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Die Bonusstory zu Cora Carmacks New Adult-Roman "Finding It - Alles ist leichter mit dir"! Jackson Hunt leidet noch immer unter den Narben, die sein Einsatz als Soldat in Afghanistan auf seiner Seele hinterlassen hat. Da scheint ein neuer Job eine willkommene Abwechslung zu sein - denkt er! Denn den Babysitter (oder wie es in der Stellenbeschreibung heißt: Bodyguard) für die verwöhnte Tochter eines reichen Geschäftsmannes zu spielen ist alles andere als leicht. Doch schnell stellt sich heraus, dass Kelsey Summers ihre ganz eigenen Dämonen hat, gegen die sie kämpft. Dämonen, die Jackson vielleicht für sie besiegen kann ...
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Seitenzahl: 170
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
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11
12
Danksagung
Die Autorin
Cora Carmack bei LYX
Impressum
CORA CARMACK
Ins Deutsche übertragen
von Sonja Häußler
Zu diesem Buch
Jackson Hunt leidet noch immer unter den Narben, die sein Einsatz als Soldat in Afghanistan auf seiner Seele hinterlassen hat. Da scheint ein neuer Job eine willkommene Abwechslung zu sein – denkt er! Denn den Babysitter (oder wie es in der Stellenbeschreibung heißt: Bodyguard) für die verwöhnte Tochter eines reichen Geschäftsmannes zu spielen ist alles andere als leicht. Doch schnell stellt sich heraus, dass Kelsey Summers ihre ganz eigenen Dämonen hat, gegen die sie kämpft. Dämonen, die Jackson vielleicht für sie besiegen kann …
Für meine Eltern, die mir nicht nur beigebracht haben zu träumen, sondern auch in großen Dimensionen zu träumen.
Und für Patrick und Shelly – eure Hilfe erlaubt es mir, weiterhin zu träumen.
Ich hatte glühend heiße Tage und bitterkalte Nächte in der Wüste verbracht. Ich war angeschossen, beinahe in die Luft gesprengt und von Granatsplittern wie mit Wasser bespritzt worden. Jetzt war ich ein besserer Babysitter.
Das Universum hat einen seltsamen Sinn für Humor.
Die hübsche Blondine stand im Flugzeug ein Dutzend Reihen vor mir, ihr naturgetreues Abbild drohte ein Loch in meine Hosentasche zu brennen. Sie hatte einen riesigen Reiserucksack dabei, ähnlich dem Rucksack, den ich bei den Marines gehabt hatte, und versuchte gerade, ihn in die Gepäckablage über den Sitzen zu zwängen, während ich ausgiebig ihren Körper betrachtete. Ihr ausgeleiertes T-Shirt rutschte nach oben und enthüllte eine schmale, gebräunte Taille. Ich senkte den Blick, der dann jedoch an Hüften hängen blieb, die nur von einer kurz abgeschnittenen Jeans bedeckt waren. Darunter ragten lange, ebenso gebräunte Beine hervor. Ich schaute weg.
Eine Sekunde lang.
Was soll’s. Ich wurde dafür bezahlt, sie zu beobachten. Meiner Ansicht nach beinhaltete das die Genehmigung zu gaffen. Außerdem – wenn ich ihr durch einen ganzen Kontinent folgen würde, müsste ich ja in der Lage sein, sie auch mit einem flüchtigen Blick wiederzuerkennen.
Was mich betraf, reichte das als Entschuldigung aus.
Ihre Klamotten sahen aus, als kämen sie vom Trödelmarkt, aber irgendwie sah das gut an ihr aus. Sie wirkte auf mühelose Art schön und hatte eine Ausstrahlung, bei der man einfach zweimal hinschauen musste. Aber da ich ihren Vater kannte und die Welt, aus der sie stammte, war ich mir sicher, dass dieser Look nicht nur beabsichtigt, sondern auch teuer war.
Sie hatte irgendeine der typischen Mädchen-Illustrierten unter den Arm geklemmt und ein Getränk von Starbucks in der Hand, als sie sich setzte. Dann konnte ich sie nicht mehr sehen.
Ich seufzte und war jetzt schon ganz kribbelig, obwohl wir noch gar nicht in der Luft waren. Meine Knie waren unbequem gegen den Sitz vor mir gepresst. Der alte Mann neben mir hatte bereits die Armlehne in Beschlag genommen, und ich stützte mich deshalb auf die andere Seite und ließ den Kopf gegen die Rückenlehne sinken.
Ich langweilte mich, und Langeweile und ich passten nicht gut zusammen. Ich brauchte Action, Adrenalin, Aufregung. Aber ich wusste, dass ich für eine Weile wohl in muffigen Museen, Touristenfallen und biederen, kleinen europäischen Cafés feststecken würde.
Die Info, die ihr Dad mir gegeben hatte, besagte, dass sie gerade einen Bachelor-Abschluss in Bildender Kunst gemacht hatte. Deshalb hatte ich eigentlich damit gerechnet, dass sie sich für Paris oder London entscheiden würde – irgendeine Stadt, die für ihre Künste bekannt war.
Vielleicht war Kiew ja möchtegern-künstlerisch.
Ich wusste so wenig über diese Stadt, wie ich über sie wusste.
Kelsey Ann Summers. Zweiundzwanzig Jahre alt.
Frischgebackene College-Absolventin.
Bereist Europa. Auf unbestimmte Zeit.
Was bedeutete, dass ich ihr auf unbestimmte Zeit folgen würde. Im Großen und Ganzen war es ein ziemlich großartiger Auftrag. Bestimmt besser als dieser Job als Landschaftsgärtner, wo man mich dann gefeuert hatte. Und eindeutig besser als dieser Bürojob, bei dem ich zwei Wochen Zeit verplempert hatte. Langweilig oder nicht – ich war unterwegs. Warum auch immer – ich hielt es momentan nicht aus, lange an ein und demselben Ort zu bleiben. Mein Vater hatte diesen »Job« für mich ausgehandelt. Er war es leid, mich finanziell zu unterstützen, und ich war es verdammt leid, auf ihn angewiesen zu sein.
Und so war ich der Stalker dieser braven Vorzeigetochter geworden. Und dann würde ich den Mist auch noch auf meinem Lebenslauf eintragen können. Das Geld konnte natürlich auch nicht schaden.
Ich würde einfach zuschauen, wie sie ihren Mädchenkram machte. Ich würde nach Taschendieben Ausschau halten und dafür sorgen, dass sie nicht in Gefahr geriet; und ich würde etwas von der Welt sehen, und zwar endlich mal nicht durch die Windschutzscheibe eines Humvees.
Eine Win-win-Situation.
Ihren Dad hatte ich nur ein einziges Mal getroffen, als ich den Vertrag unterschrieben und die dünne Mappe mit Informationen über Kelsey sowie seine Kontaktdaten abgeholt hatte. Das Ganze lief wie in einem verrückten Bond-Film ab, nur mit weit weniger Explosionen und Regierungsgeheimnissen.
Mr Summers war überrascht gewesen, dass er mich nie kennengelernt hatte, als er merkte, dass unsere Familien in denselben Kreisen verkehrten. Ich sagte ihm nicht, dass das daran lag, dass ich das schwarze Schaf der Familie war. Dann hätte er nämlich jemand anderen damit beauftragt, seiner Tochter zu folgen, weil er wahrscheinlich Schiss gehabt hätte, dass ich seine kleine Prinzessin verderben könnte.
Apropos Mr Summers … ich fischte das Handy heraus, das er mir gegeben hatte, und schickte ihm eine SMS, in der ich ihm mitteilte, dass wir beide unseren Anschlussflug in New York erreicht hatten und gleich starten würden. Seine Antwort war noch nicht da, als die Flugbegleiterin mich anfunkelte und mir befahl, mein Handy auszuschalten. Ich stellte den Flugmodus ein und tat, als würde ich auf die Aus-Taste drücken. Dann legte ich das Handy mit dem Display nach unten auf meinen Schoß.
Nach ein paar Stunden Flugzeit war es dunkel in der Kabine geworden, und der Mann neben mir versuchte schon seit einer gefühlten Ewigkeit, eine bequeme Schlafposition zu finden. Vielleicht war das grausam, aber irgendwie hoffte ich, dass es ihm auch weiterhin nicht gelingen würde. Ein Blick auf ihn genügte, um zu wissen, dass er zu den Typen gehörte, die sich im Schlaf aus Versehen an einen schmiegten.
Außerdem stand ganz groß Sabberer auf seiner Stirn geschrieben.
Nein, danke.
Ich war fast dabei, einzuschlafen, und lehnte mich so weit wie möglich von meinem ruhelosen Nachbarn weg, meinen Ellbogen auf die äußere Armlehne gestützt, den Kopf in die Hand.
Etwas stieß jedoch gegen meinen Arm und riss mich aus meinem Beinahe-Schlaf. Ich blickte auf und sah ein vertrautes Gesicht vor mir. Ihre Augenlider waren schwer vom Schlaf, und ihr Haar war zerzaust. Kurz fragte ich mich, ob sie morgens nach dem Aufwachen wohl genauso aussähe, dann blickte sie auf und sah mir in die Augen. Ich verfluchte mich selbst für meine lange Reaktionszeit, dann zog ich mir die Baseballmütze tiefer ins Gesicht und wandte mich ab, während sie »Sorry« murmelte.
Ich antwortete nicht und tat, als würde ich gleich wieder einschlafen.
Dann sorgte ich dafür, dass meine Gliedmaßen nicht in den Gang ragten, und senkte den Kopf. Ein paar Minuten später erkannte ich die Riemchensandalen an ihren Füßen, als sie zu ihrem Platz vorne im Flugzeug zurücktrottete.
Ich blickte auf, sorgsam darauf bedacht, dass ich die Mütze tief ins Gesicht gezogen hatte. Die alte Dame neben ihr hatte Kelseys Abwesenheit ausgenutzt, um etwas aus ihrer Tasche zu holen, und bemühte sich jetzt, die Tasche wieder in der Ablage über ihren Köpfen zu verstauen.
Normalerweise wäre ich aufgestanden, um zu helfen, aber ich konnte es nicht riskieren, noch mehr Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Ich zählte darauf, dass die Dunkelheit im Flugzeug und Kelseys offensichtliche Schlaftrunkenheit unser vorheriges Zusammentreffen aus ihrem Gedächtnis gelöscht hatten.
Ich sah zu, wie Kelsey der Frau die Tasche abnahm und über ihren Kopf hob. Wieder rutschte ihr T-Shirt nach oben, und dieses Mal zögerte ich nicht, mit meinem Blick die glatte Haut an ihrer Taille zu suchen.
Verdammt.
Ich stützte die Ellbogen auf die Knie und presste die Stirn gegen meine Knöchel. Das war kein gutes Zeichen für meine Selbstbeherrschung auf dieser Reise. Das war noch nie unbedingt meine starke Seite gewesen. Die Marines hatten mir zwar geholfen, aber ich hatte noch immer meine Schwachpunkte.
Und diese hübsche Blondine war eindeutig einer davon.
Lust trieb Männer dazu, dumme Sachen anzustellen.
Okay, mich zumindest. Lust trieb mich dazu, dumme Sachen anzustellen.
Die Leute neigen dazu, es zu merken, wenn man sie offen anstarrt. Diese besonders dumme Sache könnte dazu führen, dass ich meine Sachen packen und ratzfatz den nächsten Flieger nach Houston nehmen musste.
Mein Vater hatte mir schon mit einem Job in seiner Firma gedroht, wenn ich nicht endlich bei einer Sache bleiben würde – und das war etwas, was ich nicht vorhatte. Früher oder später würden mir die Jobs ausgehen, und ich wäre gezwungen, darauf zurückzukommen. Dann wäre ich wieder genau dort angelangt, wo ich mich vor fast einem Jahrzehnt veranlasst gesehen hatte, ins kalte Wasser zu springen. Aber dieses Mal würden mich die Marines nicht wieder herausfischen.
Ich drehte meine Musik so laut auf, wie ich gerade noch aushalten konnte, und lehnte mich in meinen Sitz zurück, entschlossen, etwas Schlaf zu bekommen.
Das war jetzt mein Job. Schlicht und ergreifend. So musste ich das betrachten. Und da die nächsten zehn Stunden etwa noch leicht sein würden, sollte ich mich jetzt ausruhen, solange das möglich war. Der eigentliche Job würde beginnen, sobald wir in der Ukraine landeten.
Ich schloss die Augen und war zumindest darüber froh, dass mich die Marines gelehrt hatten, mehr oder weniger überall schlafen zu können. Das hier war eine Mission. Wie der ganze Rest. Und sie war verdammt viel leichter als alle, mit denen ich im Laufe der Jahre beauftragt gewesen war.
Schon kurze Zeit nach der Landung wurde mir klar, dass dieser Auftrag nicht annähernd so leicht werden würde, wie ich erwartet hatte.
Irgendwie hatte ich es für lächerlich gehalten, als Mr Summers mir ein Handy mit GPS-Tracker gegeben hatte, der mit Kelseys Handy verbunden war. Ich hatte geplant, dass ich einfach früh aufstehen und abwarten würde, bis sie wegging, und ihr dann folgen würde. Dann würde sie irgendwann zurück ins Hotel gehen. Ich würde warten, bis sie schlafen ging, und mich dann selbst ausruhen.
Ach, wie hatte ich mich geirrt.
Ich stieg in einer Pension gegenüber ihrer Jugendherberge in Kiew ab und verlangte dort ein Zimmer mit Blick zur Straße, sodass ich gut sehen könnte, wenn sie kam und ging.
Ich bekam meinen Schlüssel und stieg die schmale Treppe zu dem Zimmer hinauf. Unterwegs zog ich mein Handy aus der Tasche. Ich wählte die Nummer, die Kelseys Vater mir gegeben hatte, und eine Frau ging dran.
»Mr Summers’ Büro.«
Ich räusperte mich. »Ja, ähm, hier ist Jackson Hunt.« Ich wusste nicht, wie ich mich sonst noch identifizieren sollte. Tochter-Stalker war nicht gerade die Berufsbezeichnung, die ich in der Öffentlichkeit hinausposaunen wollte.
»Ja, Mr Hunt. Mr Summers ist in einem Meeting, aber er hat Ihren Anruf schon erwartet. Sie sind sicher angekommen?«
»Ja, das sind wir beide.«
»Hervorragend. Er wird sich bei Ihnen melden.«
Und damit war die Leitung tot. Für ein paar Sekunden stand ich reglos vor meiner Tür.
Das war irgendwie weniger dramatisch, als ich erwartet hatte. Ich war froh, dass ich nicht der Einzige war, der mit dieser ganzen Angelegenheit sachlich umging.
Ich steckte den altmodischen Schlüssel in das Schloss und betrat das Zimmer. Dann legte ich meine Sachen auf dem einfachen, mit dünnen Beinen und dünner Matratze ausgestatteten Bett ab, blickte aus dem Fenster – und sah gerade noch, wie Kelsey hinten auf einem Moped mit irgendeinem Kerl davonfuhr.
»Oh, fuck.«
Ich schnappte mir schnell Portemonnaie und Schlüssel und fuhr die App hoch, die mich mit ihrem Handy verband. Fluchend nahm ich immer zwei Stufen auf einmal und rannte so schnell ich konnte nach unten in die Lobby. Ich rannte auf die Straße hinaus, aber sie war längst weg.
»Verdammt noch mal.«
Ein Touristenpaar mit Gürteltaschen zuckte zusammen, als ich so lauthals fluchte.
Ruhig, Hunt. Bloß nicht auffallen.
Das war notwendig auf dieser Mission. Ich musste gut darin werden. Und schnell. Mein Herz schlug laut in meinen Ohren, während ich wartete, bis die App fertig hochgefahren war. Ich war darauf trainiert, unter Druck zu handeln. Panik sollte also normalerweise kein Problem darstellen, aber diese Situation war anders.
Erstens war es weitaus einfacher, gegen einen Menschen zu kämpfen als einen zu beschützen. Und wenn ich schon jemanden beschützt hatte, dann war es meistens ein Kerl in Kampfausrüstung, der selbst auch bewaffnet war. Und ich kannte diese Typen. Ich kannte ihre Neigungen, ihre Stärken, ihre Schwächen.
Allmählich wurde mir klar, wie wenig ich über Kelsey Summers wusste.
Das Handy machte ping und ich beobachtete einen blauen Punkt, der sich bewegte. Das musste sie sein. Sie war schon jetzt ein paar Kilometer entfernt. Ich rannte zu einer belebteren Straßenecke und hielt ein Taxi an. Erst als ich über den rissigen Ledersitz rutschte, wurde mir klar, dass ich dem Fahrer gar nicht sagen konnte, wohin ich wollte, denn ich hatte keinen blassen Schimmer.
Erwartungsvoll sah er mich aus seinen dunklen Augen im Rückspiegel an und ich hob den Finger, um Zeit zu gewinnen. Aus einer Laune heraus hatte ich am Flughafen ein Buch mit ukrainischen Redewendungen gekauft, während Kelsey auf der Toilette gewesen war. Ich spürte, wie Schweiß an meinem Nacken herunterlief, während ich es aus meiner Tasche kramte und hektisch durch die ersten paar Seiten blätterte.
Ich blickte auf die Buchstaben, die ich nicht kannte, geschweige denn, dass ich irgendeine Ahnung hatte, wie man sie aussprach, und wusste, dass dieses Buch mir rein gar nichts bringen würde.
»Englisch?«, fragte ich den Fahrer.
Er brauchte nicht zu antworten. Allein schon das Hochziehen seiner dicken Augenbrauen drückte ein riesiges, dröhnendes Nein aus.
Ich versuchte, ihm die App zu zeigen, in der Hoffnung, dass er sich mit GPS auskennen oder wissen würde, durch welchen Teil der Stadt sich der blaue Punkt gerade bewegte, aber er schaute nur noch verwirrter drein.
Geschlagen lächelte ich, gab ihm ein paar Münzen für die Umstände, die er sich gemacht hatte, und kletterte dann wieder aus dem Taxi. Jetzt war ich noch weiter von Kelsey entfernt und hatte keine Ahnung, wie ich zu ihr gelangen konnte.
Es dauerte weitere zehn Minuten, bis ich herausfand, dass mein Ukrainischbuch weitgehend nutzlos war (es war nicht nur nutzlos, weil ich es nicht verwenden konnte, sondern weil die meisten Leute, denen ich begegnete, Russisch sprachen).
Ob Kelsey wohl Russisch sprach? Ich war zwar nicht auf dem College gewesen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein typisches wohlhabendes Mädchen aus Texas diese Sprache flüssig beherrschte. Aber andererseits hätte sich das typische Mädchen wahrscheinlich auch für London, Paris oder Rom entschieden.
Vielleicht kannte sie den Kerl auf dem Moped ja. Nur dass ihr Vater nicht erwähnt hatte, dass Kelsey in Europa Freunde (oder einen Freund) besuchte. Aber andererseits verkehrte er in denselben Kreisen wie mein Vater, der es sich zum Prinzip gemacht hatte, so wenig wie möglich um ihn herum wahrzunehmen, deshalb wusste er es vielleicht einfach nicht.
Aber vielleicht hatte er mich genau wegen dieses Freundes hergeschickt. Vielleicht war er gefährlich.
Frustriert strich ich mit der Hand über meinen geschorenen Schädel und vermisste nicht zum ersten Mal das längere Haar, das ich gehabt hatte, bevor ich Soldat geworden war. Man sollte annehmen, dass ich mich nach zwei Touren daran gewöhnt hätte, aber es war nicht so. Stöhnend beschloss ich, dass ich ihr keinen Schritt näher kam, wenn ich hier weiterhin herumstand. Und bei dem Gedanken, dass sie jetzt Gott weiß wo mit diesem Kerl unterwegs war, zog sich mein Inneres unangenehm zusammen.
Ich machte mich zu Fuß auf den Weg, zu verärgert und besorgt, um mich in der Stadt umzuschauen. Ich konnte nur diesen Punkt anstarren und daran denken, dass ich das hier so schlimm vermasseln würde wie alles andere in meinem Leben auch.
Nach weiteren zehn Minuten hörte der Punkt endlich auf, sich zu bewegen. Ich ging noch ein wenig weiter, und als ich sicher war, dass Kelsey nicht wieder aufbrechen würde, machte ich mich daran, jemanden zu suchen, der mir helfen konnte, sie zu finden.
Einen Moment lang ging ich in Anbetracht des Punktes, der sich nicht mehr bewegte, vom Schlimmsten aus. Vielleicht lag es daran, dass ich über ein Viertel meines Lebens in Kriegsgebieten verbracht hatte. Aber ich schüttelte das ab. Die Ukraine war nicht vom Krieg zerrissen, jedenfalls nicht im Moment. Wahrscheinlich saß Kelsey in einem Café oder auf einer Parkbank.
Meine Erlösung erfolgte durch ein süßes, kleines Mädchen mit abgewetzten Schuhen, lockigem Haar und einem Zahnlückenlächeln. Sie konnte nicht älter als sieben oder acht sein, aber sie verstand mich. Zumindest meine Worte. Sie richtete ihre großen braunen Rehaugen auf mein Handy, aber sie war ein bisschen zu jung, um mir dabei zu helfen, die dort abgebildete Karte auf die Stadt Kiew zu übertragen.
»Iwan!«, rief sie. Ihre winzigen Finger umkreisten ihren Mund und drückten sich in ihre runden Wangen, und sie rief noch lauter. »Iwan! идите сюда!«
Ein älterer Junge, der eindeutig kurz vor der Pubertät stand, mit zerzaustem Haar und Pickeln, kam auf uns zugerannt.
»Что?«, sagte er genervt.
Ihre winzigen Lippen bewegten sich schneller, Worte mit zu vielen Konsonanten strömten aus ihrem Mund, während sie die Hände in die Hüften stemmte.
Iwan, der vermutlich ihr Bruder war, verdrehte die Augen und streckte mir die Hand hin.
Ich reichte ihm mein Handy und beobachtete, wie er es mit ein wenig mehr Verständnis als seine Schwester studierte. Er drehte es zur Seite, dann wieder zurück.
»Botanischer Garten«, sagte er. »In der Nähe des Klosters.«
»Kann ich mit dem Taxi dorthin fahren? Wenn ich ›Botanischer Garten‹ sage, weiß der Taxifahrer dann, was ich meine?«
Iwan kratzte sich an einem Pickel auf seinem Kinn und zuckte dann mit den Schultern.
»Metro ist einfacher.« Er zeigte die Straße entlang und sagte: »Dort. Nach universytet.«
»Universität?«
»Ja. Ist neben Botanischem Garten.«
Ich nickte. »Okay. Okay, danke, Iwan.« Ich ging vor dem kleinen Mädchen in die Hocke und bemerkte, dass ihr Kleid unten herum schmutzig war. »Und dir auch vielen Dank.«
»Sascha«, sagte Iwan.
»Du hast mir sehr geholfen, Sascha.«
Ihr Grinsen war einfach hinreißend.
Manchmal frage ich mich, ob ich anders geworden wäre, wenn ich Geschwister gehabt hätte. Wenn ich eine kleine Schwester wie sie gehabt hätte, um die ich mich hätte kümmern und die ich hätte beschützen können, dann hätte ich mich vielleicht nicht so tief in meine eigenen Probleme verstrickt.
Aber ich hatte jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken, durch die Minenfelder meiner Vergangenheit zu wandern – nicht wenn es in der Gegenwart jemanden gab, der mich brauchte.
Ich kam direkt neben der Universität aus der Metro nach oben, und den Botanischen Garten entdeckte ich auch schon bald. Er lag neben einem Kloster. Dächer mit grünen Kuppeln und goldenen Spitzen standen im Vordergrund, dahinter erstreckte sich der Garten. Hinter mir lag der Fluss, und die kühle Brise brachte den Duft von Blumen mit sich, sodass ich einen Moment lang von meiner Suche abgelenkt war.
Wenn ich sie nicht beobachten hätte müssen, wäre dies der perfekte Ort zum Zeichnen gewesen.
Skizzen anzufertigen beruhigte mich. Vielleicht weil es Ordnung in eine unordentliche Welt brachte. Aber es war mehr als das. Es erlaubte mir, mehr zu tun als nur eine chaotische Welt in Ordnung zu bringen – es erlaubte mir zu fliehen. Indem ich mich auf das Blatt Papier konzentrierte, vergaß ich beinahe alles um mich herum. Ich gelangte auf eine andere Ebene und fand Frieden in etwas Schönem. Und obwohl dies manchmal unmöglich schien bei all der Hässlichkeit der Welt, gab es doch immer mindestens einen Gegenstand, der schön war.
Im Moment war es viel mehr als einer.
Der Duft des Gartens war so anders als alles, was ich je wahrgenommen hatte – leicht, süß und verlockend gleichzeitig. Der Wind spielte im Laubdach, und schlagartig wurde mir bewusst, wie müde mich der Flug um die halbe Welt gemacht hatte.
Ich blinzelte, schüttelte den Kopf und dehnte meine Halsmuskeln.
Konzentrier dich, Hunt. Du bist hier nicht im Urlaub.
Wieder zog ich das GPS auf meinem Handy zurate. Der Garten war voll verschlungener Pfade, und es gab keine gerade Linie zwischen Kelsey und mir – es sei denn, man wollte sich quer durch zweifellos seltenes und teures Grünzeug schlagen.