Zodiac 1: Servants of the Moon - Lana Rotaru - E-Book

Zodiac 1: Servants of the Moon E-Book

Lana Rotaru

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Beschreibung

Ich bin der Skorpion. Mein Kuss tötet.

Junes Leben liegt in Scherben – Wesen aus Schatten greifen sie an, ein Licht verschwindet in ihrem Körper und ihre Eltern erinnern sich nicht mehr an sie. Doch dann begegnet June den Lunaris. Sie dienen der Mondgöttin und sind beschenkt mit der Gabe ihres Sternzeichens, um im Kampf gegen die Shadows zu bestehen. Und nun ist June eine von ihnen. Nur Phoenix, der attraktive Schütze, scheint sie zu hassen. Seine Schwester Arizona – der Skorpion – ist verschwunden und June hat ihren Platz eingenommen. Als tote Lunaris auftauchen, schwebt Arizona in großer Gefahr. Werden June und Phoenix sie retten oder kommen ihnen ihre Gefühle in die Quere?

Urban Fantasy vom Feinsten – Auserwählte, beschenkt mit der Gabe der Sternzeichen, kämpfen gegen seelenlose Schatten, um die Menschheit zu beschützen.

//Dies ist der erste Band der »Zodiac«-Dilogie. Alle Romane der Sternezeichen-Romantasy im Loomlight-Verlag:

  • Band 1: Servants of the Moon
  • Band 2: Vsl. Herbst 2023

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Das Buch

Ich bin der Skorpion. Mein Kuss tötet.

Junes Leben liegt in Scherben – Wesen aus Schatten greifen sie an, ein Licht verschwindet in ihrem Körper und ihre Eltern erinnern sich nicht mehr an sie. Doch dann begegnet June den Lunaris. Sie dienen der Mondgöttin und sind beschenkt mit der Gabe ihres Sternzeichens, um im Kampf gegen die Shadows zu bestehen. Und nun ist June eine von ihnen. Nur Phoenix, der attraktive Schütze, scheint sie zu hassen. Seine Schwester Arizona – der Skorpion – ist verschwunden und June hat ihren Platz eingenommen. Als tote Lunaris auftauchen, schwebt Arizona in großer Gefahr. Werden June und Phoenix sie retten oder kommen ihnen ihre Gefühle in die Quere?

Band 1 der »Zodiac«-Dilogie

Die Autorin

© Anna Constanty

Lana Rotaru verliert sich seit frühester Kindheit nur zu gern in Büchern. Es ist also kein Wunder, dass sie inzwischen selbst Geschichten verfasst. Wenn sie nicht gerade an neuen fantastischen und romantischen Werken arbeitet, verbringt sie ihre Zeit am liebsten mit ihrem Mann und ihrem Sohn an der frischen Luft, wo sie neue Kraft und Inspiration findet. Gemeinsam mit ihrer Familie und zwei schnurrenden Vierbeinern lebt sie im Bergischen Land.

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Loomlight auch!Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autor*innen und Übersetzer*innen, gestalten sie gemeinsam mit Illustrator*innen und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

Mehr über unsere Bücher und Autoren auf:www.thienemann-esslinger.de

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Viel Spaß beim Lesen!

Für jeden, der nicht die Sonne,sondern der Mond sein möchte,um anderen auch in finsterster Dunkelheitein wenig Licht spenden zu können.

Prolog

In jener Nacht, als mein Leben endete, lag über dem park-ähnlichen Garten, der künftig als Fundort meines Leichnams bekannt sein würde, eine Finsternis, die nicht einmal das Leuchten der Sterne oder den Schein des Mondes durchließ.

Vielleicht waren die nächtlichen Himmelslichter nicht stark genug. Vielleicht waren sie von meiner Tat – meinem Verrat – zu erschüttert, um den Menschen länger ein Zeichen des Lichts und der Hoffnung zu schicken. Vielleicht jedoch – und insgeheim glaubte ich, dass dies der wahre Grund war, wieso ich meine letzten Atemzüge in einem Meer aus eisigen Schatten tätigte – hatte die Göttin des Mondes erkannt, dass sie nicht alle ihre Kinder retten konnte.

»Wird es wehtun?« Meine Stimme klang fest, obwohl ein Beben meinen Körper beutelte. Ich wusste nicht, ob ich vor Kälte oder Furcht zitterte. Aber machte es einen Unterschied? Die Antwort auf diese Frage würde weder etwas an den Tränen ändern, die mir über die eiskalten Wangen liefen, noch mein Schicksal abwenden.

In weniger als einer Minute würde ich sterben.

Weil ich es wollte.

Weil es sein musste.

»Ja, es wird wehtun.« Die schonungslos ehrliche, jedoch wenig überraschende Antwort wurde von einem Atemzug begleitet, der meinen Nacken wie ein Eiswürfel liebkoste.

Unweigerlich erschauderte ich. Gleichzeitig verstärkte ich den Druck meiner tauben Finger um den Griff des goldenen Dolches. Die rasiermesserscharfe Spitze presste sich gegen die helle Haut meines Bauches, nachdem der dünne Stoff meines weißen Nachthemds bereits gerissen war.

»Aber nur ein allerletztes Mal.« Der eisige Atem wehte gegen die empfindliche Stelle unter meinem Haaransatz und verlieh mir eine Gänsehaut. »Danach wirst du nie wieder leiden müssen, meine Schöne. Nie wieder Kummer und Qual erleben oder Angst haben müssen. Nie wieder wirst du Albträume ertragen müssen.« Mit jeder Silbe war die Stimme leiser geworden, bis sie am Ende kaum noch auszumachen war. Doch ich hatte jedes Wort gehört und eine Woge der Erleichterung durchfloss mich.

Nie wieder Albträume …

Wann hatte ich die letzte Nacht ohne grauenvolle Träume verbringen dürfen? Wann hatte ich das letzte Mal durchschlafen können, ohne am Ende schweißgebadet in meinem Bett hochzuschrecken?

Ich konnte mich nicht erinnern. Es musste Monate her sein.

Die Zehen in das taufeuchte Gras gegraben, senkte ich die Lider und nahm einen letzten tiefen Atemzug. Hauchfeine Duftnuancen kitzelten mir in der Nase und der Knoten in meiner Brust surrte sich fester zusammen.

Tat ich wirklich das Richtige?

Gab es sicher keine Alternative?

Was wäre, wenn ich stärker kämpfen würde? Wäre es nicht möglich, beides zu haben? Mein Leben und meine Liebe?

»Gräme dich nicht, meine Schöne«, ertönte es hinter mir, als spürte mein Begleiter meine Unsicherheit. »Du tust das Richtige.«

Das brachte mich zum Lächeln. Er hatte schon immer genau gewusst, was er sagen musste, damit ich mich besser fühlte. Nicht ohne Grund war er mein sicherer Hafen. Mein Leuchtturm auf stürmischer See.

Trotz der Furcht, die sich mit eiskalten Klauen durch mein Innerstes grub und jede Zelle meines Körpers infizierte, nickte ich und öffnete die Augen. Dunkelheit sollte nicht das Letzte sein, was ich in meinem Leben sah.

»Ich weiß«, sagte ich und mein Atem verließ rasselnd meinen Mund. »Nur eine letzte Sache muss ich noch loswerden.« Ohne die Position des Dolches zu verändern, drehte ich mich zu meinem Begleiter um. Das Paar dunkle Iriden, das mir entgegenblickte, war mir so vertraut wie mein eigenes. »Es tut mir leid, wegen unseres Streites.« Ein neuerlicher Schwall Tränen ließ meine Sicht verschwimmen, als ich an die hässlichen Worte dachte, die zwischen uns gefallen waren. »Ich habe nicht gewollt, dass es so endet.«

Die Mundwinkel meines Begleiters verzogen sich zu einem milden Lächeln, das aufgrund der Finsternis um uns herum gespenstisch wirkte.

»Ich weiß, meine Schöne. Aber das hier ist nicht das Ende. Es ist ein Anfang.« Mit einer sanften Geste strich er mir eine Haarsträhne aus der Stirn und klemmte sie hinter meinem Ohr fest. »Es ist unser Anfang. Deswegen verzeihe ich dir.« Er sah hinab zu dem Dolch zwischen uns und ich tat es ihm nach. »Nun ist es aber so weit.«

Meine Lippen bebten und ich schluckte mühsam gegen den Kloß in meiner Kehle an.

Er hat recht.

Es gab nur einen Weg, wie ich meinen Verrat wiedergutmachen konnte – durch meinen Tod. Mein vergossenes Blut würde meine Brüder und Schwestern befreien. Das war der einzige Weg.

Ich tue das Richtige!

Entschlossen griff ich den Dolch zwischen meinen Fingern fester

… und stach mit einem kräftigen Ruck zu.

Kapitel Eins

Hat einer von euch heute ein Wort von Dr. Blackwoods Vorlesung verstanden?« Christina sah fragend in die Runde. »Ich meine, der Stoff allein ist bereits die reinste Qual. Aber seit er sich die Zähne hat machen lassen, kann man den Saal nicht mehr ohne Regencape betreten.« Sie zog angewidert die Nase kraus und schüttelte sich wie ein nass gewordener Hund.

»Reg dich nicht auf, Babe.« Nate, der neben Christina saß und ebenfalls zu unserer Lerngruppe für den Kurs Amerikanische Geschichte gehörte, legte ihr genau in der Sekunde einen Arm um die Schultern, als ich meinen Blick von den Jahrmarktbuden wandte, die uns mit wild flackernden Lichtern, dröhnender Popmusik und dem Geruch nach Zucker, Fett und Alkohol umgaben.

»Erstens bekommst du davon nur Falten.« Er zwinkerte ihr zu, was Christina dazu animierte, seinen Arm abzuschütteln, als wäre er ein lästiger Käfer.

»Zweitens«, sprach Nate ungerührt weiter und legte die Arme auf dem lang gezogenen Holztisch zwischen uns ab. »Wen interessiert es schon, was der alte Greis von sich gibt? Würde er für die Prüfungsanmeldung nicht eine achtzigprozentige Anwesenheitsquote fordern, würde vermutlich niemand auch nur einen Fuß in seinen Hörsaal setzen. Immerhin steht alles, was wir für die Klausur benötigen, in dem Vorlesungsskript – das wir in die Prüfung mitnehmen dürfen.« Er zuckte mit den Schultern und der dunkelgrüne Stoff seines Kapuzenhoodies streifte dabei die unteren Spitzen seiner braunen Haarsträhnen.

Christina schnaubte. Vermutlich fragte sie sich, wieso sich Nate unserer Lerngruppe angeschlossen hatte, wenn er gar nicht beabsichtigte, den Stoff zu pauken.

Anfangs hatte ich mir dieselbe Frage gestellt. Doch inzwischen kannte ich die Antwort darauf: Nate war hoffnungslos in Christina verknallt und wollte ihr auf diese Weise näherkommen.

»JJ! Jetzt sag auch mal was! Du willst doch mehr erreichen, als nur bestehen, oder?« Sie klang verzweifelt, was mich zum Schmunzeln brachte. Natürlich stand ich in dieser Frage auf Christinas Seite. Schließlich hatte ich mich allein aus dem Grund an der UWYO, der University of Wyoming, eingeschrieben, weil sie im Studiengang American Studies den besten Ruf im gesamten Bundesstaat genoss. Das bedeutete jedoch nicht, dass ich scharf darauf war, erneut darüber zu diskutieren, welche Art von Prüfungsvorbereitung am effektivsten war.

»Matt ist schon eine ganze Weile weg, findet ihr nicht auch? Ich geh mal nachsehen, wo er bleibt.« Ich wollte mich gerade aus der Affäre ziehen, als ein aufkommender Oktoberwind meine kastanienroten Locken in alle Himmelsrichtungen davonwehte. Normalerweise trug ich mein Haar zu einem Zopf gebunden, aber heute hatte ich mich dagegen entschieden – und bereute es zutiefst. Den gesamten Abend über flogen mir die Strähnen ins Gesicht, verhakten sich an meinen Wimpern oder blieben an meinem Lipgloss-Mund hängen. Es war zum Verrücktwerden!

Während ich damit beschäftigt war, mein Gesicht zum wiederholten Mal zu befreien, entdeckte ich eine vertraute Gestalt, die sich bei den Fressbuden aufhielt.

Matt Brownfield.

Das vierte Mitglied unserer Lerngruppe und die Quelle meiner Tagträume.

»June!« Trotz ihres empörten Tonfalls konnte Christina eine gewisse Erheiterung nicht unterdrücken. Natürlich war sie nicht böse auf mich. Dafür war sie viel zu sehr in die Idee vernarrt, dass sich zwischen Matt und mir etwas entwickeln könnte.

Da Matt gerade den Weg in unsere Richtung einschlug, verwarf ich die Idee, nach ihm zu sehen. Stattdessen blieb ich auf meinem Platz sitzen und nutzte die Gelegenheit, meinen Schwarm zum wiederholten Mal an diesem Abend anzuschmachten. Mit den sandblonden Haaren und dem Sonnenscheingrinsen sah Matt einfach unglaublich gut aus.

»Du hast da ein wenig Sabber am linken Mundwinkel«, wisperte Christina und unterbrach damit meine Bewunderung für unseren Kommilitonen, der auf seinen Armen einen ganzen Berg Snacks balancierte und es dabei überraschend souverän schaffte, den im Weg herumstehenden Jahrmarktgästen und verstreuten Tischen auszuweichen.

Mit glühenden Wangen wirbelte ich zu Christina herum. Diese erwiderte die Geste nur unbeeindruckt, widmete sich aber kurz darauf Nate, der zu meinem – und Christinas! – Glück nichts von unserer Unterhaltung mitbekommen hatte. Er war völlig in sein Handy vertieft.

Erleichtert atmete ich auf. Das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war, dass Matts bester Freund erfuhr, wie ich für seinen Kumpel empfand. Seit ich Matt in der ersten Vorlesungswoche an einem der Kaffeewagen kennengelernt hatte, war dies mein bestgehütetes Geheimnis. Nur Christina wusste davon, und das auch eher unfreiwillig. Denn dank ihres geradezu gespenstischen Spürsinns für Romantik, war es schier unmöglich gewesen, ihr meine Schwärmerei vorzuenthalten.

Bis heute vertrat sie die felsenfeste Überzeugung, dass es sich um Schicksal handelte, dass Matt und ich denselben Kaffee-wagen für uns auserkoren hatten.

Dass ich ebenso wenig an Seelenverschwandtschaft glaubte wie an Vorbestimmung oder Schicksal, hinderte meine Kommilitonin nicht daran, mir seitdem jedes Mal, wenn wir einander trafen, mein Tageshoroskop vorzulesen. Christina war davon überzeugt, dass das gesamte Leben eines Menschen in den Sternen geschrieben stand und sich dort ablesen ließ – inklusive des Seelenverwandten, der in meinem Fall Matt sein sollte.

Anfangs hatte ich noch versucht, Christina klarzumachen, dass sie sich die Mühe einer Bekehrung sparen konnte, da sich meine Meinung zu diesem Thema nicht ändern würde. Doch als sie daraufhin nur beharrlicher wurde, hatte ich beschlossen, diesen Schwachsinn künftig kommentarlos über mich ergehen zu lassen.

»Mal ehrlich, Nate«, stöhnte Matt, kaum dass er in Hörweite war. »Chilli-Cheese-Fritten mit Schokosoße und Marshmallows? Das klingt nicht nur ekelhaft, es sieht auch ebenso scheußlich aus.« Er verzog das Gesicht und überreichte seinem Freund eine mit Fettflecken überzogene braune Papiertüte.

»Tja, was soll ich sagen.« Nate legte das Handy neben sich auf den Tisch und nahm seine Essensbestellung entgegen. »Ich stehe halt auf die Kombination aus scharf und süß.« Er warf Christina einen aufreizenden Augenaufschlag zu, den sie gekonnt ignorierte. Stattdessen nahm auch sie Matt einen Teil seiner Last ab.

»Ich weiß, du sagtest, dass du nichts möchtest«, richtete Matt das Wort an mich und stellte einen weiß-braun gestreiften Pappbecher mit einem hellen Plastikdeckel vor mir ab. Dann setzte er sich neben mich. Obwohl zwischen uns genug Platz war, streifte sein Bein wie zufällig das meine und mich durchlief ein wohliger Schauder.

»Aber es kam mir einfach nicht richtig vor, dir als Einziger nichts mitzubringen.« Auf seinen Zügen breitete sich dieses charmant-schüchterne Lächeln aus, das meine Wollstrumpfhosen-Knie weich werden ließ. »Leider hatten sie am Kaffeestand keinen Lebkuchensirup mehr. Deshalb habe ich dir als Trost das hier zu deinem Soja-Latte-Macchiato mit Zimtzucker mitgebracht.« Er zog den Reißverschluss seiner Weste ein Stück herunter und zum Vorschein kam ein Lebkuchenherz, das an einem rosaglitzernden Geschenkband hing. Weiße Zuckerblüten zierten den Rand und in der Mitte stand in pastellfarbener Schnörkelschrift die Frage »Will you be my Honeybee?«.

Mir entfloh ein Keuchen und das Blut schoss mir in die Wangen. Matt und ich kannten uns seit etwa acht Wochen und in all der Zeit hatte er nie irgendwelche Andeutungen gemacht, dass er in mir mehr sah als eine Kommilitonin. Umso überraschter war ich gewesen, als er mich am Montag nach unserer Vorlesung gefragt hatte, ob ich am Freitag gemeinsam mit ihm und den anderen auf den Jahrmarkt gehen wollte.

Dass er seine Sympathien für mich jetzt so offenkundig zur Schau stellte, ließ mich auf Wolke sieben schweben. Allein Christinas Reaktion auf Matts Date-Einladung trübte ein wenig meine Freude. Nachdem ich meiner Freundin via Whatsapp von der wohl größten Wendung meines Liebeslebens der letzten zwei Jahre erzählt hatte, hatte sie mir ein breites Grinse-Emoji samt einem Screenshot von meinem Tageshoroskop geschickt.

Frauen des achten Abschnitts des Tierkreiszeichens sollten sich wappnen, denn ihnen stehen gravierende Veränderungen bevor. Ein attraktiver Fremder hat es auf ihr Herz abgesehen und manche Schützen verfehlen ihr Ziel nie.

Damals war ich so enttäuscht und wütend über Christinas Reaktion gewesen, dass ich ihr nur geantwortet hatte, dass Matt Widder und kein Schütze sei und er deshalb wohl nicht der attraktive Fremde war, vor dem ich mich in Acht nehmen sollte.

»Ähm … danke«, brachte ich stotternd hervor und wischte mir die schweißfeuchten Finger unauffällig an meinem Jeansrock trocken. Matt löste unterdessen die Schleife von seinem Hals und zog sie mir über den Kopf. »Das ist wirklich sehr aufmerksam von dir.«

Christina, die die Unterhaltung zwischen Matt und mir genauestens verfolgte, warf mir ein vielsagendes Zwinkern zu.

Nachdem sich Matt zufrieden seinem Cheeseburger widmete, nahm ich mein Heißgetränk zwischen die Finger. Eigentlich mochte ich meinen Kaffee schwarz, maximal mit einem Schuss Milch. Aber Matts Geste rührte mich so sehr, dass ich wenigstens einen Schluck probieren wollte.

Während alle mit ihrem Essen beschäftigt waren, herrschte am Tisch eine angenehme Gesprächspause, die ich nutzte, um immer wieder unauffällig an meiner Kleidung zu zupfen. Ich hoffte, dass ich mit dem olivgrünen Kaschmirpullover und der rostroten Steppjacke, in Kombination mit meinen heiß geliebten Ankle Boots, einen sexy und gleichzeitig locker-legeren Look erreicht hatte.

»Was wollen wir als Nächstes machen?«, fragte Nate mit vollem Mund und nicht nur ich sah ihn angeekelt an. Hatten die Chilli-Cheese-Fritten mit der Schokosoße und den Marshmallows bereits in ihrer ursprünglichen Version unappetitlich ausgesehen, wurde es im zerkauten Zustand nicht besser.

»Wir können zum Riesenrad gehen«, schlug Matt vor, nachdem er seinen letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte.

Da niemand etwas dagegen einzuwenden hatte, machten wir uns auf den Weg, und ich nutzte die Gelegenheit, meinen noch vollen Kaffeebecher auf dem Tisch stehen zu lassen. So lieb ich Matts Geste auch fand, der Kaffee schmeckte einfach grauenhaft.

Unterwegs passierten wir eine Bühne, auf der eine Band Rockklassiker coverte; verschiedene Spielautomaten, bei denen man mit metallischen Greifarmen Plüschtiere aus einer Box befreien musste; und wir philosophierten über die Erfolgschancen, mit nur drei Würfen die aufeinandergestapelten Metalldosen in einer Bude abzuräumen, um den Hauptpreis, ein XXL-großes und kunterbuntes Plüschtier, zu erhalten.

»Da will ich mein Glück versuchen!« Nate deutete auf einen Schießstand. Die eingestaubten Plastikblumen und anderen kitschigen Gewinne, die die Jahrmarktbesucher dazu verführen sollten, ihr hart verdientes Geld in eine öffentliche Blamage zu verwandeln, wirkten hier noch trostloser als anderswo.

Ein kollektives »Was?« erfüllte die Luft und wir alle starrten Nate entgeistert an.

»Du willst zum Schießstand?«, fragte Christina, während Matt ein »Dude, hast du vergessen, was beim letzten Mal passiert ist?« von sich gab.

Doch Nate dachte gar nicht daran, sich von seinem Vorhaben abhalten zu lassen. Zielsicher peilte er die kleine Holzbude an, deren Rückwand mit Tonfiguren behangen war, die durch Mechanismen in Bewegung gehalten wurden.

»Du bist verrückt«, sagte Christina, nachdem sie sich neben Nate an die Theke gestellt hatte. »Für Fische ist nicht der richtige Tag, sich aus ihrer Komfortzone herauszuwagen. Ihr steht noch immer unter dem Einfluss des Saturns.«

»Ich schieß dir ein Plüschtier«, kommentierte Nate schlicht und postierte sich hinter einem der Gewehre. »Dann hast du nachts etwas, an das du dich pressen kannst, wenn die Sehnsucht nach meinem stählernen Körper zu groß wird.«

Christinas Erwiderung bekam ich nicht mehr mit, da eine andere Stimme mich erschrocken zusammenfahren ließ.

»Ich kenne die beiden jetzt seit einem Jahr und werde trotzdem nicht schlau aus ihnen.« Matt seufzte, wechselte jedoch zu einem sanften Lächeln, als sich unsere Blicke trafen.

»Ich weiß genau, was du meinst. Manchmal kommen sie mir wie Kindergartenkinder vor. Aber dann erinnere ich mich daran, dass sich sogar Kindergartenkinder besser zu benehmen wissen.«

Matt gab ein warmes, tiefes Lachen von sich.

»Wie es scheint, habe ich mich nicht getäuscht. Du bist tatsächlich ebenso schlagfertig wie klug und hübsch.« Den Fokus wieder auf seinen Kumpel gerichtet, fügte er hinzu: »Du hast keine Vorstellung davon, wie gern ich mich aus dem Spektakel raushalten würde. Aber leider verlangt es das Gesetz der Männerfreundschaft, dass ich Nate bei seinem Himmelfahrtskommando unterstütze und nach Möglichkeit – wobei das eine fast unlösbare Aufgabe sein wird – gut dastehen lasse.« Mit einem gequälten Lächeln rieb er sich den Nacken, ehe er mich wieder ansah. »Glaubst du, es wäre möglich, dass du dich neben mich stellst? Dann kann ich zur Wahrung meiner Ehre behaupten, dass ich von einer schönen Frau abgelenkt wurde und deshalb danebengeschossen habe.«

»Du willst mich als Grund vorschieben, um beim Schießen schlechter abschneiden zu dürfen als Nate?« Mir entfloh ein heiseres Kichern. »Okay, aber auf deine Verantwortung. Ich will nicht schuld sein, dass du dem armen Budenbetreiber dafür in die Brust schießen musst, oder so.«

Erneut stieß Matt dieses warme Lachen aus, ehe er meine Hand ergriff und mich zu dem freien Gewehr auf der anderen Seite von Nate führte. Dieser feilschte noch immer mit dem Standbesitzer darüber, wie viele Tonfiguren getroffen werden mussten, um den Hauptpreis – einen gigantischen Plüschelefanten – zu gewinnen.

Nachdem sich beide Parteien geeinigt hatten, wechselten Dollarscheine ihren Besitzer und das Schauspiel begann.

Mit wachsender Erheiterung verfolgte ich die Schüsse, die alle so deutlich danebengingen, dass ich fast glaubte, dass nicht nur Matt eine Show abzog. Aber wie es schien, war Nate wirklich eine totale Katastrophe, wenn es ums Zielen ging.

Einige Minuten zogen auf diese Weise ins Land und es fiel mir immer schwerer, mich zu konzentrieren. Es war, als würde irgendjemand oder etwas um jeden Preis meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen.

Schlussendlich ergab ich mich dem unerklärlichen Drängen und sah mich um, bis mir eine kleine Bude ins Auge fiel, die unmittelbar an den Schießstand angrenzte. Im Vergleich zu den anderen Hütten war sie geradezu winzig und lag tief in Schatten gehüllt, weshalb sie mir nicht sofort aufgefallen war.

Irritiert krauste ich die Stirn. Anstatt einer Theke wie bei der Schießbude war der mit dunklem Stoff bespannte Innenbereich frei zugänglich. In der Mitte stand ein kleiner runder Tisch mit einer glänzenden Tischdecke und darauf lag eine Glaskugel, die einen schwachen Silberschein warf.

Auf einem von zwei Klappstühlen saß eine Dame, deren Alter ich unmöglich einschätzen konnte. Auch sie war in dunkle Tücher gehüllt, und auf ihren grau melierten Haaren saß ein schwarzer Turban mit glänzenden Sternensymbolen. Das runde Gesicht der Wahrsagerin – zumindest nahm ich an, dass sie das war – wirkte durch die geschlossenen Lider entspannt, fast so, als schliefe sie. Doch ihre zuckenden Mundwinkel verrieten, dass sie mehr mitbekam, als es den Anschein hatte.

»Wow, das war noch peinlicher, als ich befürchtet hatte.« Matt schob sich in mein Blickfeld und unterbrach meine Musterung der filigranen Symbole, die mit goldglänzendem Garn in die Tischdecke eingestickt waren und von verschiedenen Kreisen, Dreiecken, Pentagrammen, Kelchen, Spiralen und anderen rätselhaften Formen zeugten. »Beim nächsten Mal ziehe ich die Liveübertragung einer Darmspiegelung vor. Das kann unmöglich unangenehmer sein.« Lachend schüttelte er den Kopf.

»Wie bitte?« Blinzelnd erwachte ich aus … ja, aus was eigentlich? Mein Kopf war mit einem Mal merkwürdig wattig und hinter meinen Schläfen pochte es schmerzhaft.

Was ist auf einmal los?

»Ist alles okay bei dir?« Matt musterte mich mit gefurchter Stirn. »Du siehst ein bisschen blass aus um die Nase.« Er legte mir vorsichtig eine Hand auf die Schulter, was mich heftig zurückzucken ließ. »Was machst du überhaupt hier?«, fragte er, vermutlich um seine Enttäuschung wegen meiner Reaktion zu kaschieren. »Willst du dir die Zukunft voraussagen lassen?«

»Wieso denkst du …?« Ich rieb mir über die mit einer Gänse-haut überzogenen Arme. Unbewusst hatte ich den Schießstand verlassen und mich der Bude der Wahrsagerin genähert.

»Was zum …?!«, murmelte ich an mich selbst gerichtet. Was machte ich hier?

Da mich Matt weiterhin besorgt ansah, drehte ich mich mit einem zittrigen Lächeln zu ihm herum. »Nein, nein, ich wollte nur … ich meine, ich dachte, ich hätte hier was gesehen. Aber ich habe mich geirrt.« Schnell schüttelte ich den Kopf und sah mich nach dem Rest unserer Gruppe um. Glücklicherweise traf dieser gerade ein.

»O Gott, JJ! Hast du das gesehen?« Lachend vergrub Christina die Nase in einem kleinen gelben Nashorn, das sie in den Händen hielt. »Wir müssen uns dringend nach neuen Freunden umsehen. Sollte es nämlich jemals zu einer Zombieapokalypse kommen, sind wir mit diesen zwei Exemplaren rettungslos aufgeschmissen.«

Ich nickte mit einem künstlichen Lächeln, obwohl ich keine Ahnung hatte, wovon Christina sprach.

»June? Ich weiß, ich bin etwa zwei Stunden zu früh dran, aber …« Matt zog eine Hand hinter dem Rücken hervor. »Happy Birthday.« Zwischen seinen Finger hielt er ein Stofftier mit riesigen, kugelrunden und goldglänzenden Augen. Der Kopf war etwa so groß wie meine Faust und wirkte im Verhältnis zum Rest des eher schmächtigen Körpers viel zu wuchtig.

Verdutzt sah ich zwischen dem Plüschtier und Matt hin und her. Das fuchsiafarbene Fell des Tierchens sah unglaublich weich aus und neben einem langen, buschigen Schwanz, der an den eines Eichhörnchens erinnerte, entdeckte ich kleine, spitze Ohren und eine schwarze Nase samt Plastikschnurrhaaren. Weiße Ringe zogen sich um die Glupschaugen und ich glaubte zunächst, dass es sich bei dem Plüschtier um einen Rotpanda handelte. Doch dann entdeckte ich auf seinem Rücken kleine goldene Flügel wie bei einem Drachen.

»Ist der niedlich!«, quietschte Christina, während ich damit beschäftigt war, meine Gedanken zu sortieren. Sosehr mich Matts Geschenk auch rührte, kämpfte ich noch immer gegen die Nachwehen meines kurzzeitigen Aussetzers.

»Danke.« Ich nahm das Tierchen entgegen und drückte es an meine Brust. Es fühlte sich tatsächlich so weich an, wie es aussah.

»Wie willst du es taufen?«, fragte Christina, hörbar aufgeregter, als ich es war.

»Er muss nicht getauft werden, er hat bereits einen Namen«, ertönte plötzlich eine fremde Stimme mit einem Akzent, den ich nicht genau zuordnen konnte. »Er heißt Drake. Dracolus Ruberum der Erste, um genau zu sein. Aber seine Freunde dürfen ihn Drake nennen. Und«, die Dame vom Wahrsagerstand, die unsere Unterhaltung belauscht hatte, kicherte amüsiert, »June und Drake werden Freunde. Das weiß ich aus sicherer Quelle.«

»Dracolus Ru… was?« Nate klang ebenso verwirrt, wie ich mich fühlte. Doch neben Irritation schwappten noch weitere Emotionen durch mich hindurch – vorneweg eine nie zuvor gekannte Angst, die mein Herz wie verrückt galoppieren ließ. Nicht nur, dass die vermeintliche Wahrsagerin woher auch immer meinen Namen kannte, nein, jetzt hatte sie auch noch die Lider gehoben und sah mich unumwunden an. Dabei wirkten ihre Iriden so dunkel, dass sie mit den Pupillen verschmolzen und fast das gesamte Weiß verdrängten.

»Dracolus Ruberum der Erste«, wiederholte die Frau mit polterndem Akzent und ihre schmalen, faltigen Lippen verzogen sich zu einem Furcht einflößenden Lächeln.

»Ah, jaaaa …« Nate drehte sich zu uns herum und tippte sich unauffällig mit seinem Zeigefinger gegen die Schläfe.

»Kennst du die Frau, JJ?« Auch Christina schien die ältere Dame eher für bemitleidenswert zu halten.

Ich hingegen …

Wieso zum Geier weiß die Dame, wie ich heiße?

Diese Frage raste in Schallgeschwindigkeit durch meinen Verstand, während ich auf Christinas Worte mit einem Kopfschütteln antwortete. Mein Puls musste jenseits aller messbaren Bereiche liegen und meine Knie zitterten wie Wackelpudding. Auf keinen Fall würde ich ein verständliches Wort über die Lippen bekommen.

»Vergiss die Schreckschraube«, sagte Matt an mich gerichtet. »Solche Leute arbeiten mit schäbigen Tricks. Vermutlich beobachtet sie uns schon eine ganze Weile und hat dabei deinen Namen aufgeschnappt.« Er strich mir in einer liebevollen Geste eine Haarsträhne aus dem Gesicht, doch die beruhigende Wirkung blieb aus.

»Kommt, wir wollten doch zum Riesenrad.« Nate schlang erneut einen Arm um Christinas Schultern, den diese erst mit einer kleinen Verzögerung abschüttelte.

Matt folgte dem Beispiel seines Kumpels und zog mich selbstbewusst an seine Seite. Normalerweise hätte ich vor Freude überquellen müssen. Doch stattdessen zitterte ich noch immer, als fröre ich von innen heraus. Was auch immer es mit dieser Wahrsagerin auf sich hatte, ich war unbeschreiblich froh, als wir sie endlich hinter uns ließen.

Kapitel Zwei

Bist du dir wirklich sicher, dass du gehen willst?« Christina sah mich flehend an. Seit ich ihr anvertraut hatte, dass ich lieber nach Hause gehen würde, versuchte sie, mich umzustimmen. »Was ist mit Matt? Ihr seid euch heute so nahgekommen.« Sie deutete mit der riesigen rosaroten Zuckerwattekugel in ihrer Hand in Richtung Matt, der bei seinem Kumpel stand. Nate hatte sich die gesamte Woche damit gebrüstet, dass er einen Bekannten am Verkaufsstand des Getränkehauses hatte, der uns mit Bier versorgen würde, obwohl keiner von uns einundzwanzig war.

Ich seufzte leise und meine Finger krampften sich tief in das weiche Fell meines Plüschtiers. Christina hatte recht. Matt sendete mir heute ziemlich eindeutige Signale. Daher wäre Nachhause gehen das Letzte, was ich normalerweise wollen würde.

Aber die Kopfschmerzen, die mich seit der Begegnung mit der Wahrsagerin plagten, drohten zu einer regelrechten Migräne anzuwachsen. Und wenn ich Matt auf die Füße kotzte, wäre er ganz sicher nicht von mir entzückt.

»Wenn mich Matt so gern hat, wie es aussieht, dann wird er Verständnis haben.«

Christina bedachte mich mit einem zweifelnden, ja fast schon beleidigten Blick, ehe sie sich mit einem Schulterzucken von mir abwandte.

»Wie du meinst«, sagte sie und ihrem kühlen Ton nach zu urteilen, war sie ernsthaft gekränkt. »Aber heul mir später nicht die Ohren voll, dass du dir mit deinem Abgang sämtliche Chancen bei Matt verbaut hast. Du weißt, wie begehrt er ist. Wenn sich rumspricht, dass aus euch nichts geworden ist, wird es genug willige Frauen geben, die ihn trösten wollen.«

Sprachlos starrte ich Christina an. Ich verstand natürlich, dass es für sie unschön war, dass ich sie mit den beiden Jungs allein ließ. Aber war ihr eine erfolgreiche Verkupplung wirklich wichtiger als meine Gesundheit?

»Wir sehen uns in der Uni«, sagte ich mit einem Kloß im Hals. Die Enttäuschung über meine Kommilitonin saß tief.

Ich schaute ein letztes Mal in Richtung der Jungs, dann machte ich mich auf den Weg. Vermutlich hätte ich Matt erklären sollen, warum ich ging. Aber im Moment war ich nicht in der Stimmung für weitere Diskussionen – nicht, dass ich so etwas von ihm erwartete. Dennoch wollte ich nur noch so schnell wie möglich zu meinem Wagen – der leider Gottes am entgegengesetzten Ende des Jahrmarktes parkte. Auch hatte sich die Anzahl der Besucher in der letzten halben Stunde drastisch vermehrt, sodass ich kaum einen Schritt nach vorn machen konnte, ohne von jemandem angerempelt zu werden.

Ähnlich einem Krebs im Wasser wurde ich willenlos hin und her gespült.

Die Zeit verstrich, ohne dass ich sagen konnte, wie lange ich orientierungslos durch die Menschenmasse taumelte. Doch irgendwann wurde ich in einer Ecke des Geländes ausgespuckt, die mir schmerzlichst vertraut war.

»Oh, nein!«, stöhnte ich frustiert und musterte den Platz vor dem Schießstand. Zwar war es von hier aus nicht mehr weit bis zum Parkplatz, aber dieser Ort war aktuell der mit Abstand letzte, an dem ich mich aufhalten wollte.

Entschlossen, diesen Abend so schnell wie möglich zu beenden, wollte ich meinen Weg fortsetzen …

… doch Christinas düstere Progonose tanzte wie ein Broadway Musical durch meinen Kopf und ich erstarrte mitten in der Bewegung.

Du weißt, wie begehrt er ist. Es wird genug willige Frauen geben, die ihn trösten wollen.

Mir entfloh ein leiser Fluch.

An dem Debakel war nur diese dämliche Wahrsagerin schuld!

Vor meiner Begegnung mit ihr war alles in bester Ordnung gewesen. Doch jetzt sah es stark danach aus, als würde ich mir nicht nur neue Freunde, sondern auch eine neue Lerngruppe suchen müssen.

Mein Ärger wuchs an und ehe ich michs versah, fand ich mich vor der unbesetzten Wahrsagerhütte wieder. Da wir erst zehn Uhr hatten, bezweifelte ich, dass die alte Dame bereits Feierabend gemacht hatte.

Um die Zeit bis zu ihrer Rückkehr zu überbrücken, nahm ich die Glaskugel im Zentrum des Tisches unter die Lupe. Die Oberfläche fühlte sich kühl an, als ich mit meinen Fingerspitzen darüberfuhr. Und als ich sie in die Hand nahm, war ich überrascht, wie viel sie wog.

»Da bist du ja endlich«, erklang es so plötzlich hinter mir, dass ich erschrocken zusammenfuhr. Schnell legte ich die Glaskugel zurück an ihren ursprünglichen Platz und drehte mich mit glühenden Wangen herum.

»Du hättest sie bereits viel früher herbringen sollen«, tadelte mich die Wahrsagerin und sah dabei das Plüschtier zwischen meinen Fingern an. Machte sie das Kinderspielzeug für meine angebliche Verspätung verantwortlich?

Die Scham, beim Herumschnüffeln erwischt worden zu sein, wich einer gehörigen Portion Irritation. Diese verstärkte sich, als sich ein freundliches Lächeln auf den Zügen der älteren Lady ausbreitete. Zwar sahen ihre Iriden weiterhin unnormal dunkel aus, doch eine gewisse Weisheit schien in ihnen, die mir einen ungewollten Respekt abverlangte.

»Komm, Juneau!«, sagte die Wahrsagerin und hob ihre Hand, um mich mit ihren langen, vielberingten Fingern zu sich zu winken. Funkelnde Edelsteine in allen Farben des Regenbogens schimmerten dabei im Mondlicht auf. »Wir müssen uns beeilen. Die Zeit drängt.« Ohne mir auch nur die Chance einer Erwiderung einzuräumen, kehrte sie mir den Rücken und eilte davon.

Sprachlos starrte ich ihr hinterher. Was zur Hölle war hier los? Woher kannte die Frau meinen Namen? Meinen richtigen Namen! Matts Theorie, dass sie ihn während meines Gesprächs mit den anderen aufgeschnappt hatte, war soeben widerlegt worden. Denn niemand außer meinen Eltern, die mich nach meinem Zeugungsort getauft hatten – Ja, ich weiß, Igitt! –, nannte mich Juneau.

Ich schluckte hart. War die alte Frau womöglich doch so etwas wie eine Wahrsagerin? Zwar glaubte ich nicht an Magie oder so einen Uri-Geller-Gabel-Verbiegungskram, aber mir wollte partout keine andere Erklärung einfallen, woher die Frau sonst wissen konnte, wie ich hieß. Und was meinte sie überhaupt damit, dass man mich bereits viel früher hätte hierherbringen sollen? Meine unfreiwillige Rückkehr an diesen Ort war bloß ein Zufall. Die alte Dame hatte nicht wissen können, dass ich heute Abend ein weiteres Mal an ihrem Stand vorbeikommen würde.

Oder?

In meiner Brust zog sich alles zusammen und meine Kopfhaut prickelte. Alles in mir schrie, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Doch ich konnte nicht. Mein Groll, der einer gewissen Neugier gewichen war, hinderte mich daran.

Ach, verdammt! Was solls?!

Schnell, ehe ich es mir doch noch anders überlegte, folgte ich den wehenden Tüchern, die gerade durch den schmalen Spalt zwischen dem Schießstand und der Wahrsagerhütte verschwanden.

Der Jahrmarkt in Laramie wurde jedes Jahr auf der Schotterlandschaft eines alten, verlassenen Industriegebietes aufgebaut, sodass hinter den Buden leer stehende Backsteingebäude in die Höhe ragten, die einst Firmensitze gewesen waren. Alles hier war dunkel und verlassen – bis auf das schwach beleuchtete Schaufenster, das zwischen den mit Graffiti beschmierten Mauern prangte. Dem Namen des dazugehörigen Ladens nach, der in einer fluoreszierenden Farbe und einer verschnörkelten Handschrift auf einem schlichten Holzbrett stand und über der gläsernen Tür hing, hieß das Geschäft Lunaris. Passend dazu zog sich, beginnend beim L, in einem Halbkreis bis zum S ein durch verschieden breite Sicheln dargestellter Mondzyklus.

Was war das …?

Nie hätte ich in diesem Teil der Stadt einen Laden vermutet. Schon gar keinen, der auf einer mit dunklem Samt überzogenen Auslage alte in Leder gebundene Bücher, Kelche, Dolche und weitere vermeintlich mystische Dinge anpries.

Die Wahrsagerin verschwand in der geöffneten Eingangstür und ich folgte ihr, ohne darüber nachzudenken, wie riskant mein Handeln eigentlich war. An diesem Abend ergab ohnehin nichts mehr einen Sinn.

Das Innere des Ladens wurde vom silbrigen Mondlicht erhellt, das durch das Schaufenster fiel. Eigentlich war es vollkommen unmöglich, dass der Mondschein in einem derartigen Winkel einfiel. Und dennoch war es im Ladeninneren hell genug, um mich ohne Schwierigkeiten umzusehen.

Rechter Hand entdeckte ich eine aus dunklem Holz gefertigte Verkaufstheke und auf der anderen Seite offene Regale, die bis unter die Decke reichten. Was sich auf den oberen Regalbrettern befand, konnte ich nicht erkennen, aber auf einer Höhe mit mir standen Einmachgläser, in denen Tierkadaver in farbiger Flüssigkeit schwammen. Darunter stapelten sich Kisten und am Fuß der Regale verteilten sich leere Tierkäfige mit Kerzenständern in dubiosen Formen. Doch mein persönliches Horror-Highlight waren die Puppen, denen zwar die Gesichter fehlten, aber die dafür mit Stecknadeln bespickt waren.

Mein Herz polterte und erneut durchfuhr mich der Gedanke, dass nichts an dem heutigen Abend irgendeinen Sinn ergab.

»Komm«, forderte mich die Wahrsagerin zum wiederholten Mal auf und verschwand kurz darauf durch einen schwarzen Vorhang.

Mit vor Beklommenheit steifen Gliedern ging ich weiter.

Nachdem ich der alten Dame unter den schweren Vorhang gefolgt war, wurde ich von einem grellen Licht geblendet. Sofort musste ich die Lider zusammenkneifen.

»Oh, tut mir leid. Das ist wohl eine Spur zu hell für das menschliche Auge.« Die Wahrsagerin stieß ein Lachen aus, während sich meine Anspannung verstärkte.

Zu hell für das menschliche Auge? Ja, für welches denn sonst?!

»So, das sollte angenehmer für dich sein.«

Blinzelnd öffnete ich die Lider. Tatsächlich war das grelle Licht einem warmen gelb-orangen Kerzenschein gewichen, dessen Ursprung ich nicht ausmachen konnte.

Anstatt einer Erwiderung inspizierte ich den knapp dreißig Quadratmeter kleinen Raum. Die Wände waren mit dunklen Tüchern verhangen und in der Luft lag eine würzig-süße Duftmischung, die meine Gedanken träge werden ließ. Ein Gefühl von Ruhe überkam mich und meine Anspannung verflog wie ein böser Geist. Ich konnte mich nicht einmal mehr daran erinnern, weshalb ich gerade noch nervös gewesen war.

Im Zentrum des Zimmers stand ein kleiner runder Tisch samt bestickter Tischdecke, obligatorischer Glaskugel, sowie zwei Lehnstühlen aus dunklem Holz. Ein altmodischer Sekretär, ein hoher doppeltüriger Kleiderschrank und eine antike Standuhr, deren goldfunkelndes Pendel mit leisen Klicklauten hin- und herschwang, rundete das Interieur ab.

»Du hast sicherlich viele Fragen«, nahm die Wahrsagerin das Gespräch wieder auf. »Leider bleibt uns durch deine Verspätung«, ihr Blick fixierte meine Finger, die Matts Plüschtier umklammerten, »nicht viel Zeit, alle Unklarheiten im Detail zu besprechen. Aber wenn wir uns sputen, sollten wir wenigstens das Wesentliche abdecken.« Mit weicher Miene deutete sie auf den Stuhl, der mir am nächsten stand. Sie nahm gegenüber Platz.

Ich schluckte gegen den Kloß in meinem Hals an und folgte der Einladung. Die Holzbeine des Stuhls schabten geräuschvoll über den nackten Betonboden und jagten mir einen Schauder über den Rücken.

»Mein Name ist … nun ja, ich habe viele Namen. Aber mir persönlich gefällt Luna am besten«, sagte die Wahrsagerin, kaum dass ich mich gesetzt hatte. »Und ich bin die Göttin des Mondes. Ich bin mit einer überaus wichtigen Aufgabe auf die Erde gekehrt. Der–«

Ein lauter Gongschlag erfüllte den kleinen Raum und brachte den Boden zum Vibrieren.

»Was? Es ist schon so weit?« Die Wahrsagerin – ich hatte ihren Namen bereits wieder vergessen – sah mit schreckverzerrten Gesichtszügen zu der Standuhr. Ich starrte sie währenddessen mit nicht minder entsetzter Miene an.

Hatte sie gerade allen Ernstes gesagt, dass sie die Göttin des Mondes war?

Es folgte ein weiterer Gong und erneut bebte der Boden. Dieses Mal noch spürbarer.

»Ich dachte, wir hätten noch ein paar Minuten.« Hektisch sah die Wahrsagerin – ich weigerte mich, auch nur in Erwägung zu ziehen, dass sie ihre vorherigen Worte ernst meinte – zwischen der Uhr und mir hin und her.

Es war Mitternacht.

Mein Geburtstag hatte begonnen.

Gleichzeitig fing die Glaskugel vor mir an zu pulsieren, als besäße sie einen Herzschlag.

»Nein!« Die Wahrsagerin legte ihre gespreizten Finger auf die Kugel. »Wir sind noch nicht so weit! Juneau ist noch nicht so weit! Sie weiß doch noch gar ni–«

Ein weiterer Gongschlag unterbrach den Redefluss und das Pulsieren innerhalb der Kugel beschleunigte sich. Der Boden erbebte ein drittes Mal.

»Okay«, sagte ich und meine Worte zitterten ebenso wie meine Knie, als ich mich von meinem Stuhl erhob. Sämtliche Neugier, die mich überhaupt erst hatte hierherkommen lassen, hatte sich in Luft aufgelöst. »Ich habe zwar keine Ahnung, was das Ganze hier soll, und ich werde vermutlich nur mithilfe eines Therpeuten den heutigen Abend jemals verarbeiten können, aber meine eine Million Fragen und ich werden jetzt gehen. Schönen … schönen Abend noch.« Ich wirbelte in Richtung Ausgang herum. Am liebsten wäre ich losgerannt, als wäre der leibhaftige Teufel hinter mir her. Aber meine Beine zitterten so stark, dass ich mich kaum bewegen konnte. Nur mühselig schaffte ich ein paar Meter – bis der nächste Gongschlag ertönte und das folgende Beben mich von den Beinen riss.

Kapitel Drei

Kopf voran prallte ich gegen den Kleiderschrank und verlor dabei nicht nur das Lebkuchenherz um meinen Hals, sondern auch das Gleichgewicht. Hart landete ich auf Händen und Knien, was auch Matts zweites Geschenk aus meinen Fingern beförderte.

»Juneau, du musst mir zuhören!« Die Worte der Wahrsagerin wurden beinah von dem nächsten Gong übertönt. »Du weiß noch zu wenig über deine Rolle. Wenn du dich unwissens unter die Menschen begibst, wird das schlimme Folgen haben. Du musst –« Ein weiterer Gong unterbrach ihre Worte und ich sah ungewollt auf. Anstatt wie ich einer leblosen Puppe gleich willenlos durch den Raum geschubst zu werden, saß die alte Lady noch immer auf ihrem Stuhl und hielt mit konzentrierter Miene die Glaskugel zwischen ihren Fingern. Das Pulsieren war inzwischen zu einem konstanten Leuchten geworden, das es mit einer 1000-Watt-Birne aufnehmen konnte.

»Drake! Sag doch auch mal was! Was glaubst du, wofür ich dich hierherbestellt habe?«

Okay, das war’s!

Dass sie offenbar glaubte, eine Verbindung zu einem leblosen Plüschtier zu besitzen, das mir erst vor zwei Stunden geschenkt worden war, sprengte die Grenzen meiner Toleranz. Sollte sie das dämliche Ding doch behalten. Ich würde es ohnehin nie wieder ansehen können, ohne an den heutigen Abend denken zu müssen. Und bei Gott! Es gab keinen Tag in meinem bisherigen Leben, den ich lieber aus meinen Erinnerungen löschen wollte als diesen hier.

Als das Beben allmählich abklang, ignorierte ich alles um mich herum und hievte mich so schnell ich konnte auf die Beine. Jeder Zentimeter meines Körpers pochte schmerzhaft, aber ich mobilisierte all meine Kaftreserven und sprintete in Richtung Vorhang. Zwar ähnelten meine Bewegungen denen eines betrunkenen Matrosen auf stürmischer See, dennoch gelang es mir, einen Großteil des Weges hinter mich zu bringen. Ich schaffte es sogar, dem Sekretär auszuweichen, der wie der Rest der Möbel durch den Raum tanzte, als würde hier die Realverfilmung von dem Disney-Klassiker »Die Schöne und das Biest« gedreht werden.

Mit dem nächsten Gongschlag veränderte sich das Licht im Zimmer. Aus dem sanften Kerzenschein wurde jenes grelle Leuchten, das mich bereits bei meiner Ankunft in diesem Zimmer geblendet hatte, und ich kniff die Lider zusammen.

»Drake!«, rief die Wahrsagerin grollend. »Jetzt reicht es aber, du unsäglicher Faulpelz! Tu endlich etwas! Juneau braucht dich!«

Dem Kampf-oder-Flucht-Modus unterjocht, der Adrenalin durch meine Adern pumpte, öffnete ich meine Lider, jedoch nur weit genug, um mich zu orientieren. Dabei erkannte ich, dass wenige Zentimeter über der Glaskugel ein kleiner Leuchtball schwebte, dessen Kern nicht größer war als ein Quarter und der trotzdem die Strahlkraft der Sonne besaß.

»Du musst keine Angst haben, Juneau.« Die alte Frau war inzwischen ebenfalls aufgestanden. »Das Licht wird dir nichts tun. Es ist deine Bestimmung. Dein Schicksal! Es wird dich leiten, wenn die Finsternis nach dir greift.«

Mein Mund öffnete sich für eine Erwiderung, doch stattdessen erklang ein lautstarkes Kreischen, das ich verzögert als mein eigenes identifizierte. Der Sci-Fi-mäßige Leuchtball schwebte geradewegs auf mich zu.

Panik explodierte in mir und ich taumelte blind zurück. Dabei stolperte ich über die am Boden liegenden Gegenstände und wäre beinah hingefallen.

Ich muss hier raus! Und zwar auf der Stelle!

Ohne meine Aufmerksamkeit von dem Leuchtball zu wenden, sah ich mich nach dem Ausgang um. Der schwarze Vorhang hing unweit von mir, jedoch war ich nicht die Einzige, die dieses Ziel anpeilte. Das Licht schoss zeitgleich mit mir darauf zu und wir wären zweifelsfrei kollidiert, hätte ich mich nicht kurz zuvor durch einen Hechtsprung in Sicherheit gebracht.

Was zum Henker …?

Wollte mich dieses hyperaktive Glühwürmchen auf Ecstasy etwa umbringen?

Die Antwort auf diese Frage konnte nur Ja lauten, da der Leuchtball knapp über meinen Kopf hinwegflog, ehe er in einer engen Schleife wendete, um erneut Kurs auf mich zu nehmen.

Sofort sprang ich auf die zitternden Beine – glücklicherweise blieben weitere Gongschläge aus – und jagte in Richtung Vorhang. Ich riss den schweren Stoff zur Seite und sprintete ungeachtet des Chaos, das die Erschütterungen im benachbarten Zimmer angerichtet hatten, los.

Leider erschwerte der drastische Wechsel der Lichtverhältnisse mein Vorankommen, sodass ich mich mehr blind als sehend durch den Verkaufsraum kämpfte. Meine Ankle Boots rutschten immer wieder auf dem nassen Boden aus, meine Knöchel knickten mehrfach um und ich war inzwischen so oft mit den Knien gegen irgendwelche Gegenstände gestoßen, dass ich es nicht mehr zählen konnte. Aber nichts davon spielte eine Rolle.

Zentimeter für Zentimeter arbeitete ich mich zwischen den umgestürzten Regalen, im Weg liegenden Kerzenständern und zerbrochenen Einmachgläsern hindurch, die sich in einem Meer aus knirschenden Scherben unter meinen Schuhsohlen erstreckten.

Eine gefühlte Ewigkeit dauerte die Prozedur, doch schließlich erreichte ich die Eingangstür – und zwar noch bevor der Leuchtball einen Weg auf diese Seite des Vorhangs gefunden hatte.

Ich erlaubte mir einen innerlichen Jubelschrei.

Ich hatte es geschafft! Ich hatte es wirklich geschafft! Ich würde hier nicht draufgehen und von einer Verrückten und ihrem Sci-Fi-Leuchtball umgebracht werden!

Meine Freude wurde von einer ordentlichen Portion Stolz angereichert, sodass ich selbstbewusst nach der Türklinge griff. Das Metall fühlte sich unter meinen erhitzten und zitternden Fingern einfach göttlich an.

Ich drückte die Klinke herunter und das Schloss öffnete sich. Die Glastür glitt einen Spaltbreit auf und ein Windstoß frischer Nachtluft drang zu mir vor. Erst jetzt bemerkte ich, wie stickig die Luft hier drinnen war.

Getrieben von der Aussicht, nur noch einen Schritt von meinem rettenden Ziel getrennt zu sein, zog ich das von einem schmalen Metallrahmen eingefasste Glas schwungvoll auf.

Doch nach zwei Zentimertern stoppte die Tür.

Fassungslosigkeit löschte meine Freude aus und hinterließ nichts als kalte Asche. »Was soll das?« Wie bessessen rüttelte ich an der Klinke, doch egal wie sehr ich mich anstrengte, die Tür ließ sich nicht weiter öffnen. »Nein! Nein! Nein! Das kann einfach nicht wahr sein!« In meinem Wahn brauchte ich ein paar Sekunden, um zu erkennen, dass ein umgefallenes Regal die Tür blockierte.

Ich sitze in der Falle!

Zeitgleich mit dieser Erkenntnis passierte der Leuchtball den Vorhang und flog in den Verkaufsraum. Meine Freudentränen schlugen um und ein Schluchzen drang mir über die Lippen. Doch ich weigerte mich, aufzugeben. Wenn ich schon sterben würde, dann kämpfend!

Zitternd drehte ich mich wieder zu der Eingangstür und rüttelte daran. Doch es war zwecklos – ebenso wie um Hilfe zu schreien. Abgesehen davon, dass meine Kommilitonen mich längst zu Hause vermuteten, dämpfte die Jahrmarktmusik, die selbst hier drinnen dumpf zu hören war, meine Rufe wie ein akkustisches Bermudadreieck.

Das Gefühl, in der Falle zu sitzen, floss wie Säure durch meine Adern und ließ mich trotz der Anstrengungen von innen heraus frieren. Als dann auch noch das Licht um mich herum stetig heller wurde, musste ich mir eingestehen, dass ich verloren hatte. Der Leuchtball lauerte bereits hinter mir.

Bibbernd drehte ich mich herum.

»Was willst du von mir?«, schrie ich das Licht an, während ein Teil von mir den Boden nach etwas absuchte, das ich als Waffe verwenden konnte. Doch in dem herrschenden Chaos war nichts auszumachen.

Wobei …

Moment, war das dort unten etwa …?

Drake?

Ich ignorierte die Frage, wie das kleine Plüschtier einen Weg auf diese Seite des Vorhangs gefunden hatte, und warf mich stattdessen zu Boden, um es aufzuheben. Da der Leuchtball nun wieder auf mich zuglitt, konnte ich jede »Waffe« gebrauchen.