Sexy Secrets of a Ghost: Haunt me! - Emma Snow - E-Book

Sexy Secrets of a Ghost: Haunt me! E-Book

Emma Snow

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Beschreibung

Leni meint, ihren Traummann in Kai gefunden zu haben: Sexy, absolut schwiegermuttertauglich und … leider Geisterjäger. Als Leni Kai aus diesem Grund schon fast wieder abgeschrieben hat, lädt dieser sie zur aufregenden Gespensterjagd in einer schaurigen Burgruine ein. Doch auf einmal spukt nicht irgendein Geist in Lenis Kopf herum, sondern Nicklas, der attraktive Juniorchef des nahegelegenen Hofguts. Nicklas bereitet ihr fortan ebenso schlaflose Nächte wie die rätselhaften Geschehnisse, die sich in der Ruine und auf dem Hofgut abspielen. Auf ihrer langen Suche nach einem Happy End wird Leni neben ihrem Gefühlschaos auch mit der Vergangenheit der beiden Männer konfrontiert, die den einen dazu brachte, an Geister zu glauben, und den anderen dazu verdammte, jegliche Art von Gefühlen von sich fernhalten zu wollen. Während einer nächtlichen Geisterjagd wird Leni in einen mysteriösen Unfall verwickelt. Als Nicklas sich um ihre Verletzungen kümmert, können sie der gegenseitigen Anziehungskraft nicht mehr widerstehen und geben sich ihrer Leidenschaft hin. Wird Leni ihre wahren Gefühle preisgeben, oder hindert sie vorher der Geist von Nicklas' Vergangenheit daran?

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Emma Snow

Sexy Secrets of a Ghost: Haunt me!

© 2023 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-602-7

ISBN eBook: 978-3-86495-603-4

Alle Rechte vorbehalten. Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Darsteller, Orte und Handlung entspringen entweder der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv eingesetzt. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Vorkommnissen, Schauplätzen oder Personen, lebend oder verstorben, ist rein zufällig.

Dieses Buch darf ohne die ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin weder in seiner Gesamtheit noch in Auszügen auf keinerlei Art mithilfe elektronischer oder mechanischer Mittel vervielfältigt oder weitergegeben werden. Ausgenommen hiervon sind kurze Zitate in Buchrezensionen.

Die Sage vom Schnellertsgeist

Volkslied von Victor von Scheffel (vor 1886)

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Epilog

Danksagung

Autorin

Die Sage vom Schnellertsgeist

Ihr Lieben,

hier habe ich noch ein paar Informationen zu der Sage vom Schnellertsgeist und der Burg(-ruine) Rodenstein zusammengefasst, die mich zu der Geschichte um Leni, Nick und Kai inspiriert haben. Ein schöner Spaziergang mit meiner Verlegerin hat auch dazu beigetragen. Was wir an diesem Tag verpasst haben und definitiv noch nachholen wollen, ist, in das Restaurant beim Hofgut neben der Ruine einzukehren. Diese gibt es nämlich auch in der Realität und wird sehr gut bewertet. Hier findet ihr alle Details des realen Hofguts (www.hofgut-rodenstein.de).

Die Ruine Rodenstein liegt idyllisch im Wald nahe der Städtchen Fränkisch-Crumbach und Reichelsheim im Odenwald. Zahlreiche Wanderwege führen vom nahe gelegenen Naturparkplatz zur Burg und dem Hofgut, dem Wasserfall „Fallendes Wasser“ sowie zum sagenumwobenen „Wildweibchenstein“.

In meinem Roman ist alles meiner Fantasie entsprungen, bitte berücksichtigt das. Vielleicht treffen wir uns mal im Original? Und nun viel Spaß mit den Recherchen … und vor allem mit dem Roman.

Eure Emma

~*~

Die Ruine der Burg Rodenstein erlangte durch die Sage vom „Schnellertsgeist“ oder „Schnellertsherrn“ und seinem Geisterheer, aufgrund von Ohrenzeugen zu unerklärlichen akustischen Phänomenen, in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts überregionale Berühmtheit. Die damaligen Behörden untersuchten diese Aussagen, wodurch die Sage deutschlandweit an Bekanntheit gewann.

Laut Überlieferung hatte der kriegslüsterne Rodensteiner seine hochschwangere Frau allein zurückgelassen, um in der sechs Kilometer entfernten Schnellertsburg zu kämpfen. Frau und Kind starben bei der Geburt und die Gattin des Rodensteiners erschien dem Krieger als Geist. Sie verfluchte ihren Mann, fortan immer aus dem Grabe aufzuerstehen, um mit seinem „Wilden Heer“ geräuschvoll durch die Lüfte zu ziehen, wenn dem Reich Krieg drohte, und erst wieder bei Frieden zurückzukehren.

~*~

Volkslied von Victor von Scheffel (vor 1886)

Das war der Herr von Rodenstein

der sprach: „Daß Gott mir helf’,

gibt’s nirgend mehr ’nen Tropfen Wein

des Nachts um halber zwölf?.

Raus da! Raus da, aus dem Haus da!

Herr Wirt, dass Gott mir helf

gibt’s nirgend mehr ’nen Tropfen Wein

des Nachts um halber zwölf?“

Er ritt landauf, landab im Trab

kein Wirt liess ihn ins Haus;

todkrank noch seufzt vom Gaul herab

er in die Nacht hinaus:

Raus da! Raus da, aus dem Haus da!

Herr Wirt, dass Gott mir helf

gibt’s nirgend mehr ’nen Tropfen Wein

des Nachts um halber zwölf?“

Und als mit Spiess und Jägersrock

sie ihn zu Grab getan,

hub selbst die alte Lumpenglock

betrübt zu läuten an:

Raus da! Raus da, aus dem Haus da!

Herr Wirt, dass Gott mir helf

gibt’s nirgend mehr ’nen Tropfen Wein

des Nachts um halber zwölf?“

Doch, wem der letzte Schoppen fehlt

den duld’t kein Erdreich nicht;

drum tobt er jetzt, vom Durst gequält

als Geist umher und spricht:

Raus da! Raus da, aus dem Haus da!

Herr Wirt, dass Gott mir helf

gibt’s nirgend mehr ’nen Tropfen Wein

des Nachts um halber zwölf?“

Und alles, was im Odenwald

sein’ Durst noch nicht gestillt,

das folgt ihm bald, das schallt und knallt

das klafft und stampft und brüllt:

Raus da! Raus da, aus dem Haus da!

Herr Wirt, dass Gott mir helf

gibt’s nirgend mehr ’nen Tropfen Wein

des Nachts um halber zwölf?“

Dies Lied singt man, wenn’s auch verdriesst

gestrengem Wirt zur Lehr

wer zu genau die Herberg schliesst

den straft das wilde Heer:

„Raus da! Raus da, aus dem Haus da!

Rumdiridi, Freijagt! Heidiridoh, Freinacht!

Prolog

Was bisher geschah …

Hach. Mein Kinn auf der Handinnenfläche abstützend, starre ich schmachtend zu ihm hinüber. Kai Semmler, dem bestaussehenden Kerl an unserer Uni. Na gut, der bestaussehende Mann neben Ben und Mark. Aber diese beiden sind für mich uninteressant, weil der eine mein bester Kumpel und der andere seit Neuestem der Partner meiner Freundin Charly ist. Unabhängig davon habe ich kein Interesse mehr an einem Bad Boy. Wobei Interesse vermutlich das falsche Wort ist. Ich habe mir vielmehr geschworen, die Finger von solchen Typen zu lassen und endlich den Mann fürs Leben zu suchen. Nach mehreren Jahren Singleleben ändern sich meine Prioritäten allmählich, auch wenn die Sehnsucht nach etwas Spaß immer noch tief unter der Oberfläche brodelt und mich jederzeit überwältigen könnte. Schwacher Geist, williger Körper passt wohl ganz gut zu meiner aktuellen Situation … oder andersherum? Wie ich bereits sagte, bin ich gefühlt schon viel zu lange Single.

Kai scheint der perfekte Kandidat zu sein. Er wirkt engagiert, nett und ist wahnsinnig attraktiv. Sprich: Er bringt ideale Schwiegersohn-Qualitäten mit. Der einzige Haken an der Sache ist, dass wir bislang kein Gespräch geführt haben, das über die Inhalte unserer gemeinsamen Projektarbeit hinausging – und selbst da haben eher die anderen Gruppenmitglieder mit ihm geredet.

„Du solltest ihn ansprechen. Bald beginnt unser Praxissemester und vermutlich wirst du ihn nach dem Studium nie wieder sehen“, reißt mich Charly aus meinen Gedanken.

„Das ist deine letzte Chance, einen Mann abzuschleppen“, gibt auch Mark seinen Senf hinzu. Die ganze Zeit über hat er mich schon aufgezogen, aber bislang habe ich ihn und seinen Sarkasmus gekonnt ignoriert.

Zu meinem Glück gesellt sich nun auch noch Ben zu uns an den Tisch. „Über was redet ihr?“

Nichts, würde ich am liebsten sagen, schlucke es aber herunter. Es war noch nie meine Stärke gewesen, über mein Liebesleben zu reden. Das Thema also hier breitzutreten, ist mir sichtlich unangenehm. Nach außen spiele ich mit meinen schlauen und unverhohlenen Ratschlägen immer das toughe Mädchen, aber innerlich fühle ich mich wie eine ausgetrocknete Pflaume, die kaum noch weiß, wie das Wort Sex geschrieben wird, geschweige denn, wie sich die Hand eines Mannes auf seinem Körper anfühlt. Seufz. Man könnte mich definitiv als untervögelt bezeichnen. Diese selbstauferlegte Abstinenz, bis ich den Richtigen finde, nervt tierisch.

Insgeheim beneide ich Charly, die bis vor Kurzem noch zu schüchtern war, einem Mann auf den Hintern zu schauen, und die sich nun mit Leib und Seele in eine Beziehung gestürzt hat. Ich bin unendlich froh darüber, dass sie meinen scherzhaft gemeinten Rat, Ben anzusprechen, tatsächlich angenommen hat, denn nun sind die beiden das nervigste und zugleich süßeste Paar, das ich jemals gesehen habe. Mark scheint jedoch noch etwas daran zu knabbern, seine heimliche Liebe an Ben verloren zu haben, was deutlich an seinem Knurren zu hören ist, als Ben sich zu unserer Freundin herunterbeugt, um ihr einen zarten Kuss zu geben.

„Klasse, jetzt habe ich zwei liebestolle Mädels zu ertragen“, kommentiert Mark Charlys verliebten Blick.

Ben hebt neugierig die Augenbrauen. „Ach, du hast auch ein Opfer gefunden?“, will er wissen und setzt sich neben seine Liebste, die ihm sofort gegen die Schulter boxt.

„Was heißt hier auch?“, faucht Charly, bevor ich auf seine Frage reagieren kann.

Aber Ben lässt sich nicht von ihr aus dem Konzept bringen und meint: „Lass dir irgendeinen unrealistischen Grund einfallen, warum du seine Hilfe brauchst.“

Kurz darauf fallen die beiden in ihre üblichen Zärtlichkeiten und vergessen den Rest der Welt.

Ich versuche, sie ebenso auszublenden, und bekomme nur noch am Rande mit, wie sich zunächst Mark und kurz darauf auch die anderen beiden verabschieden.

„Dir fällt sicher etwas ein“, meint Ben und ich winke den beiden zum Abschied abwesend zu, obwohl es wohl eher ein Wegscheuchen ist, damit ich endlich einen Plan austüfteln kann, um an Kai heranzukommen.

Charly hat recht. Wenn erst einmal das Studium beendet ist, werde ich ihn wohl nie wiedersehen.

Kapitel 1

Elena

Drei Wochen später …

Zugegeben, ich bin nicht sehr einfallsreich gewesen. Mein einziger Ansatz, um Kai näherzukommen, war der typische Weg in der modernen Zeit: Ich habe ihm eine Freundschaftsanfrage bei Facebook geschickt.

Immerhin ist es nach knapp drei Wochen so weit, dass er meine Anfrage angenommen hat. Da ich mich sowieso nicht auf die noch offene Projektarbeit konzentrieren kann, sitze ich mit Kopfhörern in den Ohren in der Bibliothek und durchforste Kais Profil, welches definitiv anders als erwartet ist. Keine sexy Sportfotos, aber zum Glück auch keine Posts von seinem täglichen Mittagessen. Vermutlich wäre unser Mensaessen auch nicht wirklich fotogen. Was jedoch viel wichtiger ist: keine Fotos von einer Freundin. Dafür finde ich unzählige Fotos von einer Gruppe Menschen – zum Teil in beigen Overalls – die sich eigenartige, klobige Geräte auf den Kopf geschoben haben, die kaum noch an Brillen erinnern. Sie haben riesige Rucksäcke dabei, an denen bei fast jedem ein Stativ festgebunden ist.

Meine weitere Recherche seines Profils offenbart nach und nach, was es mit diesen Leuten auf sich hat. Kai postet und kommentiert mit einer erstaunlichen Begeisterung diverse Videos von … Geisterjägern? Wobei er es Geistersichtungen nennt … Ich sehe in den Filmen allerdings nichts.

O mein Gott! Ist das wirklich sein Ernst? Ich habe mit dreckigen, dunklen und verwerflichen Geheimnissen gerechnet, aber das ist abschreckender als Videos von niedlichen Katzenbabys. Oder sollte ich besser sagen: Langweiliger? Nerdiger? Verrückter?

Um mich mit der Tatsache, dass Kai auf Geisterjägerei – gibt es das Wort überhaupt? – steht, anzufreunden, schaue ich mir eins seiner favorisierten Videos an. Ehrlich, ich versuche, es ernst zu nehmen, aber nach wenigen Sekunden kann ich mir ein Lachen nicht verkneifen. Anscheinend gibt es in Deutschland wirklich Geistersichtungen und dieses Team von Geisterjägern hat angeblich Beweise dafür. Nichts ist auf den Videos gefaked oder inszeniert. Ganz ehrlich, beteuern sie alle paar Minuten. Ich spule etwas vor. Der Kopf einer der Geisterjäger erscheint in dem typischen Nachtsichtmodus direkt vor der Kamera. Mit ernster Stimme und funkelnden Augen sagt er: „Es ist eindeutig! Wir haben die Beweise auf Band. Hier gibt es Geister!“

Ich stoppe das Video. Das kann ich mir nicht länger anschauen. Das ist doch völliger Schwachsinn! Obwohl ich nicht an Geister glaube – Ganz ehrlich! –, fühle ich einen kalten, ungemütlichen Windhauch im Nacken und meine Härchen stellen sich am ganzen Körper auf. Ein lautes Knarzen und leichtes Vibrieren des Bodens lässt mich aufschrecken. Ich reiße die Kopfhörer aus den Ohren, und als ich mich umsehe, grinst mich Kais begeistertes Gesicht an. Er hat sich direkt neben mich gesetzt und dazu den Stuhl über den Boden gezogen. Daher dieses unangenehme Geräusch.

„Hi! Elena, oder?“ Er lächelt noch immer.

„Ja …“ Passiert das gerade wirklich? Kai redet mit mir und sieht dabei auch noch glücklich aus? Doch ich könnte nicht unglücklicher sein. Ich bin wohl so unscheinbar, dass er sich nur mühsam meinen Namen merken konnte, obwohl wir seit Wochen gemeinsame Gruppentreffen haben.

„Sorry, dass ich dich einfach so anspreche, aber ich kam nicht drumherum, auf deinen PC zu schauen.“

O Shit! Er hat mich beim Facebook-Stalken erwischt. Wie peinlich. Unauffällig schiebe ich meinen Laptop beiseite und suche nach irgendeiner Ausrede.

„Warum hast du denn nichts gesagt?“, stochert er weiter und mir will beim besten Willen nichts Plausibles einfallen. Also probiere ich es erst einmal mit einer Gegenfrage, um Zeit zu schinden: „Was genau meinst du?“

„Elena, es muss dir nicht peinlich sein.“

Herrgott, warum drückt er sich nur so vage aus und rückt nicht einfach mit der Sprache raus?

„Es ist mir nicht unangenehm …“, beginne ich und will mit der Wahrheit herausrücken. Aber wie sagt man jemandem, dass man ihn interessant und sexuell anziehend fand, bevor man sein Facebook-Profil gesehen hat?

„Das ist doch fantastisch!“, sprudelt es aus Kai heraus.

Ich werde bei den Schultern gepackt und von Kais Euphorie durchströmt. Ohne es aufhalten zu können, fühle ich mich plötzlich voller Energie und beginne, zuversichtlich zu nicken, während Kai weiterspricht: „Es ist unglaublich, noch eine Geisterjägerin hier in der Umgebung zu treffen! Wie gut, dass es mir noch rechtzeitig aufgefallen ist. Wir haben nämlich am Mittwoch ein Treffen, um die nächste Geistersuche vorzubereiten. Du bist herzlich eingeladen.“

Wie gesagt, ich nicke und nicke. Seine Persönlichkeit ist so einnehmend und positiv, ich hingegen bin sprachlos und unfähig, dieser surrealen Situation zu entkommen.

„Perfekt. Ich schicke dir die Daten über Facebook. Wir sehen uns spätestens Mittwoch.“ Damit geht Kai und ich bleibe, immer noch wie ein dämlicher Wackeldackel nickend, zurück.

Anscheinend hat mich Kai gerade zu einer Geisterjägerin ernannt und ich habe nichts dagegen unternommen. Wie konnte das passieren? Vermutlich habe ich darauf gewartet, dass er mir dazu erst mit einer Wünschelrute auf meine Schulter tippt, ähnlich wie bei einem Ritterschlag mit dem Schwert. Oder aber ich war tatsächlich von dem Geist eines Wackeldackels besessen und konnte nicht anders …

Sobald mich die positive Energie von Kai wieder verlassen hat, muss ich mir dringend eine Ausrede einfallen lassen, um seiner Einladung nicht folgen zu müssen.

Wer könnte mir dabei besser helfen als diejenigen, die mir diesen Schlamassel mehr oder weniger eingebrockt haben?

~*~

„Nein, das kannst du nicht tun!“, meint Charly und drückt ihre Hand theatralisch auf ihre Brust.

„Ich weiß!“, stöhne ich ebenso dramatisch. „Wenn ich jetzt absage, würde es ihn sicher sehr verletzen. Er hat eine ewig lange Nachricht im Facebook-Messenger geschrieben und den Weg zu dieser Burgruine im Odenwald mehr als detailliert beschrieben, als befürchte er, ich könnte den Weg nicht finden und deswegen absagen … Charly, du hättest seinen stolzen und glücklichen Hundeblick vorhin in der Bibliothek sehen sollen.“ Dass ich diesen nicht wirklich sexy, sondern eher zum Knuddeln fand, wird hoffentlich durch meine enttäuschte, leicht gelangweilte Pose, in der ich neben Charly auf dem Bett sitze, deutlich. Ich hatte mich nach meiner Ankunft in ihrer Minibude direkt auf ihr Bett fallen lassen, was mir erst bewusst wird, als ich Ben zu meiner anderen Seite schnaufen höre.

„Frauen! Warum ist bei euch immer alles so kompliziert?“ Er massiert sich kurz die Nasenwurzel, ehe er versucht, in einer viel zu hohen und schrecklich schiefen Frauentonlage zu sprechen: „O nein, ich darf diesem armen Kerl nicht das Herz brechen. Er hat doch sein ganzes Leben auf mich gewartet.“

Entsetzt sehe ich ihn an. „Du klingst erbärmlich als Frau.“

„Ich weiß. Deswegen bin ich zum Glück auch keine geworden. Aber was ich dir eigentlich damit verdeutlichen wollte, ist die Tatsache, dass er sicher nicht auf dich gewartet hat und deine Absage mit Würde tragen wird.“

„Das kannst du doch so nicht sagen“, faucht Charly.

„Doch. Habe ich soeben getan, Schatz.“

Ich unterbreche die beiden, indem ich mich aufsetze und zwischen ihnen aufrage, wodurch ich eine drohende Ehekrise zu vereiteln versuche. Auf diesem Beziehungslevel scheinen sie immerhin angekommen zu sein. Wie konnten sie in so kurzer Zeit von einem erotischen Baby zu einem Kosenamen kommen, den auch Ehepaare benutzen, die mehr als zwanzig Jahre verheiratet sind? Enttäuscht sehe ich Ben an. Von ihm hatte ich definitiv mehr Durchhaltevermögen in dieser Hinsicht erwartet.

„Was starrst du mich so an? Ich bin an diesem Schlamassel sicher nicht schuld“, deutet er meinen Blick falsch.

„Apropos Schlamassel …“ Es ist Zeit für einen gekonnten Themenwechsel, um von meinem Problemchen abzulenken und es von den beiden nicht noch weiter breittreten zu lassen. „Entschuldigt bitte, aber wie können Mark und du nur so blöd sein und euch gegenseitig die Autos zu Schrott fahren?“ Ich klatsche Ben auf die Schulter und er verzieht vor Schmerzen das Gesicht. Seine äußerlichen Wunden sind bereits gut verheilt, aber die angebrochenen Rippen scheinen ihm doch mehr zu schaffen zu machen, als er zugibt. „Gib’s doch zu, du wolltest Mark als Konkurrenten aus dem Weg räumen“, ziehe ich ihn weiter auf.

„Erstens ist Mark keine Konkurrenz für mich. Und zweitens wiederhole ich mich nur ungern: Die Bremsen haben nicht richtig funktioniert und ich bin ihm voll draufgefahren.“

Meine Freundin nickt übereifrig und meint: „Ich war dabei, so ist es leider gewesen.“

Die Autos habe ich nie gesehen, aber bei den Blessuren und Verletzungen meiner Freunde muss der Unfall vor einigen Wochen wirklich heftig gewesen sein. Nachdem der erste Schock nun überwunden ist und alle wohlauf sind, können wir auch wieder Witze darüber machen, also sage ich erleichtert: „Immerhin habt ihr den Mustang nicht zu Schrott gefahren. By the way … Kann ich mir den für Mittwoch ausleihen? In den Odenwald kommt man nicht so leicht mit Bus und Bahn, außer man will einen Tag unterwegs sein.“

Charly ist sofort hin und weg, weil ich mich für den Ausflug zu den Geisterjägern entschieden habe. Mit ihrem fröhlichen Augenaufschlag scheint sie Ben in einer Sekunde überzeugt zu haben, seinen wichtigsten Besitz in meine Obhut zu geben. Er braucht sich wirklich nicht über mich lustig zu machen, denn er ist Charly gegenüber genauso zum Wackeldackel mutiert wie ich bei Kai.

Seufz. Ich wünschte, ich hätte auch solche Macht über einen Mann. Aber so starke Gefühle hatte ich selbst noch nie – und habe sie erst recht bei keinem Kerl ausgelöst.

„Ein Kratzer und du bist der neue Poltergeist auf dieser Burgruine“, warnt mich Ben und zieht widerwillig den Autoschlüssel aus seiner Hosentasche.

Ohne zu zögern, greife ich danach, bevor er es sich anders überlegen kann, und versuche, ihn mit einer weiteren Frage abzulenken: „Mir liegt noch etwas auf der Seele. Warum seid ihr eigentlich hier?“ Ich sehe mich in Charlys nicht gerade einladender Einzimmerwohnung um. „Ich dachte, du hast eine viel bessere Wohnung?“ Zu meinem Bedauern waren wir noch nie bei Ben, denn ich hätte wirklich gern gewusst, wie er so lebt.

Ben setzt einen verschwörerischen Blick auf. „Wir brauchen den Haken an ihrer Decke.“ Mit einer leichten Kopfbewegung deutet er in die Richtung von Charlys Boxsack, der von der Decke hängt.

Interessiert und bewundernd richte ich mich weiter auf. „Erzähl mir mehr!“, verlange ich, doch Charly stößt mich regelrecht aus dem Bett in Richtung Tür.

„Er macht nur Witze!“, meint sie empört.

Mit einer gekonnten Drehung um meine eigene Achse schaffe ich es noch, einen Blick zurückzuwerfen, und sehe Ben wieder mitten auf dem Bett liegen. Er hat die Arme hinter dem Kopf gekreuzt und formt mit einem selbstzufriedenen Gesichtsausdruck seine Lippen zu den Worten: „Nein, macht er nicht!“

Lachend strecke ich den Daumen hoch, bevor ich die Tür vor der Nase zugeknallt bekomme.

Kapitel 2

Nicklas

Es ist einer dieser herrlichen, nicht zu heißen Sommertage. Also ideal, um mit meiner schwarzen Harley Fat Boy die Strecke durch den Odenwald zu fahren. Nachdem ich bis in die Morgenstunden noch eine Nachtschicht in meinem Nebenjob schieben musste, weil ich für einen Kumpel eingesprungen bin, brauche ich das Adrenalin durch meine PS-starke Maschine, um richtig wach zu werden. Einerseits deswegen und andererseits, weil ich mal wieder etwas spät für die morgendliche Team-Besprechung dran bin, schlängele ich mich auf der Autobahn von Frankfurt nach Darmstadt-Eberstadt durch den Verkehr, um dann auf der Landstraße bis nach Fränkisch-Crumbach, zumindest außerorts, Gas zu geben.

Ich parke meine Maschine wie immer auf dem Schotterparkplatz vor unserem Hofgut. Über einen kleinen Pfad den kleinen Hügel hinauf, den ich über die Jahre hinweg vermutlich selbst so platt getreten habe, dass kein Gras mehr darauf wächst, gelangt man am schnellsten durch den Lieferanteneingang in die Küche. Dort erwartet mich Erika – unsere Küchenchefin und nach meiner verstorbenen Mutter die einzige Frau in meinem Leben, die ich wirklich liebe – bereits mit ihrer Schürze am Herd und wirft ein Spiegelei auf mein Sandwich. Sie denkt sich jeden Tag ein anderes Gericht für mich aus und achtet dabei immer auf meine Gesundheit. Meistens kann sie Gedanken lesen und weiß genau, was ich brauche. Auch heute beiße ich ausgehungert in mein Frühstück und warte auf ihre morgendliche Predigt.

„Nick-Schatz, du bist spät dran.“ Dann streicht sie mir liebevoll eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. „Und wann gehst du endlich zum Friseur? Ich verstehe die Männer von heute nicht. Warum müsst ihr Bärte und langes Haar tragen?“

Ich schlucke den letzten Bissen herunter, wische mir den Mund ab und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Weil wir es können. Außerdem stehen die Frauen auf diesen wilden Look.“

Schnell stehle ich mich davon, kann aber ihren Einwand noch mit einem Lachen beantworten. „Das glaube ich nicht, du Rüpel! Sonst hättest du uns schon längst eine Dame vorgestellt.“

Dennoch nehme ich mir ihre Worte zu Herzen, binde mir die Haare mit einem Band zurück, wobei ein paar Strähnen sofort wieder herausrutschen. Sie hat recht. Die Haare sind zu lang geworden und ich muss mir endlich Zeit für einen Friseurbesuch nehmen. Aber momentan gibt es auf der Arbeit einfach zu viel zu tun …

„Die übliche Moralpredigt von Erika?“, begrüßt mich Gerald, unser Empfangschef.

Es ist sehr klischeehaft, aber er und Erika haben seit Jahren eine Beziehung, die sie zu verbergen versuchen, worin sie nicht sonderlich gut sind. Mit ihren knapp fünfundfünfzig Jahren finde ich das schon etwas albern, aber vielleicht hält es sie jung. Ein bisschen Flirten am Arbeitsplatz ist immer schön, um den Alltag interessanter zu machen. Für mich jedoch ein absolutes No-Go. Ich will weder abgelenkt werden noch kann ich irgendwelche Frauengeschichten hier gebrauchen. Erika und Gerald würden das zu sehr feiern und mich den ganzen Tag mit Sticheleien zur Weißglut bringen. Nur einmal habe ich es zugelassen, dass eine Frau mich und meine beruflichen Entscheidungen beeinflusst hat, und das hätte beinahe mein gesamtes Leben ruiniert. Seither habe ich mir geschworen, die Arbeit Arbeit sein zu lassen und Beziehungen vollkommen abzuschwören. Dem Sex natürlich nicht, den brauche und liebe ich nach wie vor.

„Guten Morgen, Gerald“, übergehe ich seine Frage. Die Antwort kennt er sowieso. „Alles in Ordnung hier?“

„Ja, alles läuft wie immer nach Plan.“

„Sehr gut.“ Irgendwie glaube ich ihm nicht, was vermutlich an seinem kritischen Blick auf den Computer liegt. „Was soll dann die tiefe Falte auf deiner Stirn?“

Er räuspert sich und dreht den PC so zu mir, dass ich besser draufschauen kann. „Ich sollte dich doch informieren, wenn …“

Ich stöhne genervt, als ich einen bestimmten Namen sehe. Mehr brauche ich gar nicht zu lesen. „Bitte nicht …“ Ich spüre, wie sich zwischen meinen Augenbrauen eine ebenso tiefe Falte wie bei Gerald bildet. „Wann will er denn dieses Mal mit diesen ganzen Verrückten hier auftauchen?“

Ich mache mir nicht die Mühe, es selbst zu prüfen. Gerald hat die E-Mail sicher mehrere Male studiert, um mir sanft zu vermitteln, dass Kai – unser liebster Geisterjäger – mit seinen Nerdfreunden wieder einmal hier aufkreuzen, unsere schöne Burgruine unsicher und unsere Gäste mit seiner Anwesenheit und seinen bescheuerten Theorien belästigen will.

„Schon in wenigen Tagen. Am Mittwoch soll ein erstes Treffen stattfinden, am Wochenende dann die übliche Prozedur.“

„Bitte sag, dass wir ausgebucht sind.“

Er reagiert nicht, sondern schiebt lediglich den Bildschirm wieder korrekt hin.

„Dein Schweigen bedeutet nichts Gutes.“

„Es wäre alles machbar. Und ein belegtes Zimmer ist besser …“

„Als ein leeres Zimmer. Ich weiß.“

Mit meinem typischen Augenrollen gebe ich Gerald zu erkennen, dass er alles für diese außergewöhnliche Truppe veranlassen soll. Währenddessen vibriert bereits mein Handy und ich ziehe es ruppig aus meiner Hosentasche. „Wenn man vom Teufel spricht. Immer diese Stammkunden mit Sonderstatus.“ Bevor ich die Treppe zu meinem Büro ansteuere, meine ich noch beiläufig: „Aber plane es bitte so, dass sie nicht in der Nähe der Hochzeitsgesellschaft sind. Das Brautpaar will in seiner Hochzeitsnacht bestimmt keine Freaks hören, die ständig brüllen: Hast du es quietschen und knarzen hören? Das ist das Geisterheer der Burg!“

Mit einem Lächeln sagt Gerald: „Und unsere Betten quietschen oft.“

„Ganz genau. Wir wollen ja nicht schuld sein, wenn die Brauteltern noch ewig auf ihr Enkelchen warten müssen.“

Ich wende mich ab und steige die Treppen zu den Etagen mit den Gästezimmern hoch. Dort befindet sich auch mein Büro.

„Kai!“, schnaufe ich in mein Handy, das zwischenzeitlich zum dritten Mal klingelt.

„Kannst du mir bitte sagen, warum ich noch keine Buchungsbestätigung bekommen habe? Unser Termin ist für Mittwoch geplant.“

Keine Begrüßung? Das ist ungewöhnlich, aber bei seinem Lieblingsthema scheint der Junge echt durchzudrehen und keinen Kopf für irgendetwas anderes – wie zum Beispiel Manieren – zu haben.

„Ich hatte Gerald gebeten, nur auf seriöse Buchungen zu reagieren.“

„Ich habe sogar eure bescheuerte, offizielle E-Mail-Adresse benutzt, seit du mich das letzte Mal unfreundlich darauf hingewiesen hast. Also behandele mich nun bitte auch wie einen normalen Gast.“

„Du bist aber nicht normal.“ Wer an Geister glaubt, hat definitiv einen an der Klatsche.

„Ich ignoriere einfach dieses unprofessionelle Verhalten gegenüber einem Stammkunden. Wenn du immer so arbeitest, frage ich mich, warum das Hotel überhaupt läuft.“

„Hast du mir noch etwas zu sagen, oder kann ich endlich auflegen?“ Meinen nicht nur genervten, sondern auch längst wütenden Unterton in der Stimme kann er sicher nicht überhören. Dennoch lässt er mich nicht in Ruhe.

„Wir haben zwei Neue an Bord, Nick. Versau mir das nicht! Vielleicht haben wir dadurch endlich einen Durchbruch.“

Ich stelle das Handy auf Lautsprecher und lege es auf die Anrichte in meinem Büro, damit ich mich nebenbei umziehen kann. „Es wird keinen Durchbruch geben, weil es hier keine Geister gibt.“

„Du willst also sagen, dass du meine Suche für bescheuert hältst?“

„Ganz genau. Schön, dass du mir endlich zuhörst.“

„Darfst du so mit deinen Gästen reden?“

„Nein, aber mit dir schon, weil du eh verrückt bist.“ Zumindest in dieser Hinsicht, ergänze ich in Gedanken.

Kai ist einfach zu nett, um mir darauf weiterhin Kontra zu geben, und weil ich ihn nicht noch länger ärgern und hinhalten will, meine ich beiläufig: „Keine Sorge, Gerald kümmert sich um alles.“

Hoffentlich erlöse ich mich durch dieses Zugeständnis davon, das Gespräch mit Kai noch länger zu führen. Obwohl es so oder so ähnlich in ein paar Wochen, spätestens Monaten, wieder vorkommen wird.

Erleichtert höre ich Kai am anderen Ende der Leitung ein- und ausatmen. Bevor er jedoch in irgendwelche Dankesreden ausbricht, beende ich das Telefonat mit: „Wir danken für Ihre Buchung und freuen uns auf Ihren Besuch … nicht!“

Ich krempele die Ärmel meines Hemdes bis zu den Ellenbogen hoch, ziehe den Gürtel durch die Schlaufen meiner dunkelblauen Chinohose und schnüre meine braunen Businessschuhe zu. Anstatt eines Jacketts, das ich aufgrund der hohen Temperaturen seit Wochen schon weglasse, ziehe ich nur eine maßgeschneiderte, leichte Weste über. Heute stehen einige Kundentermine an, sonst würde ich nicht so tief in die Kleiderkiste greifen. Ein Vorteil, den der Job als Juniorchef des Hotels mit sich bringt, ist definitiv, Herr über den Dresscode zu sein.

Kapitel 3

Elena

Mir wird langsam schlecht. Nicht die typische Übelkeit aufgrund der vielen Kurven, die die Fahrt in den Odenwald mit sich bringt, sondern weil ich mich riesig darüber ärgere, den Mustang gerade wegen dieser unsäglichen Kurven nicht ausfahren zu können. Herrgott, und dann noch ein Fahrradfahrer nach dem anderen, oder besser gesagt neben dem anderen, damit man nicht vorbeikommt. So tuckere ich langsam hinter den Radlern her, nur um dann bei der nächsten Überholmöglichkeit selbst von Motorradfahrern abgezogen zu werden, die mit ihren röhrenden – leider meist sehr schicken – Maschinen an mir vorbeipreschen.

Mit einer tiefen Zornesfalte zwischen den Augenbrauen, die sich bestimmt nicht mehr so schnell mit dem Zeigefinger wegreiben lässt, komme ich endlich an. Das letzte Stück war nicht mehr ganz so kurvig, dafür kam mir die Straße wie ein kleiner Forstweg vor. Ich hatte Glück, dass mir niemand entgegenkam, denn die Straße war meines Erachtens nicht breit genug für zwei Autos. Vor mir liegt nun ein lang gezogener Parkplatz, den man nicht wirklich als solchen bezeichnen kann. Es ist eine Stelle im Wald, die von Bäumen befreit und etwas mit Kies aufgeschüttet wurde. Die Stellfläche ist nur daran zu erkennen, dass bereits einige Autos dort parken. Unsicher steige ich aus und blicke über den Mustang hinweg zu einem riesigen Fachwerkhaus. Obwohl es die üblichen roten Dachziegel und schwarzen Holzbalken aufweist, die zur weißen Fassade den typischen Kontrast bilden, sieht es mit den vielen dunklen Holzläden vor den Fenstern einfach heimelig aus. Alte Weinreben ranken sich die Fassade hinauf und lassen das Hofgut urig erscheinen.

Vorsichtig lehne ich mich mit dem Hintern gegen den Kofferraum des Mustangs und sehe mich weiter um. Ich versuche, meine Situation einzuschätzen und herauszufinden, was mich hier erwarten könnte. Nirgendwo ist eine Burg oder ein heruntergekommenes Gemäuer zu sehen. Ganz im Gegenteil. Das Hofgut macht einen einladenden und idyllischen Eindruck. In den Bäumen hängen viele Lampions und der Wegesrand wird von Fackeln gesäumt, während die Blumen in kräftigen Pinktönen die Fensterbänke zieren. Es ist ein Ort zum rundum Wohlfühlen. Mich quälen jedoch zu viele Gedanken, um auch nur annähernd die Ruhe genießen zu können.

Ich atme tief durch, stoße mich mittlerweile bestimmt zum zehnten Mal vom Heck des Mustangs ab, nur um doch wieder schnaufend einen Rückzieher zu machen. Soll ich einfach reingehen, mich bei Kai entschuldigen und die Einladung zu dieser lächerlichen Geisterjagd ablehnen? Keine Ahnung, warum es mir so schwerfällt, eine Entscheidung zu treffen, immerhin bin ich ihm nichts schuldig. Aber ich bin noch nie ein Mensch gewesen, der jemanden wegen seiner Vorlieben oder Hobbys ablehnt. Nur weil seines so grotesk und schwachsinnig erscheint, kann ich doch jetzt nicht damit anfangen, gegen meine eigenen Prinzipien zu verstoßen. Immerhin fand ich ihn vor dem Durchstöbern seines Facebook-Profils mehr als nur attraktiv. Verdammt, vielleicht ist auch meine unter Entzug leidende Libido an diesem verzweifelten Akt schuld. Zumindest hat mich das Ganze dazu gebracht, als Stadtmensch in den Odenwald zu kommen und dieses wunderschöne Fleckchen kennenzulernen, das mir sonst vermutlich immer verborgen geblieben wäre.

Wobei auch diese Idylle momentan ein wenig gestört wird, als ich hinter mir ein mittlerweile vertrautes Geräusch höre. Das näherkommende Röhren eines Motorrads bringt die friedliche Atmosphäre und meine ohnehin schon chaotischen Gedanken eindeutig ins Wanken. Ohne mich umdrehen zu müssen, kann ich das Vibrieren der Maschine und ihres kräftigen Motors spüren, als sie neben mir auf der freien Parkfläche abgestellt wird.

Unabhängig von dieser kurzen Ablenkung fühlt es sich an, als würde ich die Fassade des Hofguts vor mir schon eine Ewigkeit anstarren. Aber was soll schon passieren, wenn ich hierbleibe? Im schlimmsten Fall vermutlich nicht mehr als ein wenig verschwendete Lebenszeit. Vielleicht macht es sogar Spaß, mal in eine andere Welt abzutauchen? Immerhin scheint sie Kai in helle Aufregung zu versetzen. Dieses Funkeln in seinen Augen habe ich zuvor noch nie bei ihm gesehen. Ich muss zugeben, dass noch nie ein Mann solch eine Herausforderung für mich gewesen ist. Ich hatte bisher immer Glück, schnell auf Interesse bei dem anderen Geschlecht zu stoßen. Aber nicht bei Kai. Bislang hat er auf jeden von meinen wohlplatzierten, aufreizenden Augenaufschlägen nur mit einem freundlichen Lächeln reagiert. Hach ja, da spricht sie wieder aus mir, meine verbitterte Libido.

„Und worauf wartest du?“, höre ich einen Kerl neben mir fragen.

Vorsichtig blicke ich über meine Schulter, um mich zu vergewissern, dass er telefoniert. Aber es ist kein Telefon in seiner Hand zu sehen, stattdessen trifft mich völlig unerwartet der Blick seiner stahlgrauen Augen. Der rauchige, tiefe Ton seiner Stimme bebt noch immer durch meinen Körper. Gott, warum musste der Typ mit dem Motorrad sich ausgerechnet den Parkplatz neben mir aussuchen? Und warum, verdammt noch mal, sieht ein Mann, der sich, während er lässig gegen seine Maschine lehnt, den Helm und eine abgenutzte Motorradjacke auszieht, nur so heiß und verwegen aus?

Das ist natürlich eine rhetorische Frage!

Die schwarze Jeans sitzt tief auf seinem Becken und sein eng anliegendes Shirt betont jeden einzelnen seiner perfekten Muskeln. In seinem rechten Ohr erkenne ich einen kleinen schwarzen Ohrtunnel, der jedoch fast vollständig von seinem wilden blonden Haar verdeckt wird. Das Blond zieht sich in einem dunkleren Ton durch seinen Dreitagebart und auch auf seinen starken Unterarmen glänzen seine Härchen wie Gold in der Sonne. Mit der leichten Sommerbrise weht sein männlich herber Geruch zu mir herüber. Er ist einfach die Versuchung in Person und genau der Typ Mann, dem ich aus dem Weg gehen will, weil ich ihm sofort verfallen könnte. Ich besinne mich darauf, dass ich dieses Mal auf der Suche nach etwas Langfristigem und Ernsthaftem bin. Selbst wenn meine Libido gerade die Arme in die Höhe reißt und sich am liebsten jubelnd und schreiend auf diesen Kerl stürzen würde, um sich nach dem vermutlich besten Sex ihres Lebens mit ihm auf sein Motorrad zu schwingen und direkt in Richtung Heartbreak City zu fahren – und dort allein ausgesetzt und zurückgelassen zu werden. Aber nicht mit mir! Ich kenne diese Art Männer zur Genüge und habe mir geschworen, die Finger endgültig von sexy Bad Boys zu lassen. Es ist an der Zeit, auch mal einen von den netten Kerlen abzubekommen. Einen Mann, den alle Schwiegermütter lieben. So einen wie … Kai.

Ach Mensch, warum musste ich nur sein Facebook-Profil anschauen und mich davon beeinflussen lassen? Und dennoch stehe ich hier in der Einöde und bin seiner Einladung zu einer Geisterjagd gefolgt.

Aber durch diese Entscheidung stehe ich nun auch vor diesem sexy Typen und starre ihn die ganze Zeit gedankenverloren an. Peinlich!

Meine Musterung endet wieder bei seinen Augen, die mich unentwegt und belustigt beobachten. Ich kann seinem intensiven Blick nicht schnell genug ausweichen, selbst wenn ich es gewollt hätte.

Widerwillig sortiere ich meine Gedanken, die dank des Motorradfahrers noch verworrener sind, als sie es sowieso schon waren. Schnaufend drehe ich mich zurück zum Hofgut und widme mich erneut meinen Überlegungen, was ich hier eigentlich mache und mir davon erhoffe.

„Also? Worauf wartest du?“, fragt der Fremde erneut, stellt sich dicht neben mich und begutachtet nun, genau wie ich, den Weg hinauf zum Hofgut.

„Auf etwas Klarheit … und vermutlich auch auf meinen Mut?“, gebe ich nach kurzem Zögern mehr fragend als überzeugt zurück. „Der ist mir irgendwo unterwegs abhandengekommen.“ Stimmt ja irgendwie. Als ich Charly und Ben am Montag verlassen habe, war ich noch wesentlich überzeugter, mir Kais Hobby anzuschauen und mich eventuell darauf einzulassen.

„Soll ich dir beim Suchen helfen?“

Ich schaue kurz zu ihm rüber und kann sein selbstgefälliges Lächeln auch von der Seite erkennen.

„Nicht nötig. Ich weiß, wo er ist. Irgendwo ganz tief im Erdboden versunken.“ Deutlicher kann eine Abfuhr doch wohl nicht sein? Schließlich habe ich keine Lust auf Small Talk, der mich auf noch verworrenere Pfade führt, doch Mister Ich-bin-verdammt-sexy-und-weiß-es lässt sich davon nicht beirren. „Ah, verstehe. Könnte schwierig werden, ihn da wieder rauszukriegen.“

Ich sehe ihn ungläubig an, als er sich vor mich stellt und meint: „Aber ich bin ziemlich gut im Suchen und auch ziemlich stark.“

Daran habe ich keine Zweifel … Aber wie deutlich soll ich noch werden? Meine Körpersprache scheint zwar etwas anderes zu sagen, doch meine Lippen formen ein klares „Nein, danke!“

Bevor mein williger und verräterischer Körper etwas Falsches tut, drehe ich mich zum Gehen um und laufe schnurstracks – wenn auch ein wenig verwirrt – in den Wald hinein, der glücklicherweise alles hier umrahmt. Dort will ich auf sein Verschwinden warten. Sicher möchte er nur an irgendeiner Ecke seine Blase entleeren und dann weiterfahren.

~*~

Nachdem ich etwa zehn Minuten einen steinigen Weg auf und ab gelaufen bin und kaum etwas von der Natur wahrgenommen habe, weil mir unsäglich viele Gedanken durch den Kopf jagen, gehe ich eine kleine hölzerne Treppe den Hang hinab und komme direkt neben dem Mitarbeitereingang des Hofguts an. Ich schlängele mich an einem Transporter vorbei, aus dem gerade Lebensmittel abgeladen werden, und finde schnell den Weg zum Aufgang des Hotels, den ich vorhin aus der Ferne gesehen habe. Ich werde den Nachmittag einfach durchziehen und dankend ablehnen, sollte ich noch einmal zu solch einer Veranstaltung eingeladen werden. Dieses Mal bin ich mental vorbereitet und werde nicht wieder den Wackeldackel spielen, egal, welchen hoffnungsvollen Blick Kai auspackt.

Wie im Außenbereich spiegelt sich auch im Inneren des Hofguts eine Wärme wider, die ich nicht erwartet hätte. Zu meiner Rechten befindet sich eine gemütliche Sitzecke, die Wände sind in einem warmen Cremeton gehalten und die urigen dunklen Möbel lösen ein Gefühl des Wohlbefindens aus, anstatt einen zu erschlagen.

Auf der linken Seite finde ich den kleinen Empfangsbereich vor: ein hoher Tresen mit Computer darauf und einigen Flyern aus der Umgebung. Aus dem Hinterstübchen tritt ein älterer Herr mit weißem, perfekt geschnittenem Haar hervor. Er ist in eine dunkelblaue, vornehme Uniform gekleidet und begrüßt mich sofort mit einem freundlichen Lächeln. „Wie kann ich Ihnen helfen, Fräulein?“

„Guten Tag, mein Name ist Elena Klein und ich bin hier zu einer Veranstaltung eingeladen.“

„Wir haben heute einige Veranstaltungen. Wo genau möchten Sie hin?“

„Kai Semmler hat mich eingeladen“, konkretisiere ich meine Anfrage nach bestem Gewissen, denn ich habe keine Ahnung, wie der Name dieser Veranstaltung lautet. Wie jage ich einen Geist, ohne selbst einer zu werden? Crashkurs durch den Geisterjägerknigge? Können uns Geister besser sehen als wir sie?

Kurz darauf höre ich ein lautes Lachen aus dem Zimmer, das sich hinter dem Empfangsbereich versteckt. Der Mitarbeiter des Hofguthotels dreht sich mit entschuldigendem Blick zu der Tür um, die soeben aufgeschoben wird.

„Ich übernehme das, Gerald.“ Die Stimme kommt mir nur allzu bekannt vor und ich würde am liebsten im Erdboden versinken – und zwar genauso schnell, wie sich mein Mut dorthin verkrochen hat. Mister Ich-bin-verdammt-sexy-und-weiß-es tritt neben den älteren Herrn und bittet ihn freundlich zur Seite.

„Natürlich, Nick, aber versuche, freundlich zu bleiben“, brummelt der Empfangsmitarbeiter beim Verlassen seines Platzes. „Viel Spaß auf Ihrer Veranstaltung, Fräulein Klein“, verabschiedet er sich noch von mir und Mister Sexy lacht erneut. Nachdem er sich beruhigt hat, stützt er sich lässig mit den Unterarmen auf dem Tresen ab und wendet sich wieder an mich: „Du hast deinen Mut also wiedergefunden?“

„Ich bin mir nicht ganz sicher …“ Skeptisch sehe ich ihn an und frage mich, warum er hinter dem Tresen steht. Ich vermisse Gerald schon jetzt. Die Stimmung ist plötzlich sehr seltsam geworden. Vermutlich, weil es mir ein wenig unangenehm ist, mit ihm über den Grund meines Besuchs auf diesem Hofgut zu sprechen.

„Bitte entschuldige. Ich will dich nicht noch mehr verschrecken. Ab jetzt läuft alles ganz professionell.“ Er räuspert sich und richtet sich auf.

„Danke.“

„Ich bin Nicklas und der Juniorchef des Hofguts Rodenstein. Ich freue mich sehr, Sie hier begrüßen zu dürfen.“

Ich mustere noch einmal sein Outfit. Er trägt noch immer T-Shirt und Jeans. ‚So sieht niemals ein Juniorchef aus!‘, denke ich ungläubig.

„Leider kam ich noch nicht dazu, mich umzuziehen, aber für Sie möchte ich mir höchstpersönlich Zeit nehmen.“

„Schleimer …“ Shit! Das habe ich wirklich laut gesagt. Erst denken, dann sprechen, Leni. Nicklas ohne Nachnamen sieht mich nach meinem Ausrutscher streng an. Aber auf eine Weise, die nicht nur tadelnd, sondern auch herausfordernd ist. Beinahe, als würde er sich vorstellen, mir die Kleider vom Leib zu reißen, mich über seinen Schoß zu legen und diesen Fauxpas mit einem Klaps zu bestrafen. Vielleicht ist das aber auch nur meine Wunschvorstellung. Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, korrigiert er diesen Blick schon wieder in einen offenen, belustigten Ausdruck.

„Sie sind also hier, um Geister zu jagen?“ Er lacht wie schon zuvor in dem Raum hinter dem Empfang. Ein kehliges und ein wenig abschätzendes Lachen. „Kein Wunder, dass Sie erst auf Ihren Mut warten mussten.“ Er greift sich eine der Broschüren über das Hotel und einen Stift. Routiniert kreist er einige Dinge darauf ein, während ich versuche, mich zu verteidigen. „So ist das nicht gemeint gewesen …“

„Wofür brauchen Sie dann Ihren Mut?“

„Das geht Sie herzlich wenig an“, gebe ich etwas zu schnippisch zurück, aber seine Penetranz geht mir allmählich auf den nicht vorhandenen Sack. Ich will doch nur diesen unsäglichen Nachmittag hinter mich bringen. Gott, ich hätte auf Ben und nicht auf meine beste Freundin hören sollen, dann wäre mir dieses Gespräch und der Geisterkram erspart geblieben.

„Sie haben sich wirklich hübsch gemacht. Wollen Sie vielleicht einen Mann für sich gewinnen?“

Er findet mich hübsch? Ich spüre, wie das Blut in meine Wangen schießt und sie rot aufglühen lässt.

„Hrmmh“, räuspere ich mich. „Wie ich schon sagte, es geht Sie herzlich wenig an.“ Sein Blick wird etwas düsterer, vermutlich, weil ich immer noch nicht auf seinen Small-Talk eingehen will.

„Also gut, lassen wir dieses Thema einfach. Brauchen Sie noch Hilfe mit Ihrem Equipment?“

„Was für ein Equipment?“

„Ihre Ausrüstung für die Geisterjagd. Ihre Kollegen sind schon mit dem üblichen Kram hier eingetroffen.“ Erneut dieser abschätzige und urteilende Unterton. „Ich dachte, dafür wäre dieses Treffen anberaumt.“

Ich sehe mich hilflos um. Warum bin ich nur so ein Trottel?

„Bevor Sie es in Erwägung ziehen, Ihr Handy wird nicht ausreichen. Die anderen haben bereits größere Kameras hier angeschleppt.“

„Danke für den Hinweis.“

„Schade, dass wir uns jetzt erst kennenlernen, sonst hätten Sie mich anrufen und sich erkundigen können. Ich habe viele hilfreiche Tipps auf Lager. Diese sogenannten Geisterjäger tauchen hier öfter auf, als es mir lieb ist.“

„Ja, klar“, gebe ich abwesend zurück und bin vor lauter Grübeln schon wieder in meiner eigenen Welt gefangen. „Als ob mir das jetzt helfen würde.“

„Vielleicht gäbe es da etwas, das wirklich helfen könnte.“

Ich sehe neugierig zu ihm, obwohl ich das nicht tun sollte. Diese Situation und mein verzweifelter Versuch, Kai nicht zu enttäuschen, machen alles nur noch komplizierter.

„Aber sagen Sie mir zuerst, warum Sie unbedingt dazugehören wollen?“

„Ich möchte gar nicht dazugehören.“

„Dann wollen Sie jemandem etwas beweisen?“

Ich schlucke und stammele leise: „Wohl eher nicht enttäuschen.“

„Weil Sie selbst schon einmal enttäuscht worden sind?“

Erschrocken sehe ich ihn an. Er kennt mich nicht einmal und kann doch meine Zweifel besser deuten als ich selbst. Der Schmerz über all die gescheiterten Beziehungsversuche sitzt wohl doch tiefer als gedacht. „Das geht Sie nichts an“, antworte ich beinahe atemlos und richte die Tasche auf meiner Schulter, um schnellstmöglich zu fliehen. Doch er hält mich mit seinem entschuldigenden Tonfall hier gefangen, als wolle er sein unangebrachtes Aushorchen wieder gutmachen. „Sie könnten die Kamera des Hotels ausleihen. Sie hat sogar eine Nachtsichtfunktion, mit der Sie auftrumpfen können. Und wenn Sie mir ein Lächeln zuwerfen, wie sie es vorhin Gerald zum Abschied geschenkt haben, dann bekommen Sie auch noch ein Stativ dazu.“

Dieses Mal lache ich laut. „Ja klar und das alles zum einmaligen Preis von 99,99 Euro.“

„Den Preis setze ich fest.“ Da ist er wieder: der Blick, der die Kleider auf meinem Körper in Nichts auflösen könnte.

„Ich denke, das wird nicht nötig sein.“ Keine Ahnung warum, aber ich habe das Gefühl, dass er mich reinlegen will. „Könnten Sie mir einfach sagen, wo ich hinmuss?“

Er kritzelt noch etwas auf den Flyer des Hotels und reicht ihn mir dann. „Sie finden die Tagungsräume auf der anderen Seite des Gebäudes. Es ist der linke Raum, aber Sie werden die Leute schon erkennen. Viel Spaß, Frau Klein.“ Er setzt zum Abschluss noch ein perfektes, gehässiges Lächeln auf, als würde er spüren, dass ich nicht wirklich dazu gehöre oder allen nur etwas vormache. Hoffentlich hat Kai nicht auch so ein feines Gespür wie dieser zwar überaus heiße, aber leider auch extrem unausstehliche Kerl.

Auf dem Weg zu den Tagungsräumen versuche ich meine Unsicherheit zu verbergen und völlig selbstbewusst aufzutreten. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz des menschlichen Verhaltens zu sein, sich wie ein Trottel zu benehmen, wenn man auf der offensiven Suche nach einem Partner ist. Als ich nur für Spaß und leichte Affären zu haben war, mein Sexleben ausleben und so viele Erfahrungen wie möglich sammeln wollte, kam ich mir nicht so unbeholfen vor.

Doch egal, wie es in meiner Vergangenheit abgelaufen ist, heute könnte man meinen, ich wäre eine fünfundzwanzigjährige Jungfrau. So benehme ich mich zumindest in den letzten Tagen, seit ich versuche, Kai für mich zu gewinnen. Ich korrigiere: versuchte, Kai für mich zu gewinnen. Bislang hat mich meine sexuelle Offenheit und Erfahrung eigentlich immer bestärkt, locker auf Männer zuzugehen, doch auf der Suche nach etwas Festem beschleicht mich das Gefühl, damit eher weniger punkten zu können.

„Kann ich mal bitte vorbei?“, reißt mich eine männliche Stimme aus meinen Gedanken.

Wie ein Trottel stehe ich im Weg, als ein Kerl in Wanderstiefeln und Outdoorbekleidung an mir vorbei will. Er hat einen riesigen, vollgestopften Trekkingrucksack auf, an dem seitlich ein Stativ und ein Helm mit Leuchte befestigt sind. Keine Ahnung, wie diese Dinger im Fachjargon heißen. Aber allein die Tatsache, nicht einmal das zu wissen, verunsichert mich noch mehr. Auf einmal wünsche ich, dass ich mich besser vorbereitet hätte. Ich hätte mir genau überlegen müssen, warum ich hierherkomme, was ich mir davon verspreche, und mir dann einen Grund für eine Absage bezüglich des Geisterjägerkrams zurechtlegen müssen, oder ich hätte vorher googeln müssen, welche Ausrüstung man als Geisterjäger benötigt.

„Dieser Mistkerl!“, fluche ich leise. Nicklas aka Mr. Juniorchef aka Mister Sexy hat mich mit seinen Kommentaren zu den Geisterjägern während unseres Gesprächs am Empfang nun doch eiskalt erwischt. Das hat er sicher absichtlich gemacht, damit ich auf sein – vermutlich unmoralisches – Angebot eingehe. Wenn ich doch nur wüsste, was er damit bezweckt. Aber er hat die Falle gekonnt platziert und ich bin kurz davor hineinzutappen. Vor Wut würde ich am liebsten den Flyer, den er mir gegeben hat, zerreißen, doch dabei fällt mein Blick auf das, was er dort vermerkt hat. Der Kerl hat dreist einen Satz auf der Hotelbroschüre geändert. Ursprünglich stand dort geschrieben: Sollten Sie Hilfe benötigen, kommen Sie gerne zu uns an die Rezeption.

Er hat jedoch die letzten Worte durchgestrichen und handschriftlich ersetzt, sodass nun dort steht: Sollten Sie Hilfe benötigen, kommen Sie gerne zu mir ins Zimmer Nummer 13.

Bin ich wirklich so dämlich, darauf hereinzufallen?

~*~

Die Antwort ist Ja, denn meine Neugier hat gesiegt.

Neben dem Empfangsbereich befindet sich die Treppe zu den anderen Etagen. Ich laufe sie langsam nach oben und mit jeder Stufe wird trotz aller Neugier ein bisschen mehr Unbehagen auf meinen Schultern abgeladen, dessen Gewicht mich eigentlich wieder nach unten in Richtung Auto ziehen sollte.

Eine ebensolche Last ruht auf meinem Arm, als ich vor der Tür mit der Nummer dreizehn stehe. In der oberen, zweiten Etage gibt es nur drei Zimmer, die recht groß zu sein scheinen. Herr Juniorchef hat sich wohl eines der geräumigen Zimmer gekrallt. Ob es ein schlechtes Omen ist, dass ich freiwillig am Zimmer mit der Nummer dreizehn klopfen werde? Noch mehr Unglück kann ich momentan wirklich nicht gebrauchen. Ich schaffe das schon gut alleine, mich immer tiefer in diesen Schlamassel zu reiten.

Meine Faust schwebt noch immer in der Luft vor dem Holz und kann sich nicht überwinden, zu klopfen. Dennoch wird nach einigen Sekunden die Tür geöffnet und ich reiße schnell die Hand nach unten und presse sie wieder an meinen Körper.

„Dein unglückliches Seufzen ist bis in mein Zimmer zu hören.“ Vor mir sehe ich Nicklas’ selbstgefälliges Lächeln, das mir von unten noch im Gedächtnis geblieben ist. „Hört sich nicht so an, als ob du deinen Mut wiedergefunden hast. Also willst du meine Hilfe doch annehmen?“

Er lehnt sich lässig gegen den Türrahmen, während ich nicht einmal einen halben Meter vor ihm stocksteif dastehe und sich meine Kehle trockener denn je anfühlt. Warum? Ich habe wohl vergessen, zu erwähnen, dass er nichts als Shorts und eine Kapuzenjacke trägt. Das klingt zwar nach nichts Besonderem oder Erwähnenswertem, allerdings ist der Fakt, dass er die Kapuze mittlerweile über sein nasses Haar gezogen hat, nicht weniger verwegen und sexy als die Tatsache, dass sich einige Tropfen aus seinem nassen Haar ihren Weg über seine halb nackte Brust bahnen. Seine Jacke ist unten nur leicht geschlossen, als hätte er sie sich nach dem Duschen schnell übergeworfen. Dennoch verdeckt sie sein Tattoo genug, damit es weniger Aufmerksamkeit als seine Bauchmuskeln erregen kann. Nicht, dass ich das innerhalb von wenigen Sekunden analysiert hätte oder ihn übermäßig anstarren würde … Versuche ich mir einzureden … Aber verdammt, ist der Kerl heiß! Zu gut aussehend, um bei klarem Verstand zu bleiben.

„Ich wollte Ihr Angebot mit der Kamera annehmen.“ Nur weil er mich plötzlich wieder duzt, werde ich nicht aufhören, weiterhin professionell zu bleiben und ihn höflich zu behandeln. Innerlich ermahne ich meine Libido, mit dem Sabbern aufzuhören und Professionalität zu wahren. Mit größtem, mentalem Kraftaufwand versuche ich, meine Augen von einem Wassertropfen abzuwenden, der gerade über sein Sixpack rollt. Mein Blick verirrt sich jedoch noch weiter nach unten und bleibt auf einer Region hängen, die definitiv nicht zu angemessenen und pulsregulierenden Gedanken führt.

„Es freut mich immer, wenn ich meinen Gästen helfen kann. Komm kurz rein.“

Bloß nicht! Freiwillig in die Höhle des Löwen?

„Nein, ich warte hier draußen.“ Meine Stimme klingt erbärmlich, wie ein raues Kratzen kurz nach dem Aufstehen – nach einer wilden Nacht. Dennoch bin ich von mir selbst überrascht. Meine Lippen scheinen ein Eigenleben entwickelt zu haben, denn mein Gehirn trägt zu diesem Gespräch eigentlich nichts Sinnvolles bei, außer meinen Atem zu beschleunigen und ein unangebrachtes Kribbeln in meinen Unterleib zu senden.

Viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt, bemerke ich erst einige Sekunden später, dass er mich belustigt ansieht.

„Gibt es ein Problem?“, entfährt es mir patzig.

„Nein, aber wir sollten vorher noch über die Bezahlung sprechen.“

„Ähm“, stammele ich. Ich hätte es besser wissen müssen. Sein hinterhältiges Grinsen, als wir dieses Thema unten am Empfang hatten, sprach schon Bände. Schulden – egal, welcher Art – werde ich sicher wegen dieses lächerlichen Ausfluges nicht auf mich nehmen. „Eigentlich war das ein großer Fehler.“ Schnell drehe ich mich zum Gehen um, doch Nicklas packt mich am Handgelenk und zieht mich zu sich heran.

Hilfe! Warum muss er mir plötzlich so nahe sein, wo ich es doch gerade noch geschafft habe, die einzig richtige Entscheidung zu treffen? Mein Atem stockt. Ich versuche, mich aus seinem Griff zu befreien, aber er bleibt eisern und unnachgiebig und mein Körper reagiert sofort mit einem aufgeregten Kribbeln. Warum spielen meine Fantasien nur verrückt, wenn mich ein Mann etwas fester berührt? Eigentlich sollte ich in Panik verfallen und mein Fluchtinstinkt sich einschalten. Doch ich scheine in seiner Gegenwart nicht mehr auf meinen klaren Verstand vertrauen zu können. Vergessen sind die Sorgen um meine Sicherheit und meine guten Vorsätze. Obwohl mein Körper so heftig auf seine Berührung reagiert, ist es definitiv keine gute Idee, erneut auf das Bad Boy Schema hereinzufallen, da es sich auch dieses Mal mit Gewissheit als ein großer Fehler ohne gemeinsame Zukunftspläne entpuppen wird.

„Wovor hast du nun wieder Angst, Süße?“, fragt sexy Nicklas mit gesenkter Stimme.

Vor so vielem, was du verkörperst, denke ich. Aber das wird er niemals erfahren.

„Du willst zum zweiten Mal wegrennen, weil du mich siehst? Hast du Angst vor mir?“

„Pfff“, schnaube ich verächtlich. „Ich habe ganz sicher keine Angst.“

„Das habe ich auch gespürt.“ Als hätte er meine Gedanken gelesen, legt er seinen Mittel- und Zeigefinger sanft auf meinen Unterarm. „Leicht erhöhter Puls, aber kein angsterfüllter Blick. Du bist neugierig … und vermutlich auch interessiert an mir“, kommentiert er seine Aktion, bevor er mich loslässt.

Oh. Mein. Gott. Er ist wirklich eingebildet. So ein Ego hat definitiv einen Dämpfer verdient.

„Also ehrlich gesagt, bin ich nur hier, um Kai Semmler, den Veranstalter der Geisterjagd, zu treffen“, suche ich eine Ausrede. Und es stimmt ja auch irgendwie.

Seine Augen weiten sich für einen kurzen Moment, ehe er sich gedankenverloren über das Kinn streicht. „Gib es zu, du traust dich nicht, ihn anzusprechen. Deswegen lungerst du seit einer Ewigkeit hier rum, ohne dich der Gruppe lächerlicher – Verzeihung – legendärer Geisterjäger anzuschließen.“

Mir klappt der Mund auf. Einerseits, weil er mich indirekt so dreist beleidigt, andererseits, weil er mich viel zu schnell durchschaut hat. Bevor ich jedoch etwas erwidern oder die Situation klarstellen kann, spricht er mit einer Selbstgefälligkeit weiter, bei der mir übel wird.

„Mein Angebot steht noch. Du kannst die Kamera haben. Ich kann dir auch mit weiterem Insiderwissen über den Veranstalter und die Geistergeschichten in dieser Region helfen … sofern du ihn beeindrucken willst.“

Warum um Himmels willen hat er trotz seiner Überheblichkeit schon wieder mein Interesse geweckt? Lässt sein gutes Aussehen mein Gehirn völlig ausschalten? Denn warum sollte ich noch ein Interesse an diesen Ort und an geheimen Informationen über Kai hegen? Vergesse ich gerade absichtlich, dass ich Kai gar nicht mehr beeindrucken wollte, nur weil meine Libido das Gespräch mit diesem unausstehlichen, sexy Kerl weiterführen will? Ich bin so bescheuert …

Das unmoralische Angebot löst noch immer ein ungutes Gefühl in meinem Magen aus, doch Nicklas fühlt sich aus irgendeinem Grund zum Weiterreden aufgefordert: „Hier und da ein paar nette Gesprächsthemen … Schon wirkst du interessant auf ihn. Zumindest mehr, als wenn du ihm wie ein kleines Hündchen hinterherrennst.“ Seine nüchterne Herangehensweise und fiesen Worte verunsichern mich mehr als sein selbstzufriedener Blick, mit dem er mich mustert. „Das könnte funktionieren.“

„Muss ich anwesend sein, wenn Sie mir diese Tipps geben, oder geht das auch per E-Mail? Irgendwie habe ich gerade keine Lust, noch mehr Zeit mit Ihnen zu verbringen.“ Lüge! Aber es ist gar nicht so einfach, seinem Ego einen Dämpfer zu verpassen. Auch dieser Versuch scheint nicht einmal an der Oberfläche seines Selbstbewusstseins zu kratzen, denn er lacht nur, stößt sich vom Türrahmen ab und kommt mir so nah, dass sich unsere Nasenspitzen fast berühren. „Ich will sogar mehr als deine bloße Anwesenheit.“

Da ist er ja: der Haken, den ich schon vorhergesehen habe. Irgendwie klingt das nach weitaus mehr als 99,99 Euro für dieses tolle Angebot. Ich bin nicht einmal auf Nicklas’ Hilfe angewiesen, aber der Reiz, mit dem Feuer zu spielen, ist ziemlich verführerisch – vor allem, wenn er in diesem hübschen Körper personifiziert ist. Nicklas macht es einem auch einfach, auf Abwege zu geraten und den Weg nach Sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende zu verlassen.

„Ich werde mir ganz besondere Gegenleistungen als Bezahlung ausdenken.“ Nicklas legt seine Hand oberhalb meiner Hüfte ab. Das wohlige Gefühl, das seine Wärme auf meinem Körper auslöst, bereitet mir dabei mehr Sorgen als sein irrsinniger Plan.

„Für diesen Moment genügt mir aber ein Kuss … Ich will ja nicht so sein.“

Ich spüre, wie seine Finger meinen Rücken hinabschleichen und knapp über meinem Po liegen bleiben – allerdings mit einer Intensität, die ich einfach nicht ausblenden kann. Als ob mich seine Berührung verbrennt, drehe ich mich zur Seite und versuche, etwas Abstand zu Nicklas zu gewinnen.

„Vergiss es!“, fahre ich ihn an und bin nicht nur vor Zorn außer Atem. Vergessen sind alle Höflichkeiten gegenüber diesem Casanova. „Du kriegst einen selbst gebackenen Kuchen und das ist schon das höchste der Gefühle.“

„Sehe ich so aus, als würde ich Kuchen wollen?“

Gott, nein! Vermutlich hat er in seinem Leben nicht einmal Kuchen angesehen, geschweige denn gegessen. Als könnte er meine Gedanken lesen, spannt er in diesem Moment die Muskeln seines breiten Oberkörpers an. Bevor ich mich versehe, streckt er seinen Arm nach mir aus und zieht mich erneut zu sich. Unnachgiebig presst er seine Lippen auf meine. Ich versteife mich, verfalle regelrecht in eine Schockstarre, presse die Hände gegen seine Brust, aber er bewegt sich kein Stück. Dabei ist die Berührung seines Mundes eher sanft als fordernd, aber unnachgiebig wie sein Körper. Nicklas’ Zunge streift über meine Unterlippe und er saugt neckend an ihr. Dann löst er sich schon wieder von mir. Glücklicherweise bevor ich auf die dumme Idee kommen konnte, meine Arme um ihn zu schlingen, um ihn festzuhalten und mehr zu fordern, als gut für mich ist. Es war nur ein leichter Kuss – ein Vorgeschmack darauf, was er mir noch geben könnte. Dennoch geht mein Atem viel schneller, als ich es von den Berührungen anderer Männer gewohnt bin. Diese zärtliche Berührung hat sich wie eine intime Geste angefühlt und nicht wie ein egoistischer Akt, den ich von seinem vorherigen Verhalten eher vermutet hätte.

„Für heute bist du noch glimpflich davongekommen, Süße.“ Er drängt mich ein Stück von sich und lehnt sich erneut gegen den Türrahmen. Er wirkt genauso überrascht wie ich, fängt sich aber schnell wieder. „Solltest du erneut meine Hilfe in Anspruch nehmen, werde ich mehr als Gegenleistung verlangen.“ Seine Arme sind vor der Brust verschränkt und bilden glücklicherweise eine Schutzmauer zwischen uns. Wer weiß, wozu es sonst kommen würde, denn die Luft zwischen uns vibriert regelrecht. So etwas habe ich noch nie gespürt.

„Dann gib mir jetzt bitte die Ware, die ich eben unfreiwillig erstanden habe.“ Er verhandelt härter als die Verkäufer in irgendwelchen ominösen Geschäften, zu denen Touristen im Ausland von Reiseveranstaltern getrieben werden.

Nicklas verschwindet kurz in dem Zimmer, ehe er mir die Videokamera reicht und fragt: „Soll ich dir noch erklären, wie sie funktioniert?“ Sein verschwörerisches Wackeln mit den Augenbrauen lässt mich vorsichtig werden.

„Nicht nötig! Außerdem kann das mit diesem verrückten Vorschlag doch nicht dein Ernst gewesen sein. Ganz sicher werde ich diesem Austausch von Gefälligkeiten nicht zustimmen.“

„Du wirst also zur Quasselstrippe, wenn du erregt bist?“

„Wie bitte?“ Ich schnappe mehrmals nach Luft, bevor ich noch einmal den Mund zum Sprechen öffne, aber es kommt nichts heraus, also drehe ich mich schnurstracks um und fliehe vor der Situation und Mister Sexy.

Wie ferngesteuert, rase ich die Stufen bis zum Empfang nach unten. Dort bleibe ich stehen, drehe mich noch einmal um und schaue zurück. Ich schüttele den Kopf und gehe weiter, nur um nach ein paar Schritten wieder zu stocken.

Krass … Ist das eben wirklich passiert? Ich drücke die kalten Fingerspitzen auf meine erhitzten Wangen. Hat mich echt ein Wildfremder geküsst? Ich fahre mit dem Daumen weiter nach unten und gleite über die Lippen. Und hat mir das wirklich so sehr gefallen, um wieder nach oben rennen und herausfinden zu wollen, ob er im Bett genauso gut ist?

Nein! Das geht nicht. Ich bin aus anderen Motiven hierhergekommen. Ich wollte langsam den Schritt wagen, einen netten Mann kennenzulernen.

Stattdessen treffe ich wieder einen rüpelhaften, egoistischen Aufreißer, der ohne Zögern die Hemmschwellen einer Frau niederreißt und sämtliche Benimmregeln beim Kennenlernen von fremden Personen ignoriert. Keine Ahnung, ob ich weiter entrüstet bin oder ob mich diese Begegnung erregt hat. Jetzt kann ich nur noch an wilden, hemmungslosen Sex denken, ausgelöst durch diese grauen Augen, die unerlaubte Dinge in meine Gedanken pflanzen.

Kapitel 4

Nicklas

Shit, was war das denn?

In meinem Zimmer lasse ich mich auf mein Bett fallen, nur um mich augenblicklich wieder aufzurichten und mich mit den Unterarmen auf meinen Oberschenkeln abzustützen, bis ich völlig verwirrt die Hände in meine Haare schiebe. Dieser ungeplante Kuss war noch so viel besser als gedacht und hat Lust auf mehr gemacht. Eigentlich wollte ich sie nur aufziehen, weil sie mir ständig Vorlagen dafür liefert und es mir viel zu einfach macht, sie zu necken. Aber jetzt kann ich an nichts anderes als die prickelnde Berührung unsere Lippen denken. Solch eine Kurzschlussreaktion ist mir seit Ewigkeiten nicht passiert. Nicht seit … Lucy. Schnell versuche ich, zur Besinnung zu kommen und den Gedanken an meine teuflische Ex – deren Namen keiner in der Familie mehr in den Mund nimmt – zu verdrängen.

Sogar die Ähnlichkeit zwischen den beiden Frauen ist nicht zu leugnen. Von hinten gleichen sie einander so sehr, dass ich dieses rotblonde Biest auf dem Parkplatz gerade zurück in die Hölle jagen wollte, aus der sie entflohen zu sein schien, bis ich meinen Irrtum realisierte. Ja, sie sind sich verdammt ähnlich und doch wieder nicht. Die Frau, die ich dort sah, wirkte zunächst unsicher, doch als sie mich bemerkte, änderte sich ihre Haltung sofort. Sie versuchte, selbstbewusst rüberzukommen, aber es war bereits zu spät: Ich habe sie lange genug von der Seite beobachten können, um ihre Unsicherheit zu erkennen, denn mir entging nicht, dass sie nervös auf ihren Lippen kaute, und sofort wusste ich, dass ich ebenfalls an diesen knabbern will.