Signs of Magic 1 – Die Jagd auf den Jadefuchs - Mikkel Robrahn - E-Book
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Signs of Magic 1 – Die Jagd auf den Jadefuchs E-Book

Mikkel Robrahn

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Beschreibung

Ein magisch-turbulentes Abenteuer durch die Wälder Englands: der Auftakt der »Signs of Magic«-Serie von Mikkel Robrahn Die mutige und wild entschlossene Matilda stammt eigentlich aus einer wohlhabenden Familie, doch die Spielsucht ihres Vater hat die Godwins mit einem riesigen Schuldenberg belastet. Die einzige Chance, der Katastrophe zu entkommen, ist das traditionelle Turnier der Superreichen. Wer den jadegrün schimmernden Fuchs fängt, dem winkt ein hohes Preisgeld. Doch nicht allen ist daran gelegen, dass Matilda das Turnier für sich entscheidet ... Albert ist ziemlich unbeholfen, nicht gerade die beste Eigenschaft für einen Trickzauberer. Kein Wunder, dass er seinen Lebensunterhalt eher durch das Ausliefern von Pizza verdient als mit magischen Tricks und Illusionen. Doch als er eines Tages auf Matilda trifft, nimmt das phantastische Abenteuer seinen Lauf. Die neue Serie von »Hidden Worlds«-Autor Mikkel Robrahn überzeugt mit einer aufregenden Fuchsjagd, wahrem Teamgeist und unvorhergesehenen Wendungen. Bereits erschienen von Mikkel Robrahn: - Hidden Worlds 1 – Der Kompass im Nebel - Hidden Worlds 2 – Die Krone des Erben - Hidden Worlds 3 – Das Schwert der Macht

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Seitenzahl: 451

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Mikkel Robrahn

Signs of Magic 1 – Die Jagd auf den Jadefuchs

FISCHER E-Books

Inhalt

[Widmung]Kapitel 1Albert TubbsKapitel 2Matilda GodwinsKapitel 3Albert TubbsKapitel 4Matilda GodwinsKapitel 5Albert TubbsKapitel 6Matilda GodwinsKapitel 7Albert TubbsKapitel 8Matilda GodwinsKapitel 9Matilda GodwinsKapitel 10Albert TubbsKapitel 11Albert TubbsKapitel 12Matilda GodwinsKapitel 13Albert TubbsKapitel 14Matilda GodwinsKapitel 15Albert TubbsKapitel 16Matilda GodwinsKapitel 17Albert TubbsKapitel 18Matilda GodwinsKapitel 19Albert TubbsKapitel 20Matilda GodwinsDanksagungSigns of MagicLeseprobeDie Suche nach Tzunath

Für Lasse und Rasmus

Kapitel 1

Albert Tubbs

Albert Tubbs war Magier. Nein, nicht die Art, die Feuerbälle warf oder auf Besen durch die dunkle Nacht ritt. Er gehörte der Gattung an, die weiße Handschuhe, einen nach Mottenkugeln riechenden Frack und einen schwarzen Zylinder trugen, in dem sich eigentlich ein weißes Kaninchen versteckte. In seinem Fall war es aber nur Butterscotch, der übergewichtige Familienhamster. Er nahm auch nicht an geheimen Zirkeltreffen oder Dämonenbeschwörungen teil, sondern trat auf Kindergeburtstagen auf.

Und zu genau so einem war er unterwegs.

Timothy Relish junior hatte Geburtstag. Es war sein achter, und sein Vater, Timothy Relish senior, war Alberts Boss. Zugegeben, eigentlich arbeiten Zauberer ohne Vorgesetzte. Aber das Handwerk der Illusionen war nicht Alberts einziger Job. Um über die Runden zu kommen, fuhr er für Timothy Relish senior Pizzen in London aus. Freunde drängten ihn, endlich etwas Vernünftiges zu machen, aber Albert weigerte sich. Er liebte seine Berufe, und sie hatten etwas gemeinsam: Als Magier vollführte er Zaubertricks und brachte die Kinder so zum Staunen und Lachen, als Pizzabote zauberte er seinen Kunden zumindest ein Lächeln ins Gesicht, wenn er sich an der Gegensprechanlage mit »Relish Pizza, frisch wie aus Nizza« meldete. Albert fand das hochpeinlich, aber Timothy Relish senior bestand darauf. Er nannte das Markenbildung. Für Albert war das in Ordnung, solange das Trinkgeld stimmte.

Er warf einen Blick auf die Uhr und trat noch heftiger in die Pedale. Sein großer Auftritt vor einer Horde Kleinkinder sollte in fünf Minuten beginnen, und Albert hasste es, zu spät zu kommen. Leider passierte es ihm immer wieder.

Mit quietschenden Reifen brachte er den Drahtesel vor dem Anwesen zum Stehen. Er öffnete den Verschluss des Fahrradhelms und tauschte ihn gegen den Zylinder aus. Unter dem doppelten Boden drückte der Hamster auf Alberts Kopfhaut. Das Tier schien zu ahnen, dass ein großer Auftritt kurz bevorstand. Albert hatte den Verdacht, dass der dicke Nager das Rampenlicht ein kleines bisschen mehr genoss als er selbst. Er nahm den Zauberkoffer vom Gepäckträger, richtete den Umhang und kontrollierte den Anzug. Perfekt, er sah wie ein richtiger Zauberer aus.

Albert schloss das Fahrrad an einem Laternenpfahl fest und wandte sich wieder dem Haus zu. Er staunte. Natürlich hatte er mit vielem gerechnet, denn er befand sich in einer der teuersten Gegenden von London, aber dass sich mit ein bisschen Pizza so ein Vermögen anhäufen ließ, hatte er nicht erwartet. Timothy Relish senior war Besitzer eines Gartens. In einer Stadt, in der jedes bisschen Natur zubetoniert und bebaut wurde, war ein eigener Garten die höchste Form von Dekadenz. Mr Relish könnte ihn ohne Probleme zu einem Parkplatz umbauen lassen und die Stellplätze für mehrere hundert Pfund im Monat vermieten. Aber hinter dem gusseisernen Zaun verbarg sich ein Kleinod aus Zierpflanzen, Rosen und Tulpen. »Unglaublich«, murmelte Albert. »Das alles mit ein paar Pizzen.« Ein erneuter Blick auf die Uhr erinnerte ihn an seine magischen Pflichten. Er öffnete die Pforte und folgte dem gepflasterten Marmorweg zur Tür. Eine Klingel gab es nicht, nur einen altmodischen Türbeschlag. Es war ein Löwe mit einem Ring im Maul, der ihn finster anstarrte. Albert nahm das Eisen in die Hand und ließ es gegen die Tür sausen. Von drinnen hörte er lautes Kindergeschrei und Musik.

Durch das Milchglas in der Tür sah er, wie jemand durch den Flur gelaufen kam, und einen Bruchteil später schwang die Tür auf.

»Albert, schön, dass du es geschafft hast!«

»Selbst der Londoner Stadtverkehr kann mich nicht aufhalten, Mr Relish«, antwortete Albert und grinste.

Mr Relish trug einen auf den asketischen Körper geschneiderten Anzug. Die Glatze spiegelte das warme Licht im Flur wider, und über dem Mund prangte ein dicker Schnauzbart. Er sah nicht aus wie jemand, der sein Geld mit Pizza verdiente, und erst recht nicht wie einer, der Pizza aß. Timothy Relish senior hatte die Erscheinung eines Mannes, der sehr viel Knete im Silicon Valley erwirtschaftet und sich dann zurückgezogen hatte, um sich komplett seinem Zen-Garten, Yogastunden und einer frutarischen Ernährung zu widmen.

»Sehr gut, sehr gut«, sagte er hastig. »Die Geburtstagsgesellschaft ist gerade im Wohnzimmer und isst Torte. Musst du noch etwas vorbereiten?«

Albert nickte. »Nur ein paar Kleinigkeiten.«

»Alles klar, komm.« Sein Chef winkte ihn rein und lief den Flur entlang. Albert folgte ihm. Die Wände waren behängt mit modernen Gemälden, die bunt strahlten und dem Betrachter schrecklich wenig verrieten. Abstrakte Formen, wilde Striche, verirrte Farbsprenkel. Albert zog altmodische Kunst vor, auf der Maler etwas festgehalten hatten, was wirklich existierte. Schlachten, Menschen, Obst. Da musste man nicht so lange drüber nachdenken, was es bedeutete und aussagen sollte oder wollte.

Das Stimmengewirr der Kinder wurde immer lauter und erreichte seinen Höhepunkt, als sie an einer angelehnten Tür vorbeikamen. Albert erhaschte einen kurzen Blick auf eine dreistöckige Schokotorte. Butterscotch wurde unruhig, und Albert hielt den Zylinder fest. Der Hamster hatte Zucker gerochen.

»Hier rein, bitte«, sagte Timothy und lotste ihn in ein großes Zimmer, an dessen Wänden dicht an dicht Bücherregale standen, die wiederum mit dicken Wälzern bis unter die Decke gefüllt waren. Vor einem Kamin, in dem eine kleine Flamme züngelte, befand sich ein grüner Sessel und durch ein Fenster drang Tageslicht herein. Vor dem Tisch hatte jemand Stuhlreihen aufgebaut, die Platz für zwanzig Gäste boten.

»Wie lange brauchst du, Albert?«

Albert, der aus dem Staunen nicht mehr rauskam und mit offenem Mund dastand, reagierte nicht sofort. Erst der Garten, nun ein Kaminzimmer. Er kam langsam zu der Überzeugung, dass Pizza zu den wertvollsten Ressourcen im Jahre 2021 gehörte. »Ich … ähm … zehn Minuten, bitte.«

Timothy Relish senior grinste. »Das Meiste hab ich geerbt, die Pizzeria ist nur ein Hobby gegen die Langeweile«, verteidigte er sich. »Dann bis gleich.« Der dürre Mann verschwand aus dem Raum und schloss die Tür hinter sich. Ehrfürchtig durchschritt Albert das Zimmer. Es roch nach brennendem Holz, und die Wärme des Kamins war perfekt, um den kalten Herbsttag, durch den er geradelt war, vergessen zu lassen. Langsam glitten seine Fingerspitzen über die Bücherrücken. Es waren Folianten, Almanache, Lexika.

Kindergeschrei erinnerte Albert an den Grund seiner Anwesenheit.

Vor den Stühlen stand ein Holztisch. Albert legte den Koffer darauf ab, öffnete die Scharniere und sog den Duft jahrzehntealter Magie ein. Der Koffer war ein Erbstück und die Zauberei altes Familienhandwerk. Sein eigener Vater konnte den Familienstammbaum bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Eine äußerst düstere Zeit für jeden, der gerne Tricks vorführte und sie mit Magie begründete. Ein Großteil von Alberts Vorfahren landete auf dem Scheiterhaufen. Nur Agnes Tubbs gelang die Flucht. Sie war Entfesselungskünstlerin und befreite sich eigentlich unter Wasser aus den kompliziertesten Knoten. Für die Show bezahlten viele gerne und bereitwillig Geld, bis jemand Hexe rief und alles seinen für die damalige Zeit typischen Gang nahm. Sie wurde festgenommen, gefoltert, bis sie geständig war, und auf einem Scheiterhaufen festgebunden. In dem Augenblick erkannte sie aber, dass ihr Talent nicht nur funktionierte, wenn sie sich kopfüber unter Wasser befand, sondern auch, wenn sie das geplante Opfer einer Hinrichtung war. Der Knoten war nicht kompliziert, und die Augen der Zuschauer waren auf den Geistlichen gerichtet, der etwas von der gerechten Strafe Gottes fabulierte. Sie entkam, und die Blutlinie der Tubbs war gerettet.

Albert hatte keine Ahnung, ob die Geschichte stimmte, aber sein Vater wurde nie müde, sie zu erzählen.

Er holte ein großes schwarzes Tuch aus dem Koffer und breitete es auf dem Tisch aus. Es war mit goldenen Ornamenten bestickt und lang genug, um auf den Seiten bis auf den Boden zu hängen. Er strich es glatt, so dass auch die letzte Falte verschwunden war.

Zielsicher griff seine Hand nach den Spielkarten, die er vor sich in einem Fächer auslegte. Es folgten zwei Münzen, ein Tuch, diverse Plastikrosen, ein Würfel und sein Zauberstab. Er war schwarz mit einer weißen Spitze. Kein Eichenholz, keine Phönixfeder. Nur Plastik. Aber es funktionierte, und das schon seit vielen Jahren.

Albert holte einen kleinen Schminkspiegel heraus und warf einen strengen Blick herein. Er richtete den Zylinder, der sicher auf seinen schwarzen, krausen Haaren saß, wenn Butterscotch keine Party veranstaltete. Die spitzen Wangenknochen und das markante Kinn traten klar hervor. Albert sah auch nicht wie jemand aus, der einen wesentlichen Teil seines Unterhalts mit Pizza verdiente. Dafür kam er einem Zauberer schon nahe, wenn man keinen Merlin in blauer Robe und mit schlohweißem Bart erwartete.

Er packte den Spiegel zurück und griff nach dem Bluetooth-Lautsprecher. Eines der wenigen Dinge in dem Koffer, die er nicht geerbt hatte. Aber auch ein Zauberer musste mit der Zeit gehen und die Show immer weiterentwickeln. Albert schaltete das Gerät ein, legte es auf dem Tisch ab und verknüpfte es mit seinem Handy.

Alles lag bereit.

Er schloss den Koffer und stellte ihn unter den Tisch. Wie auf Kommando öffnete sich die Tür, und sein Chef schaute herein. »Bist du so weit, Albert?«, fragte er. »Die Kids sind kurz davor, in meine Ritterrüstungen im ersten Stock zu steigen und sich mit den Schwertern zu duellieren. Das würde ich gerne verhindern.« Timothy Relish senior fummelte an dem Einstecktuch seines Sakkos herum.

»Schicken Sie sie rein«, antwortete er, und der Pizza-Magnat verschwand wieder.

Showtime!

Er bückte sich und kauerte sich unter dem Tisch zusammen. Seine Gäste würden, wenn sie hereinkamen, keinen Zauberer vorfinden, und das war bereits Teil der Show.

Albert hielt die Luft an, als er hörte, wie die Tür geöffnet wurde. Sofort breitete sich eine Unruhe in dem Raum aus. Hohe Kinderstimmen redeten durcheinander, Stühle wurden gerückt, und das Rascheln von Popcorn war zu vernehmen.

»Wo ist er denn hin?«, hörte er Timothy Relish senior fragen. Albert ließ sein Publikum nicht lange zappeln. Er drückte »Play« auf dem Handy, und augenblicklich war eine laute, raumeinnehmende Stimme zu hören. Es war seine eigene, aufgenommen und mit Effekten und Filtern verändert.

»Ladys und Gentlemen, bitte nehmen Sie Platz und stellen Sie die Gespräche ein.« Es wurde schlagartig ruhig im Raum. Das funktionierte jedes Mal. Die Kinder waren still und versuchten, die Quelle der Stimme ausfindig zu machen. Albert spielte die nächste Audiodatei auf seinem Handy ab. »Bitte begrüßen Sie mit einem kräftigen Applaus … geht das nicht noch ein bisschen lauter? Ah, vielen Dank! Also begrüßen Sie bitte: ABRAHAM KADABRAHAM!« Albert entzündete eine Konfettikanone und sprang im Regen aus glitzernden Papierstücken unter dem Tisch hervor. Er reckte beide Arme in die Luft und begrüßte die Kinder mit einem Lächeln. »Mein Name ist Abraham Kadabraham, und ich werde euch heute in die Kunst der Magie einführen«, sagte er geheimnisumwoben, und die Knirpse klebten an seinen Lippen. Ein Auftritt mit einfachen Mitteln, der aber auf allen Kindergeburtstagen funktionierte. Was Albert nur unbewusst bemerkte: Mit Beginn der Show veränderte sich auch jedes Mal seine Körpersprache. Aus dem schüchternen, schlaksigen Mann wurde ein selbstbewusster Zauberer mit aufrechtem Gang und dem Lächeln eines Popstars.

»Wo haben wir denn das Geburtstagskind?«, fragte Albert, und Timothy Relish senior zeigte auf einen Jungen, der mit schokoladenverschmiertem Mund und gelockten roten Haaren in der ersten Reihe saß. Albert runzelte die Stirn. Der kam mal so überhaupt nicht nach seinem Vater.

Timothy Relish junior hob zögerlich den Arm. »Hier, Sir.«

»Ah, freut mich«, sagte er und schritt auf ihn zu. »Ich bin Abraham Kadabraham, Zauberer und zu deinen Diensten.« Er hielt ihm die Hand zur Begrüßung hin, und in dem Moment, als der kleine Junge zugreifen wollte, ploppte eine Rose in Alberts Fingern auf. »Hier, die ist für dich.«

»Danke, Sir«, sagte Timothy junior irritiert, merklich überfordert, was er mit einer Blume anfangen sollte. Albert machte eine gedankliche Notiz, dass er die Plastikrosen dringend gegen etwas Cooleres austauschen musste. Plastikpistolen oder Plastikhandgranaten kamen bestimmt besser an, zumindest bei den Kindern, nicht aber bei den Eltern.

»Also, wer möchte einen Zaubertrick sehen?« Sofort schrien alle Geburtstagsgäste begeistert auf. Albert liebte es, wenn das passierte. Trotz Smartphones, Tablets und Konsolen ließen sich die Kids immer von ein paar simplen Täuschungen beeindrucken.

»Okay, seht ihr alle diese Münze?« Er hielt eine Münze zwischen Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand. Sie glänzte im matten Kaminschein. Die Kinder nickten eifrig. »Prägt sie euch gut ein, denn gleich«, er schnippte mit der anderen Hand, »ist sie weg.« Und tatsächlich, die Münze lag nicht mehr zwischen seinen Fingern. »Und wenn ich noch mal schnippe, habe ich plötzlich in beiden Handflächen eine Münze. Das muss ich nur ein paar Millionen Mal wiederholen, und ich habe ausgesorgt.« Kinderlachen belohnte seine Tricks.

Das ging eine halbe Stunde so weiter. Er zog eine scheinbar nie endende Luftschlange aus dem Ärmel, ließ ein Kind eine Karte vorgeben und nahm sie zielgenau aus dem vorher gemischten Stapel, erzeugte eine Flamme in seiner Handfläche und ließ einen Ring schweben. Auf jeden Trick folgten Ahhs und Ohhs.

»Kommen wir zum großen Finale«, sagte Albert. »Ihr habt sicherlich schon meinen Zylinder bemerkt. Zugegeben, er ist nicht sonderlich modisch, aber dafür hat er andere, gewisse«, eine Kunstpause, »Vorzüge!« Er nahm den Zylinder ab und hielt ihn wie einen Pokal in die Höhe. Die glänzenden Kinderaugen starrten darauf, als wäre er aus Schokolade gemacht und mit Sahne überzogen.

»Schaut ihn euch an, er ist komplett leer.« Albert drehte den Hut so, dass die Kinder das Innere sahen. »Nichts drin.« Zum Beweis streckte er eine Hand herein. »Wenn ich ihn aber auf den Tisch lege und meinen Zauberspruch aufsage, öffne ich das Tor zur Anderswelt. Wir müssen vorsichtig sein, hin und wieder schafft es eines ihrer Geschöpfe in die unsere. Seid ihr bereit?«

Sie nickten.

»Okay. Ich brauche komplette Stille.«

Albert legte den Hut auf den Tisch, so dass die Öffnung nach oben zeigte. Dreimal tippte er mit der weißen Spitze auf die Krempe. »Ab-ra-ham Ka-da-bra-ham, Ab-ra-ham Ka-da-bra-ham, Ab-ra-ham Ka-da-bra-ham, ICH BEFEHLE DIR, ERSCHEINE!« Aus dem Hut kam ein rotes Leuchten, erzeugt von ein paar LEDs, die er mit einem im Filz versteckten Knopf aktivierte. »Es hat geklappt«, rief er, und die Kinder jubelten. »Aber was ist das?« Vorsichtig hob er Butterscotch aus dem Hut, der sich im Raum zwischen dem doppelten Boden versteckt hatte. Er ließ den karamellfarbenen Hamster auf den Tisch purzeln, der sich gleich im Zimmer umsah. Seine Stupsnase zuckte nervös umher. Er roch die Süßigkeiten.

»Ein Hamster, Mister«, sagte ein Mädchen in der zweiten Reihe. »Und ein sehr dicker Hamster, wenn ich das sagen darf.« Sie hatte schulterlange Haare und trug eine Brille.

»Äh ja, das ist ein Hamster«, stammelte Albert.

»Sieht nicht sehr gefährlich aus«, murmelte Timothy junior enttäuscht.

»Nun, manchmal kommen auch die weniger gefährlichen Geschöpfe aus der Anderswelt zu uns. Aber ich habe zu Hause einen dicken Wälzer über all die Wesen der anderen Welten und kann euch eins versichern: Das ist kein gewöhnlicher Hamster.« Die Augen des neunmalklugen Mädchens verengten sich zu Schlitzen. »Er ernährt sich ausschließlich von Zucker. Ich hoffe, ihr habt eure Süßigkeiten gut versteckt!«

Nun wirkten die Kleinen doch ein bisschen nervös. Ein Süßigkeiten fressender Hamster war nichts, das genug Stoff für Albträume bot, aber auch nichts, was man unbedingt im Haus haben wollte. Schon gar nicht während eines Kindergeburtstags.

»Schon gut, schon gut. Ihr habt Glück, denn ich, Abraham Kadabraham, kenne mich bestens mit diesen Wesen aus. Ich werde ihn zurück in seine Welt bringen.« Albert tippte zweimal auf die Hutkrempe. »Na los«, flüsterte er. Aber Butterscotch sah ihn auffordernd an. Die schwarzen Knopfaugen zwischen dem buschigen Fell drückten genau aus, was er verlangte – und er war bereit, Albert die Show zu vermiesen. »Na gut«, murmelte er und schüttelte sich ein paar Sonnenblumenkerne aus dem Ärmel, die er, für seine Zuschauer nicht sichtbar, im Hut verschwinden ließen. Mit der Bereitschaft eines Turmspringers machte der Hamster einen Satz in den Zylinder und war wie vom Erdboden verschluckt.

Die Kinder applaudierten, nur das Mädchen schien nicht überzeugt. »Andere Zauber ziehen immer ein weißes Kaninchen aus ihrem Hut«, grummelte sie und rieb sich am Kinn, als hätte sie einen komplizierten Mordfall gelöst.

»Tja, ich bin eben nicht wie jeder andere Zauber«, erwiderte Albert. »Ich bin …«, er hob auffordernd die Arme, und die Kinder schrien im Chor: »Abraham Kadabraham.«

»Vielen Dank, ihr wart ein tolles Publikum«, rief er, zündete eine Konfettikanone und ließ sich, während die Kinderaugen den Papierschnitzelregen beobachteten, fallen und kroch wieder unter den Tisch.

Tosender Applaus, aber Albert war nicht zufrieden. Das Mädchen hatte er nicht täuschen können. Sie hatte bemerkt, dass er nur eine Show gespielt hatte und kein echter Zauber stattfand. So ungern er es zugeben wollte, nagte es doch an seinem Zaubererstolz. Nach und nach verließen die Kinder das Zimmer. Wieder war das Schieben von Stühlen und Stimmengewirr zu hören.

»Sie sind jetzt alle raus«, hörte er die Stimme von Timothy senior sagen. Albert kroch aus dem Versteck hervor und richtete seinen Zylinder. »Das war eine wundervolle Show, Albert. Ich wusste gar nicht, dass so ein Talent in dir schlummert.«

Albert errötete. »Ach, vielen Dank. Ich muss Butterscotch wohl noch weiß anmalen und ihm Häschenohren aufsetzen.«

»Lass deinen Hamster genau so, wie er ist, denn er ist perfekt. Ein aufgewecktes kleines Kerlchen hast du da in deiner Hutspitze. Er bricht mit dem Erwartbaren und den Traditionen, ein tolles Finale!«

Albert kratzte sich verlegen am Kopf. »Wenn man es so betrachtet«, nuschelte er.

Timothy überreichte ihm einen Umschlag. »Bitte schön, und nimm dir morgen frei. Bezahlt natürlich. Das hast du dir verdient.«

»Danke, Sir«, antwortete Albert und warf einen Blick in den Umschlag. »Oh, Sie haben sich getäuscht. Fünfzig Pfund beträgt meine Gage für einen Auftritt, das ist zu viel.«

»Das ist genau richtig«, erklärte Relish senior und erhob beschwichtigend die Hand. »Kein Pfund zu wenig, glaub mir.«

Albert überlegte einen kurzen Augenblick, ob er mit seinem Chef darüber diskutieren sollte, dachte dann aber an den Kamin, den Garten und die Ritterrüstungen im ersten Stock. Es würde Timothy Relish junior nicht die Ausbildung an der Privatuniversität kosten, wenn Albert das Geld annahm. »Danke schön, vielen Dank, wirklich«, stammelte er.

»Wir sehen uns dann Montag auf der Arbeit. Du findest den Weg hinaus? Tut mir leid, aber es ist verdächtig ruhig, und das ist ein ziemlich sicheres Zeichen, dass sie gerade etwas tun, was sie nicht dürfen.«

»Ich finde den Weg«, sagte Albert, und sein Chef verschwand mit einer entschuldigenden Geste durch die Tür.

Zweihundert Pfund für einen Auftritt. Das war unglaublich. Wenn jeder seiner Kunden so großzügig wäre, könnte er sogar fast davon leben. Dann müsste er keine Pizza mehr ausfahren. Aber, und das wusste er, so etwas würde nicht passieren. Es waren harte Zeiten für Trickzauberer wie ihn. Er konkurrierte mit Mottopartys, Eisprinzessinnen und Lasertag. Manchmal fühlte er sich wie aus dem Rahmen gefallen. Wie jemand, um es weniger blumig zu umschreiben, der die letzten dreißig Jahre im Knast verbracht hatte und nun bei der ganzen neuen Technik nicht mehr mitkam. Eines Tages würde keiner mehr einen Zauberer buchen wollen. Stattdessen würden die Knirpse Virtual-Reality-Brillen aufsetzen und durch digitale Welten wandern. Bis es so weit war, würde er aber noch weiterzaubern.

Albert warf seine Utensilien in den Koffer und verließ das Haus. Draußen hatte es zu nieseln angefangen, und Albert zog den Zylinder tiefer ins Gesicht. Dunkle Wolken waren aufgezogen, die verkündeten, dass es nicht bei leichtem Regen bleiben würde.

Etwas vibrierte in seiner Brust. Butterscotch war es nicht, der saß ja im Zylinder. Albert tastete danach und hielt sein Smartphone in der Hand. Er las den Namen seiner Verlobten auf dem Display und nahm den Anruf entgegen.

»Hallo, Patty, was gibt es?«

»Albert, wo steckst du? In einer halben Stunde müssen wir zu meinen Eltern.«

»Zu deinen …«

»Sag bitte nicht, dass du es vergessen hast. Das Abendessen?!«

»Nein, natürlich nicht. Ich bin gleich …«

»Du hast es vergessen, verdammt. Beeil dich!«

»Ja, ich bin gleich …«, aber sie hatte schon aufgelegt.

So ein Mist, Albert hatte das Essen bei seinen zukünftigen Schwiegereltern völlig vergessen. Ein flüchtiger Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er mit Windschatten und ohne Rücksicht durch den dichten Verkehr von London radeln musste, wenn er es rechtzeitig schaffen wollte.

Er schaffte es. Es war eine Punktlandung, möglich gemacht durch das Ignorieren zahlreicher roter Ampeln, missachtete Vorfahrten und eine Portion Glück, dass er nicht angefahren wurde. Mehr als einmal kamen Autos quietschend zum Stehen und Fäuste wurden wütend in die Luft gereckt. Aber das war es wert.

Albert klingelte bei seiner Freundin. Sie hatte ihm noch immer keinen Schlüssel für das Loft in Sichtnähe zur Themse gegeben, in dem sie nun schon seit einem Jahr wohnte. Der Türsummer röhrte, Albert stieß die Tür auf und fuhr mit dem Fahrstuhl in die sechste Etage. An der Wohnungstür stand Patty. Sie hatte ein rotes Abendkleid an, ihre langen braunen Haare zu einem Zopf geflochten und Make-up aufgetragen. Aber kein Make-up der Welt hätte genügt, um den strafenden Gesichtsausdruck verschwinden zu lassen.

»Tut mir leid«, nuschelte Albert und eilte an ihr vorbei ins Bad. Er tauschte sein Zaubererkostüm gegen eine schlichte Cordhose und ein Hemd. Glücklicherweise hatte er über den Zeitraum ihrer zweijährigen Beziehung ein paar Kleidungsstücke bei ihr deponiert. Er sah sich im Spiegel an und war zufrieden mit seinen schwarzen, krausen Haaren. Sie lagen perfekt.

Einen Augenblick später saßen sie schon im Sportwagen von Patty, und nach einem zähen Kampf durch den Londoner Verkehr standen sie vor dem Anwesen der Raymons. Sie hatten auf der Fahrt nicht viel geredet. Albert hatte lieber den Mund gehalten, denn alles, was er sagen konnte, würde sie zu seinem Nachteil auslegen. Schließlich war sie Anwältin. Frisch von der Uni hatte sie in der Kanzlei eines Freundes ihres Vaters angefangen, und seitdem hatte sich Albert schon mehr als einmal wie der Angeklagte in einem Strafverfahren gefühlt, wenn es Streit gab. Also machte er von seinem Recht zu schweigen Gebrauch.

Patty blinkte, und sie fuhren die lange Auffahrt zur Villa der Raymons hinauf. Albert würde sich nie daran gewöhnen. Ein mehrstöckiges Landhaus mit großen Fenstern, einer Veranda und einer Steintreppe zum Eingang. Die asphaltierte Auffahrt durch den Park der Raymons war von Laternen erleuchtet, die lange Schatten warfen. Ein Luxus, der nur außerhalb von London bezahlbar war. Selbst für eine so gut situierte Familie.

Patty stellte den Motor ab und zog die Handbremse an. Sie atmete durch. »Okay, alles vergessen und verziehen. Wir haben es noch gerade so pünktlich geschafft.«

»Eigentlich sind wir fünf Minuten zu spät«, erklärte Albert und verfluchte sich im selben Augenblick dafür, dass er sich nicht an seinen Plan gehalten und geschwiegen hatte.

»Jetzt reite dich doch nicht noch selbst in die Scheiße, verdammt«, fluchte Patty und atmete betont aus. »Okay, gib mir einen Kuss.«

Er küsste sie auf den Mund. Der rote Lippenstift schmeckte nach künstlicher Erdbeere.

»Wollen wir es ihnen heute sagen?«

Sie sah ihn irritiert an. Ihre schwarzen Wimpern klimperten. »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Du weißt, was sie von deinem …«, sie überlegte kurz, »… Job halten.«

»Du meinst die Zauberei?«

»Ja, deine Auftritte.«

Albert nickte langsam. »Aber irgendwann müssen wir es ihnen sagen, außer du willst sie nicht bei der Hochzeit dabeihaben.«

»Werden wir, versprochen.« Patty gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Komm, sie warten bestimmt schon.«

Sie liefen die Treppen zur Tür hoch und betätigten die Klingel. Als hätte sie dahinter Wache gehalten, öffnete Elizabeth und fiel ihrer Tochter in die Arme. Pattys Mutter war eine kugelrunde, fröhliche Frau mit braunen Locken und einem einnehmenden Lächeln. Es gab links und rechts einen dicken Kuss auf die Wange, und dann war Albert an der Reihe. Die Begrüßung fiel nicht weniger herzlich aus.

»Ich habe Ihnen etwas mitgebracht«, sagte Albert. Wie von Zauberhand hatte er von einer Sekunde auf die nächste eine Plastikrose in der Hand.

»Oh, vielen Dank, Albert. Die bekommt einen Ehrenplatz«, sagte sie freudestrahlend und bat sie hinein. »Dein Dad wartet schon am Esstisch. Es gibt Ente à l’Orange.«

Seymour war das komplette Gegenteil seiner Frau. Ein schlanker Mann, kurz vor der Rente und im teuren Anzug. Seine Miene war starr, die Begrüßung ein kaum vernehmliches Nicken, und mit einer Handbewegung bat er seine Tochter und ihren Freund, sich zu setzen. In seinem vorherigen Leben war er bestimmt ein Eisklotz gewesen, nun arbeitete er im Management einer Bank, was vermutlich ähnlich viel Empathie und Menschennähe erforderte.

Patty und Albert nahmen an der gedeckten Tafel Platz. Sie war vollgestellt mit Tellern, Gläsern, Karaffen und Schüsseln, aus denen es köstlich duftete. Über dem Tisch baumelte ein Kronleuchter mit echten Kerzen, die alle angezündet waren.

»Wie war die Fahrt?«, erkundigte sich Seymour und sah seine Tochter an.

»Gut, danke«, antwortete sie knapp. »Wie laufen die Geschäfte?«

»Bestens, danke«, erwiderte ihr Vater, und ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus. Kurz bevor die Stille Albert zerriss, kam Elizabeth mit der Ente ins Zimmer.

»Es kann losgehen«, flötete sie und stellte den braungebrannten Vogel auf den Tisch. Seymour zertrennte mit einer Geflügelschere das Tier und tat jedem eine Portion auf. Elizabeth kümmerte sich um die Beilagen. Während des Essens wurde nicht geredet. Das war, so hatte Patty ihm vor dem ersten Treffen mit ihren Eltern erklärt, Tradition im Hause Raymon, und Albert hatte sich schnell daran gewöhnt. So kam er nicht in die Verlegenheit, vom Familienoberhaupt verhört zu werden. Als sie aufgegessen hatten, fing Elizabeth an, den Tisch abzudecken.

»Schatz, hilfst du mir mal kurz?« Natürlich war damit ihre Tochter und nicht ihr Ehemann gemeint. Albert sah seine Freundin panisch an, die sich mit einem Schulterzucken entschuldigte. Als die beiden Frauen aus dem Raum waren, wanderte Alberts Blick langsam zu Seymour. Die buschigen Augenbrauen hatte er eng zusammengezogen. »Wie läuft es bei der Arbeit?«

Alberts Hände wanderten unwillkürlich zu den zweihundert Pfund in seiner Hosentasche. »Hervorragend«, antwortete er ehrlich.

»Albert, folgen Sie mir doch bitte mal ins Herrenzimmer.«

In Albert verkrampfte sich alles. Das Herrenzimmer war der heilige Rückzugsort von Pattys Vater. Irgendwas war im Busch. Noch nie hatte Seymour so viele Worte mit ihm gewechselt, und nun lud er ihn auch noch in seinen Salon ein.

»Ja, natürlich«, stammelte Albert und folgte ihm, obwohl sein ganzer Körper in die entgegengesetzte Richtung drängte. Sie kamen in einen Raum mit zwei großen Fenstern. An den Wänden hingen Jagdtrophäen. Antilopen, Gazellen, sogar ein Löwe. Albert schluckte. Er sah seinen Kopf schon zwischen den armen Geschöpfen thronen.

»Setzen Sie sich«, sagte Seymour, und es klang wie ein Befehl. Die einzige Sitzgelegenheit war ein brauner Lederohrensessel, vor dem einem Bärenfell lag. Albert nahm Platz und fühlte sich wie auf einem elektrischen Stuhl.

Seymour ging hinüber zu einem Sekretär und schenkte zwei Gläser schottischen Whisky ein. Eines davon gab er Albert.

»Was machen Sie noch mal beruflich?«, fragte Seymour Raymon.

»Ich fahre Pizza aus und trete auf Geburtstagen als Zauberer auf«, sagte Albert ohne jede Scham.

»Und was studieren Sie? BWL? Jura? Medizin?«

»Gar nichts.«

Für einen kurzen Moment entgleisten Seymours Gesichtszüge. »Wie meinen Sie das?«

»Ich studiere nicht. Die Gebühren kann sich meine Familie nicht leisten, und die Zauberei macht mir sehr viel Spaß.« Albert ahnte, in welche Richtung das Gespräch verlaufen würde, und eine Hinrichtung erschien ihm verlockender.

»Albert, das sind schreckliche Neuigkeiten. Wie lange sind Sie nun mit Patty zusammen?«

»Zwei Jahre.«

»Zwei Jahre«, murmelte Seymour. »Also ist es wirklich ernst.«

Albert nickte. Zwar stritten Patty und er hin und wieder, aber abgesehen davon war es schön mit ihr. Sie war so anders als er und hatte sein Leben bereichert.

»Ist Geld bei euch in der Beziehung manchmal ein Thema?«

»Nein«, log er. Es war ständig ein Thema. Während Patty in einem Loft lebte, wohnte Albert in dem kleinen Haus seiner Eltern. Er hatte nie Geld zum Ausgehen, für Restaurants oder teure Geschenke. Für Patty war all das kein Problem. Sie hatte einen gutbezahlten Job und geerbt. Mehr, als Albert in seinem ganzen Leben als Zauberer verdienen würde.

»Nun, Albert, sollte es Ihnen wirklich ernst mit meiner Tochter sein, und das ist es, wenn ich den Worten von Elizabeth Glauben schenken kann, möchte ich Ihnen ein Angebot machen: Sie können bei mir in der Bank anfangen, in meiner Abteilung.«

Albert wusste, dass das kein großzügiges Angebot war. Seymours einzige Sorge war es, einen Zauberer in der Familie zu haben. Die Raymons waren Juristen, Banker, Manager – nichts, was die Welt auch nur ein Stück besser machte. Magier hatten in diesem Stammbaum nichts zu suchen, und wie ein penibler Gärtner achtete Seymour genau auf die Auswüchse, die seine Wurzeln schlugen.

»Das ist sehr freundlich, danke.« Albert nahm einen Schluck vom Whisky. Das verschaffte ihm Zeit zum Nachdenken, um die richtigen Worte zu suchen. »Aber ich habe ja gar nicht die richtige Ausbildung dafür.«

Seymour machte eine Handbewegung, als würde er einen Stapel Papiere vom Tisch wischen. »Das ist egal. Wir finden schon eine Aufgabe, die Ihnen zusagt. Glauben Sie mir, niemand wird Fragen stellen.«

Albert schluckte. Würde Pattys Vater erfahren, dass die beiden bereits ihre Hochzeit planten, würde aus dem Angebot ein Ultimatum werden. Entweder würde er Patty oder die Zauberei aufgeben müssen. »Das klingt wirklich interessant«, log er. Nichts ängstigte ihn mehr als die Vorstellung, den ganzen Tag in einem Büro eingesperrt zu sein. Statt mit Bällen würde er mit Zahlen jonglieren und kleinen Anlegern das Geld aus den Taschen zaubern. Die Parallelen waren durchaus vorhanden. Viele verstanden gar nicht, was für Kreditverträge oder Anlagemöglichkeiten ihnen da vorgelegt wurden. Sie lasen weder das Kleingedruckte, noch zogen sie einen Experten zu Rate. Sie vertrauten den Worten ihres Beraters, und wenn das Geld dann weg war oder die Zinsen sie plötzlich erdrückten, dann konnte das niemand erklären. Mit einem Fingerschnippen war alles von den Konten der Anleger verschwunden und in den Tresoren der Bank, wie von Zauberhand. Nie im Leben würde er so einen Job annehmen. »Danke, ich spreche mit Patty darüber.«

Seymour nippte an seinem Glas. »Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?«

Albert verdrehte innerlich die Augen. Er war zweimal dabei gewesen, als Patty ihrem Vater die Geschichte erzählt hatte.

»In einem Restaurant.« Eigentlich war es kein Restaurant gewesen, sondern eine Fastfood-Kette, aber Albert hatte den Eindruck, dass sich die Wahrheit durchaus so weit dehnen ließ. »Wir waren beide feiern gewesen. Sie war mit Freunden da und ich …«, hier begann der heikle Teil der Geschichte. Albert war nicht feiern gewesen, vielmehr hatte es sich um ein Lokal von Relish Pizza gehandelt, bei dem er eine neue Bestellung abholen wollte, um sie auszuliefern. »Patty saß am Tisch hinter mir und hatte ein Stück Salami auf dem Kleid. Sie hatten keine Servietten am Tisch, und so fand ich eine hinter ihrem Ohr.«

Seymour sah drein, als hätte Albert ihm erzählt, dass Elefanten fliegen und Katzen reden können. »Hinter dem Ohr?«

»Sie wissen schon«, sagte Albert, schnippte mit den Fingern und hielt plötzlich eine Münze in der Hand. »Ein bisschen Zauberei.« Er schnippte noch mal, und in seiner anderen Hand erschien eine weitere Münze.

»Ah«, erwiderte Seymour, klang aber mehr enttäuscht als überrascht oder beeindruckt. »Das ist wirklich …«, er verstummte mitten im Satz.

»Ja, eine tolle Geschichte. Viele in meinem Alter lernen sich ja nur noch über das Internet …«

Da platzte Patty herein. »Ah, hierhin hat er dich entführt. Ich hoffe, du hast dem Verhör standgehalten?«

Albert fühlte sich wie eine holde Maid, die gerade vor dem bösen Drachen gerettet wurde. Danke, wollte er sagen, brachte aber nicht mehr als ein kleines Lachen hervor und winkte ab.

»Kommt, Mum hat Nachtisch gemacht.«

Es gab eine große Portion Tiramisu für jeden. Am Tisch hatte sich wieder schnell das von der Familienetikette vorgeschriebene Schweigen ausgebreitet, und Albert war dankbar, dass er keine weiteren Worte mit irgendjemanden wechseln musste. Ein Job in der Bank. Sicherlich gut bezahlt, wesentlich besser als sein jetziger. Aber eben in einer Bank. Dem langweiligsten Ort auf der Welt, den er sich vorstellen konnte, direkt nach dem Herrenzimmer von Seymour Raymon.

Die Verabschiedung fiel im Fall von Elizabeth herzlich und im Fall von Seymour sehr kalt aus. »Denk drüber nach«, flüsterte ihm das Familienoberhaupt zu.

Wenige Augenblicke später saßen sie wieder in Pattys rotem Sportwagen.

»Was wollte er?«

»Ich … was?«, fragte Albert überrascht, der gerade dabei war, am Smartphone seine E-Mails auf neue Zauberaufträge zu checken. Er hatte Patty natürlich sehr gut verstanden.

»Mein Vater. Warum zum Teufel durftest du in sein Herrenzimmer? Du weißt, wer da eigentlich reindarf.«

»Männliche Familienangehörige«, sagte er matt.

»Also, was war so wichtig?«

Albert überlegte, ob er ihr alles erzählen sollte, aber er wusste genau, wozu ihm Patty raten würde: den Job in der Abteilung ihres Vaters anzunehmen. Er hatte wenig Lust auf die Diskussion, also erzählte er ihr nur einen Teil. »Dein Vater hat sich nach meinem beruflichen Werdegang erkundigt. Was ich mache, was ich studiere.«

»Und was hast du ihm gesagt?«

»Die Wahrheit natürlich«, erwiderte Albert.

»Das wird ihm bestimmt nicht gefallen haben«, sagte Patty nachdenklich.

»Es kann ihm vor allem egal sein.«

Sie nickte, wirkte aber nicht überzeugt.

Den Rest des Abends verbrachten sie bei einer Flasche Rotwein vor dem Fernseher. Es liefen die alten Mr -Bean-Filme, und Albert wusste nicht, ob ihm der Kerl leidtun oder ob er einfach drüber lachen sollte.

In der Nacht wurde er von Seymour Raymon heimgesucht, der ihn mit einem Arbeitsvertrag jagte. Albert versteckte sich, entkam dem Monster aber nicht. Er wälzte sich unruhig hin und her, schob es am nächsten Morgen aber auf das Tiramisu, das ihm schwer im Magen gelegen hatte.

»Ich muss gleich noch mal schnell in die Kanzlei, ein paar Akten holen«, sagte Patty am Frühstückstisch. Es roch nach aufgebackenen Brötchen und frischgepresstem Orangensaft. Ein paar verirrte Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster ihrer Küche.

»Ist gut«, meinte Albert. »Ich spiele irgendwas auf der Konsole.«

Patty machte einen Gesichtsausdruck, als müsste sie einem Welpen sein Spielzeug wegnehmen. »Ich muss mich dummerweise auf die Gerichtsverhandlung morgen vorbereiten. Würde es dir etwas ausmachen, nach Hause zu fahren?«

»Nein, natürlich nicht«, antwortete Albert und log mal wieder. Irgendwie passierte ihm das in Anwesenheit der Raymons häufig. »Gar kein Problem, ich hab ja auch noch sehr viel zu erledigen.« Es gab nichts, was daheim auf ihn wartete, abgesehen von seinen Eltern, die sich immer freuten, ihn zu sehen.

»Sehr gut. Ich lade dich dafür das nächste Mal zum Essen ein.«

»Passt schon«, sagte er knapp und schob sich sein mit Käse belegtes Brötchen in den Mund. Er warf einen flüchtigen Blick auf sein Handy: Noch immer kein neuer Auftrag. Für die nächsten Wochen sah es mager aus, sein Zaubererhandwerk war nicht gefragt. »Kann ich kurz deinen Drucker benutzen?«

Patty, vom Display ihres Smartphones in den Bann gezogen, nickte.

Albert marschierte barfuß zum Schreibtisch und loggte sich in sein E-Mail-Postfach ein. Dort hatte er eine E-Mail mit dem Anhang abrahamkadabraham-plakat.pdf. Er warf einen verstohlenen Blick auf das Papierfach des hochmodernen Druckers. Er war, wie alles andere in dieser Wohnung, teuer und auf dem aktuellsten Stand der Technik. »Hundert Stück sollten reichen«, murmelte Albert und gab den Befehl an den Computer.

Eine Stunde später schob er sein Rad durch die kalten Straßen von London und brachte an Laternen und Zäunen seine Plakate an. Es waren einfache, in Word gestaltete Seiten. Er hatte überlegt, mal einen richtigen Grafiker damit zu beauftragen, aber die kosteten Geld, das er nicht besaß. Darauf prangte ein Foto von ihm in seinem Zaubereroutfit mit der Aufforderung, ihn für Kindergeburtstage, Firmenfeiern und Weihnachtsfeste zu buchen. Er war erst einmal in einem Seniorenheim aufgetreten, und da eine gebrechliche Dame bei der Konfettikanone fast einen Herzinfarkt erlitten hatte, würde er das garantiert nie wieder tun. Am Ende stand seine E-Mail-Adresse: [email protected]. Leider teilte sich sein Postfach mit seinem Bankkonto eine Eigenschaft: Es war vor allem leer.

Albert kramte einen neuen Stapel Papiere aus dem Rucksack, war aber in Gedanken bei dem Gespräch mit Seymour. Deswegen bemerkte er nicht, wie sich am Ende der Straße ein unscheinbarer Luftstoß zu einer mächtigen Windböe zusammenbraute. Sie schoss die Straße hinab, direkt auf Albert zu und riss ihm die Papiere aus der Hand. Er versuchte, ein paar aus der Luft zu fischen, hatte jedoch keine Chance. Sie wurden davongetragen. »Verdammt«, fluchte er. Damit schwand der Kreis potenzieller Kunden weiter.

Kapitel 2

Matilda Godwins

Matilda Godwins hasste ihren Vater. Dafür gab es viele gute Gründe: seine Trunkenheit, sein aufbrausendes Temperament, die fehlende Hygiene, die Spielsucht, die sie schon bald Haus und Hof kosten könnte, oder seine Rechthaberei. In diesem Augenblick waren es aber die fehlenden Tischmanieren, die ihr auf die Nerven gingen. Sie saß ihm an der langen Tafel gegenüber und sah dabei zu, wie er wie ein Schwein fraß. Er hatte den Kopf tief über den Teller gebeugt und schaufelte das Kotelett und die Kartoffeln wie ein Verhungernder in sich hinein. Die Bratensauce lief sein Kinn herunter, und die Kaugeräusche hallten von den kalten Wänden wider. Womit hatte sie das nur verdient?

»Kein Wunder, dass Mutter dich verlassen hat«, sagte sie und spießte eine dampfende Kartoffel auf. »Es wundert mich eher, dass sie es so lange mit dir aushalten konnte.«

»Es steht dir jederzeit frei, es ihr nachzutun«, erwiderte Williams Godwins, ohne von seinem Teller aufzublicken.

»Damit du dich in Ruhe zu Tode saufen kannst?« So sehr sie ihn hasste, dazu war sie nicht bereit. »Es würde keine drei Tage dauern und du würdest unser Anwesen für eine Flasche Rum und eine Nacht im Stripclub verkaufen.«

»Unser Anwesen?«, wiederholte Williams spöttisch. »Wenn ich mich richtig erinnere, steht immer noch mein Name im Grundbuch, junge Dame.« Ein großes Stück Kotelett verschwand im Mund des ungepflegten Mannes. Das aufgedunsene Gesicht mit der roten Nase und den buschigen Augenbrauen war unrasiert. Das lange graue Haar hing ihm in fettigen Strähnen ins Gesicht. Wenn er sich nicht selbst bald umbrachte, würde es der Alkohol tun.

»Und ich will sichergehen, dass es auch so bleibt, damit es noch etwas zu erben gibt, wenn du den Löffel abgibst«, sagte Matilda kühl.

»Mach dir keinen Stress, die Bruchbude will eh keiner mehr haben.« Was ihr Vater als Bruchbude bezeichnete, war ein gigantisches Schloss zwischen Sheffield und Manchester. Ein abgelegener Ort, den schon lange keine Sterbensseele besucht hatte. Es verfügte über zwanzig Schlafzimmer, genauso viele Bäder, eine Empfangshalle, drei Küchen, Bedienstetenzimmer, zahlreiche Kaminzimmer, einen Keller, der mehr einem Labyrinth glich, eine Bibliothek und den Speisesaal, in dem sie sich aufhielten. Das Gebäude war aber wie sein Besitzer nur noch ein Schatten seiner selbst. Eine fingerdicke Staubschicht hatte sich über einen Großteil des Inventars gelegt, und vieles war unter weißen Tüchern vor dem Zahn der Zeit versteckt. Die Bedienstetenzimmer hatten schon lange niemanden beherbergt. Die Ära, in denen Köche und Gärtner im Dienst der Godwins standen, war zahlreiche Jahre her. Matilda hatte ein paar Erinnerungen an diesen Abschnitt ihres Lebens, kaum mehr als Bruchstücke, in dem ihr Vater und ihre Mutter glücklich gewesen waren. Sie hatte den Duft des Porridges von Mrs Evans, ihrer Köchin, immer noch in der Nase. Eine Note Zimt und dazu ein dicker Klecks Orangenmarmelade. Nun roch es hier nur noch nach Schweiß und billigem Fusel.

»Dein Vater würde sich schämen, wenn er dich so sehen könnte.«

Williams gluckste und griff zum Glas Rum. »Der alte Zausel hatte gut reden. Hat hervorragend von dem ganzen Geld gelebt, was sein Vater und dessen Vater erwirtschaftet haben. Hätten mir mal ein paar Pfund übrig lassen können.«

Matilda seufzte. Zu oft hatte sie dieses Gespräch schon geführt. Ihre Großeltern hatten ihren Nachkommen ein reiches Erbe hinterlassen. »Wie tief stehen wir in der Kreide?«

»Keine Ahnung. Wir werden es wohl erfahren, wenn die Bank anklopft.«

»Ich habe noch ein bisschen auf dem Konto«, sagte sie. Viel war von ihrem Anteil des Erbes auch nicht mehr übrig. Zu oft hatte ihr Vater sie angepumpt und sie ihn aus der Misere retten müssen.

»Wird nicht reichen.«

»Was machen deine Investitionen?«

Er zuckte mit den Schultern. »Dieses Rockchain-Start-up ist pleite.«

»Blockchain«, korrigierte ihn Matilda.

»Was auch immer. Auf jeden Fall war es das. Mein Konto steht tief im Minus, und vielleicht stellen sie uns bald auch noch den Strom ab. Dann kann ich zumindest in Ruhe erfrieren, außer du hältst mich wieder davon ab.« Die fahrige Hand griff zum Rumglas.

Sie sah in die rotunterlaufenen Augen ihres Vaters. »Wenn ich das Geld beschaffe und dich auszahle, überschreibst du mir dann das Anwesen?« Die wenigen guten Erinnerungen, die sie hatte, waren mit diesem Gebäude verknüpft – und dann war da noch die Sache mit ihrer Mutter, der sie nachgehen wollte.

Williams Godwins prustete los, als hätte ihm ein Arzt unterbreitet, dass er kerngesund sei und noch ein langes Leben vor sich hatte. »Du? Selbst wenn du eine Bank überfallen würdest, würde es nicht reichen.«

Das war nicht ihr Plan, auch wenn ein Geldinstitut im Spiel war. »In einem Monat findet die Fuchsjagd statt. Ich werde daran teilnehmen und gewinnen. Mit dem Preisgeld kann ich deine Schulden bei der Bank abzahlen und das Godwins-Anwesen wieder in Schuss bringen. Und wenn du dich benimmst, darfst du hier in einem der Bedienstetenzimmer kostenfrei wohnen bleiben.«

Ihr Vater sah sie eindringlich mit seinen matten, kalten Augen an. Sie spürte den prüfenden Blick, mit dem er vor Jahren Bilanzen, Einkaufslisten und Abrechnungen gelesen hatte. Damals, als er dem Dämon Alkohol noch nicht verfallen war. »Du willst die Fuchsjagd gewinnen? Habe ich das richtig verstanden?«

Matilda nickte. Sie hatte sich das Ganze gründlich überlegt. Es gab noch ein paar Sachen zu klären, aber sie sah keinen anderen Ausweg, hatte keinen Plan B. Sie musste alles auf eine Karte setzen.

»Kann es sein, dass sich in diesem Speisesaal zwei Betrunkene befinden?«, fragte ihr Vater ernst. »Soll ich Botzki anrufen, damit er ein Auge auf uns beide hat? Jetzt, wo du dich auch nicht mehr um mich kümmern kannst.«

»Spar dir deine Scherze«, zischte Matilda. »Du weißt, wie ernst die Lage ist. Wenn du einen besseren Plan hast, immer her damit. Ich werde aber nicht zusehen, wie du aufgibst, was viele Generationen von Godwins vor uns aufgebaut haben – und vor allem werde ich Mutter nicht aufgeben.«

»Entschuldige, mein Engel!« Williams hob die Hände theatralisch in die Höhe. »Hätte mein Vater mir keine gefälschten Bilanzbücher hinterlassen, würde der Laden noch laufen wie geschmiert.«

Matilda hatte keine Möglichkeiten, das zu überprüfen. Die Godwins waren mit In- und Export reich geworden. Zu Beginn hatten sie teure Gewürze aus Indien und China nach England eingeführt. In kurzer Zeit hatten sie mit allem Geld verdient, was sich irgendwie auf ein Schiff verladen ließ. Als das Zepter von ihrem Großvater an ihren Vater übergeben wurde, ging es langsam, aber stetig bergab.

»Du hast mir noch immer nicht auf meine Frage geantwortet«, sagte sie trotzig. »Wenn ich das Geld aufbringe, ganz egal wie, würdest du mir das Haus und die Ländereien verkaufen?«

»Mal angenommen, du bringst die Startsumme für eine Teilnahme an der Fuchsjagd auf: Wie willst du einen Fallensteller finden?«

»Botzki«, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen. Zumindest der Teil ihres Plans war klar.

»Botzki?«

»Was meinst du, wie er über die Runden kommt, seitdem du ihm keinen Lohn mehr zahlen kannst? Er fängt sich Ratten, Hasen und andere Kleintiere.«

Ein kurzer Anflug von Mitleid war auf Williams Miene zu erkennen, wurde aber von einem großen Schluck Rum davongewaschen. »Wusste nicht, dass sich ein Hausmeister mit dem Bauen von Fallen auskennt.«

»Er ist studierter Maschinenbauer, also kann er auch eine Falle bauen.« Botzki war polnischer Einwanderer und aufgrund von Schicksalsschlägen und Lebensentscheidungen als Hausmeister auf dem Anwesen der Godwins gestrandet. Statt Maschinen zu konstruieren, kümmerte er sich lange um quietschende Türangeln, defekte Heizungen und tropfende Wasserhähne.

»Wohnt er noch in diesem Schuppen?«

»Hat es nicht weit geschafft, nachdem du ihn vor die Tür gesetzt hast.«

»War schon immer ein treuer Köter«, sagte ihr Vater und hob das Glas. »Auf Botzki!« Er kippte den Rum runter und griff gleich zur Flasche, um nachzufüllen.

»Deine Fürsorge ist wirklich rührend, aber wenn er dir wichtig wäre, hättest du ihn in eines der Zimmer ziehen lassen.«

»Er konnte keine Miete zahlen. Jedes weitere Zimmer kostet Strom und Gas. Ich bin ja auch nicht Mutter Teresa.«

»Keine Angst, der Gedanke wäre mir nie gekommen.«

»Angenommen, Botzki ist dabei, und angenommen, du zauberst irgendeinen Magier hervor: Wie willst du die Startgebühr bezahlen?« Damit traf ihr Vater den wunden Punkt ihres Plans. »Früher hätte ich dir die fünfzigtausend Pfund bar auf die Hand mitgegeben, aber wir beide wissen, dass das nicht mehr möglich ist. Und was ist mit Auslagen, die ihr haben werdet, wenn ihr den Fuchs quer durchs Land verfolgt?«

Matilda zuckte mit den Schultern. »Wie ich das hinbekomme, braucht dich doch nicht zu kümmern. Schau einfach, dass das Haus bis dahin nicht an die Bank überschrieben wird. Das ist alles, was ich von dir verlange.«

»Du bist genauso bekloppt wie deine Mutter«, spie ihr Vater aus, und Matildas Griff wanderte langsam zum Messer neben ihrem Teller. »Wenn du so viel Geld hast, dann geh lieber ins nächste Casino. Da stehen die Chancen deutlich besser. Aber soll mir doch egal sein, wie du deine Zukunft verbaust. Wenn du unbedingt an der Fuchsjagd teilnehmen willst, nur zu. Wenn du mir diesen Fluch hier«, er zeigte mit fahriger Hand im Raum herum, »abkaufen kannst, noch viel besser.«

»Danke schön«, erwiderte Matilda, erhob sich und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Sie würde keine Sekunde länger als nötig mit ihrem Vater verbringen, und sie hatte, was sie wollte: eine Abmachung. Sorgen, dass Williams es sich anders überlegte, machte sie sich nicht. Zwar war er ein Säufer und schlechter Mensch, aber auch ein Kaufmann vom alten Schlag, wo ein einmal gegebenes Wort galt.

Sie warf sich ihren grauen Ledermantel über, schlüpfte in ihre Stiefel und setzte sich eine Mütze auf die braunen, lockigen Haare. Wenn der Wind im Herbst auffrischte, dann kroch er schnell unter die Kleidung. Gut gerüstet marschierte sie durch das opulente Eingangsportal hinaus in den dunklen Abend.

Botzki wohnte eine halbe Stunde entfernt. Wenn man so klein wie Matilda war, dauerte es durchaus ein paar Minuten länger. Sie marschierte über Feldwege und stemmte sich gegen den aggressiven Wind, der vom Meer kam. Am helllichten Tage sah man nur Äcker und Felder, allerdings war es dunkel, und hier draußen fühlte sich keine Kommune dafür zuständig, Straßenlaternen aufzustellen. Also wies ihr eine Taschenlampe den Weg. Wie aus dem Nichts tauchte ein Schuppen vor ihr auf. Im Lichtkegel der Lampe wirkte er wie ein Fremdkörper auf dem Acker. Matilda vermutete, dass hier früher ein Bauer seine Gerätschaften untergestellt hatte, um sie schnell zur Hand zu haben, wenn auf dem Feld etwas anstand. Aber die letzte Aussaat war viele Jahre her, und der Schuppen fristete lange ein einsames Dasein. Sie konnte sehen, wie Rauch aus einem Rohr in den pechschwarzen Himmel aufstieg. Botzki war zu Hause. Die Baracke bestand aus vier Wellblechwänden, die krumm und schief vom Wind waren. Die Hütte war kaum größer als ein Container, und Fenster gab es nicht. Matilda schaltete die Taschenlampe aus und klopfte an die Tür.

Sie hörte ein Rumpeln, dann herrschte Stille.

»Ich bin bewaffnet«, rief jemand.

»Matilda Godwins hier, kein Grund, mich über den Haufen zu schießen!«

»Matilda?«, hörte sie den Mann fragen. Seine Stimme war rau und kräftig.

»Mach schon auf, die Kälte hier draußen erinnert mich an meinen Vater.«

Sie hörte, wie Metall auf Metall kratzte und ein Riegel zurückgeschoben wurde. Die Tür glitt quietschend auf, und im Rahmen stand ein großgebauter, kräftiger Mann, der den Großteil seines Lebens hinter sich hatte. Er war zwei Köpfe größer als Matilda, Falten zogen sich über sein Gesicht, und ein grauer, gepflegter Dreitagebart umspielte das markante Kinn. Seine Hände sahen aus, als wären sie das Zupacken gewohnt. Botzki war der komplette Gegenentwurf zu ihrem Vater: gutaussehend, trotz des hohen Alters athletisch, gepflegt.

Sie umarmte ihn, und er erwiderte die Umarmung zögerlich. »Schön, dich zu sehen«, sagte sie.

»Freut mich auch, aber ich habe nicht mit Besuch gerechnet. Komm rein.«

Im Inneren des Schuppens roch es nach Kohle. Botzki hatte einen Heizkessel, der über ein improvisiertes Rohr den Rauch nach draußen pustete, in der Mitte der kleinen Unterkunft eingebaut. Der Boden war mit Pappe ausgelegt, und neben einer Matratze und einer Lampe, die Licht spendete, gab es hier nicht viel.

»Setz dich.« Er zeigte auf das Bett. »Tee?«

»Gerne.« Matilda war trotz ihres dicken Ledermantels bis auf die Knochen durchgefroren.

Botzki nahm eine Teekanne und füllte Wasser aus einem Plastikkanister ab. Die Kanne stellte er dann auf den Heizkessel. »Dauert einen Moment, bis es kocht.«

Matilda war beeindruckt. Trotz der widrigen Lebensumstände war Botzki gepflegter als ihr Vater. »Gut siehst du aus«, sagte sie ehrlich.

»Danke. Wer sich aufgibt, hat schon verloren – hat meine Mutter immer gesagt. Ich halte mich an ihren Rat.«

»Wie kommst du über die Runden?«

Botzki zuckt mit den Schultern. »Helfe den umliegenden Bauern, wenn mal ein Trecker den Geist aufgibt oder sie jemanden bei der Ernte brauchen. Reicht für das Allernötigste. Lebt der Haustyrann noch?«

»Ja, aber ich denke, er wird es nicht mehr lange machen.«

»Das tut mir leid«, sagte Botzki, und sie hatte keinen Zweifel, dass er es ehrlich meinte. Zwar stand ihr Vater auch bei ihm in der Kreide, aber der Hausmeister war nie ein Mann gewesen, der einen Groll hegte. Er hatte sein Schicksal akzeptiert, seine paar Sachen in einen Koffer gepackt und war hier raus in den Schuppen gezogen.

»Braucht es nicht«, erklärte Matilda knapp. »Aber ich bin nicht hier, um mit dir über meinen Vater zu sprechen.«

Das Wasser in der Teekanne kochte. »Moment«, erwiderte Botzki und goss ihnen kochendes Wasser in zwei Becher. »Waldbeere oder Zimt?«

»Zimt.«

Einen Augenblick später hielt Matilda einen heißen Becher in den Händen, der nach Weihnachten roch. Zimt erinnerte sie immer an die Abende in der Adventszeit, an denen sie mit ihrer Mutter Zimtsterne in der Küche gebacken hatte.

»Also, was verschafft mir die Ehre?«

»Ich möchte an der Fuchsjagd teilnehmen.«

Botzki verschluckte sich an seinem Tee und rang nach Luft. »Heilige Mutter Maria, du meinst die Fuchsjagd?«

»Natürlich meine ich die Fuchsjagd. Glaubst du, ich will mich auf ein Pferd setzen und Hunden dabei zuschauen, wie sie irgendein armes Tier durch den Wald hetzen?«

»Warum beim Allmächtigen?«

»Wegen des Preisgelds. Ich habe es durchgerechnet. Wenn ich ehrlich bin, war dafür gar nicht viel Mathe notwendig. Es ist mehr als genug Geld, um die Schulden bei der Bank zu begleichen, meinem Vater das Anwesen abzukaufen und ein sorgenfreies Leben zu führen.«

»Aber Matilda, warum zum Teufel nimmst du nicht einfach das Geld und ziehst irgendwo hin, wo du all das hinter dir lassen kannst? Ein schönes Penthouse in London, ein Haus in Krakau, eine Villa in Hollywood. Es gibt so viele schöne Orte auf der Welt.«

»Botzki, du weißt genau, warum ich das alles nicht hinter mir lassen kann.«

»Deine Mutter«, meinte er knapp, und Matilda nickte.

»Ich bin mir sicher, dass die Antwort irgendwo im Haus versteckt ist. Dass ich nur dort rausfinden kann, warum sie verschwunden ist.«

Der große Mann legte ihr einen Arm um die Schulter. »Du hast auch eine Ahnung, wo du suchen musst, oder?«

Matilda nickte, und gleichzeitig sagten sie: »Im Keller.«

Sie musste daran denken, wie sie als Kind im Keller gewesen war. Er hatte schon immer diese unheimliche Ausstrahlung gehabt. Die vielen dunklen Ecken, der Geruch nach feuchter Erde. Schatten an den Wänden, Spinnen, die sich in Ritzen flüchteten, sobald das Licht unter der Decke flackerte. Man stellte Dinge ab, die im Anwesen keinen Platz mehr hatten, und vergaß sie.

Aus den Augen, aus dem Sinn.

Leider hatte der Godwins-Keller aber die Angewohnheit, dass manches sehr viel schneller aus den Augen geriet. Gegenstände, die man dort eingelagert hatte, waren am nächsten Tag abhandengekommen. Matilda zog es irgendwann vor, nicht mehr in den Keller zu gehen. Sie wollte nicht auch verschwinden. Nachdem eine Küchenmagd nicht wiederkam, die nur ein paar Zwiebeln und Kartoffeln holen wollte, ließ ihr Vater den Keller versiegeln.

»Ich bin mir sicher, dass sie etwas über diesen Keller wusste. Weshalb sie uns verlassen hat oder …«, sie brachte den Satz nicht zu Ende.

»… sich dort unten verirrte«, ergänzte Botzki nachdenklich. »Ich selbst habe die Theorie schon mehr als einmal in Betracht gezogen. Jennifer war eine liebevolle Mutter und dein Vater noch nicht so verbittert. Es gab keinen Grund für sie, sich davonzumachen.«

»Und wenn das Haus an die Bank geht, werde ich keine Chance mehr haben, dem nachzugehen.«

»Ich verstehe. Du hoffst, deine Mutter dort unten zu finden.«

»Oder zumindest eine Antwort auf meine Fragen.« Jennifer war nur wenige Tage vor dem Vorfall mit der Küchenmagd verschwunden. Ihre Geldbörse und ihr Ausweis sowie ein Koffer und einige Kleidungsstücke fehlten, weshalb jeder davon ausging, dass sie mit einem anderen Mann durchgebrannt war. Aber Matilda wusste, dass ihre Mutter sie nie zurückgelassen hätte. Wenn sie herausfinden wollte, was mit ihrer Mutter passiert war, musste sie den Keller erforschen, und das erforderte Zeit.

»Wie hoch stehen die Chancen, dass du die Fuchsjagd gewinnst?«

»Mein Vater meinte, ich soll die fünfzigtausend Pfund Startgebühr lieber nehmen und ins Casino gehen. Wahrscheinlich würden meine Chancen da wirklich besser stehen, aber ich will mich nicht auf mein Glück verlassen müssen. Das meinte es in der Vergangenheit nicht gerade gut mit mir.«

»Ich bin dabei«, sagte Botzki.

»Aber ich habe dich doch …«, setzte Matilda an, wurde aber vom Hausmeister unterbrochen.

»Du wolltest mich fragen, ob ich als Fallensteller dabei bin. Deswegen bist du hier. Du wirst mich ja wohl kaum um die Startgebühr anpumpen, oder?«

»Nein«, gestand Matilda und sah sich im Schuppen um. »Wenn wir gewinnen, teilen wir die Summe durch drei.«

»Klingt fair. Wer ist unser Zauberer?«

»Darüber habe ich mir den Kopf zerbrochen. Die Kirche war bei den Hexenverbrennungen leider sehr gründlich.«