1,99 €
Sie war jung, rettungslos verliebt und voller Freude auf die gemeinsame Zukunft an der Seite des geliebten Mannes. Das war vor vier Jahren ...
Wer die schöne Julia von Stein jetzt sieht, ist entsetzt und betroffen. Sie hat sich gänzlich in eine andere Welt zurückgezogen, eine Welt der Träume und der Stille, eine Welt, zu der sie keinem anderen Zugang gewährt - nicht ihren Freunden, nicht ihren Geschwistern und auch nicht dem Mann, dem sie einst ihr Herz geschenkt hat. Ihr Schweigen ist wie eine Flucht. Nur - wovor eigentlich?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 107
Cover
Irgendwann, irgendwo ...
Vorschau
Impressum
Irgendwann, irgendwo ...
Wenn es Zeit ist, seinen Träumen zu folgen
Von Martina Linden
Sie war jung, rettungslos verliebt und voller Freude auf die gemeinsame Zukunft an der Seite des geliebten Mannes. Das war vor vier Jahren ...
Wer die schöne Julia von Stein jetzt sieht, ist entsetzt und betroffen. Sie hat sich gänzlich in eine andere Welt zurückgezogen, eine Welt der Träume und der Stille, eine Welt, zu der sie keinem anderen Zugang gewährt – nicht ihren Freunden, nicht ihren Geschwistern und auch nicht dem Mann, dem sie einst ihr Herz geschenkt hat. Ihr Schweigen ist wie eine Flucht. Nur – wovor eigentlich?
Lisa Gartner blickte aus dem Zugfenster auf die vorbeifliegende Landschaft. Sie dachte an die neue Stelle, die sie antreten wollte. Dominik von Stein hatte sie als Pflegerin und Gesellschafterin seiner jüngeren Schwester engagiert, die seit einem Bootsunfall vor vier Jahren ständige Betreuung brauchte. Freunde hatten sie ihm empfohlen, und da die alte Dame, die Lisa bisher gepflegt hatte, vor einigen Wochen verstorben war, hatte sie angenommen.
»Nächste Station Bartenbach«, wurde durchgesagt, und die junge Frau stand auf und griff nach ihrer Reisetasche. Ihr übriges Gepäck hatte sie bereits nach Gut Stein vorausschicken lassen. Dann wartete sie darauf, dass der Zug in den Bahnhof von Bartenbach einlief.
Dominik von Stein hatte ihr gestanden, dass die bisherige Gesellschafterin seiner Schwester sie verlassen hatte, weil sie überzeugt gewesen war, dass es im Gutshaus spukte.
Lisa glaubte zwar, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die sich der menschliche Verstand nicht erklären konnte, aber sie glaubte nicht an kettenrasselnde Gespenster, weiße Frauen und dergleichen. Trotzdem fragte sie sich jetzt, ob es richtig gewesen war, diese Stelle anzunehmen. Dominik von Stein hatte auch von seiner zweiten Schwester gesprochen, die ziemlich schwierig zu sein schien und es darauf anlegte, die Leute gegen sich aufzubringen.
»Früher ist Antonia ein fröhliches, unbeschwertes Mädchen gewesen«, hatte er gesagt. »Erst seit dem Bootsunfall, bei dem unsere Mutter ums Leben gekommen ist, hat sie sich so verändert.«
Der Zug fuhr in den kleinen Bahnhof ein, und Lisa stieg aus. Überrascht hob sie die Augenbrauen, als sie ihren neuen Arbeitgeber sah. Sie hatte angenommen, dass der Gutschauffeur sie abholen würde.
»Ich hatte gerade im Dorf zu tun, Frau Gartner«, sagte Dominik von Stein. »Wie war die Anreise?«
»Danke, sehr angenehm, Herr von Stein«, erwiderte die junge Frau.
»Das freut mich.« Er nahm ihre Reisetasche.
»Ich kann meine Tasche doch selbst tragen«, protestierte Lisa.
»Warum sollten Sie?«, fragte er und fügte lachend hinzu: »Oder befürchten Sie, ich könnte mit Ihrer Tasche davonlaufen?«
Lisa wurde rot. »Natürlich nicht«, stammelte sie.
»Also, dann wäre das geklärt.« Mit raschen Schritten ging Dominik von Stein über den Vorplatz des Bahnhofs und blieb vor einer dunklen Limousine stehen. Er stellte die Reisetasche in den Kofferraum und schloss die Wagentüren auf. »Bitte«, sagte er und wies auf den Beifahrersitz.
Bei Bartenbach handelte es sich um ein idyllisches Dorf mit sauberen Straßen, mehreren ziemlich großen Höfen, einigen Fachwerkhäusern und einem Marktplatz, an dessen Stirnseite sich eine große weiße Kirche mit einem Zwiebelturm erhob. Direkt hinter ihr stand das Pfarrhaus, ein stattlicher Bau mit einem großen Garten und Brunnen. Hinter dem Dorf führte die Straße durch ein Waldstück bergauf.
Der Gutsherr hielt auf einer Lichtung.
»Kommen Sie, Frau Gartner, von hier oben hat man den besten Blick über meinen Besitz«, sagte er und stieg aus.
Unter ihnen, eingerahmt von Felsen und Wald, breitete sich ein tiefblauer See aus, der von kleinen Bächen gespeist wurde. Auf einer Anhöhe über dem See lag das schlossähnliche Gutshaus. Die Sonne spiegelte sich im Dach seines Turms. Dadurch wirkte es, als wäre es in Gold getaucht. Um das Haus herum gab es einen Park mit weiten Rasenflächen, alten Kastanien und Blumenrabatten.
»Na, was sagen Sie zu Ihrem künftigen Wohnsitz?«, fragte Dominik von Stein erwartungsvoll.
»Ich bin überwältigt.«
»Deshalb bin ich mit Ihnen hierher gefahren«, bemerkte er. »Ich hoffe, dass es Ihnen bei uns gefallen wird. Julia braucht dringend wieder einen Menschen, der sich intensiv um sie kümmert.«
»Hoffentlich werde ich Sie nicht enttäuschen«, meinte die junge Frau etwas befangen.
»Bestimmt nicht«, erwiderte er überzeugt. »Gleich bei unserer ersten Begegnung spürte ich, dass Sie die Richtige für Julia sind.«
Sie kehrten zum Wagen zurück. Bald darauf erreichten sie das Ufer des Sees. Lisa fragte sich, ob es dieser See gewesen war, auf dem sich das Bootsunglück ereignet hatte.
Dominik von Stein schien ihre Gedanken zu erraten, denn er sagte: »Bis zum Tod meiner Mutter sind wir hier oft gesegelt oder haben uns am Ufer mit Freunden zum Picknick getroffen.« Er straffte die Schultern. »Ein Teil des Sees gehört allerdings zum Besitz unseres Nachbarn, Baron Reiff.« Unwillkürlich verdüsterte sich sein Gesicht.
Die beiden Männer schienen nicht gerade Freunde zu sein ...
Die Straße mündete jetzt in der Kastanienallee. Gleich darauf lag das Gutshaus vor ihnen. Sie parkten direkt vor der Freitreppe. Eine ältere Frau trat aus dem Haus und kam die Treppe hinunter.
»Frau Mahler, da bringe ich Ihnen Julias neue Gesellschafterin«, sagte Dominik von Stein. Dann wandte er sich Lisa zu und stellte ihr die alte Mamsell vor. »Frau Mahler ist seit über vierzig Jahren auf unserem Gut«, fügte er hinzu. »Ich kann mich noch erinnern, wie sie mich auf den Armen durch den Park getragen hat.«
»Dass Sie daran noch denken, Herr von Stein!« Die alte Dame lachte geschmeichelt, dann reichte sie Lisa die Hand. »Sie werden sich sicher bei uns wohl fühlen«, meinte sie überzeugt.
»Danke, Frau Mahler«, antwortete Lisa.
»Bitte kümmern Sie sich darum, dass die Reisetasche von Frau Gartner auf ihr Zimmer gebracht wird, Frau Mahler«, bat der junge Gutsherr, dann wandte er sich an Lisa: »Ich werde Sie jetzt erst einmal mit meiner Tante, Frau von Lauterbach, bekanntmachen. Sie steht mir seit dem Tod meiner Mutter zur Seite.«
Er führte Lisa durch die in hellen Farben gehaltene Eingangshalle des Gutshauses zu einem kleineren Empfangszimmer, das rechts der Treppe lag, die in die Obergeschosse führte.
Verstohlen blickte sich die junge Frau um. Die mahagonifarbenen Empire-Möbel des Salons waren so blank poliert, dass man sich in ihnen spiegeln konnte. Bei den Fenstern gab es eine gemütliche Couchgarnitur mit einem zierlichen Tischchen, auf dem eine Schale mit roten Rosen stand.
»Bitte, nehmen Sie Platz, Frau Gartner«, bat der Gutsherr.
»Dominik!«
Die jungen Leute wandten sich um. Auf der Türschwelle stand ein zierliches, etwa achtzehn Jahre altes Mädchen. Es trug ein einfach geschnittenes, blaues Leinenkleid, Sandaletten und Söckchen. Die blonden Haare hingen ihm lang über die Schultern herab. Man hätte das sonnengebräunte Gesicht des Mädchens hübsch nennen können, wenn seine blauen Augen weniger kalt geblickt hätten.
Unverhohlen feindselig ruhten sie auf Lisa.
Dominik von Stein atmete tief durch.
»Frau Gartner, das ist meine jüngste Schwester Antonia«, sagte er und berührte leicht die Schulter des Mädchens. »Du weißt ja, dass Frau Gartner Julias neue Gesellschafterin wird.«
»Ja, ich weiß«, erklärte Antonia gedehnt. Geflissentlich übersah sie Lisas Hand. Um ihre Lippen erschien ein eigentümlich lauerndes Lächeln. »Glauben Sie auch an Gespenster wie die Noller?«
»Antonia.«
Antonia zuckte mit den Schultern. »Ich wünsche Ihnen jedenfalls mit meiner Schwester viel Spaß, Frau Gartner«, meinte sie, drehte sich um und ging einfach davon.
»Bitte entschuldigen Sie Antonias Benehmen«, bat Dominik von Stein aufseufzend. »Sie kann sehr verletzend sein.«
»Sie sollten ihr Benehmen nicht so ernst nehmen«, erwiderte Lisa leichthin. »Mit achtzehn denkt man noch, dass sich die Welt nur um einen selber dreht.«
»Danke, dass Sie das so sehen«, sagte er erleichtert und ging hinaus, um seine Tante zu holen.
Lisa trat an eines der hohen Fenster und schaute in den Park. Antonia bog gerade mit einem riesigen Bernhardiner um die Ecke. Das junge Mädchen hatte zwar schlechte Manieren, aber seinen Hund schien es zu lieben. Es war eine Freude zuzusehen, wie fürsorglich sie mit dem Bernhardiner umging.
Es dauerte keine fünf Minuten, da kam Dominik von Stein mit seiner Tante zurück. Beatrice von Lauterbach mochte Ende fünfzig sein und wirkte, als wäre sie es gewohnt, sich um alles zu kümmern und auch einmal energisch durchzugreifen.
»Wie schön, dass Sie da sind, Frau Gartner«, sagte sie und ergriff Lisas Hand. »Sie erscheinen mir zwar noch reichlich jung für eine so schwere Aufgabe, aber mein Neffe mag recht haben, dass Julia einen gleichaltrigen Menschen um sich braucht. Meine Nichte verdient alle Aufmerksamkeit, die man ihr schenken kann. Sie ist ein sehr liebenswertes Menschenkind. Sie werden sicher gut mit ihr zurechtkommen.«
»Das wünsche ich mir auch, Frau von Lauterbach«, erwiderte Lisa. »Wann werde ich Ihre Nichte kennenlernen?«
»Am besten gleich.« Frau von Lauterbach wandte sich an ihren Neffen. »Ich werde Frau Gartner hinaufbringen. Du entschuldigst uns, Dominik?«
»Aber bitte.«
Lisa folgte ihr in die Halle und dann die Treppe hinauf zum linken Flügel des Gutshauses. Sie gingen zu einem Eckzimmer, dessen Tür offen stand.
Lisas Blick fiel auf das breite Himmelbett, vor dem ihre Koffer und ihre Reisetasche auf sie warteten. Es sah genauso bequem aus wie die Sessel am Fenster. Sie wusste sofort, dass sie sich in diesem sonnigen Raum wohlfühlen würde.
Beatrice von Lauterbach öffnete nun eine Schiebetür, die in ein helles Schlafzimmer führte. Am Fenster saß eine junge Frau regungslos auf einem geblümten Diwan.
»Julia!«
Die junge Frau rührte sich nicht. Unverwandt starrte sie in die Weite.
»Julia, ich bringe dir Frau Gartner.« Frau von Lauterbach trat zu ihrer Nichte, während Lisa abwartend stehen blieb.
Jetzt erst wandte ihnen Julia das Gesicht zu. Sie hatte große Ähnlichkeit mit ihrem Bruder, wenn auch ihre Züge mädchenhaft zart waren. Die blonden Haare trug sie zu einem lockeren Dutt aufgesteckt. Ihre blauen Augen wirkten leblos.
»Frau Gartner?«, fragte sie fast tonlos.
»Ja, sie ist deine neue Gesellschafterin. Wir haben darüber gesprochen.« Beatrice von Lauterbach winkte Lisa zu sich.
Julia erhob sich langsam. Für einen Moment verschwand der unbeteiligte Ausdruck in ihrem Gesicht.
»Willkommen bei uns, Frau Gartner«, sagte sie leise.
»Danke«, erwiderte Lisa und drückte ihre Hand.
Julia wandte sich dem Fenster zu. »Sie werden Gut Stein bald so lieben wie ich«, meinte sie zusammenhanglos und blickte in die Ferne. »Es gibt keinen Ort auf dieser Welt, an dem es schöner sein könnte.« Leise begann sie vor sich hin zu summen.
♥♥♥
Nachdem Lisa sich mit einer Dusche erfrischt hatte, nahm sie aus ihrem Koffer ein leichtes Sommerkleid. Sie streifte es über und musterte sich kritisch im bodenlangen Spiegel ihres Schrankes. Rasch tupfte sie sich noch etwas Parfüm auf die Handgelenke und zog ihre Lippen nach. Sie war gerade fertig, als es klopfte.
»Ja, bitte!«, rief sie.
Ein junges Mädchen trat ein. Es mochte etwa so alt wie Antonia sein.
»Ich bin Maria«, stellte es sich vor. »Ich soll Sie in den Salon hinunterbringen.« Neugierig blickte sie Lisa an.
»Ich komme.« Lisa warf einen letzten, prüfenden Blick in den Spiegel, dann traten sie gemeinsam in den Korridor.
Die Familie hatte sich im Salon versammelt. Beatrice von Lauterbach kam Lisa entgegen.
»Die Mitglieder unserer Familie haben Sie ja inzwischen kennengelernt, Frau Gartner, aber ich möchte Sie auch noch mit einem Gast bekanntmachen.« Sie führte Lisa zu einem jungen Mann, der lässig am Kamin lehnte. »Robert Sanwald – Lisa Gartner«, sagte sie förmlich und fügte hinzu: »Herr Sanwald verbringt bei uns seine Semesterferien. Er studiert in München Kunstgeschichte.«
»Sehr erfreut, Frau Gartner«, meinte Robert Sanwald charmant. »Ich hoffe, wir sehen uns öfter.«
»Das wird sich wohl kaum verhindern lassen«, bemerkte Dominik von Stein alles andere als freundlich.
»Ich glaube, Frau Gartner hat eine Eroberung gemacht.« Antonia lehnte sich im Sessel zurück und weidete sich an Lisas Verlegenheit. »Dominik, du musst aufpassen, dass sie nicht von Robert entführt wird.«
»Bitte, Antonia, nimm dich etwas zusammen«, bat ihr Bruder ärgerlich und wandte sich Lisa zu. »Leider muss ich mich schon wieder für das Benehmen meiner Schwester entschuldigen.«
»Du wirst dich doch nicht bei einem Dienstboten entschuldigen«, bemerkte Antonia geringschätzig. »Leute wie Frau Gartner ...«
»Sieht nicht so aus, als wolltest du mit uns Kaffee trinken, Antonia«, fiel ihr Beatrice von Lauterbach ins Wort. »In diesem Fall ist es besser, du gehst auf dein Zimmer. Sofort.«
Antonia stand auf, warf Lisa einen spöttischen Blick zu und ging zur Terrassentür. Im selben Moment ließ ein schreckliches Poltern alle herumfahren. Eines der Porträts, die an der gegenüberliegenden Wand hingen, war heruntergestürzt.
Dominik untersuchte den schweren Holzrahmen.
»Ich verstehe das nicht«, meinte er. »Da hängen die Bilder jahrhundertelang an den Wänden, ohne dass etwas passiert ist, und nun stürzt schon zum zweiten Mal in dieser Woche eines von ihnen herunter. «
»Bei euch scheint es wirklich zu spuken.« Robert kniete sich neben dem Gutsherrn auf den Boden. »Vielleicht braucht ihr einen Exorzisten.«
»Unsinn«, bemerkte Dominik wütend. »Es gibt für alles eine Erklärung.«
»Frau Gartner, bitte, nehmen Sie doch Platz«, bat Frau von Lauterbach und führte die junge Frau zu einem bequemen Sessel.