Sex, Herz und Bindung - Saleem Matthias Riek - E-Book

Sex, Herz und Bindung E-Book

Saleem Matthias Riek

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Beschreibung

Sex ist nicht Liebe ist nicht Bindung. Doch oft werden die drei Dimensionen des Liebeslebens in einen Topf geworfen. Mit Glück wird daraus ein genießbares Gericht - oft aber auch nicht. Der romantische Mythos, dass sich alles von alleine fügt, wenn der Topf nur seinen Deckel findet, prägt unser Denken über Lust und Liebe. Doch was, wenn dieser Irrglaube uns in einen Beziehungs-Dschungel führt, aus dem wir keinen Ausweg finden? Mit der Dreieckstheorie der Liebe 2.0 entwirft der Paar- und Sexualtherapeut Saleem Matthias Riek eine Landkarte, um im Liebesleben bewusst zu navigieren - statt sich aufs Liebesglück zu verlassen. Sex, Herz und Bindung sind drei Kräfte mit eigener Energie und Dynamik. Wer sie versteht, lebt eher Beziehungen, die zu den eigenen Wünschen und Sehnsüchten passen. Der Rest bleibt Glückssache. Im ersten Teil geht es um die Grundlagen unserer Liebesfähigkeit und darum, wie sich diese in Kindheit und Adoleszenz entwickeln. Der zweite Teil taucht tief in die drei Dimensionen ein, die im Mittelpunkt dieses Buches stehen: Sex, Herz und Bindung. Was macht sie in ihrem Wesen aus und wie nehmen wir ihre Qualität und Energie konkret wahr? Im dritten Teil geht der Autor im Detail darauf ein, wie wir typische Verwechslungen vermeiden, welche Rolle Bewertungen spielen und wie wir Defizite und Fixierungen überwinden können, um eine für uns passende Komposition aus Sex, Herz und Bindung zu ermöglichen. Der abschließende vierte Teil beleuchtet die Bedeutung von Perspektivwechseln und wie wir jenseits ideologischer Verengungen zu einer Beziehungsgestaltung finden, die unsere persönlichen Bedürfnisse und Prägungen berücksichtigt. Wenn du nur noch ein Buch zu Liebe, Sexualität und Beziehung lesen möchtest, dann lies dieses! Wenn es mehr sein sollen, fang mit diesem an! "Was hier zu lesen ist, erscheint mir essenziell, neu, bewegend und fast schon revolutionär auf den Punkt gebracht."

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Seitenzahl: 265

Veröffentlichungsjahr: 2025

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für Sandra

Hinweis: Die Empfehlungen und Übungen in diesem Buch sind sorgfältig ausgesucht worden. Sie sind jedoch kein Ersatz für individuelle Beratung oder therapeutische Begleitung. Eine Haftung des Autors bzw. des Verlages ist ausgeschlossen.

Inhalt

Vorwort

Einführung

Teil 1: Grundlagen unserer Beziehungsfähigkeit

1. Aller guten Dinge sind drei

Die Dreieckstheorie der Liebe

2. Die Wurzeln unserer Beziehungsfähigkeit

Die kindlichen Entwicklungsphasen

Übung 1: Wurzeln deiner Beziehungsfähigkeit erkunden

3. Erwachsen werden

Das Bindungssteuer selbst in die Hand nehmen

Teil 2: Sex, Herz und Bindung begreifen

4. Was ist Sex?

Ein Gespür für erotische Energie entwickeln

Von der Bipolarität zur Multipolarität

Übung 2: Erkundung erotischer Polaritäten

5. Was ist Liebe?

Das Herz umarmt und verwandelt

Intimität und Differenzierung

Übung 3: Erweiterung deiner Liebesfähigkeit

6. Was ist Bindung?

Übung 4: Kontaktzyklen bewusst erleben

Erwachsenes Bindungsverhalten

Gefühle und Bedürfnisse als Wegweiser

Übung 5: Was Bindung für dich bedeutet

Teil 3: Auseinanderhalten und Zusammensetzen

7. Erkennen statt verwechseln

Übung 6: Die drei Qualitäten identifizieren

8. Bewertungen relativieren

9. Fakes durchschauen

10. Unterscheiden, nicht trennen

4 Übung 7: Dein Beziehungsverhalten erkunden

11. Selbstbestimmt kombinieren

Teil 4: Deine Beziehungen bewusst gestalten

12. Wie Ideologie den Blick verstellt

Monogamie, Polyamorie oder mir doch egal?

Übung 8: Deine Idee von Beziehung

Männer und Frauen

4 Übung 9: Sehnsüchte und Werte in Besitz nehmen

13. Ich, Du und Wir

Die Perspektive wechseln

Übung 10: Gemeinsam Beziehungskompetenz entwickeln

14. Bewusst gewählte Beziehungsformen

Erlebnisräume für Erwachsene

Zur Person

Dank

Literaturverzeichnis

Quellen und Anmerkungen

Vorwort

Was gibt es Schöneres als ein erfüllendes Liebesleben? Fällt dir etwas ein? Mir nicht. Mein Leben ist – pathetisch ausgedrückt – eine Ode an die Kunst der Liebe, eine Reise, die mich durch Höhen und Tiefen menschlichen Erlebens geführt hat. Ich habe viel erlebt, einiges gelernt und manches erlitten, persönlich wie professionell. Einige meiner Erkenntnisse möchte ich in diesem Buch mit dir teilen.

Warum fühlen sich manche Begegnungen beglückend an, während andere uns unbefriedigt zurücklassen? Warum gehen Beziehungen in die Brüche, die vielversprechend begonnen haben? Woran liegt es, dass unsere Liebe oder unser Begehren oft nicht so will, wie wir uns das vorstellen? Und wenn es mal gut läuft: Wie sorgen wir dafür, dass diese Erfahrung von Dauer ist?

Auch wenn sich diese Fragen nicht endgültig beantworten lassen, so finden wir doch wertvolle Hinweise im tieferen Verständnis von Sex, Herz und Bindung.

So viel vorab: Mit Sex meine ich nicht allein den sexuellen Akt, mit Herz meine ich nicht, was uns romantisches Kino vorgaukelt, und mit Bindung weit mehr als das gegenseitige Jawort. Es geht um die spezifische Qualität oder Energie, welche die drei wesentlichen Dimensionen unseres Liebeslebens auszeichnet.

In meinem Leben musste einiges passieren, bis ich die Dynamik von Sex, Herz und Bindung besser verstand. Es begann in großer Not.

Die Dornenhecke

Als Teenager war ich in meiner Suche nach Lust und Liebe krass überfordert. Nach ein paar verunglückten Flirtversuchen zog ich mich tief in mich selbst zurück. Die spröde Atmosphäre eines Jungengymnasiums lockte mich auch nicht gerade aus meinem emotionalen Schneckenhaus. Einsamkeit war, trotz einer großen Familie, mein ständiger Begleiter, und so stellte ich mir eines Tages die Frage: Wie lange würde ich das noch aushalten, wie lange noch warten, um die Liebe zu finden, die mich aus meinem Elend befreien würde? Ich setzte mir eine Frist – zwei Jahre noch, dann müsste sich etwas verändert haben, sonst … zum Glück hatte das Schicksal andere Pläne. Kurz nachdem ich sogenannt erwachsen wurde, fand jemand den Weg durch die Dornenhecke meiner Einsamkeit, begrüßte meinen Sex und berührte mein Herz.

Diese Rettung war der Beginn einer langen Entdeckungsreise, die auch heute nicht zu Ende ist. Ich mag Sex und ich mag es, aus vollem Herzen zu lieben und ganz besonders mag ich es, wenn beides zusammenkommt und zudem auf Gegenseitigkeit beruht. Leider reicht es dafür nicht, die richtige Partnerin zu finden und sich von ihr retten zu lassen. Auch bei mir reichte das nicht. In diesem Buch möchte ich dich mit auf die Reise nehmen durch die üppigen Landschaften der Liebe, die sich manchmal zu undurchdringlichem Dschungel verdichten oder schlicht in Wüsten verwandeln können.

Für wen habe ich dieses Buch geschrieben? Zunächst für alle, die sich nach mehr Erfüllung in ihrem Leben sehnen. In deinen Beziehungen wiederholen sich unerfreuliche Muster, deine Sexualität bleibt unter ihren Möglichkeiten, du fragst dich, was Liebe überhaupt ist? Du genießt dein Liebesleben und möchtest, dass es nachhaltig so bleibt oder bist neugierig auf mehr? Mit alledem bist du hier richtig. Allerdings ist dieses Buch kein Rezeptbuch, sondern erfordert deine Kooperation. Lass dich dazu anstiften, ein wenig weiter zu denken und zu fühlen, als du es gewohnt bist.

Das Buch richtet sich aber auch an alle, die beruflich mit den Themen Liebe, Lust und Beziehung zu tun haben, z. B. als Coach, als Psychotherapeutin oder im Bildungsbereich. Es ist gut möglich, dass dir die Landkarte von Sex, Herz und Bindung, die ich in diesem Buch vorstelle, neue Orientierung und Inspiration verschafft. Sie geht auf die Dreieckstheorie der Liebe von Robert Sternberg aus den 1980er Jahren zurück, ich entwickle sie jedoch weiter und entbinde sie von ihrer Normativität. Ich habe das Dreieck in meiner Arbeit als Therapeut und als Seminarleiter vielfältig eingesetzt und erprobt, und es hat sich sowohl dort als auch in meinem Privatleben als sehr hilfreich erwiesen. Es trägt erheblich zum Verständnis von Beziehungsdynamiken bei und all der Hindernisse, die dem Glück in der Liebe im Wege stehen.

Theoretische Abschnitte wechseln sich ab mit Beispielen und praktischen Übungen zur Selbsterkundung. Die Kapitel bauen aufeinander auf, aber wenn dich Themen speziell ansprechen, kannst du gerne zum entsprechenden Kapitel vorblättern. Bei den Beispielen wurden Namen und Details verändert, um eine ausreichende Anonymität zu gewährleisten.

Abb. 1: Sex, Herz und Bindung: die Dreieckstheorie der Liebe 2.0

Was das Gendern angeht, bin ich undogmatisch, es gibt leider keine Ideal - lösung. Neben dem generischen Maskulinum nutze ich auch das generische Femininum, was auch nicht nur das weibliche, sondern alle Geschlechter meint. Auch weitere Formen wie das Gendersternchen kommen vor. Du darfst dich von allen Formulierungen gleichermaßen angesprochen fühlen – oder auch nicht.

Ich wünsche dir, liebe Leserin, lieber Leser, vielfältige Einsichten in das, was dich in Liebesangelegenheiten bewegt. Zusätzlich bist du eingeladen, immer mal wieder deine Perspektive zu wechseln, um zu erahnen, wie andere Menschen ticken. Auf der Basis gelungener Differenzierung – wo wir jeweils stehen und wohin wir wollen – können wir Brücken zueinander bauen und ein Stück des Weges gemeinsam gehen, bis sich unsere Wege wieder trennen. Sei herzlich willkommen, mich in meinen Gedanken ein Stück des Weges zu begleiten.

Saleem Matthias Riek

im Februar 2025

Einführung

Im Mittelpunkt dieses Buches steht die Triangel aus Sex, Herz und Bindung und die Frage, um was es sich bei diesem Dreieck handelt. Die Antwort scheint auf den ersten Blick banal:

Sexualität bezieht sich auf die körperliche Anziehung zwischen zwei Personen und die körperlichen Aktivitäten, die daraus resultieren. Liebe bezieht sich auf die emotionale Verbindung zwischen zwei Personen und die Gefühle, die daraus resultieren. Bindung bezieht sich auf die langfristige Verpflichtung zwischen zwei Personen, die sich gegenseitig treu und unterstützend sind.1

Zufrieden? Dann kannst du das Buch jetzt beruhigt zur Seite legen. Mich befriedigt diese Antwort allerdings nicht. Ich war schon immer viel zu neugierig darauf, all die faszinierenden Phänomene des Lebens in ihrer Tiefe und Komplexität zu begreifen. Woher kommen all die Schwierigkeiten, denen Menschen in ihrem Liebesleben begegnen? All die Dramen, von denen uns Autorinnen und Regisseure aller Sparten erzählen und von denen wir uns fesseln lassen, wenn wir sie nicht gerade selbst aufführen. Es gibt zwischen Himmel und Erde noch viel zu entdecken, insbesondere was uns Menschen erfüllt und beglückt.

Am Anfang einer Entdeckungsreise steht oft eine Sehnsucht, früher oder später begegnen uns dann die diversen Hindernisse. In diesem Buch wie auch sonst im Leben bewegen wir uns immer wieder zwischen verschiedenen Polen. Beginnen wir unsere Reise doch gleich mit einer der brisantesten Polaritäten, wenn es ums Liebesleben geht: Treue und Freiheit.

Verliebt in die Katastrophe

Ich saß im Zug von Münster gen Süden und mir schwante Unheil. Hätte ich lieber nicht anrufen sollen? Hätte ich das nicht erzählen dürfen?

Ein halbes Jahr waren wir erst zusammen und lebten eine Wochenendbeziehung, sie arbeitete als Erzieherin in Düsseldorf, ich studierte Deutsch und Philosophie in Münster. Ich hatte gerade mein erstes philosophisches Blockseminar hinter mir und war begeistert über die Offenheit und Nähe, die mit einigen Kommilitoninnen entstanden war. Eine gemeinsame Lerngruppe mit dem anderen Geschlecht, aus Schulzeiten kannte ich das überhaupt nicht. Und so erzählte ich am Telefon voller Überschwang: „Ich habe mich in gleich drei Frauen verliebt!“ Am anderen Ende der Leitung wurde es still. Ich kam nicht einmal dazu, so etwas Albernes zu sagen wie „Es ist nicht das, wonach es sich anhört!“, da war das Gespräch schon zu Ende.

Zwei Stunden später brach die Katastrophe über mich herein und meine innere Welt zusammen. In meiner grenzenlosen Naivität hatte ich geglaubt, dass sich meine Liebste mit mir freuen würde, zumal ich ja wusste, dass „nichts gelaufen“ war. Ich hatte in dieser Hinsicht gar keine Ambitionen gehabt, ich war ja froh, nach so vielen Jahren der Einsamkeit endlich in einer festen Beziehung zu leben. Aber dann musste ich die Erfahrung machen, dass ich mich nicht verständlich machen konnte, weder was „verliebt“ bedeutet hatte und schon gar nicht in der Frage, ob man mehr als einen Menschen lieben könne oder nicht. Ich lernte, dass dieses Thema rasend schnell zum Minenfeld werden kann.

Ganz aufgegeben habe ich meine Naivität bis heute nicht. Warum können so viele Menschen nicht offen und vertrauensvoll über Liebe jenseits traditioneller Treuevorstellungen sprechen, ohne dass gleich Rollladen heruntergelassen werden oder Tassen durch die Gegend fliegen?

Es gibt kaum eine größere Herausforderung für Paare als den Konflikt zwischen Treue und Freiheit. Beides genießt in unserer Kultur hohes Ansehen, doch die Kombination stellt uns vor schier unlösbare Probleme. Wer sich ganz der Treue verschreibt, verliert seine Freiheit, wer vollkommen frei sein will, kann bestenfalls sich selbst treu bleiben, vielleicht aber nicht einmal das.

Wir könnten diesen Widerspruch als conditio humana, als Grundbedingung des Menschseins, anerkennen, analog zu anderen Polaritäten des Lebens. Ob wir es mögen oder nicht, auf jeden Tag folgt eine Nacht, es gibt Männer und Frauen und mit jeder Geburt ist der Tod gesetzt. Zwischen diesen Polen spannt sich das Leben auf. Warum fällt es so schwer zu akzeptieren, dass Treue und Freiheit zwei Bedürfnisse sind, die in einem fundamentalen Widerspruch zueinander stehen? Mit Treue legen wir uns fest und begrenzen unsere Freiheit, in Freiheit lösen wir uns von Festlegungen und begrenzen möglicherweise unsere Bereitschaft zur Treue. Ein echtes Dilemma. Wie gehen wir damit um? Gibt es dafür überhaupt eine Lösung?

In diesem Buch geht es vorrangig um die Dynamik einzelner menschlicher Beziehungen, doch diese ist mit kollektiven Vorstellungen eng verschränkt, beide hängen voneinander ab. Ob und in welcher Weise zwei Menschen sich frei lassen oder einander treu sind, ist wesentlich von gesellschaftlichen Einstellungen mitbeeinflusst. Die großen Religionen haben uns über Jahrtausende hinweg vorgeschrieben, wie Liebe zu verstehen sei und auch der Staat spricht ein Wörtchen dabei mit, welche Art von Beziehung sozial, finanziell und rechtlich gefördert und welche sanktioniert wird.

Verletzungen in der „Black Box“

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sich die Frage, wie wir Liebe leben, in jeder intimen Beziehung neu stellt. Nach meiner Beobachtung resultieren die größten Enttäuschungen nicht durch einen Mangel an Liebe oder Sex, wie viele glauben, sondern durch unseren Umgang mit dem Thema Bindung. Was macht eine befriedigende Bindung aus, wie entsteht sie und wie können wir sie wieder lösen, ohne uns unnötig zu verletzen?

Die Antwort befindet sich allzu oft in einer „Black Box“, sie entzieht sich unserer Aufmerksamkeit und zieht Konsequenzen nach sich, die wir nicht verstehen. Stattdessen versuchen wir unverdrossen, Liebe und Sexualität zu optimieren. Das kann uns durchaus voranbringen, doch wenn unsere Schwierigkeiten Symptome problematischen Bindungsverhaltens darstellen, können wir sie nur in dessen Kontext verstehen und verändern.

In der Psychologie wurde viel über die Bedeutung von Bindung in der frühkindlichen Entwicklung geforscht. Es ist unumstritten, dass Partnerschafts - probleme oft durch Bindungsmuster aus der Kindheit entstehen, die in erwachsenen Liebesbeziehungen reaktiviert werden. Das gehört schon zur Allgemeinbildung2. Leider hat diese Erkenntnis wenig dazu beigetragen, die wir die Dimension von Bindung in erwachsenen Liebesbeziehungen bewusster gestalten. Die Rolle kindlicher Vorerfahrungen in erwachsenen Beziehungen zu verstehen, ist ein wichtiger Schritt. Aber was dann? Die Antwort auf diese Frage wird durch romantische Mythen ersetzt.

Die große Verheißung

Eine Liebesbeziehung beginnt, indem sich zwei Menschen ineinander ver lieben, das erscheint selbstverständlich. Sie fühlen sich zueinander hingezogen, lassen sich aufeinander ein, verlieben sich, schlafen miteinander, entwickeln eine gewisse Vertrautheit und dann sind sie ein Paar. Die Reihenfolge kann variieren, doch ohne Verliebtheit? Nein! Sie gilt heutzutage als Basis romantischer Liebe, hat aber einen gravierenden Nachteil: Verliebtheit können wir nicht herstellen, sie entzieht sich der Planbarkeit. Sie gilt als Geschenk des Himmels oder Schicksal, manchmal auch als Katastrophe, aber wir können sie willentlich kaum beeinflussen. Vielleicht können wir sie notfalls unterdrücken, doch wenn ihr nichts entgegensteht, verheißt sie uns den Weg ins Beziehungsparadies.

Dass Verliebtheit nur zu Liebe reifen kann, wenn wir in der Lage sind, auf - tretende Differenzen erfolgreich zu bewältigen, kommt in den Mythen selten vor. In zahllosen Varianten wird ewig junge Verliebtheit besungen, sie steht im Zentrum von Gedichten und Popsongs, von Romanen, Opern und Operetten, von bildender Kunst, Kino- und Fernsehfilmen. Diese Geschichten haben wir in die Zellen unseres Körpers aufgesogen, die Sehnsucht nach Verliebtheit erscheint als Ausdruck unseres Wesenskerns. Nur ungern mögen wir sie hinterfragen. Wir unterwerfen uns voller Inbrunst ihrer Macht.

Du bist die Rose meiner Liebe,

Die Ros‘ auf meines Herzens Flur

Es waren andre Blumentriebe

Vorahnung meiner Rose nur.

Es kam der Flor, dass er zerstiebe,

Verschwinden musste jede Spur,

Dass Raum für meine Rose bliebe,

Die mir zu bleiben ewig schwur.

Friedrich Rückert3

Liebe nüchtern betrachtet

Die Wissenschaft entzieht sich der Mystifizierung romantischer Liebe, indem sie ihre Bestandteile analysiert. Daraus können wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden, doch ihr Gültigkeitsbereich ist limitiert:

Die Naturwissenschaft stößt an die Grenzen ihres materialistisch- mechanistischen Weltbildes, wenn sie sich Liebe und Begehren lediglich als Wirkung chemischer Substanzen im Körper vorstellen kann. Hormonelle und neurobiologische Prozesse stehen in enger Wechsel - beziehung zu unseren Empfindungen, aber das bedeutet nicht, dass sie deren Ursache sind.

Die Evolutionsbiologie verengt ihre Perspektive auf Überlebensvorteile, die angeblich unsere Liebes-Präferenzen in einem über Jahrmillionen währenden Prozess determiniert haben.

Die naturwissenschaftlich orientierte Psychologie beschränkt sich freiwillig auf die Analyse beobachtbarer Verhaltensweisen und verbannt Einfühlung ins Reich der Spekulation.

Der geisteswissenschaftliche Horizont ist weiter gespannt. Hier finden wir Ansätze, die unsere Motive und deren lebensgeschichtliche Entwicklung zu erfassen suchen. Das Beobachtbare gilt nur als die Spitze des Eisberges, denn seit Sigmund Freud ahnen wir, das große Teile unseres Denkens, Fühlens und Verhaltens von unbewussten Triebkräften gesteuert werden. Über Unbewusstes lässt sich prächtig spekulieren, qua Definition aber kaum Exaktes herausfinden. Den Theorien über Wesen und Struktur der menschlichen Psyche sind keine Grenzen gesetzt, doch sie lassen sich weder verifizieren noch falsifizieren.

Die Methode der Introspektion kann wertvolle Verständnisansätze zutage fördern und auch dieses Buch ist wesentlich von meiner Selbsterforschung inspiriert. Allerdings sagen auf Innenschau aufbauende Theorien oft mehr über ihre Urheber als über den Gegenstand ihrer Forschung aus. Das muss kein Nachteil sein, wenn die subjektive Komponente transparent ist. Durch Introspektion öffnen wir unserer Kreativität Tür und Tor, aber auch verschiedensten Formen von Ideologie, einem bedeutsamen Gegenspieler von Erkenntnis. Dazu später mehr (ab Seite 140).

Nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in unseren persönlichen Weltanschauungen gibt es höchst unterschiedliche Perspektiven, aus denen heraus wir unser Liebesleben betrachten. Haben wir unsere Sichtweise bewusst gewählt? Oft eher nicht. Es lohnt sich näher hinzuschauen und dieses Buch stellt dafür vielfältige Anregungen zur Verfügung. Die Art und Weise, wie wir Kontakte und Beziehungen gestalten, ist eng mit Verletzungen verknüpft, die wir im Laufe unseres Lebens erlitten haben. Aus diesen Erfahrungen heraus entwickelt sich unsere Sicht auf alle Facetten naher Beziehungen. Ohne eingehende Reflexion halten wir unsere Überzeugungen für allgemeingültig. Ein emotional vernachlässigtes Kind wird später womöglich einen stärkeren Wunsch nach fester Bindung haben als ein Mensch, der in seiner Kindheit mit Fürsorge überflutet wurde. Solange uns unsere spezifischen Prägungen nicht bewusst sind, interpretieren wir Liebe, Sex und Bindung aus unserer eigenen Warte, ohne es zu bemerken. Wir nehmen unsere persönlichen Bindungsmuster als Blaupause für das Phänomen Bindung insgesamt.

Wenn die Affäre auffliegt

Peter und Maria waren mehr als zwanzig Jahre zusammen, als für die beiden eine Welt zusammenbrach. Peter hatte eine heimliche Affäre und war damit aufgeflogen. Maria wollte die Beziehung sofort beenden, was Peter jedoch nicht akzeptierte. Warum willst du dich trennen, wo ich dich doch liebe? Was ich mit Britta erlebe, hat mit uns gar nichts zu tun. Und außerdem ist es vorbei.

Dann fassten die beiden einen folgenreichen Entschluss. Sie saßen zusammen vor der Internetsuchmaschine und gaben die Frage ein: „Muss man sich nach einem Seitensprung trennen?“ Schließlich landeten sie in einer Paartherapie und hatten Glück. „Die Therapeutin hat uns von Anfang an klar gemacht, dass es viele Möglichkeiten gibt, Liebe zu leben und mit Treue oder Untreue umzugehen. Sie werde uns nicht sagen, was richtig und was falsch ist. Das müssten wir schon selbst herausfinden.“

Es wurde ein mühsamer Prozess, in dem sie herausfanden, warum sie Monogamie niemals in Frage gestellt hatten und was der Preis vermeint - licher Selbstverständlichkeit war: Heimlichkeit. Maria entdeckte, dass sie sich niemals erlaubt hatte, andere Männer attraktiv zu finden und dass letzten Endes auch Peter darunter zu leiden hatte, weil sie ihn irgendwann nicht mehr begehrte. Peter hatte sie nie bedrängt, das wäre ihm widerlich vorgekommen. Stattdessen hatte er sich in eine sexuelle Fantasiewelt zurückgezogen. Als etwas von seiner Traumwelt die Chance bekam, Wirklichkeit zu werden, konnte er nicht widerstehen. Doch seine Schuldgefühle führten zu einem baldigen Ende der Affäre. „Dass ich damals das Handy mit ihrer Nachricht so offen habe liegen lassen … ich hielt das damals für den größten Fehler meines Lebens. Heute denke ich, das war die Rettung.“

Es ist nicht entschieden, wie es weiter geht, aber inzwischen sind beide dankbar für die Offenheit, mit der sie jetzt über Bedürfnisse, Wünsche und Ängste sprechen können. Es eröffnen sich Optionen, die ihnen ohne die Krise nie in den Sinn gekommen wären.

Neugierig forschen

Wenn wir neugierig sind, können wir auch anders. Wir können Bindungs - muster als solche erkennen und Unvorstellbares wird möglich. Könnte Eifersucht etwas Anderes anzeigen als die Gottgegebenheit von Monogamie? Ist erotische Langeweile die Folge eines natürlichen Nachlassens sexueller Begierde in langjährigen Beziehungen oder gibt es andere Gründe? Können wir unser Liebesleben in weit größerem Ausmaß steuern als bisher angenommen, ohne auf seine Magie zu verzichten? Um solche Fragen beantworten zu können, müssen wir besser verstehen, was in der Black Box (oder in der rosaroten Box) geschieht, wenn wir uns verlieben.

Um es vorwegzunehmen: Wir wissen es nicht. Nichtwissen steht in unserer Kultur nicht hoch im Kurs, doch die Bereitschaft dazu stellt in intimen Beziehungen eine Kernkompetenz dar. Wann immer wir zu wissen glauben, wie der andere tickt, verschließen wir uns vor möglichen Überraschungen. Die Annahme zu wissen, was eine erfüllende Partnerschaft ausmacht, begrenzt uns auf das, was wir bereits kennen. Alles zu wissen mag erstrebenswert erscheinen, ist aber selten erfüllend.

Warum dann nicht in seliger Unwissenheit verharren? In diesem Buch geht es nicht primär um Wissen, obwohl ich zuweilen die Wissenschaft zitiere. Es geht um Bewusstsein. Es geht nicht um Antworten, es geht um bessere Fragen. Wer sich mit Wein nicht auskennt, wird den edlen Tropfen kaum vom Durchschnitt unterscheiden können. Kenntnisse führen zu tieferer Aufmerksamkeit, größerer Differenzierung und mehr Genuss. Wenn wir nicht bei den Kenntnissen stehen bleiben, sondern sie als Sprungbrett für unsere Neugier nutzen, wächst mit jedem Erkenntnisgewinn die Magie des Nichtwissens. Wenn die nachfolgenden Kapitel mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten, muss das also nicht zu deinem Nachteil sein.

Im

ersten Teil

geht es um die Bedeutung und Dynamik der Zahl drei, es geht um die Grundlagen unserer Liebesfähigkeit und darum, wie sich diese in Kindheit und Adoleszenz entwickeln.

Im

zweiten Teil

tauchen wir tief in die drei Dimensionen ein, die im Mittelpunkt dieses Buches stehen: Sex, Herz und Bindung. Was macht sie in ihrem Wesen aus und wie nehmen wir ihre Qualität und Energie konkret wahr?

Im

dritten Teil

gehe ich im Detail darauf ein, wie wir typische Verwechslungen vermeiden, welche Rolle Bewertungen spielen und wie wir Defizite und Fixierungen überwinden können, um eine für uns passende Komposition aus Sex, Herz und Bindung zu ermöglichen.

Der abschließende

vierte Teil

beleuchtet die Bedeutung von Perspektivwechseln und wie wir jenseits ideologischer Verengungen zu einer Beziehungsgestaltung finden, die unsere persönlichen Bedürfnisse und Prägungen berücksichtigt.

Eher theoretische Ausführungen werden durch zahlreiche konkrete Beispiele, lebensnahe Erfahrungsberichte und Übungen zur Selbsterkundung illustriert und ergänzt. Du kannst das Buch von vorne bis hinten durchlesen oder gezielt zu den Kapiteln springen, die dich am meisten ansprechen. Dich interessiert vor allem „Was ist Sex?“, „Was ist Liebe?“ oder „Was ist Bindung?“ Dann lies vielleicht das entsprechende Kapitel zuerst. Oder lass dich Schritt für Schritt zu den Kernfragen dieses Buches hinführen.

Genug der Vorrede, nun kann unsere Reise beginnen.

Teil 1

Grundlagen unserer Beziehungsfähigkeit

1. Aller guten Dinge sind drei

„Heute back‘ ich, morgen brau‘ ich, übermorgen hol ich der Königin ihr Kind.“ (Brüder Grimm)4

Bei Lust und Liebe denken die meisten Menschen an Zweisamkeit. Doch wenn wir zu zweit nicht weiterkommen – was leider immer wieder vorkommt – brauchen wir etwas Drittes, das uns aus der Polarisierung herausführt. Das muss keine dritte Person sein, wir müssen dafür weder eine Beziehung öffnen noch eine Therapeutin aufsuchen, obwohl auch das hilfreiche Optionen sein können. Schauen wir uns die Bedeutung der Drei näher an. Hat sie eine besondere Relevanz für unser Thema?

Die Bedeutung der Drei

Wir begegnen der Drei in vielerlei Zusammenhängen, beispielsweise in der Familie (Mutter, Vater, Kind), Religion (die Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiliger Geist) oder in der Politik (Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit). In vielen Märchen hören wir „Drei Wünsche hast du frei!“ Auch in der Liebe wurde bereits vor Jahrtausenden die Dreiheit hervorgehoben, z. B. bei den alten Griechen in Form von Eros, Philia und Agape5.

Oft wird der Drei eine gewisse Magie6 zugesprochen: „Die Drei, das Maß aller guten Dinge“. Steckt mehr dahinter als pure Zahlenmystik? Ich denke ja. Nach der Eins, welche wir als Symbol für die Einheit allen Seins verstehen können, und der Zwei, die Unterscheidung und Polarität in die Welt bringt, stellt die Drei die elementarste Struktur dar, welche Unterschiede integrieren kann. Doch die Integration von Unterschieden oder gar Gegensätzen stellt uns vor große Herausforderungen, sie ist kein Selbstläufer.

In der Entwicklung unserer Liebesfähigkeit kommt dem Schritt von zwei zu drei Personen besondere Bedeutung zu. Aus der Symbiose von Mama und ihrem Baby wird ein Dreieck, sobald Papa (oder eine andere nahe Bezugsperson) hinzukommt und dem Kind die Welt jenseits der Mutter-Kind-Dyade eröffnet. Dieser Prozess kann tiefe Krisen mit sich bringen, doch eine erfolgreiche „Triangulierung“ gilt als wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung von Beziehungsfähigkeit.

Ein Dreieck bietet einerseits mehr Stabilität (man stelle sich einen Stuhl auf zwei Beinen vor) und Entfaltungsraum, andererseits besteht immer die Möglichkeit, dass sich zwei gegen einen verbünden oder ihn ausschließen. Nicht zuletzt deswegen gelten Dreierkonstellationen im Liebesleben als besonders brisant. Zugleich bringen Impulse von außen Lebendigkeit in die Zweisamkeit. Zeichnen sich gelingende Beziehungen womöglich durch ihre Offenheit gegenüber einer dritten Perspektive aus, die sie über konfliktträchtige Polaritäten wie Autonomie versus Zugehörigkeit oder Sex versus Herz hinauswachsen lässt?

Auch für meine Arbeit stellte die Öffnung gegenüber einer dritten Dimension einen Meilenstein dar. Früher hat mich vor allem die Dynamik von Sex und Herz beschäftigt, auf die ich in den Büchern Herzenslust7 und Herzensfeuer8 ausführlich eingegangen bin. Sowohl unsere Sexualität als auch unser Herz gut zu spüren und beides einfühlsam zu verbinden, genau das macht eine gute Beziehung aus, so dachte ich. Dann kam ich zunehmend der dritten Dimension auf die Spur, die entwicklungspsychologisch gesehen sogar grundlegender ist: Bindung. Mir wurde klar, dass Prozesse rund um das Phänomen der Bindung mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit verdienen wie Sex und Herz. Was verhalf mir zu dieser Erkenntnis?

Auf Drama programmiert

Ich wusste, dass sie sich auf der Suche nach einem festen Partner befand. Sie wusste, dass ich bereits in festen Händen war und meine Partnerin nicht verlassen würde, auch wenn wir eine Nacht zusammen verbringen. Sie wollte auf keinen Fall Geliebte sein, ich war offen für eine intime Begegnung, wollte mich aber auf keinen Fall deswegen trennen. Warum ließen wir uns dennoch aufeinander ein und wurden bald ein Paar? Die Sollbruchstelle war von Anfang an offensichtlich. Das Drama war somit vorprogrammiert, auch wenn es noch eine Weile dauerte, bis es mit Wucht über uns hereinbrach.

Als wir später die Beziehung beendeten, lag es nicht am Sex, der auch nach vielen Jahren noch quicklebendig war. Es lag auch nicht an mangelnder Liebe, wir konnten trotz unserer Differenzen immer wieder unsere Herzen füreinander öffnen. Was nicht zueinander passte, war etwas Drittes, was ich heute der Domäne der Bindung zuordnen würde: unsere unterschiedlichen Vorstellungen von Treue und Partnerschaft. Wir konnten das jahrelang ausblenden, waren blind vor lauter Lust und Liebe, bis wir die Augen davor nicht mehr verschließen konnten.

Neben meinen persönlichen Erfahrungen waren auch meine Beobachtungen im Seminarraum höchst aufschlussreich. Ich konnte häufig miterleben, wie Bindungen zwischen Teilnehmenden entstanden und sich wieder lösten, ersteres meist mit Glücksgefühlen, letzteres oft mit viel Schmerz verbunden. Musste das so sein? Gab es etwas, das wir regelmäßig übersahen? Aus der Polarität wurde ein Dreieck, das weitere Polaritäten offenbart.

Die Dreieckstheorie der Liebe

Eine der interessantesten Theorien über die Liebe ist das Modell von Robert Sternberg9. Er geht davon aus, dass sich Liebe aus den drei Komponenten Leidenschaft (passion), Vertrautheit (intimacy) und Entschiedenheit (commitment) zusammensetzt. Seine Theorie findet bis heute großen Anklang und wird auch im deutschsprachigen Raum häufig zitiert, obwohl seine einschlägigen Texte nicht ins Deutsche übersetzt wurden.

Sternbergs Landkarte kann entscheidend dabei helfen, die Dynamik in Liebesbeziehungen besser zu verstehen. Ich habe seine Theorie im Rahmen der Recherche für dieses Buch wiederentdeckt und war zunächst begeistert. Es besteht eine große Verwandtschaft zum Dreieck aus Sex, Herz und Bindung. Fast hätte es sich erübrigt, dieses Buch zu schreiben.

Bei näherer Betrachtung stellte ich jedoch wesentliche Unterschiede fest. Während intimacy tatsächlich als Herzensqualität verstanden werden kann und passion als Qualität des Eros, so stellt commitment nur die Spitze des Eisberges dar, der Bindung ausmacht, nämlich nur deren sichtbaren und bewussten Teil. Der bewusste Entschluss oder gar die lebenslange Entscheidung sich zu binden, sind zwar eine besonders klare Manifestation von Bindung, doch der viel größere Teil des Bindungsgeschehens wird von unbewussten Bindungsbedürfnissen und Bindungsängsten gesteuert. Es findet unterhalb unseres Radars statt, wodurch unser Liebesleben und speziell die Partnerwahl zur Lotterie wird, vorzugsweise zum Sechser im Lotto. Mit derlei Unwahrscheinlichkeiten mochte ich mich nicht abfinden und wollte herausfinden, wie Bindungen auch auf unterbewusster Ebene zustande kommen und sich lösen. Mit einem vertieften Verständnis, so meine Hypothese, lässt sich die Wahrscheinlichkeit einer gelingenden Beziehung deutlich erhöhen.

Und tatsächlich: Vor dem Hintergrund von Sex, Herz und Bindung als eigenständigen Dimensionen können wir rätselhafte Phänomene unseres Liebeslebens – solche, die uns beglücken und solche, die uns quälen – sinnvoller einordnen. Was genau macht diese drei Dimensionen in ihrem Wesen aus? Wie interagieren sie, wie kommen sie sich in die Quere oder bilden eine beglückende Synergie?

Wie wichtig diese Fragen sind, möge folgende Analogie veranschaulichen. Jedes Gericht enthält verschiedene Zutaten, die wir mehr oder weniger herausschmecken können oder auch nicht. Was wir genießen, ist jedoch das Gericht als Ganzes. Die Zutaten und deren wohldosierte Kombination zu kennen, ist für den späteren Genuss nicht entscheidend, für das Gelingen der Zubereitung allerdings schon. In Liebesbeziehungen sind in verschiedener Gewichtung immer alle drei „Zutaten“ beteiligt; wenn es gut schmeckt, ist die Kenntnis ihrer Zusammensetzung und Zubereitung nicht wichtig. Wenn es aber nicht schmeckt und wir etwas an der Zusammensetzung ändern wollen, dann sehr wohl. Obwohl im Erleben alles „in einen Topf“ wandert, ist es doch sinnvoll, mehr über die Zutaten und deren Wechselwirkungen zu wissen.

Abb. 2: Sex, Herz und Bindung: drei Kreise mit Schnittmengen

Anders als die Zutaten eines kulinarischen Gerichts existieren die drei Kreise (siehe Abbildung 2) auch unabhängig voneinander und sind in ihrer jeweils eigenen Qualität „genießbar“. Doch erst in einer gelungenen Komposition entfalten sie ihr volles „Aroma“. Was es kompliziert macht: Es gibt keine Konstellation, die für alle Menschen gleichermaßen erfüllend wäre. Wir Menschen sind – zum Glück – unterschiedlich und genauso divers sind auch die Beziehungen, die uns beglücken oder bedrücken. Anstatt ein allgemeinverbindliches Idealbild vorzustellen (wie es die meisten Religionen getan haben), möchte ich mit meiner Landkarte helfen, dich im Dschungel der Liebe besser zu orientieren und deinen eigenen Weg zu finden.

Es gibt Pfade, die zielführender sind als andere. Das hängt nicht nur von der Begehbarkeit des Pfades ab, sondern auch vom jeweiligen Ziel, von deinen Wünschen und Sehnsüchten. Entscheidend ist auch, inwieweit wir in der Lage sind, Hindernisse rechtzeitig zu erkennen und zu überwinden, denn Hindernisse finden sich – zumindest beim Thema dieses Buches – auf jedem Weg. Mal zeigt ein veralteter Wegweiser in die falsche Richtung, mal liegt ein Tabu wie ein Baumstamm quer über den Weg, mal ist die Brücke der Kommunikation zeitweilig gesperrt und wir müssen wohl oder übel unsere Pläne ändern und einen Umweg in Kauf nehmen.

Viele spannende Phänomene werden uns auf unserer Reise begegnen, von denen dir manche vielleicht bekannt oder gar allzu bekannt vorkommen. Andere wirst du vielleicht in neuem Licht betrachten oder sind neu für dich. So erweitern wir unsere Ortskenntnis und lernen, die Verantwortung für ein erfüllendes Liebesleben zu übernehmen. Die dafür erforderlichen Fähigkeiten haben wir teilweise bereits erworben, andere gilt es noch zu entwickeln. Werfen wir also einen Blick auf unsere Lehrjahre: Welche Prägungen bringen wir mit und wie wirken sie sich heute aus?

2. Die Wurzeln unserer Beziehungsfähigkeit

„Aus einer schlechten Verbindung kann man sich schwerer lösen als aus einer guten.“ (Whitney Houston)10

In Beziehungen versuchen wir eine Vielfalt körperlicher, emotionaler und sozialer Bedürfnisse erfüllt zu bekommen, was längst nicht immer gelingt. Wie komplex dieses Geschehen sein kann, zeigt die nachfolgende Grafik.

Abb. 3: Der Umgang mit Bedürfnissen gleicht zuweilen einem Labyrinth

An dieser Stelle eine kleine Warnung: Sich die eigenen Schwächen im Beziehungsverhalten einzugestehen, ist weder leicht noch angenehm. Es kann verlockend erscheinen, stattdessen einfach auf den oder die Richtige zu warten, mit der wir all das erleben können, was wir uns erhoffen und ersehnen. Leider geht diese Rechnung selten auf. Je klarer uns das wird, desto eher sind wir hinreichend motiviert, den manchmal schmerzhaften Blick nach innen zu wagen und uns zu fragen: Wie stehen wir unserem Beziehungsglück im Weg? Wie konnte es dazu kommen? Welche Ressourcen könnten uns weiterhelfen?

Wer diese Fragen scheut oder mit dem Inneren Kind längst im Reinen ist, kann dieses Kapitel und vielleicht auch das nächste zum Thema Pubertät getrost überspringen und sich gleich mit Sex, Herz und Bindung näher befassen.

Es ist längst kein Geheimnis mehr: Die Basis für unsere Beziehungsfähigkeit und -unfähigkeit entwickelt sich in den ersten Lebensjahren. Schauen wir uns diesen Prozess genauer an. Wir wirken sich frühe Erfahrungen später aus?

Wenn das Innere Kind weinen darf