auf allzu absurde Geschichten habe ich verzichtet. Die Schweiz wird nicht Fussballweltmeister, und in der «Arena» lässt kein Politiker den anderen ausreden.
Jede dieser Geschichten ist in einer anderen Textform abgefasst, vom Tagebuch bis zur Ballade, vom Bundesbrief bis zur Kriminalgeschichte. Und das nicht aus irgendeinem tieferen Grund, über den sich literaturwissenschaftliche Seminararbeiten verfassen liessen, sondern schlicht und einfach, weil es mir Spass gemacht hat, mich stilistisch auszutoben und ab und zu einen sprachlichen Purzelbaum zu schlagen. Die Muse, die mir den seltsamen Titel in meinen Traum hineingeküsst hat, liess mir ausrichten, das dürfe auch einmal sein. Auch wenn ich nicht an sie glaube.
ein Prospekt
Herzlich willkommen!
Sie suchen die Nähe zur Natur? Sie interessieren sich für Geschichte? Sie haben einen Hang zur Nostalgie? Dann sind Sie bei uns am richtigen Ort! Ballenberg 2, das moderne Freilichtmuseum, versetzt Sie zurück in die Zeit, als es in der Schweiz noch Bauern* gab, ins legendäre 21. Jahrhundert!
Bei uns finden Gross und Klein Überraschung, Unterhaltung und Anregung! Bestaunen Sie hautnah (nur durch eine Hygieneschleuse getrennt) echte lebendige Kühe*! Machen Sie eine Fahrt im legendären Traktor* Aebi TT 270 aus dem Jahr 2011! Beobachten Sie einen wirklichkeitsgetreuen Androiden-Landwirt bei der täglichen Arbeit von damals!
Und vor allem: Erkunden Sie auf eigene Faust die originalen Bauernhäuser aus vergangenen Tagen! Immer einen Besuch wert sind nicht nur die stilecht möblierten Zimmer des berühmten Säuliamthauses aus dem Jahr 1950, sondern auch all die anderen, historisch exakt restaurierten Gebäude aus der ganzen Schweiz. Lassen Sie sich in eine Zeit zurückversetzen, in der das Brot* noch vom Bäcker* und die Milch* noch aus der Kuh* kam!
(Für die Erklärung der mit einem Sternchen* versehenen Ausdrücke benutzen Sie die ?-Taste Ihres Ausstellungsführers.)
Anreise
Das Freilichtmuseum Ballenberg 2 liegt mitten im Stadtteil Brienz-Ballenberg, einer auch heute noch sehr ländlichen, spärlich besiedelten Region mit nicht einmal 300000 Einwohnern. Wenn Sie bei uns in die Vergangenheit eintauchen, werden Sie bald vergessen, dass Sie sich im Herzen einer pulsierenden Mittelstadt befinden. Die umgebenden Hochhäuser sind durch Sichtschutzwände den Blicken vollständig entzogen. Im ständigen Bemühen, unseren Besuchern immer wieder etwas neues Altes zu bieten, haben wir in dieser Saison erstmalig eine Reihe von Landschaftsprojektionen installiert und die Sichtschutzwände damit in ein naturgetreues Alpenpanorama verwandelt, das Ihnen die schönsten Gipfel unseres Landes in konzentrierter Form und immer wechselnder Zusammensetzung präsentiert: Eiger, Mönch, Jungfrau, Monte Rosa, Piz Bernina, Schreckhorn, Matterhorn, Finsteraarhorn und viele andere Hörner.
Sie erreichen Ballenberg 2 bequem über die Autobahn A8 (Abzweigung Ballenberg). Leider hat unsere Tiefgarage nur knapp 8000 Plätze und ist an Wochenenden und in der Ferienzeit manchmal überfüllt. Dann empfehlen wir Ihnen die Anreise mit dem öffentlichen Verkehr: Swissmetro M3 (an der Station Interlaken in den Hochgeschwindigkeits-Monorail nach Brienz umsteigen) oder ganz stilecht altmodisch per SBB von Luzern-Sarnen oder Interlaken. Für eingefleischte Nostalgiker wurde im letzten Jahr sogar eine unterirdische Fussgängerpassage von Brienz nach Ballenberg eingeweiht. (Rucksäcke und antike Nagelschuhe können gemietet werden, rechtzeitige Vorbestellung wird empfohlen.)
Die Häuser
Auch wenn die auf den Ballenberg versetzten alten Bauernhäuser auf den ersten Blick alle gleich aussehen, lassen sich bei näherer Betrachtung doch die typischen Merkmale der einzelnen Landschaften unserer so vielfältigen Heimat erkennen.
Kennzeichnend für den kargen Hochjura sind die kunstvoll gestalteten Fernsehantennen*. Hier, wo das nächste Gehöft oft sehr weit entfernt war, vertrieb man sich die langen einsamen Abende nach getaner Arbeit gern mit Fernsehsendungen*, weshalb die Besucher hier auch von zwei lebensechten Androiden mit den Gesichtern von Beni Thurnheer* und Sven Epiney* begrüsst werden.
Im eher wohlhabenden Mittelland hingegen sind es vor allem die geräumigen Garagen, die dem Kundigen verraten, dass er vor einem Bauernhaus steht. Hier fanden nicht nur die Traktoren* ihren Platz, sondern man verbarg auch in traditioneller Bescheidenheit die oft recht luxuriösen privaten Fahrzeuge vor den neidischen Blicken der Nachbarn.
Besonders selten und wertvoll sind Bauernhäuser aus dem Alpengebiet, da die meisten von ihnen im 20. und 21. Jahrhundert zu Ferienhäusern umgebaut wurden. Die beiden Exemplare, die wir stolz in unserer Ausstellung präsentieren dürfen, behielten ihre ursprüngliche Form nur, weil die Besitzer hofften, durch den bäuerlichen Anschein den Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative* zu entgehen.
Leicht zu erkennen sind die Gebäude aus dem Tessin. Sie tragen, nach alter Sitte, ausnahmslos den Segensspruch «Camere libere» an der Fassade. (Zu Deutsch etwa: «Tritt ein, bring Glück herein.»)
Das Säuliamthaus
Für jeden historisch interessierten Besucher bildet die Besichtigung dieses einmaligen Bauwerks den Höhepunkt seines Aufenthalts in Ballenberg 2. Durch einen historischen Zufall ist das Haus mitsamt der gesamten originalen Einrichtung bis in unsere Tage erhalten geblieben: Beim europaweiten Ausbruch der Vogelgrippe* im zweiten Viertel des 21. Jahrhunderts stellte man die ganze Liegenschaft unter strengste Quarantäne. Durch eine administrative Panne wurde das absolute Verbot, das Grundstück zu betreten, erst ein paar Generationen später wieder aufgehoben. So wurde der Bau zu einer unschätzbaren Fundgrube für Völkerkundler und Archäologen.
Vor der Umsetzung vom originalen Standort in Aeugst am Albis nach Ballenberg 2 wurden alle Spuren aus dem Leben der ursprünglichen Bewohner in liebevoller Kleinarbeit konserviert. So liegt auf dem Küchentisch (in Plexiglas eingegossen) immer noch eine Tageszeitung* aus dem Jahr 2031, im Dialekt jener Zeit als «Blick» bezeichnet. Ebenfalls in der Küche finden sich mehrere sogenannte Bierflaschen*, seltene Relikte aus einer Zeit, in der man halluzinogene Stoffe noch in flüssiger Form zu sich nahm. (Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass das Berühren dieser kostbaren Artefakte strengstens untersagt ist.)
Eine Übersicht über die weiteren Attraktionen des Säuliamthauses, wie etwa die Kleidersammlung mit den historischen Jeans* oder das rätselhafte blau-weisse Stück Stoff mit der Aufschrift FCZ über dem Bett im Schlafzimmer, finden Sie im entsprechenden Sonderprospekt.
Die Tiere
Schon bei der Gründung von Ballenberg 2 (hundert Jahre nachdem unsere Vorgänger-Organisation Ballenberg 1 einem Einkaufszentrum Platz machen musste) war klar, dass im Freilichtmuseum nicht nur Gebäude aus längst vergangenen Tagen ihren Platz finden sollten, sondern auch all jene Tiere, die damals Ställe und Weiden* bevölkerten.
In einem langjährigen Projekt in Zusammenarbeit mit dem Institut für manipulative Genetik der Universität Zübasel ist es gelungen, mehrere Tierarten in einer Form rückzuzüchten, die ihrer aus alten Dokumenten überlieferten Gestalt sehr nahekommen dürfte. Bei uns können Sie zum Beispiel Kühe* bewundern, aus denen sogenannte Milch* fliesst (eine nahrhafte weisse Flüssigkeit, die in ihrer Zusammensetzung in etwa den vor allem bei Kindern beliebten Breakfastdrinks entspricht). Besonders Tapfere können sogar einen Schluck davon probieren.
Des Weiteren finden Sie in den Freigehegen Schafe*, auf denen Wolle* wächst, Hühner*, die Eier* legen, und seit kurzem auch Schweine*, deren Rückzüchtung aus Fasern der industriellen biochemischen Fleischproduktion einen weltweit beachteten wissenschaftlichen Triumph darstellt. Für Kinder besonders attraktiv sind die lebendigen Hasen, die bei uns nicht nur zu Ostern, sondern das ganze Jahr zu sehen sind. (Zu Streichelzwecken gibt es auch Roboterhasen mit bakterienresistentem und besonders flauschigem Fell.)
Zu den Fütterungszeiten (Sommer 11:00, 14:00, 17:00; Winter 11:00 und 15:00) können die Tiere beim Fressen beobachtet werden.
Die «Menschen»
Um unseren Besuchern einen realistischen Einblick in die historische Landwirtschaft zu ermöglichen, sind die einzelnen Ausstellungsobjekte mit Androiden in Bauernform ausgestattet. Diese sind so lebensecht gestaltet, dass sie sogar auf der Gründung einer eigenen Gewerkschaft bestanden haben.
Sie können diese «Menschen» bei den typisch bäuerlichen Tätigkeiten jener fernen Zeit beobachten:
Anfordern von Subventionsanträgen;
Durchblättern von Katalogen für neue Traktoren;
Ausfüllen von Subventionsanträgen;
Steuerung der Melkmaschine am Bildschirm;
Abschicken von Subventionsanträgen;
Bestellen von chemischen Unkrautbekämpfungsmitteln;
Entgegennehmen von Subventionen;
und viele andere.
Neben den Bauern sind noch zahlreiche weitere längst nicht mehr existierende Berufe in historisch exakt animierten Nachbildungen zu sehen: Eine Briefträgerin*, die Briefe* in Briefkästen* wirft, ein Handwerker, der defekte Geräte «repariert» – wenn sich die Wissenschaft auch nicht einig ist, worin diese ausgestorbene Tätigkeit im Einzelnen bestanden hat –, und sogar ein Hausarzt*, der Hausbesuche* macht.
(Achtung: Es ist verboten, die Androiden bei ihren Tätigkeiten zu behindern!)
Gastronomie
Der Aufenthalt in frischer Luft macht Hunger und Durst. (Und die Luft, die unter das Kunststoffdach des Freilichtmuseums gepumpt wird, könnte frischer nicht sein!) In Ballenberg 2 können Sie sich ganz nach Lust und Laune verpflegen – selbstverständlich immer im nostalgischen Stil der Vergangenheit.
Nur ein paar Beispiele:
Die Mackdonald-Stube bietet Ihnen original schweizerische Hamburger (Fleischimitationskugeln) in vielen gluschtigen Variationen: Mit Currysauce, mit Ketchup, mit Sambal Oelek und was sonst noch in den Töpfen unserer Urgrossmütter zu brutzeln pflegte. (Ein Hinweis: Durch die rein chemische Herstellungsweise sind unsere Hamburger auch für Vegetarier geeignet.)
Sie mögen lieber typische Ostschweizer Spezialitäten wie Frühlingsrollen oder Satay-Spiesse? Dann sind Sie im Wirtshaus zum fröhlichen Fasnachts-Chinesen genau richtig! (Auch für grössere Gruppen geeignet.)
Oder, wenn Sie sich etwas ganz Besonderes gönnen wollen: Speisen Sie im grossen Stil im ganz nach den historischen Plänen restaurierten Mövenpick, und bestellen Sie dort die althergebrachte Spezialität des Hauses: Gegrillte Möve. (Reservation empfohlen.) Wo immer Sie Ihre Vorlieben auch hinführen mögen – wir sind sicher, Ihr Aufenthalt im Freilichtmuseum Ballenberg 2 wird Ihnen unvergesslich bleiben!
ein Monolog
Schreien Sie nicht. Bitte schreien Sie nicht. Das ist ein Sturmgewehr 90. Das habe ich behalten dürfen, als ich aus der Armee entlassen wurde. Bis auf vierhundert Meter kann man jemanden treffen damit, und ich stehe direkt vor Ihnen.
So ist es besser, Frau Maillard. Und jetzt: umdrehen und hineingehen. Ganz langsam. Ich will nicht, dass Ihnen etwas passiert. Niemandem. Aber ich habe keine andere Wahl. Ich habe mein Leben lang gearbeitet. Immer pünktlich alle Rechnungen bezahlt. Fürs Alter gespart. Und jetzt … Dritte Säule, haben sie immer gesagt. Dritte Säule. Ich will nur haben, was mir zusteht.
Schön haben Sie es hier. Geschmackvoll. Ich sage immer zu meiner Frau: «Wenn man viel Geld hat, wird es nicht einfacher. Weil man viel mehr Auswahl hat.» Aber Sie haben es gut gemacht. Nicht so überrissen. Ist dort das Wohnzimmer? Oder sagen Sie Salon?
Setzen Sie sich hin. Nein, nicht auf den Stuhl. In den Sessel dort. Aus einem Sessel kann man nicht so schnell aufstehen. Und die Hände unter das … Auf die Hände setzen, bitte. Ja, so ist es gut. In der ersten Klasse hatten wir eine strenge Lehrerin, die Frau Arquint, wenn da einer etwas geneuselt hat statt aufzupassen, dann hiess es sofort: «Sitz auf deine Hände!» Es hat mir nicht geschadet. Sie hat uns Ordnung beigebracht, und das ist wichtig im Leben. Aber die Ordnung muss für alle gelten. Das ist doch so, Frau Maillard, oder etwa nicht? Für alle. Nicht nur für die einen, und die andern können machen, was sie wollen. Abgemacht ist abgemacht.
Von Ihnen will ich nichts. Gar nichts. Sie haben mit der Sache nichts zu tun. Sie sind nur die Frau. Aber Ihr Mann …
Ich weiss, dass er nicht zu Hause ist. In seine Bank ist er gefahren, der Herr Direktor. Den Lohn weiter beziehen, oder den Bonus, oder wie das bei den Bänklern heisst. Als ob sich nichts geändert hätte. Einfach losgefahren. Ich stehe schon seit halb sechs vor Ihrem Haus. Früh aufstehen macht mir nichts. Ich habe mein ganzes Leben krampfen müssen.
Sie werden ihn anrufen. Nein, noch nicht. Schön auf den Händen sitzen bleiben. Ich gebe Ihnen das Telefon dann schon hinüber. Zuerst müssen Sie wissen, was Sie ihm sagen sollen.
Dreiundvierzigtausendzweihundertelf Franken. Und noch ein paar Rappen, aber die vergessen wir. Ich bin kein Tüpflischiisser. Dreiundvierzigtausendzweihundertelf. Von meinem Konto. Eine Barabhebung. Er soll das Geld hierher bringen, in Hundertern oder in Tausendern, das ist mir egal, und ich unterschreibe ihm dafür. Alles ganz korrekt. Ordentlich. Ich will nur haben, was mir zusteht.
Die Kontonummer habe ich hier aufgeschrieben. Die IBAN und alles, was es braucht. Ich kann Ihnen auch meine Identitätskarte zeigen, aber ich meine, Sie glauben mir auch so, dass es mein eigenes Konto ist. Kevin Mühlethaler. Ein doofer Vorname, ich weiss, aber damals, als ich zur Welt kam, war das Mode. Nur schon in meiner Primarklasse hatten wir drei Kevins.
Ein komischer Räuber, der seinen Namen angibt? Sie irren sich, Frau Maillard. Ich bin kein Räuber. Ich bin ein Kunde. Ein alter, treuer Kunde. Ich hatte schon als Bub ein Sparbüchlein dort und habe nie gewechselt. Zu einer so grossen Bank kann man Vertrauen haben, habe ich gedacht. Dort ist dein Geld sicher. Das haben wir alle gedacht, und jetzt, von einem Tag auf den andern, soll das plötzlich nicht mehr gelten. Nur weil irgendwo in New York oder in London oder in Dubai ein paar geldgierige Arschlöcher …
Entschuldigen Sie. Ich wollte Sie nicht anschreien. Sie können nichts dafür. Nicht persönlich.
Trotzdem: Wenn Ihr Mann das Geld nicht bringt, werde ich Sie erschiessen. Sagen Sie ihm das. Ich bin ein guter Schütze. Habe beim Obligatorischen immer genügend Punkte gemacht. Nie einen einzigen Nuller. Nie.
Sie haben Recht, ich weiss nicht, ob ich es tun kann, wenn es drauf ankommt. Ich bin nicht sicher. Aber wollen wir es wirklich auf den Versuch ankommen lassen?
Eben.
Wir werden das regeln wie vernünftige Leute. Obwohl das blöd klingt, in unserer Situation. Sie mit den Händen unter dem Füdli und ich mit dem Sturmgewehr. Und doch. Wenn man in einer Situation ist, wo einem nichts anderes übrig bleibt, dann ist das, was man tun muss, auch das Vernünftige.
Gestern, da ging die Schlange vor der Bank vom Paradeplatz bis zum St. Annahof. Einer ist mit einem Leiterwägeli der Kolonne entlanggelaufen und hat Getränke verkauft. Geschäftemacher sind wie Hyänen. Wo es etwas zu profitieren gibt, riechen die das sofort. Aber man hat Durst gehabt, und da war es vielleicht sogar eine Dienstleistung. Eine Kolonne bis zum St. Annahof. Diszipliniert. Wenn einer dringend aufs WC musste, hat man ihm den Platz freigehalten. Ich weiss nicht, wie das in anderen Ländern gewesen wäre, aber wir sind hier in der Schweiz.
Bis die Leute dann plötzlich losgelaufen sind. Alle auf einmal, als ob jemand das Kommando gegeben hätte. Man hat nicht gewusst, was passiert ist, aber man ist mitgelaufen. Der Mensch ist so.
Auf dem Paradeplatz ein Riesengedränge. Ich habe die Schilder nicht selber gesehen, weil ich gar nicht bis zur Türe gekommen bin. Aber einer hat es dem andern gesagt, und am Abend im Fernsehen haben sie es ja dann auch gebracht. «Bis auf weiteres geschlossen.» Einfach so. Als ob sie nur Inventur machen müssten. Und wir wollten doch alle unser Geld haben. Unter der Matratze hätte man es aufbewahren müssen, das wäre gescheiter gewesen. Aber es hat doch niemand je daran gedacht, dass das Ersparte einmal einfach futsch sein könnte. Nur weil so ein paar Arschlöcher von geldgierigen Investmentbankern …
Sie müssen keine Angst haben. Ich bin ganz ruhig. Sie müssen wirklich keine Angst haben. Wenn Sie machen, was ich Ihnen sage.
Nein, ich will mich nicht hinsetzen. Diesen Overall ziehe ich sonst an, wenn es an meinem Auto etwas zu schrauben gibt, und der Lauf vom Sturmgewehr ist eingefettet. Ich will Ihnen keine Flecken machen. Wo Sie es doch wirklich schön haben hier.