Silo 3 - Hugh Howey - E-Book

Silo 3 E-Book

Hugh Howey

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Beschreibung

Dies ist Teil 3 von SILO: Hugh Howeys verstörende Zukunftsvision ist rasanter Thriller und Gesellschaftsroman in einem. Silo handelt von Lüge und Verrat, Menschlichkeit und der großen Tragik unhinterfragter Regeln.

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Seitenzahl: 124

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Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »Wool 3« bei CreateSpace, Charleston, South Carolina   Übersetzung aus dem Englischen von Gaby Wurster und Johanna Nickel

Dritter Teil des fünfteiligen E-Books zu der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

2. Auflage 2013

ISBN 978-3-492-96145-5

© 2011 Hugh Howey Deutschsprachige Ausgabe: © 2013 Piper Verlag GmbH, München Umschlaggestaltung: Hafen Werbeagentur Umschlagfoto & Abbildung Innentitel: Keystone-France / Gettyimages

18. KAPITEL

Die Taschen waren nummeriert. Wenn Juliette an sich hinuntersah, konnte sie die Zahlen lesen – sie waren verkehrt herum aufgedruckt. Der Grund für das besondere Aussehen ihres Overalls war einfach: Niemand außer ihr würde sich mit der Nummerierung zurechtfinden müssen. Sie blinzelte benommen durch ihr Helmvisier, während die Tür hinter ihr versiegelt wurde. Vor ihr lag eine zweite Tür, die verbotene Tür, und Juliette stand still da und wartete, dass ihr geöffnet wurde.

Sie fühlte sich verloren in dem leeren Raum zwischen den beiden Türen, gefangen in der Luftschleuse, zwischen leuchtend bunten Rohren, die aus Wänden und Decke ragten. Das Zischen des Argons, das in den Raum gepumpt wurde, war in ihrem Helm wie von fern zu hören. Das Geräusch sagte ihr, dass es nun bald vorbei sein würde. Der Druck in der Kabine nahm zu, zerknitterte die Plastikvorhänge, die an den Wänden und um die Bank herum angebracht waren und dem Raum einen künstlichen Glanz verliehen. Juliette konnte das Gas an ihrem Anzug spüren, es war, als würde eine unsichtbare Hand ihren Körper berühren.

Sie wusste, was als Nächstes kam. Und ein Teil von ihr fragte sich, wie sie überhaupt hierhergekommen war, ein Mädchen aus dem Maschinenraum – das sich nie um die Außenwelt geschert und sich bestenfalls ein paar kleinere Mogeleien bei der Materialbestellung erlaubt hatte.

Wie zufrieden sie gewesen wäre, wenn sie den Rest ihres Lebens in den tiefsten Eingeweiden der Erde hätte herumkriechen und an ihren Maschinen herumschrauben können, eine Schicht Schmierfett auf dem Gesicht und kein Gedanke an die Welt der Toten dort draußen vor dem Silo …

19. KAPITEL

Einige Tage zuvor

Juliette saß auf dem Boden der Arrestzelle. Sie lehnte mit dem Rücken an den hohen Gitterstäben, vor ihr auf dem Wandmonitor war eine trostlose, erbärmliche Welt zu sehen. In den letzten drei Tagen hatte sie versucht, für sich selbst herauszufinden, worauf es bei ihrer Arbeit als Silosheriff ankam, und dabei hatte sie immer wieder einen Blick auf diese Außenwelt geworfen und sich gefragt, warum alle so ein Aufhebens darum machten.

Mehr als düstere Erdhaufen sah sie nicht, diese grauen Hügel, die sich zu den noch graueren Wolken hinaufreckten, Tupfen von Sonnenlicht, das mit wenig Erfolg das Land zu erhellen versuchte. Darüber hinweg wehten die giftigen Winde, wilde Böen, die kleine Staubwolken zu Fetzen und Wirbeln aufpeitschten und über die verlassene Landschaft jagten.

Für Juliette hatte diese Aussicht nichts Inspirierendes, nichts, was ihre Neugier entfachte. Dort draußen gab es bloß unbewohnbares Brachland, das für niemanden von Nutzen war. Abgesehen von dem rostigen Stahl der verfallenden Hochhäuser, die man hinter den Hügeln sah, würden sich keine Rohstoffe finden lassen. Und es wäre zweifellos der größere Aufwand, diesen Stahl abzubauen, zu transportieren, zu schmelzen und zu läutern, als einfach neues Erz aus den Minen unter dem Silo zu fördern.

Wie Juliette nun sah, war es vollkommen deprimierend und unnütz, den verbotenen Träumen von der Außenwelt nachzuhängen. Die Menschen aus den oberen Etagen, die diesen Blick liebten, schauten in die falsche Richtung: Die Zukunft lag unten. Von dort nämlich kamen das Öl, aus dem sie die Energie gewannen, die Mineralien, aus denen sich so viel Nützliches herstellen ließ, der Stickstoff, der den Boden der landwirtschaftlichen Anlagen düngte. Wer als Schatten in den Fußstapfen der Chemiker und Metallarbeiter gelernt hatte, war sich dessen auch durchaus bewusst. Nur diejenigen, die in den Kinderbüchern lasen und ständig das Puzzle einer längst vergessenen Vergangenheit zu rekonstruieren versuchten, lebten weiterhin in ihrer Illusion.

Die allgemeine Besessenheit von der Außenwelt konnte Juliette lediglich in Anbetracht des weiten Raums nachvollziehen, ein Aspekt der Landschaft dort draußen, der sie, offen gestanden, erschreckte. Vielleicht stimmte etwas nicht mit ihr, dass sie die Wände des Silos so sehr mochte, die dunkle Enge ganz unten. Waren die anderen alle verrückt, weil sie ständig an die Flucht aus dem Silo dachten? Oder hatte sie selbst ein Problem?

Juliette wandte sich von den vertrockneten Hügeln und dem Staubnebel ab und blickte auf die Akten, die um sie herum verstreut waren – die unerledigte Arbeit ihres Vorgängers. Auf ihrem Knie lag ein glänzender, noch ungetragener Sheriffstern. Auf einem Aktenorder stand eine Feldflasche, gesichert in einer wiederverwendbaren durchsichtigen Beweismitteltüte aus Plastik. Ein paar Zahlen, mit schwarzer Tinte auf die Tüte geschrieben, waren durchgestrichen – Notizen zu längst gelösten oder nicht weiterverfolgten Fällen. Eine einzige Zahl war neu, ein Aktenzeichen, das auf Unterlagen verwies, die Juliette nicht bei sich im Büro hatte, ein Ordner voller Zeugenaussagen und seitenlanger Indizien, die den Tod des Mayors betrafen. Alle hatten diese Bürgermeisterin geliebt, und trotzdem hatte irgendjemand sie umgebracht.

Einige der Notizen in dieser Akte hatte Juliette gesehen, allerdings nur aus der Ferne. Sie stammten allesamt von Deputy Marnes, der den Ordner in seiner Verzweiflung keine Sekunde aus der Hand geben wollte. Juliette hatte von der anderen Seite des Schreibtischs auf die dicht beschriebenen Seiten geschielt und die Tropfen gesehen, die das eine oder andere Wort verschmiert hatten und das Papier in Wellen legten. Die Schrift zwischen den getrockneten Tränen war schlampig, nicht so ordentlich wie Marnes’ Notizen in den anderen Akten. Sein Gekritzel kroch zornig über die Seite, die Wörter waren wild durchgestrichen und mehrmals überschrieben. Und diese kochende Wut legte Marnes nun ständig an den Tag, weshalb Juliette schließlich ihren Schreibtisch verlassen und zum Arbeiten in die Arrestzelle gegangen war. Sie konnte unmöglich einer derart gebrochenen Seele gegenübersitzen und dabei einen klaren Gedanken fassen.

In der Arrestzelle verbrachte sie die Zeit zwischen den knisternden Funkrufen und den Ausflügen nach unten, wo sie wegen irgendeiner Störung gebraucht wurde. Oft saß sie einfach nur da, besah sich die Ödnis der Außenwelt oder ordnete wieder und wieder die Akten nach der mutmaßlichen Schwere des jeweiligen Vergehens. Sie war Sheriff des ganzen Silos. Sie hatte diesen Beruf nicht als Schatten erlernt, aber ihr wurde allmählich klar, was ihre Aufgaben waren. Eines der letzten Dinge, die Jahns zu ihr gesagt hatte, erwies sich nun als größere Wahrheit, als Juliette sich das jemals hätte vorstellen können: Menschen waren wie Maschinen. Sie gingen kaputt, sie lärmten, und wenn man nicht vorsichtig war, dann konnten sie zur Gefahr werden. Juliettes Aufgabe bestand nicht nur darin, dass sie herausfinden musste, warum etwas geschehen war und wer von Fall zu Fall die Schuld trug, sondern sie musste auch die Zeichen erkennen, bevor etwas passierte. Als Sheriff musste man genau wie als Mechaniker insbesondere eines beherrschen: die Kunst der präventiven Instandhaltung.

Als Vorbereitung auf ihr Amt hatte sie den Gesetzesteil des Silovertrags gelesen. Sie hatte in ihrem Bett ganz unten in der Mechanik gelegen, körperlich erschöpft von der Arbeit – der Justierung des Hauptgenerators –, und hatte sich mit den Regeln der Aktenablage befasst oder mit den allgemeinen Gefahren der Beweisvernichtung. Alles war logisch und entsprach irgendeinem Bereich ihrer Arbeit als Mechanikerin. Wenn sie an einen Tatort kam oder zu einem Streit gerufen wurde, war das auch nichts anderes, als wenn sie vorher in die Pumpenhalle gekommen und dort etwas kaputtgegangen war. Irgendetwas oder irgendjemand hatte immer eine Macke. Juliette konnte zuhören, beobachten, konnte all jene befragen, die möglicherweise etwas mit dem defekten Gerät oder mit dem passenden Werkzeug zu tun hatten. Und dann ging sie der Sache anhand der Ereigniskette auf den Grund. Immer gab es Störvariabeln, nie konnte man ein einzelnes Rädchen neu einstellen, ohne dass etwas anderes aus dem Takt geriet. Zum Glück war Juliette mit einer besonderen Gabe gesegnet: Sie wusste immer sofort, was wichtig war und was sich ignorieren ließ.

Sie vermutete, dass Marnes diese Fähigkeit damals in ihr gesehen hatte – diese Geduld und diese Skepsis, mit der sie so lange ihre Fragen stellte, bis sie schließlich über die richtige Antwort stolperte. Dass sie Marnes früher einmal geholfen hatte, einen Fall zu lösen, gab ihrem Selbstvertrauen Auftrieb. Sie war sich dessen damals nicht bewusst gewesen, es war ihr eher um die Gerechtigkeit als solche und um ihre private Trauer gegangen, aber der Fall war für sie Praktikum und Vorstellungsgespräch in einem gewesen.

Sie nahm die Akte zu dem damaligen Fall zur Hand. Ein blassroter Stempel auf dem Umschlag verkündete in fetten Druckbuchstaben: »Akte geschlossen«. Sie zog das Klebeband ab, das die Ränder zusammenhielt, und blätterte die Notizen durch. Sie erkannte Holstons gestochene Schrift, diesen dynamischen, nach rechts geneigten Duktus, der sich auf fast allem fand, was in und auf seinem ehemaligen Schreibtisch lag. Sie las Holstons Notizen über ihre Person und machte sich wieder mit dem Fall vertraut, der zunächst als offenkundiger Mord behandelt worden war, sich dann durch eine Reihe merkwürdiger Vorfälle aber in eine andere Richtung entwickelt hatte. Während sie die Akte durchging, kam der alte Schmerz wieder hoch. Nur mit Mühe konnte sie sich an das Hochgefühl erinnern, das sie damals empfunden hatte, als der Fall endgültig gelöst worden war, an die Befriedigung, weil es plötzlich klare Antworten gab und sich das Loch füllen ließ, das der Tod ihres Geliebten gerissen hatte. Sie legte die Akte weg, war noch nicht bereit, sich dem allen noch einmal zu öffnen. Sie nahm einen anderen Ordner und legte ihn auf den Schoß, und dabei strich sie mit einer Hand über den Messingstern auf ihrem Knie.

Ein Schatten flackerte über den Monitor und lenkte sie ab. Juliette blickte auf und sah einen kleinen Erdrutsch am Fuß des Hügels. Die Schmutzschicht wehte flimmernd auf die Kameralinsen zu – deren Bedeutung man ihr von jeher eingebläut hatte. Diese Linsen ermöglichten den Blick auf die Außenwelt, und schon als Kind hatte Juliette die Aussicht in banger Ehrfurcht als sehenswert würdigen müssen.

Aber sie war sich dessen nicht mehr so sicher, nun, da sie alt genug war, um selbst zu denken. Diese Obsession der oberen Etage mit der Reinigung sickerte kaum bis ganz nach unten durch, wo tatsächliche Putzarbeiten den Silo in Betrieb und seine Bewohner am Leben hielten. Und selbst dort unten in der Mechanik hatte man ihren Freunden von Geburt an verboten, von der Außenwelt zu sprechen – was keine große Kunst war, da sie diese Welt ohnehin nie vor Augen hatten. Aber da Juliette nun auf dem Weg zur Arbeit täglich an den Monitoren vorbeiging und hier an ihrem Arbeitsplatz vor diesem seltsamen Panorama saß, verstand sie, dass sich unausweichlich ein paar Fragen stellten. Ihr war klar, dass man bestimmte Ideen verdrängen musste, dass die Leute sonst in Panik aus dem Silo hinaufsteigen und Fragen formulieren würden, die für sie alle das Ende bedeuteten. Es ließ sich nicht ändern: Die Welt dort draußen war unbewohnbar, niemand durfte hinaus.

Anstatt weiter vor sich hinzugrübeln, schlug sie Holstons Akte auf. Der Teil, der sich auf sein tatsächliches Verbrechen bezog, war kaum eine halbe Seite lang, der Rest des Blattes war leer, das Papier vergeudet. In nur einem einzigen Abschnitt wurde umstandslos berichtet, dass er in die Arrestzelle der ersten Etage gegangen sei und den Wunsch geäußert habe, nach draußen zu gehen. Mehr stand dort nicht. Wenige Zeilen, die den Untergang eines Mannes besiegelt hatten. Juliette las sie ein paarmal, bevor sie umblätterte.

Die nächste Seite war ein Schreiben von Jahns, die darum bat, man möge Holston wegen seiner Dienste am Silo in Erinnerung behalten und nicht als einen gewöhnlichen Verbrecher. Juliette las den Brief, geschrieben von der Hand einer Frau, die ebenfalls erst kürzlich verschieden war. Es war eigenartig, an jemanden zu denken und dabei zu wissen, dass man die Person nie wiedersehen würde. Dass sie ihren Vater all die Jahre gemieden hatte, lag zum Teil daran, dass er schlicht und ergreifend noch immer im Silo lebte. Sie hätte jederzeit ihre Meinung ändern und doch zu ihm hinaufsteigen können. Aber bei Holston und Jahns war es anders – sie waren für immer verschwunden. Juliette, die ständig Geräte repariert hatte, die längst als irreparabel galten, hatte das Gefühl, dass sie die Toten zurückbringen, ihre verwesten Gestalten auferstehen lassen könnte, wenn sie sich nur ausreichend konzentrierte und die richtigen Handgriffe ausführte. Aber sie wusste natürlich, dass dieses Gefühl ein Wunschtraum war.

Sie blätterte Holstons Akte durch und stellte sich verbotene Fragen, manche zum ersten Mal. Sie las von Lecks in den Abgasleitungen, von altersschwachen Pumpen, deren Ausfall die Überschwemmung ganzer Stockwerke zur Folge hätte, sie erkannte Gefahren, die ihr dort unten in der Tiefe stets belanglos erschienen waren. Was war das überhaupt für ein Leben in diesen unterirdischen Mauern? Und was befand sich dort draußen hinter den Hügeln? Warum hatten die Menschen irgendwann einmal diese riesigen Häuser dort in der Ferne gebaut? Wozu? Was hatten sich Holston – oder auch seine Frau – als vernünftige Menschen dabei gedacht, als sie unbedingt hinausgehen wollten?

Zwei Ordner hatte sich Juliette in den vergangenen Tagen immer wieder vorgenommen und darüber die tagesaktuellen Fälle vernachlässigt. Beide waren mit dem Stempel »Akte geschlossen« versehen, beide gehörten ins Büro des Mayors, wo sie vor jedem Zugang hätten geschützt sein sollen. Einer der beiden Aktenorder beinhaltete das Leben des Mannes, den Juliette geliebt und dessen Tod sie in den unteren Tiefen aufzuklären geholfen hatte. In der zweiten Akte wurde das Leben des Mannes dokumentiert, den sie respektiert und dessen Posten sie nun übernommen hatte. Sie wusste nicht, warum sie so auf diese beiden Ordner fixiert war – zumal sie es selbst kaum ertragen konnte, wie Marnes seinerseits vor sich hinstarrte und immer wieder die Einzelheiten von Jahns’ Tod durchging, überzeugt, dass er den Mörder kannte und ihm lediglich die Beweise fehlten, um ihn dingfest zu machen.

Jemand klopfte an die Gitterstäbe über Juliettes Kopf. Sie blickte auf, erwartete Marnes, der ihr sagen würde, dass es Zeit sei, Feierabend zu machen. Stattdessen sah sie einen fremden Mann auf sich herabblicken.

»Sheriff?«, fragte er.

Juliette legte die Ordner beiseite und nahm den Stern von ihrem Knie. Sie stand auf, drehte sich um und sah einen kleinen Mann mit prallem Bauch und Brille auf der Nasenspitze, dessen silberner IT-Overall bequem saß, maßgeschneidert und ganz offensichtlich frisch gebügelt.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie.

Er streckte die Hand zwischen den Gitterstäben hindurch, Juliette nahm den Stern in die andere Hand und erwiderte den Gruß.

»Entschuldigung, dass ich so spät heraufkomme, aber es war eine Menge los – die Trauerfeierlichkeiten, diese sinnlose Stromsperre, das juristische Gerangel … Ich bin Bernard, Bernard Holland.«

Juliette wurde eiskalt. Die Hand des Mannes fühlte sich so schmal an, als würde ein Finger fehlen. Dennoch war sein Griff fest. Sie wollte ihre Hand zurückziehen, er ließ jedoch nicht los.

»Als Sheriff kennen Sie sicherlich den Silovertrag in- und auswendig, daher wissen Sie auch, dass ich kommissarischer Mayor bin, so lange, bis wir die Wahlen organisiert haben.«

»Das habe ich gehört«, sagte Juliette kühl. Sie fragte sich, wie dieser Mann an Marnes’ Schreibtisch vorbeigekommen war, ohne Gewalt anwenden zu müssen. Hier stand der Hauptverdächtige im Fall Jahns – allerdings auf der falschen Seite des Gitters. Und Juliette wurde sich bewusst, dass dies auch für sie galt.

»Aktenstudium?« Er lockerte seinen Griff, Juliette zog ihre Hand zurück. Er betrachtete die Unterlagen auf dem Boden, und für einen Moment schien sein Blick auf der Feldflasche in der Plastiktüte haften zu bleiben.

»Ich mache mich nur mit den laufenden Fällen vertraut«, sagte sie. »Hier drinnen ist ein bisschen mehr Platz zum …, nun ja, zum Denken.«

»Oh ja, ich bin mir sicher, dass der eine oder andere sich in diesem Raum schon wirklich tief schürfende Gedanken gemacht hat.« Er lächelte. Juliette fiel auf, dass seine Schneidezähne schief übereinanderstanden. Er sah aus wie eine dieser verirrten Mäuse, die sie gelegentlich in der Pumpenhalle gefangen hatte.

Ende der Leseprobe