Signs of Magic 3 – Die Spur des Hounds - Mikkel Robrahn - E-Book
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Signs of Magic 3 – Die Spur des Hounds E-Book

Mikkel Robrahn

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Beschreibung

Das grandiose Finale der Urban Fantasy-Serie »Signs of Magic« von Mikkel Robrahn spielt in den Katakomben von London Matilda hat genug von Mrs. Lynbrooks Spielchen und beschließt, ihr endgültig das Handwerk zu legen. Gemeinsam mit Albert, Cynthia und Botzki geht sie einem verheißungsvollen Hinweis ihres Vaters nach, der die Chefin von Watts & White ein für alle mal zu Fall bringen soll. Doch genau das stellt die Freunde vor eine Reihe ungeahnter Herausforderungen … Der spannungsgeladene und actionreiche dritte Teil voller Magie und Überraschungen! Bereits erschienen von Mikkel Robrahn: Die »Hidden Worlds«-Trilogie Signs of Magic – Die Jagd auf den Jadefuchs Signs of Magic – Die Suche nach Tzunath

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Seitenzahl: 432

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Mikkel Robrahn

Signs of Magic 3 – Die Spur des Hounds

 

 

 

 

Über dieses Buch

 

 

Ein sagenumwobener Tresor und eine wilde Bestie. Matilda und Albert müssen das Geheimnis aufdecken.

Albert lebt seinen Traum als Zauberer auf der Theaterbühne. Doch als Mathilda ihn aufsucht, um die hinterhältige Mrs. Lynbrook endgültig zu Fall zu bringen, zögert er nicht lang. Gemeinsam mit Cynthia und Botzki gehen die Freunde einem Hinweis von Matildas Vater nach: Ein Tresor soll die schlimmsten Verbrechen der Bankchefin offenbaren. Ihre Mission, den nie geahndeten Abscheulichkeiten von Mrs. Lynbrook ein Ende zu bereiten, führt sie schließlich in die Katakomben, wo sie auf eine grauenvolle Bestie treffen …

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch

Biografie

 

 

Mikkel Robrahn, geboren 1991 in Norddeutschland, ist seit vielen Jahren in der Gaming-Branche tätig. Da ihm aber nur Videospiele zu langweilig sind, schreibt er auch noch Bücher und versucht seinen Mops Oskar zum täglichen Gassigehen zu überreden. Das mit den Büchern klappt sehr gut, so ein Mops ist aber ein ziemlicher Dickkopf. 

 

Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden Sie unter www.fischerverlage.de

Für Anabelle

Kapitel 1

Matilda Godwins

Matilda Godwins war keine Zauberin. Sie war weit davon entfernt, Feuerbälle zu werfen, und einen Besen hatte sie zuletzt in der Hand gehabt, um damit ein zerbrochenes Glas zusammenzukehren, nicht um durch die Nacht zu fliegen.

Matilda war eine Godwins.

Ein Name, der zu besseren Zeiten mehr wert war als ein Schiff, derart voll beladen mit Gewürzen und Gold, dass es tief im Wasser lag.

Aber diese Zeiten waren schon lange vorbei.

Ihr Anwesen hatten sie nur behalten können, weil Matilda mit der Hilfe guter Freunde und ein paar magischer Tricks die Jadefuchsjagd gewonnen hatte. Ihre Schummelei war zu spät aufgeflogen, um sie noch den Sieg zu kosten, aber Mrs Lynbrook, die Chefin der ausrichtenden Bank Watts & White, vergaß nichts. Einige Zeit später hatte sie Matilda und ihre Freunde – genau wie Matildas Mutter zuvor – zum Sterben in die Marschlande geschickt, doch sie waren dem Tod von der Schippe gesprungen.

Und nun bestanden die Godwins nur noch aus einem trockenen Alkoholiker, der eine Entziehungskur vor sich hatte, und Matilda.

Sie rollte sich im Bett auf die andere Seite und versuchte, den plagenden Gedanken zu entkommen. Es war früh am Morgen, doch bisher war an Schlaf nicht zu denken gewesen.

Matilda hatte nichts gelernt und nichts studiert, und ihr Lebenslauf wartete mit einer riesigen gähnenden Lücke auf, nachdem sie ihr Studium abgebrochen hatte, um sich um ihren Vater zu kümmern.

Für den Arbeitsmarkt war sie so etwas wie ein Totalschaden. Sollte ihr Lebenslauf doch mal in die Hände eines Personalmitarbeiters geraten, würde er kurz den Kopf prüfend zur Seite legen und ihn dann seufzend schütteln. Dann würde das Blatt Papier von den unerbittlichen Zähnen eines Reißwolfs zerstückelt werden.

Matilda überlegte, wie ihr Leben wohl in fünf Jahren aussehen würde, und bekam es mit der Angst zu tun. Es gab keine Träume, keine Ziele. Ihr ganzer Verstand wurde von einer einzigen Person beherrscht.

Agatha Magnolia Lynbrook. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren, in einem Waisenhaus in Scarborough aufgewachsen und dank eines Stipendiums Studium an der Universität von Oxford. Das hatte Matilda in einem Zeitungsartikel gelesen, der vom Wunder des Scarborough Children’s Home berichtete. Eines der Kinder hatte es nach Oxford geschafft. Die paar Zeilen waren ihr bei ihrer Recherche zur Bankchefin in die Hände geraten. Auf dem verblichenen Schwarz-Weiß-Foto posierte ein dickbäuchiger Mann mit gezwirbeltem Bart und gescheitelten Haaren neben einem kleinen Mädchen. Er war der Heimleiter und sah so streng drein, wie man es wohl von einem Heimleiter erwartete. Das Kind war Agatha, damals hieß sie noch Millbourne mit Nachnamen. Neben ihr saß ein großer hagerer Hund mit zotteligem Fell, die Lefzen zu einer irren Grimasse hochgezogen. Die dunklen Augen des Tiers verloren sich zwischen dem dichten Haar. Der Anblick jagte Matilda jedes Mal einen Schauer über den Rücken.

Der Artikel ließ die Frage offen, wie es Lynbrook aus dem Heim bis an die Spitze von Watts & White geschafft hatte. Das war ein ungewöhnlicher Werdegang, und es machte ganz den Anschein, als hätte Agatha Magnolia Lynbrook möglichst viele Spuren ihrer Vergangenheit verwischt.

Aber das war auch nicht weiter wichtig.

Es zählte nur, dass Lynbrook der Familie Godwins den Krieg erklärt hatte. Matilda war fest entschlossen, sich nicht länger in ihrer Festung zu verstecken und darauf zu hoffen, dass die Belagerung irgendwann nachließ. Lynbrook hatte einen langen Atem, und ihre Kriegskasse war prall gefüllt. Außerdem hatte sie Matildas Mutter in den Tod geschickt.

Das musste Konsequenzen haben.

Matilda warf die Decke ans Fußende, und sofort umfing sie die kalte Hand des Winters. Sie sprang aus dem Bett und zog sich ihren dicken Morgenmantel über. Er half am schnellsten gegen die eisige Luft. Ihr Vater und sie hatten arge Probleme, das Anwesen vernünftig durchzuheizen. Es waren zu viele Zimmer mit zu vielen Löchern, durch die der Wind pfiff. Stattdessen konzentrierten sie sich auf die Küche, das Esszimmer und das Kaminzimmer. Dort bollerten die Kamine und Öfen ununterbrochen.

Ein Umstand, der die beiden letzten verbliebenen Godwins die vergangenen Wochen öfter hatte zusammensitzen lassen. Sie waren zu Beginn wie zwei misstrauische Wölfe gewesen, die dem anderen nicht den Rücken zukehrten. Aber im Laufe der Zeit, die sie vor dem wärmenden Feuer verbrachten, hatte sich so etwas wie Vertrauen entwickelt. Das Vertrauen darauf, dass man den anderen nicht noch weiter mit in den Abgrund riss, in den man sich selbst begeben hatte.

Immerhin hatte Matilda ihren Vater seit ihrer Rückkehr aus den Marschlanden nicht mehr mit etwas Alkoholischem gesehen. Er stank auch nicht länger nach dem billigen Fusel, sondern nur noch nach Schweiß. Das war ein Fortschritt.

Matilda öffnete ihre Schlafzimmertür und schlurfte den Gang hinab. Die Schritte ihrer Hausschuhe hallten laut von den steinernen Wänden wider und erinnerten sie überdeutlich an die Leere in diesem Gemäuer. Mit dem Verschwinden ihrer Mutter hatte auch jede Wärme und Liebe das Godwins-Anwesen verlassen. Ein Umstand, an den sich Matilda schon vor langer Zeit gewöhnt hatte. Aber die Gewissheit, dass sie nie zurückkehren würde, schmerzte immer noch.

Ihre Hand glitt über das glatte geölte Holz des Geländers, als sie die Treppe hinunter in die Eingangshalle lief. Sie ging am Kellereingang vorbei. Der Zugang wurde nun durch eine schwere Tür versperrt. Das Risiko, dass ihnen jemand aus den Marschlanden folgte und vielleicht sogar auf Rache sann, weil sie Charles Lynbrooks Plan vereitelt hatten, war ihnen zu groß gewesen. Als Matilda sich der Küche näherte, roch sie frisch aufgebrühten Kaffee.

Sie war nicht die Einzige mit Schlafproblemen.

»Guten Morgen«, wurde sie von Williams Godwins brummend begrüßt, als sie durch den Türrahmen trat. Seine Augen waren grau unterlaufen, die Haare fettig und wild. Aus den Bartstoppeln war ein ungepflegter Vollbart geworden. Er hatte sich weiter gehen lassen, aber immerhin trank er nicht mehr. Zumindest hoffte Matilda das. Ihr Blick wanderte zu der Kaffeetasse, die vor ihrem Vater auf dem Tisch stand. Vielleicht war das Getränk mit Whisky oder Rum gestreckt, vielleicht aber auch nur mit Milch.

»Guten Morgen«, erwiderte sie matt und ließ sich auf einen Stuhl fallen.

»Gut geschlafen?«

Matilda stützte den Kopf auf den Händen ab. »Das letzte Mal, als ich fünf war, glaube ich. Das war nach meinem Geburtstag, zu dem ich das Stoffpferd bekommen hatte.«

»Lange her«, murmelte Williams.

»Ich würde viel dafür geben, einfach mal wieder eine Nacht durchzuschlafen.«

Williams nahm einen Schluck aus der Tasse. »Die Leute wissen den Wert von Schlaf erst zu schätzen, wenn er ihnen nicht länger vergönnt ist.«

»Wie bei so vielem im Leben«, deutete Matilda an.

»Ich hätte mich mehr um deine Mutter kümmern müssen«, gab Williams unumwunden zu. »Ich hatte nur die Geschäfte im Blick, versuchte, den Laden irgendwie zusammenzuhalten, und habe dabei nicht bemerkt, was sie vorhatte.«

»Lynbrook wird für das bezahlen, was sie Mum angetan hat.«

Williams verzog das Gesicht, als hätte er auf ein Pfefferkorn gebissen. »Lynbrook kontrolliert jede Rechnung mit der Akribie einer Anwältin, die das Kleingedruckte sucht. Sie wird diese Rechnung nicht freiwillig bezahlen.«

Das war Matilda klar. Sie hatte auch nicht vorgehabt, die Rechnung per Post zuzustellen, sondern wollte sich persönlich darum kümmern. »Ich werde keine ruhige Nacht mehr haben, solange das Problem nicht aus der Welt geschafft ist.«

Ihr Vater schlürfte seinen Kaffee, nickte und starrte verträumt die Küchenwand an, als wäre dort ein Fenster eingelassen. »Ich weiß, ich weiß«, murmelte er und seufzte. »Du hast dich auf einen gefährlichen Pfad begeben, bei dem ich mich frage, ob nicht zwangsläufig jede Route in den Abgrund führt.« Er sah sie nicht an, als er die Worte aussprach, aber sie konnte die Angst in seinen Augen sehen.

Matilda wusste einen Moment nicht, was sie erwidern sollte. Ihr Verhältnis war während der letzten Wochen besser geworden, aber das hatte beinahe so geklungen, als würde sich ihr Vater Sorgen um sie machen.

»Ist dein Antrag durch?«, fragte sie.

»Ja, nächste Woche geht es los.« Sein Blick wanderte wieder zu der Stelle an der Wand. »Ich fürchte mich ein bisschen.«

»Ach, du wirst eine entspannte Zeit haben. Ein geregelter Tagesablauf, viel Sport, ein paar Gespräche mit Therapeuten und lange ausgedehnte Spaziergänge in der Natur.«

»Nicht wegen der verdammten Entziehungskur«, knurrte Williams und nahm noch einen kräftigen Schluck vom Kaffee. »Deinetwegen.«

Nun fehlten Matilda vollends die Worte.

»Als deine Mutter dich zur Welt brachte, haben wir dich förmlich mit einem Fluch belegt. Damals dachte ich, es sei ein Geschenk, ein Privileg. Godwins, ein Name, der dir mal viele Türen öffnen und ein sorgenfreies Leben bescheren sollte. Das genaue Gegenteil ist passiert. Du kämpfst gegen die Dämonen unserer Familie, und ich kann dir nicht mal helfen.«

»Du kämpfst gegen ganz andere Dämonen«, sagte Matilda, und für einen kurzen Moment sah sie zu der Kaffeetasse in den knorrigen Händen ihres Vaters.

»Nur Kaffee, versprochen«, verteidigte er sich und mühte sich ein Lächeln ab, das sie schon zu oft in seinem Gesicht gesehen hatte. Menschen logen nicht nur mit Worten.

»Willst du, dass ich Lynbrook einfach so davonkommen lasse?«

»Ich will, dass du all das hier hinter dir lässt. Die Villa, Lynbrook.« Eine kurze Pause. »Deine Mutter. Du bist wie ein Tiger im Zoo, eingesperrt und nicht in der Lage, wirklich zu leben.«

»Wenn ich ausbreche, wird sie mir nachstellen«, widersprach Matilda. Außerdem hatte sie gar nicht vor zu flüchten. Sie wollte Lynbrook zur Strecke bringen. »Ich werde nicht vergessen, was sie Mum angetan hat. Und ich glaube nicht, dass wir die Einzigen sind, denen sie so übel mitgespielt hat.«

»Du solltest eine Ausbildung machen oder was Menschen in deinem Alter sonst so tun. Setz dir einen Rucksack auf, reise durch die Welt, lerne jemanden kennen«, versuchte Williams es noch einmal.

Matilda wollte all das. Aber das konnte es erst geben, wenn sie den Nebel vertrieb, der die Godwins seit Jahren umgab. »Du machst deine Kur und lässt Lynbrook meine Sorge sein.«

»Die Tasche ist schon gepackt«, sagte Williams und wollte noch einen Schluck aus der Tasse nehmen, bemerkte dann aber anscheinend, dass sie leer war. Seine glasigen Augen wanderten zu der Kanne, die bei Matilda stand.

»Schwarz?«, fragte sie, und der Unterton klang schärfer als beabsichtigt.

»Schwarz«, erwiderte ihr Vater matt, und Matilda goss ein. Als Williams nach dem Henkel der Tasse griff, bemerkte sie seine zittrigen Finger, die sich nach einem Halt zu sehnen schienen, bloß würden sie ihn nicht in der Tasse finden. Dafür brauchte es mehr als nur Kaffee.

»Wie lange bist du weg?«, erkundigte sich Matilda.

»Vier Wochen, vielleicht auch ein halbes Jahr, hängt ganz davon ab, was ich für Fortschritte mache.« Mit dem Preisgeld von der Jadefuchsjagd hatten sie Williams Godwins in einer Privatklinik eingebucht. Ein beschauliches Anwesen an der Ostküste bei Grimsby. Im Prospekt schaute man aus den Zimmern aufs Meer, und es gab ein Fitnessstudio und einen Koch, der sich ganz nach den Wünschen der Gäste richtete, so wurde es jedenfalls zugesichert. Dass es sich eigentlich um einen Therapieplatz für alkoholkranke Reiche handelte, konnte man beim Lesen schnell vergessen.

»Nimm dir die Zeit, die du brauchst.«

»Ich werde den Rest meines Lebens damit zu kämpfen haben«, murmelte ihr Vater, »da macht es auch keinen Unterschied, ob ich dort Wochen oder Monate verbringe. Mal schauen, welche britische Prominenz mein Schicksal teilt.« Die Einrichtung war dafür bekannt, dass Promis und Berühmtheiten dort eincheckten, um dem Alkohol den Kampf anzusagen. Wieder starrte ihr Vater an die Wand. »Du wirst nicht auf meinen Rat hören, oder?«

Matilda lehnte sich auf dem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Hätte ich auf deinen Rat gehört, hätte ich die Startgebühr im Casino verzockt, statt an der Jadefuchsjagd teilzunehmen. In dem Fall würden wir ganz bestimmt nicht mehr an diesem Tisch sitzen.«

Williams grunzte. »Da hast du recht. Was hast du vor?«

Matilda überlegte einen Moment. Sie vertraute ihrem Vater, hielt es aber für klug, ihn möglichst aus der Sache rauszuhalten. Zu lügen brauchte sie aber nicht, denn sie hatte noch gar keinen Plan. »Das werde ich mit Albert besprechen.«

»Du wirst also etwas unternehmen?«, bohrte ihr Dad nach, und Matilda wurde langsam misstrauisch.

»Du spionierst jetzt aber nicht für diese alte Schachtel, oder?«

Das Lachen ihres Vaters ging in einen Hustenanfall über. »Nein. Kein Geld der Welt könnte mich dazu bewegen, meine eigene Tochter auszuspionieren.«

»Als ich vierzehn war und mich Howard besucht hat, hast du uns keine Sekunde aus den Augen gelassen.« Howard war ein Schulfreund von Matilda und nie mehr als das gewesen, wovon sich ihr Vater anscheinend selbst überzeugen musste.

»Das war etwas anderes, das verstehst du nicht«, fertigte er ihren Einwand ab. »Ich kenne ein Gerücht, etwas, das man sich hinter vorgehaltener Hand über Watts & White erzählt. Es ist nicht viel, nur ein Strohhalm, an den ihr euch klammern könnt, wenn ihr das wirklich machen wollt.«

Es war, als jagten eintausend Volt durch Matildas Körper. Ihre Nackenhaare richteten sich auf, und sie setzte sich kerzengerade hin. »Was?«

»Der Reichtum von Watts & White ist kein Geheimnis. Aber er bemisst sich nicht nur in Zahlen auf Kontoauszügen, in Aktienpaketen und Anlagefonds. Du warst bei Lynbrook im Büro, oder?«

Matilda konnte sich nur zu gut an ihren Besuch im Büro der Bankchefin erinnern. Die Aussicht über London, die Pastillen, die sie sich unentwegt in den Mund stopfte, wie eine Kröte Insekten verschlang. »Ja.«

»Dann ist es dir bestimmt aufgefallen«, deutete ihr Vater an.

Matilda ratterte alles Gesehene durch den Kopf. Aber sie wusste nicht, worauf Williams hinauswollte. »Sag schon.«

»Die Kunst, die Artefakte, die Schätze aus aller Welt«, raunte er. »Gestohlen von anderen Kontinenten und Kulturen und verschifft nach England. Watts & White hat sich bedient wie ein Kind im Süßigkeitenladen.«

Dieser Umstand war Matilda bewusst. Damit reihte sich Watts & White in eine ganze Reihe von unrühmlichen Organisationen und Unternehmen ein. »Das ist vielleicht einen Aufhänger in der Zeitung wert, aber deswegen wird Lynbrook nicht ihren Job verlieren«, murmelte Matilda und war unsicher, ob ihr Vater wirklich darauf hinauswollte.

Williams winkte ab. »Das wird niemanden zu Fall bringen, nein. Aber sie haben noch ganz andere Leichen im Keller. Verbrechen, die Watts & White zum Einsturz bringen könnten. Es soll einen Tresor geben, in dem die Bank ihren wahren Schatz aufbewahrt.«

»Sch… Schatz?«, stammelte Matilda.

»Es ist nicht mehr als ein Märchen, eine Legende, aber ich glaube, etwas ist an der Sache dran.«

»Was für ein Schatz?«, hakte Matilda nach. »Und wo?«

Ihr Vater nahm einen Schluck Kaffee, und die elend lange Pause zerriss Matilda. »Keine Ahnung«, gestand er.

Die ganze Anspannung fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus. »Keine Ahnung?«, wiederholte sie ungläubig.

»Es ist ein Strohhalm, wie ich gesagt habe. Aber wenn es stimmt, dann kann das, was ihr in diesem Tresor findet, Lynbrook vernichten.«

Matildas Gedanken rasten. Was könnte so schlimm sein, dass ein so übler Mensch wie Lynbrook ihren Posten räumen musste? Matilda wusste es nicht, aber es würde ihr die nötige Genugtuung geben. Das war ihre Definition von Rache. Sie wollte niemanden töten, aber sie musste Lynbrook wehtun. »Wer kann mir da weiterhelfen?«

Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Du wirst nur schlafende Hunde wecken, wenn du dich umhörst.«

Matilda hatte keine Angst vor Hunden. Sie war schließlich mit Tzunath, dem Wesen, das die ganzen Marschlande terrorisiert hatte, fertig geworden. »Ich geh Holzhacken.«

Einen Augenblick später stand sie beim Schuppen hinter dem großen Herrenhaus. Sie ließ die Axt auf den Baumstamm hinuntersausen und zertrennte ein Holzstück in zwei Teile. Hier draußen war es das Einzige, was sie fit hielt, und überlebensnotwendig, wenn sie in ihrem Zuhause nicht erfrieren wollten.

Ein Tresor.

Matilda hatte keine Ahnung vom Schlösserknacken. Aber Albert und Cynthia hatten das mehr als einmal gemacht. Zugegeben, die Schlösser waren sicherlich nicht mit dem vergleichbar, womit Watts & White seine Schätze sicherte. Aber egal.

Die Axt sauste wieder hinab, und zwei Holzscheite fielen auf den gefrorenen Boden.

Aber sie brauchten einen Anhaltspunkt. London war groß und der Untergrund unübersichtlich. Es gab unzählige Kanalisationsanlagen, Tunnel und Kanäle. Manche waren so alt, dass sie nicht mehr auf Karten zu finden waren, andere ganz in Vergessenheit geraten. Es wäre absolut zweckfrei, wenn sie einfach einen Gullydeckel aufstemmten und sich auf die Suche machten.

Die Klinge zerteilte ein Stück Holz. Splitter flogen davon. Schweiß trat auf ihre Stirn, und sie atmete immer schwerer.

Albert würde ihr helfen. Vielleicht hatte er eine Idee.

 

Am nächsten Morgen klingelte es früh an der Tür. Matilda war mit ihrem Vater aufgestanden; sie hatte zwar kaum ein Auge zugemacht, wollte ihn jedoch verabschieden.

»Das ist der Chauffeur«, sagte sie und zog ihren Morgenmantel, den sie gegen die Kälte übergeworfen hatte, noch etwas enger um sich.

»Ich weiß«, erwiderte ihr Vater und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Er hatte sich rasiert, das Haar war ordentlich zur Seite gekämmt. Zudem trug er Hemd und Hose, als würde er den Eindruck erwecken wollen, dass mit ihm alles in Ordnung sei.

»Du siehst gut aus«, beruhigte sie ihn.

Williams Godwins drehte sich zu seiner Tochter um. »Danke.«

»Ist nur die Wahrheit«, erwiderte Matilda.

»Nein, das meinte ich nicht. Danke, dass du mich nie fallen gelassen hast. Du hättest mehr gute Gründe gehabt als Lynbrook Feinde. Jeder hätte Verständnis dafür gehabt, wenn du deinen alten Herrn hier einfach zurückgelassen hättest. Du bist eine echte Godwins.«

Eine echte Godwins. Matilda fühlte nichts dabei. Keinen Stolz, keine Dankbarkeit. Der Name Godwins war ein Fluch, kein Privileg. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, ihr fiel nichts Nettes ein.

Wieder läutete es an der Tür.

»Wir sollten ihn nicht länger warten lassen«, forderte sie ihren Vater auf.

Der nickte hastig. »Ja, du hast recht, entschuldige.« Er griff nach seinen zwei Reisetaschen.

Gemeinsam liefen sie durch die Eingangshalle. Ihre Schritte hallten von den hohen Wänden wider, und Matilda hatte Angst vor dem Moment, wenn sie wieder alleine in der Villa war.

Williams öffnete die Tür, und ein kleiner Mann in Anzug und mit einer Chauffeurmütze stand mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf der Treppe vor der Eingangstür.

»Mr Godwins?«, fragte er und deutete eine Verbeugung an.

»Anwesend«, erwiderte ihr Dad und klang, als würde er sich auf den Weg zur Hinrichtung begeben.

»Freut mich, Sir. Darf ich Ihnen die Taschen abnehmen?«

»Dürfen Sie«, murmelte Williams und reichte dem Fahrer das Gepäck. Sofort wieselte der Mann zum Kofferraum seiner Limousine. Nichts am Auto deutete darauf hin, dass es zu einer Einrichtung für Alkoholkranke gehörte. Kein Schriftzug, keine Folierung. Es war eine schlichte schwarze Limousine. Niemand wollte sich in ein Auto setzen, das jedem neugierigen Nachbarn verriet, dass man ein Alkoholproblem hatte.

»Also«, sagte ihr Vater und drehte sich zu Matilda um. »Mach keine Dummheiten, solange ich weg bin. Keine Partys und kein Jungsbesuch, verstanden?«

»Dann werde ich mir einfach ein paar hübsche Frauen einladen.« Matilda nahm ihren Vater in den Arm. Es war einer der seltenen Momente, in denen sie all ihren Ärger und Frust der letzten Jahre vergaß und den Augenblick einfach genoss. »Werd wieder gesund, okay?«

»Ich versuch’s«, versprach er und drückte sie noch mal. Dann ließ er sie los und legte ihr die Hände an die Schultern. Sein Blick wurde schlagartig ernst. »Wenn ihr Lynbrook stoppen wollt, dann macht es richtig und seid gründlich, verstanden? Keine halben Sachen.«

»Verstanden«, erwiderte sie.

»Keine schlafenden Hunde wecken.«

Irgendwas gefiel Matilda an der Art, wie er es sagte, nicht, aber sie hatte keine Möglichkeit, genauer nachzuhaken. Der Chauffeur, der mit verschränkten Armen am Auto wartete, räusperte sich in einer Lautstärke, die man als unhöflich bezeichnen konnte. Ihr Vater schenkte ihr noch ein Lächeln, dann drehte er sich um und marschierte mit gesenktem Haupt und heruntergezogenen Schultern auf den Wagen zu.

 

Drei Tage waren vergangen, seitdem Williams Godwins in der schwarzen Limousine weggefahren war. Er hatte sie kurz nach seiner Ankunft angerufen. Das Personal sei nett und die Aussicht auf das Meer tatsächlich sehr schön, bloß das Bett wäre viel zu weich für seinen alten Rücken.

Seitdem war Funkstille, und Matilda spürte, wie die Leere sie langsam aufsog. Zu zweit war das Anwesen viel zu groß, aber alleine verlor man sich darin.

Sie hatte in den drei Tagen genug Holz für diesen und den nächsten Winter gehackt. Doch sie nutzte jeden Grund, den Ort, den sie immer mehr als ein Gefängnis und eine Last empfand, zu verlassen. Matildas Oberarme schmerzten vom vielen Holzhacken, trotzdem hörte sie nicht auf. Bei jedem Schlag stellte sie sich Lynbrook vor, und sie verfehlte keinen Hieb.

Lynbrook war schuld, dass Matildas Mutter sie verlassen hatte. Sie hatte sich ein besseres Leben für ihre kleine Familie erhofft, und Lynbrook hatte diese Hoffnung genährt.

Matilda war fest entschlossen, Lynbrook dafür bluten zu lassen.

Sie war so sehr in ihrer eigenen Welt gefangen, dass die Worte vom Wind davongetragen wurden, bevor sie sie wahrnahm. Erst beim dritten Rufen sah sie auf. Jemand hatte ihren Namen ausgesprochen. Wurde sie jetzt verrückt?

Nein, auf dem Weg, der um das Anwesen herum und nach vorne zur Auffahrt führte, stand eine Person. Der Mann war hochgewachsen wie eine gesunde Eiche und in einen Mantel gehüllt, der die gleiche graue Farbe wie sein ordentlich gestutzter Vollbart hatte. Das ergraute Haar war nach hinten gekämmt. Das breite Kreuz verriet, dass er es gewohnt war anzupacken.

Matilda wollte ihren Augen nicht trauen. Sie schüttelte langsam den Kopf. Es war eine Täuschung, ein Trugbild. Drei Tage in der Einsamkeit hatten ausgereicht, um sie den Verstand verlieren zu lassen.

Ein stumpfes Poltern ertönte, als die Axt zu Boden fiel. Matilda machte einen Schritt auf ihn zu. »Botzki?«

Der Mann schenkte ihr ein warmes, aufrichtiges Lächeln. Etwas, das ihr Vater nie richtig gelernt oder über die Jahre verloren hatte. »Was soll das werden?«, fragte er und zeigte auf den Holzstapel. »Planst du eine Hexenverbrennung?«

»Ich … was?«, stammelte Matilda. »Warum bist du hier?«

»China ist ja sehr schön, aber ich habe England vermisst«, murmelte Botzki.

»Warum?« Matilda wusste, dass ihn nichts hier hielt. Keine Familie, kein Haus.

»Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass du vielleicht Hilfe gebrauchen könntest«, erklärte der ehemalige Hausmeister des Anwesens und einer der Gewinner des letzten Jadefuchsturniers. »Eigentlich war es kein Vögelchen, sondern ein alter vernarrter Esel, mit dem ich nichts mehr zu tun haben wollte.«

Matilda hörte schon gar nicht mehr richtig hin. Sie lief auf den Mann zu, der schon immer ein bisschen ein Vaterersatz für sie gewesen war, und nahm ihn fest in den Arm. Ihr Dad hatte ihr Hilfe geschickt. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, ihre Sicht verschwamm.

Die Leere gab Matilda frei wie Nebel, der vom Wind davongetragen wurde.

Kapitel 2

Albert Tubbs

Der Applaus überkam Albert wie ein lang ersehnter Sommerregen. Er tauchte darin ein, genoss den Moment, verbeugte sich und verließ die Bühne. Hände klopften ihm auf die Schultern, als er sich auf den Weg zur Backstage machte. Schweiß rann von seiner Stirn und brannte ihm in den Augen.

All das störte ihn nicht.

Alles war genau so, wie er es sich immer vorgestellt hatte.

Seitdem sie aus den Marschlanden zurück waren, konnte er endlich seiner Berufung nachgehen: dem Zaubern. Aus der Show im Theater war schnell ein Geheimtipp geworden und aus dem Geheimtipp ein Publikumsmagnet. Für die kommenden Wochen waren sie komplett ausverkauft, und Mr Relish senior stellte bereits Kalkulationen für einen Theaterbetrieb mit zwei Shows pro Woche auf.

Mehr Shows bedeuteten mehr Personal, aber auch mehr Einnahmen. Für Albert war es eine einfache Rechnung, aber Mr Relish war der Mann für die Zahlen, Albert der für die Zauberei.

Er ließ sich auf die Ledercouch fallen und setzte den Zylinder ab. Mit einem vertrauten Griff fand er sofort Butterscotch in den unergründbaren Tiefen seiner Kopfbedeckung. Der Hamster quiekte, als er sein Zuhause verlassen durfte, und Albert setzte ihn auf dem laminierten Beistelltisch ab.

»Eine gute Show war das«, lobte er den Nager, der ihn mit großen schwarzen Augen anstarrte. Die kleine Stupsnase zuckte in der Luft und war auf der Suche nach Zucker. Albert hatte alle Süßigkeiten aus seiner Backstage verbannt. »Du bekommst nachher eine Handvoll Kürbiskerne, das ist der vereinbarte Lohn für deine Mitarbeit auf der Bühne«, erinnerte ihn Albert. Die Vertragsverhandlungen mit dem Hamster waren sehr kurz und einseitig gewesen. Das Tier hatte keinen Widerspruch eingelegt, als Albert ihm den Vorschlag gemacht hatte. Mit einer Handbewegung verstaute er ihn wieder sicher in den Tiefen des Zylinders.

Albert schälte sich aus dem Zaubererfrack und dem Hemd, griff zum Handtuch, das über dem Stuhl hing, und wischte sich den Schweiß vom Körper. Über die Wochen war das zu einem Ritual geworden. Die Arbeit im Scheinwerferlicht war erfüllend, aber auch sehr anstrengend.

Er wollte blendend aussehen, wenn er das Theater verließ. Mittlerweile kam es immer häufiger vor, dass Fans auf ihn warteten und um Fotos und Autogramme baten. Albert freute sich über die Verlinkungen in den sozialen Netzwerken.

Er war jetzt jemand, den die Leute bewunderten.

So oft er die Jadefuchsjagd auch verflucht hatte, war sein Leben dadurch doch in die richtige Richtung geschubst worden. Auf den Abstecher in die Marschlande hätte er verzichten können, aber auch zu dem Opfer war er bereit gewesen, um sich seinen Traum erfüllen zu können.

Von Lynbrook hatte er seitdem nichts mehr gehört. Vielleicht hatte sie sich damit abgefunden, dass sie nicht jede Schlacht gewinnen konnte, und den Krieg für beendet erklärt. Die ersten Wochen hatte er in der Angst verbracht, dass es einen Kabelbrand oder ein Gasleck im Theater geben könnte. Irgendeinen Unfall, der das Gebäude bis auf die Grundmauern zerstörte. Aber das war nicht eingetreten.

Es gab noch einen Menschen, von dem er seitdem nichts mehr gehört hatte: Matilda. Seine Anrufe hatte sie ignoriert. Zweimal hatte er ihr Freikarten für seine Shows geschickt, doch die Plätze blieben jedes Mal leer. Albert konnte nur hoffen, dass sie nichts Dummes anstellte. Er hatte keine Vorstellung von dem Verlust, den sie erlitten hatte. Ihr Hass auf Lynbrook war sicherlich weiter gewachsen und hatte sich nicht einfach in Luft aufgelöst.

Er seufzte.

Es war mühsam, darüber nachzudenken. Albert nahm sich vor, sie demnächst zu besuchen. Irgendwann, wenn der Rummel ein bisschen nachgelassen hatte und er den Kopf freibekam.

Die Tür öffnete sich, und eine rothaarige Frau trat ein. Cynthia schlüpfte aus ihrer Lederjacke und warf sie auf die Couch, dann gab sie Albert einen Kuss. »Wie war die Show?«, fragte sie.

»Gut«, antwortete der Zauberer und konnte sein Glück immer noch nicht fassen. Als diese Frau zum ersten Mal durch diese Tür gekommen war, hatte er in Erwägung gezogen, sie könnte hergekommen sein, um ihn umzubringen.

Nun waren sie ein Paar.

Cynthia massierte seinen Nacken, und er ließ es bereitwillig über sich ergehen. Sie hatte die Hände einer Schuldeneintreiberin, die sich hin und wieder mit mehr als nur Worten durchsetzen musste.

»Das tut gut«, murmelte er.

»Es ist schön, wenn du entspannt bist«, sagte sie.

»Okay«, flüsterte Albert, ohne hinzuhören. Er hatte die Augen geschlossen und versuchte abzuschalten. Das gelang ihm, seitdem er ein erfolgreicher und gefragter Zauberer war, immer schlechter. In Gedanken ging er eine nie endende Liste an zu erledigenden Aufgaben durch.

»Ich habe schlechte Neuigkeiten«, verriet Cynthia.

»Okay«, nuschelte Albert und genoss die kräftigen Finger seiner Freundin. »Drück mal zwischen den Schultern, da bin ich echt verspannt.«

»So?«

»Perfekt«, erwiderte er, als sich ihr Daumen genau zwischen seine Schulterblätter bohrte.

»Habe ich deine Aufmerksamkeit?«

»Noch ein bisschen tiefer.« Albert musste unbedingt Sport machen. Jeder Auftritt fühlte sich wie ein Marathonlauf an.

»Albert, es gibt schlechte Neuigkeiten«, herrschte ihn Cynthia an und beendete die Massage.

Seinen eigenen Namen ausgesprochen zu hören, holte ihn in die Realität zurück. »Was?«

»Ich habe gerade mit meiner Familie telefoniert. Lynbrook zahlt die Rechnung für den Auftrag in den Marschlanden nicht. Sie reagiert nicht auf Mahnungen.«

»O… okay«, stammelte Albert. Er wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. »Ihr habt doch Erfahrung mit so was.«

Cynthia seufzte und ließ sich auf die Couch fallen. »Manchmal glaube ich, du lebst in deiner eigenen kleinen Parallelwelt. Natürlich haben wir Erfahrungen mit Zahlungsverzug, aber Watts & White hat bisher immer pünktlich gezahlt. Meine Familie will, dass ich Lynbrook einen Besuch abstatte und das kläre.«

Albert starrte ihr in die Augen. »Das ist ein Problem, oder?« Natürlich war es das. Es war schlichtweg undenkbar, dass Cynthia bei Lynbrook ins Büro marschierte, das Geld einsammelte und wieder rausspazierte. »Was hast du deiner Familie gesagt?«

»Dass ich mich darum kümmern werde«, gab Cynthia zögerlich zu.

»Aber Lynbrook«, erwiderte Albert, als wäre der Nachname ein Synonym für eine Krankheit, die sie sich einfangen würde.

»Ich weiß es doch selbst. Verdammter Mist. Aber nach den Marschlanden habe ich eh noch eine Rechnung mit ihr offen. Sie hat mich nicht wegen des Geldes dorthin geschickt, sondern um Matilda und dich loszuwerden.«

»Aber sie hat es nicht geschafft.«

Cynthia seufzte. »Doch sie war so kurz davor.«

Albert stand auf, setzte sich zu ihr auf die Couch und nahm sie in den Arm. »Du kannst nicht zu Lynbrook. Das ist, als würde sich das gejagte Reh ins Visier des Jägers stellen und ›schieß endlich‹ brüllen. Lynbrook wartet doch nur darauf, dass einer von …«

»Ich weiß«, schnitt sie seinen sich anbahnenden Vortrag ab. »Das ist mir ebenso bewusst wie meiner Familie. Aber wir dürfen niemandem so ein Verhalten durchgehen lassen. Wenn sich das herumspricht, meinen andere auch ganz schnell, uns auf der Nase herumtanzen zu können. Ich gehe nicht davon aus, dass sie mir die offenen Rechnungen bezahlt, aber wir müssen Präsenz zeigen.«

Albert schüttelte langsam den Kopf. Er dachte darüber nach, seiner Freundin vorzuschlagen, den Namen und gleich die ganze Identität zu wechseln. Es lief gerade zu gut, sie durften die Bestie nicht reizen. »Aber ihr braucht das Geld doch gar nicht«, versuchte er es ein weiteres Mal. Albert war sich bewusst, dass es eine Sache war, bei der er gar nicht mitzureden hatte. Bei den Familiengeschäften der Murphys wurde er nicht nach seiner Meinung gefragt.

»Ich sage dir das, weil ich denke, dass es Lynbrook nicht um die Rechnung geht. Sie will schauen, was wir als Nächstes machen, um dann ihre Schritte entsprechend zu planen. Sie hält uns ein Stöckchen hin und will herausfinden, wie hoch wir springen können.«

Albert hatte den Hochsprung im Sportunterricht immer gehasst. Er hatte nie genug Kraft in den Beinen gehabt und war wie ein nasser Sack auf der Matte gelandet. »Dann sollten wir ihr den Gefallen gar nicht erst tun.«

»Das ist keine Option, meine Familie ist wütend«, entgegnete Cynthia ruhig.

»Dann soll deine Familie sich darum kümmern«, sagte Albert und bereute es sofort.

Cynthia entfuhr ein genervtes Schnauben. »Du solltest lieber nicht bei uns einheiraten, wenn du das ernst meinst.«

»Entschuldige«, murmelte Albert. »Was hast du jetzt vor?« Es war sinnlos, ihr die Sache auszureden, also fand er sich mit dem Gedanken ab.

»Ich werde Lynbrook einen Besuch in ihrem Büro abstatten und sie zur Rede stellen.«

»Hast du einen Termin?«

Cynthia schüttelte den Kopf, als hätte er etwas Dummes gesagt. »Bei so was macht man keine Termine. Lynbrook wird sich die Zeit nehmen, da bin ich mir sicher.«

»Wann?«

»Morgen oder übermorgen?«

Als hätten sich Gewichte um sein Herz gelegt, wurde es plötzlich ganz schwer. Ihm blieben noch höchstens achtundvierzig Stunden, dann konnte er sich von seinem Theater verabschieden. Lynbrook würde seiner Freundin offenbaren, dass sie den Zauberer und die Godwins-Erbin von der Landkarte wie einen Schreibfehler radieren wollte. Nichts würde von ihnen übrig bleiben. »Ich glaube, mir wird schwindelig«, murmelte er und streckte sich auf der Couch aus. Die Beine legte er seiner Freundin in den Schoß, sodass ihm das Blut ins Gehirn floss.

»Ich wusste, dass dich die Neuigkeit beunruhigen würde, aber ich hätte nicht gedacht, dass du so …« Sie machte eine kurze Pause und starrte Albert auf der Couch an. »… körperlich reagierst.«

»Die Frau hat uns bei der Jadefuchsjagd einen Typen auf den Hals gehetzt, der Matilda umbringen sollte. Sie hat Matildas Mutter in den sicheren Tod geschickt. Sie hat unseren nur allzu gerne in Kauf genommen. Wie soll ich auf so eine Nachricht nicht körperlich reagieren?«, hielt Albert kurzatmig dagegen.

Cynthia tätschelte ihm die Beine. »Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob deine Sorgen nicht übertrieben sind. Ich weiß nicht, ob Lynbrook dein Theater abfackeln würde. Vielleicht bist du ihr dafür zu egal.«

Albert schüttelte den Kopf. »Ich bin Londons angesagtester Zauberer«, verteidigte er sich gekränkt. »Ich sollte niemandem egal sein, außerdem bin ich der Grund, warum sie keinen Jadefuchs mehr hat.«

»Das hat sie bestimmt sehr geärgert«, gab Cynthia zu.

Albert atmete tief ein und aus. Sein Puls beruhigte sich langsam wieder. »Dieser Albtraum hört erst auf, wenn das mit Lynbrook geklärt ist, oder?«

»Konflikte müssen gelöst werden«, antwortete Cynthia diplomatisch wie eine Lehrerin, die Streit unter Schülern schlichtete.

Albert fasste einen Entschluss. Wenn er weiterhin in Ruhe als Zauberer auftreten wollte, ohne Angst vor Lynbrook und ihren hinterhältigen Plänen zu haben, mussten sie in die Offensive gehen. Das Problem musste angepackt werden. »Ich komme mit«, beschloss er schnell, bevor er es sich anders überlegen konnte.

Er nahm aus den Augenwinkeln wahr, dass sie ruckartig den Kopf in seine Richtung drehte. Albert starrte stoisch zur Decke und studierte das Muster der Raufasertapete. Er spürte den prüfenden Blick seiner Freundin, entschied sich aber, nicht darauf zu reagieren.

»Das hältst du für eine gute Idee?«

»Konflikte müssen gelöst werden, das hast du gerade gesagt. Also gehe ich die Sache an.« Es war wie mit Zahnarztterminen: Wenn man die Kontrollen zu lange schleifen ließ, wurden die Probleme immer größer. Albert würde in Lynbrooks Büro marschieren, Cynthia würde etwas Kluges sagen, und dann war die Sache hoffentlich erledigt.

»Danke, dass du mitkommst«, sagte Cynthia, und da ahnte Albert erst, dass auch sie Angst vor Lynbrook hatte. Dass sie Albert all das erzählte, weil sie nicht alleine sein wollte.

»Klar«, murmelte er überrumpelt, auch wenn ihm bewusst war, dass das alles andere als selbstverständlich war. Bis vor ein paar Minuten hatte Albert es mit einer Vermeidungsstrategie versucht. Wenn er die Augen vor den Problemen verschloss, würden die Probleme auch ihn nicht sehen, war seine Logik gewesen. »Wann gehen wir hin?«

»Lass es uns gleich morgen machen, bevor wir es uns anders überlegen.«

»Alles klar. Einfach reinmarschieren?«

»Reinmarschieren und improvisieren. Das Reden werde ich erst mal übernehmen.«

»Klingt gut«, fand Albert.

»Wollen wir?«

»Ja, Zeit für den Feierabend.« Langsam erhob er sich von der Couch und griff sich den Zaubererkoffer. Er brauchte ihn nicht bei der Show, aber er stand für den Fall der Fälle immer backstage bereit. Der Koffer sah tadellos aus, von den Angriffen in den Marschlanden war nichts mehr zu sehen. Mehr als einmal hatte er Albert gute Dienste geleistet, um Schläge scharfkantiger Macheten abzuwehren. Albert hatte über das Internet einen kleinen Handwerksladen in den Gassen von London gefunden, wo die Stellen ausgebessert und der Koffer neu bespannt worden war. In schlichtem schwarzem Leder, passend zur Farbe seines Outfits.

Cynthia klemmte sich den Zylinder unter den Arm. »Butterscotch bleibt bestimmt ungern alleine zurück.«

Albert ließ noch einen letzten Blick umherschweifen, ob er etwas vergessen hatte, dann verließen sie seinen Rückzugsort.

Am Hintereingang stand der Türsteher Billy. Wäre er kein Mensch, hätte er auch als Bär durchgehen können. Die kräftigen behaarten Arme hatte er vor der breiten Brust verschränkt, als er an der Wand angelehnt seinen Chef beäugte. »Ist es schon vorbei?«, fragte er überrascht. Leider wäre er kein sonderlich kluger Bär gewesen und hätte in der Natur nicht lange überlebt. Denn er lernte einfach nicht dazu. Die Show fing seit jeher zu einer festen Uhrzeit an, und Albert verließ jedes Mal zur selben Zeit das Theater, trotzdem war Billy immer noch überrascht.

»Du kannst auch Feierabend machen«, sagte Albert müde.

Billy nickte zufrieden. »Danke, Chef.«

Immerhin ließ er niemanden mehr in Alberts Backstagebereich. Cynthia hatte sich bei ihrem ersten Treffen in Alberts Umkleide gestohlen, indem sie einen Namen von der Gästeliste abgelesen hatte. Billy war gar nicht auf die Idee gekommen, sich ihren Ausweis zeigen zu lassen. Mr Relish hatte in Alberts Anwesenheit ein ernstes Gespräch mit dem Türsteher geführt und betont, wie wichtig die Sicherheit der Künstler und entsprechend auch Billys Aufgabe wäre.

Der Türsteher hatte genickt und etwas vor sich hin gemurmelt, aber sein Blick war verdächtig trübe geblieben.

Draußen warteten drei Jungen. Albert signierte ihre Tickets und machte Fotos mit ihnen. Die drei brachten kein Wort heraus, aber ihre Eltern bedankten sich für die Show und dass er sich Zeit für sie nahm. Der Zauberer war müde, aber das hier war der Lohn für all die Mühe und Arbeit.

Es war spät in der Nacht, als sie am Haus von Alberts Eltern vorfuhren. Er wohnte immer noch zu Hause und hatte nicht vor, demnächst auszuziehen. Die Nähe zu seinen Eltern war etwas, das er nicht vermissen wollte.

Cynthia hatte sich zuerst die eine oder andere Anmerkung nicht verkneifen können. Ein Mann, der den Dreißigern näher als den Zwanzigern war und noch zu Hause lebte. Das war ein gefundenes Fressen für sie gewesen. Zumal Albert sich finanziell keine Sorgen zu machen brauchte. Nachdem sie aber in den Genuss von Elanis Kochkünsten gekommen war, hatten diese Kommentare schnell aufgehört. Mittlerweile wohnte sie auch bei den Tubbs, wenn sie in London war.

Am nächsten Morgen verließen sie früh das Haus und fuhren mit einem Taxi ins Stadtzentrum. Albert hatte an diesem Tag auf seine Zaubererkluft verzichtet. Er trug eine schlichte Stoffhose und einen grauen unauffälligen Pullover. Ein dicker Mantel schützte ihn vor der kalten Winterluft, die durch die Londoner Gassen jagte. Er hatte kein Interesse an einem großen Auftritt. Im besten Fall wurden ein paar Worte ausgetauscht, und sie konnten wieder verschwinden.

Die schweigsame Taxifahrerin brachte sie in die Nähe der Westminster Bridge. Den Rest der Strecke wollten sie zu Fuß zurücklegen. Ein kleiner Spaziergang an der Themse, um den Kopf freizubekommen, bevor sie sich in die Höhle der Löwin wagten.

Albert hielt mit der einen Hand Cynthias fest umklammert, als sie an der Promenade entlangspazierten, die andere hatte er tief in der Tasche seines Mantels vergraben. Er fror, und sein Atem kondensierte an der frischen Luft. Nur wenige Menschen waren zu dieser Uhrzeit unterwegs, zumindest für Londoner Verhältnisse. Die Stadt war immer voll, aber im Augenblick saßen die meisten bei der Arbeit, beim Arzt, erledigten Einkäufe oder waren anderweitig beschäftigt. Die Themse gehörte den Touristen und dem frisch verliebten Pärchen.

»Ich denke darüber nach, mir einen anderen Job zu suchen«, sagte Cynthia plötzlich.

Albert blieb stehen und sah ihr in die Augen. »Was?«

Cynthia zog die Mundwinkel hoch und versuchte sich an einem Lächeln. »Ich mag nicht mehr. Nach den Marschlanden habe ich viel nachgedacht. Ich brauche etwas anderes, eine Veränderung.«

»Du meinst eine Auszeit?« Albert konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Cynthia etwas anderes machte. Sie lebte für ihren Job und war, nach allem, was er gehört hatte, verdammt gut darin. Ihre Familie war sozusagen der Rolls Royce unter den Schuldeneintreibern. Man beauftragte sie, wenn es um die kniffligen Fälle ging.

»Nein, keine Auszeit. Etwas anderes, etwas mit mehr …« Sie schüttelte den Kopf. »Es fühlt sich einfach nicht mehr richtig an. Jahrelang habe ich für Leute wie Lynbrook Schulden eingetrieben. Die Schuldner waren selten besser, aber nachdem ich gesehen habe, was Lynbrook Matilda und ihrer Familie angetan hat, fing ich an, mir Gedanken zu machen.« Sie verfolgte mit dem Blick eine Möwe, die über der Themse segelte.

»Hast du es deiner Familie schon gesagt?«

»Ich wollte es tun, aber dann kam die Nachricht, dass Lynbrook noch nicht gezahlt hat, und da es mein Auftrag war, ist es auch meine Aufgabe, mich darum zu kümmern. Ich werde das zu Ende bringen und mir dann etwas anderes suchen.«

»Und was?«

»Ich weiß es nicht, vielleicht lerne ich ein Handwerk. Irgendwas, wo man Möbel baut. Ich stelle mir das ganz schön vor. Man sieht am Ende des Tages, was man getan hat. Und Möbel muss man auch nicht mit einer Waffe bedrohen, damit sie Aufforderungen nachkommen.«

Albert starrte auf das Wasser der Themse. »Was wird deine Familie sagen?«

»Sie werden es wahrscheinlich dir in die Schuhe schieben, dass du mich verhext hast oder so.« Sie grinste. »Nein, sie werden nicht erfreut sein, aber es ist mein Leben und meine Entscheidung. Sie werden es akzeptieren müssen, und ich bin mir sicher, dass ich immer noch gerne zu Weihnachten gesehen bin.«

»Ziehst du dann nach London?«, fragte Albert. Cynthias Leben spielte sich immer dort ab, wo sie gerade gebraucht wurde. Eine Beziehung mit ihr zu führen, war nicht einfach.

»Haben deine Eltern etwa noch ein Zimmer frei?« Ihr Grinsen wurde noch breiter, aber Albert ging nicht auf die Provokation ein.

»Ich dachte, vielleicht …« Er schüttelte den Kopf und sah auf die Uhrzeiger von Big Ben. »Wir sollten langsam.« Er drehte sich um und wollte sie mit sich ziehen, aber Cynthia folgte ihm nicht.

»Was dachtest du?« Ihr Blick ging durch ihn hindurch wie ein Röntgenscanner am Flughafen.

Albert zögerte. »Egal, später.« Er lief los, und dieses Mal kam Cynthia mit. Offen gesagt wusste er nicht, ob er sie fragen sollte. War es dafür zu früh? Sie waren noch nicht lange zusammen. Kurz nach den Marschlanden hatte sie ihn geküsst, als sie nach seiner Show zusammen backstage herumhingen. Er hatte nicht damit gerechnet, es nicht mal in Erwägung gezogen, dass Cynthia mehr von ihm wollen könnte. Eigentlich hatte Albert auch gar nicht vor, sich in eine Beziehung zu stürzen. Seit Patty hatte er keinen Gedanken daran verschwendet. Er hatte sich voll auf seine Zaubererkarriere konzentrieren wollen. Aber dann war es passiert, und er hatte es akzeptiert. Mittlerweile war etwas Ernsthaftes aus der Backstage-Knutscherei geworden. Aber er traute sich trotzdem nicht, sie zu fragen.

Schweigend liefen sie zu der kleinen Seitengasse, in der sich das Bankgebäude von Watts & White befand. Es war ein anderes Büro als das, in dem Albert für kurze Zeit in der Poststelle gearbeitet hatte. Die Chefin wollte nicht mit dem Fußvolk verkehren, zumindest vermutete er das.

Nur der Name auf dem Klingelschild verriet, wer hier residierte. Sie hatten keinen Termin, aber Lynbrook würde sie empfangen wollen.

Cynthia drückte die Klingel, und sie beobachteten die Kameralinse, durch die sie ein emsiger Assistent am Empfang bestimmt gerade inspizierte.

»Bitte?«, ertönte eine Stimme aus der Gegensprechanlage.

»Cynthia Murphy und Albert Tubbs«, sagte die Schuldeneintreiberin.

»Abraham Kadabraham«, schob Albert hinterher.

»Haben Sie einen Termin?« Die Stimme gehörte einem Mann, und er klang nur mäßig interessiert.

»Nein, aber Mrs Lynbrook wird uns sehen wollen.«

»Bitte machen Sie einen Termin«, erwiderte der Sekretär routiniert.

»Wenn Sie Ihren Job behalten wollen, informieren Sie Ihre Chefin sofort darüber, dass wir hier in der Kälte stehen.«

»Wie war noch mal Ihr Name?«, hakte der Mann nach.

»Cynthia Murphy.«

»Und Abra Kadabra, ist das richtig?«

»Abraham Kadabraham«, korrigierte ihn der Zauberer.

»Einen Moment bitte.«

Albert und Cynthia sahen sich in die Augen.

»Kaum zu glauben, dass wir das wirklich tun«, sagte er. Er hatte sich fest vorgenommen, Mrs Lynbrook einfach zu vergessen. Aber das klappte nicht. Sie war wie eine nahende Mathearbeit, an die man immer wieder denken musste.

»Ein allerletztes Mal, danach ist Schluss.« Sie klang wie jemand mit einem Abhängigkeitsproblem.

»Hoffen wir, dass Lynbrook uns keinen Anlass gibt, noch mal wiederzukommen.« Albert hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. Selten verliefen die Dinge so unkompliziert, wie man es sich erhoffte.

Dann ertönte der Summer, und Albert stemmte sich gegen die schwere Tür. Der Muff alter Teppiche schlug ihm entgegen.

Kapitel 3

Matilda Godwins

Das Feuer prasselte im Kamin, das Holz knackte. Matilda saß in dem Sessel im Kaminzimmer, den sie bevorzugte, wenn sie zu brüten hatte. Hier hatte sie mit Albert beraten, ob sie Lynbrooks Brief lesen würden, und hier würde sie auch mit Wiktor alles Weitere besprechen.

Sie trank einen Schluck aus dem Glas in ihrer Hand. Der Whisky rann mit warmem Brennen ihre Kehle hinab. Es war eine schlechte Angewohnheit, über Dinge nachzudenken und dabei Alkohol zu trinken. Das musste sie von ihrem Vater haben.

»Ich hatte nach zwei Minuten kein warmes Wasser mehr«, hörte sie Botzki sagen und drehte sich um. Ein Handtuch lag noch über seinen Schultern, und die nassen Haare standen in alle Richtungen ab, als er sich in den Sessel neben Matilda sinken ließ. »Ansonsten war es aber im Vergleich zu dem Kübel in meinem Schuppen reiner Luxus.«

»Auch?«, fragte Matilda und deutete auf das Glas in ihrer Hand.

Botzki zögerte. »Lieber nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, dein alter Herr sollte mir ein Vorbild sein. Ich werde auch nicht jünger und muss ein bisschen darauf achten, was ich zu mir nehme. Ich verzichte heute.«

»Irgendwas anderes?«

Botzki winkte ab. »Werde mich nachher selbst bedienen, alles gut.«

Matilda sah wieder in die Flammen. »Wie war es in China?«

»Ich soll liebe Grüße von Shi ausrichten; sie wäre gerne mitgekommen. Aber familiäre Verpflichtungen und die viele Arbeit als Zauberin haben sie daran gehindert.«

»Danke«, erwiderte Matilda knapp. Sie brauchten Shi nicht, denn sie hatten einen Zauberer. Nachdenklich nippte sie an ihrem Getränk.

»Ein schönes Land«, fuhr Botzki fort. »Völlig anders als Polen oder England. Das Essen war nicht so mein Ding. Aber alle sind sehr höflich und nett.« Er nestelte am Saum des Pullovers.

»Dir hat es keinen Spaß gemacht, oder?«

»Hat schon seinen Grund gehabt, warum ich all die Jahrzehnte nicht auf die Idee gekommen bin, um die halbe Welt zu reisen, denke ich.« Botzki schmunzelte. »Einen verwurzelten Baum soll man nicht verpflanzen, besagt doch ein altes Sprichwort.«

»Aber in dem Schuppen kannst du nicht bleiben. Bei dem Wetter erfrierst du da drinnen. Du ziehst hier ein; ich hab eh genug Platz.«

»Danke schön«, erwiderte Botzki, und Matilda war froh, nicht mehr alleine in dem gespenstisch leeren Anwesen zu sein. Sie hatten genug Zimmer, um mehrere Fußballmannschaften unterzubringen, da konnte sie auch einen guten Freund bei sich aufnehmen. »Was ist aus unserem Zauberjungen geworden?«

Matilda dachte an die Freikarten für Alberts Zaubershow, die ungenutzt auf ihrem Schreibtisch lagen, und bekam ein schlechtes Gewissen. Sie hatte seine Anrufe ignoriert, weil sie die Frage, wie es ihr ging, nicht hören wollte. Die ehrliche Antwort wäre gewesen, dass sie keine Ahnung hatte. Gut ging es ihr auf jeden Fall nicht. »Er hat jetzt ein Theater und tritt dort mit seiner Show auf«, antwortete sie knapp.

Botzki nickte anerkennend. »Hat sich ganz schön gemacht, der Kerl.« Er räusperte sich. »Dein alter Herr deutete an, dass ihr einiges erlebt habt, während ich weg war?«

»Wusstest du, dass in unserem Keller ein Tor in eine andere Welt ist?«

Botzki sah sie an, als hätte sie ihm erzählt, dass Lynbrook die Queen beerben würde. »Du machst Witze.«

Matilda berichtete, wie sie in die Marschlande gekommen waren und was sie dort erlebt hatten. Sie sparte kein Detail aus, nicht eine Einzelheit über Tzunath, ihre Mutter oder Charles Lynbrook. Als sie fertig war, schwiegen sie beide und starrten in die Flammen.

»Deine Mutter war eine tolle Frau«, durchbrach Botzki irgendwann die Stille, und Matilda fühlte rein gar nichts bei den Worten. Es war eine Floskel, etwas, das man immer über Tote sagte. Aber sie war Botzki dankbar für den Versuch. »Ohne sie hätte es hier keiner der Bediensteten länger als ein halbes Jahr ausgehalten. Sie hatte im Blick, dass wir rechtzeitig unseren Lohn bekamen, kümmerte sich um kleine Präsente zu unseren Geburtstagen oder fragte manchmal einfach, wie es einem ging. Nicht aus Höflichkeit, sondern weil es sie wirklich interessierte. Während dein Vater immer häufiger versuchte, die Löcher im Rumpf seines Unternehmens zu stopfen und irgendwie Geld reinzuholen, war sie es, die den Laden hier zusammenhielt. Nach ihrem Verschwinden«, Botzki atmete tief ein, »brachen alle Dämme, und dieser Ort hier verlor seine Wärme. Kein Kaminfeuer der Welt konnte das ersetzen.«

Matilda nippte an ihrem Glas und genoss das Feuer, das sich ihre Kehle hinab ausbreitete. »Was weißt du über Watts & White?« Botzki hatte sich schon bei der Fuchsjagd als überaus gut informiert erwiesen.

Er zuckte mit den Schultern. »Viel Geld, viele Geschäfte. Kein Laden, bei dem ich ein Konto eröffnen könnte. Das älteste Bankinstitut Londons. Viel weiß ich nicht, denn die Bank tut alles dafür, nichts preiszugeben. Wusstest du, dass es nicht mal einen Wikipedia-Artikel über sie gibt?«

»Ja«, erwiderte Matilda. Dort hatte sie zuerst nachgeschaut und nichts gefunden. Das machte die Bank noch viel verdächtiger.

»Du willst Lynbrook in die Suppe spucken?«

Sie wollte ihr nicht nur in die Suppe spucken, sondern auch noch eine ganze Handvoll Salz hineinkippen. »Mein Vater erzählte von einem Tresor unter der Stadt. Einem Ort, an dem Watts & White alle Geheimnisse aufbewahrt. Dinge, die nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken dürfen.«

»London ist groß«, murmelte Botzki.

»Wir brauchen irgendeinen Anhaltspunkt.«

»Und ein Schweißgerät, wenn wir den Tresor knacken wollen.«

»Vielleicht ist noch irgendwo eins im Keller oder im Geräteschuppen«, überlegte Matilda laut, wusste aber, dass das aktuell ihr geringstes Problem war. Ein Schweißgerät konnten sie kaufen, aber es hatte seine Gründe, warum der Tresor nur eine Legende war.

»Wir können nicht einfach einen Gullydeckel öffnen und hoffen, dass wir plötzlich vor einem Panzerschrank stehen. Wir brauchen einen Anhaltspunkt.« Botzki strich sich mit der Hand über den glatten Bart.

»Ich weiß«, erwiderte Matilda.

»Werden wir Lynbrook ausfragen?« Er betonte das letzte Wort auf eine Art und Weise, die verriet, dass er im Zweifelsfall nicht nur Fragen stellen würde.

»Nein, besser ist, wenn sie nichts von unserem Vorhaben erfährt. Wenn wir versuchen, über sie an den Standort des Tresors zu gelangen, dann ist sie gewarnt. Es muss ohne sie gehen.«

»Und wenn es diesen Tresor gar nicht gibt? Wenn das Märchen wirklich nur ein Märchen ist, um Watts & White noch geheimnisvoller erscheinen zu lassen, als es der Laden eh schon ist?«

Matilda beobachtete die Flammen im Kamin. Das hatte sie auch schon in Erwägung gezogen. Aber solange die Möglichkeit bestand, dass etwas an dem Tresor unter London dran war, so lange würde sie der Sache nachgehen. Lynbrook durfte nicht davonkommen. Sie entging ihrer gerechten Strafe schon viel zu lange.

»Es gibt jemanden, den wir fragen können«, überlegte Botzki laut. »Seine Familie ist nicht gut auf deine zu sprechen, aber ich glaube, nach allem, was bei der Fuchsjagd passiert ist, könnten wir einen gemeinsamen Feind haben, und das macht uns zu Freunden. So geht die Gleichung doch, oder?«

»Du meinst Archibald Conteville?«, fragte sie ungläubig. Ihre letzte Begegnung hatte sie fast das Leben gekostet. Lynbrook hatte den jungen Mann mit irgendwas erpresst, damit er mit allen Mitteln verhinderte, dass Matilda Godwins die Jagd gewann. Fast hätte Archibald seine Mission erfüllt und Matilda umgebracht.

Wiktor hatte die Hände auf dem Bauch gefaltet, und das Feuer spiegelte sich in seinen Augen. »Sie werden nicht erfreut sein, wenn sie den Namen Godwins hören. Jahrzehntelange Familienfehde und so«, murmelte er in seinen Bart. »Aber lass es uns probieren. Sie verkehren in den oberen Kreisen, genau wie dein Vater es einst gewohnt war. Vielleicht wissen sie etwas oder kennen jemanden, den man fragen kann.«

»Warum sollten sie uns helfen?«, fragte Matilda eher sich selbst.

»Lynbrook hat ihren Sohn als Marionette benutzt. Die Godwins, Contevilles, und wie sie alle heißen, mögen es nicht, benutzt zu werden. Sie brauchen immer das Gefühl, die Zügel in der Hand zu haben. In uns könnten sie eine Möglichkeit sehen, wieder die Oberhand zu gewinnen.«