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Einblicke in Sisis private Welt Das bewegte Leben Kaiserin Elisabeths scheint hinlänglich bekannt – auch die Tatsache, dass Sisi sich zunehmend aus der Öffentlichkeit zurückzog und ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen führte. Wie aber sah dieses "geheime Leben" der exzentrischen Kaiserin tatsächlich aus? Da Elisabeth großen Wert darauf legte, ihren Weg nach außen hin im Verborgenen zu halten, um völlig ungestört ihren Interessen nachgehen zu können, blieb ihr Leben abseits des Wiener Hofes weitgehend unbekannt. · Wie sah Sisis Alltag aus? · Wofür interessierte sie sich wirklich? · Wo und mit wem verbrachte sie ihre Zeit? · Wer waren ihre engsten Vertrauten und welche bislang unbekannten Spleens leistete sie sich? Neue Quellen ermöglichen einen Blick auf diese bisher unbeleuchtete Parallelwelt, die die Kaiserin völlig frei gestalten konnte, und geben neue und überraschende Einblicke in die private Welt der Ikone Sisi.
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Das bewegte Leben Kaiserin Elisabeths scheint bekannt – auch die Tatsache, dass Sisi sich zunehmend aus der Öffentlichkeit zurückzog und ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen führte. Wie aber sah dieses „geheime Leben“ der exzentrischen Kaiserin tatsächlich aus?
Wie sah Elisabeths Alltag aus, wofür interessierte sie sich wirklich? Wo und mit wem verbrachte sie ihre Zeit? Wer waren ihre engsten Vertrauten und welche bislang unbekannten Spleens leistete sie sich?
Neue Quellen ermöglichen einen Blick auf diese bisher unbeleuchtete Parallelwelt, die die Kaiserin völlig frei gestalten konnte, und geben neue und überraschende Einblicke in die private Welt der Ikone Sisi.
Elisabeth hatte in den ersten vier Jahren ihrer Ehe drei Kinder, zwei Töchter und einen Sohn, zur Welt gebracht, sie hatte ihre ältere Tochter Sophie im Alter von nur zwei Jahren verloren und die Geburt des Kronprinzen war schwierig verlaufen. Elisabeth erholte sich nur langsam davon, und Franz Joseph war ihr in dieser Zeit keine Stütze. Er war dazu erzogen worden, persönliche Befindlichkeiten ausnahmslos hintanzustellen.
Die professionelle Erfüllung seiner Pflichten stand an erster Stelle. Elisabeth empfand sich im Gegensatz zu ihrem Mann in erster Linie als Privatperson und erst in zweiter Linie als Kaiserin, und so mussten diese diametral entgegengesetzten Lebensanschauungen unweigerlich zu einer Ehekrise führen. Elisabeth fühlte sich eingeengt, überfordert und wünschte sich weit weg vom Wiener Hof.
Da man sich als Kaiserin keine „Auszeit“ nehmen konnte, bot eine Krankheit die einzige Möglichkeit für eine längere Abwesenheit. Die Quellen aber widerlegen eindeutig eine ernsthafte Erkrankung der Kaiserin.
Vorwort
Die Zäsur
Der Rückzug
Hinter verschlossenen Toren – Alltag in Gödöllö
Glückliche Tage als private „sports women“ und „fairy Queen“
Heimliche Flirts
Das unbekannte Familienleben
Geheime Luxusreisen
Die diskrete Entourage
Das geheime Vermögen
Vertraute und Freunde
Unbekannten Spleens
Die außergewöhnlichen Leidenschaften der Kaiserin
Verdeckte Kurreisen
Dunkle Geheimnisse– Elisabeths Faible für Irrenhäuser und Spiritismus – Cocain gegen Depressionen
Magische Sehnsuchtsorte
Unbekannte Seiten
Dunkle Stunden – Todessehnsucht
„Ich wollte, meine Seele entflöge zum Himmel durch eine ganz kleine Öffnung des Herzens“ – der 10. September 1898
Quellen und Literatur
Katrin Unterreiner
Die Geschichte der bayerischen Prinzessin Elisabeth, die mit 16 Jahren den österreichischen Kaiser Franz Joseph I. heiratet, sich von Beginn an am Wiener Hof eingesperrt fühlt, ihre Verpflichtungen als Kaiserin hasst und schließlich ein selbstbestimmtes Leben durchsetzt, ist wohlbekannt. Weniger bekannt ist jedoch, wie der Alltag der Kaiserin abseits der Öffentlichkeit tatsächlich ausgesehen hat. Schon zu Lebzeiten wurde das Image der Monarchin, die, von Schicksalsschlägen gezeichnet, nur in der Ruhe und Abgeschiedenheit ihren Frieden finden konnte, bewusst verbreitet, um die Abwesenheit der Kaiserin und Königin vom Wiener Hof zu rechtfertigen. Dass Elisabeth jedoch ein äußerst mondänes, unterhaltsames und vor allem kostspieliges Leben führte, wurde tunlichst verschwiegen und verheimlicht. Anlässlich des 125. Todestages Kaiserin Elisabeths soll dieses Buch daher der Frage nachgehen, wie dieses weitgehend „geheime“ Leben tatsächlich ausgesehen hat. Es will neue Facetten an der ambivalenten Kaiserin vorstellen. Bislang unbekannte und bislang noch nicht publizierte Quellen ermöglichen es, Elisabeth erstmals von einer ganz neuen Seite kennenzulernen. Mein Dank gilt daher in erster Linie den Nachfahren der Erzherzogin Marie Valerie, die mir neue Quellen aus Familienbesitz zu Verfügung gestellt und damit diesen spannenden neuen Einblick ermöglicht haben.
Als Elisabeth nach achtmonatiger Verlobungszeit am 24. April 1854 Kaiser Franz Joseph heiratete, ging sie weder ahnungslos oder völlig unvorbereitet in die Ehe, noch konnte sie von der Etikette bei Hof tatsächlich überrascht sein. Was führte also zu ihrer Weigerung, das Leben, das von ihr erwartet wurde, auch tatsächlich zu leben? Kaiser Franz Joseph war sicher nicht der ideale Partner für die romantisch veranlagte Elisabeth. Er empfand seine Position als Kaiser als von Gott gegebene Funktion, die er ohne Wenn und Aber zu erfüllen hatte. Seine wichtigste Aufgabe sah er nicht darin, seine Ehefrau glücklich zu machen, sondern als Kaiser zu bestehen. Elisabeth, die vergleichsweise in großer Freiheit und Unbekümmertheit in Bayern aufgewachsen war, konnte sich hingegen mit dem Hofleben und ihren repräsentativen Pflichten niemals richtig anfreunden oder arrangieren. Sie fand aber auch keine Erfüllung in ihrer Ehe, und in ihrer Rolle als Mutter schon gar nicht. So kämpfte sie für ein unabhängiges Leben, das sie frei gestalten konnte.
Elisabeth hatte in den ersten vier Jahren ihrer Ehe drei Kinder, zwei Töchter und einen Sohn, zur Welt gebracht, sie hatte ihre ältere Tochter Sophie im Alter von nur zwei Jahren verloren, und die Geburt des Kronprinzen war schwierig verlaufen. Elisabeth erholte sich nur langsam davon, und Franz Joseph war ihr in dieser Zeit keine Stütze. Er war dazu erzogen worden, persönliche Befindlichkeiten ausnahmslos hintenanzustellen. Die professionelle Erfüllung seiner Pflichten stand an erster Stelle. Elisabeth empfand sich im Gegensatz zu ihrem Mann in erster Linie als Privatperson und erst in zweiter Linie als Kaiserin, und so mussten diese diametral entgegengesetzten Lebensanschauungen unweigerlich zu einer Ehekrise führen. Elisabeth fühlte sich eingeengt, überfordert und wünschte sich weit weg vom Wiener Hof. Da man sich als Kaiserin keine „Auszeit“ nehmen konnte, bot eine Krankheit die einzige Möglichkeit für einer längere Abwesenheit. Die Quellen widerlegen eindeutig eine ernsthafte Erkrankung der Kaiserin. Elisabeth litt zwar an hartnäckigem Husten, von einer schweren Lungenerkrankung war jedoch von ärztlicher Seite keine Rede. Da Lungenerkrankungen jedoch auch in adeligen Kreisen damals weit verbreitet waren, kam diese Diagnose einem Exit-Szenario gleich, das man in der Öffentlichkeit glaubwürdig verbreiten konnte. So wunderte sich niemand darüber, dass der zu Rate gezogene Lungenspezialist Dr. Skoda der Kaiserin einen Kuraufenthalt empfahl. Auch in der Familie gab es keine größere Aufregung, und Erzherzogin Sophie schrieb an ihren Sohn Ferdinand Max: „Skoda hat die Lunge ganz frei gefunden, nur eine kleine Schleimschwellung am Kehlkopf … Sisi soll viel weinen, u. der nahe Abschied ihr sehr schwer werden, ein unerklärl. Rätsel. Die armen Kinder verlieren viel an ihrem wohltuenden Einfluß …“1
Auch alle übrigen Verwandten zeigten sich vom notwendigen Kuraufenthalt überrascht, da Elisabeth nicht ernsthaft krank auf sie wirkte. So schrieb Erzherzogin Therese, Tochter Erzherzog Albrechts, an ihren Vater: „Gestern war Tante Marie bei der Kaiserin; sie nahm ein großes Sacktuch mit, weil sie glaubte, viel zu weinen; indessen war die Kaiserin ganz lustig, sie freut sich unendlich, nach Madeira zu gehen.“2 Elisabeth machte noch zahlreiche Besuche – wurde also nicht von ihrer Familie getrennt, wie bei einer ernsthaften Erkrankung zu erwarten gewesen wäre –, und Franz Joseph reiste unbekümmert nach Ischl zur Jagd, was er andernfalls wohl unterlassen hätte. In den Zeitungen wurde vermeldet, die Kaiserin reise über den Winter nach Madeira, um ihren hartnäckigen Husten zu kurieren.
Um die lange Abwesenheit zu rechtfertigen, war immer wieder von „Lungenaffectation“ die Rede, bald wurde daraus „Lungenschwindsucht“, also Tuberkulose, eine damals weitverbreitete und medikamentös noch nicht heilbare Krankheit, die auch die „Wiener Krankheit“ genannt wurde. Vor allem Frauen waren äußerst anfällig dafür, da sich das Tragen eines Korsetts äußerst negativ auf die Lungen auswirkte. Die Atemkapazität reduzierte sich dadurch um ca. ein Drittel, womit kein vollständiger Luftaustausch mehr möglich war und man wesentlich anfälliger für Erkrankungen war. Lungenerkrankungen betrafen Frauen aller Schichten, auch zahlreiche Mitglieder der kaiserlichen Familie erkrankten daran. Für einige von ihnen verlief die Krankheit sogar tödlich, wie etwa für die Schwägerin des Kaiserpaares, Erzherzogin Maria Annunziata, die Gemahlin Erzherzog Carl Ludwigs und Mutter des späteren Thronfolgers Franz Ferdinand. Von den Hofärzten wurden Meeraufenthalte empfohlen, da das Einatmen jodhaltiger Meeresluft desinfizierend und somit heilend wirkte. Zur generellen Stärkung gehörte auch kräftigendes Essen, vor allem vermehrter Fleischkonsum sowie (maßvoller) Bierkonsum, der geschwächte Kranke „aufpäppeln“ sollte. Dass Franz Joseph in seinen Briefen aus dieser Zeit an seine Mutter berichtete, dass Elisabeth weniger huste, viel Fleisch esse und Bier trinke, spricht dafür, dass es primär um Erholung ging und um das Auskurieren des Hustens.
Diese Briefe belegen zudem eindeutig das bereits damals kursierende Gerüchte um eine venerische Krankheit der Kaiserin, mit der sie Franz Joseph angeblich angesteckt haben soll. Die permanenten Zwistigkeiten der Eheleute, Elisabeths Vorwürfe, der Kaiser kümmere sich zu wenig um sie, das schwierige Verhältnis zwischen seiner Mutter, Erzherzogin Sophie, zu der er Zeit seines Lebens absolut loyal war, und Elisabeth, die von ihrer Rolle als Kaiserin eine andere Vorstellung hatte als ihre Schwiegermutter, sollen Franz Joseph in die Arme einer anderen Frau getrieben haben, und das Verhältnis soll nicht ohne gesundheitliche Folgen geblieben sein. Dass Franz Joseph seine Frau betrogen hat, ist nicht eindeutig nachzuweisen. Da Zeitgenossen jedoch immer wieder Andeutungen darüber machten und diese Kränkung eine große Zäsur im Zusammenleben der beiden darstellte, ist eine Affäre des Kaisers nicht ausgeschlossen. Was jedoch ausgeschlossen werden kann, ist, dass er Elisabeth mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt hat. In den Rezeptbüchern, aus denen alle Krankheiten der Mitglieder der kaiserlichen Familie hervorgehen, auch Geschlechtskrankheiten von Gonorrhoe bis zu Syphilis, finden sich keine diesbezüglichen Behandlungen Franz Josephs. Auch Elisabeth wurden ausschließlich Medikamente gegen Verdauungsbeschwerden, Blutarmut und Husten verabreicht. Während Kaiser Franz Joseph über Jahrzehnte Codein gegen Husten verschrieben wurde, enthalten Elisabeths Hustenpulver das wesentlich schwächer gegen Husten wirkende Cannabis, das im 19. Jahrhundert in erster Linie zur Behandlung von Appetitlosigkeit sowie Nervenleiden aber auch, wie etwa im Fall der englischen Königin Viktoria, gegen Menstruationsbeschwerden eingesetzt wurde. Eine Verschreibung von Cannabis gegen Husten war am Wiener Hof selten und hängt vielleicht mit seiner appetitanregenden Wirkung zusammen. Zudem hatte Elisabeths generell eine Vorliebe für Naturheilmittel, und Cannabis wurde vor allem von Homöopathen empfohlen. Elisabeth hatte Zeit ihres Lebens eine eher misstrauische bis ablehnende Einstellung Ärzten und ihren Verschreibungen gegenüber. Sie bevorzugte „natürliche“ Heilmethoden. Sie suchte später auch den Kontakt zu sogenannten Naturheilern und bezog auch allerlei Heilmittel der damals weit gerühmten „Doktor-Bäuerin“ Amalie Hohenester, einer Bauerntochter, die den Kurort Mariabrunn aufgebaut hatte und auch zahlreiche Mitglieder der Hocharistokratie behandelte. Cannabis wurde jedenfalls damals nicht, wie manchmal behauptet, gegen Tripper-Infektionen verschrieben. Daraus ist ersichtlich, dass die Vermutung, Franz Joseph hätte seine Frau mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt, nicht zutreffend ist.
Elisabeths Entschluss, nach Madeira zu reisen, hatte zwei Gründe. Erstens war es von allen möglichen Kurzielen das von Wien am weitesten Entfernte, womit keine Besuche aus Wien zu erwarten waren. Vor allem aber hatte Elisabeths Schwager Erzherzog Ferdinand Max, der jüngere Bruder Franz Josephs und spätere Kaiser von Mexiko, kurz davor Madeira bereist und begeistert von der blühenden Atlantikinsel geschwärmt. Da sich die österreichische Flotte zu dieser Zeit in Kriegsbereitschaft befand, stellte die englische Königin Viktoria Elisabeth für ihre Reise ihre Yacht „Viktoria & Albert“ zu Verfügung. Die Reisegesellschaft ging in Antwerpen an Bord, wobei alle Passagiere mit Ausnahme Elisabeths bei stürmischer Seefahrt seekrank wurden: „… Helene Taxis, die sich in Leiden und Üblichkeiten aufzulösen schien. Marie Doré (Anm. das Kammermädchen) war so krank, dass sie gern gestorben wäre. Alle litten mehr oder weniger … Sisi litt nicht einen Augenblick, auch stellte ihr der Capitän … das Zeugnis aus, dass sie sich als tüchtiger Seemann beweise, da sie stets wohl blieb …“3, schilderte Erzherzogin Sophie ihrem Sohn Max die Seereise. Elisabeth machte jedenfalls auf niemanden einen kranken Eindruck – im Gegenteil, je weiter sie sich von Wien entfernte, desto heiterer wurde sie.
Am 29. November 1860 kam Elisabeth auf Madeira an. Sie bezog mit ihren Begleiterinnen und Begleitern die Villa Quinta Angustia (auch Quinta Vigia genannt), eine einstöckige von einem Park umgebene Villa oberhalb des Hafens von Funchal mit Blick aufs Meer. Zu ihrer Entourage zählten neben dem Kammerpersonal die Hofdamen Helene Thurn und Taxis, Mathilde Windischgrätz, Paula Königsegg, Caroline Lamberg sowie ihre damalige Lieblingshofdame Caroline „Lily“ Hunyády. Als Ehrenkavalier und Ungarisch-Lehrer war ihr Bruder Imre Hunyády mitgereist, als weitere Kavaliere beziehungsweise Kuriere, die abwechselnd Post, Andenken und Geschenke aus und nach Wien brachten, waren die Grafen Üxküll, Latour, Rechberg, und Mittrowski anwesend. Elisabeth führte auf Madeira zunächst ein stilles – oder wie Hofberichterstatter es nannten – „langweiliges“ Leben. Sie war schwermütig und hatte nichts von der Unternehmungslust und dem Bewegungsdrang, den sie auf späteren Reisen entwickeln sollte. Sie unterhielt sich mit ihren Hofdamen, spielte mit ihnen Karten und lernte auf der Macheta, einer kleinen für Madeira typischen Gitarre, zu spielen. Der kaiserliche Kurier Graf Rechberg berichtete in einem Brief an seine Tante, dass die Kaiserin zwar nicht mehr huste, er meinte jedoch: „Moralisch ist aber die Kaiserin schrecklich gedrückt, beinahe melancholisch, wie es in ihrer Lage wohl nicht anders möglich ist – sie sperrt sich oft beinahe den ganzen Tag in ihrem Zimmer ein und weint … In ihrer Melancholie geht sie nie aus, sondern sitzt bloß am offenen Fenster mit Ausnahme eines Spazierrittes im Schritt von höchstens einer Stunde.“4
Allmählich besserte sich jedoch auch der melancholische Zustand der Kaiserin. Elisabeth, die sich in Wien immer zurückgesetzt gefühlt hatte, stand hier nun erstmals im Mittelpunkt. Sie wurde sich nun auch langsam ihrer Ausstrahlung und Wirkung auf Männer bewusst. Ihr „Ehrenkavalier“ und Ungarisch-Lehrer, Imre Graf Hunyády, verliebte sich in die Kaiserin und wurde prompt nach Wien abberufen. In einem ihrer Gedichte schrieb sie über ihren Verehrer:
Der erste war ein hübsches Tier
Nur Ohren übers Mass;
Doch über seine Schönheit schier
Vergass ich ganz auf das.
Ich hielt ihn mir im Tropenland,
Bekränzt ihn mit Granat;
Bananen frass er aus der Hand;
Doch wurd’ ich ihn bald satt.
(Das Kabinet, 1885)
Gesellschaftliches Leben gab es auf Madeira keines. Daher war Elisabeth, als eines Tages ein russisches Kriegsschiff auf Madeira anlegte, über die Abwechslung dankbar und lud die Offiziere zu einem Diner mit anschließendem Tanz ein. Der Admiral erzählte später darüber, dass sich jeder der eingeladenen Offiziere in die junge Kaiserin verliebte habe. Elisabeth gewann zunehmend an Selbstvertrauen. Sie blühte auf. Bereits einen Monat nach ihrer Ankunft wurde nach Wien berichtet, dass Elisabeth wieder sehr gut aussehe und kaum mehr huste. Als nun nach einigen Monaten die Entscheidung anstand, wiederum nach Wien zurückzukehren, erreichten überraschende Neuigkeiten den Wiener Hof: „Eine schreckliche Aufregung entstand, als Professor Skoda am 15. Juni die Kaiserin untersuchte und angeblich Tuberkeln in der Lunge feststellte […]. Jetzt rät er, die Kaiserin nach Korfu zu schicken […]. Der auch zugezogene Arzt der bayerischen Familie Dr. Fischer ist nicht so beunruhigt und mit Skodas panikerzeugender Krankheitsbestimmung n i c h t einverstanden. Er sieht keinesfalls so schwarz und fürchte eher die Wirkung der Hitze von Korfu“, schrieb Sophie an Max, und kurz darauf: „Skoda sagt, dass Sisi zumindest ein Jahr wegbleiben muß.“5
Die Vermutung, dass Elisabeth Wien nicht noch ein Jahr fernbleiben musste, sondern vielmehr wollte, liegt nahe. Nach sieben Monaten auf Madeira wurde sie jedenfalls unruhig. Es ist jedoch nicht genau festzustellen, ob sie Heimweh nach ihrem Mann und ihren Kindern oder vielmehr doch eher Fernweh hatte.
Bei ihrer Abreise aus Madeira im April 1861 schrieb sie an Graf Grünne: „Jedes Schiff, das ich wegfahren sehe, gibt mir die größte Lust, darauf zu sein, ob es nach Brasilien, nach Afrika oder ans Kap geht, ist mir einerlei, nur nicht so lange auf einem Fleck sitzen …“6 Damit hatte sie bereits ihr künftiges Lebensmotto definiert.
Nach beinahe zweijähriger Abwesenheit vom Wiener Hof kehrte Elisabeth als selbstbewusste Frau zurück, die genau wusste, was sie wollte. Das melancholische, schüchterne Mädchen hatte sich in eine junge Frau verwandelt, die sich ihrer Schönheit und Ausstrahlung durchaus bewusst war und diese nun gezielt für ihre Interessen einsetzte. Für einige Jahre führte sie nun genau das Leben, das von ihr erwartet wurde: als strahlende Kaiserin an der Seite ihres Mannes. Sie genoss die Bewunderung und Aufmerksamkeit, die ihr entgegengebracht wurde, und war dafür bereit, ihre Rolle zu spielen.
Höhepunkt dieses Lebensabschnitts war die ungarische Königskrönung im Juni 1867, als Elisabeth gemeinsam mit Franz Joseph zum Königspaar von Ungarn gekrönt wurde. Am Zustandekommen dieser Krönung, die der zeremonielle Höhepunkt im Zuge des Ausgleichs mit Ungarn und der Schaffung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie war, hatte sie großen Anteil gehabt. Die Bevölkerung jubelte daher in erster Linie der charmanten und schönen jungen Kaiserin und nunmehr auch Königin zu.
Nicht nur die gesamte Monarchie war von ihr begeistert, auch Franz Joseph verehrte und liebte seine Frau über alles und erfüllte ihr jeden Wunsch. Das nutzte Elisabeth nun für ihre Interessen. Im Hintergrund hatte sie bereits seit ihrer Rückkehr an den Wiener Hof geschickt an ihrem Rückzug zu arbeiten begonnen, der zunächst kaum auffiel und daher keinen Skandal auslöste. Ihre überstandene „Krankheit“ bot ihr dabei, wann immer sie es wollte, einen Freibrief, um sich für einige Zeit vom Hof und ihren Verpflichtungen zu absentieren. Immer wieder war in der Presse von der „angegriffenen Gesundheit Ihrer Majestät der Kaiserin“ zu lesen, die eine Kurreise notwendig mache. Immer wieder wurde ihre Teilnahme an Veranstaltungen kurzfristig abgesagt, da sich die Kaiserin schonen müsse. Das fiel zunächst nicht besonders auf, und alle Welt hatte Mitleid mit ihr. Langsam mischte sich Enttäuschung in das Mitgefühl, das schließlich in eine Mischung aus Akzeptanz und Ignoranz überging. Die Bevölkerung fand sich damit ab, ihre Monarchin praktisch nicht mehr zu Gesicht zu bekommen. Im gleichen Maße, in dem die kurzzeitige Popularität der Kaiserin sich in Gleichgültigkeit verwandelte, nahm die Popularität des Kaisers zu. Er profilierte sich nun als treuer „Diener seines Volkes“, erfüllte gewissenhaft seine Pflichten und wurde als präsenter Monarch zu einer Identifikationsfigur.
Nach außen hin bemühte man sich um die Darstellung der leidenden, kränkelnden Kaiserin, die, von schweren Schicksalsschlägen geprüft, ihre angegriffenen Nerven schonen müsse und Ruhe und Zurückgezogenheit benötige. Elisabeth stilisierte sich also geschickt zur geschwächten Kaiserin, die die dringend benötigte Erholung nur im Ausland finden konnte. In einer Zeit ohne Handy und Social Media-Plattformen, in der es noch nicht einmal Paparazzi gab, war dies noch leicht möglich. Und so ahnte die Bevölkerung nicht, wie der Alltag der Kaiserin – vor allem auf ihren Reisen im Ausland – tatsächlich aussah. Denn mit Schonung hatten ihre Reisen nichts zu tun.
Den ersten entscheidenden Schritt in Richtung Freiheit hatte Elisabeth bereits 1865 gesetzt, als sie Franz Joseph schlichtweg ein Ultimatum gesetzt hatte, in dem es vordergründig um die Erziehung ihres Sohnes Kronprinz Rudolf ging. Elisabeth zeigte sich bei einem ihrer seltenen Wien-Aufenthalte von den drakonischen Erziehungsmaßnahmen entsetzt und bemerkte, dass Rudolfs Erzieher, General Gondrecourt, ihren Sohn geradezu quäle. Daher setzte sie ein Ultimatum auf, in dem sie schriftlich festhielt, dass zukünftig sie allein über die Erziehung und die Erzieher ihres Sohnes entscheiden würde. Franz Joseph akzeptierte und überließ sowohl die Erziehung als auch die Auswahl der Erzieher seines Sohnes seiner Frau. Was dabei jedoch zumeist übersehen wird, ist die Tatsache, dass Elisabeth in diesem Ultimatum nicht nur die alleinige Entscheidungsgewalt über ihren Sohn erhielt, sondern auch gleich die für ihr eigenes Leben. So lautet das Ultimatum vom 27. August 1865: „Ich wünsche, daß mir vorbehalten bleibe unumschränkte Vollmacht in Allem, was die Kinder betrifft, die Wahl ihrer Umgebung, den Ort ihres Aufenthaltes, die complette Leitung ihrer Erziehung, mit einem Wort, alles bleibt mir ganz allein zu bestimmen, bis zum Moment der Volljährigkeit. Ferner wünsche ich, daß, was immer meine persönlichen Angelegenheiten betrifft, wie unter anderem die Wahl meiner Umgebung, den Ort meines Aufenthaltes, alle Anordnungen im Haus p.p. mir allein zu bestimmen vorbehalten bleibt.“7
Damit setzte Elisabeth vor allem auch durch, über ihr eigenes Leben allein bestimmen zu können. Das ermöglichte ihr, künftig das Leben zu führen, das sie wollte – ohne Verpflichtungen, ohne Zwänge und ohne Erwartungen. Franz Joseph, der seine Frau über alles liebte, stand zu hundert Prozent hinter ihr und verhinderte damit auch jegliche Kritik daran, dass die Kaiserin ab nun nur noch die Verpflichtungen erfüllte, die ihr zusagten und langsam aber zusehends ein Leben nach ihren Vorstellungen führte. Nur mit seiner Unterstützung war dieser Rückzug aus dem öffentlichen Leben möglich.
Von nun an begann Elisabeth ein Leben nach ihren Vorstellungen zu führen, ein privates Leben, wie es ihr gefiel. Das konnte jedoch nur gelingen, wenn sie ihr Leben vor der Öffentlichkeit, so gut es ging, geheim hielt.
Die erste große Veränderung erreichte Elisabeth mit der Entscheidung, Schloss Gödöllö, ein Geschenk der ungarischen Nation zur Krönung, zu einem privaten Refugium zu erklären. Hier sollten weder Hofetikette noch Hofzeremoniell gelten. Elisabeth konnte nicht nur frei entscheiden, wer Zutritt hatte, sondern auch ihren gesamten Tagesablauf nach ihren Vorstellungen gestalten. Es gab keine offiziellen Termine, keine offiziellen Audienzen und keine offiziellen Empfänge oder Veranstaltungen. Alle königlichen Verpflichtungen, die gelegentlich doch notwendig waren,, erledigte sie in Budapest. Gödöllö sollte als rein privater Rückzugsort dienen.
Da nur von Elisabeth ausgesuchte Gäste, die sie schätzte und denen sie absolut vertraute, Zutritt hatten, war auch nicht zu befürchten, dass irgendwelche Berichte in der Presse landen könnten. So konnte sie ihren Interessen ungestört nachgehen und musste sich keine Sorgen darüber machen, dass das nach außen hin kommunizierte Bild der ruhesuchenden Kaiserin und Königin vielleicht hinterfragt werden oder gar zerstört werden konnte.
Gödöllö sollte ihr Reich sein, hier wollte sie ausschließlich von Personen ihrer Wahl umgeben sein. Niemand sollte nur aufgrund seiner Stellung oder Position eingeladen oder empfangen werden müssen, und so wurden Gäste und Besucher nicht nach ihrem Rang, sondern ausschließlich nach Sympathie – und ihren Reitkünsten – ausgewählt. Hier stieß Elisabeth nicht wie am Wiener Hof durch ihre Ungezwungenheit auf Ablehnung, sondern vielmehr auf Bewunderung. Ungarn und die Ungarn waren ihr von je her sympathisch gewesen. Sie liebte ihre temperamentvolle, stolze Art, oder, wie Eugen Ketterl, der Kammerdiener Franz Josephs, es beschrieb: „Die Kaiserin liebt auch ihrerseits die Ungarn, deren ritterliches Wesen, deren Vorliebe für Reiten, Pferde, feurige Tänze und schmachtende Zigeunerweisen und heiße Leidenschaft ihrem eigenen Fühlen und Sein so sehr entsprach.“8 Hier konnte sie sich frei bewegen und ausschließlich ihren Interessen nachgehen – dazu gehörte in erster Linie das Reiten.
Von ihrem Appartement führte ein gedeckter Holzgang direkt zu den Stallungen und in die Reitschule, wo ihr 34 Reit- und 36 Wagenpferde zu Verfügung standen. Tagsüber fanden Reitjagden nach englischem Vorbild statt. Die Frau des belgischen Gesandten, Gräfin de Jonghe, schrieb: „Es soll großartig sein, sie an der Spitze aller Reiter und stets an den gefährlichsten Stellen zu sehen. Die Begeisterung der Magyaren kennt keine Grenzen mehr, sie brechen sich den Hals, um ihr näher zu folgen. In der Nähe der schönen Königin werden die Ungarn derart royalistisch, daß, so sagt man, wenn diese Jagden vor den Wahlen begonnen hätten, die Regierung große Ersparnisse gemacht hätte.“9
Die einzigen Ausflüge, die Elisabeth unternahm, galten auch dem Reitsport. Nikolaus („Niki“) Graf Esterházy hatte nach englischem Vorbild den „hunting sport“ nach Káposztásmegyer, einen ehemaligen Vorort von Budapest, gebracht und organisierte Parforcejagden auf Hirsch, Fuchs und Hase. Dazu hatte er eine große Meute an Fuchshunden und Harries angekauft, ausgedehnte Zwinger und Reitställe errichtet sowie eine Rennbahn angelegt. Viele gleichgesinnte Aristokraten hatten sich auf dem Gelände kleine Villen errichtet und bildeten eine Jagdkolonie, die alljährlich für längere Zeit im sogenannten „Cottage Megyer“ zusammentraf.