Shakespeares Tragödien - Jenny Farrell - E-Book

Shakespeares Tragödien E-Book

Jenny Farrell

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Shakespeare! Sein Name ist so übermächtig, dass Leser sich oft eingeschüchtert von ihm abwenden. Dieses Buch will hier gegensteuern: Es ist geprägt von dem Wunsch, Shakespeares große Tragödien einem weiten Publikum zugänglich zu machen und Freude an ihnen zu wecken. Jenny Farrell macht zunächst mit Shakespeares Zeit und den Ideen, die sie bestimmten, vertraut. Die genaue Lektüre von Hamlet, Othello, König Lear und Macbeth ermöglicht uns dann, diese Tragödien aus dem Zusammenhang ihrer Zeit heraus zu verstehen, der Zeit des Übergangs vom Feudalismus zum Frühkapitalismus– einer Epoche großer sozialer Umwälzungen, die den Anfang unserer noch heute bestehenden Gesellschaft bildet. Daraus ergeben sich Einsichten, die sowohl den widersprüchlichen Charakter der frühen Neuzeit als auch das Wesen der Gegenwart des 21.Jahrhunderts begreifen helfen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 208

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jenny Farrell

Shakespeares Tragödien

Eine Einführung

Inhalt

Einführung

Kapitel I: Der Kontext>

Eine Zeit der Umwälzung

Die Renaissance

Elisabeth Tudor und England führen Krieg

Jakob I.

Renaissance-Theater

Shakespeares Tragödien

Shakespeares Leben

Kapitel II: Hamlet

1. Die Handlung

2. Wer sind die Figuren?

3. Worum geht es im Stück?

4. Das Drama des Ganzen

5. Betrachtungen zur Sprache

6. Das Ende

7. Schlussfolgerungen: Was ist die Tragödie?

Kapitel III: Othello

1. Die Handlung

2. Wer sind die Figuren?

3. Worum geht es im Stück?

4. Das Drama des Ganzen

5. Betrachtungen zur Sprache

6. Das Ende

7. Schlussfolgerungen: Was ist die Tragödie?

Kapitel IV: König Lear

1. Die Handlung

2. Wer sind die Figuren?

3. Worum geht es im Stück?

4. Das Drama des Ganzen

5. Beobachtungen zur Sprache

6. Das Ende

7. Schlussfolgerungen: Was ist die Tragödie?

Kapitel V: Macbeth

1. Die Handlung

2. Wer sind die Figuren?

3. Worum geht es in dem Stück?

4. Das Drama des Ganzen

5. Betrachtungen zur Sprache

6. Das Ende

7. Schlussfolgerungen: Was ist die Tragödie?

Zum Abschluss

Danksagungen

Vorschläge für eine weiterführende Lektüre

Widmung

Drei Menschen insbesondere verdanke ich meine Liebe zu Shakespeare:

Meinem Vater, Jack Mitchell, mit dem ich bereits als kleines Kind übereinstimmte, dass Shakespeare eine Weltsprache schrieb. Das war, bevor ich mehr als nur den Klang und Rhythmus seiner Worte verstand.

In jüngerer Zeit habe ich diese Leidenschaft mit Robert Weimann geteilt, der unschätzbar zu meinem Verständnis von Shakespeares Zeit und Theater beigetragen und sehr großzügig meine Fragen beantwortet und mir seine Zeit gegeben hat.

Die Idee dieses Buch zu schreiben und unermessliche Hilfe in jeder Hinsicht kam von Thomas Metscher.

Einführung

Noch nach wie viel Zeiten

Ahmt einst man nach dies unser hehres Schauspiel

In ungebornen Ländern, künftigen Sprachen!

William Shakespeare,Julius Cäsar, III, 1

Shakespeare! Meister des Theaters und der englischen Sprache. Es gibt kaum eine Kultur, kaum eine Sprache der Welt, in der nicht sein Name und sein Werk bekannt sind. Shakespeare hat die englische Sprache beeinflusst wie kein anderer. Doch ist sein Name so übermächtig, dass Leser sich oft eingeschüchtert von ihm abwenden. Als Shakespeare-Enthusiastin möchte ich hier einen leichteren Zugang zu seinem Werk schaffen, für die Zweifler und die Zögernden.

Dies ist kein akademisches Buch für Spezialisten. Im Gegenteil will es Verständnis, Freude und auch Spannung bei der Lektüre oder bei einem Theaterbesuch verschaffen, beim Erleben von Theaterstücken, die über 400 Jahre alt sind. Es soll, so hoffe ich, als Fenster in die Welt Shakespeares und seiner Tragödien dienen. Ich beschränke mich hier auf die vier bedeutendsten und heute noch am meisten aufgeführten.

Das Buch enthält zunächst ein Kontext-Kapitel, das Shakespeares Zeit sowie die Ideen, die seine Zeit bestimmten, kurz umreißt.[1] Das Kapitel informiert auch über das neue Phänomen zweckgebauter Theaterhäuser am Ende des 16. Jahrhunderts und definiert Shakes­peare’sche Tragödie. Weiterhin finden Leser in diesem Kapitel Wissenswertes über Shakespeares Leben. Darauf folgen einzelne Kapitel zu Hamlet, Othello, König Lear und Macbeth. Ihr Ziel ist es, Lesern einen Sinn für die Bedeutung des jeweiligen Dramas zu geben, ausgehend von einem genauen Lesen des Textes. Jedes Kapitel erforscht die Hauptfiguren und deren Handlungsweisen, was seinerseits zu den wichtigsten Themen der Stücke führt. Eine Szene wird dann jeweils genauer betrachtet, um zu zeigen, wie gutes Drama geschrieben wird, oder auch wie Hauptthemen in der Wirklichkeit des Schauspiels realisiert werden. Weiterhin wird gefragt, warum solch Schauspiel eine Tragödie ist. Gewisse Wiederholungen sind der Absicht geschuldet, die einzelnen Kapitel auch unabhängig voneinander lesbar zu machen.

Menschen, die sich Shakespeare zunächst einmal auf der Buchseite nähern wollen, stellen sich die Frage, welche Übersetzung wohl die beste sei. In mancher Hinsicht ist die Übersetzung von Wilhelm Schlegel, Dorothea Tieck und Wolf Graf Baudissin vom Rhythmus der poetischen Sprache her unübertroffen. Doch ist manches in der Bedeutung nicht ganz so radikal dargestellt wie bei Shakespeare und einiges auch sprachlich veraltet. Im vorliegenden Buch verwende ich zwar diese Übersetzung als meinen Basistext,[2] doch ziehe ich oft auch Erich Frieds Übersetzung[3] zu Rate und zitiere diese, wenn es für die Erschließung der originalgetreuen Bedeutung wichtig ist.

Anmerkungen

[1]Ziel des Kontext-Kapitels ist es, den großen Rahmen für die Shakespeare’schen Trauerspiele zu setzen. Die Darstellung der Renaissance ist dementsprechend stark vereinfacht und dem Ziel des Einstiegs in das Werk Shakespeares untergeordnet. Das Kapitel erhebt keinen Anspruch, der Komplexität des Zeitenumbruchs und der Renaissance umfassend gerecht zu werden.

[2]Meine Zitate beruhen auf: Schlösser, Anselm (Hrsg.): William Shakespeare Sämtliche Werke. Teil 4 Tragödien. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag, 1975.

[3]Apel, Friedmar (Hrsg.): Erich Fried Shakespeare. 4. Auflage. Berlin: Wagenbach Zweitausendeins, 1995.

Kapitel I: Der Kontext

»Neue Philosophie bezweifelt alles.« (John Donne, An Anatomy of the World)

Allzu oft wird Shakespeare aus seinem historischen Kontext herausgerissen und außerhalb von konkreter Geschichte erklärt. Das führt zu ernsthaften Hindernissen im Verständnis seines Werks. Eine Einsicht in den Charakter elisabethanischer Gesellschaft trägt enorm zum Erfassen Shakespeares bei.

Eine Zeit der Umwälzung

Shakespeare lebte von 1564 bis 1616. Es war eine Zeit großen Umbruchs, des Übergangs von alten, feudalen zu neuen, bürgerlichen Verhältnissen, als die moderne kapitalistische Gesellschaft langsam aus der Epoche des Mittelalters hervorwuchs, die etwa eintausend Jahre angedauert hatte.

Verbesserte Technik und Produktivität brachten eine wachsende Bedeutung von Handel und damit der Rolle des Geldes mit sich. Große Fortschritte wurden in der Herstellung von Seife, Tuch, Bier, Schiffen und Glas erzielt. Zu den neuen Industrien gehörten zum Beispiel die fabrikmäßige Produktion von Schießpulver, Zucker und Papier. Da diese Industrien mechanisch betriebene Maschinen benötigten, wurde der Bergbau erweitert und intensiviert. So entstand eine neue Klasse von Handwerkern, Kauf- und Geldleuten, die immer reicher und stärker wurden. Mit der Zeit wurden die Städte größer und zu Zentren von Handel und Wandel. Das Geld selbst wurde zu einer Ware. Shakespeares Bühnenwerke Der Kaufmann von Venedig und Timon von Athen vermitteln eine sehr gute Anschauung dieses Sachverhalts.

England war zu jener Zeit Hauptproduzent von Wolle. Diese konnte leicht an die wachsende Textilindustrie verkauft und somit zu Geld gemacht werden. Land wurde zunehmend für die Schafzucht verwendet, um Wolle zu produzieren. Schafzucht benötigte Weideland, deshalb wurden Wälder gerodet und Land eingehegt. Schafzucht brauchte auch weit weniger Landarbeiter als Feldarbeit, und so führten die Einhegungen zu der Vertreibung einer Großzahl von Menschen, die nirgendwo mehr zu Hause waren. Die Szenen auf der Heide in König Lear befördern uns in diese Welt der Vertriebenen jener Zeit. Lear begreift die schiere Nacktheit derer, die alles verloren haben; das ist eine seiner großen Einsichten.

Die enteigneten und vertriebenen Bauern formierten sich ihrerseits zu einer neuen Klasse – die Lohnarbeiter in London und den größeren Gemeinden. Dieser epochale Übergang von der mittelalterlichen, feudalen zur neuzeitlich bürgerlichen Welt erreichte einen Höhepunkt im Absolutismus. Die absolute Monarchie bildete sich im 16. Jahrhundert »auf den Trümmern der kämpfenden feudalen Klasse« heraus und tritt »als ein zivilisierendes Zentrum, als der Urheber gesellschaftlicher Einheit auf«.[1] Im Absolutismus entstand ein Nebeneinander von Alt und Neu. Es entstand eine Gesellschaft mit einer neuen und modernen Mittelklasse, der neuen Bourgeoisie. Eben diese Veränderungen kennzeichneten Shakespeares Lebenszeit.

Die Gestalten in seinen Bühnenwerken, die zum älteren Adel oder zum Hof gehören, sind oft einfältig, eitel, pompös, abergläubisch oder naiv in Bezug auf die Machenschaften und Manipulationen von einigen der jüngeren Generation. Aber sie besitzen auch ›altmodische‹ Ehrgefühle und Werte. Shakespeare hielt diese Klasse für unfähig, auf intelligente, ehrliche und faire Art und Weise zu regieren. Beispiele dafür sind Zentralfiguren der Tragödien Hamlet, König Lear und Macbeth. Aber wer sollte die untergehende Klasse ersetzen? Fragen nach guter Regentschaft werden in Shakespeares Dramen oft gestellt.

Die Renaissance

Der Ursprung der bürgerlichen Gesellschaft liegt im Italien des 14. Jahrhunderts. Hier bilden sich die drei Grundformen des Kapitals – Handelskapital, Finanzkapital und Manufakturkapital – heraus. Das kultur- und ideengeschichtliche Zentrum dieser frühen Neuzeit besteht in Renaissance und Reformation und umfasst nach verbreiteter Auffassung den Zeitraum etwa von 1300 bis 1600.

Der Epochenumbruch verlangte die Rechtfertigung des Bestrebens, die alten gesellschaftlichen Hierarchien zu verlassen. Eine solche Legitimierung führte notwendigerweise zu einer bisher noch nie da gewesenen Erklärung der Welt.

Vor allem hatte die neue kapitalistische Klasse ihr Recht auf einen Anteil an Reichtum und Macht zu legitimieren. Dazu gehörte der Gedanke der Gleichheit aller Menschen, unabhängig von ihrer Stellung in ererbten Hierarchien, sowie die Vorstellung der Würde des Menschen in seiner Diesseitigkeit.

In diesem Zusammenhang war die Kunst des antiken Griechenlands und Roms inspirierend. So wurden in den Skulpturen die Menschen als göttlich und Götter menschlich dargestellt. Die Wiederentdeckung der Kunst der Alten beflügelte die Künstler des neuen Zeitalters.

Die Renaissance begann in Italien, und Künstler wie Leonardo da Vinci und Michelangelo schufen in ihren Werken solch ein Renaissance-Ideal von Menschen. Dabei war Leonardo selbst nicht nur Maler, sondern auch Ingenieur, Erfinder und Wissenschaftler.

Ein Echo des Menschenbildes der Renaissance findet sich auch bei Hamlet:

Welch ein Meisterwerk ist der Mensch! wie edel durch Vernunft! wie unbegrenzt an Fähigkeiten! in Gestalt und Bewegung wie bedeutend und wunderwürdig! im Handeln wie ähnlich einem Engel! im Begreifen wie ähnlich einem Gott! die Zierde der Welt!

Hamlet, II, 2, V. 321–325

Der Blick auf das menschliche Individuum brachte ein noch nie da gewesenes Verständnis von Persönlichkeit, Charakter und Psyche mit sich. Eine neue Kunst und Literatur blühte auf, in der sich dies widerspiegelte.

Doch war die Realität der frühen modernen (kapitalistischen) Gesellschaft weit von diesem Renaissance-Ideal des Menschen entfernt – was übrigens auch Hamlet an derselben Stelle im Stück zum Ausdruck bringt. Diese Gesellschaft wurde durch Kriege, wachsenden Kolonialismus und erbarmungslose Brutalität geprägt. Das Renaissancebild menschlicher Vollkommenheit und Würde war und ist Ausdruck eines menschlichen Potenzials, das in eine Zukunft weist, in der die Menschen ihrer Humanität gemäß leben. Man kann es utopisch nennen.

Die Wissenschaft

Der Anbruch der modernen Zeit war auch durch die Geburt der modernen Wissenschaft geprägt, die die Umwälzung im Verständnis von Gesellschaft und Natur verstärkte. Nikolaus Kopernikus entdeckte: die Sonne, nicht die Erde, ist der Mittelpunkt des Universums. Dieses neue, revolutionäre Verständnis wurde weiterentwickelt, vor allem durch den Italiener Giordano Bruno und Shakespeares Zeitgenossen Thomas Digges, die durch Beobachtungen und Berechnungen feststellten, dass das Universum unendlich ist.[2]

Die neue Wissenschaft stützte sich auf Experimente und Erfahrungen. Der Zweifel wird zum Grundsatz der Methode. Ein weiterer Zeitgenosse Shakespeares, der Philosoph und Wissenschaftler Francis Bacon, wird als ›Vater‹ der empirischen wissenschaftlichen Methode angesehen. Er entwickelt sogar einen Materialismus, der weit über die philosophische Basis seiner Vorgänger hinausweist.

Hamlet besitzt eine solche theoretische Neugier, die zu neuen philosophischen und wissenschaftlichen Einsichten führt.

Shakespeares Darstellung naturwissenschaftlich bewusster Menschen, seine Auffassung von Aberglaube als überholt ebenso wie seine weitreichende Infragestellung der sozialen Ordnung sind Indizien dafür, dass er mit den am meisten zukunftsorientierten Kräften seiner Zeit in völligem Einklang stand.

Die Reformation

Die neuen sozialen Kräfte im elisabethanischen England – auch wo sie im höfischen Kontext verharren – rechtfertigen sich ideologisch auch in Theologie und Religion. Die Reformation überließ dem einzelnen Gläubigen ein viel reicheres Maß an freier Entscheidung als die katholische Kirche. Die Reformatoren protestierten gegen kirchliche Korruption und Heuchelei. Ihre reformierte (protestantische) Version christlichen Glaubens vertrat die Idee, dass die Gläubigen und Gott direkt, ohne die Hilfe einer klerikalen Hierarchie kommunizieren können.

Diese Rechtfertigung der Interaktion ohne Mittelsmänner in der Religion wurde auf die Gesellschaft übertragen. Mit anderen Worten, die neue Mittelklasse fühlte sich berechtigt, ihren ererbten Platz in der sozialen Hierarchie zu verlassen, neue Märkte zu erkunden, Großmächte anzugreifen und die Welt zu erobern.

Bei den revolutionären Bauern wird der Gleichheitsgedanke in seinen radikalen Formen weit über die bürgerlichen Gleichheitsvorstellungen hinausgeführt. Mit der Zeit wurde die Reformation zur Rechtfertigung von Bauernaufständen in verschiedenen Teilen Europas. Sie bildete noch die ideologische Begründung für die englische Revolution von 1640–1660;[3] und im Jahre 1649, nur 33 Jahre nach Shakespeares Tod, wurde der erste König hingerichtet.

Die religiösen Auseinandersetzungen von Reformation und Gegenreformation trugen zu einer Atmosphäre politischen Terrors zu Shakespeares Lebzeiten bei.

Widersprüchliche Potenziale: Humanismus und Machiavellismus

Zum Frühkapitalismus gehörte ungehemmtes Machtstreben einerseits sowie ein neues, humanistisches Menschenbild in der Kunst andererseits. Es entwickelte sich ein neues Denken, das sowohl dem Humanismus als auch einem hemmungslosen Pragmatismus, dem Machiavellismus, Ausdruck verlieh.

Der Renaissance-Humanismus war der neue geisteswissenschaftliche Ansatz an den Schulen und Universitäten. Humanisten trachteten danach, Studenten auf die volle Teilhabe an der Gesellschaft vorzubereiten. Ziel war es, mündige Bürger hervorzubringen, die wissend, sprachgewandt und befähigt sind, sich am gesellschaftlich-politischen Leben zu beteiligen. Hamlets Universität Wittenberg war ein Zentrum des Humanismus und eben auch der Reformation.

Erasmus von Rotterdam oder Thomas Morus in England sind Beispiele für humanistische Gelehrte im frühen 16. Jahrhundert. Beide suchten Möglichkeiten, die Gesellschaft zu verbessern, sowie die beste Art der Regierung. Sie hatten Vertrauen in die neue Klasse und in die unbegrenzten Möglichkeiten der Menschheit.

Erasmus verfasste 1516 Die Erziehung eines Christlichen Fürsten. Thomas Morus, aktiver Staatsmann und 1535 von Heinrich VIII. enthauptet, schrieb das Buch Utopia, das eine auf sozialer Gleichberechtigung basierende, klassenlose Gesellschaft zum Thema hat. Erasmus erwartet von einem Fürsten, »dem Rechten zu folgen, niemandem Gewalt anzutun, niemanden zu plündern, kein öffentliches Amt zu veräußern, und sich durch keine Schmiergelder korrumpieren zu lassen«.[4] Er verurteilte den Krieg: »Krieg erzeugt Krieg, ein winzig kleiner einen riesengroßen, aus einem entstehen gleich zwei, und ein leichtfertiger Streit wird unter der Hand ernst und blutig. Kommt es irgendwo zum Krieg, sind gleich die unmittelbaren Nachbarn mit hereingezogen, ja, er lässt auch entfernt wohnende Völker nicht ungeschoren.

Ein guter Fürst wird überhaupt von sich aus keinen Krieg beginnen, wenn er nicht zuvor alle anderen Mittel ausgeschöpft hat und jener sich als unvermeidbar erweist. Ist dies die Gesinnung, wird es kaum jemals irgendwo zum Kriege kommen. Kann diese Pestilenz aber schließlich gar nicht vermieden werden, dann muss es die erste Sorge des Fürsten sein, ihn so zu führen, dass (…) der Krieg bald ein Ende findet.«[5]

Erasmus’ Buch wurde zum Teil als Antwort auf eine Schrift des Italieners Niccolò Machiavelli geschrieben, der zu jener Zeit ein außerordentlich bekannter Autor war. In seinem Buch Der Fürst rechtfertigt Machiavelli den Einsatz aller Mittel, einschließlich Gewalt und Mord zur Durchsetzung und Erhaltung von Macht, egal welcher Art.

Ein solcher Fürst ist Machiavelli zufolge berechtigt, seinen Zweck ohne Gnade zu verfolgen: »(…) ein neuer Fürst kann nicht immer alles das beobachten, was bei andern Menschen für gut gilt; er muss oft, um seinen Platz zu behaupten, Treue, Menschenliebe, Menschlichkeit und Religion verletzen. Er muss also ein Gemüt besitzen, das geschickt ist, sich so, wie es die Winde und abwechselnden Glücksfälle fordern, zu wenden, und zwar nicht eben den geraden Weg allemal verlassen, so oft es Gelegenheit dazu gibt; wohl aber den krummen Weg betreten, wenn es sein muss.«[6] Machiavellis Menschenbild ist zynisch: »Die ganze Welt ist voll von Pöbel«[7] und er glaubt, ein »Fürst soll also nichts Anderes zu seinem Augenmerk nehmen, auf nichts Anderes denken, und zu seiner eignen Beschäftigung erwählen, als das Kriegswesen und die Einrichtung desselben«.[8] Dieses legitimiert letztendlich das Recht des Fürsten, in seiner Machtausübung Menschen zu verletzen und zu schaden, der Zweck allein heiligt die Mittel.[9]

Das Verschwinden jener Hierarchien im frühen Kapitalismus ermöglichte nicht nur das utopische Denken über eine neue und gleiche Gesellschaft für alle, wie es in den Schriften des Erasmus und anderer Humanisten befürwortet wurde. Es entfesselt zugleich das Potenzial für uneingeschränktes, extremes Eigeninteresse. Machiavellis Theorie ist ein bestimmendes Prinzip des Renaissance-Kapitalismus, der alles andere als friedlich oder menschlich war. Humanismus und Machiavellismus stellen die inhärenten Potenziale der Renaissance-Gesellschaft dar.

Das machiavellistische Prinzip ist das unmenschliche Potenzial, vor dem Shakespeare in all seinen Tragödien warnt und dem er die menschliche Alternative seiner Zeit, den Humanismus, entgegenstellt.

Elisabeth Tudor und England führen Krieg

Shakespeare wuchs unter der Regentschaft von Elisabeth I. auf. Sie war eine mächtige und kluge Politikerin, Tochter von Heinrich VIII. Ihre große historische Leistung war es, die Macht zwischen Adel und Hof auf der einen Seite und der wachsenden Mittelschicht sowie dem Parlament auf der anderen zu balancieren. Unter ihrer Herrschaft wurde England eine prosperierende Weltmacht.

Es ist eine gewisse Würdigung von Elisabeth I., dass Frauen bei Shakespeare als hochintelligente Menschen dargestellt werden, den Männern oft in Verständnis und Wagemut überlegen. Beispiele für solche Frauen sind Portia im Kaufmann von Venedig, Cordelia in König Lear, oder Emilia in Othello. Elisabeth I. war Mäzenin von Shakespeares Theatertruppe und sah viele seiner Stücke.

Ohne Zweifel gab es im englischen Absolutismus Zensur, und ›meuternde‹ Dramatiker wie Ben Jonson wurden gelegentlich auch eingesperrt, der unschuldige Thomas Kyd furchtbar gefoltert und Christopher Marlowe wurde möglicherweise sogar ermordet. Und doch wurde radikales Denken in England im Theater in größerem Maße praktiziert als anderswo in Europa.

Unter Elisabeth Tudors Herrschaft befand sich England in einem ständigen Kriegszustand, fast 20 Jahre lang (von 1585 bis 1604) vor allem mit Spanien. Es gab auch blutige Konflikte mit Irland: Die Desmond-Rebellionen erstreckten sich über drei Jahrzehnte, von den 1560er Jahren bis in die 1580er Jahre, und die Tyrone-Rebellion (der Neunjährige Krieg) von 1594 bis 1603.

Kriege waren zu Shakespeares Zeit allgegenwärtig; Kriege nicht zu Hause, sondern in anderen Ländern und auf hoher See. Ein großer Teil der Staatsausgaben ging in die Finanzierung dieser Konflikte. Willkürliche ›Musterungen‹ führten dazu, dass Männer im Alter zwischen 16 und 60 Jahren, vor allem die Armen, in ihren Häusern und an öffentlichen Plätzen eingezogen werden konnten, um im Ausland zu kämpfen. Das traf Tausende zwangsrekrutierte Männer, deren Zahl vor allem während des Krieges mit Irland stark anwuchs. Krieg ist der Hintergrund für viele Dramen Shakespeares und ist eine ständige Realität in den hier zu betrachtenden Tragödien.

Jakob I.

Nach Elisabeth Tudors Tod im Jahre 1603 betrat der Sohn ihrer Cousine Mary, James Stuart (Jakob VI. von Schottland), den Thron und wurde Jakob I. von England.

Wie schon unter Elisabeth folgten weitere Rebellionen, zum Beispiel die Pulververschwörung von 1605,[10] die eine zunehmende Verfolgung von Katholiken zur Folge hatte sowie Überwachung und Folter. Wie zu Elisabeths Zeiten wurden Männer, die des Hochverrats für schuldig befunden wurden, fast bis zum Tode gehängt, entmannt, ausgeweidet und gevierteilt, ihre abgeschlagenen Köpfe öffentlich ausgestellt. (Frauen wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt.)

Obwohl Schottland und England zwei souveräne Staaten waren, wurde Jakob erstmals Regent beider Länder in Personalunion. Eine seiner großen Ambitionen war es, die Gebiete in einem neuen ›Großbritannien‹ zu vereinen. Auf der ersten britischen Flagge, 1606 unter Jakob I. entworfen, überlagert das englische Sankt-Georgs-Kreuz das schottische Sankt-Andreas-Kreuz.[11] Das war der Beginn der heutigen Fahne, des ›Union Jack‹.

Renaissance-Theater

Schauspielhäuser

Der Übergang von der feudalen zur modernen kapitalistischen Gesellschaft machte sich auch in der Entwicklung des Theaters bemerkbar. Zweckgebaute Schauspielhäuser und Theatergruppen mit eigenen Dramatikern und Schauspielern entstanden in London im späten 16. Jahrhundert. Sie wurden sehr bald zu einem einträglichen Geschäft.

Davor gab es in England weder Theater noch Dramatiker. Fahrende Spielgruppen traten im Freien auf, in den Straßen und auf Märkten und Wagen. Möglicherweise war Shakespeare eine Weile lang Mitglied einer solchen Schauspieltruppe, bevor er in London ankam. Die Tradition des Volkstheaters, mit seiner Clownerie, Tanz und großem Unterhaltungswert, ist in Shakespeares Dramen noch zu spüren.

Dieses mittelalterliche Volkstheater traf auf das Moralitäten- und Mysterienspiel, das im Mittelalter im kirchlichen Umfeld entstand. Beide Traditionen flossen in das elisabethanische Drama ein.

Das erste zweckgebaute Schauspielhaus, »The Theatre«, wurde 1576 von dem Schauspieler und Manager James Burbage in London errichtet. Shakespeares Truppe, die Lord Chamberlain’s Men (Männer des Oberhofmeisters) traten hier später auf. Als »The Theatre« nach einem Konflikt mit dem Vermieter des Grundstücks abgebaut werden musste, wurde das Bauholz in den letzten Dezembertagen des Jahres 1598 auf die andere Seite der Themse, auf die Londoner Bankside, transportiert und 1599 beim Aufbau des Globe Theaters wiederverwendet.

Im Gegensatz zu den behelfsmäßigen Wandertheatern ermöglichten neue, feste Schauspielhäuser den notwendigen Raum und die Zeit für längere und anspruchsvollere Stücke. Shakespeares Figuren sind mit einer ­komplexen Individualität erfüllt; sie sind wahre Renaissance-Menschen und gehen weit über die Klischees der alten Schauspiele hinaus. Dies ist vielleicht umso erstaunlicher, da die Theatergruppen zu jener Zeit ausschließlich aus Männern bestanden. Frauenrollen wurden von heranwachsenden Jungen gespielt.

Manchmal, zum Beispiel in Hamlet, lässt Shakespeare Wandertruppen in seinen Stücke auftreten. Narren stellen auch ein Erbe des Volkstheaters dar, obwohl Shakespeare ihre Funktion ändert, so wie er alle Figuren umformt.

Vor allem in Othello und König Lear erfährt die Laster-Figur des mittelalterlichen Moralitätenspiels einen verjüngten Auftritt als moderner machiavellistischer Mensch. Die Hauptperson in diesen Spielen war die Jedermannfigur. Das Laster – genannt »Vice« – war eine der Standardfiguren, ein Agent des Teufels. Eine weitere Standardfigur in den Moralitäten war die Tugend, die auf der Seite Gottes stand. Laster und Tugend versuchten in der Regel, Gewalt über die Seele Jedermanns zu gewinnen. Das Laster zog das Publikum häufig in direkter Ansprache ins Vertrauen, in der er seinen bösen Zweck enthüllte. Shakespeare verwendet diese Tradition auf neuer Ebene.

Viele Elisabethaner liebten das Theater und gingen, wann immer sie konnten, zu Tausenden neue Stücke zu sehen. Adel und Königin förderten diese moderne Unterhaltungsform und nahmen regen Anteil daran. Allerdings gab es auch Widerstand gegen das Theater. Dieser kam von den städtischen Behörden, der puritanischen kaufmännischen Mittelklasse in London. Für sie waren die Theater bestenfalls Orte vulgärer Ablenkung, die sie schließen wollten. Aus diesem Grund wurden die frühesten Schauspielhäuser außerhalb der Stadtmauern Londons gebaut.

Ein weiteres Hindernis war, dass die Theater wegen der regelmäßig in London ausbrechenden Pest häufig ihren Betrieb einstellen mussten. Sie wurden aus diesem Grund von 1592 bis 1593 fast zwei Jahre lang geschlossen und wiederholt in den Jahren zwischen 1603 und 1610. Als die Theater schlossen, verließen die Spieler London und ihre Schauspielhäuser und gingen auf Tournee.

Shakespeare war natürlich nicht der einzige Dramatiker zu dieser Zeit in London. Er gehörte zu einer kleinen Gruppe junger Autoren von Historien, Komödien und Tragödien, von denen viele wie er aus der Mittelschicht stammten. Bei weitem nicht alle von ihnen hatten die Universität besucht. Was sie in der Schule nicht gelernt hatten, erwarben sie sich durch Lesen.

Das Globe Theater

Das Globe ist wohl Shakespeares bekanntestes Theater. Alle Tragödien, die wir hier betrachten, wurden für die Aufführung im Globe geschrieben.

Das Globe Theater war mehr oder weniger rund – das heißt mit etwa 20 Ecken polygonal – und hatte einen Durchmesser von ca. 30 Metern. Es war, wie heutige Theater noch oft, drei Ränge hoch und hatte gestaffelte Sitzplätze in jedem Rang. Es konnten etwa dreitausend Zuschauer Platz finden. Die teureren Sitzplätze zu zwei und drei Pennies befanden sich in den überdachten Rängen, während die die Bühne umgebenden, ebenerdigen Stehplätze unter freiem Himmel waren und nur einen Penny kosteten. Die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Globe gelegenen Bären- und Stierkampfarenen[12] kosteten gleichen Eintritt.

Eine rechteckige ›Schürzen‹bühne ragte in den Zuschauerraum hinein. Die gesamte Bühne war etwa 13 Meter breit und acht Meter tief, stand etwa 1,5 Meter über dem Boden in der Mitte der Arena. All das war unter freiem Himmel angeordnet, um das natürliche Tageslicht bestmöglich zu nutzen.

In der Mitte der Bühne befand sich eine Falltür, durch die Darsteller von unten auftreten konnten.

Über einen Teil der Bühne war eine Zwischendecke gespannt, die von zwei Säulen (große bemalte Baumstämme) gehalten wurde. Das war der sogenannte ›Himmel‹, der dementsprechend bemalt war. Schauspieler konnten auch von hier durch Seile hinabgelassen werden.

Die Bühne des Globe Theaters war gen Norden ausgerichtet, so dass die Akteure gegen grelles Sonnenlicht geschützt waren. Der ›Himmel‹ lieferte auch Schutz bei Regen und Schnee.

Hinter der Bühne befand sich das Ankleidehaus, in dem sich die Darsteller umziehen und auch ruhen konnten. Der Requisiteur hatte hier eine Liste von Kostümen und Requisiten, die für ein bestimmtes Stück benötigt wurden.

Dieses Ankleidehaus war durch einen Vorhang von der Bühne abgetrennt und erlaubte den Akteuren diese von beiden Seiten, möglicherweise auch von der Mitte, zu betreten.

Unmittelbar über dem verhangenen Bereich auf der Bühnenrückseite befand sich eine Reihe von Logen, die ›Lords Rooms‹. Das waren die teuersten Plätze zu fünf oder sechs Pennies. Die Zuschauer dort waren den Schauspielern am nächsten und hatten zweifellos die beste Akustik.

Die mittlere Loge wurde verwendet, wenn das Werk einen Balkon erforderte, wie in Romeo und Julia. Musiker spielten ebenfalls vom Balkon.

Tageslicht war unentbehrlich, und Aufführungen begannen daher bereits um vierzehn Uhr. Davor gab es kostenlose Unterhaltung für die Theaterbesucher. Eine Fahne wurde am Mast des Globe gehisst, deren Farbe das zu erwartende Genre ankündigte: Rot für Historien, Weiß für Komödien und Schwarz für Tragödien.

Wenn das Stück begann, gab es keine Veränderung in der Beleuchtung, die Spieler standen im Tageslicht auf der Bühne, mit den Köpfen der Stehplatzhalter direkt über dem Bühnenrand. Es gab keine Pausen.

Shakespeares Globe, das aus den Eichenbalken des ersten professionellen Schauspielhauses erbaut worden war, brannte am 29. Juni 1613 vollständig ab. Verursacht wurde der Brand durch den Funken einer Kanone, die im Dachbereich untergebracht war und des theatralischen Effekts wegen abgefeuert wurde. Das Theater wurde umgehend wieder aufgebaut und wird heute als das zweite Globe bezeichnet.

Shakespeares Tragödien

Uns geht es hier um die Tragödien Shakespeares, und darum müssen wir uns erst einmal Klarheit darüber verschaffen, was eine Tragödie ist. Shakespeare hatte zweifellos an der Schule etwas über Aristoteles’ Poetik gelernt.

Nach Aristoteles muss das Scheitern des tragischen Helden beim Publikum Mitleid und Furcht hervorrufen. Er führt aus: »Das Mitleid gilt dem, der unverdient ins Unglück gerät. Die Furcht gilt dem, der unseresgleichen ist.«[13]