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Wismar (Wismaria), Anno 1708
Die Geschwister Elisabeth und Peter Hennings versuchen ihr Leben in jener schwierigen Zeit zu meistern. Was die Schwester mit rechtschaffener Arbeit angeht, fällt dem Bruder mit Glücksspiel und zwielichtigem Handeln leichter.
Als ein kostbares Familienerbstück angeblich durch einen schwedischen Soldaten veruntreut wird, muss Elisabeth eingreifen und den Kommandanten der Stadt, Oberst Liam Lindkvist, um Auskunft bitten. Dieser Alleingang ist ein großes Wagnis für eine junge Frau am Anfang des 18. Jahrhunderts.
Auch wenn das Schicksal ihr anfänglich diesen Schritt zu belohnen scheint, ziehen sich über ihr und ihren Bruder weitere, düstere Wolken zusammen.
Piet schafft es nicht, auf seiner neuen Lehrstelle Fuß zu fassen und begeht eine unselige Tat. Elisabeth, die ihn erneut vor den Folgen seiner Handlungen zu schützen versucht, kommt dabei in den Verruf des Schadenszaubers und sieht ihre Lage vor Gericht als aussichtslos. Ihr Retter allerdings, hat ein noch größeres Unheil für sie bereitgestellt.
So wird Elisabeth bewusst, dass sie nur ein Mensch vor jenem grausameren Schicksal retten kann: Liam Lindkvist, der schwedische Kommandant, zu dem sie sich mittlerweile mehr, als nur hilfesuchend hingezogen fühlt. Liam erwidert ihre Gefühle zu ihm, aber er muss in jenen Tagen wegen einer wichtigen Angelegenheit nach Schweden zurück.
Zwischenzeitig werden sieben schwedische Soldaten – die aus Wismaria desertieren wollen – von einem jungen Mann – der eine hohe Belohnung wittert – im Kommandantenhaus verraten.
Die Tragödie bekommt ein neues Gesicht, doch über ihr schwebt weiterhin das Geheimnis der Nebelkrähen und das Mysterium um einen alten, schwarz gekleideten Mann.
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Astrid Gavini
Seelen im Zwielicht
Band 2
Historischer Roman
Neuausgabe: 2023
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover und Illustration: © by Astrid Gavini
Korrektorat: Bärenklau Exklusiv
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
Die Handlungen dieser Geschichte ist frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten und Firmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.
Alle Rechte vorbehalten
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Seelen im Zwielicht
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Wismar (Wismaria), Anno 1708
Die Geschwister Elisabeth und Peter Hennings versuchen ihr Leben in jener schwierigen Zeit zu meistern. Was die Schwester mit rechtschaffener Arbeit angeht, fällt dem Bruder mit Glücksspiel und zwielichtigem Handeln leichter.
Als ein kostbares Familienerbstück angeblich durch einen schwedischen Soldaten veruntreut wird, muss Elisabeth eingreifen und den Kommandanten der Stadt, Oberst Liam Lindkvist, um Auskunft bitten. Dieser Alleingang ist ein großes Wagnis für eine junge Frau am Anfang des 18. Jahrhunderts.
Auch wenn das Schicksal ihr anfänglich diesen Schritt zu belohnen scheint, ziehen sich über ihr und ihren Bruder weitere, düstere Wolken zusammen.
Piet schafft es nicht, auf seiner neuen Lehrstelle Fuß zu fassen und begeht eine unselige Tat. Elisabeth, die ihn erneut vor den Folgen seiner Handlungen zu schützen versucht, kommt dabei in den Verruf des Schadenszaubers und sieht ihre Lage vor Gericht als aussichtslos. Ihr Retter allerdings, hat ein noch größeres Unheil für sie bereitgestellt.
So wird Elisabeth bewusst, dass sie nur ein Mensch vor jenem grausameren Schicksal retten kann: Liam Lindkvist, der schwedische Kommandant, zu dem sie sich mittlerweile mehr, als nur hilfesuchend hingezogen fühlt. Liam erwidert ihre Gefühle zu ihm, aber er muss in jenen Tagen wegen einer wichtigen Angelegenheit nach Schweden zurück.
Zwischenzeitig werden sieben schwedische Soldaten – die aus Wismaria desertieren wollen – von einem jungen Mann – der eine hohe Belohnung wittert – im Kommandantenhaus verraten.
Die Tragödie bekommt ein neues Gesicht, doch über ihr schwebt weiterhin das Geheimnis der Nebelkrähen und das Mysterium um einen alten, schwarz gekleideten Mann.
***
Meine Stadt – fern meiner Heimat,
wie liebe und wie hass’ ich dich …
(Liam Lindkvist 1708)
Elisabeth war sich sicher, dass sie in den nächsten Sekunden ohnmächtig werden oder zumindest keinen Ton herausbringen würde, doch sie bemühte sich um Haltung. Sie trat in den Arbeitsraum des Kommandanten und blieb nach den ersten beiden Schritten sogleich stehen, während der Soldat hinter ihr die Tür von außen schloss.
Der schwere Schreibtisch, welcher vor einem schmalen bleigefassten Fenster stand, konnte nur für den Bruchteil einer Sekunde ihr Augenmerk auf sich ziehen.
Es war die Person dahinter, die ihren Blick auf eine fremde Weise – gleich einer unbekannten Faszination – zu fesseln schien.
Oberst Liam Lindkvist erhob sich, als Elisabeth eintrat.
Sie wusste nicht, was es war: seine hünenhafte Größe, die Eleganz mit der er seine Uniform trug, sein schönes Gesicht oder einfach nur dieses spontane, umwerfende Lächeln, das alles oder auch nichts bedeuten konnte. Jedenfalls löste es Elisabeths innere Anspannung und zauberte ihr ebenfalls ein scheues Lächeln ins Gesicht.
»Elisabeth, wie schön, dass ihr hergefunden habt. Bitte nehmt Platz«, sagte er mit jener Stimme, die sie schon im Haus der Ruges bezaubert hatte.
Es war Elisabeth klar, dass er ihr als Oberst und Kommandant dieser Stadt nicht die Hand reichen würde, aber seine freundliche Geste, mit der er ihr einen der edlen, gepolsterten Stühle vor seinem Schreibtisch anbot, empfand sie bereits als große Ehre. Liam Lindkvist nahm wieder Platz, nachdem Elisabeth sich direkt vor ihn gesetzt hatte und ihm somit offen in die Augen sehen konnte.
Der vergoldete Leuchter zu seiner rechten Seite trug fünf brennende Kerzen, deren Licht die Arbeitsfläche auf seinem Schreibtisch noch etwas mehr erhellen konnte und die Züge seines Gesichtes sanft und edel erscheinen ließ. So wirkte die Farbe seiner Augen in diesem Kerzenschein kornblumenblau, wie die Grundfarbe seines Rockes, der mit seinen goldgelben Blenden und Knöpfen ganz hervorragend aussah und eigens für seine Persönlichkeit geschneidert schien. Jener Militärrock war nicht hochgeschlossen, sodass man das makellose, weiße Hemd mit dem hohen gebundenen Halsabschluss und der eleganten, einfachen Brustrüsche erkennen konnte. Wie es üblich war, trug auch er sein langes Haar mit einem Band im Nacken geschlossen. In diesem Fall war es in der blauen Grundfarbe seiner Uniform gehalten. Seine Beinbekleidung war – außer den schwarzen, hohen Stiefeln – durchweg weiß.
Elisabeth hatte das Gefühl sich an seinem Äußeren nicht sattsehen zu können. Sie hatte ihn als einen sehr gut aussehenden Mann in Erinnerung, aber nun fand sie ihn außergewöhnlich beeindruckend. Dass er sie für wenige Sekunden im gleichen Maße zu mustern und aufzunehmen schien, nahm sie in diesem Moment nicht wahr. Sie erkannte nur, dass sein feines Lächeln nicht wirklich aus seinem Gesicht schwinden wollte. Er neigte seinen Kopf etwas zur Seite und begann zu reden.
»Das Geschlecht der Kaufleute Hennings hatte seinen Ursprung anfangs des 15. Jahrhunderts und wuchs bis zum großen Krieg zu einer eigenständigen, kaufmännischen Größe. Das Handelsschiff WISSEMARIE war auch nach dem Krieg und sogar während der schwedischen Besetzung immer noch tonangebend, bis all das familiäre Werken am 28. Juli 1699 bei der Explosion der Wehrtürme nimmer wiederkehrend vernichtet wurde. – Die letzten Überlebenden eines großen Hansegeschlechtes sind Peter und Elisabeth Hennings. Die einzigen Kinder von Johannes und Catherina Hennings. Die Tochter verdient ihren Lebensunterhalt als Näherin bei dem Schneidermeister Gottlieb Borg. Der Sohn ist noch auf der Suche nach Ausbildung. – Ihr Vormund ist der Kaufmann und Ältermann Paul Streeck. Und vor mir sitzt Elisabeth Hennings –Ist das exakt?!«
»Außerordentlich exakt, Herr Oberst.«
Elisabeth schluckte fest. Sie wusste, dass selbst der Kommandant dieser Stadt jene Daten nicht ohne Weiteres im Rathaus einsehen konnte. Woher hatte er demnach all diese Erkenntnisse? Liam lächelte, als hätte er ihre Gedanken verstanden.
»Ich habe mich nur umgehört, werteste Elisabeth. Ihr und eure Familie habt in Wismaria immer noch einen großen Namen und einen ebenso guten Ruf.«
Diese Einleitung zu ihrem Gespräch beeindruckte und berührte sie tief. Trotzdem versuchte sie ihre Haltung nicht zu verlieren, schaffte es aber kaum den Blickkontakt zu halten.
Liam neigte sich zu ihr nach vorne und legte dabei die Unterarme auf den Tisch. Er wirkte sehr ruhig, was sich auf Elisabeth zu übertragen schien.
»Bitte sagt mir, was ich für euch tun kann, teuerste Elisabeth. Erzählt es mir ganz in Ruhe und in allen Einzelheiten, denn ich habe nicht die leiseste Ahnung, was hier passiert sein soll. – Das heißt, der Hauptgrund Eurer Sorge ist ein verlorengegangenes Familiensiegel, das ihr hier im Hause vermutet. Ist das korrekt?!«, begann Liam behutsam, um Elisabeth die erkennbare Verunsicherung zu nehmen. Sie nickte.
»Ja … Herr Oberst. So ist es« Liam nahm die Anrede mit einem leichten Schmunzeln entgegen und blickte kurz zur rechten Seite. Erst jetzt sah Elisabeth, dass sie nicht alleine waren. Links hinter ihr war ein noch recht junger Soldat an einem Tisch in seine Schreibarbeit vertieft. Seine blaugelbe Uniform war in vielen Einzelheiten schlichter gehalten, als die seines Vorgesetzten. Liam sagte etwas in schwedischer Sprache zu ihm, dieser antwortete mit einem »Till kommandot, Överste Lindkvist!«, was sie zu verstehen schien. Elisabeth erschrak ein wenig, was Liam im Fluge erkannte.
»Ihr befindet euch hier in einer militärischen Einrichtung, Elisabeth. Dennoch, keine Sorge: Jeder Offizier hat einen Sekretär, und der wird nur dann protokollieren, wenn ich es anordne. Das sagte ich ihm gerade.« Sie hatte verstanden. Es war ungeschickt von ihr nicht den Treff nach seinem Dienst gewählt zu haben. Denn natürlich konnte sie hier niemals unter vier Augen mit ihm reden. Aber sie versuchte sich zu fassen.
»Das ist verständlich, entschuldigen Sie.«
»Kein Grund, um sich zu entschuldigen, werte Elisabeth. Erzählt mir, was vorgefallen ist, Ihr könnt den Vertretern der königlichen Armee vertrauen!« Sein Lächeln war wieder da und Elisabeth fühlte sich geborgen. Liam hatte sich eine weiße Schreibfeder in die Hand genommen und ein Stück Papier zurechtgelegt. Er bewegte sich entspannt und schien von innerer Ruhe getragen.
»Ich werde mir zu dem, was ihr sagt Stichpunkte machen, dann können wir im Nachhinein das Unverständliche besser klären.« Elisabeth nickte.
Von vorne sollte sie beginnen und das tat sie auch; sachlich, klar und mit Angabe der Daten. So erzählte sie Liam, dass ihr Bruder das silberne Familiensiegel an einen seiner Soldaten namens Leif – der bei den Ruges wohnen würde – ausgeliehen hätte, um es von ihm unentgeltlich schätzen zu lassen. Dieser Soldat sei aber am Folgetag zu Liam in das Kommandantenhaus gerufen worden und hätte dort wohl dieses Siegel entwendet oder beschlagnahmt bekommen. Daraufhin hätte sie ihren Bruder und dessen zukünftigen Meister beauftragt, sich hier in dieser Einrichtung zu melden und anzugeben, dass es sich um ihr Familiensiegel handeln würde. Als ihr Bruder und dessen Freund und Meister zurückgekommen wären, hätte man ihr erzählt, dass sie mit dem Kommandanten Liam Lindkvist gesprochen hätten und dieser die Herausgabe des Siegels strikt abgelehnt hätte.
Weitere Einzelheiten wollte Elisabeth vermeiden. Nichts davon sagen, dass sie Liam arrogant gefunden hätten und er sich auch nicht an sie hätte erinnern können.
Liam hatte tatsächlich hier und da mitgeschrieben, steckte die Feder ins Tintenfass zurück und blickte Elisabeth ernster werdend an.
»Diese Geschichte ist genauso unfassbar, wie interessant, teuerste Elisabeth. Beginnen wir einfach wieder von vorne.« Irgendetwas schien ihn wirklich leicht aus der Fassung gebracht zu haben. Er biss sich kurz auf die Unterlippe, ehe er sich weiter äußerte.
»Als Allererstes zur Klärung: Der Soldat Leif Nyberg wohnt zwar bei den Ruges, wurde von mir aber bereits vor zwei Monaten zum Fort Walfisch abkommandiert – aus verhaltensbedingten Gründen. Dort hat er bis zum nächsten Jahr Wachdienst.
Es wäre von daher recht unwahrscheinlich, würde er es wagen zu einem Plausch von der Bastion aus zu den Ruges zu schleichen. Es gäbe genügend Kameraden, die ihn anzeigen würden, nur um sich damit ein Zubrot zu verdienen. Aus diesem Grunde, werte Elisabeth, kann weder euer Bruder ihm das Siegel gegeben, noch ich ihm dasselbe entwendet haben!« Liam bemerkte Elisabeths ansteigende Fassungslosigkeit. Sie musste sich zusammenreißen, um einen Satz formulieren zu können.
»Aber, die beiden waren doch hier, bei … Ihnen?!« Liam atmete tief durch und rieb sich kurz mit Daumen und Zeigefinger über die Nasenwurzel und über seine Augenlider.
»Ich habe – nachdem ich Euren Brief erhielt – nachgesehen, wer an diesem Tag als Besucher gemeldet war und um welche Uhrzeit. Da ich mittlerweile weiß, dass euer Bruder Peter heißt, fand ich diesen Namen zusammen mit dem Nachnamen Hennings nirgendwo. Er war jedenfalls nicht hier.
Aber wie dem auch sei: Mit mir konnten die Herrschaften gar nicht geredet haben, denn ich bin erst seit dieser Woche wieder im Kommandantenhaus. Einschließlich Samstag befand ich mich im Zeughaus. Ich könnte Unterlagen und Zeugen bringen, die es euch bestätigen würden.« Seine leicht angespannten Züge gebaren ein etwas bitter anmutendes Lächeln.
»Bei Gott nein, Herr Oberst … ich …« Elisabeth schaffte ihren Satz nicht zu Ende. Sie glaubte unter ihrem heftigen Herzschlag im nächsten Moment sterben zu müssen und hatte Mühe die Verzweiflungstränen zurückzuhalten.
»Ich bedauere es in diesem Augenblick sehr, teuerste Elisabeth, dass man euch wohl in einer recht hintertriebenen Weise irreführen wollte. Hier muss man den Grund finden, weshalb man dies tat«, begann Liam beschwichtigend, aber immer noch mit dem Ausdruck aufkeimender Anspannung.
»Nur bleibt es in diesem Falle nicht dabei, dass man euch bewusst betrügen wollte, sondern hier wird – und bei Gott, so ist es – der Kommandant der Garnison Wismaria verleumdet!« Liam nahm militärische Haltung an und gab seinem Sekretär ein Handzeichen.
»Elisabeth, ihr müsst mir den Namen des andern Mannes sagen, diese Sache muss protokolliert werden.« Er erkannte das Entsetzen und Flehen in ihren Augen, das er ihr nur zu gerne genommen hätte, aber er musste diesen Weg einhalten.
»Was bedeutet das? Bitte …« Liam wartete, aber sie schaffte erneut ihren Satz nicht zu Ende.
»Im Augenblick noch gar nichts. Im schlimmsten Falle eine Strafanzeige wegen übler Nachrede, und das würde ich den Herrn nicht wünschen.«
Elisabeth hatte das Gefühl, dass sie diese Situation nicht überleben würde. Wieso hatte sie solch eine Folge nicht bedacht, als sie sich dafür entschied hierher zu kommen?!
Nein, was hatten Piet und Pavel ihr angetan, dass sie nun hierher musste, um die Wahrheit zu erkunden? Und nochmals nein, was konnte sie tun, dass Liam nun von einer Strafanzeige absah?! – Nein, aus dieser schlimmen Lage kamen weder sie noch Piet oder Pavel ungeschoren heraus. Wie konnten sich diese Schwachköpfe nur so etwas ausdenken?! Dagegen war die Geschichte mit dem Heiligengeist Hospital und Pastor Sprengel ja nur ein Dummejungenstreich!
Liam ließ ihr Zeit und hätte ihr zu gerne Worte der Beruhigung gesagt, die er in seiner Position an diesem Ort allerdings nicht aussprechen durfte.
»Es ist Pavel … Pavel Korden, der Seifensiedermeister, der gerade sein neues Geschäft eröffnet. – Oh mein Gott. Wenn Piet jetzt wieder seine Stelle verliert und Pavel sogar seinen Betrieb … Das ist das Ende!« Liam erkannte, dass Elisabeth in ihrer Verzweiflung zu kämpfen hatte, und von daher mehr zu sich selbst sprach, als zu ihm.
»Pavel Korden – Seifensiedermeister und Peter Hennings, Auszubildender seiner Zunft sagen aus, am Samstag, den 17. Dezember 1707 um »die Mittagszeit« im Kommandantenhaus gewesen und mit Oberst Liam Lindkvist eine Unterredung gehabt zu haben. Sie forderten ein Familiensiegel zurück, das den Hennings gehört. Es wurde ausgesagt, dass der Oberst ihnen diese Plakette nicht geben wollte, weil er diese als beschlagnahmt bezeichnete. – Ist dies so der Sinn, Elisabeth?«
Was sollte sie antworten? Sie selbst hatte es so erzählt und es entsprach auch der Wahrheit. Elisabeth nickte und gab ein kaum hörbares »Ja, Herr Oberstleutnant … Oh, entschuldigen sie bitte – Herr Oberst …« von sich. Liam nickte ihr mit geschlossenen Augen zu. Sie verstand, dass dieses Mienenspiel beruhigend wirken sollte und es war ihr äußerst peinlich, den Kommandanten zum Oberstleutnant degradiert zu haben. Alles schien ihr zu entgleiten und am liebsten hätte sie keinen Ton mehr sagen wollen …
Liam setzte sich wieder gerade und diktierte dem Sekretär den vorher in deutsche Worte gefassten Text in schwedischer Sprache. Elisabeth schmerzten Magen, Nacken und Schläfen im gleichen Maße. Der Sekretär brachte Liam das Blatt und dieser reichte es Elisabeth samt der Schreibfeder.
»Ihr müsst das bitte unterzeichnen.« In seiner Tonlage schwang ein fühlbares
»Es tut mir leid« mit, was Elisabeth erkannte, ihr die Sache aber nicht leichter machte. Trotzdem setzte sie rasch und ohne zu zögern ihre Unterschrift darunter und fühlte sich noch einen Schritt elender als zuvor. Gegenüber ihres Schriftzuges unterzeichnete Liam und schloss das Protokoll mit dem ihr bekannten Stempel – der sein persönliches, militärisches Siegel zeigte – ab.
»Hört mir zu Elisabeth«, redete er sie mit beschwichtigender Stimme an.
»Dieses Protokoll werde ich zur Seite legen und nicht zur Anzeige bringen. Ich bin nämlich davon überzeugt, dass euer Bruder und sein Meister nicht in erster Linie die Absicht hegten, mich und das Kommandantenhaus zu verleumden, sondern mich nur dazu nutzen wollten, um Euch ein bitteres Märchen weismachen zu können. – Sollten die Herren diesbezüglich den Mund halten, ist für mich die Sache soweit erledigt.
Allerdings bleibt nun der Eintrag in den Akten und der kann bis nach Schweden erfasst werden.« Liam gab seinem Sekretär ein Zeichen, in dem er das Blatt kurz anhob. Dieser kam erneut an den Schreibtisch seines Offiziers und nahm es wieder an sich.
»Was den Fall des Siegels betrifft, teuerste Elisabeth, werde ich bereits noch heute meine Leute beauftragen, die sich bei den Soldaten – welche bereits verhaltensbedingt auffällig waren und sind – euer Familiensiegel zu suchen oder heraus zu finden, wo es geblieben ist. So wird diese Angelegenheit von nun an Aufgabe des Militärs, da der Name des straffälligen Leif Nyberg genannt wurde. Ich werde Euch auf dem Laufenden halten und Euch schriftlich informieren, Elisabeth. Ist … dies für Euch so in Ordnung?«
Erneut neigte er den Kopf etwas zur Seite. Sein Blick hatte geradezu etwas Flehendes. Elisabeth nickte fest.
»Könnt ihr mir eine Beschreibung des Siegels geben?«, kam Liams ruhige Zusatzfrage und Elisabeth erbat sich ein Stück Papier, das er ihr mit der Feder und seinem Tintenglas reichte. Liams Ausdruck verriet Interesse an dem, was sie zu zeichnen bereit war.
Elisabeth begann mit einem handtellergroßen Kreis, in den sie in raschen Zügen eine stilisierte Kogge mit einem Eichblatt als Segel einfügte. Diese setzte sie auf eine außergewöhnliche Wellenform und schrieb gegen den oberen Rand das Wort: HENNINGS, und an den unteren: WISSEMARIE. Sie reichte Liam das Papier und dieser musterte die Zeichnung mit anerkennendem Nicken.
»Danke, besser könnte man es nicht darstellen. Ihr seid sehr begabt, werteste Elisabeth!« Sie wagte kaum sein Lächeln zu erwidern.
»Hätte es sich im Übrigen so zugetragen, wie euer Bruder und dieser Meister sagten, wäre von meiner Seite aus niemals eine Beschlagnahmung erfolgt. Denn erstens ist das dem Gesetz nach in solch einem Fall nicht vorgesehen und zweitens, wird alles an Fundstücken ausgehändigt, wenn sich ein Besitzer ausfindig machen kann. Dies gilt auch beim Verdacht einer Straftat. Der Geschädigte muss nur mit dem Gegenstand der Tat oder Diebesgut für die Verhandlung verfügbar sein.«
»Danke Herr Oberst, ich hätte nach all dem, was ich berichtet habe, Ihren Großmut nicht erwartet.« Liam nickte und verstand, dass sie sich Mühe gab, korrekt zu wirken. Dies aber nicht aus Mangel an der Fähigkeit, sondern, weil sie die gesamte Situation gefühlsmäßig unglaublich überforderte. Er atmete fest aus und blieb seiner militärischen Redensart treu.
»Ich will euch nicht zum Verrat auffordern, Elisabeth, aber wenn ihr in Erfahrung bringt, dass irgendetwas Diesbezügliches an verlogenen Äußerungen über mich in Umlauf kommen sollte, bitte informiert mich darüber. Das kann ich nämlich so nicht dulden.
»Sie haben mein Ehrenwort, Herr Oberst, das werde ich tun!«, versicherte sie und hatte nicht bemerkt, wie ihr bereits die Tränen über die Wangen liefen. Natürlich konnte sie darüber hinaus nicht ahnen, wie sehr dies jenen sachlich wirkenden Offizier bewegte. Er versuchte auszuweichen.
»Werteste Elisabeth, erlaubt ihr mir offen zu sprechen?« Sie nickte.
»Ich weiß von einigen meiner Soldaten und sogar Unteroffizieren, dass diese gerne nach getanem Dienst eine Runde am Spieltisch verbringen und leider dort auch ihren hart verdienten Sold verspielen. Die Leute, die bei den Ruges wohnen, sind nur einige von jenen. Mir ist auch bekannt, dass zumindest einer der Rugessöhne gerne mitspielt. Wie steht es mit Eurem Bruder oder dessen Meister? Wisst Ihr, ob auch diese Beiden ab und zu mit am Tisch sitzen?«
Das musste sie leider in Hinsicht auf Piet sehr schnell bejahen. Elisabeth ging nicht in Einzelheiten über, sagte nur, dass ihr dies von ihrem Bruder selbst bekannt sei. Sein Meister allerdings wäre kein Spieler und hätte auch keinen Umgang mit den Ruges oder den Soldaten.
»Dann weiß ich, wo wir euer Siegel zu suchen haben!«, nickte Liam mit überzeugtem Blick und Elisabeth hatte auf einen Schlag verstanden. Sie spürte, dass sich ihr Sinnen in glühendflüssiges Blei zu wandeln schien und ihre Nerven kurz vor einem Feuerwerk standen, das nicht der Freude diente.
Liams letzte Worte gaben dem ganzen Gebäude an Vermutungen, List und Lügen einen Sinn. Piet hatte das Siegel als Pfand eingesetzt und verspielt! Sie traute es ihm zu – klar und zweifellos! Damit war alles gesagt und Elisabeth verspürte den Wunsch, auch Liam nicht länger mit dieser Angelegenheit zu strapazieren. Sie wollte gehen.
»Ja, ich verstehe … Ich denke, dass ich nun mit Verlaub …« Sie erhob sich zeitgleich mit Liam. Dieser sagte etwas in schwedischer Sprache zu seinem Sekretär, der daraufhin augenblicklich die Arbeitsstube verließ und die Tür von außen ins Schloss legte.
»Ich habe jetzt etwas getan, dass ich normalerweise nicht tun dürfte, aber ich möchte unbedingt noch einige Worte mit euch alleine reden, Elisabeth.«
Erneut dachte sie, dass ihr die Knie wegrutschen würden, als Liam nur einen Schritt weit von ihr entfernt stehen blieb. Sie spürte diesen sinnenberaubenden würzigen Duft, der ihn umgab. Vielleicht ein besonderer Tabak, den er rauchte, oder auch nur der Wohlgeruch seiner Person, den sie wahrnahm. Natürlich konnte Elisabeth nicht ahnen, dass Liam der Blütenduft von Renatas Seife ebenso angenehm auffiel.
»Nehmt euch um Gottes willen all dies, was heute von mir gesagt und angeordnet wurde, nicht so schwer zu Herzen. Als Offizier und Kommandant kann ich nicht anders handeln und reden. Meine Position und Verpflichtung verlangen es von mir.« Liam sah kurz zur Seite, und fuhr mit einem direkten Blick in ihre Augen fort.
»Ich weiß, was ihr durchmacht, Elisabeth. – Ich weiß auch, wie sehr ihr für euren Bruder kämpft, damit er einen sicheren Fuß in dieses Leben bekommt, da euer gemeinsamer Vormund in vielen Fällen nicht seiner Verpflichtung nachkommt. Ich werde niemals derjenige sein, der das Leben eines jungen Burschen zerstören wird. Alle unsere Wege waren und sind zu hart. Von daher werde ich auf keinen Fall etwas veranlassen, dass gerade euch Schaden zufügen könnte. Nicht euch und nicht den Personen, die mit euch verbunden sind.« Es waren Worte, die ihr zu Herzen gingen und sie verstand: Liam war kein eiskalter Krieger. Er besaß eine durch und durch reine, empfindsame Seele.
»Ich hätte Ihnen diese Unannehmlichkeit gerne erspart«, sagte sie zögernd aber aus tiefstem Herzen. Er lächelte und sie erkannte, dass er sehr nachdenklich wurde.
»Man kann nur etwas ändern, wenn man gewillt ist es anzugehen. Also war es gut, dass ihr mich informiert habt. Vor unseren Toren tobt ein fürchterlicher, nicht enden wollender Krieg … und die meisten Menschen – auch unsere Soldaten – wissen nicht, wie viel Glück sie haben, dass sie hier bei ihrem Tun in dieser Garnison davon verschont bleiben. Versteht ihr Elisabeth? Es ist alles besser, als der Tod. Denn nur so lange man lebt, kann man Schlechtes zum Guten ändern. Glaubt mir, ich weiß, wovon ich rede.«
Sie nickte, und konnte dem Sinn seiner Worte nur zustimmen.
»Anscheinend benötigt es wirklich mehr Mut miteinander in Frieden zu leben, als sich den Krieg zu erklären …«, wagte sie gegenüber einem Offizier zu äußern, worüber dieser allerdings anerkennend lächelte.
»Das war sehr weise gesagt, Elisabeth. – Die Aufgabe eines Garnisonskommandanten ist es tatsächlich, den Frieden zu sichern. Würden nur die Hälfte der Bürger es hier so sehen, wie ihr, wäre ich mit meiner Arbeit ein ganzes Stück weiter.« Liam brachte Elisabeth zu einem verlegenen Lächeln. Einen Moment lang wich sie seinem Blick aus, und er wagte es, sie für eine Sekunde sehr behutsam an ihrem Oberarm zu berühren.
»Elisabeth, wenn ihr diesem Arbeitsraum den Rücken zudreht, habt ihr etwas Großes zurückgelassen: euren Eindruck auf mich! – Ihr seid eine bewundernswerte Frau.«
Irgendetwas in ihrem Leib zog sich zusammen. Sie kannte dieses Empfinden überhaupt nicht. Aber es fühlte sich an, wie eine Sehnsucht nach dem, was sie ihr Leben lang vermisst hatte. Etwas, das nun zum Greifen nah zu sein schien aber nicht zu fassen war. Diese Berührung löste in ihr eine Art Schauer der Ergriffenheit aus. Zusätzlich hatte sie noch niemals jemand zuvor als »Frau« bezeichnet! Sie war stets die »Deern«, die »Jungfer« … Das Wort »Frau« gab ihr etwas Erhabenes – eine Form von Selbstwert und Stärke – das sie nicht kannte.
»Herr Oberst, ich …«
»Elisabeth, erinnert euch bitte: Ich bin LIAM! – Beim nächsten Treffen kommt bitte ohne Scheu als mein persönlicher Gast ins Tribunal. Dort, wie auch hier, werde ich den Wache haltenden Soldaten Euren Namen hinterlassen. Eurem Wunsch, mich kontaktieren zu wollen, muss zu jeder Zeit nachgegeben werden! – Dabei möchte ich gerne mit den Worten des Liam Lindkvist mit euch reden, nicht nur mit denen des Offiziers seiner Majestät.«
Er reichte Elisabeth die Hand, um ihre – bereits eiskalte – danach mit beiden Händen zu fassen. Sie glaubte vor Ergriffenheit nicht mehr atmen zu können.
»Was immer auch passiert, haltet durch Elisabeth. Ich werde für euch da sein, und: Wir werden uns wiedersehen. Das weiß ich.«
Sie sah ihm so direkt und tief in die Augen – in dieses faszinierende Gesicht mit der kleinen unauffälligen Narbe am linken Wangenknochen – wie nie zuvor. Elisabeth spürte das unsagbare Verlangen, von ihm in den Arm genommen zu werden, doch sie wusste nur zu gut, dass dies von der militärischen Etikette her unmöglich war.
»Danke, Liam, für jede Sekunde, die ihr mir heute gewidmet habt«, traute sie sich zu sagen und ihr abschließendes: »Ich wünsche euch ein gesegnetes Fest. Gott schütze euch«, brachte sie zwar recht leise hervor, aber er konnte das Ausmaß der Bedeutung ihrer Worte aufnehmen.
»Gud välsigna Elisabeth«, entgegnete Liam mit ebenso verhaltener aber erkennbarer Herzlichkeit.
Er öffnete ihr sogar die Tür, als sie den Raum verließ und ihn noch ein einziges Mal direkt anblickte. Liam ließ seinen Sekretär wieder eintreten.
Das gerade Erlebte hatte Elisabeth, als sie alleine im Vorraum stand, schlagartig in einen Dämmerzustand versetzt. Nur langsam und erkennbar abwesend in ihren Gedanken schritt sie das langstreckte Vorzimmer bis zur Treppe zurück. Von jenem Standort aus, konnte sie dessen Ende sehen, an dem die Werkzeuge der Handwerker lagen. Über die Treppe, die am dortigen Ende zum zweiten Stock führte, kamen hurtige Schritte und sie dachte ihren Augen keinen Glauben schenken zu können: Es war Berthold Ruge, der nach dem Hobel, welcher links neben jener Treppe auf dem Boden lag, griff!
»Meister Hannes Lübke arbeitete hier am Dachgebälk!«, kochte es siedend heiß in ihr auf. Sie konnte der Situation nicht mehr entfliehen. Bertel blickte zu ihr her und ließ fast den Hobel aus der Hand fallen.
»Lisbeth?!«, kam es gedämpft aus seinem Mund, während sein Hals immer länger zu werden schien. Sie hob den Kopf und ging kühnen Schrittes auf ihre Treppe zu. Ihr »Guten Tag Bertel!«, war alles andere als herzlich.
»Teufel nochmal, was machst du denn da … in den Offiziersräumlichkeiten?!« Er kam ihr tatsächlich halbgebückt mit jenem langgestreckten Hals entgegen und fuhr im Flüsterton fort.
»Dort ist das Arbeitszimmer des Kommandanten! Was machst du da, zur Hölle?«
Elisabeth hatte große Lust ihn von der Treppe zu schubsen.
»Geh doch rein und frag ihn! Du bist doch sonst so couragiert!«, war mit Sicherheit nicht das Schlauste, was sie ihm als Antwort an den Kopf werfen konnte, aber es ärgerte ihn zumindest. Sie huschte die Treppe hinunter, während ihr ein zischendes »Unverschämtes Luder!« folgte.
Verwirrt, verärgert und wütend traf Elisabeth auf einen Wachsoldaten am Treppenaufgang. Er schien zu erkennen, wie aufgebracht sie war, und sie nutzte die Gelegenheit um ein »Dieser unverschämte Zimmermannsgeselle!«, verlauten zu lassen, ohne den Soldaten damit direkt ansprechen zu wollen. Jener allerdings hatte den Hinweis sehr wohl verstanden und eilte interessiert die Treppe hinauf, denn anscheinend schien hier ein Gast des Kommandanten durch einen Handwerker beleidigt worden zu sein.
Als Elisabeth das Kommandantenhaus verließ, war ihr bewusst, dass sie als allererstes nach Sankt Georgen eilen musste, um dort ihre Gedanken zu ordnen und das Erlebte zu verinnerlichen. Dieser Abschluss ihres Besuches war das Scheußlichste, was ihr hätte passieren können. Ausgerechnet Bertel! Morgen wüsste es Piet und dann die ganze Gesellschaft!
Sie hielt in ihrem Schritt an, als sie vor dem Tribunal stand und wollte sich wieder einmal für ein paar Sekunden im Betrachten der großartigen Gebäudefront verlieren.
Hier im zweiten Stockwerk wohnte der Kommandant und Tribunalspräsident Liam Lindkvist – kam ihr in den Sinn. Wie edel mochten diese Räumlichkeiten wohl sein? – In ihrer Erinnerung ging sie in das schön eingerichtete Haus ihrer Familie in der Wollweberstraße und die ihrer befreundeten, wohlhabenden Kaufmannsfamilien zurück. Seit der Tragödie der Wehrturmexplosion hatte sie nie wieder eines jener fein eingerichteten Häuser betreten. Schließlich war dies im nachfolgenden Kampf um das nackte Überleben auf den letzten Platz der Wünsche gerückt.
Der ehemalige Fürstenhof – das jetzige Tribunal – trug noch immer die überreichlichen, als Reliefs dargestellten Sagen- und Bibelgestalten. Das Gebäude beindruckte von daher bereits tief durch seine prächtige Fassade. Weiß gefasst und blau unterlegt, schmückten die Reliefs in unendlicher Vielfalt die Tordurchfahrt, wie auch die Fensterrahmen auf allen drei Ebenen.
Heute dienten Elisabeth die Figuren an der Tordurchfahrt zu einem kurzen besinnlichen Innehalten.
»Wieso eigentlich nicht?!«, kam es ihr spontan in den Sinn. Weshalb sollte sie sich davor fürchten, Liam in seinen persönlichen Räumlichkeiten aufzusuchen? Auf eine gewisse Weise waren schließlich auch diese mit all den militärischen Ordnungshütern und Wachposten des Tribunals nicht von der Welt abgeschieden. Außerdem müsste sie sich vor Liam nicht fürchten, dessen war sie sich sicher, und zur Hölle mit den ungnädigen bürgerlichen Vorschriften!
Nein, sie würde sich nicht mehr durch gesellschaftliche Zurechtweisungen in ihrem Denken und Handeln verbiegen lassen. Dass sie damit einen gefährlichen Weg einschlagen würde, war ihr bewusst, denn eigenes Denken und Handeln war ihr als Mädchen verboten, und dies würde auch so bleiben, wenn sie verheiratet wäre.
Nein, sie hatte das Recht darauf, nachfragen zu dürfen, was mit ihrem Siegel geschehen war! Selbst Pavel hatte es ihr mit Unkenrufen empfohlen. Dennoch, auf keinen Fall würde sie jemandem einen Mucks über das soeben Erlebte berichten, sondern einfach nur abwarten, was passieren würde, sollte Bertel ihre Begegnung hinausposaunen. Gewiss würde sie die rechten Worte einer Entgegnung finden.
*
In Sankt Georgen ging sie wieder zu ihrer Bank am Hochaltar und versuchte nach einem Dankgebet ihr gerade Erlebtes mit Andacht zu verarbeiten.
Als Erstes wurde ihr eine Sache voll und ganz bewusst: Sie hatte sich heute unsterblich in Liam verliebt. Das bescherte ihr ein wundervolles Gefühl, kam aber in jener Zeit und in ihrer persönlichen Lage einem großen Unglück gleich.