Shining Stars – Die Sterne auf deiner Haut - Gabriella Santos de Lima - E-Book
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Shining Stars – Die Sterne auf deiner Haut E-Book

Gabriella Santos de Lima

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Beschreibung

Enjoy Your Flight To Cloud 9 – Destination Love Niemanden zu nah an sich heranlassen, erst recht keinen Mann – das ist Junes oberste Maxime. Der unnahbare Fluglotse Ridge Chapman ist demnach der Letzte, an den sie denken sollte. Er ist gut aussehend, schweigsam, mysteriös, ehemaliger Profiboxer und klassischer Draufgänger. Und verkörpert damit alles, was June unbedingt von sich fernhalten will. Trotzdem ist er der Einzige, der für ihr geheimes Fotoprojekt infrage kommt, denn er schuldet June einen Gefallen. Womit June jedoch nicht gerechnet hat: dass Ridge von ihrer eigenen, bisher verschwiegenen Boxkarriere weiß. Oder dass seine Berührungen sich so unendlich sanft anfühlen. Und dass Junes Herz plötzlich wieder viel zu laut pocht. Dabei ahnt sie nicht, dass auch Ridge mehr als genug gute Gründe hat, niemanden hinter seine dunkle Fassade blicken zu lassen ...   »Niemand schreibt schöner als Gabriella Santos de Lima. Sie haucht jedem Wort Poesie ein und kreiert Sätze, die einen wahren Wirbelsturm an Emotionen auslösen. Meine absolute Lieblings-New-Adult-Reihe und Lieblingsautorin, infini.« @mariesliteratur Ready for takeoff! Diese Liebesromane lassen dich nicht wieder los Heb mit der »Above the Clouds«-Trilogie jetzt Richtung Wolke sieben ab.  Das sagen die LeserInnen zu »Flaming Clouds« (Band 1) und »Endless Skies« (Band 2): »Dieses Buch ist anders, es ist tief und kraftvoll, ein einziger Herzstillstandmoment. Ich habe mich verliebt – in Olivia, in Nick und in Gabriellas Worte. Schon jetzt ein absolutes Jahreshighlight unter den deutschsprachigen New-Adult-Romanen.« Spiegel-Bestsellerautorin Sarah Sprinz »Dieses Buch ist wie ein Lieblingssong – mitreißend und Gänsehaut verleihend. Ein Meisterwerk unter den New-Adult-Romanen!« @bookspumpkin Gabriella Santos de Lima, geboren 1997 in São Paulo, studiert Kreatives Schreiben in Hildesheim und arbeitet nebenberuflich als Flugbegleiterin. Am liebsten schreibt sie mit Aussicht auf pulsierende Innenstädte mit laut aufgedrehter Musik. Die Autorin ist bereits in den Social Media bekannt, auf Instagram postet sie unter @gabriellasantosdelimaa Buchtipps und Neuigkeiten aus ihrem Leben.

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Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Mottozitat

Playlist

Kummerherz

Kapitel 1

June

Kapitel 2

Ridge

Kapitel 3

June

Kapitel 4

June

Kapitel 5

June

Kapitel 6

Ridge

Liebe Leser*innen,

»Shining Stars – Die Sterne auf deiner Haut« enthält Elemente, die triggern können. Deshalb findet ihr am Ende eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese beinhaltet Spoiler für die gesamte Geschichte.

Wir wünschen euch allen das bestmögliche Leseerlebnis.

 

Eure Gabriella und euer Heartbeats by Piper-Team

Für June,

für HEALING,

für meine Mutter,

für Kintsugi-Narben,

für die Frau in der S-Bahn.

Out of the ash

I rise with my red hair

And I eat men like air.

Sylvia Plath

Playlist

Rabbit Heart (Raise It Up) von Florence + The Machine

Prague von Blaenavon

Candles von Daughter

Liability (Reprise) von Lorde

Single von The Neighbourhood

Peacht Pit von Peach Pit

Let Me Follow von Son Lux

King – Acoustic von Years & Years

No Buses von Arctic Monkeys

Romance von Ex:Re

Ready to Start von Arcade Fire

June von Florence + The Machine

Youth & Enjoyment von Razz

Obstacle 1 von Interpol

Right Place von Nathan Ball

Coming Down von Halsey

The Man von Ed Sheeran

Space Bound von Eminem

Marathon von Heartless Bastards

How Many Blankets Are in The World? von Saintseneca

Seaweed von Hockey Dad

Landfill von Daughter

Pictures Of You von The Cure

2021 Barbie Girl von Hannah Grae

Full live performance on KEXP von Bloc Party

Wicked Game von Grace Carter

First Love Never Dies von Soko

Outta My Head von The Egale Rock Gospel Singers

Daydream in Blue von I Monster

Terrible Love von The National

You Don’t Know How Lucky You Are von Keaton Henson

Stay von Astronaut Husband

Prague 99’ von Blaenavon

Rabbit Heart (Raise It Up) – Acoustic von Florence + The Machine

The Healing von Bloc Party

Kummerherz

Ich fürchtete mich vor Notlandungen, davor, meinen Pass in Weltmetropolen zu verlieren und dich zu vergessen. Ich fürchtete mich vor der Fotoleiste über meinem Bett, weil sie mir im Schlaf auf den Kopf krachen könnte. Ich fürchtete mich vor Routineuntersuchungen und hohen Kreditkartenlimits. Ich fürchtete mich vor dem Tod meiner Eltern, amerikanischen Polizisten und Sinner. Ich fürchtete mich davor, dass East in Australien 96-Hours-mäßig gekidnappt werden könnte und ich ihn retten müsste. (Ich meine, ich kann nicht mal ein Cosmopolitan-Kreuzworträtsel auf Nachtschichten lösen.) Ich fürchtete mich tierisch vor Spontananrufern, Katzen und Gehirntumoren. Ich fürchtete mich vor Sex.

Und du, Bex?

Kapitel 1

June

Du wolltest es doch

Ro schwärzte mich an.

Auf diese elegante und unbekümmerte Art, die nur im Airline-Kosmos existierte. Mit seinem abwesenden Lächeln und dem penetranten Armani-Duft, den er selbst nach der Nachtschicht verströmte. Vorbeieilende Kolleginnen begrüßte er sogar, während er tippte. Rhythmisch, einstudiert, kinderleicht. Als wäre nichts dabei. Als würde Ro nicht schreiben: June M. Keegan hat gegen eine Sicherheitsregel verstoßen. Als würde er meinen Job damit nicht an den seidenen Faden hängen.

»Hier. Du kannst es dir durchlesen.«

Ich nahm das iPad entgegen und huschte über das schriftliche Feedback, vorbei an unseren Angestelltennummern und Flugdaten, bis ich auf dem angekreuzten Kästchen verharrte. Ich bitte um ein Gespräch mit dem Teamleader. Schwer schluckend setzte ich meine Unterschrift neben seine, das war ein Muss bei LondAir bezüglich negativer sowie positiver Beurteilungen. Dann reichte ich ihm das Gerät zurück.

»Wirklich sorry«, sagte er.

»Kein Problem.«

»So was gehört einfach zu meinen Aufgaben als Chef.«

»Kein Problem.«

»Diese Art von Gesprächen ist immer unangenehm.«

»Kein Problem.«

Ich war eine Schallplatte mit Sprung.

Ich war eine Flugbegleiterin, die das erste negative Feedback in ihrer Karriere erhielt.

Und ich war ein Mensch voller Risse, die ich hinter gespielt einsichtigem Nicken versteckte.

Dabei hätte ich Ro entgegenschreien können, dass er sich lächerlich machte, weil er Hungry Shark in Schichtpausen spielte. Vor Passagieren. Auf demselben Firmen-iPad, das ich auf dem Schoß gehabt hatte. Doch Worte waren Zeit, die ich nicht besaß. Also verabschiedeten wir uns mit einem Händedruck, während meine Zunge stumm blieb.

Mach schon, mach schon, mach schon, Mann.

Aber klar, er sah mir extra lange in die Augen. Tief und kratzend, ein klassischer Raubkatzenblick hoch tausend. Nächstes Mal kriege ich dich richtig dran, sagte er.

Und dann endlich.

Er ließ los.

Ich zückte das Handy, noch ehe er sich abgewandt hatte. Ro presste die Lippen zusammen, aber es war mir egal. Ich hatte das bescheuerte Feedback unterschrieben, der Airbus war vor dreißig Minuten auf die Landebahn gekracht. Wir hatten Feierabend, und ich klickte die Safari-App an.

Lad schneller, schneller, schneller.

Das Jackett klebte mir am Rücken, der Rock saß zu eng, mein Puls pochte zu heftig. Ich schwitzte, kochte und lief über. Als wäre ich eingesperrt in mir selbst, obwohl ich am liebsten aus mir rausgesprungen wäre, weil …

Nein, nein, nein.

Ich aktualisierte.

Nein, nein, nein.

Noch mal.

NeIn, NeIn, NeIn!

Noch einmal.

NEIN NEIN NEIN.

Zum letzten Mal.

Doch es nützte nichts. Tatsächlich teilte eBay mir mit, dass der aufgerufene Link nicht mehr existiere. Mit einem Kloß im Hals öffnete ich die neu eingegangene Nachricht.

Joey235: Sorry, jemand hat mehr geboten. HEALING ist leider nicht mehr zu haben.

Juneloveslana: Ich zahle das Fünffache.

 

Das FOC, Kurzform für Flight-Operation-Center, Bex, ähnelte New York. Hier stieß man auf Monstergepäckstücke statt auf Wolkenkratzer, sonst war alles identisch. Zwei Orte, die nie schliefen und sich ständig drehten. Die oberste Regel? Nie stehen bleiben. Aber ich blieb stehen, versteinert wie fucking Lady Liberty, bis meine Augen sich feucht anfühlten. Verflucht.

Nicht weinen, nicht weinen, nicht weinen.

Natürlich war es übertrieben, »HEALING« stündlich in die Suchleiste eingetippt zu haben. Es war übertrieben, Handy-Benachrichtigungen zu checken, wenn der Kabinenchef nebenan hockte. Im Flieger auf dem Handy rumzuspielen war ein Todesvergehen. Was ich wusste, was mir egal gewesen war. Außerdem war es auch übertrieben, zu weinen. Aber es war wiederum auch unfair anzunehmen, ich hätte den Fotoband gefunden, und dann zu lesen: »Sorry, HEALING ist nicht mehr zu haben.«

Ich atmete dreimal tief durch, bevor ich mich in Richtung Umkleiden begeben wollte, doch im selben Augenblick vibrierte mein Handy. Und mein Herz stand still. Sehr übertrieben und ganz pathetisch, aber ich dachte trotzdem an Joey235.

Klar war es nicht er.

Lilah: Wo bist du?

Ich: Auf dem Weg! 🙂

 

Wie auf Kommando schweifte mein Blick zur gegenüberliegenden Wand. Dort prangte das Plakat, mit dem jede Etage des FOC seit Wochen zugetackert war. Es leuchtete neonrot, beschriftet mit YOU ARE INVITED: LONDAIR SUMMER PARTY. Weltgelaber, Freigetränke, unfassbar berührende Reden angetrunkener CEOs all-inklusive und im Hangar neunzehn anzutreffen. Ein Muss, ein Jahresritual, ein Gruppenbesäufnis.

Ich schob den Koffer unter Zittern zu den Duschen. Als ich seinen Namen hörte, hatte ich die Waschräume beinahe erreicht.

Ridge Chapman.

»Richtig seltsamer Typ, Mann.«

»Seltsam? Tori, du warst drei Wochen lang mit ihm im Bett. Dein Mitbewohner kann dir nicht mal in die Augen sehen, weil du und Chapman das gesamte Wohnhaus zusammengestöhnt habt.«

»Nein, Sal, du verstehst das nicht. Er …«

Die darauffolgenden Sätze wurden vom FOC verschluckt. Augenrollend öffnete ich die Tür. Ridge, Ridge Chapman, Fluglotse, Frauenheld, der Typ von gegenüber. Wir teilten dieselbe Straße und den Flughafen als Arbeitsplatz. Während ich mich in die eine Kabine quetschte, dachte ich an seinen Rücken. Muskulös, breit, stark, stets aufrecht. Ich schälte mich aus den Uniformschichten, sprang in die Flip-Flops und unter den Strahl. Als ich die Lider schloss, hatte ich Ridges Rückseite immer noch vor Augen. Er im blauen Pullover vor dem Herd, er im rot karierten Hemd auf der Couch.

Wie er sich durch das Apartment bewegte mit seinem speziellen Gang. Behutsam und bestimmt, lauernd und tänzelnd. Wie ein Kämpfer, immer im Ring, immer auf Adrenalin.

Wenn ich ehrlich war, verabscheute ich Ridges Aufreißerruf, die Fick-dich-Welt-Blicke und seine Art, die Lippen in Zeitlupe aufeinanderzupressen. Am allermeisten hasste ich meine Zimmeraussicht, weil ich von meinem Bett aus auf seins starrte. Außerdem war Ridge Chapman ein Mann. Grund genug, ihn nicht zu mögen, und vielleicht war auch das zu übertrieben. Zu klischeehaft, zu gewollt, zu naiv und viel zu einfach.

Du kannst Männer nicht hassen. Du kennst gar nicht alle. Bloß weil du verletzt wurdest, ist diese Abneigung nicht gerechtfertigt. Komm drüber weg und rüber, sieh richtig hin und ihn an, sei offen und sei nett, mach kein Drama und die Tür auf, gib ihm eine Chance und deine Nummer.

 

Großartig. Die Stimmen, na, die hatten mir gerade noch gefehlt.

Wie ich sie hasste, immer so säuselnd und ständig präsent. Asynchron echoten sie in mir nach, während ich mir die Arme rosa schrubbte und versuchte, sie mit einem stärkeren Duschstrahl zu übertönen.

Erfolglos.

*

Eine Viertelstunde später steuerte ich die Party an. Frisch geduscht und neu geschminkt, im Gepäck ein Kilogramm nicht geweinte Tränen wegen eines verfluchten Fotobuchs. Please don’t judge. Auf dem Weg entsperrte ich mein Handy, doch es blinkte nichts auf, kein Vibrieren, kein Joey235. Bis die Benachrichtigung mit Easts Namen mich erreichte. Sicherlich war es seine Lieblingsfrage »Wie läuft’s mit der Liste?«, kombiniert mit exotischen Emojis. Mein Bruder gehörte seit Wochen nämlich der Welt, genauer gesagt, seinem Rucksack, in dem er Busbahnhofssnacks verstaute. Ein letzter eBay-Klick, doch … nichts. Von Weitem registrierte ich mittlerweile die ersten Anzeichen des Sommerfests, Zigarettennebel, Bässe und Silhouetten vor der Eingangstür. Automatisch öffnete ich Instagram, denn beim Klang von fremden Stimmen musste ich beschäftigt wirken. In meinem Hals steckte plötzlich ein Kloß, doch ich sagte mir, bloß eine halbe Stunde. Kurz Hallo sagen, paarmal lächeln, zweimal so tun, als wäre es okay, wenn mich fremde Männer »aus Versehen« begrapschten. Dann würde ich verschwinden.

»Wie, du hast das Bircher Müsli in Berlin noch nie gegessen?«

»WAS? Unsere Spesen sollen schon wieder gekürzt werden?«

»June!«

»Matthew. Matthew Corson. Der Kabinenchef? Als ob du den nicht kennst. Ich schwöre, er ist der Pingeligste von allen. Wenn ich den auf meiner Crewliste sehe, bin ich krank.«

»June Mathilda Keegan!«

Ich hielt inne. Meine Lunge füllte sich mit Marlboro Gold und gelogenem Gelächter, da erkannte ich meine Freundinnen links. Weingläser statt Kippen, lächelnd und winkend, Lilah und Livy. Meine Mitbewohnerinnen. Meine Lieblingsmenschen, die mich fröhlich zu sich heranwinkten. Lilah trug enge Jeans und klobige Boots, ihr Shirt war bedruckt mit On wednesday we smash the patriarchy. Links von ihr leuchtete Livys Haar geschmeidig wie in einer L’Oréal-Werbung.

»Was stimmt nicht?«, fragte Letztere jedoch besorgt, als ich vor ihnen stehen blieb.

»Ähm, nichts?«

»Nichts?« Sie hob die Brauen, das konnte sie im perfekten Winkel. Fast so gut, wie mich zu durchschauen. »Juni, du klingst wie Rose, wenn wir fragen, ob sie ihren aktuellen Boy abgeschossen hat, und sie verneint, obwohl wir ihr Schlussmachgeschrei bis in die Küche gehört haben.«

Ich wollte ihr antworten, und vielleicht hätte ich mich sogar über Ro ausgekotzt, doch ich entdeckte Nick mit Charlie – und brach ab. Livy hingegen unterdrückte einen Seufzer, wobei ihr Blick alles sagte.

Das hier ist nicht vorbei.

Eigentlich war es nie vorbei, Bex.

Keine Sekunde später richteten sich die Saint-James-Brüder also neben uns auf. Zerzauste Locken, dunkle Blicke, genau richtig breite Schultern. Nick und Charlie waren Piloten, Nick auf der Kurzstrecke, Charlie auf den großen Maschinen. Auf dem Boden fanden Nicks Finger immer sofort die von Livy. Sie waren füreinander magnetisch, einfach so. »Keine Ahnung, warum«, gab sie manchmal zu.

»Es ist im Innern so heiß, Leute.« Belustigt schweifte Charlies Blick zu Lilah. »Beinahe Mumbai-Pool-Vibes.«

»Schätze, ich wage mich in den tropischen Dschungel.« Livy deutete auf ihr leeres Glas. »Kommst du mit, June?«

»Klar.«

Sie löste sich aus Nicks Berührung, doch er sah ihr nach. Wie er sie musterte, war so aufrichtig, dass ich immer hastig weglinste. Morgens am Esstisch zum Beispiel, auf unseren legendären WG-Partys. So wie auch jetzt. Liebe, Liebe, Liebe mischte sich unter Deowolken, während ich zur Seite blickte.

Und Ridge Chapman erkannte.

Keine zehn Meter entfernt, von vorn mit seinem verschlossenen Gesicht, mal nicht getrennt durch Wände, Fenster und Fassaden. Manisch erkämpfte er sich den Weg durchs Gewusel, den Kiefer angespannt, als wäre er wütend. Man machte ihm automatisch Platz, er musste nichts sagen oder eine Geste andeuten, bloß da sein mit seiner großen Gestalt. Als würde das immer reichen, wenn man ein Ding zwischen den Beinen baumeln hatte.

»Ist das Chapman, der auf uns zukommt?«, fragte Lilah verwirrt.

Nope, er marschierte auf uns zu. Dabei trug Ridge Jeans und das rot karierte Hemd. Seine Haut war hell, als würde er Sonne in jedem Fall vermeiden, sonst war alles an ihm kantig und dunkel. Als würde man sich immer an ihm aufschneiden. Als könnte man sich nur an ihm verletzen. Sein Haar war schwarz, an den Seiten kürzer und zerzaust. Auf diese gewollt-ungewollte Art, für die man sich routiniert Gel reinschmierte, obwohl man allen weismachen wollte I woke up like this.

Haha, bestimmt.

Ridge war das Klischee eines Aufreißers, perfekt aussehend und abweisend dank seiner unnahbaren Ausstrahlung.

Er hätte Model für Zigarettenreklamen stehen können.

Er hätte von mir aus Werbung für Hipsterjeansjacken machen sollen.

Aber er hätte niemals auf mich zukommen dürfen.

Nienieniemals, hörst du, Bex? Niemals.

Ich war so auf ihn fokussiert, dass ich den anderen Typen nicht bemerkte. Den, der noch schneller auf uns zusteuerte und Charlie die Faust ins Gesicht rammte.

»Was zur Hölle?«, rief er, doch der Fremde schlug weiter, fuchsteufelswild mit Tunnelblick und ziellosen Hieben. Blut quoll hervor und floss hinaus, aus weit entfernten Boxen strömte ein Remix, Charlie und der Fremde sickerten zu Boden.

»Ich hasse Menschen«, murmelte jemand.

Tief, angepisst und eine Spur zu kalt.

Ich drehte mich um und erkannte tatsächlich Ridge, der den Kopf schüttelte und sich anschließend widerwillig auf den Fremden warf.

»Mave, Mann! Hör auf!«

Aber Mave hörte nicht auf, denn Mave schlug aus dem Herzen und war damit unberechenbar.

»Wie konntest du meine Freundin ficken?«, fauchte er.

Ringsum versammelten sich Gäste um die Prügelei, es roch nach Alkohol, Schweiß und metallisch. Unbewusst ballte ich ebenfalls die Fäuste. Ich schätze, es war diese Atmosphäre, dick von Aggression und scheinbarer Nostalgie. Ich hörte Knöchel aufprallen, Menschen kreischen und rufen. Aber ich? Ich blendete alles aus und nahm nur diese drei Wörter wahr, die ich vergessen hatte. Als hätte ich mir kein Versprechen gegeben. Als hätte ich keine Warnung an meiner Fotowand kleben. Nein, Bex, ich blendete die Schlägerei samt Schnaufen und Gezerre aus. Sogar meine Augen schloss ich, ganz dramatisch, als wäre mein innerer Kampf relevant.

Ich presste die Lider so fest zusammen, dass es wehtat.

Dann hörte ich es.

KEEGAN KOMMT MIT MACHT.

KEEGAN. KOMMT. MIT. MACHT.

In mir wurde es schwer, jemand drückte auf mein Herz, schlug und schleuderte. Ich hätte mich von diesem Gefühl gänzlich überfahren lassen, hätte sein Ellbogen mich nicht gestreift. Na ja, »gestreift« war beschönigt, damit wollte ich doch aufhören. Ridges Ellbogen traf mich im Gesicht. Heiß. Hart. Knochig. Und so schwungvoll, dass ich zu Boden taumelte. Ich sah ihn nicht, es war eher wie eine Welle pure Aggression, vermischt mit Gegenlicht und Schatten.

Doch es tat weh.

Es tat SCHEISSweh.

ES TAT SCHEISS SCHEISS WEH.

»Spinnst du, Chapman?«, schrie Livy.

Der Name drang so scharf zu ihm durch, dass er sich umwandte.

Seine Pupillen wurden riesig.

»Fuck, habe ich dich getroffen? Tut mir leid. Lass mal …«

Weiter kam er nicht, denn Mave erwischte ihn genau dann seitlich im Gesicht. Einfach so und aus Versehen, jemand rief »WTFOMeinGott«, aber in meiner Vorstellung hörte ich bloß Ridges flachen Atem.

Ridge Chapman warf mich um, ohne mich umzuwerfen.

Kapitel 2

Ridge

So you’re a tough guy

BOOMBOOMBOOM.

Mein Herz pumpte übertrieben heftig, während seit einer Minute Blut aus meiner Nase explodierte. Ich saß auf kalten Fliesen, legte den Kopf in den Nacken und starrte intensiv auf die Wanduhr. Dabei spürte ich, wie das Papierknäuel in meiner Hand weich wurde.

»Scheiße, Alter.« Mave blies die Wangen auf, die Neonröhren über seinem Kopf flimmerten. Die Belichtung hatte was von einem Schläger-Indie-Streifen, in dem bloß draufgehauen wurde. Punchpunchpunch auf Gesichter, gegen Betonwände und Zäune. »Es tut mir echt leid.«

Ich zuckte die Achseln. Meine Kehle war zu trocken, meine Fäuste schmerzten, ich hatte keinen Bock auf Gesellschaft oder Gespräche. Doch damit gab Mave sich natürlich nicht zufrieden.

»Vergiss es, Chap. Mit diesem Schweigen fangen wir erst gar nicht an. Da komme ich mir immer so vor, als wäre ich sieben und du meine Mum. Sag was. Schrei mich an. Hau mich zurück.«

»Hau mich zurück? Manchmal bist du sieben.«

»Tu nicht so, zwölf allemal.«

Ich wollte mit den Augen rollen, aber selbst Blinzeln tat weh. Fuckingfantastisch.

»Du hast gewonnen. Und du hattest recht. Ist es das, was du hören willst? Ich …« Mave sprach weiter, doch in meinen Ohren begann es zu piepen, als wäre mein Gehirn ein Konzert mit Hipstern auf Lines. »… ich meine, ich liebe Phoebe. So wirklich, weißt du? Niemand hat mich gewarnt. Niemand hat erzählt, dass es so wehtut, wenn die Person, die du willst, dich nicht will. Und einfach den nächstbesten Piloten vögelt. Shit, glaubst du, ich habe Saint James ernsthaft verletzt?«

Hustend richtete ich mich auf, den Blick gerade so aufgeschlagen und auf Mave gerichtet. Sein Bizeps war ultrakrass und auf jedem seiner Instafotos bis zum angespannt. Für seinen penibel gestutzten Dreitagebart fuhr er bis zum Gehtnichtmehr nach Peckham, weil er nur der Friseurin im Me ’Lange Saloon vertraute. Er bevorzugte Spätschichten, stand seit Monaten auf Phoebe Clark und generell auf Weißwein, was er nicht gern zugab.

Er war der einzige Freund, den ich hatte.

Er war der einzige Freund, den ich nie hatte haben wollen.

»Ich habe einfach so rot gesehen, weil ich ständig nur sie sehe, verstehst du?«

Mave drehte mir schulterhebend den Rücken zu, um sich an das nächste Papierknäuel zu machen. Die Tränen in seinen Augen sah ich trotzdem. Glasig und durchsichtig, nur ganz leicht, als wollte er jetzt auf keinen Fall vor mir heulen.

Scheiße.

Hatte ich geahnt, dass ich früher oder später nasenblutend in der Hangartoilette hänge, weil mein bester Freund mich versehentlich k. o. geschlagen hatte? Safe.

Musste ich jetzt etwas sagen? JA.

Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, halt lowkey irgendetwas, das Mave sowieso nicht getröstet hätte, weil er jemanden liebte, der ihn nicht liebte. Schmetterlinge im Bauch (hatte er so gesagt), Hornyness auf einem anderen Level (hatte er so gesagt), maximaler Wahnsinn (hatte ich mir so gedacht) inklusive. Da war nichts zu machen. Aber war schlussendlich eh egal, weil ich nie dazu kam. Denn Maves Handy vibrierte, während ich das Papier von meiner Nase nahm. Dabei linste ich auf die Uhr. Dreieinhalb Minuten.

Kein Blut mehr.

Alles gut.

Bis Mave scharf die Luft einsog.

»Was ist?«, fragte ich.

»Es … Phoebe hat geschrieben. Sie hat gefragt, ob wir reden können.« Seine Pupillen wirkten so groß wie Bitte-bitte-bitte-lass-mich-noch-ein-Eis-haben-Kulleraugen. »Jetzt.«

Paralleluniversum, dachte ich.

Kapitel 3

June

Wieso lächelst du nicht?

»Livy hat ein Foto aus der Notaufnahme geschickt«, sagte ich, ehe ich Lilah das Handy hinhielt.

»Seine Nase ist safe gebrochen, oder?« Der Hausschlüssel klimperte bereits zwischen ihren Fingern, während sie das Foto inspizierte.

Auf Letzterem war Charlies Nase immer noch violett, von Blut verschmiert und wahrscheinlich wirklich gebrochen. Als das Sicherheitspersonal die Prügelei stürmen wollte, hatte sie bereits stillgestanden. Nach Ridges K. o. hatte Mave sich ihm nämlich ruckartig zugewandt. Als hätte er Charlie nicht gerade umbringen wollen. Sicher doch. Es folgten ein erschöpftes Hochhieven von Charlie, das röchelnde Aufstehen von Ridge und drei Killerblicke von Mave. Die Gäste hatten sich bloß beim lauter klingenden Remix umgedreht.

Zwei Stunden und drei Tube-Umstiege später bogen wir endlich in unsere Straße ein, während die Nachtluft sich schwül und dick auf unseren Schultern ausbreitete. Nachdem wir Livy, Nick und Charlie in das Uber bugsierten, hatten wir uns ebenfalls fürs Nachhausefahren entschieden. Niemand war wohl mehr in Partystimmung.

»Und was ist mit dir?« Lilah blickte mir besorgt ins Gesicht. »Auf einer Skala von eins bis zehn, wie weh tut es? Deine Wange? Da, wo Mister Gegenüber dich getroffen hat?«

»Halb so wild«, murmelte ich rau.

»Na, na, vorsichtig. Vergiss nicht, die Wahrsagerin von meiner Mum hat gesagt, dass du auf meiner spirituellen Laufbahn eingezeichnet bist. Dein Schmerz ist auch mein Schmerz, Juni-June.«

Augenrollend verstaute ich mein Handy, musste jedoch gleichzeitig lachen. Dabei hallten unsere Schritte laut in der Swanfield Street wider. Unsere WG lag in Shoreditch, dem selbst ernannten Hipsterviertel Londons. Ich nahm entferntes Bargrölen wahr, vielleicht vom Bar Kick zwei Straßen weiter. Außerdem registrierte ich aus den Augenwinkeln, wie Lilah sich plötzlich selbst umarmte. Sie fokussierte die Fassade unseres Wohnhauses. Ihr Blick war irgendwie viel zu … intensiv. Und außerdem war sie selbst viel zu schweigsam über die Tube-Fahrt hinweg gewesen. Lilah war Sternzeichen Zwilling, laut ihr das dazugehörige stärkste Attribut: kommunikativ.

Ich wollte sie gerade fragen, ob bei ihr alles okay war, bemerkte aber im selben Moment diesen Typen vor unserer Schwelle. Hochgewachsen, schwarze Tinte am linken Oberarm, verbrauchte Sneakers, als wäre das lässig.

»Jonah?«, fragte Lilah unvermittelt. »Was machst du denn hier?«

»Hey, Darling.«

Jonah trat ins Straßenlaternenlicht, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu hauchen. Er war gut aussehend wie Hauptdarsteller in Independent-Filmen. Anders, anziehend, aufregend. Ganz eigentlich war er der Sänger seiner Band Sodalite Blue und roch nach Songchartstürmer, wenn er die Lederjacke trug.

»Du hast auf WhatsApp nicht gut geklungen. Ich war eh im Bar Kick und dachte, ich schaue, ob wirklich alles okay ist. Ich kann auch gleich wieder abhauen.«

Er hob die Hände. Jonah Leonard Lowell, der Vorzeigefreund, der unbedingt alles richtig machen wollte. Doch Lilahs Blick huschte fast … schuldig zu mir.

»Scheiße, Jonah, du hast mich so erschreckt«, lachte ich, um die Stimmung aufzulockern, weil der Freund meiner besten Freundin das beste männliche Wesen überhaupt war und ich nicht wollte, dass sie ihn meinetwegen wegschickte. Also kramte ich hastig nach meinem Schlüssel und steckte ihn ins Schloss. Lilahs Blick bohrte sich dabei in meinen Rücken, doch ich zog die Tür auf, und sie traten ein.

Fünf Minuten später hockten wir in unserer Küche, wo Lilah beiläufig von Charlie erzählte. Mein Blick war dabei wie hypnotisiert auf die gegenüberliegende Fassade gerichtet. Genau dann blitzte Licht auf. Zweite Etage, zweites Fenster von links. Ridge schlich durch sein Wohnzimmer.

»Willst du auch?« Lilah hielt mir die Packung Salzstangen entgegen.

»Ich glaube, ich sollte schlafen.« Ich täuschte ein Gähnen vor. »Aber danke.«

»Bist du sicher?« Es klang zu besorgt für eine normale Frage, doch ich bemühte mich um ein Grinsen.

»Ganz sicher. Lass uns morgen einfach über meinen Horrorflug reden, von dem ich dir noch erzählen muss.«

Besser gesagt: Horror-Nachgespräch.

Lilah runzelte die Stirn, und ich war mir sicher, auf ihrer Zunge lagen schwere Argumente, doch ich erhob mich schnell und murmelte ein »Nacht«, obwohl ich wusste, dass sie mir nachblickte. Im Flur schimmerte mein Jumpsuit, den ich gegen PJs tauschen würde. Aber statt auf meinen Kleiderschrank zuzusteuern, tappte ich so nah ans Fenster, dass meine Nasenspitze die Scheibe berührte. Ich wusste nicht, wieso. Nur dass das Licht gegenüber wieder erloschen war und vom Flur knirschende Schritte im Gleichtakt ertönten. Der Musiker und meine Freundin, ein Traumpaar. Dann Lilahs sich schließende Tür. Hätte ich mich eine Sekunde früher umgedreht, hätte ich ihn nicht bemerkt. Aber ich sah ihn. Ich sah ihn immer, obwohl ich nicht wollte, weil ich das konnte, das Sehen, das Schauen, dieses Stehlen mit den Augen. Ich konnte es so gut, Bex.

In einem nun blau karierten Hemd torkelte Ridge Chapman gerade ernsthaft die Straße entlang. Nach der Prügelei. Nach seinem K. o.

Es geht mich nichts an, sagte ich mir.

Den Erzählungen nach war Ridge ein Arschloch.

Ridge machte mir Angst.

Und Ridge konnte mich eigentlich mal.

Aber er könnte eine Gehirnerschütterung haben. Aber er könnte ernsthaft verletzt sein. Aber er könnte ohnmächtig werden, sich erbrechen, verschlucken und sterben.

ABER es geht mich nichts an!

Doch es nützte nichts, denn ich verließ das Zimmer, schlüpfte zähneknirschend in die Birkenstocks und betrat das Treppenhaus. Etage für Etage sprintete ich nach unten, die Hausschlüssel klirrend zwischen den Fingern. In Wahrheit hätte ich nicht mal rennen müssen. Unten angekommen, hatte er sich nämlich höchstens drei Meter von der Stelle bewegt.

»Hey!«, rief ich.

So begann es also. Ridge wandte sich auf den gegenüberliegenden Pflastersteinen nach mir um. Wir atmeten dieselbe Sommernacht ein. Und tausend Fragezeichen aus. Selbst aus der Entfernung erkannte ich, wie sein Kiefer mahlte. Stille in der Länge einer mickrigen Ewigkeit. Dann seine Stimme.

»Red? Was zur Hölle machst du hier?«

Kapitel 4

June

Du fährst doch drauf ab, wenn ich so bin

Er roch dreckig.

Nach Blut und Schlägerei und blauen Fingerknöcheln. Nach »Warum zur Hölle stehst du vor mir, Red?«.

Mit gerunzelter Stirn trat ich dichter heran. »Red?«

»Deine Haare.«

»Ich bin blond.«

»Sieht aus wie rot.«

»Eigentlich heißt es erdbeerblond.«

»Tomato, tomato. Ist unsere Friseurstunde dann beendet?«

Ridges Atmung ging beunruhigend. Röchelnd, schnell, zu flach. Die sich hebende Brust, die Schwellungen um die Wangen. Er sah aus wie ein Verlierer in der zehnten Runde. Rausgeschmissen durch die Seile, ausgelacht von allen Seiten.

»Du musst untersucht werden«, begann ich zögerlich. »Ich bin mir zu achtzig Prozent sicher, dass du eine Gehirnerschütterung hast. Und bei deiner Atmung will ich allein vom Zuhören blau anlaufen.«

»Nicht lieber erdbeerblond?«

Ich blinzelte. Weit entfernt heulte ein Motor auf, während seine Stimme in der Straße widerhallte. Sie war rau, kalt und kratzig wie Winterwellen am nördlichsten Punkt von Großbritannien. Ein Arschlochmensch mit Nebelwörtern also. Goals, Bex.

»Bist du immer so scheiße?«, fragte ich trocken.

»Nur am Wochenende.«

Er ging weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. Ich musterte seinen Rücken, die Hände zum zweiten Mal an diesem Abend zu Fäusten geballt. Ich hasste Ridge. Und Männer. Hass, Hass, Hass. Ein vergiftetes Herz voll davon. Du hattest keine Ahnung, wie sehr und wieso, auch wenn du es dir vorstellen konntest, weil Frauen ständig beschuldigt wurden. Als Hure, die Schuldige, Miss-sie-wurde-vergewaltigt und nicht Miss-er-hat-sie-vergewaltigt. Nur passiv, immer nur passiv. Was ich noch hasste? Mein tiefes Durchatmen. Das Lösen der Fäuste. Mein automatisches Kleinmachen, als ich ihm dann folgte.

War so offensichtlich, dass du ihm doch folgst, aber klar, du hasst alle Männer, Miss Passiv. Wieso versuchst du es nicht gleich damit, die Welt zu überzeugen, dass du garantiert nur auf Blümchensex stehst? Ist einfach nur klaaaar, Juni-June.

 

»Ich kann das einfach nicht verantworten«, sagte ich leise.

Er dachte, es wäre nichts, zwei Stunden später lag er in der Notaufnahme. Ich wünschte, ich hätte nicht so schnell lockergelassen. Ich wünschte, ich hätte es besser gemacht.

Mein Gedächtnis war leider eine Jukebox, die aus Umkleidegesprächsfetzen bestand. Wieso gab es keine anderen Tracks, so was wie So werden Sie die verurteilenden Stimmen in Ihrem Kopf los zum Beispiel?

»Lass mich raten«, murrte er. »Derjenige, der dir das Boxen beigebracht hat, hat dir auch eingetrichtert, dass man selbst dem größten Mistkerl beim Aufstehen hilft, hm?«

»Was?«

»Du und deine Freundin wart eine Woche lang Gesprächsthema bei uns im Club. Deine Anweisungen sollen heftig gut gewesen sein.« Er hob die linke Braue. Bloß eine. Minimale Anstrengung, maximaler Effekt. »Du warst doch mit ihr am Sandsack?«

Kein Drumherumreden, direkt die Faust. Falls Ridge selbst im Ring stand, gewann er Kämpfe durch k. o. Nur ein Blick, leise und aggressiv, drei Atemzüge, kurz und antizipierend, dann Punch. Dann Sieg. Das wusste ich einfach.

Ich presste die Lippen aufeinander, weil die Frage unnötig war. Er hatte mitbekommen, dass Lilah und ich das Studio besucht hatten. Wir sind ihm beim Rausgehen sogar begegnet, während er uns angepisst abgescannt hatte, ganz à la Mister unnahbar Gegenüber.

»Ich hatte eine Trainerin. Keinen Trainer. Und stell dir vor, sie hat mir tatsächlich eingetrichtert, dass ich nicht um ein Uhr nachts mit einer Gehirnerschütterung durch die Gegend torkeln soll.«

Ridge schwieg.

»Du arbeitest im Club, oder?«

Auf meine Frage zuckte er die Achseln, doch er musste dazu nichts sagen. Ich hatte sein Bild angeschaut, auf dem er in einem schwarzen Shirt mit aufgedrucktem Clublogo zu sehen war, darunter ein fettes »Trainer«.

»Das nehme ich dann mal als Ja. Ich brauche dir garantiert nicht zu erklären, dass man Verletzungen ernst nimmt. Was ist so wichtig, dass dir das egal ist?«

»Ich muss halt wen abholen, okay? Du kannst also aufhören, meine Babysitterin zu spielen, und nach Hause gehen. Vielleicht ziehst du dir ja diesen flauschigen Sternenpulli an. Von Weitem sieht der echt bequem aus. Was steht eigentlich drauf? But without the dark we’d never see the stars?«

Mit todernster Miene Witze reißen, abkratzend weiterlaufen, nicht mal das Gesicht verziehen. Hey, Ridge. Das zehnte Kopfschütteln unterdrücken, kein Blick zur Seite wagen und nicht mal wissen, wieso. Hey, ich.

»Ähm, hast du mich nicht verstanden?«

Ähm, wo hast du dein Scheißesein erlernt?

»Leider schon, don’t worry. Aber du könntest jeden Moment umkippen.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Also, wen holen wir ab? Einen deiner One-Night-Stands?«

»Nein, jeden.«

»Haha.«

»Ich lache nicht.«

»Kannst du überhaupt lachen?«

»Nur mittwochs.«

Mittlerweile schlurften wir an der Brick Lane entlang. Vor Flashback Records holte er hörbar Luft und versuchte angestrengt, keine Fratze zu ziehen. Er scheiterte, doch selbst die sah gut aus. Er hätte einen Actionheld unter höllischen Schmerzen darstellen können, leider Blockbuster-like. An der Bushaltestelle herrschte rege Nachtschwärmerei. Verlassene Glasflaschen sammelten sich neben lauter Freundesgruppen, die »Hallo, hallo, hallo, wo bist du?« in ihre Handys hallten. Ich begutachtete unsere Silhouetten in der Schaufensterscheibe. Ridge und ich, nicht mehr als zwei schmale Schatten, selbst er. Dicht neben seinem Arm prangte das Cover meines Lieblingsalbums. Born to die, Queen Lana Del Rey, Summertime Sadness, mein liebster Track.

I think I’ll miss you forever.

»Es hat sehr wehgetan, oder?«

Kurz wusste ich nicht, wovon er sprach, aber da pochte meine Wange wie auf Kommando. Ich fuhr mir über das Jochbein und hielt den Blick auf sein geschwollenes Gesicht gerichtet. Drei große grüne Flecke. Ridge, der Typ mit der geschundenen Haut und dem tropischen Blick. Es war Einbildung, als ich dachte, er folgte meinen Fingerspitzen. Seine Wimpern und meine Knöchel, meine Nägel und seine Augen. Es war Einbildung, weil Ridge torkelte, als sei er betrunken. Es MUSSTE Einbildung sein, weil es sonst später, Wochen später, dann, wenn ich es nicht wollte und irgendwie doch wollte, Wunschvorstellung würde. Sein Blick auf meinen Lippen. Sein Blick auf meinen Gedanken. Sein Blick überall.

»Tut mir wirklich leid.«

»Geht schon«, murmelte ich und nickte nach vorn, doch kurz darauf blieb er in der Weston Street stehen. Erschöpft stützte er sich dort an einer Lokalfassade ab. Der Name Dirty Devils leuchtete in LED-Buchstaben auf, wobei Ridges Lider flatterten.

»Ich muss da rein«, sagte er, als ich dachte, er würde sich übergeben.

Kapitel 5

June

Warum bist du so nackt?

Ridge wollte rein, ich wollte raus. So ganz allgemein. Doch niemand von uns bekam, was er sich wünschte, denn er musterte den Türsteher und fluchte ein »Fuck«, ehe seine Augen auf mir landeten. Ringsum taumelten Menschen mit Cocktails-to-go in den Händen vorbei, verschmierte Wimperntusche und euphorisches Gebrüll inklusive. Eine Straße voller Ablenkung, aber ich registrierte nur Ridge mit seinen blassgrünen Verletzungen.

Nein, Sal, du verstehst nicht …

Ich wohnte seit Monaten gegenüber von ihm, hatte nun eine Viertelstunde mit ihm verbracht und verstand tatsächlich nichts an ihm. Ich meine, ich checkte nicht mal seine Art, etwas anzusehen. Still schauen, schauen, schauen, bis man selbst wegschauen musste.

So wie ich jetzt.

»Stirbst du gerade an deinen inneren Verletzungen?« Ich richtete mich hastig auf. »Oder hast du bloß Stress mit dem Türsteher?«

»Weder noch.« Seufzend pfriemelte er sein Handy hervor, sodass das Display ihm grell ins Gesicht schien. Dabei warfen seine Wimpern Schatten auf seine Züge. Lang. Die Schatten, die Wimpern, die Finger, die anschließend über die Oberfläche scrollten. »Meine Schwester.« Hustend hielt er mir den Bildschirm hin, dann huschte sein Blick zum Türsteher. »Kannst du, na ja …«

»Also Stress?«

»Meinungsverschiedenheit«, verbesserte er. »Diane ist sechzehn, was heißt, dass sie sie gar nicht reinlassen dürfen. Aber interessiert die ja nicht. Sie hat das vor einer halben Stunde gepostet. Könntest du vielleicht nach ihr sehen?«

Ich inspizierte das Selfie. Ein Mädchen, offenbar sechzehn, so offensichtlich möchtegernerwachsen. Sie trug Spacebuns, lilaschwarze Lippen und neonpinke BH-Träger zu einem ärmellosen Top. Ihr Gesichtsausdruck ähnelte dem von Ridge, ein bisschen Fick-dich, doch anders. Provokanter, herausfordernd, weniger ernst gemeint.

Cherrycoke:Bathroom-Blues, listening to Billie while thinking of him …

 

»Sie bezeichnet sich als E-Girl. Was auch immer das sein soll.«

In Ridges Miene veränderte sich nichts, und ich lernte, dass man nach unten blicken musste, wenn man ihn verstehen wollte. Auf den springenden Kehlkopf, die tippelnden Füße. Kleinigkeiten, Details, hinschauen, hörst du, Bex? Hinschauen.

»Was genau soll ich tun?«

»Du machst es?«

»Deine Teenager-Schwester ist offensichtlich bekifft, und du bist offensichtlich besorgt. Ja, ich mache es.«

»Danke.« Fast klang seine Stimme rauer. Aber wirklich nur fast. »Sie hängt wahrscheinlich immer noch auf diesem Klo ab. Ist irgendwie ihre Routine, wenn sie mit diesem Freund von ihr chillt. Könntest du sie rausbitten?«

»Klar, ich … warte mal.« Ich tastete den Jumpsuit ab. Scheiße. »Ich habe keinen Ausweis dabei.«

»Safe kein Problem. Ich meine, selbst meine immer noch minderjährige Schwester kommt einfach rein.«

Eine winzige Sekunde lang sah er mich an. Von meinen Augen nach unten, zur Nase, den Wangen, den Lippen, dem Hals, dem Kinn, dann plötzlich stopp. Ridge betrachtete mich, wie er ging. Bestimmt und behutsam, das Adrenalin überließ er mir. Aber ich riss mich zusammen, schüttelte es ab und mich auf.

Ciao, Ridge.

Ciao, Actionherzschlag.

Na ja, ihm nickte ich zu. Und er erwiderte nichts. Dennoch war da sein Blick in meinem Rücken. Spürbar. Unbestreitbar. So seltsam.

Ich drehte mich nicht um.

»Viel Spaß«, sagte der Türsteher.

Keine Fragen, kein Ausweis, kein Eintritt. Nur pumpende Bässe, schwitzige Haut an schwitziger Haut und Rihannas Only Girl. Ich huschte an rissigen Sitzbänken und leeren Bierkrügen vorbei, ehe ich die Waschräume erreichte. Ich fragte mich, was ich tun würde, falls Diane nicht hier war. Völlig unbegründet, denn als ich die gelblichen Fliesen betrat, sprang sie mir sofort ins Auge. Selfie schießend stand sie vor einem runden Spiegel.

»Diane?«

»Ja?« Sie brach das Shooting ab, klang aber angepisst wie Schülerinnen auf Raucherbrücken. »Äh, wir kennen uns?«

»Nein, nicht direkt. Ich bin wegen deinem Bruder hier.«

»Welcher?«

»Ähm, Ridge?«

»Ähm, Ridge?«

»Er, also Ridge, er wartet draußen auf dich. Er hat deinen Post gesehen und macht sich Sorgen.«

»Ridge, der Gute, immer so angespannt. Der muss mal chillen.«

Ich strich mir eine Strähne hinters Ohr, wobei ich sie musterte. Diane war schön und edgy und traurig. Unterhalb ihres Tops schimmerte ein knallenger Lederrock mit ihren kirschroten Nägeln um die Wette. Das schwarze Haar, die Dschungelaugen. Sie war so unverkennbar Ridges Schwester. Vielleicht war sie sogar die Art von Teenager mit kryptischem Tumblr-Profil und einem überquellenden Postfach auf Insta. U r so pretty, can we meet, I wanna lick you, do you like my dick, #cherrycokesadgirl.

»Na schön«, sagte sie theatralisch, weil ich nichts sagte. »Hayden ist sowieso vor ’ner Stunde abgehauen. Tun wir mal so, als wäre ich müde und hätte Bock, mir ’ne Standpauke von Mummy Ridge zu geben.«

Unter Zischen drehte sie den Wasserhahn auf und wusch sich die Hände. Dann kam sie auf mich zu, während sie den Geruch ihres Parfums verströmte. Alien. Ein halber Flakon. Mindestens.

»Übrigens, süße Birkenstocks.«

Ich blickte mir auf die Füße und erkannte meine eigene Lackfarbe. Infinite Summer von ESSIE.

»Danke«, sagte ich, als hätte sie es nicht ironisch gemeint. »Ihr seid also viele Geschwister?«

»Nee. Bloß der angespannte Ridge und ich.«

Wir ließen den Kondomautomat hinter uns, als ich die Stirn runzelte.

Im Hauptsaal wurde Diane anzüglich hinterhergegrölt, Fremde riefen ihren Namen, woraufhin sie kicherte. Zwei Minuten später traten wir nach draußen. Kühle Luft, Freiheit, endlich. Mein Blick fiel blitzartig auf Ridge, der die Augen geschlossen hatte. Ich bemerkte ihn, ohne dass er mich bemerkte. Er war ein Stillstand von einem Menschen, ein bisschen drohender Septemberregen neben Sandalen und hervorblitzenden Bikinis. Als wir auf ihn zugingen, musste ich schlucken. Keinen Schimmer, warum.

»Holy Wodka Lemon, sieht Ridge beschissen aus.«

Bei Dianes Stimme schlug er instinktiv den Blick auf, stieß sich von der Fassade ab und schien plötzlich hellwach.

»Seit wann prügelst du dich wieder, Chap-Champ?«, fragte sie ihn.

»Seit wann hast du wieder Liebeskummer?«

»Schlechtes Thema.«

Diane seufzte, während Ridge mir knapp zunickte. Als wäre das eine Art Danke, oder was?

»Ich hoffe, dass du meine Lieblingssmileys im Tiefkühlfach hast«, sagte sie, doch da war Ridge schon in Bewegung. Kopfschüttelnd wandte sie sich an mich. »Verstehst du, was ich meine? Ich meine, allein sein Nacken. Der ist SO angespannt. Ridge ist eine Stromleitung. Auf Millioooonen Volt eingestellt. Ich schwöre, das muss wehtun.«

Mein Mund öffnete sich. Und schloss sich. Denn Diane folgte ihrem Bruder ebenfalls wortlos, als hätte sie das von ihm gelernt, das Bombenzünden, dann das Stehenlassen. Mit pochenden Schläfen trat ich nach vorn und war mir sicher, dass Chapman ein Synonym für »seltsam« war. Seltsam wie die Stille, die dann folgte, während wir in die Swanfield Street schlurften, vorbei an der Partymenge und überfüllten Bushaltestellen. Wenn ich dachte, Ridge würde sich erneut abstützen, tat er es nicht. Genau genommen tat er nichts. Nur laufen und heimlich leiden, vor allem an roten Ampeln, bei denen er nie haltmachte, als wäre das einfach keine Option. Beinahe fühlte ich mich wie in einem Arthouse-Film. Wie ich die Schwester meines Arschlochnachbarn beim Selfieschießen erwischte. Ich könnte Joey235 die Rechte als cherry on top anbieten, vielleicht antwortete er mir ja darauf.

In der Swanfield Street wurde es dann noch seltsamer. Diane tappte zielsicher auf Ridges Haustür zu, er hingegen verharrte. Auf meiner verfluchten Seite.

»Ich will zwei ganze Packungen von den Smileys. Wehe, du hast nicht die guten da. Die Noname. Und alle Soßen, weil … Ridge?« Diane wandte sich auf der Stufe um. »Kommst du?«

»Sofort. Geh schon mal nach oben.«

Achselzuckend stieß sie die Haustür auf. Als wäre sie immer geöffnet. Und dann, Bex, dann wollte ich ein bisschen sterben. Mit einem tiefen Luftholen nagelte Ridge mich nämlich mit seinem Blick fest. Im Straßenlaternenlicht bemerkte ich, dass seine Augen grün waren. Wie Regenwälder. Ein Lebensraum, der sich minimierte, je länger wir existierten, weil wir ihn platt drückten, wegjagten und dann auswrangen.

»Du …« Sein Kehlkopf hüpfte. »Du hast was gut bei mir.«

Seine Stimme durchschnitt die Nacht, seine Stimme durchschnitt mich. Sie würde sich festsetzen, dort, wo alles Dunkle, Tiefe und Heimliche sich in mir vor mir versteckte. Ich wollte abwinken, kein Problem sagen, immer wieder, immer gern, weil ich doch nie lernte. Aber da hatte er sich schon umgedreht.

Surprise.

Während ich die Treppen nach oben stieg, hallten seine Worte weiter in der Straße. In meiner Vorstellung ließ ich sie dort liegen, damit die Müllabfuhr sie mitnahm.

Ich schwöre, ich wollte sie nicht behalten.

Aber Ridge gleich beim Zusammenbrechen beobachten hatte ich auch nie gewollt.

Kapitel 6

Ridge

Why so scared of romance?

Diane beanspruchte die Decke für sich allein.

Wir lagen nebeneinander in meinem Bett, während die Nachttischlampe flimmerte. Sobald ich die Augen schloss, drehte sich mein Gehirn. Ich schwöre, dass es sich drehte, Salti schlug und mir in meinem eigenen Kopf schwindelig wurde. Also ließ ich die Augen offen und wartete darauf, dass Diane etwas sagte, weil sie betrunken immer ultraredelustig war. Dabei meinte sie eigentlich, dass das mit dem Warten und mir nicht ginge, weil ich nur lauerte. Als Kind hatte sie ständig Bilder gemalt, auf denen sie mich als Nilpferd mit Leopardenkörper skizziert hatte. In ihrem Buch Hör mal: Wilde Tiere hatte sie nämlich erfahren, dass Nilpferde für den Menschen extremst gefährlich waren.

Wie du, hatte sie gesagt, aber ich will dich nicht fett malen, deshalb hast du einen Katzenkörper.

Zehn Jahre später lag sie halb zugedröhnt neben mir und leckte sich Süßsauersoße von den Fingern. Dann griff sie ganz gechillt nach ihrem iPhone. Sie checkte Likes und ihr Postfach, was Trillionen von ungeöffneten Nachrichten anzeigte. Alles nur Jungs, die vor Spiegeln mit aufgesetzter Kapuze posierten. Milogr_99, Ashermiller0204, Phineas.0909.

»Sehr kreative Usernames«, murmelte ich, weil ich die Stille nicht mehr aushielt.

»Sagte derjenige, der in seinem Handy Personen inklusive Orte einspeichert.« Diane rollte mit den Augen.

»Ist dieser Freund von dir eigentlich auch in deinen Chats?«

»Er heißt Hayden.«

»Hab’s nicht vergessen.«

»Sicher? Denn er ist gar nicht mein Freund. Wir chillen einfach.« Räuspernd wechselte sie das Thema. »Hat Mave dir eigentlich geschrieben?«

Sehr elegant, Schwesterherz.

»Keine Ahnung. Mein Akku ist leer.«

»Schon assi von ihm, sich einfach verpisst zu haben.«

»Ich hab gesagt, dass es okay ist.«

»Ich hätte dich nicht gelassen. Einfach krass, dass er so verliebt ist.« Sie verließ Instagram, öffnete Spotify und klickte einen Song an, der in voller Lautstärke aus ihrem Handy dröhnte. Another Love. Ich blickte sie verwirrt an. »Ist totenstill hier«, erklärte sie.

Meine Atmung röchelte, nebenan brummte der Kühlschrank, sie kaute geräuschvoll an ihren Nägeln, aber es war so leise hier. Ah ja. Anschließend sah sie plötzlich nach draußen. Durch diesen Schlitz über den Jalousien erkannten wir beide, dass in der WG-Küche nebenan Licht brannte.

»Birkenstocks Wohnung da vorne?«

»Jepp.«

»Wie heißt sie eigentlich?«

»Glaub June«, log ich.

Ihr Name war June. Das wusste ich seit unserer ersten Begegnung vor knapp zwei Jahren. An dem Tag hatte sie in Leggings, ihrem seltsamen Sternenpullover und schwarzen Birkenstocks Like Nuggets auf das Kassenband gelegt. Der Angestellte kannte ihren Namen und textete sie zu, anscheinend war das ihr Ding, denn er sagte: »Juni-June, was willst du mit einer Packung Veggie-Nuggets?«, während sie bloß gelächelt hatte. Ich hatte sie angestarrt, sie hatte mich nicht mal bemerkt. Das war’s, mehr war nicht passiert, vielleicht eine Zwanzig-Sekunden-Erinnerung. Doch irgendwo zwischen Kaugummis und ihrem Gähnen hatte mein Körper beschlossen, sie zu mögen. Ich würde nie mit diesem Pseudoscheiß anfangen und sagen: uuuuuuh, bei ihrem Anblick durchzuckte mich Verlangen. Verlangen, Alter, nein. Generell einfach nein. Aber … keine Ahnung, mein Herz hatte halt gepocht. So war das mit June.

»Warte, du lässt dich von ihr durch Shoreditch taxieren, weil du ohne sie abgekratzt wärst, und weißt nicht mal wirklich, wie sie heißt? Du bist so ein Gentleman. Was hast du ihr eigentlich bei eurem geheimen Vieraugengespräch gesagt?«

»Nichts.«

»Und ein schlechter Lügner bist du noch dazu.«

»Ich bin ein großartiger Lügner. Du kennst mich nur einfach dein ganzes Leben lang.«

»Du lenkst ab. Dein Kehlkopf hüpft.« Sie wackelte mit den Brauen. »Das, worüber ihr geredet habt, muss ziemlich gut sein.«

»Übertreibt nicht. Ich …« Ich schloss die Augen, Schwärze und Schwindel. »Ich hab ihr bloß gesagt, dass ich ihr was schuldig bin.«

Die Lider hatte ich aus einem ganz bestimmten Grund weiter geschlossen. Ich wollte Dianes Gesichtsausdruck nicht sehen. Ich wollte genau genommen nichts sehen. Wenn meine Schwester sich keinen Wodka reingeschüttet hätte, wäre unser Gespräch an dieser Stelle beendet gewesen. Aber Diane hatte ja die größte Fahne ever und Bock auf drunk-deepe Gespräche.

»So wie du Anna was schuldig warst?«

Mir gefiel nicht, dass sie leise redete und die Frage tief in mich einsickerte. Wort für Wort für Wort. Mit einem Mal wurde mir so schlecht, dass ich aus dem Bett sprang und es gerade so ins Badezimmer schaffte. Ich kotzte Blut, als sie im Türrahmen stehen blieb. Mein Blick war aufgeschlagen, doch alles ringsum wirkte verschwommen. Fliesen, Badematte, Duschgeltuben. Diane hockte sich neben mich und strich mir über die Schultern.

»Ich denke oft an sie, weißt du?«, flüsterte sie, während ihre beschissene Deprimusik im Schlafzimmer weiterspielte.

On another love, on another love, on another love.

Ich stützte mich am Klodeckel ab und sah meiner Schwester direkt ins Gesicht.

BOOMBOOMBOOM.

Kapitel 7

June

Du hättest halt nicht so viel trinken dürfen

»Hast du eine Ahnung, was für Sorgen ich mir gemacht habe?« Lilah blickte mich mit riesigen Universumsaugen an. Wir hockten in der Küche, weil ihr panisches »JUNE?« mir entgegengedröhnt war, noch bevor die Tür überhaupt ins Schloss gefallen war. Sie hatte Jonah weggeschickt, bei mir angeklopft, mich nicht gefunden, Nachrichten geschrieben und keine Antwort erhalten. »Ich habe erst auf eine Mitternachtsjoggingrunde getippt, aber deine Nikes standen im Flur!«

»Es war einfach alles sehr spontan«, murmelte ich und rutschte auf dem Stuhl herum, bevor ich versuchte, die Sache mit Ridge, Dirty Devils und Diane zusammenzufassen. Dabei machte ich wilde Handbewegungen und redete zu schnell, doch Lilah nickte und fühlte sich fast schuldig, als ich von seinem dreimaligen Fast-Übergeben erzählte. »Ich konnte ihn einfach nicht alleinlassen.«

»Mister Gegenüber kann so froh sein, dass du da warst. Aber mach das nienie wieder, okay? Stürm nie wieder um Mitternacht allein und ohne Handy raus.«

»Ja, ja, natürlich. Tut mir leid. Wirklich.«

»Gut. Und …« Sie lächelte. »Willst du mir jetzt erzählen, was vor der Party passiert ist? Beziehungsweise von deinem Horrorflug?«

Es war nach zwei am Morgen. Lilah trug Slip und Shirt, ich mein nacktes Gesicht. Die WG war still und dunkel. Es gab kein Entkommen. »Der Kabinenchef hat mir im FOC ein negatives Feedback geschrieben«, begann ich erschöpft. »Ich hatte mein Handy angemacht, um was zu checken. Da waren wir noch am Rollen. Ich war für keine Tür verantwortlich, aber es war falsch. Ich meine, ich saß angeschnallt auf dem Jumpseat.«

»Was musstest du nachschauen?«

»Du kennst doch die Fotografin, die ich so mag?«

»Bexley?«

»Ja. Es gibt da so einen Fotoband, für den ich auf eBay geboten habe. Ich wollte wissen, ob ich erhöhen muss. Aber da war es schon weg.«

Weg, weg, weg.

Scheiße, scheiße, scheiße.

Schreib, schreib, schreib mir, Joey235.

»Ganz ehrlich? Ro ist so ein oberscheinheiliger Idiot. Ohne Spaß, bei meinem letzten Flug war er die ganze Zeit selbst am Handy und hat Hungry Shark gespielt!« Lilah trichterte mir ein, dass nichts passieren würde, immerhin hätte ich zig positive Feedbacks, weil ich doch die beste Flugbegleiterin von uns allen sei. Leise, leistungsfähig und leuchtend mit den perfekt roten Lippen. »Dein Teamleader liebt dich. Es wird alles gut.«

Ich fuhr mir übers Gesicht, wobei mein Blick ratlos durch den Raum schweifte. Keine Ahnung, wonach ich Ausschau hielt. Vielleicht nach einer Antwort, einer Lösung, immer noch verzweifelt nach HEALING. Wahrscheinlich nach allem, nur nicht nach diesem Joghurtglas, das neben unserer Obstschale thronte. Von innen war es ausgewaschen, außen war das Etikett verblasst. Der Happy-Coco-Aufdruck war fast nicht mehr lesbar.

Ich stutzte. »Sind das unsere Einzugszettelchen?«

»Einzugszettelchen? Ich bitte dich. Ich habe sie auf Happy-Coco-Zettelchen getauft. Hab sie vorhin in der Vorratskammer gefunden. Ich war auf der Suche nach Kichererbsen, aber habe nur unsere pathetischen Wunschnotizen wiedergefunden. Ich glaube, ich habe sogar Australien draufgeschrieben.« Lilah schnappte sich das Glas, zückte mit geschlossenen Augen einen Zettel hervor und schob ihn anschließend in die Mitte.

Die with memories, not dreams.

Unverkennbar meine Schrift. Drei Gedanken lang starrte ich die schmierigen Buchstaben an. Ich erinnerte mich zurück, wie wir hier gesessen hatten, in dieser Küche mit noch ungestrichenen Wänden. Frisch gebackene Erwachsene, die Ich-habe-meinen-Abschluss-gemacht-und-bin-jetzt-frei-Sätze hingekritzelt hatten. Später wurde mir klar, dass meine Freundinnen eine Bucket List kreiert hatten. Die Welt sehen, in jedem Ozean schwimmen, Lollapalooza in Chicago besuchen, so was halt. Und ich? Tja, ich hatte Pinterest-Sprüche aufgeschrieben. Als naive Nachrichten an mich selbst.

»Lass uns Tee trinken.«

Lilah stand auf, um Wasser zu kochen. Als wir unter Kamillendampf weitere Zettelchen auseinanderfalteten, war es nach zwei. Sie hatte »Bondi Beach« geschrieben, Livy »Iguazú-Wasserfälle«. Meine Zettelchen sagten »I will turn this anger into something beautiful«, »Fall down seven times, get up eight« und »Go on, burn a while«. Immer noch zu pseudomäßig, aber Lilah lächelte und griff immer nach der nächsten Botschaft. Bevor wir gegen drei schlafen gingen, zog sie mich in eine Umarmung. Lilah war so groß wie ich, wir teilten dieselbe Schuhgröße und liehen uns Kleider.

Ich fühlte mich winzig in ihren Armen.

In meinem Zimmer tauschte ich den Overall diesmal tatsächlich gegen ein übergroßes Shirt. Ich schmiss den Jumpsuit in den Wäschekorb und linste dabei zu meinem Bücherregal, wo sich HEALING mit dem zerfledderten Rücken befand. Eine unvollständige Ausgabe, in der die Hälfte der Seiten ausgerissen war. Reflexartig griff ich nach meinem Handy, um die Benachrichtigungen zu checken.

Nichts von Joey235.

Tief einatmend blinzelte ich der Decke entgegen. In meinem Brustkorb wurde es weit, doch leer. Mit diesem lästigen Kloß im Hals blickte ich mich um und blieb an meiner Fotowand hängen. An ihr waren unendlich viele Erinnerungen, Momentaufnahmen und random Textschnipsel verewigt.

I will turn this anger into something beautiful.

Ende der Leseprobe