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Sie sind da – und sie sind überall: Im Horrorfilm, in zahllosen Büchern und Comics, sogar in Fernsehserien treiben die Zombies ihr Unwesen. Zeit, den Untoten auf den fauligen Zahn zu fühlen: Woher stammt der Begriff "Zombie"? Wie definiert man einen Zombie? Wie unterscheiden sich die frühen von den modernen Zombies? Und wie werden sie in Literatur und Film dargestellt? Von antiken Schriften über Maurice Renard und H. P. Lovecraft bis hin zu Stephen King, S. P. Somtow und George Romero untersucht und beschreibt die Autorin das Motiv des Zombies.
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Seitenzahl: 166
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© 2018 Amrûn Verlag
Jürgen Eglseer, Traunstein
Umschlaggestaltung: Jürgen Eglseer
shutterstock.com / TroobaDor
Alle Rechte vorbehalten
ISBN – 978-3-95869-203-9
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar
Einleitung
Der Ursprung des modernen Zombies
Die Toten sollen sich erheben: Das Gilgamesch-Epos und die Bibel
Etymologisch Haitianer: Der Zombie im Voodoo
Abgrenzungen von anderen Horrorgestalten
Der Vampir
Der Geist
Das Monstrum
Die Mumie
Der künstliche Mensch
Ein vorläufiges Fazit – Minimaldefinition »Zombie«
Was der Zombie nicht ist: Grenzfälle in der Literatur
Zombiefizierung durch Hypnose: Maurice Renards Le Rendez-vous
H. P. Lovecraft
Herbert West – Reanimator
The Outsider
Eine Rückkehr nach Haiti? Halperins White Zombie
Horrorfilme und gewalt: Die Neuerfindung des Zombies bei George Romero
Die Inspiration: Richard Mathesons I Am Legend
Night of the Living Dead
Dawn of the Dead
Day of the Dead
Der Zombie im Film – Eine Zusammenfassung
Der Indianerfriedhof als Zombiebrutstätte: Stephen Kings pet Sematary
Eine erneute Rückkehr nach Haiti: S. P. Somtows Darker Angels
Das Motiv »Zombie« Ein Fazit
Quellen
Danksagung
Anmerkungen
Der Begriff ›Zombie‹ ist schon seit einigen Jahren eng mit dem Genre des Horrorfilms verknüpft. Kaum ein Horrorfan, der nicht auf die Aufforderung, einen Zombie zu imitieren, ohne zu zögern die Arme ausstrecken, einen glasigen Blick vortäuschen und »Gehirrrrne, Gehirrrrne« murmelnd langsam vorwärts wanken wird. Die wandelnden Toten sind Teil unserer Kultur geworden, der zeitgenössische Horror ist regelrecht überfüllt mit lebenden Leichen, die auf der Suche nach Menschenfleisch durch entvölkerte Städte schlurfen. Die Zombies haben offenbar einen Boom erfahren – seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind zahlreiche Zombie-Horrorfilme erschienen, die das Phänomen auch in der Literatur belebt haben.
Um einige der aktuellsten Beispiele zu nennen: Der Schriftsteller Max Brooks erzählt in seinem Roman World War Z von 2006 die Geschichte des globalen Ausbruchs eines hochinfektiösen Virus, das durch Körperflüssigkeiten übertragen wird, den Infizierten tötet und den toten Körper reanimiert. Er lässt dafür verschiedene Augenzeugen überall auf der Welt sowohl von ihren Erlebnissen in dem auf diesen Ausbruch folgenden Krieg berichten als auch von ihren Erfahrungen mit den lebenden Toten. Der Roman basiert auf der 2003 erschienenen Parodie The Zombie Survival Guide desselben Autors und zitiert diese auch. Im Stile eines typischen Handbuchs zur Überlebenshilfe schildert Brooks die nötigen Vorkehrungen, die man treffen sollte, um eine Invasion lebender Toter zu überleben. Er legt nicht nur die angenommene Ursache der Epidemie, ein Virus, und die Physiologie der Zombies dar, sondern gibt auch Ratschläge zur Planung von Fluchtwegen, Angriff und Verteidigung sowie zum Aufbau einer neuen Zivilisation während und nach der Epidemie. 2013 wurde World War Z mit Brad Pitt in der Hauptrolle verfilmt und hatte großen Erfolg.
Ein anderes, besonders anschauliches Beispiel für die neue Beliebtheit des Genres bietet die TV-Adaption der Comicreihe The Walking Dead des Autors und Regisseurs Frank Darabont, die im Oktober letzten Jahres bereits in die fünfte Staffel ging und sich nach wie vor großer Beliebtheit erfreut.1
Der 2009 erschienene Roman Pride and Prejudice and Zombies illustriert einen weiteren Auswuchs der Zombie-Manie. Autor Seth Grahame-Smith hat ihn sozusagen gemeinsam mit Jane Austen geschrieben – handelt es sich doch um das sattsam bekannte Werk der Engländerin, das von Grahame-Smith lediglich um das Element des Zombies erweitert wurde. Immerhin gelangte der Autor so auf Platz 3 der Bestsellerliste der New York Times.
Ebenfalls erwähnenswert sind die Autumn-Serie von David Moody,2 die Buchfassungen von George Romeros Filmen oder Stephen Kings eher mäßiges, nichtsdestotrotz natürlich ungemein erfolgreiches Werk Cell (2006). Nicht zu vergessen auch die Parodien auf das Genre bei den britischen Fantasy-Autoren Neil Gaiman (in American Gods, 2002) und Terry Pratchett (die Zombies gründen im berühmten Scheibenwelt-Zyklus sogar eine eigene Gewerkschaft!). Der ausgesprochen interessante Roman So ruhet in Frieden des schwedischen Autors John Ajvide Lindqvist behandelt das Thema weniger als ›Fallstudie Zombie‹, sondern eher unter den Aspekten der Trauerarbeit und Überfremdung: Nach einer mysteriösen Hitzewelle in Stockholm stehen die frisch Verstorbenen wieder auf und suchen ihre Familien – wie soll man mit solch einem Ereignis umgehen? Kann man den Verstorbenen überhaupt noch Menschenrechte zubilligen?3
Neben diesen vielfältigen literarischen Behandlungen treten Zombies auch außerhalb der Literatur regelmäßig in Erscheinung. So stellen sie beispielsweise ein beliebtes Halloween-Kostüm in nahezu jeder Comedy-Serie der USA (besonders häufig in der Zeichentrick-Serie The Simpsons). Weiterhin finden in zahlreichen großen Städten jährliche Zombie Walks statt, bei denen hunderte (wenn nicht, wie 2010 im australischen Brisbane, tausende) Menschen als Zombies verkleidet durch die Straßen laufen. Mit der Musikrichtung des Horrorpunk (The Misfits, The Cramps und The Other sind bekannte Vertreter) schließlich sind die Zombies auch in den Musikcharts schon lange vertreten. Es scheint, als komme man um Zombies nicht mehr herum.
Im vorliegenden Buch soll das Motiv des Zombies eingegrenzt und anhand verschiedener literarischer und filmischer Beispiele verfolgt und im Idealfall konkretisiert werden.
Doch was ist überhaupt ein Motiv? Dafür müssen wir kurz in die graue Theorie der Literaturwissenschaft eintauchen:
Unter einem Motiv versteht man im Allgemeinen die »kleinste selbständige Inhalts-Einheit oder [ein] tradierbares intertextuelles Element eines literarischen Werks.«4, also eine kleine semantische Einheit innerhalb eines Textes, die zusammen mit anderen Motiven den Inhalt formt. Laut Ansgar Nünning kann das Motiv als »Bestandteil eines intertextuellen Bezugssystems untersucht« werden.5 Tatsächlich kann man sogar weiter gehen und postulieren, dass die Vergleichbarkeit von Texten überhaupt erst durch die Vergleichbarkeit der sie konstituierenden Motive möglich wird. Motive (und auch die nächstgrößere inhaltstragende Einheit, die Stoffe) dienen als Werkzeuge; Sie sind die Hilfsmittel der Interpretation und bieten die Möglichkeit, in ihrer Tradierung Tendenzen in der Literatur und der Gesellschaft aufzuzeigen. Es ist dementsprechend ausgesprochen wichtig, auch neue, erst auftauchende Motive zu identifizieren und zu untersuchen.
Das hier zu definierende Motiv des Zombies entstammt dem Horrorgenre, das sich traditionell mit der Wirklichkeit des Todes befasst, mit unerklärlichen Erscheinungen oder scheinbar unmenschlichen Taten. Dies bietet ungeahnte Chancen für die Untersuchung der ›unblutigen‹ Seite der Kunst, dringt man doch über die Anerkennung der menschlichen Abgründe notgedrungen tiefer in die menschliche Psyche ein. Die Literatur über das Genre wird dementsprechend immer zahlreicher und ergiebiger. Doch der Zombie, der lebende Tote als eigenständige Figur, wird immer noch nahezu kategorisch aus den Untersuchungen ausgeblendet. Lediglich Schriften über das Subgenre des Zombiefilms finden sich zahlreich, dabei ist der Zombie längst nicht auf dieses Medium limitiert.6
Um nun das rezente Motiv ›Zombie‹ zu entwickeln, werden wir zunächst den Ursprung des Zombies zurückverfolgen – die Etymologie weist eindeutig nach Haiti. Doch bereits in der antiken Literatur finden sich Verweise auf die Wiederauferstehung Verstorbener, weshalb exemplarisch das Gilgamesch-Epos und die Bibel herangezogen werden sollen. Anschließend wird der Zombie als typischer Grenzgänger zwischen den Welten der Lebenden und der Toten von anderen traditionell grenzüberschreitenden Gestalten der Literatur, wie dem Vampir, dem Werwolf oder dem Geist, abgegrenzt. Schließlich werden wir anhand einiger ausgewählter literarischer und filmischer Werke, die den Zombie in den Mittelpunkt stellen, klären, wie er im Allgemeinen beschrieben wird, welche Besonderheiten ihm zugesprochen werden und auf welche Weise die Zombiefizierung vonstatten geht.7
Tote, die nicht in ihren Gräbern bleiben wollen, haben das Potential zu besonders erschreckenden Wesen, ist es doch der Tod, der den Menschen am meisten Angst einflößt. Wir wissen nicht, was nach dem unvermeidlich eintretenden Ende mit uns geschieht – abgesehen von den unappetitlichen Vorgängen bei der Zersetzung organischen Materials, die kaum einem Menschen als tröstliche Aussicht erscheinen mögen. Freud äußerte sich in seinem Essay Das Unheimliche folgendermaßen darüber: »Im allerhöchsten Grad unheimlich erscheint vielen Menschen, was mit dem Tod, mit Leichen und mit der Wiederkehr der Toten, mit Geistern und Gespenstern zusammenhängt.«8
Entsprechend sind zu allen Zeiten zahlreiche Vorkehrungen getroffen worden, die den Toten die Zeit im Grab versüßen und verkürzen sollten, und jede Kultur hat sich ihre eigene Interpretation des Jenseits geschaffen. Gleichzeitig scheint es, als empfand der Mensch bereits früh die Furcht davor, dass Verstorbene das Totenreich verlassen und wieder auf Erden wandeln könnten. Diese absolute Verletzung der Naturgesetze ist offenbar zu keiner Zeit als akzeptabel angesehen worden, und bereits früheste literarische Zeugnisse berichten davon.
Es gibt zwei Ausprägungen dieses Phänomens: Ganz allgemein den wandelnden Toten, der aus den unterschiedlichsten Gründen wieder in eine Art Leben tritt, und den haitianischen Zombie, der dem Motiv in modernen Zeiten seinen Namen gab, ein Wesen, das der Voodoo-Religion entstammt und mit der Hexerei eines böswilligen Zauberers verbunden ist. Diese Ausprägungen bilden den Ursprung des Motivs: Auf der einen Seite existieren nicht näher bezeichnete wiederauferstandene Tote, auf der anderen die afrikanisch-haitianischen Zombies – bis das Bild des einen mit dem Namen des anderen zusammenfällt und fortan das Horrorgenre dominiert. Entsprechend sollen beide Varianten des lebenden Toten in ihren Ursprüngen kurz vorgestellt werden.
Eines der ältesten literarischen Schriftstücke ist das babylonische Gilgamesch-Epos, das vermutlich aus dem letzten Drittel des 2. Jahrtausends vor Christus stammt und Mitte des 19. Jahrhunderts in der antiken assyrischen Stadt Ninive im heutigen Irak gefunden wurde. Das Epos umfasst mehr als 3.000 Verse, die in Keilschrift in 12 Steintafeln geritzt wurden. Es erzählt »[d]ie uralte Geschichte des Königs Gilgamesch, der seine Kräfte mit der ganzen Welt messen will, nach der Unsterblichkeit strebt und schließlich auf die Erkenntnis zurückgeworfen wird, dass auch für ihn das Leben endlich ist [...].«9
Gilgamesch, der riesige und sagenhaft schöne, zu zwei Dritteln göttliche König der Stadt Uruk, zieht auf der sechsten Tafel der Dichtung den Zorn der Liebes- und Kriegsgöttin Ischtar auf sich, die sich in den Helden verliebt und ihn um seine Hand bittet. Gilgamesch lehnt ab und beleidigt die Göttin zu allem Überfluss schwer. Sie fordert nun von ihrem Vater Anum den Himmelsstier, ein starkes und mächtiges Wesen, damit er Gilgamesch töte, und droht im Falle einer Weigerung mit der völligen Zerstörung der Stadt Uruk und der Erweckung der Toten:
Wenn Du mir den Himmelsstier nicht gibst,
schlage ich die Erdenfeste samt ihrem Wohnsitz ein!
Niederwalzen werde ich die unteren Gefilde,
ich werde die Toten heraufsteigen lassen, dass sie die Lebenden fressen,
über die Lebenden werde die Anzahl der Toten ich steigen lassen!10
Die Göttin deutet bereits an, dass die Zahl der Toten die der Lebenden übersteigt, und dass die Toten den Lebenden nicht zwangsläufig wohlgesinnt sein müssen: Kannibalismus wird angekündigt. Die Bedrohung des Lebens durch Armeen von wandelnden Toten, ihres Zeichens unbesiegbar, weil bereits tot, die der Rache selbstsüchtiger Götter dienen sollen – eine Motivation für den Einsatz des Motivs in der Literatur.
Friedlicher läuft die Wiederauferstehung der Toten in der Bibel ab: Das Evangelium des Johannes, Kapitel 11, erzählt die Geschichte von Lazarus von Bethanien, dem Bruder von Maria und Marta und Freund von Jesus, der nach langer Krankheit stirbt und begraben wird. Jesus kommt mit seinen Jüngern, als Lazarus bereits seit vier Tagen begraben ist. Dennoch will er den Freund auferwecken, was die Herrlichkeit Gottes illustrieren soll: »Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.«11
Die Schwester des Toten warnt noch vor der Tat, glaubt sie doch den Bruder bereits verwest: »Herr, er stinkt schon, denn er liegt seit vier Tagen.«12 Jesus weist sie zurecht und fährt fort. Mit den Worten »Lazarus, komm heraus!«13 ruft er den Toten zurück ins Leben und lässt ihn sein Grab verlassen. Wie es mit dem Mann und seiner Familie weitergeht, erfährt der Leser nicht, schließlich geht es in der Erzählung nicht eigentlich um das Schicksal des Lazarus, sondern vielmehr um die Herrlichkeit Gottes. Die Wundertätigkeit Jesu festigt den Glauben seiner Anhänger an ihn: »Glauben an Jesus bedeutet Leben, weil er den Tod besiegt. Jesu Wirken dürfte somit in der Auferweckung des Lazarus kulminieren.«14 Die Auferstehung des Lazarus ist eine allegorische, wie auch die Auferstehung Jesu selbst. Dennoch bleibt der Gedanke an den Sieg des Lebens über den Tod, der offenbar eine zweite mögliche Motivation für die Thematisierung lebender Toter darstellt.
Der Begriff und die Idee des Zombies entstammen dem Voodoo, einer der Religionen des karibischen Inselstaats Haiti. Etymologisch kann man die Bezeichnung aus verschiedenen Quellen herleiten. Zum einen existiert das karibische Wort ›Jumbie‹, das soviel wie ›Geist‹ bedeutet, zum anderen verwendet man im afrikanischen Kongo das Wort ›Nzambi‹, wenn man vom Geist einer toten Person sprechen möchte.15
Die Ursprünge des Voodoo liegen in Westafrika, an der sogenannten Sklavenküste: dem heutigen Benin (ehemals Dahome), Togo und Nigeria, aber auch in Ghana. Hier wird heute noch Voodoo praktiziert, ebenso wie in Haiti und der Dominikanischen Republik. Zu einem eher geringen Teil findet man diese Tradition auch in Louisiana in den Vereinigten Staaten von Amerika, wohin der Voodoo während der haitianischen Revolution mit den Flüchtlingen wanderte. Der Glaube basiert hauptsächlich auf der westafrikanischen Religion des sehr alten Volkes der Yoruba, was sich auch heute noch in verschiedenen Parallelen zwischen den Kulten feststellen lässt.16
Im Voodoo wird, wie im Christentum und vermutlich als Übernahme aus demselben, ein einzelner, allmächtiger Gott verehrt. Dieser Gott, der Bondyé, ist allerdings, im Gegensatz zur christlichen Überlieferung, für den Menschen unerreichbar, selbst für geweihte Priester.
Stattdessen verehren die Anhänger des Voodoo die sogenannten Lwa17, Geister, die unter dem allmächtigen Bondyé stehen und mit den Menschen in Kontakt treten. Die Lwa sind die für die Gläubigen wichtigsten Entitäten im religiösen Alltag, sie kümmern sich um die Menschen, strafen sie bei Fehlverhalten und werden ihrerseits von ihnen versorgt. Es ist einem eingeweihten Voodoo-Anhänger auch möglich, eine besonders enge Bindung zu einem ausgewählten Lwa einzugehen. In diesem Fall wird eine Art Eheschließung zelebriert, die Geist und Mensch aneinander bindet. Meist entsteht eine solche Bindung durch häufige rituelle Besessenheit des Gläubigen durch einen bestimmten Lwa. Der Betroffene nimmt während der Besessenheit Eigenschaften des Lwa an, teilt dessen Vorlieben und kann sogar zeitweise übernatürliche Fähigkeiten entwickeln.
Die Lwa entsprechen den christlichen Heiligen, was in der Geschichte des Voodoo als synkretische Religion begründet ist: Das heutige Haiti wurde nach der Entdeckung durch Kolumbus erst von den Spaniern und dann von den Franzosen in Besitz genommen. Der extensive Anbau von Zuckerrohr erforderte weit mehr Arbeitskräfte als verfügbar waren – besonders, da die Spanier die indigene Bevölkerung schnell ausgerottet hatten. Es wurden also afrikanische Sklaven auf die Insel transportiert, die innerhalb kürzester Zeit die Mehrheit der Inselbewohner stellten. Diese Sklaven, durch nichts miteinander verbunden als ihre grobe geographische Herkunft, versuchten sich ihre Identität durch die Pflege der heimatlichen Kulte zu bewahren. Verschiedene afrikanische Religionspraktiken wurden vermischt und nach der Zwangschristianisierung der Sklaven durch die Plantagenbesitzer mit Vorstellungen des katholischen Christentums angereichert. Im Jahr 1791 kam es nach vielen Jahrzehnten der Sklaverei zum zwölf Jahre dauernden Aufstand der Schwarzen, der 1804 mit der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung endete. Die Sklaven waren nun frei und konnten ihrer Religion offen huldigen.
Voodoo an sich ist vielschichtiger als man es verkürzt in den bekannten Bildern von Magiern und Tieropfern oder der Besessenheit der Gläubigen ausdrücken könnte. Mensch, Natur und die übernatürlichen Mächte des Universums werden in ein komplexes System eingepasst, wobei sich Religiöses und Alltagsleben gemeinhin nicht trennen lassen. Der Priester oder Oungan ist ein spiritueller Führer, ein Berater der Gemeinde, der auch als Ausleger der komplexen religiösen Vorschriften und eine Art Orakel dient: »Dabei besteht der Vodoun-Kult nicht nur aus einer Reihe religiöser Glaubensvorstellungen, sondern er schreibt eine bestimmte Art der Lebensführung vor, eine Philosophie und ethische Normen, die das soziale Verhalten regulieren.«18
Ein Oungan, der sich ausschließlich oder vermehrt schädlichen Praktiken zuwendet, wird als Bòkò bezeichnet. Eine weibliche Priesterin heißt Manbo. Die Gläubigen, die zu einem Tempel gehören, werden als Ounsi, die Kinder, bezeichnet.19 Die Voodoo-Gemeinschaft betrachtet sich als Großfamilie mit den üblichen Pflichten und der Sorge umeinander.20 Lebensmittelpunkt und spirituelles Zentrum ist der Tempel, in ländlichen Gebieten meist ein Gehöft, das Oungan, Manbo und Ounsi gemeinsam bewohnen können, und das auch eigene Wohnstätten für die Lwa bietet.
Der Zombie kommt ins Spiel, wenn einer der Gläubigen stirbt. Der Tod ist für den Voodoo-Anhänger nicht endgültig, er fürchtet ihn nur, weil er einen gefährlichen Übergang der Seele in andere Sphären darstellt. Ein natürlicher Tod ist angeblich eher selten, er birgt keine besonderen Gefahren, doch ein unnatürlicher Tod, durch Mord, Unfall oder Krankheit, führt dazu, dass der Tote durchaus als Zombie wiedererweckt werden kann.
Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Der Geistzombie, ›Zombi astral‹, ist lediglich die gefangene körperlose Seele eines Toten – sie wird in einem Gefäß gelagert und kann in jede beliebige körperliche Form transferiert werden, je nachdem, was der Bòkò benötigt. Der Körperzombie, der ›Zombi cadavre‹, ist im Gegensatz dazu nur noch Körper. Seine Seele muss gefangen und an der Rückkehr in den Körper gehindert werden.
Die Verwandlung eines Menschen in einen Zombie wird durch den Glauben der Voodoo-Anhänger an die Dualität der Seele möglich, eine Auffassung, die in verschiedenen afrikanischen Kulturen fest verwurzelt ist, am prominentesten wohl im alten Ägypten. Die Bewahrung eines Teils der Seele im Körper ermöglicht dessen Auferstehung, während der Verlust der Persönlichkeit die Versklavung des Opfers erleichtert. Der Haitianer fürchtet nicht den Zombie, sondern er fürchtet die Vorstellung, zu einem Zombie versklavt zu werden.21
Der Mediziner Hans W. Ackermann und die Krankenschwester Jeanine Gauthier haben 1991 in ihrem Essay The Ways and Nature of the Zombi die vorliegende Forschungsliteratur zum haitianischen Zombie verglichen, vor Ort Interviews mit anerkannten Oungans geführt und anhand dieser Untersuchungen Theorien zur Geschichte, der Verbreitung und den Eigenschaften des haitianischen Zombies aufgestellt. Nach Ackermann und Gauthier sind Zombies typischerweise emotional und geistig tot, idiotisch, willenlos und ohne Gedächtnis. Selbst wenn sie von Verwandten oder Freunden erkannt und wieder aufgenommen werden sind sie unfähig, diese zu erkennen oder sich an den eigenen Namen zu erinnern. Sie haben einen leeren, glasigen Blick, keine Mimik, und wirken abwesend, dumm und schläfrig. Sie haben eine nasale Stimme, sprechen allerdings im Allgemeinen gar nicht oder wenig. Sie sind gute und loyale Arbeiter, die nur ihrem Meister gehorchen. Sie gehen langsam und schauen dabei zu Boden. Der Meister darf ihnen kein Fleisch oder Salz zu essen geben, da sie sich sonst ihres Schicksals bewusst werden würden und in ihr Grab zurückkehren müssten.22
Auch außerhalb Haitis existieren zahlreiche Zombiemythen: So gibt es im Benin und in Sambia Zauberer, die die Seelen von Menschen, die nicht korrekt bestattet wurden, fangen können. In Kamerun ist sogar die Bezeichnung ähnlich: Ein `somba‹ oder auch ›Zombi‹ ist eine Person, der man mittels einer Puppe den Namen und damit die Identität geraubt hat. In Tansania muss ein Zombie ohne Seele nach dem Tod des Menschen für seinen Meister arbeiten, und auch in Jamaika, Ghana, Brasilien, Nigeria, Surinam und Belize gibt es ähnliche Geschichten. Überall hier existiert der Glaube, dass Tote mit nasaler Stimme sprechen. Sogar eine Parallele zum mittelalterlichen Europa lässt sich nachweisen: Hier war der Gedanke verbreitet, der Teufel verabscheue Salz.23
Gründe für die Erschaffung von Zombies sind den Überlieferungen folgend der Bedarf an billigen Arbeitskräften und die Bestrafung durch die in Haiti allgegenwärtigen Geheimgesellschaften.24 Ersteres ist kaum wahrscheinlich, da Arbeitskräfte auf Haiti schon immer extrem billig waren, letzteres scheidet aus, weil es für die Geheimgesellschaften entschieden leichter wäre, die zu bestrafenden Haitianer anders aus dem Weg zu schaffen.25
Nicht nur diese mangelnde Motivation für die Erschaffung eines Zombies sorgt dafür, dass diese Gestalt unter Ethnologen durchweg als Fiktion angenommen wird. Der Anthropologe Roland Littlewood, der zusammen mit dem haitianischen Mediziner Chavannes Douyon den Artikel Klinische Untersuchung dreier haitianischer Zombies schrieb, vertritt wie viele andere Forscher die Ansicht, dass es sich bei den vermeintlichen Zombies um psychisch kranke Haitianer handelt, die entweder gar keine Familie mehr haben, oder keine, die sich um sie kümmern könnte oder wollte:
In Haiti ist es keine Seltenheit, dass Schizophrene, Gehirngeschädigte oder geistig Zurückgebliebene in der Gegend herumirren, und da es diesen Menschen oft an Willenskraft und Erinnerungsvermögen mangelt, werden sie oft als typische Zombies angesehen. In Mittelamerika und in der Karibik wird eine psychische Erkrankung oft als Verlust irgendeiner Lebens- oder Antriebskraft interpretiert.26