Widerstand und Befreiung - Jenny Farrell - E-Book

Widerstand und Befreiung E-Book

Jenny Farrell

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Beschreibung

Fragt man im persönlichen Umfeld auch unter deutschen Linken spontan nach irischen Schriftstellern, geraten selbst Belesene nach Beckett, Joyce, Shaw oder Wilde ins Stocken. Fragt man nach Schriftstellerinnen, herrscht meist peinliches Schweigen im Walde (den Autor dieser Zeilen inbegriffen). Hier will das vorliegende Buch Abhilfe schaffen. Es ist die Auskoppelung aus einer umfangreicheren Essay-Sammlung unserer Autorin mit dem Titel „Kunst und Befreiung – Essays zu Literatur, Musik und Malerei“ (Neue Impulse 2024) und in zweierlei Hinsicht besonders: Erstens schaut die Autorin mit marxistisch geschultem Blick auch auf die Werke der oben genannten „Promis“. Zweitens erweitert sie den Horizont um Schriftsteller, auch um solche aus der Arbeiterbewegung, die in Deutschland weit weniger bekannt sind. (Aus dem Vorwort des Verlages)

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Widerstand und Befreiung

Essays über irische Literatur

Inhalt

Vorwort des Verlages

Der Rinderraub (Táin Bó Cúailnge)

Jonathan SwiftEin bescheidener Vorschlag

Eibhlín Dubh Ní Chonaill»Die Totenklage für Art Ó Laoghaire«

Brian MerrimanDas Mitternachtsgericht

Die Literatur der United Irishmen

Ethel VoynichDie Stechfliege – ein Roman über Revolutionäre

George Bernard ShawPygmalion – Parteinahme für die Arbeiterinnen

Robert TressellDie Menschenfreunde in zerlumpten Hosen

James JoyceEin Porträt des Künstlers als junger Mann

Ulysses

Pearse, MacDonagh, PlunkettDichtende Revolutionäre

Pádraig Pearse: »Mise Éire«/»Ich bin Irland« (1912)

Thomas MacDonagh: »The Man Upright«/»Der Aufrechte« (1911/12)

Joseph Plunkett: »Die Taube« (1915)

Pádraig Pearse: »The Wayfarer«/»Der Wanderer« (1916)

William Butler YeatsErster Literaturnobelpreisträger Irlands

Sean O’CaseyDer Schatten eines Rebellen

Kikeriki

Liam O’FlahertyDie deutschen Übertragungen

Der Denunziant/Die Nacht nach dem Verrat

Verdammtes Gold

Die Bestie erwacht

Lügen über Russland

Hungersnot

Samuel BeckettWarten auf Godot

Brendan BehanEin irischer Rebell

Seamus Heaney, Derek Mahon und Michael LongleyEine Dichtergeneration aus dem Norden Irlands

Seamus Heaney: »Ein Konstabler kommt«

Seamus Heaney: »Der Tollund-Mann«

Derek Mahon: »Rathlin«

Michael Longley: »Waffenruhe«

James PlunkettManche, sagt man, sind verdammt

Anna BurnsMilchmann erhält Booker-Preis 2018

Anthologien irischer Arbeiterliteratur

Colum McCannApeirogon

Sally RooneyAuf der Suche nach dem marxistischen Roman

Colm TóibínDer Zauberer

Paul LynchProphet Song

Danksagung

Über die Autorin

Impressum

Vorwort des Verlages

Fragt man im persönlichen Umfeld auch unter deutschen Linken spontan nach irischen Schriftstellern, geraten selbst Belesene nach Beckett, Joyce, Shaw oder Wilde ins Stocken. Fragt man nach Schriftstellerinnen, herrscht meist peinliches Schweigen im Walde (den Autor dieser Zeilen inbegriffen). Hier will das vorliegende Buch Abhilfe schaffen. Es ist die Auskoppelung aus einer umfangreicheren Essay-Sammlung unserer Autorin mit dem Titel »Kunst und Befreiung – Essays zu Literatur, Musik und Malerei«(Neue Impulse 2024) und in zweierlei Hinsicht besonders. Zum einen schaut die Autorin mit marxistisch geschultem Blick auch auf die Werke der oben genannten »Promis«. Zum anderen erweitert sie den Horizont um Schriftsteller, auch um solche aus der Arbeiterbewegung, die in Deutschland weit weniger bekannt sind. »Dichtende Revolutionäre« kommen im bürgerlichen Kulturbetrieb Irlands und Deutschlands eben kaum vor. In diesem Buch schon.

Zentrales Anliegen dieses Buches ist, anhand ausgewählter Beispiele eine populäre Einführung in die fortschrittliche Dichtkunst Irlands zu vermitteln. Es soll Interesse und Freude am Umgang mit verschiedenen Epochen der irischen Literaturgeschichte geweckt sowie ihr Zusammenhang mit dem europäischen Geschehen hergestellt werden, damit das progressive Erbe der rebellischen »grünen Insel« Irland von der Deutungshoheit des »Vereinigten Königreichs« sowie der Perspektive der Herrschenden befreit werden.

Das Material für dieses Buch entstand während der Berufstätigkeit von Jenny Farrell an einer Hochschule in Galway im Westen Irlands, wo sie neben Deutsch auch irische Literatur lehrte. Viele ihrer Einzeldarstellungen wurden bereits in der progressiven Presse Deutschlands, Großbritanniens und der USA veröffentlicht und für dieses Buchprojekt z. T. überarbeitet. Auf Deutsch erschienen bereits Bücher mit marxistischen Interpretationen von William Shakespeare (Shakespeares Tragödien- eine Einführung, Neue Impulse 2016) und John Keats (Revolutionäre Romantik: Die Oden des John Keats, Mangroven 2021). Für die britische, sozialistische Online-Publikation Culture Matters gab Jenny Farrell drei Anthologien irischer zeitgenössischer Arbeiterliteratur heraus: Die Gedichtsammlung Children of the Nation (2019), die Prosaauswahl From the Plough to the Stars (2020) sowie das Kinderbuch Land of the Ever Young (2021). Diese Anthologien waren die ersten ihrer Art in Irland, die auf basisdemokratische Weise literarische Werke der arbeitenden Bevölkerung zusammenstellten.

Bei diesem Buch bestand ein Auswahlkriterium darin, dass die vorgestellten literarischen Texte in deutscher Übersetzung zugänglich sein sollten. Das ist nicht immer gelungen. In einigen wenigen Fällen – zumeist handelt es sich dabei um Dichtung – hat unsere Autorin selbst den Text übertragen, ohne sich eine poetisch genügende Nachdichtung anzumaßen. Es lag ihr in jedem Fall daran, den Rhythmus sowie das sprachliche Gefühl für das Original, mit all seinen Konnotationen zu bewahren, ohne dass sie das Reimschema – wo denn eines war – erhalten konnte.

Jenny Farrell zu diesem Buchprojekt: »Immer wieder habe ich durch Reaktionen der Studierenden und Leser erfahren, wie einleuchtend und befreiend für sie das marxistische Herangehen an Literatur aus einem historischen und Klassenverständnis heraus war. Es nimmt wenig wunder, dass diese Art der Analyse einen neuen Zugang zu bislang so noch nicht verstandener literarischer Texte ermöglichte. Der Schriftsteller Liam O’Flaherty, zum Beispiel, wird in Irland kaum gelesen, da er der Literaturobrigkeit zufolge ›niemanden interessiert‹, und der daher auch kaum in der Schule und an der Universität auf dem Lehrplan steht. Es gibt praktisch keine Forschung ihn betreffend. O’Flaherty steht für viele Schriftsteller, die in Irland auf dem Index standen.«

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer: Viel Spaß bei der Lektüre.

Lothar Geisler

Mai 2024

Der Rinderraub (Táin Bó Cúailnge)1

Dieses Epos ist das älteste Dokument altirischer Literatur, das uns erhalten ist. Seine Wurzeln reichen in die mündliche Überlieferung der eisenzeitlichen Kelten. Die Eisenzeit blieb in Irland bis etwa ins 5. Jahrhundert u. Z. bestehen und wurde dann vom frühen Mittelalter abgelöst. Das mittelalterliche Christentum brachte die von Mönchen ausgeübte Schriftlichkeit, sowohl Lateinisch als auch Irisch.

Drei mythologische Erzählzyklen ragen aus dem umfangreichen Korpus altirischer Literatur hervor: Der Ulster-Zyklus bildet den Kern dieser großen Menge an epischem Material. Von den über hundert Geschichten, die einst zu diesem Zyklus gehörten, sind allerdings nur einige erhalten geblieben. Es gibt einige Dutzend, die als Remscéla2 oder »Vorgeschichten« bekannt sind, weil sie in den großen Rinderraub, den Táin Bó Cúailnge3, einfließen. Ebenso gibt es »Nachgeschichten«, die das weitere Schicksal einiger Figuren und Ereignisse erzählen.

Der Rinderraub ist das früheste Epos in Westeuropa, das sowohl Prosa als auch Poesie umfasst und als das bedeutendste Werk der Literatur gilt, das die vorchristliche, eisenzeitliche Periode in Irland hervorgebracht hat. Parallel zu Homers und anderen Epen kann der Korpus der Táin-Erzählungen als ein Gründungsmythos4 der nach Irland gekommenen Kelten angesehen werden. Wie die ihnen vorangegangenen Kulturen lebten oder wie diese verschwanden, ist nicht in das literarische Erbe eingegangen, da eine Niederschrift erst mit dem frühen Christentum möglich wurde.

Die Überlieferung des Rinderraub vermittelt eine Ahnung vom frühen Leben der Kelten in Irland, vor allem ihrer Häuptlinge, sowie ihrer Halbgötter und Götter. Hier im Rinderraub wie auch in seinen Vor- und Nachgeschichten erzählt sich eine Kulturgruppe seine heroische Geschichte – z. B. durch Ahnenlisten – einschließlich Anekdoten darüber, wie eine Vielzahl von Orten zu ihren irischen Namen kam. Damit wird unter anderem eine Besitznahme von Land signalisiert. Frühere Ortsnamen sind nicht überliefert. Für spätere territoriale Eroberungen und Umbenennungen gibt es heute zahlreiche Beispiele, nicht nur durch die Wikinger, sondern bis in die Gegenwart ausstrahlend die Anglifizierung irischer Ortsnamen.

Die zahlreichen Nebengeschichten haben ihren Ursprung in der Folklore und Geschichte dieser Kelten. Sie reichen in eine heidnische Vergangenheit, in der sich eine Reihe von göttlichen Figuren und mystischen Ereignissen zu einer Mythengeschichte zusammenfügen, mit deutlichen Hinweisen auf heroische Ursprünge. Diese berichten unter anderem die volle Lebensgeschichte von Cú Chulainn5, in dessen Händen das Schicksal der Provinz Ulster lag.

Der Übergang von der mündlichen zur geschriebenen, literarischen Form erfolgte durch christliche Mönche, die zwar offenbar bemüht waren, viel von dem existierenden Mythos festzuhalten, jedoch die Legenden durch ihre eigene Brille sahen und dem Ganzen vielfach eine christliche Interpretation auferlegten. Damit wurden tiefgreifende Veränderungen vorgenommen, die aber heute als solche in groben Zügen erkennbar sind. Ein weiterer Einfluss, der sich auf die Niederschrift des eisenzeitlichen Mythos auswirkte, sind die politischen Interessen der Zahlmeister der Mönche als aristokratisch und überregional im Sinne der eigenen feudalen Ideologie.

Zum Handlungshergang:

Eines Nachts kam es in Cruachan6 in Connacht7 zu einem Kopfkissengespräch zwischen Medb8 und ihrem neuen Ehemann Ailill9, genauer zu einem Streit darüber, wer über mehr Besitztümer verfüge.10 Um ihr jeweiliges Vermögen zu vergleichen, schickte das Paar Bedienstete aus, all ihre Habe zusammenzutragen. Sie erwiesen als gleichwertig, mit der Ausnahme eines Stiers Ailills mit dem Namen Finnbennach11, »der Weißhörnige«, dessen Gegenstück in den Herden der Regentin nicht zu finden war.

Medb war entsetzt. Doch hatte ihr Gefolgsmann MacRoth ihr erzählt, dass Darè MacFiachna12, von Cualnge, eines Gebiets unter der Regentschaft ihres ehemaligen Ehemannes Conchobar13, Herrscher von Ulster14, einen noch wunderbareren Stier als den von Ailill besaß, den Donn Cualnge, den »Braunen (Stier) von Cualnge«. Also schickte sie MacRoth zu Darè mit der Bitte, ihr den Stier leihweise zu überlassen. Als Dank versprach sie unter anderem auch sexuelle Gefallen.15

Darè empfing Medbs Boten gastfreundlich und gab ihrer Bitte bereitwillig statt, aber im Laufe des Abends behauptete einer der stark angeheiterten Boten ihm gegenüber, dass sich die Gesandtschaft bei fehlendem Entgegenkommen den Stier gewaltsam genommen hätte. Daraufhin zog der ergrimmte Darè sein Versprechen zurück und schwor, dass er den Braunen Stier von Cualnge nun keinesfalls aushändigen würde.

Erbost über das Scheitern ihrer Gesandtschaft, versammelte Medb umgehend eine gewaltige Armee, die nicht nur aus den Männern Connachts, sondern gleichfalls aus Verbündeten aus allen Teilen Irlands bestand, um Ulster einzunehmen. Unter ihrem Kommando standen ferner Ulster-Häuptlinge, die nach einem Verrat des Herrschers von Ulster, Conchobar, ins Exil nach Connacht gegangen waren. Unter ihnen war Fergus, der vor Conchobar Oberhaupt von Ulster gewesen war und diesen Posten aufgrund eines Liebesversprechens an ihn verloren hatte. In Connacht wurde er zu einem Favoriten Medbs.

Mit diesem Feldzug gegen Ulster handelte Medb der eindringlichen Warnung der Dichterin/Prophetin Fedelm16 zuwider, die großes Blutvergießen voraussah. Medbs Zuwiderhandlung beruhte jedoch auf gutem Grund: Die Männer Ulsters erlagen regelmäßig wehenartigen Leibesschmerzen aufgrund eines alten Fluches der Pferdegöttin Macha17 für vergangenes Unrecht. Zu just jeder Zeit einer ›Mobilisierung‹ waren sie von diesen Schmerzen betroffen, weswegen Medb die Weissagung der Fedelm für unmöglich hielt.18

Die Armeen von vier Provinzen Irlands versammelten sich also unter der Führung von Fergus in Connacht, weil er die Provinz Ulster am besten kannte, in die sie einmarschieren sollten. Und so machte sich bei Einbruch des Winters das mächtige Heer, darunter das Herrscherpaar und manche der größten Krieger Irlands, mit der Prinzessin Finnabair19 als Köder auf den Weg.

Sie überquerten den Shannon bei Athlone und erreichten schließlich Cualnge. Das Leiden der Männer Ulsters dauerte normalerweise fünf Tage und vier Nächte an, diesmal jedoch waren sie von Anfang November bis Anfang Februar – den ganzen keltischen Winter über – außer Gefecht gesetzt. In diesem gesamten Zeitraum fiel die Last der Verteidigung der Provinz ausschließlich auf den jugendlichen Helden und Halbgott Cú Chulainn, der mangels Initialisierung als einziger von diesen körperlichen Einschränkungen nicht betroffen war.

Die Connachtarmee war nicht weit gekommen, als sie auf Anzeichen einer großen, kriegerischen Macht stieß, die sich ihr entgegenstellte. Fergus erklärte, dass es Cú Chulainn sei, der ihren weiteren Vormarsch verhindere. Nun erzählten die Vertriebenen Ulsters von den mächtigen Taten Cú Chulainns, um die übermenschliche Kraft und die Tapferkeit des Siebzehnjährigen zu erklären. Die wichtigste Geschichte berichtete davon, wie der Knabe Cú Chulainn seinen Namen »der Hund von Culann« erhielt. Jene, die ihn kannten, sprachen voller Ehrfurcht von ihm, doch Medb meinte, selbst er müsse verwundbar sein. Nach Tötung von Hunderten der Angreifer erklärte Cú Chulainn sich zu einem Einvernehmen bereit, der Armee Connachts den Weitermarsch zu genehmigen, wenn sie ihm täglich einen ihrer Helden zum Zweikampf schicke. Sollte er den Gegner besiegen, dürfe die Armee nicht weiterziehen. Medb erklärte sich mit diesen Bedingungen einverstanden. In jedem der folgenden Zweikämpfe siegte der jugendliche Held und erschlug viele der gefeiertsten Krieger Connachts. Wiederholt erleben wir in diesen Szenen auch Momente, wo Cú Chulainn dem Krieger das Leben schenken will, einem »todsicheren« Kampf aus dem Wege gehen möchte. Doch wird dies immer wieder auf Grund des Ehrencodexes ausgeschlagen. Medb schreckt selbst nicht davor zurück, Cú Chulainns Pflegebruder gegen ihn in den Kampf zu entsenden.

Zur damaligen Zeit wurden die Söhne und Töchter höherrangiger Personen nach dem siebten Lebensjahr oft zu anderen Familien zur Erziehung und Ausbildung geschickt. Ein Ziel war das Knüpfen lebenslanger Verbundenheit zwischen den Pflegegeschwistern und deren Familien. Der schwerste der Zweikämpfe ist der gegen Cú Chulainns ehemaligen Freund und Pflegebruder Ferdia, von Medb in den Zweikampf gedrängt. In den wohl berührensten Szenen appelliert Cú Chulainn an Ferdias Vernunft, sich nicht gegenseitig abzuschlachten. Ferdia verweigert jedoch jede Schlichtung und begibt sich in den Tod durch Cú Chulainn. Am Ende dieses Kapitels singt Cú Chulainn eine große Totenklage.

Medb führte ihre Armee nun durch Ulster, plünderte und brandschatzte bis hin zur Residenz von Conchobar und nahm schließlich den Braunen Stier von Cualnge in ihren Besitz.

In diesem Moment überwanden Conchobar und seine Krieger ihre Schmerzen und besiegten Medbs Armee in der letzten Schlacht. So verwüstete Medb zwar die Territorien ihres ehemaligen Mannes und gewann den Braunen Stier von Cualnge als Kriegsbeute, doch trug Conchobar in der großen Schlacht von Garech20 und Ilgarech21 den endgültigen Sieg davon.

Auf dem Rückweg nach Connacht kam es zu einem erbitterten Gegeneinander zwischen den Stieren, bei dem der Braune seinen Rivalen niederstreckte und dessen Teile über ganz Irland verteilte. Dann kehrte er wütend nach Ulster zurück, zerschlug seinen Kopf an einem Felsen und starb.

Christliche und politische Einflüsse

Wenn wir uns dem Rinderraub nähern wollen, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass die Niederschrift des mündlich überlieferten heidnischen Mythos durch christliche Mönche zu einer Überlagerung zweier Perspektiven führte. Die Sprache der frühesten Manuskripte geht auf das 8. Jahrhundert zurück, einige lyrische Teile könnten älter sein. Doch bedeutet das nicht, dass der Ursprung des Epos in dieser Zeit liegt. Die Sprache reflektiert lediglich den linguistischen Stand ihrer mündlichen Überlieferung zum Zeitpunkt der Niederschrift. Das früheste erhaltene Manuskript stammt aus dem frühen 12. Jahrhundert.

Máel Muire22 gehörte zum Kloster Clonmacnoise und war einer der drei Schreiber, die an dem Manuskript Lebor na hUidre23 arbeiteten, der frühesten und einer der wichtigsten Sammlungen früher irischer Literatur. Sein Beitrag beläuft sich auf etwa sechzig Prozent des überlieferten Manuskripts. In den Annalen der vier Meister, der mittelalterlichen Chronik Irlands, wird sein gewaltsamer Tod für 1106 bei einem Wikingerüberfall auf Clonmacnoise verzeichnet.

Dieser Text ist der, auf dem die meisten der im 19. und 20., sowie 21. Jahrhundert entstandenen Übertragungen beruhen. Vervollständigt wird die in diesem Manuskript festgehaltene Version durch andere Manuskripte, die Varianten des Epos enthalten. Die Mönche haben uns somit zumindest eine gewisse einheitliche Handlung überliefert, die von literarischer Qualität ist und den heidnischen, mündlich überlieferten Mythos erahnen lassen.

Der vielleicht grundsätzlichste Eingriff der klösterlichen Schreiber ist die Neuschreibung der einstigen Souveränitätsgöttin Medb, sowie anderer weiblicher Figuren. Medb ist diejenige, die geradezu verhöhnt wird. Eine vorausgesetzte Überlegenheit der Männer in der christlichen Fassung ist offenkundig. Medbs Vernachlässigung der Prophezeiung von Fedelm zu Beginn des Feldzugs unterwandert nicht allein ihren Anspruch auf Regentschaft und ihre Befähigung dazu, sondern verspottet sie auch als Frau. Hinzu kommen die vielen Kommentare über törichte Ratschläge von Frauen und den unweigerlich negativen Folgen, wenn ein Mann »dem Steiß einer Frau, die uns in die Irre führte«, folgt.

Medb ist hier des Weiteren keine Göttin, sondern eine »Königin«. Subtil oder nicht, werden die heidnischen Götter unterwandert und zu christlichen Titeln umfunktioniert. Es treten hier weit weniger Götter in Aktion als dies vermutlich im ursprünglichen heidnischen heroischen Mythos der Fall war. Auch Medbs offensichtliches Feilhalten ihres eigenen Körpers sowie dessen ihrer Tochter als Belohnung für Krieger erscheint in kritischem Licht und wird nicht im Kontext der vorgeschichtlichen Vorstellung und des Rituals der Vereinigung des Hochkönigs von Irland mit der Souvernitätsgöttin begriffen. Der Name Medb leitet sich ab vom Honigwein Met und der damit zusammenhängenden Berauschung. Medb bedeutet sowohl die Berauschte als auch die Berauschende und verweist damit selbst mit ihrem Namen auf uralte heidnische Zeremonien.

Weitere offenkundig aus dem heidnischen Epos übernommene Elemente sind die Zeichen eines unchristlichen Umgangs mit den Körperfunktionen, die ebenfalls eher zu Zwecken der Belustigung beibehalten wurden. So deutet das Entblößen der weiblichen Brust in kriegerischen Auseinandersetzungen auf einen heidnischen Fruchtbarkeitsursprung. Gleichzeitig fügten die Mönche nach Gutdünken auch Anachronismen hinzu, wozu auch Cú Chulainns Lesen von Phrasen im Ogamalphabet gehört.

Medb ist nicht die einzige Figur, die sich als unfähige Herrscherin erweist. Die Autorenperspektive ist kritisch gegenüber der Fähigkeit aller im Epos auftretenden Kräfte, ihre eigenen Interessen zu wahren. Dies spiegelt die politischen Interessen der Zahlmeister der Mönche wider. Fergus gibt sein Königtum für ein Jahr auf und erhält dafür sexuelle Gefälligkeiten von Nes24. Als das Jahr vorbei ist, verweigert das Volk Ulsters Fergus das Königtum, da Fergus es wie eine Mitgift übergeben hatte. Die hohe Wertschätzung des Volkes von Ulster für den neuen König Conchobor, einem verräterischen und rachsüchtigen König, der die Grenzen gerechten Machtanspruchs überschreitet, deutet ebenfalls auf Torheit. Ailill ist ein ebenso wenig effektiver Souverän.

All das besagt etwas über die politischen Kräfte im Irland des 8. Jahrhunderts und vor allem über die Bedeutung der Uí Néill25-Dynastie. Die Uí Néills hatten seit dem 5. Jahrhundert ihre Herrschaft auf die Mitte und die nördliche Hälfte Irlands ausgedehnt. Infolge dieser Expansion waren die Stämme Ulsters auf das Gebiet der heutigen Grafschaften Antrim, Down und den Nordteil Louths beschränkt, aber erst im Jahre 851 erzwang der Uí Néill, Hochkönig von Tara, die Unterwerfung dieser Territorien. Der Ulster-Zyklus wurde wahrscheinlich zuerst in den Klöstern des Ulster-Territoriums im Nordosten, wie Bangor, Druim Snechta, Louth und anderen, redigiert. Die Uí Néill gewannen an Bedeutung und in der Folge verblieb die spätere Entwicklung und Erhaltung des Materials in der Hand von Klöstern im Shannon-Becken wie Clonmacnoise, die von den Uí Néill gefördert wurden, um Stammesstrukturen zu zerstören. Und so wurde eben zusätzlich das Thema unfähiger Regentschaft in die Niederschrift aufgenommen, denn damit hatten sie einen legitimen Anspruch auf das höchste Königsamt, das Erbkönigtum und Feudalisierung.

Auf einer anderen Ebene reflektiert der Mythos überdies den Zerfall der frühen irischen Gesellschaft: der Beziehungen zwischen Gastgeber und Gast, zwischen Verwandten, zwischen Pflegebrüdern, zwischen Frauen und Männern, zwischen der Menschenwelt und den Göttern. Hinter der immensen Vitalität, dem Humor und der Fantasie des Ulster-Zyklus verbirgt sich ein Bild einer in sich zusammenbrechenden Gesellschaft. Die alte Ordnung als überlebt darzustellen, war natürlich im Interesse der Mönche und ihrer Zahlmeister. Aber die Gesellschaft war auch tatsächlich geschwächt nach den Einfällen der Wikinger, der Normannen und durch christliche Zerstörung26. Dieser politische Kampf beherrschte den gesamten Zeitraum der ersten Niederschriften des Rinderraubs.

Der Rinderraub als Literatur

Der Rinderraub ist Literatur. Was auch immer der Hintergrund der Erzählungen, existieren sie seit über tausend Jahren in Form von Literatur. Von einem Ursprung in der mündlichen Überlieferung ist mit Sicherheit auszugehen. Der Text ist Literatur, weil die Figuren und Handlungen lebendig und einprägsam sind und in unserer Vorstellung ebenso wie in schriftlich festgehaltener, wenn auch in kulturell veränderter Form, über tausend Jahre überlebt haben. Besonders einprägsam sind unter anderem zwei Stellen: das Erscheinen und die Prophezeiung von Fedelm, sowie die Totenklage Cú Chhulainns für Ferdia.

Fedelm wird als außergewöhnliche Erscheinung beschrieben. Die Bewegung des Textes von Prosa zur Versform unterstreicht den Moment der Prophezeiung und macht deren Nichtbeachtung durch Medb außerordentlich verstörend.

Hoch ragt er auf dem Feld der Schlachtin Brustharnisch und Mantel rot,Über dem düsteren Wagenradbringt der Verzerrte jedem Tod,die schöne Gestalt, die ich erst sah,verzerrt zu einer Ungestalt.

Ich seh ihn ziehen in die Schlacht:ich warne euch, seid auf der Hut,Cúchulainn, Sualdams Sohn!Ich sehe ihn, er sucht den Kampf.

Ganze Heere wird er schlagen,er richtet euch ein Blutbad an,zu Tausenden fallen eure Köpfe.Ich bin Fedelm, ich verhehle nichts.

Das Blut spritzt aus Kriegerwunden,todgeweiht, wen er berührt:tot eure Krieger, und die Kriegervon Deda mac Sin gehen um;zerhackte Leiber, Frauen klagenseinetwegen, des Hunds des Schmieds.27

Eindringlich ist ebenfalls der ausgedehnte Zweikampf zwischen Cú Chulainn und Ferdia, seinem einstigen Pflegebruder. Diese Tradition wird von Medb missachtet, als sie Ferdia gegen Cú Chulainn in den Kampf zwingt. Cú Chulainn bemüht sich im Verlaufe des Kampfes beharrlich, einschließlich Mahnung an ihre Pflegebrüderschaft, Ferdia zu einem Abbruch des Kampfes zu überreden, dem er ansonsten zum Opfer fallen würde. Ferdia verweigert dieses Angebot immer wieder aufs Neue. Nach seinem unweigerlichen Tod bricht Cú Chulainn in eine Totenklage aus, was sonst in der irischen Tradition den Frauen vorbehalten war und größtenteils mündlich überliefert ist. Totenklagen sind ein Genre mit eigenen Konventionen, die dann individualisiert werden. In einem ungeheuren Bruch mit dieser Tradition beklagt hier der größte irische Krieger Cú Chulainn den toten Freund:

Unsre hehre Pflegemutterschloss den Bund der Blutsfreundschaft,so dass niemals Zorn entzweiedie zwei Freunde im schönen Elga.

Trauriger, elender Tag,der Ferdias Kraft am Ende sahund eines Freundes Sturz gebracht:Ich gab ihm rotes Blut zu trinken!

Hätte dich der Tod ereiltim Kampf mit Recken Griechenlands,ich hätte dich nicht überdauert,neben dir wäre ich gefallen.

Leid ist über uns gekommen,Scáthachs28 beide Pflegesöhnegebrochen ich und rot von Blut,leer steht dein Streitwagen.

Leid ist über uns gekommen,Scáthachs beide Pflegesöhnegebrochen ich und blutig rot,du liegst tot und starr.

Leid ist über uns gekommen,Scáthachs beide Pflegesöhnedu tot und ich lebendig.Kühnheit ist ein Wahn der Schlacht!

Zum Fortbestehen des Mythos in Literatur und Kultur

Im 19. Jahrhundert übertrug Augusta Gregory, Vertraute von W. B. Yeats und Mitbegründerin der Renaissance der irischen Literatur, diese Mythen in ein modernes Englisch, gleichwohl sie ebenfalls inhaltlich eingriff, dem viktorianischen Geschmack unliebsame Aspekte herunterspielte oder gar ganz unterdrückte. Der bedeutende irische zeitgenössische Dichter Thomas Kinsella kehrte in seiner jetzt als Standardtext angesehenen Übertragung zu den mittelalterlichen Manuskripten zurück und versuchte, modernen Lesern einen unmittelbaren Zugang zu den Legenden zu geben. Diese Arbeit ermutigte die irisch-amerikanische Schriftstellerin Morgan Llywelyn zweifellos, mehrere Geschichten aus dem Ulster-Zyklus in ihrem 1989 erschienenen Roman Red Branch über das Leben von Cú Chulainn neu zu beschreiben. Deutsche Keltologen hatten ebenfalls ein großes Interesse an diesem irischen Text und übersetzten ihn Anfang des 20. Jahrhunderts ins Deutsche. 1969 übertrug Susanne Schaup dieses Epos in eine ausgezeichnete deutsche Fassung basierend auf der gut recherchierten englischen Nachdichtung Thomas Kinsellas.

Zeugnisse anderer Art für das Fortbestehen des Mythos im Volksbewusstsein, doch mindestens ebenso lebendig, sind die Wandbemalungen in Nordirland. Sowohl Katholiken als auch Protestanten beanspruchen als ihre Tradition die Verteidigung Ulsters durch Cú Chulainn, besonders seinen Tod, der in einer der »Nachgeschichten« erzählt wird, wo er an einen Felsen gebunden aufrecht stehend stirbt.

1 Deutsch nach der englischen Übertragung von Thomas Kinsella (1969), Schaup, Susanne (1976), Der Rinderraub. Altirisches Epos, München: Heimeran Verlag.

2 Gesprochen: rewschkela.

3 Gesprochen: toin boh kuhlje.

4 Der tatsächliche Ursprungsmythos ist das Lebor Gabála Érenn, das allerdings weithin in der Bevölkerung unbekannt ist.

5 Gesprochen: ku (kurzes U) Chulinn (wieder kurzes U).

6 Gesprochen: kruachan.

7 Gesprochen: konnacht – eine westliche der fünf großen Provinzen Irlands.

8 Gesprochen: meew.

9 Gesprochen: allil.

10 In der uns überlieferten Version werden die beiden als Königspaar beschrieben, doch gab es in der Eisenzeit natürlich keine feudalen Erbkönige, sondern gewählte [militärische Demokratie der Stammesgesellschaft] Herrscher über jeweils eine von fünf großen Provinzen. Medb selbst galt zu jener Zeit als Souveränitätsgöttin. Die Mönche machten aus diesen Häuptlingen und heidnischen Göttinnen Könige und Königinnen.

11 Gesprochen: finnwennach.

12 Gesprochen: dahre mac fiachna.

13 Gesprochen: kruchur.

14 Die nördliche der fünf großen irischen Provinzen.

15 Diese sexuelle Freizügigkeit samt ihrer verschiedenen Ehemänner muss im Kontext ihres Status als Souveränitätsgöttin verstanden werden. Natürlich ›heiratete‹ jeder neue ›König‹ des Landes sie als Ausdruck seiner Loyalität gegenüber dem Territorium. Somit beinhaltet ein solches Versprechen zudem die Möglichkeit auf den Herrschertitel. Auch gab es vor dem Christentum keine Monogamie. Engels schreibt in Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats:»Was aber die walisischen Quellen, und mit ihnen die irischen, direkt beweisen, ist, daß bei den Kelten die Paarungsehe im 11. Jahrhundert noch keineswegs durch die Monogamie verdrängt war.« URL: http://www.mlwerke.de/me/me21/me21_127.htm.

16 Gesprochen: felim.

17 Gesprochen: macha.

18 Angemerkt sei hier, welch hohen Ruf die Dichter dieser Kultur genossen. Außer dieser Prophetin erscheint im weiteren Verlauf der Geschichte ein Satiriker, der ebenfalls ein hochangesehener und gefürchteter Dichter an den Herrscherhöfen war. Im Rinderraub droht er Cú Chulainn mit Rufmord.

19 Gesprochen: finnuhr.

20 Gesprochen: garech.

21 Gesprochen: ilcharach.

22 Gesprochen: muil wirre (das W wie im Englischen water).

23 Gesprochen: ljauer na hiere.

24 Gesprochen: nass.

25 Gesprochen: ie nehl.

26 Die filí wurden von der irischen Elite teilweise verboten und gejagt – in Connacht bis ca. 1000. Die Geschichten von King Lír und Suibhne zeigen die Zerstörung heidnischer Kulturgüter durch die Christen.

27 Cú Chulainn – der Name bedeutet Hund des Schmieds.

28 Gesprochen: sko/ach (kurzes O, wie in Rock).

Jonathan SwiftEin bescheidener Vorschlag

Jonathan Swift, weltberühmt als Verfasser von Gullivers Reisen (1726) und Ein bescheidener Vorschlag (1729), Satiriker, Dekan der St. Patricks Kathedrale Dublin und politischer Pamphletist, wurde am 30. November 1667 in Dublin geboren, sieben Monate nach dem Tod seines Vaters. Dieser Tod hatte die völlige Verarmung der Familie zur Folge, die nun auf die Hilfe von Verwandten angewiesen war. Jonathan wurde zu seinem Onkel Godwin Swift geschickt, der ihm die bestmögliche Ausbildung angedeihen ließ.

Swift besuchte von 1674 bis 1682 das Gymnasium in Kilkenny und studierte Klassik an der damals einzigen Universität Irlands, dem Trinity College in Dublin. Auf Grund der politischen Unruhen während der (Zurücknahme der) englischen Revolution von 1688 verließ Swift Irland. Nach seinem Umzug nach England nahm Swift eine Stelle als Sekretär von Sir William Temple, einem pensionierten Diplomaten, an. In dessen Haus wurde Swift mit einer Reihe politisch einflussreicher Personen bekannt. Sir William Temple verhalf Swift auch zur Aufnahme an der Universität Oxford. 1692 schloss Swift sein Studium mit einem Magister ab.

Trotz der für seine Zeit ungewöhnlichen Bedenken, der Kirche »nur der Unterstützung halber«1 beizutreten, kehrte Swift nach Irland zurück und wurde Ende 1694 Diakon und im Januar 1695 Priester. Er festigte seine Position langsam innerhalb der Church of Ireland, dem irischen Zweig der anglikanischen Kirche. 1701 erwarb er am Trinity College Dublin den Doktortitel in Theologie und 1713 wurde er zum Dekan der Dubliner St. Patricks Kathedrale ernannt.

Ab 1720 wandte sich Swift an ein irisches Lesepublikum. Das irische Parlament wurde vom Parlament in Westminster regiert, was u. a. Handelsbeschränkungen mit sich brachte. Swift veröffentlichte 1720 ein anonymes Pamphlet mit dem Titel Ein Vorschlag, allgemein in Kleidung, Hauseinrichtung usw. nur irische Erzeugnisse zu benutzen und alles Tragbare, was aus England kommt, unbedingt abzulehnen und zu verleugnen2. Erbost bot die Kolonialmacht jedem eine Belohnung, der den Autor identifizieren würde. Obwohl Swifts Urheberschaft in Dublin ein offenes Geheimnis war, wurde er nicht verraten und stattdessen kam der Drucker Edward Waters wegen aufrührerischer Verleumdung vor den Richter. Die Geschworenen erklärten Waters für »nicht schuldig«; dennoch konnte nur durch Swifts privates Eingreifen Waters Verurteilung abgewendet werden. In einer weiteren Schrift, den Tuchhändlerbriefen3(1724/25), forderte er Iren auf, die neue englische Münze »Wood’s Halfpence« aus moralischem, politischem sowie aus wirtschaftlichem Interesse zu verweigern. Erneut setzte die Regierung erfolglos einen Kopflohn für die Preisgabe des anonymen Autors aus, doch das Woods Patent musste letztlich zurückgezogen werden.

So wurde Swift zum Nationalhelden zumindest innerhalb seiner eigenen Klasse, der protestantischen Aszendenz, die die politische und wirtschaftliche Vorherrschaft in Irland als Vertreter der britischen Kolonialmacht innehatte, doch auch eigene Interessen in Irland verfolgte. 1726 veröffentlichte Swift Gullivers Reisen4, in dem er u. a. Britanniens Kolonialisierung Irlands aufs Korn nimmt, sowie die Möglichkeit eines irischen Aufstandes voraussagt, 60 Jahre bevor er durch die United Irishmen Wirklichkeit wurde. Diese in Teilen III (Kapitel 3) und IV (Kapitel 12) enthaltenen radikalen Auffassungen wurden vielfach unterdrückt.5 1729 folgte Ein Bescheidener Vorschlag6.

Gegen Ende seines Lebens litt Swift zunehmend an Krankheit und befürchtete, den Verstand zu verlieren. In den letzten Lebensjahren erlag er einer senilen Demenz und wurde in die Obhut eines Vormunds gegeben. Zuvor hatte sich Swift jedoch der Not psychisch Kranker zugewandt und hinterließ in seinem Testament Geld für eine Nervenheilanstalt, die auf humanen Behandlungsmethoden basieren sollte. Dieses Krankenhaus war das St. Patricks Hospital in Dublin, das 1759 eröffnet wurde und noch heute Betroffene behandelt.

Jonathan Swift starb 1745 im Alter von 78 Jahren in seiner Geburtsstadt und ist in der St. Patricks Kathedrale beigesetzt. Lange vor seinem Tod hatte er sein eigenes lateinisches Epitaph geschrieben, das heute in der Kathedrale zu sehen ist. Fast zwei Jahrhunderte später wurde es von W. B. Yeats ins Englische übertragen:

Swift has sailed into his rest;Savage indignation thereCannot lacerate his breast.Imitate him if you dare,World-besotted traveller; heServed human liberty.

Swift segelte in die Ruh;Wilde Erbitterung dortNicht zerreißen kann sein Herz.Wagen Sie’s ihm nachzutun,Weltvernarrter Reisender; erDiente der Menschen Freiheit.7

Wie Thomas Metscher feststellte, steht Swift am Anfang der modernen irischen Literatur in englischer Sprache. Es ist sein irischer Standpunkt, seine Sorge um Irland, insbesondere um den kolonialen Status Irlands und die irische Befreiung, die Swifts literarischen Radikalismus definieren.8

Die dominante Kultur im Irland des 18. Jahrhunderts – die der anglo-irischen herrschenden Klasse, der Swift angehörte – war eine von Britannien bestimmte Kultur, deren Funktion es war, die britische Hegemonie in Irland zu sichern.

Swifts Engagement für die Sache der irischen Befreiung entwickelte sich erst, nachdem er nach Dublin zurückgekehrt war und im Juni 1713 Dekan der St. Patricks Kathedrale wurde. Zunehmend wurde er zum Fürsprecher des einfachen Volkes. Der unvergesslichste Ausdruck dieser Parteinahme ist Ein bescheidener Vorschlag.

Ein bescheidener Vorschlag

Zum Kontext des Werks, außer der oben angeführten politischen Lage in der Kolonie Irlands, ist es wichtig, dass wir es hier mit der Zeit der Aufklärung zu tun haben. Genau an diesen Aufklärungsgeist wendet sich Swift und ironisiert ihn zugleich auf das Heftigste.

Der Titel selbst ist zutiefst ironisch, verstärkt durch den Zusatz »wie man die Kinder der Armen hindern kann, ihren Eltern oder dem Lande zur Last zu fallen, und wie sie vielmehr eine Wohltat für die Öffentlichkeit werden können«9. Jeder uneingeweihte Leser erwartet zunächst einmal das wissenschaftlich-ökonomische Traktat eines Philanthropen.

Dies wird auch im Eröffnungsabsatz unterstrichen, der die desolate Lage der Armen Irlands für irische Leser (noch heute) sofort erkennbar beschreibt: »… wenn sie die Gassen, Straßen und Türen der Hütten voller Bettlerinnen sehn, hinter denen sich drei, vier oder sechs Kinder drängen, die, alle in Lumpen, jeden Vorübergehenden um ein Almosen belästigen.«10

Meisterhaft beginnt Swift sofort mit der schrittweisen Vorbereitung der Leser auf den zu unterbreitenden Vorschlag, indem er wirtschaftliche Überlegungen zur Behebung des Übels anführt: »… eine gute, billige und leichte Methode«11 zu finden, diese Kinder zu nützlichen Mitgliedern des Reiches zu machen. Bereits hier kündigt Swift an, dass der Vorschlag sich bei weitem nicht auf »die Kinder berufsmäßiger Bettler«12 beschränkt, sondern will »die volle Zahl der Kinder eines bestimmten Alters umfassen, wie sie von Eltern geboren werden, die in Wirklichkeit nicht besser imstande sind, sie zu erhalten als jene, die in den Straßen um Almosen betteln.«13 Schon hier wird angedeutet, dass das nahezu die Gesamtheit der katholischen irischen Bevölkerung bedeutet. Die Spannung der Leser erhöht sich, als der Erzähler nun behauptet, mit seiner Lösung für »die Kinder in einer Weise zu sorgen, dass sie, statt ihren Eltern oder der Gemeinde zur Last zu fallen, und statt für den Rest ihres Lebens an Nahrung und Kleidung Mangel zu leiden, vielmehr zu der Ernährung und teilweise auch der Kleidung vieler Tausender beitragen werden.«14 Es folgt eine ausführliche statistische Erhebung, die noch vor dem »Vorschlag« an die aufklärerische Vernunft der Leser appelliert und die Zahl der Betroffenen quantifiziert. Als Subtext erfahren wir immer mehr über die abgrundlose Armut der einheimischen Bevölkerung.

Im ersten Viertel des Textes wird eine Erwartungshaltung aufgebaut. Dann folgt der Vorschlag, nachdem der Ich-Erzähler diesen vorerst noch qualifiziert, wie er es noch mehrmals wiederholen wird: »Ich werde also jetzt demütigst meine eignen Gedanken darlegen, die, wie ich hoffe, nicht dem geringsten Einwand begegnen können.«15 Der »Vorschlag« stammt nicht vom Erzähler selbst, wie er sagt, sondern »von einem sehr unterrichteten Amerikaner«16 und besteht darin,

dass ein junges, gesundes, gutgenährtes, einjähriges Kind eine sehr wohlschmeckende, nahrhafte und bekömmliche Speise ist, … (und) dass von den hundertundzwanzigtausend bereits berechneten Kindern zwanzigtausend für die Zucht zurückbehalten werden; von ihnen soll nur ein Viertel aus Knaben bestehn, was immerhin schon mehr ist als wir bei Schafen, Hornvieh oder Schweinen erlauben.17

Von hier an entwickelt Swift ein kolonial-faschistisches Programm, das seines Gleichen eigentlich nur in der Wirklichkeit findet. Die wirtschaftlichen Vorteile werden immer wieder betont, derweil die Leser zunehmend aus der Fassung geraten. Gleichzeitig beginnt Swift mit der Andeutung, dass es sich hier nicht allein um das buchstäbliche Aufessen von Kindern handelt, sondern durchaus auch metaphorisch verstanden werden muss: »… da die Gutsherrn bereits die meisten Eltern gefressen haben«18. Da dies zeitlich vor dem nun vorgelegten Vorschlag war, bedeutet dieses »Auffressen« die Zerstörung der Lebensgrundlage der katholischen Pächter. Als zusätzlichen Vorteil preist dieser »Nationalökonom« der Aszendenz auch an, dass sein »Vorschlag noch einen Nebenvorteil mit sich bringen [wird], indem er die Zahl der papistischen Kinder verringert«19. Um diese Feindseligkeit der Herrschenden gegen die irische Bevölkerung ironisch noch zu verstärken, schreibt Swift ganz entsprechend der Auffassung dieser Klasse, die er damit rückhaltlos aufs Korn nimmt und gleichzeitig ihren Ängsten vor einer katholischen Invasion Ausdruck verleiht:

… die Zahl der Papisten, von denen wir alljährlich überrannt werden, bedeutend verringern; sie sind zugleich die kinderreichsten Leute der Nation und unsre gefährlichsten Feinde, und sie bleiben eigens im Lande, um das Königreich dem Prätendenten auszuliefern.20

In einer weiteren grauenhaften Tangente erläutert der Erzähler, wie auch die Haut der Kinder verwendet werden kann. Das verstärkt nicht allein ein Thema dieses Textes, die Gleichsetzung und Gleichbehandlung von Iren mit Tieren, sondern erinnert nicht nur deutsche Leser an die Konzentrationslager des 20. Jahrhunderts.

All diese Einzelheiten des »Vorschlags« hatte der Erzähler bereits mit dem amerikanischen Freund besprochen, der offenkundig bereits Erfahrung auf diesem Gebiet hat. Hierbei handelt es sich um die Sklaverei, die ebenfalls halb metaphorisch, halb real mit der Zerstörung von Menschenleben gleichgesetzt wird.

Nach weiterer Anpreisung seines Plans, weiterhin rational-wirtschaftlich argumentierend, beteuert der Erzähler, »dass gegen diesen Vorschlag ein einziger Einwand zu erheben wäre«21 und verkündet dann – als die unmögliche Alternative – die eigentliche Lösung:

Deshalb komme mir niemand mit andern Auskunftsmitteln: mit einer Steuer von fünfundzwanzig Prozent ihres Einkommens, die die in England lebenden Irländer zu zahlen hätten; damit, dass wir weder Kleider noch Hausrat brauchen dürften, die nicht in Rohstoff und Verarbeitung aus unserm Lande stammen; damit, dass wir Materialien und Werkzeuge, die ausländischen Luxus fördern, streng ablehnen müssen; damit, dass es gilt, unsre Frauen von den teuren Vergnügungen des Stolzes, der Eitelkeit, des Müßiggangs und Spiels abzubringen; damit, dass wir den Hang zur Sparsamkeit, Vorsicht und Mäßigung stärken sollen; damit, dass wir unser Land lieben lernen müssen (…) dass wir vorsichtig sein sollten, nicht unser Land und unser Gewissen um ein Nichts zu verkaufen; damit, dass wir die Gutsherrn lehren müssen, ihren Bauern gegenüber wenigstens eine Spur von Erbarmen zu zeigen; und schließlich damit, dass wir den Geist der Ehrlichkeit, Betriebsamkeit und Gewandtheit in unsre Ladenbesitzer pflanzen sollen, die sich, wenn man jetzt den Beschluss fasste, nur noch unsre einheimischen Waren zu kaufen, sofort verbünden würden, um uns zu betrügen und uns im Preis, im Maß und in der Güte der Waren zu übervorteilen, wie sie denn auch bisher noch niemals dazu zu bringen waren, dass sie sich ein einziges Mal erboten hätten, hinfort ehrlich zu verfahren, obwohl man sie oft und ernsthaft dazu aufgefordert hat.

Deshalb wiederhole ich, es rede mir niemand von diesen und ähnlichen Auskunftsmitteln, bevor er nicht wenigstens einen Schimmer von Hoffnung hat, dass jemals ein kräftiger und aufrichtiger Versuch gemacht wird, sie in die Wirklichkeit zu übertragen.22

Nach dieser zutiefst ironischen Einbettung der eigentlichen Lösung des eingangs dargelegten Problems der beispiellosen Armut der Iren, kommt Swift zum Schluss, indem er die Vorteile seines »Vorschlags« noch einmal betont und festhält:

Ich möchte, dass die Politiker, denen mein Vorschlag missfällt und die vielleicht verwegen genug sind, eine Erwiderung zu versuchen, zunächst einmal die Eltern dieser Sterblichen fragen, ob sie es nicht heute für ein großes Glück halten würden, wenn sie auf die beschriebene Weise im Alter von einem Jahr als Nahrungsmittel verkauft worden wären, so dass ihnen die ewige Straße des Elends erspart geblieben wäre, die sie seither durch die Unterdrückung der Gutsherrn, durch die Unmöglichkeit, ohne Geld und Gewerbe Pacht zu zahlen, durch den Mangel an der alltäglichen Notdurft, ohne Haus und Kleider, die sie vor der Unbill des Wetters schützen könnten, und in der unvermeidlichen Aussicht, auf ewig ihrer Nachkommenschaft das gleiche oder auch noch größeres Elend zu vermachen, gezogen sind.23

Hier kommt Swift zu dem erschütternden Schluss, dass die Iren, die zu ihrem allergrößten Teil in unsäglicher Armut leben, besser tot als lebendig seien.

Mit Ein bescheidener Vorschlag wird Swift unverrückbar zum Fürsprecher des irischen Volkes, indem er die herrschende Klasse ganz offen als Kannibalen enthüllt.

1 Stephen, Leslie (1882), Swift, London: Macmillan, S. 22, URL: https://www.gutenberg.org/files/41532/41532-h/41532-h.htm#f_6.

2A Proposal for the Universal Use of Irish Manufacture.

3Drapier’s Letters.

4Gulliver’s Travels.

5 Siehe hierzu ausführlich Metscher, Thomas (2016), The Radicalism of Swift, Dublin: Connolly Books.

6A Modest Proposal.

7 Deutsch Jenny Farrell, Reimschema nicht erhalten.

8 Metscher (2016).

9 Swift, Jonathan (1729), Ein bescheidener Vorschlag, in: Hoffmann, André (2014): Gesammelte Werke Jonathan Swifts, Dinslaken: asklepiosmedia. E-Book S. 373.

10 Ebd.

11 Ebd., S. 374.

12 Ebd.

13 Ebd.

14 Ebd., S. 375.

15 Ebd., S. 377.

16 Ebd.

17 Ebd.

18 Ebd., S. 378.

19 Ebd., S. 379.

20 Ebd., S. 383.

21 Ebd., S. 386.

22 Ebd., S. 386–388.

23 Ebd., S. 389 f.

Eibhlín Dubh Ní Chonaill1»Die Totenklage für Art Ó Laoghaire«2

Die Stimme einer Frau

Die legendärsten und gefeiertsten irischen filí3 (Dichter) sind Männer. Die Gründe hierfür liegen eindeutig in der patriarchalischen Klassengesellschaft, die mit dem Christentum nach Irland kam. Ein Grund mehr, den weiblichen Vertretern dieser Berufung nachzuspüren, die in der vorchristlichen irischen Zeit mit seherischen Fähigkeiten assoziiert wurde, denn das irische Wort filí leitet sich genau von dieser Bedeutung ab.

Die älteste erhaltene Prosa, die uns überliefert ist, Der Rinderraub, wenn auch durch die Brille frühchristlicher Mönche, feiert mächtige Frauen, darunter auch eine solche Prophetin, die Dichterin Fedelm. Dieser Beruf wurde in einer vorliterarischen Gesellschaft mündlich ausgeübt und das blieb in den Personen der nicht am Hofe etablierten Geschichtenerzähler im Volk lange erhalten. Manche Arten poetischen Ausdrucks waren vorwiegend Frauen vorbehalten. Am bemerkenswertesten ist vielleicht die der Totenklägerin. Eibhlín Dubh Ní Chonaills »Caoineadh Airt Uí Laoghaire«4 (1773, Die Totenklage für Art Ó Laoghaire5) ist eine der wichtigsten und längsten Totenklagen in der irischsprachigen Literatur.

»Die Totenklage für Art Ó Laoghaire«

Das ex tempore verfasste Gedicht war ein spontan der Totenklagetradition entsprechender Sprechgesang über den Toten und folgt den rhythmischen und gesellschaftlichen Konventionen, die mit der traditionellen irischen Totenwache verbunden sind. Wie so viele uns erhalten gebliebene Dokumente aus der mündlichen Tradition, wurde auch diese Totenklage erst später aufgeschrieben und übersetzt.

In diesem Gedicht beschreibt Eibhlín Dubh Ní Chonaill die Umstände der Ermordung ihres Ehemannes Art in Carriginima (Carraig an Ime6), in der Grafschaft Cork, auf Geheiß des britischen Beamten Abraham Morris.

Gleichzeitig spricht die Klage, wie noch deutlich werden wird, im Namen der unterdrückten katholischen irischen Bevölkerung Irlands, die unter der britischen Kolonialherrschaft leidet. Speziell geht es um die Auflehnung gegen die Strafgesetze (penal laws), die Ende des 17. Jahrhunderts eingeführt wurden und sich gegen die einheimische katholische Bevölkerung richteten. Unter anderem verbaten diese Gesetze den Schulbesuch für katholische Kinder, beschränkten das Recht auf Besitz, zum Beispiel eines Pferdes, das mehr als fünf Pfund wert war, Heirat zwischen Personen verschiedener Konfessionen, Zugang zu höherer Bildung und Berufen usw. Art Ó Laoghaire wurde geächtet, weil er sich weigerte, Morris sein Pferd, das er aus seinem Dienst in der österreichisch-ungarischen Armee mitgebracht hatte, für fünf Pfund zu verkaufen und wurde zum Freiwild erklärt.

Art und Eibhlín entstammten bedeutenden Familien der irischen Aristokratie, deren mächtigste Fürsten im frühen 17. Jahrhundert infolge kriegerischer Niederlagen aus Irland auf den europäischen Kontinent geflohen waren, was den völligen Zusammenbruch der traditionellen Gesellschaftsstrukturen zur Folge hatte. Art war Teil des überlebenden katholischen Adels, war auf dem Kontinent ausgebildet und diente als Offizier in der österreichischen Armee.

Die Totenklage ist in fünf Teile gegliedert. Der erste Teil wurde wahrscheinlich über den Leichnam ihres Mannes in Carraig an Ime (Carriginima) gesprochen.

Die Klage7 beginnt mit einem kurzen Bericht, wie sich die Liebenden kennenlernten und entgegen den Wünschen ihrer Familien davonliefen und heirateten:

Standhafte Lieb!Als ich dich eines Tages sahan des Markthauses Giebelmein Aug gab einen BlickMein Herz erstrahlteIch floh mit dir fernvon Freunden und Heim.8

Im Folgenden berichtet Eibhlín davon, wie gut sie es als Frau von Art hatte:

Und nie reute ich es:Salons ließest du streichenRäume ausschmückender Ofen feuerrotBrotlaibe bereitetBraten am Spießund Rinder geschlachtet;Schlief in Entendaunbis Mittag kam,später, gefiel’s mir.9

Die Klagende spricht Art wiederholt persönlich an – als Freund und Partner. Im Folgenden beschreibt sie die Ehrfurcht und Angst, die Art durch seine imposante, die Strafgesetze völlig missachtende Gestalt einflößte. Er trägt ein wertvolles Schwert, prachtvolle Kleidung und führt das weißgesichtige Pferd. Insbesondere die Engländer sind eingeschüchtert:

Standhafter Freund!Mir kommt in den Sinnder Frühlingstagwie stand dir der Hutmit dem Goldband,das Schwertheft silbern,Hand fein und kühn,bedrohlicher Schritt,und ängstliches Bebenverräterischer Feinde.Du würdest reitendein schlank-weißes Rossdie Sachsen verneigtensich tief vor dir,nicht aus Kulanzsondern aus Angst– doch durch ihre Hand tot,meiner Seele Lieb …10

Sie evoziert auch Arts Liebe zu seinen Söhnen. Danach spricht sie von dem Moment, an dem ihr Arts Tod bewusst wurde, als sein Pferd reiterlos an ihren Hof zurückkam. An dieser Stelle werden Eibhlíns Entschlossenheit und Mut deutlich, die bereits mit ihrer Heirat Arts entgegen den Wünschen der Familie angedeutet wurde. Mit drei Sätzen springt sie an die Tür, an das Tor und in den Sattel und galoppiert zum Tatort. Hier findet sie Arts leblosen Körper:

Dich dort tot zu sehnam niedren Ginsterweder Papst noch Bischof,Kleriker, Priestereinen Psalm dir zu lesennur ein schwach altes Weibihr Manteleck erstrecktwo dein Blut aus dir floss,hielt nicht, es zu baden.Trank es aus meiner Hand.11

Diese etwas unerwartete Handlung des Bluttrinkens entspricht der Tradition der Totenklage.12 Am bemerkenswertesten ist hier jedoch die berichtete Tatsache, dass niemand anders zugegen ist als eine alte Frau, die zweifellos das alte Irland verkörpert. Das wird unter anderem darin deutlich, dass sie ihren Mantel an die Stelle legt, wo Arts Blut ausströmt. Bezeichnend ist auch, dass sich kein katholischer Klerus eingefunden hatte. Eibhlín wird mit dieser Frau allein gelassen. Es ist ein desolates Bild über den Zustand des Landes und seine vergessene Loyalität.

Ebenfalls Bestandteil der Tradition ist die Aufforderung an den Toten aufzustehen, Eibhlín will Art so eine erneute Hochzeit ausrichten.

Im zweiten Teil wird ein Streit zwischen Arts Schwester und Eibhlín wiedergegeben, in dem ihre Schwägerin Eibhlín vorwirft, im Bett gelegen zu haben, als sie aus Cork an den Hof kam. Es ist wahrscheinlich ein Kommentar über den Unfrieden zwischen den beiden namhaften Familien und in einem größeren Kontext auch über den Zerfall des Zusammenhalts der verschwindenden irischen Ordnung, der schon durch die Einfälle der Wikinger ab Ende des 8. Jahrhunderts und die christlichen Zerstörungen vorangetrieben worden war, doch nun immer eklatanter wird.

Angesichts der sehr öffentlichen Hochschätzung Arts im dritten Teil, wurde der Aufruf wieder aufzustehen wahrscheinlich von Eibhlín geäußert, nachdem der Leichnam für die Beerdigung vorbereitet worden war.

Mein Freund und mein Schatz!Welch elende Kluft für einen Krieger:ein Sarg und der Hutauf dem großherz’gen Reiter,der fischte in Flüssenund trank in Hallen