Scriptor Praxis: Der Dialog als Schlüssel für guten Unterricht - Dr. Monika Wilkening - E-Book

Scriptor Praxis: Der Dialog als Schlüssel für guten Unterricht E-Book

Dr. Monika Wilkening

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Beschreibung

Wie gut lernen die Schüler/-innen bei mir? Die Antwort auf diese wichtige Frage gibt Anhaltspunkte für die Qualität Ihres Unterrichts. Dazu müssen Sie mit Ihren Schüler/-innen in direkten Austausch über den Lernprozess kommen und nicht ausschließlich anhand von Lernergebnissen urteilen. Das Buch hilft Ihnen, diesen Dialog zu führen. In Abgrenzung zu einseitigen Rückmeldungsmodellen erfahren Sie hier, wie Sie in der Klasse ein transparentes Miteinander schaffen - was sich wiederum positiv auf die Unterrichtsqualität auswirkt. Sie werden Ihren Unterricht gezielter planen, durchführen und nachbereiten können. Die Impulse basieren auf internationalen Forschungsergebnissen sowie konkreten Erfahrungen und stellen zahlreiche Bezüge zum Lernen in Pandemiezeiten her. Dokumente aus der Praxis der Autorin geben Einblicke in die Abläufe von Evaluationsverfahren, die so stattgefunden haben.

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Seitenzahl: 189

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Scriptor Praxis

Monika Wilkening

Der Dialog als Schlüssel für guten Unterricht

Lernhaltungen reflektieren, Lernprozesse evaluieren und gezielter unterrichten

Impressum

Projektleitung: Maren Krüger, Berlin Redaktion: Judith Krieg, Berlin Umschlagkonzept: Kerstin Zipfel, München Umschlaggestaltung und -grafik: LemmeDESIGN, Berlin Layout/Technische Umsetzung: LemmeDESIGN, Berlin

www.cornelsen.de

1. Auflage 2021

E-Book (ePUB) Version 1/2021

© 2021 Cornelsen Verlag GmbH, Berlin

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu §§ 60 a, 60 b UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung an Schulen oder in Unterrichts- und Lehrmedien (§ 60 b Abs. 3 UrhG) vervielfältigt, insbesondere kopiert oder ein­gescannt, verbreitet oder in ein Netzwerk eingestellt oder sonst öffentlich zugänglich gemacht oder wiedergegeben werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen.

E-Book ISBN 978-3-589-16843-9

Print ISBN 978-3-589-16811-8

Inhalt

Vorbemerkung: Dialog als Motor der Unterrichtsentwicklung

Vorwort

1 Einleitung: Der Dialog mit den Schülerinnen und Schülern als Herausforderung

2 Voraussetzungen für einen erfolgreichen Dialog im Unterricht

2.1 Lernmotivatoren: Lerntheorien

2.2 Festgefügtes Denken und entwicklungsoffene Einstellung

2.2.1 Neuerungen in der PISA-Studie 2018

2.2.2 Definitionen von Lernhaltungen

2.2.3 Methodische Tipps zur Entwicklung einer offenen Lernhaltung

2.3 Die Einstellungen der Lehrkräfte

2.4 Die Einstellungen der Schülerinnen und Schüler

2.5 Das Klassenklima

2.6 Effektiv wahrnehmen, verstehen und reagieren

2.7 Effektiv Fragen stellen

2.7.1 Fragen von Lehrkräften

2.7.2 Fragen von Lernenden

2.8 Qualität schaffen und Lerngespräche unterstützen durch Modelle, Beispiele, Übungen

2.9 Leistungsbesprechung als Chance zum Lernen

3 Lernprozesse im Dialog planen, anleiten, optimieren

3.1 Planung von Lernprozessen im Dialog

3.1.2 Transparente Qualitätskriterien

3.1.3 Allgemeine Standards und exemplarische Lernaufgaben

3.1.4 Aktionsforschungsstudie: Allgemeine Lernkontexte und exemplarische Lernaufgaben

3.1.5 Wo stehen die Schüler/-innen beim Lernen?

3.2 Durchführung von Lernprozessen im Dialog

3.2.1 Grundlagen eines effektiven Dialogs

3.2.2 Ineffektive Gespräche vermeiden

3.3 Rückmelden von Lernprozessen im Dialog

3.3.1 Feedbackdialoge – Lernforschung und Rolle im Lernprozess

3.3.2 Feedback – Definitionen

3.3.3 Wünsche von Lernenden und Ansichten von Lehrenden

3.3.4 Lehrende formulieren Feedback

3.3.5 Neuere Entwicklungen beim Thema Feedback: Inhalte, Anwendungen, Durchführungsformen

3.3.6 Mitlernende werden zu Lernressourcen (Partnerfeedback)

3.3.7 Sprachliche Impulse für Feedbackdialoge

3.3.8 Feedbackdialoge in Schreibkonferenzen

3.3.9 Schüler/-innen übernehmen Verantwortung für ihr Lernen (Selbstfeedback)

4 Fazit und Ausblick

Zusatzmaterial

Anmerkungen

Fußnoten

Literatur

Webliographie

Vorbemerkung: Dialog als Motor der Unterrichtsentwicklung

Von Prof. Dr. Wolfgang Beywl

MonikaWilkening zählt zu den wenigen langjährig tätigen Aktionsforschenden, die regelmäßig über ihre Forschungs- und Unterrichtspraxis publizieren. Dabei arbeitet sie zum einen die aktuelle wissenschaftliche Literatur zur Lehr-Lernforschung auf. Deren Darstellung richtet sich danach, was für die professionelle Lehrtätigkeit wichtig ist. Zum anderen demonstriert sie, wie sie wissenschaftliche Befunde in ihrer Unterrichtspraxis fruchtbar macht. In dieser Kombination liegt das Besondere auch dieser Publikation der Autorin.

Es geht ihr darum, den Unterricht dialogisch zu gestalten. Was sie den Lehrkräften für deren Unterricht empfiehlt, dies praktiziert sie auch mit ihrem Buch: Sie zeigt, wie sie die eigene Lehrpraxis zum Untersuchungsgegenstand macht und berichtet über diese Praxisforschung. Die zahlreichen Praxisbeispiele basieren auf Protokollnotizen, Umfragen in der Klasse, ausgewerteten Produkten der Schülerinnen und Schüler. Reflexion und Entwicklung sind somit doppelt abgestützt: auf die Evidenz der Erziehungswissenschaften und auf die selbst erzeugte Empirie. Die Anregungen und die vorgestellten Methoden sind nachvollziehbar hergeleitet und können durch kritische Leserinnen und Leser hinterfragt werden.

Die engagierte Lehrerin sieht es als große Herausforderung, dass es allzu viele Lernende gibt, die sich selbst überschätzen. Gleichzeitig scheuten diese das Risiko, dass ihr Unwissen aufgedeckt wird. Sie befürchteten, dass ihre Kompetenzen nicht ausreichen, herausfordernde Aufgaben zu bearbeiten. Ihre Lernzuwächse blieben daher hinter dem Wünschbaren zurück. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, setzt die Autorin konsequent auf förderndes Lernfeedback – sowohl der Lehrkraft an die Schülerinnen und Schüler als auch als Peer-Feedback zwischen ihnen. Sie betont, dass hierfür eine eindeutig formative Unterrichtskultur erforderlich ist, die das Lernen beständig und zugewandt fördert. Wenn es der Lehrkraft gelingt, diese Grundhaltung des „formativen Assessments“ einzunehmen, könne die unterrichtliche Mitsteuerung und -verantwortung durch Lernende aufgebaut und gesteigert werden. Hierfür sollten diese zu kritischen und konstruktiven Rückmeldungen zum Unterricht eingeladen werden – die dann auch nachvollziehbar in die Unterrichtsentwicklung einfließen.

Ermöglicht wird diese gemeinsame Verantwortung für den Unterricht durch den Dialog, das folgenreiche Gespräch über den Unterricht. Bei aller Differenz des Wissens und Könnens zwischen Lehrenden und Lernenden ist dafür gegenseitige Wahrnehmung und Respekt, also Augenhöhe erforderlich.

Dialog meint auch, das lebenslange Lernen als professionelle pädagogische Fachkraft im Austausch mit der Forschung, der Fachcommunity, den Schülerinnen und Schülern sowie als eigene pädagogische Reflexion zu gestalten.

Monika Wilkenings Buch bietet wissenschaftlich begründete Orientierungen und vielfältige Tipps für die Praxis. Es ist zu wünschen, dass es bei zahlreichen Lehrkräften das Bewusstsein dafür stärkt, wie zentral eine entwicklungsorientierte Geisteshaltung bei allen am Unterricht Beteiligten ist. Für eine solche offene Lernhaltung liefert MonikaWilkening mit ihrem Buch ein authentisches Modell.

Vorwort

Besser lernen durch Dialog? Brauchen wir dazu noch ein Buch, liebe Kolleginnen und Kollegen? Wir geben doch tagtäglich unser Bestes: Wir sind engagiert und offen für Neuerungen, meistern die Hürden des Alltags. Und nebenbei bilden wir uns fort: Mit den Neuerungen und Ergebnissen der PISA-Studie aus dem Jahr 2018 beschäftigen wir uns dabei ebenso wie mit den Anforderungen an globales Lernen. Und natürlich sprechen wir miteinander.

Wir können von Praxisratgebern rund um „guten Unterricht“, etwa zu Gesprächen, profitieren: Wir führen Unterrichtsgespräche, Rückmeldegespräche, Lernentwicklungsgespräche, Lerndialoge etc.

Warum ist es dennoch so schwer, gute Gespräche zwischen uns und unseren Schüler/-innen und den Schüler/-innen untereinander anzuleiten, Gespräche, in denen das Lernen thematisiert wird, um es ggf. effektiver zu gestalten? Schließlich möchten wir bei unseren Lernenden die Grundlagen für lebenslanges Lernen schaffen.

Häufig stehen wir vor dem Problem, dass unsere Lernenden sich kaum für einen tiefer gehenden Dialog öffnen. Liegt es möglicherweise daran, dass sie Fragen, Aufgaben oder Inhalte nicht immer verstehen? Und verstehen sie die Kompetenzen und Erfolgskriterien, über die sie am Ende verfügen sollen? Üben und wiederholen sie in der Interaktion miteinander? Fehlen ihnen womöglich Gesprächskompetenzen? Können sie gewinnbringend zuhören und wahrnehmen, auf Fragen eingehen und Fragen stellen, Lernbedürfnisse formulieren? Ist das Klima in der Klasse lernfördernd? Sind die Lernenden bereit, Feedback aufzunehmen und zu geben? Profitieren sie vom Feedback? Liegen die Schwierigkeiten bei der Umsetzung eines guten Dialogs vielleicht an grundlegenden Voraussetzungen, den Einstellungen zum Lernen und den Lernmotivatoren, an festgefügten Lernhaltungen (fixed mindset), die zu selten in entwicklungsoffenere Einstellungen (growth mindset) umgewandelt werden? Sind die Lernenden überhaupt an ihrem Lernprozess, ihrer Lernerfahrung interessiert, an der ja vieles optimiert werden kann, oder nur an der „Endnote“?

Viele der hier aufgeworfenen Fragen beschäftigen sicherlich auch Sie in Ihrem Schulalltag. Deshalb beleuchte ich den Dialog mit den Schüler/-innen in diesem Buch in seinen verschiedenen Facetten, denn das Lernen, hier Lernen durch guten Dialog, liegt uns als motivierten Lehrkräften allen am Herzen. Ebendieser gute Dialog ist auch das Herzstück der Möglichkeit, mit unseren Schüler/-innen während und nach der Pandemie gemeinsam Lernerfahrungen zu verarbeiten und daran zu wachsen.

Auch ich lerne täglich von meinen Schülerinnen und Schülern. Persönliche Motivation und Berufsethos haben dazu geführt, dass ich mich schon seit langem in der Fachdidaktik meiner beiden Fächer, den modernen Fremdsprachen, engagiere; die Aktionsforschung meines eigenen Unterrichts mit Befragungen zu unterschiedlichen Themen beziehe ich dabei ein. In den letzten Jahren habe ich mich intensiv mit Rückmeldeprozessen beschäftigt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die uns allen bekannten traditionellen Formen von einseitigen Rückmeldungen nicht auf effektive Weise zum Weiterlernen beitragen. Aus diesem Mangel heraus hat mich die neuere Forschung zu dialogischem Feedback fasziniert.

Im englischsprachigen Raum wurde in den letzten Jahrzehnten hierzu schon vieles erfolgreich erprobt. Ich möchte – neben den anderen oben genannten Themen – einige Erkenntnisse und Erfahrungen mit Ihnen teilen, die ich selbst für meine Praxis hilfreich finde und die für alle Schulformen, Fächer und Klassenstufen anpassbar oder auch sofort anwendbar sind: Ideen und Impulse für gute Feedbackgespräche der Lehrkraft mit Lernenden, für gutes Partnerfeedback und gutes Selbstfeedback, die die Verantwortung für das eigene Lernen stärken.

Da mich die Einstellung der Schüler/-innen zum Lernen so manches Mal nachdenklich stimmt und sie gute Gespräche beim und über das Lernen behindern kann, habe ich mich mit der grundlegenden Literatur zu Lern­einstellungen (fixed mindset / open mindset) befasst, in der umfangreiche Vorschläge zur praktischen Umsetzung gemacht werden. Diese – im Allgemeinen interaktiv konzipierten – Vorschläge habe ich für unsere Schulen angepasst und möchte sie mit Ihnen teilen.

Ich lade Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein, sich mit mir auf eine spannende Reise zu begeben, auf der wir über effektive Gespräche während des Lernens sowie über das Lernen gemeinsam nachdenken. Natürlich gibt es dabei keine „fertigen Rezepte“. Das Ende ist offen, denn der Weg ist das Ziel. Aber es gibt eine gute Nachricht: Wir können diese Gespräche positiv beeinflussen. Bemühen wir uns also darum, gemeinsam mit allen am Lernprozess Beteiligten gute Voraussetzungen dafür zu schaffen. Wir können mit unseren Lernenden Gespräche planen, diese durchführen und auswerten, sodass alle ihr Handwerkszeug für lebenslanges Lernen einüben. Der neuseeländische Bildungsforscher JohnHattie gibt uns dazu folgendes Motto mit auf den Weg: „Know Thy Impact!“ (Kenne deinen Einfluss, siehe Hattie 2014, VII.)

1 Einleitung: Der Dialog mit den Schülerinnen und Schülern als Herausforderung

Seit der ersten PISA-Studie 2000 wurden verstärkt Verfahren zur Qualitätssicherung entwickelt. Die ab 2002 formulierten Bildungsstandards orientieren sich an Kompetenzen, die festlegen, über welche fachlichen und überfachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten die Lernenden zu bestimmten Zeitpunkten verfügen sollen. Über Inhalte hinaus werden methodische Strategien zum Erwerb und zur Anwendung des Wissens wichtig; Lernende üben auch personale und soziale Dispositionen, Einstellungen und Haltungen ein. Alle Kompetenzen helfen dabei, aktuelle Anforderungssituationen zu bewältigen, und fördern gleichzeitig die lebenslange Fähigkeit und Motivation, sich neuen Situationen auszusetzen und dadurch zu lernen.

Die dafür nötige „umfassende Persönlichkeitsbildung“ erhält in der PISA-Studie aus dem Jahr 2018 erstmals einen hohen Stellenwert. Auch das Thema „Wohlbefinden“ wurde in der Studie 2018 wesentlich auf Jugendliche und junge Erwachsene bezogen. Neu ist ebenfalls die Domäne „globale Kompetenz“: Dabei sind „Kommunikation und Teamfähigkeit“ soziale Kompetenzen, „Offenheit und Flexibilität“ und „emotionale Stärke und Selbstregulierung“ wiederum personale Kompetenzen. Diese drei von vier globalen Dimensionen liegen effektiven Gesprächen zugrunde.

Überfachliche Kompetenzen, insbesondere personale Kompetenzen, sind schwer zu fördern. Die Schule kann den Lernenden lediglich Gelegenheit bieten, eigenverantwortliches Handeln aktiv selbst zu regulieren und eigene Potenziale weiterzuentwickeln.Dafür ist es notwendig, mit den Lernenden entsprechende Verfahren einzuüben, durch die sie ihre Lernprozesse selbst steuern und reflektieren können. Ein zentrales Verfahren sind gute Gespräche beim und über das Lernen. Beide Ebenen sind Themen dieses Buches und eng miteinander verwoben.

Viele Lernende meinen, die Unterrichtsgespräche seien bereits gut.

Aus der Praxis: Betrachten wir die Analyse meiner Umfrageergebnisse dazu.1 Die Schüler/-innen sind keinesfalls der Ansicht, dass im Unterricht zu wenige Gespräche stattfinden (Schulnote 4,5), aber sie nehmen nur mittelmäßig gern selbst an diesen teil (Schulnote 2,37) und haben Schwierigkeiten auszudrücken, was sie möchten (Schulnote 2,5) bzw. ihre Lernbedürfnisse zu formulieren (Schulnote 2,75).

Es gilt also einerseits, die Gründe für diese Zurückhaltung herauszufinden sowie die persönlichen und sozialen Gesprächskompetenzen der Lernenden zu fördern. Andererseits sollten methodische Strategien angeboten werden (Instrumente und Aktivitäten), die gezielter zur aktiven Teilnahme und Gestaltung der Gespräche motivieren.

Von diesen allgemeinen Fragen ausgehend möchten wir herausfinden, ob die Gespräche im Unterricht wirklich Lernprozesse anstoßen. Und warum erscheint es so schwer, solche Gespräche zwischen Lehrenden und Lernenden und zwischen den Schüler/-innen untereinander umzusetzen?

Hier werden Inhalte und Verfahren eng miteinander verknüpft: Warum ist das Hauptanliegen von Schule, das Lernen, so selten Thema, warum geht es so selten um das Wie? Der neuseeländische Bildungsforscher Hattie kritisiert: „Weder die Lehrpersonen noch die Lernenden [reden] über das Lernen, obwohl die Unterrichtsaktivität eigentlich Lernen produzieren sollte.“2

Unsere Lernenden denken bereits über Schule und Unterricht nach. Doch bedeutet dies, dass der effektive Kompetenzerwerb anhand von Inhalten im Zentrum ihrer Gedanken und Bestrebungen steht? Wohl kaum, orientieren sie sich doch aufgrund ihrer Sozialisierung eher an Leistung und Bewertung.

Zum Ersten ist es verständlich, dass sich die Eltern um die Zukunft ihrer Kinder sorgen und die Qualität der Ausbildung anhand der Notengebung beurteilen. Schließlich sollen die Kinder später gute Chancen haben. Mit dieser Prägung betreten die Lernenden dann die Schule. Es ist daher kein Wunder, dass sich viele von ihnen eher auf das durch Noten ausgewiesene, erfolgreiche Ergebnis konzentrieren und weniger Aufmerksamkeit auf das Lernen selbst und das Nachdenken über Lernprozesse richten. Dies führt dazu, dass viele gute Schüler/-innen nach Lob und Erfolg streben, während Schwächere eher an Selbstvertrauen verlieren und unter steigenden psychischen Belastungen leiden. Earl spricht davon, dass wir uns bemühen sollten, die Sozialisation unserer Schüler/-innen „umzukehren“3, indem wir „das Lernen“ thematisieren.

Zum Zweiten ist Lernen kognitiv anspruchsvoll und anstrengend. Sind die Lernenden hierzu bereit? Verfügen sie über ausreichend soziale und methodische Kompetenzen, um sich mit anderen gewinnbringend über ihre Lernprozesse auszutauschen? – Und drittens: Haben sie die persönliche Stärke, sich mit Rückmeldungen zu ihrem eigenen Lernen offen und ehrlich auseinanderzusetzen, sei es im Selbstfeedback, im Dialog mit Lehrenden oder im Dialog mit Mitlernenden? Es könnte nämlich auch manchmal schmerzhaft werden … Aus diesem Grunde beginnt dieses Buch mit zen­tralen Kapiteln zu den Voraussetzungen eines erfolgreichen Dialogs: den Lernhaltungen und -einstellungen.

Auch für uns Lehrende ist dies eine große Herausforderung: Wir motivieren immer wieder zum Dialog im Unterricht und zum metakognitiven Dialog, die beide das „Lernen“ zum Thema haben. Wir leiten die Lernenden an, das große Angebot an Feedbackinstrumenten gewinnbringend zu nutzen, und wir lernen alle aus Feedback. Aufgrund unserer professionellen Überzeugung und Verpflichtung gibt es nur diese eine Richtung, in die wir gemeinsam mit unseren Lernenden gehen können.

Wir bemühen uns, mit unseren Lernenden einen effektiven Dialog zu üben; deshalb benötigen wir Impulse und Beispiele. Aus der Praxis für die Praxis werden im vorliegenden Band verschiedene Verfahren beleuchtet, mit denen wir guten Dialog in unserem Unterricht noch weiter verbessern können. Wenn dies gelingt, kann dadurch auch das Lernen verbessert werden.

Backwash-Effekte, das heißt der Einfluss, welchen ein künftiges Ergebnis auf den Prozess hat, können den Dialog unterstützen. Jedes verbal oder nonverbal begleitete Handeln eines Menschen im täglichen Leben hat in Bezug auf seine Umgebung einen Backwash-Effekt zur Folge. So schätzen etwa Lernende eine Handlung oder ein Thema als wichtig ein, wenn die Lehrkraft Zeit und Aufmerksamkeit darauf verwendet.4

Aus der Praxis: zunächst einige Negativbeispiele:

Eine Referendarin verteilt Süßigkeiten an diejenigen, die sich beteiligen. Die Mitarbeit ist gut. Als sie eines Tages keine Süßigkeiten dabei hat, macht niemand mehr mit …

Ein Lehrer lässt die Seiten aus dem Lehrbuch auswendig lernen und vergibt für das richtige Aufsagen gute mündliche Noten. Alle bemühen sich, den Wortlaut korrekt zu lernen. In der folgenden Klassenarbeit jedoch können die Lernenden die inhaltlichen Fragen gar nicht beantworten …

Ein Lehrer beschäftigt sich anderweitig, während seine Lernenden Aufgaben bearbeiten. Sie schließen daraus, dass diese nicht wichtig sind.5

In diesen Extrembeispielen werden den Lernenden „falsche“ Signale gegeben, die mit Lernen nichts zu tun haben.

Aber auch Lernen und Nachdenken über Lernprozesse kann misslingen, selbst wenn man Zeit dafür einräumt.

Zunächst ein Beispiel zum Online-Lernen in Pandemiezeiten: Zusätzlich zu den Aufgaben und Arbeitsmaterialien, die ich meinen Abiturientinnen und Abiturienten wöchentlich für ihre letzten Vorbereitungen schicke, bitte ich sie, einen Text von 100 (!) Wörtern zu schreiben und mir zurückzusenden. Die Hälfte der Lernenden leistet dem Folge. (Hintergrund: Das Kultusministerium hat verfügt, dass die „Hausaufgaben“ nicht notenrelevant sind.) – Interessieren sich zumindest diese wenigen Schüler/-innen für meine unterstützenden Hinweise?

Weitere Beispiele aus der Praxis: Nachdenken über Lernen: Lernende sollen sich selbst einschätzen. Der Katalog mit Erfolgskriterien aus der Lerneinheit liegt ihnen vor. Sie kreuzen an allen Stellen „sehr gut verstanden“ an.

Beim Partnerfeedback erhält ein sehr beliebter Mitschüler auf seine nach den allseits bekannten Kriterien sehr schlechte Präsentation überwiegend 14 und 15 Punkte …

Wir sehen: Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Feedback und Backwash-Effekt. Letzterer muss von uns daher in allen Phasen der Planung, Durchführung und Rückmeldung intensiv gelenkt werden. Auf diese Weise können gute Gespräche beim und über das Lernen stattfinden, und zwar zwischen allen Beteiligten: Lehrkraft – Lernende, Lernende – Mitlernende, Lernende „mit sich selbst“, Metareflexionen. Dadurch können wir das individuelle Lernen so verbessern, dass Lernende positive Erfahrungen damit machen. Ein Motivationsschub beflügelt sie, sich bereitwillig auf die nächste Lern- und Reflexionsrunde einzulassen.

Dieses Lernen ist Teil eines Prozesses und wird auch in der Reflexion prozessorientiert gesehen: Es geht um die Effektivität aller Aktivitäten, die zum Etappenziel (zur jeweiligen Lernaufgabe) hinleiten. Im Gegensatz zur summativen Haltung, die sich auf die Benotung am Ende des jeweiligen Lernprozesses konzentriert, nennt Wiliam diese Lehrhaltungen „formative assessment“ oder „assessment for learning“.6 Dabei bedeutet „assessment“ nicht unbedingt „Leistung“, sondern „Einschätzung, Auswertung u. v. m.“.

Den Unterschied zwischen der formativen und der summativen Haltung kann man sich durch Bilder vor Augen führen: „Formativ“ bedeutet, das Lernen, d. h. den gesamten (lebenden) Prozess, im Spiegel anzuschauen; dieses Lernen kann man optimieren, insofern ist es zukunftsorientiert. Nimmt man eine summative Haltung ein, so macht man sich ein Bild vom Lernergebnis; da dieses nicht mehr optimiert werden kann, orientiert sich eine solche Haltung an der Vergangenheit.

Häufig wird „assessment for learning“ falsch verstanden. Wiliam erklärt: „Afl is about better teaching.“ 7 Es geht also um die gesamte Lehrhaltung, um ein Lehr-Lernkonzept. Aus diesem Grunde betrachtet dieses Buch nicht „nur“ gute Gespräche im Unterricht im engeren Sinne (Teil 3), sondern setzt mit den Voraussetzungen einen Schritt früher an, denn dadurch kann erst ein umfassendes Lehr-Lernkonzept entstehen. (Teil 2).

Und selbst wenn das Programm Ihrer Schule / Ihres Bundeslandes sehr auf summatives Arbeiten abzielt, können Sie dennoch Voraussetzungen für „gute Gespräche“ schaffen und in Ihrem Unterricht formative Techniken anwenden.8 Interaktive Formen sind dafür besonders geeignet.

Die theoretischen Überlegungen zu „gutem Unterricht“ von Meyer 2004, Helmke 2005 und Hattie 2009 (der sich nicht in einem Kriterienkatalog dazu äußert) beziehen sich ebenfalls in allen Aspekten auf Gespräche beim und über das Lernen. Die wesentlichen Punkte werden hier zusammengestellt. Auch für Gespräche ist erforderlich, dass Lernende ihr Lernen aktiv und selbstständig steuern können (Helmke) und an ihrem Lernprozess partizipieren dürfen (Hattie).

Dies können Lehrende durch folgende Verfahrensweisen besonders gut erreichen:

Freude und Mut zur Innovation und „Anstecken“ der Lernenden (Hattie)Gestaltung eines lernförderlichen Klimas (Helmke, Meyer); Stärkung einer guten Beziehung zwischen Lehrkraft und Lernenden, unter anderem durch gegenseitiges Zuhören (Hattie)effiziente Nutzung der Lernzeit (Helmke, Meyer), Klassenführung (Helmke), Vorbereitung der Lernumgebung (Meyer)bewusste Steuerung der Strukturiertheit, Klarheit, Verständlichkeit (Hattie, Helmke, Meyer)Schülerorientierung, Motivation, Vielfältigkeit (Helmke); „mit den Augen der Lernenden gestalten“ (Hattie)Abwechslungsreichtum der Methoden (Helmke, Meyer) und Sozialformen (Helmke)individuelle Förderung (Helmke, Meyer)transparente Leistungserwartungen (Helmke), die ziel-, wirkungs- und kompetenzorientiert sind (Helmke) und ständig Lernstände erheben (Hattie)Üungen, Wiederholungen, Sicherungen (Hattie, Helmke, Meyer); auch Lernen anhand sozialer Beispiele (Hattie)Feedback an und von der Lehrkraft, an „sich selbst“, an Mitlernende; Metakognition (Hattie)

Daraus entwickelt sich sinnstiftende Kommunikation im Unterricht (Meyer).

Hattie zeichnet einen ganzen „Weg guten Lernens“ 9 auf, den die Lehrkraft gestalten soll. Er bezieht auch viele nicht-kognitive Faktoren ein.

Das Gegenstück guten Unterrichts (und damit auch guter Gespräche) haben Studierende meines Hauptseminars Fachdidaktik Englisch zusammengestellt und im Plenum erörtert. Die folgende Abbildung fasst die Ergebnisse zusammen.

Abb. 1

An den Aussagen von Lernexperten, die ich hier exemplarisch vorgestellt habe, zeigt sich deutlich, dass Lernen auch maßgeblich von nicht-kognitiven Faktoren abhängt. PISA 2018 wiederum hat den Lernenden viele Fragen hierzu gestellt. Die von diesen Fragen angesprochenen Lerneinstellungen und -überzeugungen, Leistungsziele undMotivatoren10 liegen auch Gesprächen beim und über das Lernen zugrunde; deshalb werden sie – unter Hinzuziehung relevanter Lerntheorien – im nächsten Kapitel ebenfalls angesprochen.

2 Voraussetzungen für einen erfolgreichen Dialog im Unterricht

2.1 Lernmotivatoren: Lerntheorien

IHRE ERFAHRUNGEN SIND WICHTIG

Welche Elemente können die Lernmotivation steigern?

Welche Hindernisse für die Lernmotivation sehen Sie?

Hopkins11 stellt Motivation als Kernelement erfolgreichen Lernens dar: als den Wunsch, etwas zu leisten, als Liebe zum Lernen, als Freude an der Herausforderung und als Fähigkeit, Hindernisse anzugehen. Welche Erklärungen zum Verständnis von Lernmotivation liefern uns wesentliche Lerntheorien?

Piaget und auch die Theorien dynamischer Systeme gehen von der angeborenen Motivation des Kindes aus, seine Umgebung zu erforschen. Wahrnehmung, Handeln, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Sprache und soziale Einflüsse bringen Handlungen hervor.12 Dies bedeutet, dass Motivation durch geeignete Steuerung dieser Faktoren aufrechterhalten werden kann.

Auch Hattie kommt zu einem ähnlichen Schluss. Er orientiert sich an den Thesen des kognitivistischen US-amerikanischen Lernpsychologen Willingham zu Lernen und Lernmotivation13: Seine Überlegungen bieten eine Vorschau auf wichtige Themen dieses Buches.

Laut Hattie reagieren Schülerinnen und Schüler auf ein von der Lehrkraft gut vorbereitetes Unterrichtsangebot häufig gleichgültig, da sie das Lernen als mühsam, als nicht angenehm betrachten und ihnen die Anstrengung als Verschwendung von Ressourcen erscheint. Eine solche Anstrengung müsste mit ihrer persönlichen Motivation, mit ehrgeizigen Zielen und dem Vertrauen auf den persönlichen Erfolg (s. u. Selbstwirksamkeit) vereinbar sein. Außerdem bringt Denken viel Unsicherheit mit sich, gute Ergebnisse sind nicht garantiert, Erwartungen können nicht erfüllt werden, Versagensängste kommen auf. Deshalb sind Lernende laut Hattie häufig risikoscheu und wollen Bestehendes – selbst wenn dieses zu wünschen übriglässt – nicht infrage stellen. Viele von ihnen leiden seiner Ansicht nach an Selbstüberschätzung beim Lernen und unterschätzen den notwendigen Zeit- und Übungsaufwand sowie die eigene Arbeitsdisziplin und Entschlossenheit („emotionale Verantwortung“). Darüber hinaus haben viele von ihnen Schwierigkeiten damit, Wissen und Erfahrungen so zu speichern, dass diese abrufbar sind. Die natürliche Neugierde der Lernenden beschränkt sich häufig auf Schließung von „sicheren“ Wissenslücken; es besteht keine Motivation, etwas zu lernen, über das man nur wenig weiß; dies stellt eine zu hohe „kognitive Belastung“ dar, die jede natürliche Neugierde erstickt.

Laut Hattie gibt es auch den positiven Gegenpol: Wenn Lernende beim Lernen eine Herausforderung entdecken und auch über die Mittel verfügen, diese zu meistern, dann ist Neugierde lohnenswert und sie bemühen sich, darauf aufzubauen (Lernmöglichkeiten vergrößern).

Hier schließt Bandura mit seiner Theorie der Selbstwirksamkeitserwartung an: Menschen sind gemeinhin überzeugt davon, dass sie die Fähigkeit haben, sich auf eine Weise zu verhalten, die Erfolge erzielt. Sie sind daher in der Lage, Erwartungen persönlicher Wirksamkeit zu schaffen und zu verstärken und somit ihre Lernanstrengungen zu regulieren. Lernende mit hoher Selbstwirksamkeitserwartung betrachten schwierige Aufgaben als Herausforderung und erhöhen ihre Anstrengungen bei Fehlschlägen.14 Lernende mit geringer Selbstwirksamkeitserwartung hingegen betrachten allzu herausfordernde Aufgaben als persönliche Bedrohung und haben eine geringere Ambition und Motivation, diese zu meistern. Demzufolge belasten Fehlschläge sie schwer. Des Weiteren betont auch Bandura, dass das Lernen vor allem sozialer Natur ist und auf der Beobachtung anderer Menschen fußt. So kann Feedback von Experten die Selbstwirksamkeitserwartung steigern.15

Dweck fasst diese Gedanken in ihrer Theorie der sozialen Kognition von 200616