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»Du hast verloren, Avery.« Averys Leben als normale Highschool-Schülerin ist vorbei. Seit sie erfahren hat, dass ihr Vater ihre Seele an den Teufel verkauft hat, ist nichts mehr wie zuvor. Nun ist der gefährlich gut aussehende Höllendiener Nox die einzige Konstante in ihrem Leben. Mit ihm an ihrer Seite muss sie die Prüfungen der sieben Todsünden bestehen. Doch während ihrer gemeinsamen Reise lässt er sie nicht nur an seiner Loyalität, sondern auch an seinen Gefühlen zu ihr zweifeln … Sieben Sünden. Sieben Prüfungen. Und ein höllischer Vertrag ... Lass dich von Lana Rotarus neuester Urban-Fantasy-Serie in eine faszinierende Welt entführen, in der die Sünde und die Freiheit deiner Seele unausweichlich miteinander verbunden sind. Ein absolutes Must-Read für Fans von Fantasy-Liebesromanen der besonderen Art! Leserstimmen auf Amazon: »Wow, Wow, Wow!!!« »Perfekt, um aus der Realität zu verschwinden, sich zu verlieren und mitzufühlen.« »Einfach großartig.« »Unerwartet und fesselnd.« »DEFINITIV IST DIESES BUCH JEDE SEITE WERT...« //Dies ist der zweite Band der romantischen Urban Fantasy-Reihe »Seven Sins«. Alle Bände der Buchserie bei Impress: -- Seven Sins 1: Hochmütiges Herz -- Seven Sins 2: Stolze Seele -- Seven Sins 3: Bittersüßes Begehren -- Seven Sins 4: Neidvolle Nähe -- Seven Sins 5: Zerstörerischer Zorn -- Seven Sins 6: Maßlose Macht -- Seven Sins 7: Grauenhafte Gier//
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Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Lana Rotaru
Seven Sins 2: Stolze Seele
»Du hast verloren, Avery.« Averys Leben als normale Highschool-Schülerin ist vorbei. Seit sie erfahren hat, dass ihr Vater ihre Seele an den Teufel verkauft hat, ist nichts mehr wie zuvor. Nun ist der gefährlich gut aussehende Höllendiener Nox die einzige Konstante in ihrem Leben. Mit ihm an ihrer Seite muss sie die Prüfungen der sieben Todsünden bestehen. Doch während ihrer gemeinsamen Reise lässt er sie nicht nur an seiner Loyalität, sondern auch an seinen Gefühlen zu ihr zweifeln …
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Vita
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© privat
Lana Rotaru lebt zur Zeit mit ihrem Ehemann in Aachen. Der Lesewahnsinn begann bei ihr bereits in früher Jugend, die sie Stunde um Stunde in einer öffentlichen Leihbibliothek verbrachte. Nun füllen Hunderte von Büchern und E-Books ihre Wohnzimmer- und E-Reader-Regale und ein Ende ist nicht in Sicht. Eine Lesepause legt sie nur ein, wenn sie gerade selbst an einem neuen Roman schreibt.
Hochmut ist’s, wodurch die Engel fielen,
woran der Höllengeist den Menschen fasst.
– Friedrich Schiller († 1805)
Mein Name ist Avery Marie Harper und bis gestern dachte ich, ich sei eine ganz normale Highschool-Schülerin. Doch dann erfuhr ich von Dingen, die außerhalb meiner Vorstellungskraft lagen. Zum Beispiel ist mein bester Freund Adam ein Engel. Mein Schutzengel, genau genommen. Er wurde auf die Erde geschickt, um auf mich aufzupassen.
Wieso?
Weil mein Vater, der mich und meine Mom vor zwölf Jahren verließ, meine Seele an den Teufel verkauft hat, um seine Schauspielkarriere anzutreiben. Der Vertrag sollte pünktlich an meinem achtzehnten Geburtstag mit meinem Tod in Erfüllung gehen, doch als der dämonische Kopfgeldjäger Nox kam, um meine Seele einzukassieren, klärte Adam mich auf, es gäbe eine Klausel, die mir die Möglichkeit bot, um meine Freiheit zu kämpfen. Dafür muss ich sieben übernatürliche Prüfungen bestehen und anschließend gegen Luzifer persönlich antreten.
Leider wurde mir der Haken an der Geschichte erst offenbart, nachdem ich den Prüfungen zugestimmt hatte. Dank mir verloren Adam und Nox ihre jeweiligen Fähigkeiten sowie die Unsterblichkeit. Gemeinsam mit mir sind auch sie nun an die Prüfungen gebunden. Das bedeutet: Wenn einer von uns dreien stirbt, landen wir alle für immer im Höllenschlund.
»Willkommen in Galoai, Kleines. Der Ort, an dem du auf die vermeintlich glücklichste und schönste Art sterben kannst«, sagte Nox.
Zögerlich senkte ich meinen Arm und blinzelte. Ich brauchte einen Moment, bis mein Verstand realisierte, was meine Augen wahrnahmen. Unbewusst, als würde mich jemand oder etwas zu sich rufen, wollte ich loslaufen. Ich wollte mir das alles ganz genau ansehen. Mir jedes Detail einprägen. So was habe ich noch nie gesehen.
»Nicht so schnell, Kleines.« Nox verstärkte den Griff um meine Hand und zwang mich stehen zu bleiben. »Du solltest lieber hinter mir bleiben. Feen spüren die Anwesenheit von Menschen. Wir werden also nicht lange unentdeckt bleiben. Ich will diesen Moment aber so lange wie möglich hinauszögern. Und wenn es dann doch so weit ist, solltest du nicht unbedingt als Erstes gesehen werden.«
Neugierig studierte ich Nox’ Gesichtszüge. Er sah mich ernst an, wirkte jedoch nicht sonderlich aufgebracht oder angespannt. Entweder hatte er sich mit dem Umstand abgefunden, dass wir dieses Abenteuer gemeinsam bestreiten würden, oder er hatte zuvor einfach überreagiert.
Ich nickte. »Okay, dann geh vor. Ich bleibe dicht hinter dir.« Jetzt, da ich endlich wieder alles um mich herum klar und deutlich sehen konnte, kam es mir falsch vor, Nox’ Hand zu halten. Doch als ich meine Finger aus seinen löste, zuckte ein undefinierbarer Ausdruck über sein Gesicht. Ehe ich mir Gedanken machen konnte, was das zu bedeuten hatte, kehrte Nox mir erneut den Rücken zu. Wortlos machte er sich auf den Weg, geradewegs auf das Licht zu.
Unvermittelt folgte ich ihm und konzentrierte mich auf den Weg. Zumindest bis ich die ersten Meter in dieser unwirklichen Welt hinter mich gebracht hatte. Mit jedem weiteren Schritt driftete meine Aufmerksamkeit ab, bis sie gänzlich auf meine neue und reizüberflutende Umgebung gerichtet war. Mein Verstand hatte Schwierigkeiten, die vielen Sinneseindrücke zu verarbeiten, und konzentrierte sich zunächst auf das, was sich meinen Augen bot.
Ich befand mich in einem Wald, dessen war ich mir sicher. Ich sah Bäume, Sträucher und Büsche, die aus dem Boden wuchsen, bemerkte Gras und Laub, die unseren Weg pflasterten und unter meinen Schuhsohlen knirschten, als ich darüber schritt. Aber damit hörte die Ähnlichkeit zu den Wäldern, die ich kannte, auch schon auf. Die Baumstämme und Äste hier waren nämlich nicht braun und aus knorriger Rinde, sondern besaßen eine tiefschwarze Farbe und glatte und glänzende Oberflächen. Sie schimmerten durchsichtig, als wären sie aus Glas geblasen. Ein wenig erinnerte mich das Material an Onyxgestein, über das wir irgendwann einmal im Geografieunterricht gesprochen hatten.
Die Blätter hier waren nicht aus einem saftigen, hellen Grün, sondern besaßen eine tiefe und dunkle Farbe wie Flaschenglas. Dabei schimmerten sie metallisch, als hätte man sie mit Autolack veredelt, und verursachten ein diffuses Licht, als wäre es bereits später Nachmittag und die Sonne gerade im Begriff unterzugehen. Die dichten Baumkronen verstärkten diesen Eindruck. Sie ragten hoch in den Himmel und überspannten uns wie ein Baldachin mit ihrem Blätterkleid. Woher das grelle Licht gekommen war, das mich eben noch geblendet hatte, konnte ich unmöglich erklären.
Als Nächstes konzentrierte ich mich auf den Geruch, der mich umgab. Es duftete nach Holz, Laub, Harz und feuchter Erde, jedoch so intensiv, dass es meine Sinne benebelte und mir Kopfschmerzen bereitete. Auch das unentwegte Knirschen unter meinen Schuhsohlen kratzte unangenehm an meinem Nervenkostüm. Dennoch konnte ich nicht aufhören, jedes noch so kleine Detail in mich aufzusaugen.
Den Kopf in den Nacken gelegt drehte ich mich um meine eigene Achse und nahm immer mehr von der bizarren und ungewohnten Schönheit dieses Waldes auf. Dabei bemerkte ich, dass der Eingang zur Kapelle verschwunden war. Mir bot sich keine Möglichkeit, diesen Gedanken weiterzuverfolgen, denn im selben Moment entdeckte ich Vögel, so farbenfroh und schillernd, dass ich meinen Augen nicht traute. Doch sobald ich versuchte ihre Einzigartigkeit als Erinnerung festzuhalten, schlugen sie mit ihren Flügeln und schossen wie Gewehrkugeln durch das dichte Blätterdach. Es schien fast so, als wüssten sie, was ich vorhatte, und waren zu scheu, mir diesen Gefallen zu tun.
Ich hielt mich nicht an dem Gedanken auf, denn zum einen hatte ich Nox versprochen, ihm nicht von der Seite zu weichen, und zum anderen gab es zu viel anderes, das ich unbedingt noch sehen musste. Da waren zum Beispiel Sträucher, die rechts und links unseren kleinen Pfad säumten und mich zum Teil überragten. Ihre Blätter schimmerten dunkelgrün, doch sobald ich mich abwandte, bemerkte ich aus den Augenwinkeln, dass ihre Farbe ein sattes Mitternachtsblau annahm. Richtete ich meine Konzentration erneut auf das Blätterwerk, präsentierte sich mir ein wunderschönes Tannengrün.
Dieses verwirrende Phänomen blieb nicht das Einzige, was mich faszinierte. Da waren auch noch die faustgroßen Früchte, die in allen Regenbogenfarben leuchteten, als wären sie einem modernen Kunstgemälde entsprungen. Trotz der ungewöhnlichen Farben sahen sie dermaßen köstlich aus, dass sich mein Magen daran erinnerte, viel zu lange nichts mehr bekommen zu haben.
Obwohl ich kein Fan von Obst war, fiel mir eine orangefarbene Frucht ins Auge, die ich unbedingt probieren musste! Ich streckte gerade meine Hand danach aus, als Nox, der nur wenige Meter vor mir lief, stehen blieb, zu mir zurückkam, mein Handgelenk packte und mich schmerzhaft zu sich herumdrehte. In seinem Blick lagen blanke Raserei und Panik.
»Was machst du da?«
»Ich …« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Mit einem Mal hatte ich unerträgliche Kopfschmerzen und mir wurde schwindelig. Doch je länger ich Nox in die Augen sah, desto mehr lichtete sich der Nebel in meinem Kopf und meine Gedanken begannen wieder zu arbeiten. Was hat er gefragt?
Nox seufzte resigniert, senkte den Kopf und murmelte etwas, das nach »Das fängt ja gut an!« klang. Als er wieder aufsah, wirkte er genervt. »Okay, hier eine neue Regel: Fass nichts an! Also wirklich gar nichts! Selbst wenn du kurz vorm Verhungern oder Verdursten sein solltest, nimm auf keinen Fall irgendetwas zu dir! Hast du mich verstanden?! Die Konsequenzen sind unvorhersehbar.«
»Aber …« In meinem Kopf tobte ein Wirbelsturm an Gedanken und Emotionen. Leider erschien mir alles derart durcheinander, dass ich unmöglich sagen konnte, aus welchen Bestandteilen sich das Chaos zusammensetzte. »Ich wollte doch gar nichts anfassen«, verteidigte ich mich kläglich.
Wie kommt er darauf?
Nox’ Blick huschte nach links, wo direkt neben uns ein knapp zwei Meter hoher Strauch aufragte. Als ich ebenfalls in die Richtung sah, schluckte ich ertappt. Meine Fingerspitzen, die wegen Nox’ Griff immer noch bewegungsunfähig in der Luft schwebten, waren nur wenige Zentimeter von einem leuchtend orangen Edelstein entfernt, der sich kontrastreich von seinem dunklen Untergrund abhob. Ich wusste nicht, weshalb ich danach gegriffen hatte, aber es ließ sich nicht abstreiten, dass es so gewesen war.
Als ich wieder zu Nox blickte und mit einem Nicken mein Einverständnis bezüglich der neuen Regel bekundete, ließ er meine Hand los und wandte sich ruckartig von mir ab. Ich hatte das Gefühl, ihn enttäuscht zu haben.
»Los, komm. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Und versuche dich nicht alle fünf Minuten in Schwierigkeiten zu bringen. Verstanden?!« Anstatt eines mitschwingenden Grinsens, wie ich es von ihm gewohnt war, nahm ich ausschließlich Gereiztheit in seiner Stimme wahr.
Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, das man beim Stehlen erwischt hatte. Dabei hatte ich gar nicht vorgehabt, nach dem Klunker zu greifen.
Oder?
Traurigerweise konnte ich es nicht genau sagen.
Aber wieso sollte ich den Stein anfassen wollen?
Ich machte mir nichts aus Schmuck. Ich hatte ja nicht einmal Ohrlöcher!
Sosehr ich es auch versuchte, ich konnte mir mein Handeln nicht erklären. Und erst recht hatte ich keine Ahnung, was passiert war. Ich erinnerte mich nur daran, dass ich aus dem Kapelleneingang getreten war, und dann hatte Nox mich wie eine Schwerverbrecherin auf frischer Tat ertappt.
Gern hätte ich ihn nach Details gefragt, aber er schien beschlossen zu haben, seiner schlechten Laune zu frönen. Und da wir beide nicht wussten, wie lange diese Reise dauern würde, wollte ich keinen unnötigen Stress heraufbeschwören. Bei Nox wusste ich nie, was er als Nächstes tun oder sagen würde. Er hatte das unnachahmliche Talent, auf ein und denselben Satz in verschiedenen Situationen auf zig denkbare Arten zu reagieren. Seine Stimmungsschwankungen sind anstrengender als eine Magen-Darm-Grippe während der Periode.
Schweigsam folgten wir dem schmalen Pfad, der sich zwischen Bäumen und Sträuchern hindurchwand. Dabei achtete ich penibel darauf, meinen Blick auf den Boden zu richten, um eine Wiederholung dieser abstrusen Juwelenaffäre zu vermeiden. Leider war das gar nicht so einfach. Je tiefer wir in den Wald hineinliefen, desto enger wurde der Weg und desto ausschweifender die Botanik. Hätten Nox und ich anfangs noch problemlos nebeneinanderher gehen können, war es in diesem Waldabschnitt bereits für meinen schmalen Körper eine Herausforderung, nicht an jedem hervorstehenden Ast hängen zu bleiben. Doch genau das versuchte ich krampfhaft, denn die Blätter machten nicht nur einen verdammt scharfkantigen Eindruck, sie waren es auch. Jede Berührung, mochte sie noch so kurz und zaghaft sein, schmerzte wie ein Skalpellschnitt. Und auch wenn aus den feinen und fast unsichtbaren Schnitten kaum mehr als ein oder zwei Tropfen Blut hervorquollen, brannten die Wunden qualvoll. Der Schweißfilm auf meiner Haut, der sich wegen der ungewohnt hohen Luftfeuchtigkeit gebildet hatte, steigerte den Schmerz exponentiell.
Erneut beneidete ich Nox um seine Lederjacke, die er bereits auf dem Weg zum Parkplatz angezogen hatte, nachdem wir Alyssa und Adam verlassen hatten. Ihre langen Ärmel waren ein hervorragender Schutz.
Unvermittelt blickte ich auf meine Arme und Beine hinab. Meine helle Haut war von unzähligen roten Strichen übersät und ich musste den Wunsch unterdrücken, das Brennen mit Spucke zu lindern. Eine Infektion konnte ich jetzt wirklich nicht gebrauchen.
Ich sehe aus, als hätte ich mir einen Cat Fight geliefert. Mit echten Katzen.
Mit jedem weiteren Schritt fiel es mir schwerer, Schmerzenslaute zu unterdrücken. Doch ich presste die Zähne fest zusammen und ließ mir meine Qualen nicht anmerken. Du wolltest hierher! Jetzt beschwer dich nicht, Avery!
Nach einigen weiteren Minuten blieb Nox wie vom Blitz getroffen stehen und sah sich irritiert um. Ich blieb ebenfalls stehen und bemerkte, wie sein Kopf hin und her ruckte, als würde er der Flugbahn einer betrunkenen Mücke folgen.
»Nein! Verdammt! Nein! Nein! Nein!«
Jedes seiner Worte schallte wie ein Donnergrollen durch den Wald. Blitzschnell richtete er seine Aufmerksamkeit auf einen der massiven Bäume und schlug mit beiden Fäusten mehrmals mit erschreckender Intensität und Geschwindigkeit darauf ein. Bereits nach dem dritten Schlag zierte ein Netz aus dünnen Linien das dunkle Material. Das feine Geflecht schimmerte rot und im ersten Moment dachte ich, der Baum würde bluten, doch als ich Nox’ Fingerknöchel sah, wurde mir mein Irrtum bewusst. Seine Haut war aufgeplatzt und frisches, leuchtend rotes Blut rann über seine Hand. Er selbst schien es gar nicht zu registrieren, als er sich mit wutverzerrtem Gesicht zu mir umwandte.
»Das ist deine Schuld! Wenn ich nicht deinetwegen in den Tunnel zurückgemusst hätte, wäre das nicht passiert!« Nox’ Augen loderten gleißend hell auf und ich wich zurück. Noch nie zuvor hatte ich eine solche Angst vor ihm gehabt. »Ich wollte dich von Anfang an nicht dabeihaben, weil ich wusste, dass du mir nur im Weg stehen würdest.«
Er folgte mir. Mit jedem seiner Worte kam er näher, bis ich nicht weiter zurückweichen konnte. Doch selbst dann hörte er nicht auf. Wie eine Dampflok presste er seinen Körper gegen meinen und keilte mich zwischen sich und einem Baumstamm fest. Er hob seine Arme und stützte sie rechts und links direkt neben meinen Schläfen an dem Baum ab. Es war mir unmöglich, meinen Kopf wegzudrehen, selbst wenn ich es gewollt hätte. Im Moment war ich viel zu ängstlich, um den Höllendiener aus den Augen zu lassen.
»Ihr Menschen seid nur Ballast«, spie er mir fauchend entgegen und sein heißer Atem prickelte auf meiner wunden Haut. »Am liebsten würde ich dich hier stehen lassen und in die Menschenwelt zurückgehen, um die letzten Stunden meines Daseins mit willigen Frauen zu verbringen. Aber nein, stattdessen muss ich den Babysitter für dich spielen!«
Ich wusste, er wollte mich mit seinen Worten verletzen. Und genau deshalb konnte ich es nicht zulassen. Dennoch spürte ich den Schmerz wie einen brennenden Schürhaken, den man mir in die Brust gerammt hatte. Ich hatte keine Ahnung, was passiert war, aber es konnte unmöglich eine plausible Erklärung für seine hasserfüllten Beleidigungen geben.
»Was ist denn los? Wieso bist du auf einmal …« So grausam! »… ein noch größerer Arsch als sonst?«
Nox sollte auf keinen Fall erfahren, wie sehr mich sein Ausbruch traf. Ich dachte ehrlich, wir könnten uns endlich zusammenraufen! Gott, bin ich dämlich!
»Was passiert ist?« Nox schnaubte herablassend und verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen. Sein Blick bohrte sich wie ein Assassinendolch in meinen. »Die Fee ist verschwunden! Der einzige Grund, weshalb wir überhaupt an diesem Ort sind und unser Leben riskieren, ist abgehauen!«
»Was?« Das Wort kam nur keuchend über meine Lippen. Zum Teil lag das an der neuesten Entwicklung unserer Situation, aber Nox’ massiger Körper, der mir allmählich die Luft abdrückte, hatte auch einen gewissen Anteil daran. »Das kann nicht sein! Wo ist sie hin?«
»Woher soll ich das wissen? Ich war schließlich nicht hier, als sie verschwand.« Nox fluchte ein weiteres Mal. »Das ist echt ätzend. Jetzt muss ich nicht nur aufpassen, dass du dich nicht aus Versehen umbringst, nein, ich muss auch noch diese dämliche Fee suchen!«
Erst ließ Nox seine Arme sinken, dann befreite er meinen Körper, indem er einen Schritt zurück machte. Dabei wandte er seinen Kopf zur Seite und sah sich suchend um. Immerhin entspannte sich seine Mimik dabei minimal, sodass er nicht länger wie ein durchgeknallter Serienkiller aussah, sondern eher wie ein ausgehungerter Tiger, dem man seinen Frühstückskadaver wegnehmen wollte.
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch wieder. Was auch immer ich im Augenblick sagen könnte, es würde Nox nicht beschwichtigen. Was hätte ich auch sagen sollen? Schließlich war nicht ich diejenige gewesen, die Harmony allein hier zurückgelassen hatte.
Er ist zurückgegangen, um dich zu suchen!
Wieder war da ein Teil meines Verstandes, der Nox in Schutz nahm. Allmählich begann dieser Teil mich zu nerven.
Nox kehrte mir den Rücken zu, weiterhin auf der Suche nach Harmony. Als er sprach, klang er ruhiger. Immer noch extrem wütend, aber ruhiger. »Wenn wir Glück haben, hat sie ihr Bewusstsein wiedererlangt und irrt nun irgendwo in der Gegend herum. Wenn nicht …« Der Rest des Satzes blieb unausgesprochen, aber ich wollte ihn hören. Auch wenn ich mir denken konnte, was er hatte sagen wollen.
»Und wenn nicht? Was ist die Alternative, Nox? Was passiert, wenn Harmony von irgendwem gefunden wurde?«
Langsam, als hätte der Höllendiener alle Zeit der Welt, drehte er seinen Kopf zur Seite. Er sah mich nicht an, aber ich erkannte in seiner Mimik, wie viel Kraft es ihn kostete, nicht erneut in eine Raserei zu verfallen. »Dann, Kleines, ist sie längst tot. Ebenso wie wir, wenn wir noch länger hierbleiben.«
In einer blitzschnellen Bewegung, mit der ich nicht gerechnet hatte, griff Nox nach meinem Handgelenk und lief los. Ich war so überrumpelt, dass ich ihm nur hinterherstolpern konnte. Dabei blieb mir keine Chance, den immer dichter werdenden Ästen und Blättern auszuweichen. Ich konnte nur den Kopf senken und die Schultern anheben, um wenigstens mein Gesicht zu schützen. Dabei fragte ich mich, wozu ich ein unversehrtes Gesicht brauchte, wenn mein restlicher Körper aussah, als hätte mich ein Panzer durch ein Meer aus Stacheldraht gezogen.
In einem scheinbar wahllosen Kurs lief Nox von links nach rechts und wieder zurück. Ich hatte längst die Orientierung verloren und falls er seine Drohung wahr machte und mich allein zurückließ, wäre ich aufgeschmissen.
Nach einer schier endlosen Zeit ließ Nox meine Hand los, als hätte er keine Kraft oder keine Lust mehr, meinen Fremdenführer zu spielen, und blieb einfach stehen. Dann tat er etwas, was ich niemals von ihm erwartet hätte.
Er ließ die Schultern hängen.
Mehrere Sekunden lang stand er stumm vor mir und ich wagte es kaum zu atmen. Sein Anblick verstörte mich mehr als alles, was ich bisher gesehen hatte. Ich konnte mit einem wütenden, zornigen, eingebildeten, arroganten, selbstverliebten und, ja, sogar flirtenden Nox umgehen. Aber mit einem verzweifelten? Nein, das überforderte mich. Zum Glück hatte Nox sich schnell wieder unter Kontrolle. Als er mich ansah, wirkte seine Mimik ausdruckslos.
»Komm. Wir müssen uns ein Lager suchen, ehe es Nacht wird.«
Ohne auf meine Reaktion zu warten, wandte er sich nach rechts und marschierte los, ohne sich davon zu überzeugen, ob ich ihm folgte. Mit einem leisen Seufzen machte ich mich auf den Weg.
»Was passiert nachts?«
»Glaub mir einfach. Du willst nicht im Finsterwald sein, wenn es Nacht wird.«
Mit diesen kryptischen Worten schlug Nox einen Haken nach links und quetschte sich durch zwei eng beieinanderstehende Büsche. Seine Jeans und die Lederjacke schützten ihn, ich jedoch war den scharfen Blättern schutzlos ausgeliefert. Ich sah mich nach einer Ausweichmöglichkeit um, aber ich war von dunkelgrünen Wänden umgeben. Mir bleibt keine Wahl!
Also schloss ich meine Lider und atmete tief durch. Wenn ich den Gedanken an die bevorstehenden Schmerzen verdrängte, würde ich es schaffen hindurchzulaufen. Es wird auch nur ganz kurz wehtun! Wie bei einer Spritze. Nur ein kurzer Piks.
Mit dieser Ermunterung folgte ich Nox. Je schneller ich hindurch war, desto besser!
Die Qual war schlimmer als befürchtet. Wie brennende Quallententakel peitschten die zurückschnellenden Äste gegen meinen Körper. Ein Ast, den Nox beim Hindurchschlüpfen nach vorn gebogen hatte, schoss zurück und traf meine linke Seite. Der einsetzende Schmerz fühlte sich an, als hätte ein Samuraischwert meine Taille durchtrennt. Ich presste eine Hand gegen die pochende Stelle und die andere zur Faust geballt gegen meinen Mund. Trotz meines Versuchs, einen Aufschrei zu unterdrücken, entwich mir ein Stöhnen. Der Laut zeugte von Erleichterung und gleichzeitigem Schmerz, als ich endlich aus dieser Folterkammer herausstolperte und auf die Knie fiel.
»Was …?« Nox drehte sich zu mir herum und verstummte augenblicklich. Der Ärger wich aus seinem Blick. Seine Augen weiteten sich und seine Lippen formten sich zu einem unterdrückten Fluch. Mit wenigen Schritten war er bei mir und kniete neben mir nieder. »Verdammt, Kleines! Bist du lebensmüde? Wieso rennst du durch einen Feuerstrauch?«
Er zog seine Lederjacke aus und legte sie mir vorsichtig über die Schultern. Auch wenn seine Geste lieb gemeint war, hasste ich ihn für diese Tat. Der seidige Innenstoff war zwar warm und weich, aber nass geschwitzt, und die Berührung verursachte mir unermessliche Schmerzen. Ich war nicht einmal in der Lage, einen sarkastischen Kommentar hervorzubringen. Stattdessen sagte ich das Erste, was mir in den Sinn kam.
»Du bist doch auch hindurchgegangen. Und da du mich sowieso schon als Ballast empfindest, wollte ich nicht …« Ich verstummte und senkte den Kopf. Laut ausgesprochen kam mir meine Erklärung ziemlich kindisch vor. Aber Nox’ Worte hatten mich zutiefst getroffen. Ich verabscheute den Gedanken, jemandem zur Last zu fallen. Weder brauchte ich einen Beschützer noch einen Babysitter. Im Zweifel würde ich schon irgendwie zurechtkommen oder eben bei dem Versuch sterben. Aber dieses Schicksal konnte mich genauso gut an Nox’ Seite ereilen. Auch der Höllendiener war kein Garant fürs Überleben.
Er gab ein schnalzendes Geräusch von sich. »Erstens trage ich Kleidung, die meinen gesamten Körper bedeckt. Zweitens macht mir das Gift nichts …«
Den Rest seiner Worte verstand ich nicht. Als hätte mir jemand einen Hieb an den Hinterkopf verpasst, verschwamm schlagartig meine Sicht und ich vernahm nur noch Rauschen, wie bei einem schlecht eingestellten Radio.
»Nox?« Meine Stimme klang fremd. Mechanisch und verzerrt. »Mir ist …« Ich begann zu würgen. Das Stadium der Übelkeit hatte ich übersprungen und war gleich zum Finale übergegangen. Entsetzt schlug ich die Hände vor den Mund, aber das half nicht, die bittere Flüssigkeit, die sich meinen Hals hinaufkämpfte, zurückzuhalten. Mit dem nächsten Würgen quoll der warme, nach Eisen schmeckende Mageninhalt durch meine Lippen. Die leuchtend rote Farbe und die dickflüssige Konsistenz überraschten mich. Noch während ich die Flüssigkeit durch meine Finger rinnen sah, fiel ich in ein schwarzes Loch. Eine höhnische Stimme in meinem Kopf war das Letzte, was ich hörte.
Du hast verloren, Avery. Jetzt gehört ihr mir!
Wenn ich tot war, befand ich mich ganz sicher in der Hölle. Anders waren diese Schmerzen nicht zu erklären. Als hätte ich Rasierklingen geschluckt, konnte ich förmlich spüren, wie ich von innen heraus aufgeschlitzt wurde und elendig verblutete. Ich wollte schreien und meiner Qual Ausdruck verleihen, doch es kam kein Ton heraus. Was logisch war, schließlich mussten die Rasierklingen auf ihrem Weg in meinen Körper meine Stimmbänder zerstückelt haben. Als Alternative versuchte ich meine bleischweren Gliedmaßen zu bewegen, aber auch diese gehorchten mir nicht. Dafür spürte ich ein unangenehmes Kribbeln in meinen Finger- und Zehenspitzen. Es fühlte sich an, als wären sie eingeschlafen. Kündigt sich Blutverlust nicht auf diese Art an? Vielleicht hatten aber auch sadistische Dämonen meine Sehnen und Nerven durchtrennt. Hatte Nox nicht einmal so etwas erwähnt? Oder hatte ich davon im Geschichtsunterricht gehört?
Ich war mir nicht mehr sicher. Egal, wessen Idee das auch gewesen war, derjenige hatte gute Arbeit geleistet. Das Gefühl war subtil und im Vergleich zu den anderen Schmerzen kaum erwähnenswert. Dennoch war es viel qualvoller, da es langsam, dafür aber tiefgehend an den Nerven zerrte.
Zum Glück erlöste mich eine weitere Ohnmacht von dieser Qual.
***
Ich wusste nicht, wie lange ich diesmal in der Dunkelheit verbracht hatte, doch es war bei Weitem nicht lange genug. Als ich wieder zu Bewusstsein kam, war der Schmerz gerade mal etwas erträglicher geworden. Das Kribbeln hatte sich bis in meine Finger- und Zehenspitzen ausgebreitet. Dafür hatte das lodernde Brennen in meinem Inneren aufgehört. Leider konnte ich mir keine Gedanken darüber machen, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, denn kaum hatte ich diesen Zustand registriert, fiel ich wieder in die gnädige Dunkelheit der Bewusstlosigkeit.
***
Als ich das nächste Mal zu Bewusstsein kam, bemerkte ich, dass sich etwas verändert hatte. Das Rauschen in meinen Ohren hatte nachgelassen und ich hörte Geräusche.
Regen?
In der Hölle?
Unmöglich!
Oder?
Um ehrlich zu sein, wusste ich es nicht. Woher auch? Nox hatte mir deutlich zu verstehen gegeben, dass meine Vorstellungen von Hollywood geprägt waren und nichts mit der Realität zu tun hatten. Aber das Prasseln von Wasser war unverkennbar. Es war so deutlich, als würden zahlreiche kleine Tropfen direkt neben meinem Ohr zerplatzen. Gleichzeitig bemerkte ich, dass das Kribbeln nachgelassen hatte. Ebenso wie der restliche Schmerz in meinem Körper. Es war mir zwar immer noch unmöglich, meine Gliedmaßen wie auch meine Lider zu bewegen, aber ich genoss den kurzen Moment der Erholung. Ich war mir sicher, dass das zu dem grausamen Plan meiner Folterknechte gehörte und sicherlich jeden Moment enden würde.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf tauchte ich erneut in die emotions- und gefühllose Kälte der Bewusstlosigkeit ab.
***
»Verdammt!«
Der leise Fluch erweckte mich aus meinem Schlaf.
Schlaf?
Hatte ich wirklich geschlafen? Vermutlich. Zumindest hatte ich einen verrückten Traum gehabt. Ich war mit Nox unterwegs gewesen. In einem Wald. Der aber gar kein richtiger Wald gewesen war. Ich hatte bunte Vögel gesehen und …
Ein Stöhnen drang über meine Lippen und unterbrach meine Gedanken. Ich fühlte mich kein bisschen erholt oder ausgeschlafen. Eher erschöpft und verspannt, als hätte ich nach einer alkohollastigen Party auf dem Boden gepennt. Pochende Kopfschmerzen und ein trockener Mund bestätigten diese Annahme und damit hatte ich auch eine Erklärung für meinen abstrusen Traum.
Um meine Rückenmuskulatur etwas zu entspannen, drehte ich mich auf die Seite. Im selben Augenblick schoss ein schmerzhafter Stich durch meine Taille und ich keuchte schmerzgepeinigt auf.
O nein!
Diesen Schmerz kannte ich bereits!
Ich riss die Augen auf und versuchte mich aufzusetzen. Doch ich schaffte es gerade einmal, meinen Oberkörper in einem Fünfundvierzig-Grad-Winkel anzuheben, als meine Stirn unangenehme Bekanntschaft mit einem Felsbrocken machte.
»Scheiße! Verdammt, Kleines! Pass doch auf!«
Eine mir wohlbekannte Stimme drang in meinen Verstand, aber ich brauchte ein paar Sekunden, ehe ich sie zuordnen konnte. Besonders weil ich reflexartig die Augen schloss und mir die schmerzende Stirn rieb.
Nox?!
Was machte der Höllendiener neben mir, wenn ich gerade aus einem Alkoholrausch aufwachte?
Heiß wie Lava durchfuhr mich ein Schauder.
O nein!
Bitte nicht!
Nein!
Nein!
Nein!
Das durfte auf keinen Fall passiert sein!
Hatte ich ernsthaft …?
Nein! O Gott, bitte nicht!
Wenn ich tatsächlich dem klischeehaftesten Teenagerverhalten aller Zeiten zum Opfer gefallen war und in einem Alkoholrausch mit Nox geschlafen hatte, würde ich mich auf der Stelle umbringen müssen. Aber bis es so weit war, brauchte ich Klarheit. Und dafür musste ich erst mal die Lage sondieren.
Immer noch meine schmerzende Stirn reibend öffnete ich langsam die Augen. Leider konnte ich kaum etwas erkennen. Meine Umgebung war dunkel, nur von einem schwachen Licht erhellt. Ich sah eine schwarze Fläche über mir, die merkwürdig glänzte und keinerlei Ähnlichkeit mit dem Nachthimmel hatte, wie ich ihn kannte. Auf der Suche nach dem Höllendiener drehte ich meinen Kopf nach rechts. Meine steifen Nackenmuskeln schrien protestierend auf, doch ich verdrängte den Schmerz, schließlich hatte ich dringendere Probleme zu klären.
Ich suchte meine Umgebung ab, ohne Nox zu entdecken. Dafür bemerkte ich glatte, dunkle Steinwände, die mich umgaben und mir merkwürdig vertraut vorkamen. Was ist das?
Gleichzeitig mit dem Aufkommen der Frage kehrten meine Erinnerungen zurück. Wie Gewehrkugeln schlugen sie in meinen Verstand ein und entlockten mir ein weiteres Stöhnen. Das war kein Traum! Nox und ich sind wirklich in diesem Wald. Die Bäume und Sträucher. Die Schnitte. Die Schmerzen. Das alles ist echt!
Erschöpft schloss ich die Augen und drehte meinen Kopf zur anderen Seite. Der dumpfe Schmerz in meinem Nacken strahlte bis in meine Nervenbahnen und erschwerte mir das Denken. Wir sind wirklich im Feenreich! Wir sind tatsächlich hier und haben Harmony verloren!
Die Erkenntnis traf mich wie eine Ohrfeige und ich öffnete blinzelnd die Augen. Ich musste Nox finden. Musste erfahren, was passiert war. Sofort!
Mein Blick glitt suchend über die glatten Wände, die aus demselben Material zu bestehen schienen wie die Baumstämme im Finsterwald. Als ich den Höllendiener nirgendwo entdeckte, bemerkte ich ein loderndes Lagerfeuer zu meinen Füßen. Die Flammen wirkten überraschend normal und vertraut, weshalb ich mir erlaubte, für ein paar Sekunden deren beruhigende Wirkung zu genießen. Jetzt spürte ich auch bewusst die Wärme, die sie ausstrahlten. Mir war gar nicht klar gewesen, wie sehr ich gefroren hatte. Doch jetzt wurde mir angenehm warm. Der Duft nach verbranntem Holz, den ich inzwischen ungewollt mit Nox assoziierte, wehte zu mir herüber und ich lächelte selig.
Meine Lider wurden schwer.
Ich bin so müde.
Auf einmal bewegte sich der Boden unter meinem Kopf und vertrieb schlagartig die träge Müdigkeit aus meinen Sinnen. Ehe ich verstand, was geschah, wurde mein Kopf angehoben und anschließend wieder abgelegt. Der Untergrund hatte sich geändert, war nun härter, weniger warm und weich.
Was?!
Ich wollte meinen Kopf drehen, um herauszufinden, was hier passierte, doch im selben Augenblick erschien Nox in meinem Blickfeld und ich vergaß mein Vorhaben. Der Höllendiener rieb seinen Ellbogen. Sein Oberkörper war nackt und seine gebräunte Haut wurde sanft vom Feuerschein beschienen. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie definiert seine Muskeln waren.
Wow, ich muss mir ordentlich den Kopf angestoßen haben!
»Na, Kleines. Wieder unter den Lebenden?« Ein schwaches Lächeln unterstrich seine samtweiche Stimme und seine Augen blickten mich warm an. Entweder hatte ich wirklich eine Gehirnerschütterung und träumte noch oder es hatte tatsächlich schlimm um mich gestanden.
Ich scheiterte an dem Versuch, sein Lächeln zu erwidern. Stattdessen stellte ich die Fragen, die mir im Augenblick am wichtigsten erschienen: »Was ist passiert? Und wo sind wir hier?«
Nox kniete sich neben mich, ließ sich dann zurückfallen, zog die Beine vor die Brust und kreuzte die Knöchel. Seine Arme legte er locker auf die Knie. »Du hast versucht dich umzubringen.« Sein Lächeln wich einem frechen Grinsen. »Und da ich keine Lust habe, in die Hölle zurückzugehen, habe ich deinen Arsch gerettet.« Er zuckte mit den Schultern, als wäre das keine große Sache. »Und zu deiner zweiten Frage: Wir befinden uns in einer kleinen Höhle, die den unvergleichlichen Charme besitzt, so unbekannt zu sein, dass selbst so etwas wie Privatsphäre möglich ist.«
Nox’ Worte ließen mich aufatmen. Das beklemmende Gefühl in meiner Brust ließ nach. Es reichte sogar aus, um mein loses Mundwerk wieder in Betrieb zu nehmen.
»Hast du dich deswegen ausgezogen? Weil du die Privatsphäre hier so schätzt?«
Nox’ Mundwinkel wanderten weiter nach oben, bis sie seine extrem seltenen Grübchen präsentierten. »Fast. Ich dachte, falls du überlebst, hast du dir eine Belohnung verdient.«
Gern hätte ich seine Worte mit dem Zucken meiner Augenbrauen kommentiert, auch wenn meine Lippen lieber amüsiert grinsen wollten. Doch beide Regungen blieben mir verwehrt. Mein Gesicht fühlte sich taub an. Als wäre eine Zahnarztbehandlung schiefgegangen. Daher gab ich mich mit einer verbalen Antwort zufrieden. »Ach, und in deiner Welt ist dein nackter Oberkörper eine Belohnung?«
Falls es überhaupt möglich war, wurde Nox’ Grinsen noch breiter. Ich konnte mich nicht erinnern, ihn jemals so unbeschwert, ja fast glücklich gesehen zu haben. »Mein nackter Körper ist in jeder Welt eine Belohnung, Kleines. Wann siehst du das endlich ein?«
Anstatt auf seinen Kommentar einzugehen, was ich überraschend gern getan hätte, mir dann aber doch zu vertraut und intim erschien – wieso flirte ich mit Nox? –, ließ ich meinen Blick erneut durch die Höhle gleiten. Dabei wusste ich selbst nicht, wonach ich suchte. »Was ist eigentlich genau passiert? Ich meine, als ich ohnmächtig wurde?«
»Wie ich bereits sagte: Ich habe dir den Arsch gerettet und dich hierhergebracht.«
»Und wie? Was hast du gemacht?« Unweigerlich glitt mein Blick zurück zu Nox, der diesen gelassen und gelangweilt erwiderte. Ich wusste selbst nicht, weshalb mir die Details so wichtig waren. Vielleicht weil Nox sich so große Mühe gab, sie zu vertuschen? Was versucht er zu verbergen? Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit dem Höllendiener konnte man mir meinen Argwohn nicht verdenken.
Nox antwortete nicht sofort, sondern betrachtete mich aus verengten Augen. »Ist das so ein Tick bei euch Menschen? Ständig Fragen stellen zu müssen? Oder habe ich ausgerechnet das neugierigste Exemplar abbekommen?«
Seine Worte versetzten mir einen Stich. Exemplar? Das bin ich für ihn? Zickiger als gewollt konterte ich: »Genauso gut könnte ich fragen, ob das ein Tick bei euch Dämonen ist, eine Frage ständig mit einer Gegenfrage zu beantworten.«
Nox’ Miene erstarrte und seine Stimme klang kalt und distanziert. »Dann würdest du aber wieder eine Frage stellen, Kleines.«
Langsam wurde ich wütend. »Schön, dann habe ich tatsächlich noch eine für dich: Wieso weichst du ständig meinen Fragen aus? Hast du Angst zuzugeben, dass du etwas Nettes getan hast? Denkst du, ich könnte dich für einen lieben Kerl halten?« Ich lachte sarkastisch. »Mach dir darüber keine Gedanken. Das wird nicht passieren. Dafür hast du mit deinem bisherigen Auftreten bereits gesorgt.«
Nox funkelte mich abschätzig und mit einem kalten und berechnenden Lächeln auf den Lippen an. Ich erwiderte seinen Blick so wütend ich konnte. Es nervte mich ungemein, dass es anscheinend unmöglich war, ein normales Gespräch mit ihm zu führen. Sobald das Thema ihn betraf oder an Tiefe gewann, wich er aus oder zog es ins Lächerliche.
Nach ein paar Sekunden unterbrach Nox unser stummes Duell und zog herausfordernd eine Augenbraue in die Höhe. »Wenn eine Erklärung sowieso nichts an deiner Meinung über mich ändert, warum sollte ich mir dann die Mühe machen und es dir erzählen?«
Meine Wut schwoll weiter an. »Schön, dann erzähl es mir eben nicht.« Ich schloss schnaufend die Augen und drehte meinen Kopf zur Seite. Meine Arme fühlten sich wie nasse Zementsäcke an und ich schaffte es nicht, sie eingeschnappt vor der Brust zu verschränken. Doch das war im Augenblick mein kleinstes Problem. Durch meine hastige Kopfbewegung überfiel mich erneut ein Schwindelanfall und ich drehte langsam den Kopf zurück, während ich gleichzeitig die Augen öffnete. Lieber ertrug ich Nox’ Anblick als das Gefühl, nach einem fettigen Fast-Food-Essen mit einer Highspeed-Achterbahn zu fahren.
Ich nahm den Höllendiener aus den Augenwinkeln wahr. Er hatte sich wieder hingekniet und mir den Rücken zugewandt. Damit er nicht dachte, ich würde ihn anstarren, wenn er sich wieder herumdrehte, richtete ich meinen Blick nach oben. Aus welchem Material war wohl diese Höhle? Und woraus waren die Bäume und die Sträucher? Vermutlich würde ich nie eine Antwort auf diese Fragen erhalten.
»Erschrick jetzt nicht, okay?!«
Noch während Nox sprach, drückte sich etwas Kaltes und Nasses an meine Seite. Trotz der Warnung zuckte ich heftig zusammen, was mir einen weiteren schmerzhaften Blitz durch den Körper jagte.
»Zur Hölle, ich sagte doch, du sollst nicht erschrecken. Kannst du nicht wenigstens einmal auf mich hören?« Nox erschien erneut in meinem Blickfeld. Er sah mich nicht an, presste aber seinen Unterarm auf meinen Brustkorb. Seine warme, weiche Haut fühlte sich angenehm an und linderte die Kälte, die sich in meinem Inneren ausgebreitet hatte. Doch im selben Moment wurde mir bewusst, dass ich gar nicht so viel von seiner Haut hätte spüren dürfen. Zumindest nicht, wenn ich angezogen war.
Augenblicklich durchfuhr mich das heiße Gefühl von Panik und ich versuchte meinen Kopf zu heben. Doch Nox’ Unterarm hielt mich auf den Boden gedrückt und ich konnte nichts sehen.
»Kleines, ich schwöre dir, wenn du nicht endlich aufhörst, dich zu bewegen, schicke ich dich gleich wieder ins Land der Träume!« Er knurrte seine Worte und ich nahm ihm seine Drohung ab. Dennoch konnte ich nicht den Mund halten.
»Hast du mich ausgezogen?« Meine Stimme klang belegt. Allein der Gedanke an das, was der Höllendiener während meiner Bewusstlosigkeit mit mir angestellt haben könnte, trieb mir Tränen in die Augen. Hastig blinzelte ich sie weg, bevor sie sich aus meinen Augenwinkeln stehlen konnten.
»Ja, und jetzt halt die Klappe, ich muss mich konzentrieren.«
Ich hörte, wie etwas riss und wie es plätscherte. Anschließend spürte ich wieder dieses kalte und nasse Etwas an meiner Seite. Doch diesmal registrierte ich es kaum. Scham kochte siedend heiß durch meine Adern und verdrängte alle anderen Emotionen.
»Wieso?« Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch in jeder Silbe schwang Hass mit. »Wieso hast du das getan? Du hast gesagt, ich soll dir vertrauen. Und was machst du?« Länger gelang es mir nicht, die brennenden Tränen zurückzuhalten. Ungewollt flossen sie mir über die Schläfen und ich konnte sie nicht einmal wegwischen, was die Peinlichkeit der Situation noch verstärkte und meine Wut weiter schürte. Ein Teufelskreis.
»Was soll ich getan haben, Kleines?« Nox’ Kopf schwebte über meinem Gesicht. Seine Mimik war nicht zu deuten. »Was, denkst du, habe ich getan, während du bewusstlos warst?«
Das war keine rhetorische Frage. Er wollte eine Antwort. Und das irritierte mich.
Ich presste meine Lippen fest zusammen, aber die Worte ließen sich nicht länger zurückhalten. »Ich weiß es nicht, okay?!«, spie ich aufgebracht hervor. Im Augenblick war ich nicht in der Lage, erwachsen und reif zu handeln. Ich hatte Schmerzen, war nur knapp dem Tod entkommen und nach einer Ohnmacht nackt aufgewacht. »Aber welchen Grund solltest du haben, mich gegen meinen Willen auszuziehen?«
Nox schien mich allein mit seinem düsteren Blick töten zu wollen, das war eindeutig. Seine Nasenflügel blähten sich und seine Lippen bildeten eine dünne Linie. »Ich habe dir das Leben gerettet. Mehr nicht. Verstanden?! Ich habe es nicht nötig, über bewusstlose, menschliche Mädchen«, er betonte das Wort wie eine Beleidigung, »herzufallen. Außerdem könntest du mir nicht bieten, was mich interessiert.« Mit diesen Worten erhob er sich. Sein Arm und das kalt-nasse Ding verschwanden von meinem Körper und hinterließen nichts als Leere und frostig-heiße Schauder, die wie Fieberschübe durch meinen bebenden Körper peitschten.
Der Höllendiener wandte mir den Rücken zu und trat aus meinem Blickfeld. Seine Stimme war scharf wie Rasierklingen. »Bleib hier und beweg dich nicht. Ich komme gleich zurück. Und da du sowieso nicht auf mich hören wirst: Versuche nicht, dich umzubringen. Es wäre ziemlich ätzend, wenn meine ganze Arbeit umsonst war.«
Ich nahm seine schweren Schritte wahr, die immer leiser wurden, bis sie schließlich verstummten und mich mit meinem wild pochenden Herzen zurückließen.
In einem Punkt hatte Nox recht: Ich hörte nicht auf ihn. Sobald ich sicher war, allein zu sein, stützte ich meinen Oberkörper auf meine Unterarme und versuchte mich umzusehen. Leider lenkten die Schmerzen in meinem gesamten Körper meine Aufmerksamkeit immer wieder auf sich. Besonders das heftige Pochen an meiner Seite war in dieser Position kaum auszuhalten.
Automatisch griff ich an meine Taille und fühlte etwas Warmes, Klebriges. Sofort hob ich die Hand und betrachtete meine Finger, die von einer roten, fruchtig-süß duftenden Masse befleckt waren. Ein wenig erinnerte es mich an Brombeergelee. Gern hätte ich an der Masse geleckt, um den Geschmack zu testen, aber Nox’ Warnung ploppte wie ein leuchtendes Ausrufezeichen in meinem Kopf auf und hinderte mich an meinem Vorhaben. Stattdessen ließ ich die Hand wieder sinken und sah mich weiter um.
Als Nächstes musterte ich meinen Körper. Glücklicherweise trug ich noch meine Shorts, auch wenn diese nicht mehr viel Ähnlichkeit mit ihrem ursprünglichen Zustand hatten. Klaffende Löcher und Schnitte verschandelten den Jeansstoff und präsentierten eindeutig zu viel von meiner hellen Haut. Wie ich befürchtet hatte, hatte Nox mir das T-Shirt ausgezogen. Den BH trug ich aber noch.
Jeder Quadratzentimeter meiner nackten Haut war von roten Striemen und Kratzern bedeckt. Ich sah aus, als hätte mich jemand mit einer mit Stacheldraht umwickelten Peitsche malträtiert. Dennoch stellte dieser Anblick eine Verbesserung zu meinem vorherigen Zustand dar. Immerhin waren die Schnitte zugeheilt und bluteten nicht mehr.
Verdammt! Nox hat mir wirklich geholfen!
Schuldgefühle breiteten sich wie Säure in meinem Magen aus, doch ich verdrängte das Gefühl. Nox hatte mich auch oft genug schlecht behandelt.
Das ist aber kein Grund, jemanden für eine Tat zu verurteilen, die er nicht begangen hat! Wenn du im Unrecht bist, musst du dich entschuldigen, Avery.
Ungewollt tauchte die Stimme meiner Mom in meinem Kopf auf und ich konnte mir vorstellen, wie sie mich während ihrer Standpauke mit ernster Miene ansah und dabei ihre Fäuste in die Seiten stemmte.
Ach Mom. Ich vermisse dich!
Mir kam unser Streit in den Sinn. Bei dem Gedanken, dass es vielleicht die letzten Worte gewesen waren, die wir jemals miteinander gewechselt hatten, hätte ich am liebsten losgeheult. Aber da das nicht meinem Naturell entsprach und ich Angst hatte, dass Nox ausgerechnet in diesem Moment wiederkommen würde, schluckte ich meine Befangenheit herunter und sondierte weiter die Lage.
Links neben mir entdeckte ich eine Schale, oder etwas, das vage Ähnlichkeit mit einem Gefäß hatte. Im Grunde war es nur ein größerer Stein, dem man mit reichlich Kraft eine tiefe Einkerbung verpasst hatte. Darin schwamm hellrosa Wasser. Vermutlich war es besser, wenn ich nicht wusste, ob es sich dabei um Blut oder Reste dieser komischen Paste handelte.
Daneben befand sich ein heller Klumpen Stoff, den ich als Nox’ T-Shirt identifizierte, nachdem ich ihn auseinandergezogen hatte. Er war von hellen und dunklen Flecken übersät, die alle eindeutig der Farbe Rot zuzuordnen waren.
Er hat sein T-Shirt ausgezogen, um …
Ich führte den Gedanken nicht zu Ende. Die Schuldgefühle in meinem Inneren waren auch so schmerzhaft genug. Besonders als sich die letzten beiden offenen Fragen klärten und ich Nox’ Lederjacke und mein T-Shirt entdeckte. Das weiche Leder diente als Unterlage für meinen Rücken und meinen Kopf hatte der Höllendiener auf dem kläglichen Rest meines T-Shirts postiert. Anders konnte man den zerfledderten Fetzen Stoff nicht bezeichnen. Im Vergleich dazu sahen meine Shorts neu und hip aus.
»Verdammt! Verdammt! Verdammt!« Wütend über mich selbst und die ganze Situation schlug ich wie ein kleines Kind mit den Fäusten auf den Boden. »Was bin ich für eine blöde Kuh?!«
»Willst du darauf eine ehrliche Antwort?« Wie aus dem Nichts erschien Nox in meinem Blickfeld. Seine blonden Strähnen fielen ihm ins Gesicht und normalerweise würde er sie jetzt wegstreichen, doch er trug mehrere Holzscheite, die ihn daran hinderten. Ob es Schweiß oder Regen war, der seinen Oberkörper im Schein des Feuers glänzen ließ, konnte ich nicht sagen und als mir klar wurde, dass ich ihn anstarrte, senkte ich den Blick.
»Nein, schon gut. Ich bin mir sicher, die Antwort auch so zu kennen.« Mit einem Stöhnen schloss ich die Augen und legte mich wieder gerade hin. Ich fühlte mich schlapp und kraftlos, wie bei einer gemeinen Grippe.
Ich hörte, wie Nox Holzscheite ins Feuer warf, und öffnete meine Lider einen Spalt. Er saß vor der Wärmequelle und hatte mir den Rücken zugewandt. Vermutlich war dies die beste Gelegenheit, mich zu entschuldigen. Immerhin musste ich so nicht sein höhnisches Grinsen ertragen.
Ich atmete tief durch. »Nox, hör mal …«
»Spar dir die Worte, Kleines.« Der Höllendiener drehte seinen Kopf zur Seite. Seine mir zugewandte Gesichtshälfte lag im Schatten und ich konnte seine Mimik nicht erkennen. Dafür fiel es mir umso leichter, seine Stimme zu deuten. »Ich habe dich nicht aus Freundlichkeit oder gar aus Zuneigung gerettet.« Nox wandte sich wieder dem Feuer zu. »Wie ich bereits sagte, will ich noch nicht zurück in die Hölle.« Er legte ein weiteres Holzscheit ins Feuer, das im selben Moment hell aufloderte. »Ich habe rein egoistisch gehandelt.« Schließlich erhob er sich und ging, ohne mich eines Blickes zu würdigen, ans andere Ende der Höhle, wo er sich an einer Wand zu Boden gleiten ließ, die Arme vor der Brust verschränkte und die Augen schloss.
Seine Worte verletzten mich und tief in meinem Inneren weigerte ich mich, sie zu glauben. So kaltherzig ist er nicht. Oder? Hätte er mich sterben lassen, wenn sein Leben nicht an meins geknüpft wäre? Ich hatte keine Antworten auf diese Fragen, aber Fakt war, dass zumindest ein Teil seiner Worte der Wahrheit entsprechen mussten, sonst hätte er sie nicht über die Lippen bringen können.
Mist! Jetzt hätte ich meinen besten Freund gebraucht. Aber selbst wenn Adam hier bei mir gewesen wäre, hätte ich niemals mit ihm über dieses Thema reden können. Er hatte mich klar und deutlich vor Nox gewarnt.
Er spielt mit dir. Für ihn bist du nur eine Herausforderung.
***
In den nächsten Tagen schlief ich viel. Zum einen weil mein Körper die Ruhe und die Energie brauchte, zum anderen weil ich auf diese Weise Nox und sein beharrliches Schweigen nicht ertragen musste. Nur in den wenigen Momenten, in denen er mich verarztete, sprach er mit mir. Aber auch dann waren seine Aussagen so kurz angebunden, dass er sie sich hätte sparen können.
Die Tage vergingen, ohne dass ich sagen konnte, wie viele es waren. Mein Biorhythmus war aus den Fugen geraten und ohne den Hinweis, welche Tageszeit wir gerade hatten, verschwamm alles zu einem zeitlosen Nichts. Immerhin hatte ich Nox mit viel Anstrengung und Geduld eine Erklärung über meinen Gesundheitszustand entlocken können. Ich erfuhr, dass die meisten Sträucher im Finsterwald giftig und der Kontakt mit ihnen tödlich war. Ich hatte Glück, dass mich ihre Blätter nur oberflächlich gestreift hatten. So waren nur winzige Mengen Gift in meine Blutbahn gelangt, die mir zwar ähnliche Symptome wie bei einer Grippe beschert hatten, jedoch nicht lebensgefährlich gewesen waren. Erst der Ast, der mich wie ein Katapult an der Taille getroffen hatte, hatte die ganze Situation drastisch verschlimmert.
Ich startete zwei weitere Versuche, mich bei Nox zu entschuldigen, doch jedes Mal blockte er ab und betonte, dass ich ihm nichts schuldig sei. Er wolle nur sein eigenes Leben retten und ich solle die Sache endlich vergessen.
Doch das konnte ich nicht. Und weil ich so viel Zeit und Gelegenheit hatte, über alles nachzudenken, drehten meine Gedanken und Gefühle langsam, aber sicher durch. Ich war gleichzeitig wütend, traurig, enttäuscht und verletzt. Dabei versuchte ich mir immer wieder vor Augen zu halten, dass Nox ein Dämon war. Er war ein Kopfgeldjäger aus der Hölle und hatte Spaß daran, Menschen zu quälen. Warum also fiel es mir so schwer, seinen Worten Glauben zu schenken?
Ach ja, weil ich schrecklich dämlich und naiv war.
Ich klammerte mich an die wenigen Momente, in denen wir so etwas wie Frieden miteinander geschlossen und uns sogar ganz gut verstanden hatten. Hinzu kam, dass immer wieder die Erinnerungen an diese knisternden Momente neulich in der Cafeteria und am Strand in mein Gedächtnis zurückkehrten.
Wenn das so weitergeht, werde ich noch wahnsinnig!
Ich musste endlich aktiv werden und mich ablenken!
»Nox?«
Der Höllendiener reagierte nicht. Er war gerade erst von seinem täglichen Ausflug zurückgekommen und hatte mir ein paar Früchte mitgebracht, die ich seiner Meinung nach gefahrlos essen konnte. Ehe ich Gelegenheit hatte, mich zu bedanken, hatte er sich wieder vor das Feuer gekniet und mir den Rücken zugewandt.
»Nox, ich weiß, dass du mich hörst!« Ich war genervt. Sein Schweigen war anstrengender als jeder unpassende, anzügliche Witz und ich wünschte mir fast den arroganten Kotzbrocken zurück. Fast.
»Natürlich höre ich dich. Aber ich habe keine Lust zu antworten.« Das tiefe Brummen in seiner Stimme hallte von den Steinwänden wider.
Ich schaffte es gerade noch, ein Stöhnen zurückzuhalten. Mit seiner Provokation verstieß er zum gefühlt hundertsten Mal gegen unsere Abmachung, aber daran wollte ich mich jetzt nicht aufhalten.
»Schön, dann hör einfach zu. Ich rede.« Ich stemmte meinen Oberkörper in die Höhe und stützte mich auf den Unterarmen ab. Inzwischen vertrug ich diese Position ganz gut und sie kostete mich nicht mehr so viel Kraft wie noch vor wenigen Tagen. »Ich will raus aus dieser Höhle. Ich will zurück in den Wald und Harmony suchen! Wir wissen immer noch nicht, wo sie ist. Aber ohne sie finden wir niemals das Zepter. Und uns läuft die Zeit davon.«
Nox hatte gestern – oder war es vorgestern? – die übrigen Blütenblätter an der Blume auf meinem Tattoo gezählt. Wie Adam bereits erklärt hatte, verlief die Zeit hier tatsächlich sehr viel langsamer als zu Hause. Denn seit dem verhängnisvollen Freitagmorgen, als ich das letzte Mal nachgezählt hatte, waren bisher erst drei Blütenblätter zu Boden gesegelt. Uns bleiben noch vier Blätter! Wie viel Zeit das auch immer sein mochte.
Nox drehte sich zu mir herum, in seiner Hand die Steinschale mit der roten Paste. Auf meine Frage, was für ein Zeugs das war und woher er es bekam, hatte er nicht geantwortet. Ebenso wenig wie auf die Frage, wo er das Holz fürs Feuer herbekam, wenn doch sämtliche Bäume und Sträucher hier aus Stein oder etwas Ähnlichem bestanden.
Nox kam zu mir und kniete sich schweigsam neben mich. Das war das Zeichen, mich flach hinzulegen und den Mund zu halten. Wie gewohnt spürte ich kurz darauf ein unangenehmes, kalt-nasses Gefühl, das sich jedoch schnell in eine angenehme, schmerzlindernde Wärme veränderte. Und wie immer konnte ich mir auch dieses Mal ein wohliges Seufzen nicht verkneifen. Es war, als würde eine kuschelige Wärmflasche meine entblößte Haut erhitzen. Denn trotz des prasselnden Feuers war es unangenehm kalt in der Höhle. Leider gab es nichts, womit ich mich zudecken konnte. Und damit Nox mich nicht für eine prüde Zicke hielt, widerstand ich dem Wunsch, mich in seine Lederjacke zu wickeln. Immerhin hatte er auch nicht mehr als eine Hose an, wie ich mir ungewollt in Erinnerung rief.
Nachdem der Höllendiener mit seinem Doktorspielchen fertig war und immer noch nicht reagiert hatte, hakte ich nach. »Hast du mich gehört, Nox?«
»Natürlich.« Er stellte die Schale zur Seite und ging zurück zu seinem Stammplatz. Möglichst weit weg von mir.
»Und? Was sagst du dazu?« Ihm jedes einzelne Wort aus dem Mund ziehen zu müssen war eine Herkulesaufgabe, die mir den letzten Nerv raubte.
»Nichts, wie du unschwer erkennen kannst.«
Ich verdrehte die Augen, versuchte jedoch sachlich zu bleiben. Er wollte nur, dass ich auf seine Provokation einging. Aber den Gefallen wollte ich ihm nicht tun. »Und wieso hast du nichts dazu zu sagen?«
Nox sah vom prasselnden Feuer auf und blickte in meine Richtung. »Weil dein Vorhaben dämlich ist und wir es sowieso nicht umsetzen.«
»Ach, und warum nicht?« Ich versuchte mir mein Grinsen nicht anmerken zu lassen. So viel hatten wir seit Tagen nicht mehr miteinander gesprochen. Um das Gespräch am Laufen zu halten, war ich auch bereit, seinen arroganten und überheblichen Ton zu ertragen.
»Erstens, weil du kaum allein auf den Beinen stehen kannst und ich keine Lust habe, dich wieder zu tragen, falls du noch einmal zusammenbrichst. Und zweitens ist deine Freundin wahrscheinlich längst tot. Entweder hat einer der beiden Höfe sie gefunden oder sie wurde von einer der Kreaturen gefressen, die im Finsterwald leben.« Nox zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder dem Feuer zu. Die Flammen flackerten und warfen tanzende Schatten auf sein markantes Gesicht.
Als er gerade über Harmony gesprochen hatte, war ich zusammengezuckt, hatte es mir jedoch nicht anmerken lassen. »Dann willst du also hierbleiben und darauf warten, dass die Zeit abläuft und wir sterben?« Ein trockenes, angespanntes Lachen perlte über meine Lippen. »Tja, dann kannst du das gern tun. Ich werde mich in der Zwischenzeit ein wenig umsehen.«
Meinen Körper aufrecht hinzusetzen bereitete mir mehr Schmerzen, als ich nach den langen Ruhetagen gedacht hätte. Aber jetzt war es zu spät, ich konnte mich nicht wieder hinlegen. Zum einen hatten wir tatsächlich keine Zeit zu verlieren, zum anderen wollte ich vor Nox nicht zugeben, dass er recht hatte.
»Was hast du vor, Kleines?« In erhöhter Alarmbereitschaft stand er innerhalb eines Wimpernschlags neben mir. Mit verschränkten Armen starrte er auf mich herab.
»Wonach sieht es denn aus?« Ächzend und stöhnend schaffte ich es, mich hinzuknien. Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn und in meinem Nacken. Mein Kopf baumelte kraftlos herab, als ich mich auf meinen Oberschenkeln abstützte und nach Luft gierte. Ich fühlte mich, als wäre ich während einer heftigen Grippe einen Marathon gelaufen. »Ich gehe ein bisschen an die frische Luft und sehe mich um. Vielleicht finde ich etwas, das mich zu Harmony führt.«
Zitternd und schwankend schaffte ich es aufzustehen. Als ich mühsam den Kopf hob und mir dabei fest auf die Zunge biss, um nicht vor Schmerzen zu stöhnen, sah ich Nox’ wilden Blick. Seine smaragdgrünen Augen funkelten im Feuerschein und wirkten noch unechter als sonst. Aber auch noch schöner.
»Wie kann man nur so verdammt stur und lebensmüde sein?«
Ich wusste, ich benahm mich kindisch. Aber ich wollte nicht einfach aufgeben. Gleichzeitig konnte ich mir ein schwaches Lächeln nicht verkneifen. Mir war der minimale Hauch Anerkennung in seiner Stimme nicht entgangen.
»Das verrate ich dir, wenn wir diese Prüfung überlebt haben.« Ohne Nox die Gelegenheit zu geben, auf meine Worte zu reagieren, wandte ich mich um in Richtung Höhlenöffnung und machte ein paar vorsichtige Schritte darauf zu.
»Verdammt!« Nox fluchte ungehalten. »Wenn wir diese Prüfung überleben, werde ich dich eigenhändig umbringen, Kleines!«
Auf einmal stand er dicht hinter mir. Ich spürte seinen warmen Körper an meinem Rücken. Dann geschah alles gleichzeitig. Er legte mir seine Lederjacke vorn über die Brust, fast so, als würde er mir eine Zwangsjacke anziehen wollen, und im selben Moment schwebte ich in der Luft. Ich schaffte es nicht einmal, einen überraschten Laut von mir zu geben.
Verblüfft drehte ich meinen Kopf zur Seite und bemerkte, dass Nox mich auf seine Arme gehoben hatte. Meine unversehrte Seite war dicht an seinen muskulösen Brustkorb geschmiegt und ich hatte unbewusst meine Arme um seinen Hals geschlungen. Seine Jacke lag wie eine Decke schützend über meinem Körper und reichte mir in dieser Haltung bis über die Knie.
Als ich ihm ins Gesicht blickte, war seine Mimik eine ausdruckslose Maske und sein Blick nach vorn gerichtet. Ich wagte kaum zu atmen. Sein Verhalten irritierte mich ungemein, aber ich wollte mich nicht beschweren. Der Gedanke, allein in den Wald hinauszugehen, hatte mich schon ziemlich beunruhigt. Aber ich hätte es durchgezogen. Und das war auch der einzige Grund, weshalb mein Puls raste, als wäre er ein Sportwagen auf der Rennpiste.
Wortlos setzte Nox sich in Bewegung und ich wandte meinen Blick in Laufrichtung.
Die Höhle war nicht so groß, wie ich die ganze Zeit angenommen hatte. Nur wenige Schritte hinter dem Lagerfeuer befand sich bereits der Ein- oder in diesem Fall der Ausgang. Je näher wir dem Ende der Höhle kamen, desto besser konnte ich die dahinter liegende Landschaft erkennen. Wir mussten uns auf einer Anhöhe befinden, denn vor uns präsentierte sich in aller Pracht ein dunkelgrünes Meer, das aus den Baumkronen des Finterwaldes bestand.
Ehrfürchtig schnappte ich nach Luft, als ich das gesamte Bild wahrnahm. Über dem Wald erstreckte sich der strahlendste blaue Himmel, den ich jemals gesehen hatte. Jedes Foto, selbst wenn es mit einem Computerprogramm nachbearbeitet worden wäre, käme nicht an diese Farbe heran. Es war unnatürlich schön.
»Wie sind wir hier hochgekommen?«
»Zu Fuß«, knurrte Nox. Er verstärkte seinen Griff und drückte mich beinahe schmerzvoll gegen seine Brust, als wir auf das Plateau vor der Höhle traten.
Es kam mir unangebracht vor, in Nox’ Armen zu liegen, obwohl ich bei Bewusstsein war, aber der Weg hinab musste sehr lang sein und bei der Erinnerung daran, wie unser letzter Marsch ausgegangen war, war ich froh über seine Hilfe. Vor allem weil ich es keine Sekunde länger in dieser schwarzen, deprimierenden Höhle ausgehalten hätte. Um dort rauszukommen, nahm ich sogar die Erniedrigung in Kauf, die diese Situation mit sich brachte.