Skalen Psychischer Kompetenzen (SPK) - Dorothea Huber - E-Book

Skalen Psychischer Kompetenzen (SPK) E-Book

Dorothea Huber

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Beschreibung

Die Forschungsgruppe um Robert S. Wallerstein entwickelte die ''Scales of Psychological Capacities'', ein theorieübergreifendes Messinstrument zur Einschätzung der ''psychischen Kompetenzen'' einer Person. Damit kann die zugrunde liegende, intrapsychische Struktur erfasst werden. Das für diese Beurteilung erforderliche Manual sowie der Interviewleitfaden liegen nun erstmals in autorisierter deutscher Übersetzung als ''Skalen Psychischer Kompetenzen (SPK)'' vor. Eine ausführliche psychometrische Überprüfung der SPK sowie Faktorenstruktur und Normwerte werden dargestellt.

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Die Forschungsgruppe um Robert S. Wallerstein entwickelte die ''Scales of Psychological Capacities'', ein theorieübergreifendes Messinstrument zur Einschätzung der ''psychischen Kompetenzen'' einer Person. Damit kann die zugrunde liegende, intrapsychische Struktur erfasst werden. Das für diese Beurteilung erforderliche Manual sowie der Interviewleitfaden liegen nun erstmals in autorisierter deutscher Übersetzung als ''Skalen Psychischer Kompetenzen (SPK)'' vor. Eine ausführliche psychometrische Überprüfung der SPK sowie Faktorenstruktur und Normwerte werden dargestellt.

PD Dr. med. Dr. phil. Dorothea Huber und Dr. med. Günther Klug sind an der Poliklinik für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie und medizinische Psychologie der TU München tätig. Professor Robert S. Wallerstein, San Francisco, zählt zu den Pionieren der empirischen psychoanalytischen Psychotherapieforschung.

Dorothea Huber Günther Klug Robert S. Wallerstein

Skalen Psychischer Kompetenzen (SPK)

Ein Messinstrument für therapeutische Veränderung in der psychischen Struktur

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2006 Alle Rechte vorbehalten © 2006 W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany

ISBN: 978-3-17-019181-5

E-Book-Formate

pdf:

epub:

978-3-17-028040-3

mobi:

978-3-17-028041-0

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort

1 Einleitung

2 Einführung in die Fragestellung

2.1 Entwicklung der Psychotherapieforschung

2.2 Ergebnismessung in der Psychotherapieforschung

2.3 Die psychoanalytischen Konzepte der psychischen Struktur und strukturellen Veränderung

2.4 Erfassung struktureller Veränderung

2.5 Skalen Psychischer Kompetenzen nach Wallerstein

2.5.1 Konzeption und Messprinzip der Skalen Psychischer Kompetenzen

2.5.2 Bisherige psychometrische Studien zu den Skalen Psychischer Kompetenzen

3 Psychometrische Untersuchungen zur deutschen Form der Skalen Psychischer Kompetenzen (SPK)

3.1 Überblick über die einzelnen psychometrischen Teilstudien2

3.1.1 Beschreibung der Gesamtstichprobe der depressiven Patienten

3.1.2 Zur Datenerhebung mit den SPK („Standard-Rating-Prozedur“)

3.1.3 Zur Datenanalyse

3.2 Reliabilität

3.2.1 Interrater-Reliabilität (Auswertungsobjektivität)

3.2.1.1 Hintergrund und Fragestellung

3.2.1.2 Methode

3.2.1.3 Ergebnis

3.2.1.4 Diskussion

3.2.2 Test-Retest-Reliabilität (Stabilität)

3.2.2.1 Hintergrund und Fragestellung

3.2.2.2 Methode

3.2.2.3 Ergebnis

3.2.2.4 Diskussion

3.3 Validität

3.3.1 Konstruktvalidierung I: Diskriminierung zwischen verschiedenen Gruppen

3.3.1.1 Hintergrund

3.3.1.2 Methode

3.3.1.3 Ergebnis

3.3.1.4 Diskussion

3.3.2 Konstruktvalidierung II: Diskriminante und konvergente Validität

3.3.2.1 Hintergrund und Fragestellung

3.3.2.2 Methode

3.3.2.3 Ergebnis

3.3.2.4 Diskussion

3.4 Änderungssensitivität

3.4.1 Hintergrund und Fragestellung

3.4.2 Methode

3.4.3 Ergebnis

3.4.4 Diskussion

3.5 Normen und Einfluss soziodemographischer Variablen

3.5.1 Hintergrund und Fragestellung

3.5.2 Methode

3.5.3 Ergebnis

3.5.4 Diskussion

3.6 Interkorrelationen und Faktorenanalyse

3.6.1 Hintergrund und Fragestellung

3.6.2 Methode

3.6.3 Ergebnis

3.6.4 Diskussion

3.7 Zusammenfassung der Ergebnisse

4 Zusammenfassende Diskussion

4.1 Kritische Einschätzung von Vorgehen und Methodik

4.2 Strukturelle Veränderung und die Skalen Psychischer Kompetenzen

4.3 Prüfung psychometrischer Kriterien

4.4 Weiterführende Forschungsarbeiten

4.5 Skalen Psychischer Kompetenzen in Forschung und Praxis

5 Zusammenfassung

Literatur

Anhang

Skalen Psychischer Kompetenzen

Einführung

Übersicht über die SPK

Manual

Halbstrukturiertes SPK-Interview

Anleitung für ein halbstrukturiertes SPK-Interview

Halbstrukturierte Interviewfragen

Rating-Formular SPK

Stichwortverzeichnis

Geleitwort

Wie Generationen von Kandidaten vor und wohl auch nach mir habe ich in meiner psychoanalytischen Ausbildung als selbstverständliche und unumstößliche Wahrheit gelernt, das Ziel der Psychoanalyse sei „die strukturelle Veränderung“ des Patienten. Eben darin unterscheide sie sich von anderen Psychotherapieverfahren, die oft Veränderungen „nur“ an den Symptomen bewirkten. Struktur, so konnte man assoziieren, müsse etwas Dauerhaftes aber irgendwie doch auch langsam Veränderbares und in der Tiefe der Person Verankertes sein, das zumindest jenseits der Symptome anzusiedeln sei. Erst im Zusammenhang mit frühen Versuchen, durch wissenschaftliche Psychotherapieforschung die Wirksamkeit von Psychotherapien zu erfassen, wurde uns klar, wie unklar, unscharf und für die Forschung wenig praktikabel der Begriff der „psychischen Struktur“ bislang gehandhabt wurde. (Bei seinem Vergleich der analytischen Arbeit mit der des Archäologen, den man durchaus auch auf die Arbeit des Psychotherapieforschers anwenden kann, hatte der hellsichtige Freud ja schon gewarnt, „...daß das psychische Objekt unvergleichlich komplizierter ist als das materielle des Ausgräbers und daß unsere Kenntnis nicht genügend vorbereitet ist auf das, was wir finden sollen, da dessen intime Struktur noch so viel Geheimnisvolles birgt“ (Freud GW XVI,46). Wir jedenfalls sind damals an der Aufgabe einer nicht simplifizierenden und doch wissenschaftlich praktikablen Operationalisierung gescheitert. (Zur Geschichte und Inhalt dieses Begriffes siehe Seite 15 ff.)

Es hat dann noch einmal Jahrzehnte gedauert, bis in den 1990er Jahren die psychotherapieforschungserfahrene Arbeitsgruppe um Robert Wallerstein das erste Instrument erarbeitete, das sich diesem Anspruch stellt und das hier nun – in die deutsche Sprache übersetzt und adaptiert – vorliegt. Denn das ist die große Leistung von Wallerstein und Mitarbeitern, dass hier endlich ein Instrument entwickelt wurde, mit dem man – jenseits von Symptomen – psychische Struktur differenziert erfassen kann. Und es ist die große Leistung von Huber und Klug, dieses Instrument hinsichtlich seiner Reliabilität, Validität und vor allem auch hinsichtlich seiner Änderungssensibilität geprüft und der Psychotherapieforschung zur Verfügung gestellt zu haben.

Mit Recht hat diese Arbeit den Forschungspreis der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung IPA, erhalten, und mit Recht wird die „Psychische Kompetenzen-Skala“ bereits erfolgreich in mehreren Psychotherapie-Studien eingesetzt: denn sie macht – übrigens schulenunabhängig – dem Psychotherapieforscher erstmals zentrale Bereiche des Geheimnisvollen, das wir psychische Struktur nennen, zugängig. Sie wird der Psychotherapieforschung ganz neue Impulse geben.

München, im Sommer 2006

Michael von Rad

1 Einleitung

Die prinzipielle Wirksamkeit von Psychotherapie ist mittlerweile gut belegt (Grawe et al., 1994; McNeilly & Howard, 1991; Strauß & Wittmann, 2000). Auch ihr essentieller Beitrag für unsere Gesundheitsversorgung wird aufgrund der Prävalenz von psychischen Erkrankungen (etwa 25 % einer Stadtbevölkerung) anerkannt (Schepank, 1987). Noch nicht geklärt und damit Gegenstand der Forschung ist die Frage nach den differentiellen Effekten verschiedener Therapiemethoden (Luborsky et al., 1975; Strauß & Wittmann, 2000). Die vergleichende Psychotherapieforschung musste sich also die Frage nach den für eine bestimmte Therapiemethode spezifischen Effekten stellen; der Bereich „jenseits von Symptomen“ erwies sich dabei als besonders wichtig. Die Ziele solcher Veränderungen „jenseits von Symptomen“ beziehen sich auf seelische Gesundheit mit weitgehender Rezidivfreiheit, Arbeits- und Beziehungsfähigkeit und gesundheitsbezogene Lebensqualität.

Dem Konsens über die Notwendigkeit einer Erfolgsmessung „jenseits von Symptomen“ steht aber ein Mangel an reliablen und validen Messmethoden gegenüber, die solche Veränderungen erfassen können. In besonderem Maße hat sich die psychoanalytisch orientierte Psychotherapieforschung mit solchen Veränderungen befasst. Ein wesentliches psychoanalytisches Konstrukt ist die strukturelle Veränderung. Hierbei geht es um eine Veränderung, die nicht auf der Ebene der Symptome und des Verhaltens, sondern an der „Matrix“ beider ansetzt und so eine besonders tiefgreifende und zeitstabile Veränderung von Symptom, Erleben und Verhalten bewirkt.

Basierend auf den Erfahrungen des Psychotherapy Research Project (PRP) der Menninger Foundation haben Wallerstein und die PRP-II Gruppe (DeWitt, Hartley, Rosenberg, Zilberg) die „Scales of Psychological Capacities“ (SPC) entwickelt (Wallerstein, 1991), die wir im Deutschen „Skalen Psychischer Kompetenzen“ (SPK) genannt haben. Die SPK erheben den Anspruch, die Forderungen der modernen Psychotherapieforschung an eine solche Erfolgsmessung zu erfüllen und strukturelle Veränderungen zu erfassen. Sie sind auf der Basis von langjähriger klinischer Forschung von Wallerstein und seiner Gruppe entwickelt worden. Es handelt sich um ein theorie- und therapieschulenübergreifendes Messinstrument, das in Form eines Expertenurteils auf einem erfahrungsnahen Niveau die strukturell bedingten „Psychischen Kompetenzen“ einer Person erfasst. Damit soll das Konzept der strukturellen Veränderung einer empirischen Überprüfung zugänglich gemacht werden.

Es ist das Ziel der dargestellten Untersuchung, die von den deutschen Autoren ins Deutsche übertragene und von Wallerstein autorisierte Form der SPK psychometrisch zu überprüfen, um damit für die Psychotherapieforschung ein auf psychoanalytischer Theorie basierendes Messinstrument zur Verfügung zu stellen, das klinisch bedeutsame Veränderungen jenseits von Symptomen reliabel, stabil, valide und änderungssensitiv zu erfassen vermag.

Im Folgenden werden nach einer Einführung in die Fragestellung vor dem derzeitigen Stand der Psychotherapieforschung (s. Kap. 2), die einzelnen psychometrischen Untersuchungen dargestellt (s. Kap. 3), die dort auch jeweils getrennt diskutiert werden. Es folgt eine zusammenfassende kritische Diskussion mit einer Würdigung der SPK für Forschung und Praxis (s. Kap. 4), eine Zusammenfassung (s. Kap. 5) und ein ausführliches Literaturverzeichnis (s. Kap. 6). Im Anhang ist das autorisierte deutsche Manual abgedruckt. Der von der PRP II-Gruppe entwickelte und von uns ins Deutsche übersetzte umgearbeitete und ergänzte Interviewleitfaden sowie ein Formblatt zur Dokumentation des Ratings befinden sich ebenfalls im Anhang.

Das vorliegende Buch basiert auf der Habilitationsschrift von D. Huber (2002).

Die deutschsprachige Version der SPC ist das Resultat der intensiven Kooperation mit R. Wallerstein, K. DeWitt, und C. Milbrath. Eine Rückübersetzung ins Amerikanische durch eine staatlich anerkannte Fachübersetzerin und Kontrolle durch die Autoren des Originals führte zur vorliegenden autorisierten deutschen Version. Damit können wir erstmals für deutschsprachige Forschergruppen ein Messinstrument zur Verfügung stellen, das den in der neueren Literatur formulierten Ansprüchen weitgehend entspricht und internationale Kooperationsstudien und Vergleiche zwischen verschiedenen Forschergruppen und verschiedenen Therapiemethoden ermöglicht.

Die Arbeit der Münchner Gruppe wäre nicht zustande gekommen ohne die intensiven inhaltlichen Diskussionen und die wohlwollende Förderung durch Prof. M. von Rad. Methodische Beratung erhielten wir durch Prof. J. Clarkin, Prof. P. Fonagy, Prof. H. Kaechele und Prof. L. Schindler, denen wir an dieser Stelle unseren besonderen Dank aussprechen wollen. Das Research Advisory Board der International Psychoanalytic Association, IPA, förderte wiederholt die psychometrischen Studien zur deutschen Version. Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, DFG, wurde eine Forschungs- und Kooperationsreise der beiden deutschen Autoren zur PRP II Gruppe nach San Francisco unterstützt. Der Druck des Buches schließlich wurde von der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft, DPG, und der Heigl Stiftung gefördert.

Wenn wir von der „Münchner Gruppe“ sprechen, so sind dies nicht nur die beiden Erstautoren, sondern eine Reihe von sehr engagierten Mitarbeitern, Diplomanden und Doktoranden, ohne deren dankenswerten Einsatz die Arbeit nicht zustande gekommen wäre. Daher gilt im Einzelnen hier unser Dank den Methodikern G. Henrich und B. Marten-Mittag, den Interviewern und Ratern T. Brandl, C. Denz, J. Dollhofer, G. Fenzel, J. Gastner, M. Kawka und A. von Thüngen; außerdem C. Denscherz, die mit viel Geduld die oft mühsame Dateneingabe und Überarbeitung des Literaturverzeichnisses erledigte. Besonderen Einsatz bei der Organisation des Projektes und des umfangreichen „Datenbergs“ zeigten J. Gastner und T. Brandl. Sie haben sich als unersetzbar erwiesen; es soll ihnen an dieser Stelle ganz herzlich gedankt werden. Bedanken möchten wir uns auch bei den 14 Münchner Analytikern, die sich als Therapeuten an der Münchner Psychotherapiestudie beteiligten und dadurch eine Menge Arbeit auf sich nahmen.

Unser besonderer Dank gilt auch Prof. M. Leuzinger-Bohleber, die im Rahmen der multiperspektivischen, repräsentativen Katamnesestudie von Psychoanalysen und psychoanalytischen Langzeittherapien die Scales of Psychological Capacities eingesetzt hat. Sie hat mit ihrer Übersetzung der Skalen eine wichtige Vorarbeit für die nun vorliegende Version geleistet.

Last but not least danken wir Herrn Dr. Poensgen vom Kohlhammer Verlag, der sich für die Realisation dieses Buches sehr eingesetzt hat. The very last möchten wir unserer Tochter Thea für erstaunlich viel Verständnis und Autonomie danken; sie ermöglichte uns, auf an sich ihr gehörende Wochenenden zu verzichten.

2 Einführung in die Fragestellung

2.1 Entwicklung der Psychotherapieforschung

Die knapper werdenden Ressourcen im Gesundheitswesen zwingen die Vertreter der verschiedenen psychotherapeutischen Therapierichtungen, die von ihnen behauptete Wirksamkeit ihrer Methoden so nachzuweisen, dass sie auch eine kritische Öffentlichkeit überzeugen kann. Psychoanalytische Psychotherapeuten sind durch die lange Dauer ihrer Behandlungsformen und die damit verbundenen hohen Kosten seit langem unter besonderen Legitimationsdruck geraten. Der enorme therapeutische Aufwand wurde unter anderem damit begründet, dass die spezifischen Effekte von psychoanalytischer Psychotherapie jenseits von Symptomen lägen, also über die bloße Beseitigung von Symptomen hinausgingen. Diese spezifischen Effekte beziehen sich nicht nur auf stabile seelische Gesundheit, sondern auch auf Arbeits- und Beziehungsfähigkeit und gesundheitsbezogene Lebensqualität. Psychoanalytische Psychotherapien haben also den Anspruch, besonders tiefgreifende Veränderungen herbeizuführen und dadurch auch auf der Symptomebene stabile Besserung zu erzielen, die dann längerfristig Kosten im Gesundheitswesen einsparen. Die wissenschaftliche Evidenz, auf die man sich bisher in Deutschland berief, beruhte auf zahlreichen Kasuistiken und auf wenigen empirischen Untersuchungen (z. B. Dührssen, 1972; Dührssen & Jorswieck, 1965; Rudolf, 1991).

Kasuistiken sind eine anerkannte Methode in der Hypothesen generierenden Phase einer Wissenschaft. Sie eignen sich jedoch nicht dazu, die Effektivität einer Therapiemethode zu überprüfen. Die oben angeführten deutschen psychoanalytischen Katamnesestudien genügen aber nicht mehr neueren wissenschaftlichen Standards (Grawe et al., 1994), und dies nicht zuletzt deshalb, weil noch keine geeigneten Messmethoden zur Verfügung stehen, um die spezifischen Veränderungen für eine bestimmte Therapiemethode zu erfassen.

In der Literatur ist es beliebt, die Entwicklung der Psychotherapieforschung in Phasen einzuteilen (z. B. Meyer, 1990; Grawe, 1992):

In einer ersten „klassischen Phase“ – beginnend mit der Veröffentlichung der „Studien über Hysterie“ (Freud & Breuer, 1895) – stand der intraindividuelle Vorher-Nachher-Vergleich als zentrale Methode im Mittelpunkt der Psychotherapieforschung. Diese Phase endete, als Eysenck (1952) mit seiner provokanten Publikation der herkömmlichen (psychoanalytischen) Psychotherapie jegliche Wirksamkeit jenseits der Rate von Spontanremissionen absprach.

Die zweite Phase wird als „Rechtfertigungsphase“ bezeichnet, da zunächst der Versuch, die Wirksamkeit von Psychotherapie generell nachzuweisen, im Vordergrund stand. Bei dem zunehmend in den Mittelpunkt rückenden Vergleich der verschiedenen Psychotherapieschulen wurde nach einem einfachen „Pferderennmodell“ vorgegangen. So gelangte man zunächst zu einem „Äquivalenz-Paradox“ (Meyer, 1990); d. h. es gab keine klaren Gewinner und keine klaren Verlierer. Dies wurde von Luborsky et al. (1975) mit dem inzwischen geflügelten Wort aus Alice im Wunderland umschrieben: „Everybody has won and all must have prizes.“

In den 50er Jahren starteten einige ambitionierte Projekte; zwei der Klassiker, die das Spektrum der Studien dieser Phase repräsentieren, seien hier erwähnt:

Zum einen ist dies die in Deutschland durchgeführte große Katamnesestudie, die Dührssen und Mitarbeiter in Zusammenarbeit mit der AOK Berlin durchführten (Dührssen, 1972; Dührssen & Jorswieck, 1965) – eine sehr verdienstvolle Studie, die die Kostenübernahme von psychoanalytischer Psychotherapie in der Bundesrepublik Deutschland sicherte.

Zum zweiten ist dies die in Amerika durchgeführte sog. „Menninger-Studie“ (in welcher der Psychoanalytiker Wallerstein mehr als 30 Jahre mitarbeitete), eine „monumentale Psychotherapiestudie auf hohem Niveau (...), deren einzigartige Qualitäten sie zu einer der bedeutendsten bisher je durchgeführten Therapiestudien machen“ (Grawe et al., 1994, S. 187). Sie wurde ab 1954 und über drei Jahrzehnte an der Menninger-Klinik in Topeka von „renommierten“ psychoanalytischen Psychotherapieforschern durchgeführt. Eine zusammenfassende Schlussfolgerung von Wallerstein (1989) klingt wie eine Überleitung in die nächste Psychotherapieforschungsphase: „(...) unsere Ergebnisse zeigen klar, dass man, um maximale Wirksamkeit zu erzielen, jeden therapeutischen Ansatz genau für diejenigen Patienten anwenden muss, für die er am besten geeignet ist“ (zitiert nach Kordy & Kaechele, 1995, S. 492).

Die jetzige (dritte) Phase der Psychotherapieforschung wird nach Meyer (1990) als „Differentielle Psychotherapie-Effizienz-Forschung“ bezeichnet. Sie wird geleitet von der differenzierteren Fragestellung, die bereits Paul (1967, S. 111) formulierte: „Welches ist für dieses Individuum mit diesem spezifischen Problem die effektivste Behandlung, durch wen und unter welchen Umständen?“ (zitiert nach Margraf, 2000) – eine Frage, die sich auf die differentielle Psychotherapieindikationsstellung bezieht. Beispiele für solche Differenzierungen sind (nach Kordy & Kaechele, 1995) die Temple-Study (Sloane et al., 1975), das Hamburger Kurztherapie-Experiment (Meyer, 1981), die Penn-Study (Luborsky et al., 1988), das Heidelberger Katamneseprojekt (z. B. von Rad et al., 1998), die Berner-Studie (Grawe et al., 1990). Ein solcher differenzierter Forschungsansatz resultiert natürlich in wesentlich komplexeren Forschungsdesigns. Entsprechend schwierig wird es, experimentelle Standards einerseits und Praxisnähe andererseits so miteinander zu kombinieren, dass ein verlässliches Abbild der Realität aktuell praktizierter Psychotherapie entsteht. Deshalb liegen auch in diesem Bereich erst wenige reliable und valide Daten vor (Roth & Fonagy, 1996).

Es sei an dieser Stelle bereits erwähnt, dass wir selbst eine breit angelegte experimentell orientierte Praxis-Therapiestudie durchführen, die nach diesen aktuellen Anforderungen an eine differentielle Psychotherapieforschung konzipiert ist (Huber et al., 1997; 2001; 2002; Huber & Klug, 2002). Auf diese „Münchner Psychotherapiestudie“ (MPS) wird im weiteren theoretischen wie empirischen Teil immer wieder Bezug genommen werden.

2.2 Ergebnismessung in der Psychotherapieforschung

In den Übersichtsarbeiten zur Ergebnismessung von psychoanalytischer Psychotherapie stimmen alle Autoren (z. B. Roth & Fonagy, 1996; Vaughan et al., 2000) darin überein, dass es nur wenige Studien gibt, die den Ansprüchen einer modernen empirischen Forschung genügen. Grundlegend wird kritisiert, dass es an geeigneten Maßen fehlt, mit denen die postulierten spezifischen Effekte von psychoanalytischer Psychotherapie gemessen werden können. So basieren die Ergebnisstudien der 70er und 80er Jahre noch gänzlich auf Globaleinschätzungen des Therapieerfolges, die die spezifischen Therapieeffekte psychoanalytischer Psychotherapien nicht erfassen konnten (Bachrach et al., 1991).

In den letzten zehn Jahren sind in der Psychotherapieforschung allgemein anerkannte Standards für die Ergebnismessung entwickelt worden. Aufbauend auf den Vorarbeiten des „Outcome Measure Projects“, stellen Strupp et al. (1997) für ihre projektierte „core battery“ zur Erfolgsmessung bei verschiedenen klinischen Störungsbildern die folgenden Kriterien auf:

klare und standardisierte Anweisungen für die Anwendung und Auswertung;

Normwerte für Patienten- und Nicht-Patienten-Populationen;

nachgewiesene Reliabilität;

nachgewiesene Validität;

nachgewiesene Änderungssensitivität;

ökonomische Anwendbarkeit;

gute Einsetzbarkeit im klinischen Bereich;

formalisiertes Ratertraining;

Theoriefreiheit;

Einschätzung durch unabhängige Rater;

Instrumente mit kategorialer und dimensionaler Einschätzung;

Messzeitpunkte vor, während und nach der Behandlung.

Dabei steht man vor dem Dilemma, einerseits die Spezifität der einzelnen Therapieformen zu berücksichtigen, andererseits durch möglichst theoriefreie, pragmatische Messinstrumente einen schulenübergreifenden Vergleich der verschiedenen Therapien ermöglichen zu wollen. Schulte (1995) verweist zur Lösung dieses Dilemmas auf verschiedene Ebenen, auf denen seiner Meinung nach entweder allgemeine, theorieübergreifende oder aber spezifische, theoriegebundene Messinstrumente angewandt werden müssen. Dabei unterscheidet er am allgemeinen Krankheitsbegriff vier Ebenen:

Ursachen (biologische, psychologische, soziologische);

Krankheit (als pathologische Veränderungen innerhalb der Person);

Beschwerden (Symptome, Klagen, Befunde);

Konsequenzen (Krankenrolle und Einschränkungen des normalen Rollenverhaltens).

Er stellt fest, dass die Ebenen a) Ursachen und b) Krankheit beim gegenwärtigen Stand der Theoriebildung nur mit schulenspezifischen Maßen erfasst werden können, während die Ebenen c) Beschwerden und d) Konsequenzen mit allgemeinen, schulenübergreifenden Maßen abgebildet werden können. Schulte nimmt dabei eine wichtige Unterscheidung vor, die für Diagnostik und Untersuchung von Veränderungsprozessen in psychodynamischen Therapien wichtig ist: die zwischen einer symptomatischen Ebene und einer Ebene der zugrunde liegenden Störung (das bedeutet in psychodynamischer Terminologie: der unbewussten Konflikte und strukturellen Merkmale, die die Symptome hervorbringen).

Wie bereits oben dargestellt, beanspruchen die verschiedenen therapeutischen Richtungen (z. B. psychoanalytische Psychotherapie, Verhaltenstherapie) für sich, auch auf der Ebene b) Krankheit, also „jenseits“ der Symptome und innerhalb der Person, Veränderungen zu bewirken. Eine differentielle Psychotherapieforschung benötigt also Messinstrumente, die möglichst theorieübergreifend diese Ebene erfassen können.

2.3 Die psychoanalytischen Konzepte der psychischen Struktur und strukturellen Veränderung

In der Psychoanalyse ist die beschriebene Ebene der Veränderung „jenseits von Symptomen“, die Schulte (1995) als „innerhalb der Person“ bezeichnet, eng mit dem Begriff der psychischen Struktur verknüpft.

Historisch gesehen, geht der Begriff auf das von Freud (1923) entwickelte Strukturmodell zurück, wobei Freud selbst psychische Struktur nicht definiert hat. Im Strukturmodell werden die drei intrapsychischen Makrostrukturen „Es“, „Ich“ und „Über-Ich“ unterschieden. Der „strukturelle Konflikt“ zwischen den drei Instanzen ist der intrapsychische Konflikt, der nach der Freudschen Theorie die Grundlage für neurotische Symptome und maladaptives Verhalten bildet.

Pulver (1991) definiert psychische Struktur als „(...) ein organisiertes Ganzes oder als eine Kombination von miteinander verbundenen und abhängigen Teilen oder Elementen, die eine spezifische Funktion ausführen“. Er betont also die enge Beziehung zwischen Struktur und Aufgabe – ihre Funktion – und nennt sie eine „dynamische“ Struktur.

Rapaport (1960) betont den zeitstabilen Aspekt von psychischer Struktur „(...) als Organisationen, die andauernd sind oder sich relativ langsam verändern“.

Struktur begründet den zeitüberdauernden, persönlichen Stil (Shapiro, 1965), in dem der Einzelne immer wieder sein intrapsychisches und interpersonelles Gleichgewicht herstellt. Psychische Strukturen sind dynamisch, da sie sich lebensgeschichtlich bilden und entwickeln. Sie gründen zwar auf angeborenen Persönlichkeitsdispositionen, werden aber erst während der Kindheit geformt und unterliegen im Laufe des Lebens Veränderungen („Slow-change-Modell“). Die psychische Struktur eines Erwachsenen ist also das Ergebnis eines Reifungs- und Entwicklungsprozesses mit zunehmender Differenzierung und Integration.

In Deutschland wurde 1996 die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD) eingeführt (Arbeitskreis OPD, 1996; 2001), in der Struktur als Achse IV erfasst wird. Die Autoren definieren psychische Struktur als eine für den einzelnen typische Disposition des Erlebens und Verhaltens. Sie betonen, dass das Erkennen von psychischer Struktur notwendigerweise an Kommunikation und Interaktion gebunden ist. Als Voraussetzung für die Einschätzung struktureller Aspekte einer Person sehen sie ein diagnostisches Interview an, welches eine Beziehungsdiagnostik ermöglicht.

In neueren Veröffentlichungen wird der Begriff der psychischen Struktur auf neurophysiologischer Grundlage zu erklären versucht. Deneke (2001) nennt die seelisch-geistige Struktur eine systematisierte Ordnung, die das Gehirn auf der Grundlage aller vorangegangenen Lebenserfahrungen eines Menschen aus sich selbst heraus entwickelt hat. Sie ist in bestimmten funktionell-morphologischen, individualspezifischen Veränderungen der neuronalen Hirnstruktur niedergelegt. Er bezeichnet Struktur als „unser persönlich organisiertes Weltmodell“, das in zeitlich überdauernden funktionellen Veränderungen der Synapsenstärken und morphologischen Veränderungen der Hirnstruktur niedergelegt ist. Die Veränderbarkeit von Struktur erklärt er entsprechend durch die neuronale Plastizität des Gehirns.

Auch Schore (1994) geht davon aus, dass durch die Interaktionen des Kindes mit seiner Umgebung psychische Struktur neuroanatomisch/neurophysiologisch gebildet wird und dass psychotherapeutisch herbeigeführte strukturelle Veränderung neurobiologische Korrelate aufweist.

Auf der Grundlage der Definitionen in der dargestellten Literatur wollen wir psychische Struktur verstehen als ein Organisationsprinzip, das das Erleben und Verhalten eines Menschen in einer für ihn typischen Weise ordnet. Dieses Organisationsprinzip ist relativ zeitstabil, aber nicht starr und steht in Interaktion mit der Umwelt. Psychische Struktur ist also veränderbar, wenn auch so langsam, dass zunächst der Eindruck von Konstanz überwiegt. Für psychische Struktur muss es neurophysiologische Korrelate geben.

Eine Veränderung auf der Ebene dieses Organisationsprinzips wird als strukturelle Veränderung1 bezeichnet. Es besteht Konsens darüber, dass sie den Typus von Veränderung umreißt, der nicht auf der Ebene der Symptome und des manifesten Verhaltens, sondern vielmehr an der „Matrix“ beider ansetzt und deshalb eine besonders tiefgreifende und dauerhafte Veränderung von Symptom und Verhalten bewirkt (siehe z. B. Dewald, 1972; Boesky, 1988; Kernberg, 1991). Weniger dauerhaft sind dagegen Veränderungen, die nicht auf der Modifikation psychischer Struktur beruhen, sondern beispielsweise auf einem Widerstand gegen die Behandlung („Flucht in die Gesundheit“), auf einem Wohlverhalten gegenüber dem Therapeuten („Übertragungsheilung“) oder einer äußerlichen Veränderung wie einer Beförderung oder einer Verliebtheit etc.

Strukturelle Veränderung als „das allgemein anerkannte Ziel der Psychoanalyse“ (Moore & Fine, 1990) und in einem gewissen Umfang der psychoanalytischen Psychotherapie (z. B. Kernberg, 1991; Wallerstein, 1986) ist ein Konstrukt, das die spezifischen Therapieeffekte zu erfassen versucht.

Kernberg (1991) definiert strukturelle Veränderung auf ich-psychologischer Grundlage als eine „signifikante Veränderung in den unbewussten Konflikten, die der Symptombildung zugrunde liegen. Veränderung in den zugrunde liegenden unbewussten intrapsychischen Strukturen zeigt sich gewöhnlich in Verschiebungen des Gleichgewichtes von ‚Ich‘, ‚Über-Ich‘ und ‚Es‘, mit einer signifikanten Erweiterung des Systems ‚Ich‘ und einer entsprechenden Reduktion des Druckes des unbewussten ‚Über-Ich‘ und ‚Es‘.“

Eine strukturelle Veränderung sollte sich etwa so auswirken: Die Patienten sind in ihren Verhaltensweisen weniger von ihren Trieben geleitet, und maladaptive Verhaltensweisen werden nicht mehr starr beibehalten. Die Wahrnehmung von sich selbst und anderen ist realistischer und ermöglicht sowohl angepassteres Verhalten als auch eine zufriedenstellende Beziehungsfähigkeit. Die Normen sind weniger streng und starr, die Ideale sind weniger illusionär und angemessener bezüglich der Fähigkeiten der Person.

2.4 Erfassung struktureller Veränderung

Die unbefriedigende Anwendung globaler, psychoanalytischer Konzepte in Katamnesestudien zeigte, dass sie klarer und differenzierter operationalisiert und deshalb durch Experten erhoben werden müssen. Nur so kann der Komplexität der Effekte angemessen Rechnung getragen werden (Wallerstein 1986; 1994) und der Einfluss der Symptomatik auf intrapsychische Stukturen durch kompetente Exploration weitgehend ausgeschlossen werden. Kernberg weist in seinem „final report“ der Menninger-Studie darauf hin, dass der Einfluss der Symptomatik auf die zu erfassenden Variablen immer mit eingeht, wenn strukturelle Veränderung mit globalen Veränderungen gleichgesetzt wird, statt sie in verschiedenen Bereichen differenziert zu operationalisieren (Kernberg et al., 1972).

Aus der Katamneseforschung ist bekannt, dass bei einer katamnestischen Befragung unaufgelöste Konflikte aus der Therapie wieder belebt werden und sich dies auf die Antworten auswirken kann. Diese von Pfeffer (1959) erstmals beschriebenen übertragungsbedingten Verzerrungen, die sich im Katamneseinterview wie auch in schriftlichen Befragungen niederschlagen, wird nur ein Experte adäquat berücksichtigen können.

Ein solches Expertenurteil muss allerdings nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Das Messinstrument, das dieses Expertenurteil verwendet, muss den anerkannten Standards der klassischen Testkonstruktion genügen, d. h. seine psychometrische Qualität muss überprüft sein.

Für den empirischen Vergleich von verschiedenen psychoanalytischen und nichtanalytischen Therapiemethoden wird also ein Messinstrument benötigt, das

auf einem Expertenurteil basiert, wobei davon ausgegangen wird, dass der Experte

den Einfluss bestehender Symptomatik auf das psychische Funktionieren und

den Einfluss von übertragungsbedingten Verzerrungen im Katamneseinterview berücksichtigen kann,

differenziert verschiedene Bereiche der psychischen Struktur und ihrer Veränderung erfasst,

auf schulenübergreifenden Konzepten beruht,

zu nachvollziehbaren, vergleichbaren und überprüfbaren Ergebnissen kommt.

Ein solches Inventar, das all den genannten Anforderungen entspricht, lag für den deutschsprachigen Raum zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht vor. Die Auswahl und psychometrische Absicherung eines solchen Instrumentes wurde daher zum Inhalt der hier vorliegenden Arbeit gemacht.

Im Folgenden sollen die Bemühungen von Forschergruppen erwähnt werden, die Veränderungen der psychischen Struktur und andere psychoanalytische Konstrukte, die jenseits der Messung von symptomatischer Veränderung liegen, entwickelt haben, ohne an dieser Stelle kritisch auf sie einzugehen. Generell ist festzuhalten, dass psychoanalytisch-orientierte Forscher bislang sehr zurückhaltend waren, ihren Konzepten entsprechende Ergebnismessinstrumente zu entwickeln und deren psychometrische Gütekriterien zu überprüfen. „State of the art“ ist vielmehr, dass zwar therapiespezifische Messinstrumente in einigen Forschungszentren konzipiert wurden, dass aber ihre Überprüfung nach den Standards der Messtheorie erst am Anfang steht. Gegenwärtig gibt es zwei Messinstrumente, die auf dem Konzept der strukturellen Veränderung basieren: die Focus Liste der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) (Rudolf et al., 1998), die für die Veränderungsmessung zusammen mit der Heidelberger Structural Change Scale (HSCS), einer überarbeiteten Form der Adaptation to Unpleasant Events Scale (APES; Stiles et al., 1990), angewandt wird (Rudolf et al., 2000; Grande et al., 2003), und die Scales of Psychological Capacities (SPC), die von Wallerstein und Mitarbeitern (Wallerstein, 1991; Wallerstein, unpublished manual) aus den Erfahrungen des Psychotherapy Research Project der Menninger Foundation heraus entwickelt wurden.

In den letzten Jahren haben psychoanalytisch orientierte Forscher weitere Messinstrumente geschaffen, die nicht mehr auf dem Konzept der strukturellen Veränderung basieren, die aber mit anderen Konzepten die „Region jenseits von Symptomatik“ zu vermessen versuchen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit in diesem beweglichen Feld zu erheben, möchten wir an dieser Stelle nur eine subjektive Auswahl von Instrumenten nennen, z. B. die Reflective Functioning Scale (RF-Scale; Fonagy et al., 1998), die mittlerweile in deutscher Übersetzung vorliegt (Daudert, 2001); die Differentiation-Relatedness (D-R) Scale (Diamond et al., 1990, 1993); die Shedler-Westen Assessment Procedure-200 (SWAP-200; Shedler & Westen, 1998; Westen & Shedler, 1999a,b; Shedler, 2002); das Karolinska Psychodynamic Profile (KAPP) (Weinryb & Rössel, 1991, Weinryb, 1998), das seit 1999 auch in deutscher Übersetzung vorliegt (Weinryb et al., 1999), das „Konstrukt des Selbstbezugs“ von Seidler (1999) und Messinstrumente für Abwehrmechanismen (z. B. Defense Mechanism Inventory DMI, Gleser and Ihilevich; Defense Style Questionnaire DSQ, Bond et al., 1983; und der Fragebogen zu Konfliktbewältigungsstrategien FKBS, Hentschel et al., 1998, 2004).

Obwohl also in den letzten Jahren viel Bewegung in dieses lange vernachlässigte Forschungsfeld gekommen ist, bleibt doch festzuhalten, dass hier noch ein großer Bedarf an empirisch fundierter Forschung besteht, oder – wie Fonagy es formuliert – „... wir brauchen sensitive Maße, die Veränderungen im psychischen Funktionieren nach psychoanalytischen Langzeittherapien identifizieren können, die über eine symptomatische Besserung hinausgehen und die auf Besserungen hinweisen, und die ... eine relative Freiheit von künftigen Schwierigkeiten voraussagen lassen“ (Fonagy, 2004, S. XXII; eigene Übersetzung).

2.5 Skalen Psychischer Kompetenzen nach Wallerstein

Die Anforderungen der modernen Psychotherapieforschung an ein Messinstrument, das jenseits von Symptomen die spezifischen psychoanalytischen Effekte erfasst, aber dennoch schulenübergreifend eingesetzt werden kann, erfüllen unseres Erachtens am besten die „Scales of Psychological Capacities“ (SPC). Diese „Skalen Psychischer Kompetenzen“ wurden von Wallerstein und seiner Psychotherapy-Research-Projekt-Gruppe (PRP-II-Gruppe) auf der Basis von langjähriger klinischer Forschung entwickelt. Der klinische und wissenschaftliche Erfahrungshintergrund stammt aus der Menninger-Studie (vgl. Kap. 2.1). Eine Schlussfolgerung aus dieser Studie bezog sich auf die unzulängliche, d. h. nur auf der Basis von klinischem Urteil global erhobene Erfassung struktureller Veränderung und resultierte in der Entwicklung der SPC.

Nach einer autorisierten Übersetzung der SPC ins Deutsche und ihrer Überarbeitung auf der Basis psychometrischer Untersuchungen wurden die im Folgenden als SPK bezeichneten Skalen Psychischer Kompetenzen entwickelt.

Bei den SPK handelt es sich um ein theorie- und therapieschulenübergreifendes Messinstrument, das in Form eines Expertenurteils auf einem erfahrungsnahen Niveau die strukturell bedingten „Psychischen Kompetenzen“ einer Person erfasst.

2.5.1 Konzeption und Messprinzip der Skalen Psychischer Kompetenzen

Die Skalen Psychischer Kompetenzen (SPK) sind ein Fremdeinschätzungs-Messinstrument, das von den Autoren als „theorieinformiert“ aber nicht theoretisch gebunden bezeichnet wird. Darunter ist zu verstehen, dass die SPK zwar auf der psychoanalytischen Theorie basieren, aber nicht spezifisch für eine bestimmte psychoanalytische Schulrichtung das Niveau psychischer Struktur erfassen. Mit den SPK wird der Versuch unternommen, den Begriff der intrapsychischen Struktur und der strukturellen Veränderung so zu operationalisieren, dass er schulenunabhängig als Basis für ein Messinstrument zur Erfassung der spezifischen Veränderungen nach psychoanalytischen Psychotherapien verwendet werden kann. Wie aus einer Studie zur Inhaltsvalidierung hervorgeht, sind sie der basalen psychoanalytischen Theorie so nahe, dass alle Schulrichtungen innerhalb der Psychoanalyse ihren Operationalisierungen zustimmen konnten. Dieser empirischen Ausrichtung entsprechend, sind die „Psychischen Kompetenzen“ sehr erfahrungsnahe Konstrukte auf niedrigem Abstraktionsniveau. Dies bedeutet, dass aus unmittelbar erfahrbaren, seelischen Zuständen und Verhaltensweisen reliabel auf die sie bedingenden, „darunter liegenden“ Strukturen und deren Veränderung im Laufe einer Therapie und einer Follow-up-Periode geschlossen werden kann. Diese Psychischen Kompetenzen, die zusammengenommen den Grad der adaptiven und integrativen Persönlichkeit ausmachen sollen, wurden induktiv aus den Kernelementen psychischen Funktionierens nach der psychoanalytischen Theorie entwickelt, d. h. sie selbst sind nicht die Strukturen, sondern deren Indices, durch deren Veränderung auf eine Veränderung der psychischen Struktur geschlossen wird.

Wallerstein und seine Arbeitsgruppe haben 17 „Psychische Kompetenzen“ konstruiert, die zusammen die Struktur eines Individuums anhand seines charakteristischen Funktionierens in wichtigen sozialen Situationen beschreiben sollen (Wallerstein, 1988, 1991; Zilberg et al., 1991; DeWitt et al., 1999). Sie sollen umfassend die Spielbreite des Funktionierens der Persönlichkeit und ihre Möglichkeiten für Veränderung abbilden. Dabei sollen anhaltende Veränderungen in diesen psychologischen Fähigkeiten eine darunter liegende strukturelle Veränderung in der Persönlichkeitsorganisation und im Funktionieren der Persönlichkeit widerspiegeln. Wallerstein definiert im Manual zu den SPK:

Skalen

Subdimensionen

1.

Hoffnung

übertriebener Optimismus

übertriebener Pessimismus

2.

Lebensfreude

Übererregbarkeit

Apathie

3.

Zuweisung von Verantwortlichkeit

übermäßige Externalisierung

übermäßige Internalisierung

4.

Flexibilität

Engstirnigkeit

Verwirrung und Selbstzweifel

5.

Beharrlichkeit

„Verbohrtheit“

Aufgeben

6.

Bindung an Normen und Werte

exzessives Moralisieren

Abwesenheit von Prinzipien

7.

Bindung in Beziehungen

zwanghaftes Verwickeltsein

begrenzte, dünne Beziehungen

8.

Gegenseitigkeit

Ausnutzen anderer Selbstaufgabe

9.

Vertrauen

extremes Misstrauen

extreme Leichtgläubigkeit

10.

Empathie

emotionale Einverleibung

emotionale Abgestumpftheit

Egozentrik

11.

Affektregulation

unkontrollierte „Affektstürme“

übermäßige Kontrolle

12.

Impulsregulation

Zügellosigkeit

übermäßige Hemmung

13.

Umgang mit sexueller Erfahrung

impulsive und dranghafte Äußerung

übermäßige Hemmung

14.

Selbstbehauptung

Herumkommandieren

Schüchternheit

15.

Sich auf sich und andere verlassen können

sich kaum auf andere verlassen können

sich kaum selbst vertrauen können

kaum jemand sein, auf den man sich verlassen kann

16.

Selbstachtung

Grandiosität

Selbstentwertung

17.

Selbstkohärenz

Unbeständigkeit im Verhalten und Erleben

Abb. 1: Skalen Psychischer Kompetenzen mit den 35 Subdimensionen