Smaragdjungfer – Ein Wilhelmshaven-Krimi - Mara Laue - E-Book

Smaragdjungfer – Ein Wilhelmshaven-Krimi E-Book

Mara Laue

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Beschreibung

Nachtclubbesitzer Jerome Kastor wird neben der Leiche einer Hostess ertappt, als er mit blutigen Händen ihren Schmuck stiehlt. Ein eindeutiger Fall für Kommissarin Paula Rauwolf. Aber warum untersagt der Staatsanwalt trotzdem alle Maßnahmen gegen Kastor? Steckt Kastors Freund Witold Graf, ein ebenso einflussreicher wie zwielichtiger Reeder, dahinter? Angeblich hat er Beziehungen bis in die höchste Politik. Und welche Rolle spielt die verschwundene Smaragdhalskette der Hostess, die nicht nur Kastor unbedingt in seinen Besitz bringen will? Als Paula die Antworten auf diese Fragen findet, gerät nicht nur sie selbst in höchste Gefahr, denn Graf ist entschlossen, jeden auszuschalten, der ihm gefährlich werden kann.

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Mara Laue

 

 

Smaragdjungfer

 

 

 

Ein Wilhelmshaven-Krimi

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv

Cover: © by Steve Mayer, nach Motiven, 2023

Korrektorat: Bärenklau Exklusiv

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

Anmerkung der Autorin:

 

Alle in diesem Roman dargestellten Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Ereignissen oder Namensgleichheit mit real existierenden Menschen wären rein zufällig. Das gilt besonders für die im Roman vorgestellten Kriminalbeamten, die mit den realen Beamten der Wilhelmshavener Polizeiinspektion nur den Arbeitsplatz gemein haben. Ebenso fiktiv sind konkrete Adressen mit Ausnahme der Polizeiinspektion und der in der Danksagung genannten.

 

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Smargdjungfer 

Mittwoch, 28. September 

Donnerstag, 29. September 

Freitag, 30. September 

Samstag, 1. Oktober 

Sonntag, 2. Oktober 

Dienstag, 11. Oktober 

 

Das Buch

 

 

 

 

Nachtclubbesitzer Jerome Kastor wird neben der Leiche einer Hostess ertappt, als er mit blutigen Händen ihren Schmuck stiehlt. Ein eindeutiger Fall für Kommissarin Paula Rauwolf. Aber warum untersagt der Staatsanwalt trotzdem alle Maßnahmen gegen Kastor? Steckt Kastors Freund Witold Graf, ein ebenso einflussreicher wie zwielichtiger Reeder, dahinter? Angeblich hat er Beziehungen bis in die höchste Politik. Und welche Rolle spielt die verschwundene Smaragdhalskette der Hostess, die nicht nur Kastor unbedingt in seinen Besitz bringen will? Als Paula die Antworten auf diese Fragen findet, gerät nicht nur sie selbst in höchste Gefahr, denn Graf ist entschlossen, jeden auszuschalten, der ihm gefährlich werden kann.

 

 

***

Smargdjungfer

 

Ein Wilhelmshaven-Krimi

 

von Mara Laue

 

 

 

Mittwoch, 28. September

 

Jasmin Stojanovic schloss ihren Wagen ab und blickte sich suchend um. Sie konnte das Auto ihres Kontaktmannes nirgends entdecken. Dabei hätte er schon längst hier sein müssen. Egal. Er würde jeden Moment kommen.

Sie drückte die Haustür auf und lief die Treppe hinauf zu ihrer Wohnung. Im Flur stellte sie ihre Handtasche auf den Garderobentisch und eilte ins Bad. Ihre Blase drückte; nicht nur vor Aufregung. Sie zwang sich mit eiserner Disziplin zur Ruhe und kickte sich die unbequemen High Heels von den Füßen.

Reiß dich zusammen, verdammt! Du bist ein Profi und keine Anfängerin vor dem ersten Mal.

Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass sie noch nie mit derart brisanten Daten zu tun gehabt hatte, von denen so unendlich viel abhing. Nervös nestelte sie an dem libellenförmigen Anhänger ihres Smaragdcolliers und warf zum wiederholten Mal einen Blick auf die Uhr. Wo zum Teufel blieb der Kerl?

Das Schrillen der Türklingel ließ sie zusammenzucken. Endlich! Sie schlüpfte in ihre Hausschuhe und ging zur Tür. Sie hatte sie noch nicht mal einen Spalt breit geöffnet, als sie so heftig aufgestoßen wurde, dass Jasmin zurückstolperte. Im nächsten Moment wurde sie gegen die Wand geschleudert und prallte hart mit dem Hinterkopf dagegen. Sie schrie auf. Der Mann schloss die Tür mit einem Fußtritt, packte Jasmin an der Kehle und nagelte sie mit seinem Körper an der Wand fest. Bevor sie an Gegenwehr auch nur denken konnte, hielt er ihr ein Messer vors Gesicht.

»Wo sind sie?«

Sie rang nach Luft, die zu bekommen er ihr gerade noch gestattete. Er stand ihr viel zu nahe, als dass sie das Knie hätte hochreißen können, um ihn empfindlich im Schritt zu treffen. Ihm beide Hände flach über die Ohren zu schlagen, um ihn auf diese Weise auszuschalten, war zu gefährlich, da er sie in dem Fall immer noch mit dem Messer hätte erwischen können. Außerdem kannte sie ihn und wusste, dass er nicht die geringsten Skrupel hatte.

»Wo ist wer?« Ihre Stimme krächzte. Fieberhaft überlegte sie, wie sie die Situation entschärfen könnte.

Als Antwort zerschnitt er ihre Wange und stieß ihren Kopf so heftig gegen die Wand, dass sie für einen Moment Sterne sah. Sie schrie auf. Blut lief aus der klaffenden Wunde über ihren Hals. Für eine Sekunde durchzuckte sie der in diesem Moment völlig unwichtige Gedanke, dass sie für immer entstellt sein würde. Dabei ging es hier um sehr viel mehr als um ihre Schönheit. Die nächsten, trügerisch ruhigen Worte ihres Peinigers bestätigten das.

»Pass mal auf. Die Frage ist nur, ob du schnell oder langsam stirbst. Schnell, wenn du mir sagst, wo die Daten sind. Langsam, wenn ich das aus dir rausholen muss. Als Erstes wirst du mir aber sagen, für wen du arbeitest.«

Jasmin war sich bewusst, dass er das vollkommen ernst meinte und ihr Leben in höchster Gefahr schwebte – nein, bereits am seidenen Faden hing. Panik kroch in ihr hoch. Sie unterdrückte sie mit eisernem Willen. Sie musste einen kühlen Kopf behalten. Vor allem musste sie Zeit gewinnen, bis ihr Kontaktmann kam. Ein paar Minuten würden genügen. Die Frage war nur, ob ihr die noch blieben.

»Ich arbeite für Severin Escort Service, das weißt du doch«, stieß sie hervor. Ihre Wange und ihr Kopf taten höllisch weh. Ihr Blut durchtränkte bereits den Kragen ihres Kleides. »Und von was für Daten redest du eigentlich?«

»Falsche Antwort.«

Das Messer zerschnitt ihre andere Wange. Jasmin schrie erneut auf. Der Schmerz und das damit einhergehende Entsetzen verursachten ihr Übelkeit.

Aus der Nebenwohnung erklang eine laute Frauenstimme, untermalt von einem heftigen Klopfen gegen die Wand. »Ruhe! Wenn nicht sofort Ruhe ist, rufe ich die Polizei!«

Jasmin öffnete den Mund, um zu schreien, so laut sie nur konnte, damit Frau Sander es nicht nur bei der Drohung beließ. Aber der Mann presste ihr die Hand auf die Lippen, bevor sie einen Ton herausbringen konnte. Er hielt ihr die Spitze des Messers direkt unter das linke Auge. Jasmin hatte genug Krimis gesehen, um zu wissen, was er vorhatte.

Er starrte sie kalt an. »Ich will die Daten.«

Sie setzte alles auf eine Karte, nahm allen Mut und ihre gesamte Kraft zusammen. Sie holte mit beiden Händen aus, um sie ihm auf die Ohren zu schlagen.

Es blieb beim Versuch. Er hatte wohl mit so etwas gerechnet. Er ließ sie abrupt los, trat einen Schritt zurück und beugte gleichzeitig den Oberkörper weit genug nach hinten, dass Jasmins Hände ins Leere fuhren. Sie zögerte keine Sekunde und knallte ihm eine Faust auf den Solarplexus, die andere auf die Nase und hörte befriedigt den Knochen brechen. Er grunzte und stolperte zurück. Das verschaffte ihr etwas Luft.

Leider war er kein Weichei, sondern ein kampferprobter Ex-Söldner und schlimmere Verletzungen gewöhnt. Der Schmerz seiner gebrochenen Nase hielt ihn nicht auf. Jasmin holte zu einem Fußtritt in seinen Unterleib aus. Er packte ihren Fuß und verdrehte ihn. Sie stürzte mit einem Schmerzensschrei zu Boden. Dabei riss sie die Vase aus Muranoglas vom Garderobentisch. Klirrend zerbrach sie auf den Fliesen der Diele. Die Splitter bohrten sich schmerzhaft in ihre Haut. Egal.

Sie trat mit dem anderen Fuß nach seinem Knie und traf. Er stöhnte, aber seine harte Beinmuskulatur fing die Wucht größtenteils ab. Immerhin hatte sie wieder ein paar Sekunden gewonnen. Die genügten ihr, um auf die Beine zu kommen. Dabei schnitt sie sich die Hände an den Glassplittern auf. Ihr Fuß trat höllisch weh und war mindestens verrenkt.

Bevor sie sich umdrehen und den Kerl erneut angreifen konnte, packte er ihre Haare und riss brutal ihren Kopf zurück. Sie schrie erneut. Er drückte sie rücklings gegen die Wand. Sie knallte die Stirn gegen seine gebrochene Nase. Er brüllte, eher wütend als schmerzvoll, und versetzte ihr einen Haken in den Magen, von dem ihr die Luft wegblieb. Sie klappte zusammen. Er holte mit dem Messer aus, um ihr erneut das Gesicht zu zerschneiden. Sie wollte zur Seite ausweichen und rutschte auf den Glasscherben aus. Fiel nach vorn. Verzweifelt ruderte sie mit den Armen, um den Sturz abzufangen oder ihm wenigstens eine andere Richtung zu geben. Vergeblich.

Ein heftiger Schmerz fuhr durch ihren Körper, als sie direkt ins Messer ihres Angreifers fiel. Jasmin schnappte nach Luft. Ihre Beine gaben nach, und sie brach zusammen. Ihr Körper knallte auf die Glassplitter, die sich tief in ihre Haut bohrten. Sie verlor das Bewusstsein.

Der Mann fluchte und drückte den Handrücken gegen seine blutende Nase, ehe er die Finger gegen beide Seiten presste und mit einem Ruck den Bruch richtete. Diese miese, kleine Nutte war doch ein wehrhafteres Biest gewesen, als er gedacht hatte. Aber er war schon mit ganz anderen Kalibern fertig geworden. Er zog das Messer aus ihrem Körper und wischte es an ihrem Kleid sauber.

Ihre Handtasche stand auf dem Garderobentisch. Er kippte ihren Inhalt aus und begann ihn zu durchsuchen.

 

*

 

Kriminalkommissarin Paula Rauwolf ging den vertrauten Weg am Empfang der Polizeiinspektion Wilhelmshaven vorbei. Sie grüßte Silke Moravac, die dort heute Dienst tat, mit einem knappen »Moin!«

»Moin, Paula!«

Neutraler Tonfall. Kein Lächeln wie früher. Paula hatte nichts anderes erwartet. Sie stieg die Treppe zum ersten Stock hoch. Während der sechzehn Monate ihrer erzwungenen Abwesenheit vom Fachkommissariat 1 hatte sich hier nichts verändert. An den Wänden hingen dieselben Bilder, der Bodenbelag sah aus wie immer, und der Stuhl mit dem verbogenen Stahlbein stand immer noch vor Zimmer 39.

Bis zur Höhe der Kaffeeküche hatte sie das Gefühl, als wäre sie erst gestern hier entlanggegangen. Normalerweise wäre sie in das Zimmer gegenüber gegangen, in dem ihr Büro gewesen war. Heute ging sie daran vorbei und bekam schon mit dem ersten Schritt in die andere Richtung den Eindruck, hier vollkommen fremd zu sein. Die wenigen Kolleginnen und Kollegen, die sie auf dem Gang traf, grüßten sie mit einem kurzen Nicken, und Paula nickte automatisch zurück.

Das ihr neu zugewiesene Zimmer 48 lag am Ende des u-förmigen Gangs und somit am weitesten von allem entfernt, einschließlich der Kaffeeküche, des Kopierers und des Ausgangs zum Parkplatz. Sie hätte wetten können, dass die Zuteilung dieses Büros, das vor sechzehn Monaten noch als Abstellraum benutzt worden war, ihr die subtile Botschaft vermitteln sollte, wohin sie nach Meinung einiger Leute hier tatsächlich gehörte. Scheiß drauf! Auf deren Meinung gab Paula keinen Pfifferling.

Sie schloss die Tür ihres neuen Domizils mit einem Fußtritt hinter sich und erstarrte. An der vorderen Kante eines der beiden Schreibtische thronte ein gerahmtes Foto von Christopher in Polizeiuniform, der selbstsicher in die Kamera lächelte. Über einer Ecke des Bildes hing eine schwarze Trauerschleife. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie blinzelte sie hastig weg und musste sich beherrschen, um das Foto nicht vom Tisch zu fegen. Stattdessen legte sie es mit der Rückseite nach oben in eine Schublade. Es war immerhin Christophers Bild, und er hatte es nicht verdient, einfach auf den Boden gepfeffert zu werden. Neben der Computertastatur lag eine ebenfalls mit einem schwarzen Band versehene Ermittlungsakte. »Fall 2010-595476« – der Fall, der Christopher das Leben gekostet hatte.

Diesmal tat sie ihren Gefühlen keinen Zwang an. Sie schleuderte die Akte mit einem Fluch in die Ecke. Danach setzte sie sich an den Tisch, stützte die Ellenbogen auf die Platte und fuhr sich mit zitternden Händen über das Gesicht. Offensichtlich hatte man beschlossen, ihr das Leben zur Hölle zu machen; zweifellos in der Absicht, sie zu einem Versetzungsgesuch zu bewegen. Dazu hatte man ihr schon vor sechzehn Monaten nachdrücklich geraten. Doch in Paulas Augen wäre das einem Schuldeingeständnis gleichgekommen. Und das kam gar nicht in die Tüte!

Ihr Blick fiel auf die auf dem Telefon aufgedruckte Durchwahlnummer: 227. Wie 22.7. – Christophers Geburtstag. Sie beugte sich vor und las die auf dem Telefon des zweiten Schreibtisches, der mit der Stirnseite an ihren stieß: 806. Wie 8.06. – Christophers Todestag. Noch so eine Gemeinheit, denn die Durchwahlen waren normalerweise identisch mit den Zimmernummern plus einer 1 oder 2 dahinter für die jeweiligen Apparate.

Sie empfand den inzwischen vertrauten Schmerz des Verlustes, glaubte zu sehen und zu fühlen, wie Christopher vor ihren Augen erschossen und sie selbst verwundet wurde. Sie spürte den Phantom-Einschlag der Kugeln in ihren Körper und zuckte zusammen. Atmete tief durch und richtete ihren Blick auf das rote Laub des Ahornbaums vor dem Fenster. Stumm rezitierte sie das Mantra, das Doktor Keller mit ihr für solche Situationen eingeübt hatte: Die Erinnerungen ziehen vorbei wie Wolken am Himmel und verschwinden wie Schall und Rauch. Die Bilder und Empfindungen verblassten nach der fünften Wiederholung.

Ihr Psychiater hatte sie darauf vorbereitet, dass die Rückkehr an ihre alte Wirkungsstätte solche Flashbacks auslösen würde, die unter Umständen sogar sehr heftig sein könnten. Er hatte ihr aber auch versichert, dass sie immer weiter nachlassen würden, je mehr die Arbeit für sie wieder zur gewohnten Routine wurde. Paula hoffte, dass er Recht behielt, denn sie wollte nicht noch einmal dasselbe emotionale Chaos erleben wie unmittelbar nach den damaligen Ereignissen. Allerdings war sie bereits auf dem besten Weg dorthin, denn die niederträchtigen Willkommensgeschenke der Kollegen rissen die kaum verheilte Wunde wieder auf.

Oh Christopher! Wie soll ich das alles ohne dich durchstehen? 

Sie konnte ihn mit seinem spitzbübischen Lächeln am Tisch gegenüber sitzen und ihr in seiner typischen Art zuzwinkern sehen. »Mach dir nichts draus, Wölfin«, hörte sie ihn mit jenem neckenden Unterton sagen, den er ihr gegenüber so oft angeschlagen hatte. »Du schaffst das schon.« Davon war sie allerdings keineswegs überzeugt.

Das Öffnen der Tür unterbrach ihre Gedanken. Sie hatte ihren Vorgesetzten Jakob Roemer erwartet. Stattdessen trat ein ihr unbekannter Mann mit einem kleinen Karton in den Händen ein, der einen beinahe schmerzhaften Kontrast zu seinem dunkelblauen Anzug bildete.

»Frau Rauwolf?« Auf ihr Nicken fügte er ein »Guten Morgen« hinzu, ehe er den Karton auf dem freien Tisch abstellte und ihr die Hand reichte. Paula drückte sie kurz.

»Kriminalhauptmeister Lukas Rambacher. In bin seit gestern neu in der Dienststelle. Man hat mir den freien Platz hier zugeteilt.«

»Das klingt nicht sehr begeistert.«

Rambacher mochte Ende zwanzig und somit höchstens fünf Jahre jünger sein als Paula. Er räusperte sich in einer Weise, die ihre Vermutung bestätigte.

»Ich hoffe, dass wir gut zusammenarbeiten werden.«

Eine ausgesprochen ausweichende Antwort in einem reservierten Tonfall.

Paula grunzte sarkastisch. »Das lässt sich arrangieren – sofern Sie meine Grundregeln für gute Zusammenarbeit beachten. Erstens: Wenn Sie ein Problem mit mir haben, sprechen Sie es offen aus. Damit komme ich bestens klar. Darüber hinaus empfehle ich Ihnen zweitens, Ihre Kommentare und sonstigen Äußerungen ausschließlich auf unsere Arbeit zu beschränken und zu allem anderen den Mund zu halten.«

Bevor Rambacher darauf antworten oder Paula noch etwas hinzufügen konnte, wurde die Tür erneut geöffnet, diesmal tatsächlich von Jakob Roemer.

»Moin, Paula«, begrüßte er sie und nickte Rambacher zu. »Schön, dass du wieder da bist. Kommst du mal kurz mit zu mir.«

Seine Reibeisenstimme hatte sich nicht verändert und klang so heiser wie immer. Ein Produkt von exzessivem Rauchen in Verbindung mit einigen nicht minder exzessiven Saufgelagen in früheren Zeiten. Seit er vor zehn Jahren einen gesundheitlichen Warnschuss vor den Bug erhalten hatte, lebte er grundsolide.

Paula folgte ihm in sein Büro, froh darüber, sich nicht weiter mit Rambacher auseinandersetzen zu müssen. Sie hätte es grundsätzlich vorgezogen, allein in einem Büro zu arbeiten. Der Erstkontakt mit dem Neuen bestärkte sie in diesem Wunsch. Sie würde sich allerdings nicht die Blöße geben, eine entsprechende Bitte zu äußern.

Roemer bot ihr mit einer Handbewegung Platz an. »Willkommen zurück. Wie geht es dir?«

»Gut, wie du siehst. Andernfalls hätte man mich wohl kaum wieder für diensttauglich erklärt. Wieso bekomme ich nicht mein altes Büro?«

»Wir dachten, es wäre leichter für dich, wenn du durch den alten Raum nicht ständig an Christopher erinnert wirst.«

Paula lachte bitter. »Vergebene Liebesmüh.«

Roemer sah sie verständnislos an.

»Irgendjemand war so freundlich, mir ein Trauerfoto von ihm auf den Schreibtisch zu stellen, die Akte 2010-595476 dazuzulegen und die Telefone mit den Durchwahlen zweiundzwanzig-sieben und acht-null-sechs auszustatten. Sagen dir die Zahlen was?«

Er blickte sie ehrlich betroffen an. »Davon habe ich nichts gewusst. Ich veranlasse sofort, dass die Durchwahlen geändert werden.«

»Lass es«, wehrte sie schroff ab. »Wenn ich eins im Leben gelernt habe, dann dass es die Idioten, die sich so was ausdenken, am meisten ärgert, wenn man sie ignoriert. Ich wette, dass Hansen dahintersteckt, und dem werd’ ich garantiert nicht den Gefallen tun, ihn auf diese Weise zu bestätigen. Oder den Eindruck zu erwecken, ich hätte dir was vorgejammert.«

Roemer schnaubte. »Wenn man dir eins weiß Gott nicht nachsagen kann, dann ist das Jammern.« Er sah sie ernst an. »Du hättest lieber nicht darauf bestehen sollen, hier wieder anzufangen. Vielleicht wäre eine Versetzung doch besser für dich gewesen. Dir muss doch klar gewesen sein, dass du hier keinen guten Stand mehr hast, nach allem, was passiert ist.«

Paula beugte sich angriffslustig vor. »Ich habe mir nichts vorzuwerfen, Jakob. Gar nichts. Das ist amtlich. Soll ich deiner Meinung nach trotzdem den Schwanz einziehen, nur weil einige Leute mich hier nicht haben wollen? Ich soll vor denen davonlaufen? Vergiss es!«

Roemer schüttelte den Kopf. »Deine Sturheit wird dir eines Tages das Genick brechen. Ich hoffe nur, dass du dann nicht noch andere mit ins Verderben reißt.«

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn das deine Meinung über mich ist, wieso hast du mich dann nicht schon früher weggelobt? Oder passt dir nur nicht, dass ich gerade durch meine Hartnäckigkeit meistens die besten Ergebnisse erziele?«

Roemer ging nicht darauf ein. »Ich gebe dir noch einen persönlichen Rat, Paula. Mach deine Arbeit gewohnt gut und backe ansonsten ganz kleine Brötchen.« Er hob abwehrend die Hand, als sie protestieren wollte. »Ich weiß, man hat dich von allen Vorwürfen freigesprochen. Aber du weißt auch, wie beliebt Christopher gewesen ist. Also sieh zu, dass du niemandem eine Angriffsfläche bietest.«

Sie presste die Lippen zusammen, um nicht mit dem herauszuplatzen, was ihr auf der Zunge lag. »Schön, dass du meine Arbeit wenigstens für gut hältst. War’s das?«

Das Klingeln des Telefons enthob Roemer einer Antwort. Er meldete sich, lauschte, machte sich ein paar Notizen, nickte zwischendurch und beendete das Gespräch mit einem knappen: »Paula und der Neue kümmern sich darum.«

Anschließend riss er den Zettel mit seinen Notizen vom Block und reichte ihn Paula. »Eine Frau Jasmin Stojanovic ist in ihrer Wohnung in der Bismarckstraße 197 Q erstochen worden. Fahr mit Rambacher hin und seht euch um. Die Kollegen von der Streife sind schon vor Ort. Scheint ein leichter Fall zu sein, denn der mutmaßliche Täter wurde in flagranti ertappt. Die Leute vom Erkennungsdienst sind auch schon unterwegs.«

»Welchen Wagen kann ich nehmen?«

Roemer holte einen Schlüssel aus einer Schublade und hielt ihn Paula hin. »Den blauen Ford. Ein anderer war nicht mehr frei. Ich hoffe, du hast damit kein Problem.«

»Natürlich nicht.« Sie steckte den Schlüssel in die Hosentasche.

Christopher hatte den blauen Ford in der Nacht gefahren, als er starb. Deshalb hätte sie jeden anderen Wagen vorgezogen, notfalls sogar einen Eselskarren. Doch das würde sie Roemer gegenüber unter keinen Umständen zugeben. Sie durfte sich von solchen Dingen nicht beeinflussen lassen, wenn sie ihr Leben endgültig wieder in den Griff bekommen wollte, ganz besonders ihr Berufsleben.

Roemer seufzte tief. »Ich weiß, dass es für dich in der letzten Zeit nicht leicht war und dass das hier keineswegs ein Zuckerschlecken wird. Es könnte aber hilfreich sein, wenn du nicht bei jeder Gelegenheit mit dem Skorpionsstachel zustichst, den man bei gewöhnlichen Leuten Zunge nennt.« Er blickte sie eindringlich an. »In deinem eigenen Interesse: Bau keinen Mist. Ich möchte nicht bereuen, dass ich mich für deine Rückkehr eingesetzt habe.«

Paula stand betont langsam auf. »Ich habe dich niemals darum gebeten.« Wenn sie derart sanft sprach, kaschierte sie damit höchste Verärgerung oder eine Mordswut. »Also bürde mir nicht die Verantwortung für deine eigene Entscheidung auf.«

Sie verließ sein Büro, ehe er etwas erwidern konnte, und knallte die Tür zu. Sie hatte damit gerechnet, dass es schwierig werden würde, wieder in diese Dienststelle zurückzukehren, doch sie hatte sich nichts vorzuwerfen. Basta!

In ihrem Büro saß Lukas Rambacher an seinem Schreibtisch und blätterte in der Akte von Christophers Fall. Paula riss sie ihm aus der Hand und warf sie auf ihren Tisch.

»Das geht Sie nichts an. Wir haben ein Tötungsdelikt.«

Sie schnappte sich ihre Umhängetasche und überließ es Rambacher, ihr zu folgen oder nicht, fest entschlossen, nicht auf ihn zu warten, falls ihm einfiel zu trödeln. Doch er schloss rasch zu ihr auf.

»Ich möchte nur klarstellen, dass es nicht meine Idee war, dass wir zusammenarbeiten, Frau Rauwolf. Ich wollte in eine andere Abteilung, aber wenn man neu in einer Dienststelle ist, muss man eben nehmen, was man bekommt.«

»Wenn die Arbeit mit mir eine so fürchterliche Strafe ist, dann sollten Sie vielleicht mal überlegen, was Sie verbrochen haben, um sie sich zu verdienen.« Befriedigt registrierte sie, dass er rot wurde. »Bis dahin tun Sie Ihre Arbeit und lassen mich ansonsten in Ruhe. Vor allem verbitte ich mir jegliches persönliche Gespräch. Haben wir uns verstanden?« Paula entschied, dass sie den Kerl nicht mochte.

Sie beschleunigte ihre Schritte. Rambacher ging schweigend neben ihr her, während er sein Jackett überzog. In dem Punkt war er ganz Paulas Gegenteil. Während sie legere Kleidung bevorzugte, wirkte er mit Anzug und Krawatte wie aus dem Ei gepellt. Andererseits mochte das in der einen oder anderen Situation durchaus mal von Vorteil sein.

Sie steuerte den Stammparkplatz des blauen Fords an und fühlte mit jedem Schritt ihre Beine schwerer werden, als weigerten sie sich, sie ausgerechnet zu diesem Wagen zu tragen. Sie schalt sich eine überempfindliche Närrin. Christopher war an jenem verhängnisvollen Abend lediglich damit zum Kai gefahren. Für das, was dort passiert war, konnte der Wagen nun wirklich nichts.

Man hatte ihn offensichtlich frisch gewaschen, denn er glänzte im Licht der Spätseptembersonne. Paula hatte Christopher hinter dem Wagen vor dem Kugelhagel in Sicherheit zu bringen versucht. Doch zu dem Zeitpunkt war er bereits tot gewesen. Für einen Moment glaubte sie, das Blut ihres Liebsten an der Fahrertür hinabrinnen zu sehen, und schluckte den Kloß hinunter, der ihr im Hals saß.

Als Rambacher ihr einen verwunderten Seitenblick zuwarf, wurde ihr bewusst, dass sie ihre Schritte beim Anblick des Wagens verlangsamt hatte. Sie blieb stehen, ging in die Hocke und band die Schnürsenkel ihrer Sportschuhe fester, obwohl das gar nicht nötig war.

Das ist nur ein Auto! Ein stinknormaler Wagen ohne besondere Bedeutung.

Trotz dieser nachdrücklichen Ermahnung zitterte sie innerlich, als sie sich hinter das Steuer setzte und sich anschnallte. Sie glaubte, Christophers Rasierwasser zu riechen, einen dezenten Duft nach Sandelholz und herber Orangenblüte. Pure Einbildung. Der einzig wahrnehmbare Geruch war der nach Reinigungsmittel und Benzin. Paula war widerwillig dankbar dafür, dass Rambacher neben ihr saß und sie deshalb gezwungen war, sich zusammenzunehmen. Schließlich war er der Letzte, vor dem sie sich irgendeine Blöße geben wollte.

Sie startete den Motor und fuhr los. Sie bog in die Kurt-Schumacher-Straße ein und wenige Meter weiter nach rechts in die Friedrich-Paffrath-Straße Richtung Innenstadt. Nach einer Weile ließ das innerliche Zittern nach. Als sie nach knapp zehn Minuten in der Bismarckstraße ankam, war es fast vollständig verschwunden. Nur ihr Puls ging noch etwas schneller als gewöhnlich. Das allerdings war eine vertraute Begleiterscheinung am Anfang jedes neuen Falles. Ganz sicher hatte es nicht das Geringste mit Christopher zu tun.

Sie musste die Nummer 197 Q nicht lange suchen. Vor dem seitlich zurückversetzten Eingang des aus roten Ziegeln gemauerten Gebäudes aus der Vorkriegszeit des letzten Jahrhunderts standen uniformierte Kollegen Spalier. Sie hielten die Schaulustigen zurück, die sich sensationslüstern versammelt hatten und darauf warteten, dass etwas Spektakuläres geschah. Am besten irgendwas, das sie aus den unzähligen Krimiserien kannten, die täglich im Fernsehen liefen.

Paula verabscheute die morbide Neugier dieser Leute, die sich an Spektakulärem aufgeilten und keinen Gedanken an das Leid und den sehr realen Tod verschwendeten, der dahintersteckte. Sie nickte den Kollegen zu. Da in der Dienststelle sowohl die Einsatz- und Streifenpolizei wie auch die Fachkommissariate 1, 2 und 5 und die Kriminaltechnik untergebracht waren, musste sie sich den Kollegen nicht vorstellen. Man kannte sich.

»Moin, Leute.« Sie überließ es Rambacher, sich selbst einzuführen.

Der reichte allen die Hand und nannte jedem seinen Namen. Ihren Mienen nach hielten die Kollegen das für übertrieben. Außerdem war es völlig unüblich.

»Wo?«

»Erster Stock rechts.«

Sie bedankte sich und stieg die Treppe hinauf. Vor der angegebenen Tür standen zwei weitere Beamte, und eine dritte sprach mit einer Frau in den Vierzigern, die in der Tür zur Nebenwohnung stand.

Während Paula einen weißen Spurenschutzanzug aus Plastik anzog, um den Tatort nicht zu kontaminieren, nahm sie das Bild in sich auf, das sich ihr durch die offene Tür bot.

Das Verbrechen hatte in der Diele stattgefunden. Die Tote, eine Frau Mitte bis Ende zwanzig, lag inmitten von farbigen Glassplittern halb auf der Seite. Ihr dunkelbraunes Haar hatte ihr Gesicht teilweise bedeckt. Trotzdem waren deutlich drei tiefe Schnitte auf den Wangen zu erkennen. Blut war ihren Hals hinabgeflossen und hatte ihr grünes, seidig glänzendes Kleid durchnässt. Unterhalb des Brustbeins befand sich ein großer Blutfleck. Aus der Wunde unter dem Kleid war eine größere Menge Blut ausgetreten und hatte sich auf den Fliesen der Diele ausgebreitet. Es war verschmiert, was zeigte, dass jemand die Leiche bewegt hatte. Blutige Fußabdrücke führten ins Wohnzimmer.

Paula streifte die tütenartigen Plastikhüllen über ihre Schuhe, zog die Einweghandschuhe an, setzte die Kapuze auf und ging hinein. Rambacher, der sich ebenfalls in den Anzug gezwängt hatte, folgte ihr. Paula zuckte zusammen, als er die Einweghandschuhe beim Anziehen gegen seine Handgelenke knallen ließ. Sie bedachte ihn mit einem bitterbösen Blick.

Im Wohnzimmer war ein Sessel umgekippt. Auf dem Boden lag ein Schmuckkästchen, dessen Inhalt darum herum verstreut war. In einem anderen Sessel hockte ein Mann mit auf den Rücken gefesselten Händen, flankiert von zwei uniformierten Kollegen. Er blickte Paula und Rambacher ohne die geringste Unsicherheit entgegen.

Als Erstes fielen ihr seine Augen auf. Sie waren von einem intensiven und hellen Blau. Augen wie Eis. Sein dunkles Haar bildete dazu einen starken Kontrast. Als Nächstes registrierte sie, dass seine Kleidung – dunkelgrauer Anzug und Mantel, dazu ein Seidenschal in dunklem Bordeauxrot – keineswegs von der Stange stammte. Wenn sie sich nicht täuschte, war der Anzug sogar maßgeschneidert. An seinem hellgrauen Hemd klebte Blut, ebenso in seinem Gesicht.

»Haben Sie hier das Sagen?«

Paula wurde erst bewusst, dass der Mann sie angesprochen hatte, als er seine Frage wiederholte. Etwas an ihm irritierte sie, ohne dass sie hätte sagen können, was es war.

»Kriminalkommissarin Paula Rauwolf vom FK-Eins. Sie sind?«

»Jerome Kastor. Und völlig unschuldig an dem, was hier passiert ist. Also sagen Sie Ihren Leuten, sie sollen mir die verdammten Handschellen abnehmen.«

Paula tauschte einen Blick mit den beiden uniformierten Kollegen. Die signalisierten ihr, dass Kastors ihnen mit dieser Forderung schon eine Weile auf die Nerven ging.

»Die Kollegen werden Sie gewiss nicht ohne Grund gefesselt haben, Herr Kastor.«

»Er hat versucht zu türmen, als er uns kommen sah, und hat sich dann der Festnahme widersetzt.« Der Kollege deutete auf den umgekippten Sessel.

»Das. Ist. Eine. Lüge.« Kastor betonte jedes Wort.

»Außerdem haben wir ihn mit der Hand im Schmuckkästchen erwischt. Mit einer blutigen Hand, wohlgemerkt. Er hat es weggeschmissen, als er uns gesehen hat.«

»Es ist mir aus der Hand gefallen, als Sie mit gezückten Waffen in die Wohnung stürmten und mich grundlos angebrüllt und wie einen Verbrecher behandelt haben. Das hat noch ein Nachspiel, das garantiere ich Ihnen.«

»Gleich droht er wieder mit dem Polizeipräsidenten.« Die beiden Polizisten grinsten.

»Das ist keine Drohung, Herr Wachtmeister. Der …«

»Polizeiobermeister«, korrigierte der Beamte. »Wachtmeister gibt es schon lange nicht mehr.«

»Fakt ist, Herr Polizeiobermeister, dass der Polizeipräsident ein guter Bekannter von mir ist.«

Paula trat hinter ihn. Kastor verrenkte den Hals, um zu sehen, was sie vorhatte.

»Beugen Sie sich bitte vor.«

»Wozu?«

Sie legte eine Hand auf seine Schulter und drückte sie nach vorn, sodass er sich gezwungenermaßen vorbeugen musste. Unter ihrer Handfläche spürte sie gut ausgebildete Muskeln.

»Hey! Das ist Polizeibrutalität. Ich werde mich über Sie beschweren!«

»Da müssen Sie sich in einer langen Schlange hinten anstellen.«

Sie besah sich seine Hände. Sie waren mit getrocknetem Blut verklebt, das auch die Aufschläge der Hemdsärmel durchtränkt und sogar die goldenen Manschettenknöpfe besudelt hatte.

»Hatte er eine Waffe bei sich, Kollegen?«

»Nein.«

»Weil ich den Mord nicht begangen habe. Also nehmen Sie mir endlich diese Handschellen ab!«

Paula ignorierte ihn. Sie ging zum Schmuckkästchen und hockte sich davor. Die Tote besaß eine große Menge Ketten – Gold-, Perlen- und Edelsteinketten – sowie eine Reihe von Colliers, Armbändern und Ringen. Falls die alle echt waren – wonach sie für Paula aussahen –, musste Jasmin Stojanovic entweder sehr gut verdient haben oder sie hatte einen reichen Freund. Jerome Kastor?

Auch die Schmuckstücke waren teilweise blutverschmiert. Das sprach dafür, dass Kastor tatsächlich darin herumgewühlt hatte.

»Was haben Sie denn in dem Schmuck der Toten gesucht, Herr Kastor? Muss ja verdammt wichtig gewesen sein.«

Er blickte sie mit ausdrucksloser Miene an und zögerte mit der Antwort.

»Nun?«

»Ein Smaragdcollier, das ich Jasmin geliehen hatte. Ich wollte es wieder an mich nehmen. Als ich sie tot vorfand, habe ich mir gedacht, dass die Polizei die Wohnung versiegeln würde, sobald sie eintrifft, und ich das Ding dann vielleicht nie wiedersehe.«

Paula glaubte ihm kein Wort. Wer nichts zu verbergen hatte, musste auch seine Gefühle nicht hinter einem Pokerface verstecken. Kastor wirkte insgesamt nicht im Mindesten betroffen vom Tod seiner Freundin. Geliebten. Was auch immer.

»Mit anderen Worten«, einer der Beamten neben ihm lächelte süffisant, »er war dabei, den Schmuck zu stehlen, als wir ankamen.«

»Das ist nicht wahr!«, betonte Kastor.

Paula schnaubte. »Sie sind ja eine Seele von Mensch, Herr Kastor. Falls es stimmen sollte, dass Sie Frau Stojanovic tot aufgefunden haben, dann suchen Sie neben der Leiche erst mal nach einem Schmuckstück, statt die Polizei zu rufen? Das spricht nicht gerade für Sie. In welchem Verhältnis standen Sie zu ihr?«

»In einem rein geschäftlichen.«

Paula warf einen Blick auf die Kleidung der Toten. Ein figurbetontes, smaragdgrünes Kleid mit einem so tiefen Ausschnitt, dass man den Ansatz der Brüste mehr als gut sehen konnte. High Heels in dazu passender Farbe, die auf dem halben Weg zwischen Flurtür und Schlafzimmer lagen … So eine Kleidung trug man nicht zu einer normalen geschäftlichen Verabredung.

»Das klären wir auf der Dienststelle.«

Das Eintreffen der Kolleginnen vom Erkennungsdienst unterbrach sie.

»Welcher Idiot ist denn hier langgetrampelt?« Maja Küster, die Leiterin des Teams, deutete auf die verschmierte Blutlache neben der Toten.

»Ich bin nicht getrampelt.« Kastors Stimme klang bissig. »Ich habe mich neben sie gekniet, um Erste Hilfe zu leisten beziehungsweise Wiederbelebung zu versuchen. Leider war sie schon tot. Tut mir leid, wenn ich in meinem Bestreben zu helfen, Ihre kostbaren Spuren verwischt habe.«

Paula bemerkte erst jetzt, dass er auch an den Hosenbeinen feuchte Flecken hatte. Die Farbe ließ sich natürlich auf dem dunklen Stoff nicht erkennen. »Herr Kastor, ich nehme Sie vorläufig fest wegen des Verdachts auf Tötung von Jasmin Stojanovic.« Sie nickte den uniformierten Kollegen zu.

Die halfen Kastor aufzustehen und führten ihn ab. Paula hatte halb erwartet, dass er sich arrogant dagegen wehren oder zumindest gegen die Festnahme protestieren würde. Doch er ließ sich widerstandslos abführen. Dass er sie unverwandt anblickte, bis die Flurwand ihm das unmöglich machte, war die einzige Regung, zu der er sich hinreißen ließ. Sie beachtete ihn nicht weiter.

Während sich Majas Team um die Tote kümmerte und sie vorschriftsmäßig entkleidete, nachdem die Fotos von ihrer Lage und den Spuren um sie herum geschossen waren, sah sich Paula weiter im Wohnzimmer um. Sie verschaffte sich auf diese Weise einen emotionalen Eindruck von der Wohnung. Das gelang ihr vor Ort sehr viel besser, als wenn sie sich später nur die Fotos ansah, die der Erkennungsdienst gemacht hatte. Außerdem hoffte sie etwas zu finden, das ihr bei der gleich folgenden Vernehmung von Kastor ein Motiv oder sogar einen Beweis für die Tat lieferte.

Rambacher entdeckte auf einem Beistelltisch ein paar Papiere und warf einen Blick darauf.

»Frau Stojanovic hat offenbar für eine Escort-Agentur gearbeitet.«

Er deutete auf das oberste Blatt, auf dem Severin Escort Service die Begleitungen der letzten zehn Tage abgerechnet hatte.

Das passte zur Kleidung der Toten und zu ihrem teuren Schmuck. Paula bekam große Augen, als sie die Summe auf der Abrechnung las. Demnach verdiente eine professionelle Begleiterin bei Severin in zehn Tagen mehr als sie in einem Monat. Wenn sie allerdings an den Preis dachte, den eine Frau wie Jasmin Stojanovic dafür bezahlen musste, wollte sie um nichts in der Welt mit ihr tauschen.

»Das erklärt, was Kastor ›geschäftlich‹ bei ihr wollte«, stellte Rambacher fest. »Aber wieso hat sie ihn in ihrer Wohnung empfangen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in der Branche so üblich ist.«

»Noch dazu in Hausschuhen. Kastor war wohl doch mehr als nur ein Kunde.«

Paula sah sich ohne große Hoffnung nach einem Terminplaner um. Dafür würde sie wohl eher nach einem Smartphone suchen müssen. Doch wider Erwarten fand sie einen Planer im Business-Stil mit Kroko-Optik in einem aufklappbaren Sekretär. Der Kalender war voll. Jasmin Stojanovic hatte jeden Tag mindestens zwei bis drei mehrstündige Termine gehabt, seltener nur einen abendfüllenden.

Kastors Name tauchte mindestens einmal pro Woche auf. Etwa ebenso häufig fand sich der Name Graf. Der Mann hatte sie immer für einen ganzen Abend – so wie gestern –, manchmal sogar für ein ganzes Wochenende gebucht. Konnte es sich um den Reeder Witold Graf handeln, der in der ganzen Stadt als Kunstmäzen geschätzt war? Nicht ausgeschlossen, da er auch dafür bekannt war, sich in der Öffentlichkeit gern mit schönen Frauen zu zeigen. Vor allem mit solchen, die mindestens dreißig Jahre jünger waren als er.

Für heute Morgen war jedoch nichts im Kalender eingetragen. Das bestätigte Paulas Vermutung, dass Kastor mehr für die Tote gewesen war als nur ein Kunde.

Sie schlug das Adressverzeichnis auf. Enttäuscht stellte sie fest, dass sich hier nur unverfängliche Adressen, meistens sogar nur Telefonnummern von Geschäften und Dienstleistern befanden: Kosmetikerin, Frisör, Autowerkstatt und so weiter. Es existierte kein einziger privater Eintrag. Wahrscheinlich hatte sie die in ihrem Smartphone gespeichert. Paula steckte den Kalender in einen Asservatenbeutel und sah sich nach einer Handtasche um.

Auf dem Garderobentisch im Flur lag ein sehr modisches Exemplar achtlos hingeworfen, das dem berühmten Label nach zu urteilen eine vierstellige Summe gekostet haben musste. Der Inhalt war auf dem Tisch verstreut. Offenbar hatte Kastor darin zuerst nach dem gesucht, was er so dringend haben wollte. Paula bezweifelte, dass es sich dabei um ein Collier handelte. Eine Frau wie Jasmin Stojanovic trug ihren Schmuck am Körper, besonders wenn er teuer war, und steckte ihn nicht in die Handtasche. Außer Schminkutensilien, einem Autoschlüssel, Ausweis, Kreditkarten und Führerschein, einem Päckchen Papiertaschentüchern, einer Schachtel Kondome, einem Notizbuch, zwei Kugelschreibern und einer Packung Mint-Kaugummis lag hier nichts. Kein Smartphone, kein PDA. Seltsam.

Dafür wies das Notizbuch Blutspuren auf. Paula nahm es vorsichtig in die Hand, um die Spuren nicht zu verwischen, und blätterte darin. Ein paar Seiten in der Mitte waren herausgerissen. An den benachbarten Seiten klebte ebenfalls Blut. Um die Spuren würde sich der Erkennungsdienst kümmern. Auf den ersten Blick enthielt das Buch jedenfalls nichts, was von Interesse gewesen wäre.

Paula kehrte ins Wohnzimmer zurück und suchte an den üblichen Stellen, an denen jemand ein Smartphone aufbewahrte. Nichts. Im Schlafzimmer dasselbe. Paula wandte sich schließlich an Maja Küsters Team.

»Habt ihr ein Handy oder was Artverwandtes gefunden?«

»Bis jetzt nicht. Übrigens: Willkommen zurück, Paula.«

»Danke.«

Paula empfand es als wohltuend, dass Maja und ihre Leute sich ihr gegenüber verhielten wie immer. Maja wusste zu schätzen, dass Paula genau wie sie die Dinge hinterfragte und bei Ungereimtheiten, und seien sie noch so winzig, nicht eher aufhörte nachzuhaken, bis sie eine zufriedenstellende Antwort gefunden hatte. Falls Maja sich Gedanken über Paulas Rolle bei Christophers Tod machte, ließ sie sich das nicht anmerken.

Auf dem Wohnzimmertisch lag ein Laptop. Falls sich darauf etwas Interessantes befand, würde Linda Schubert vom Datenverarbeitungsteam das schon finden. Paula ging in den Flur, wo Maja der Toten die Schutzhüllen über die Hände streifte, um etwaige Spuren daran zu erhalten.

»War die Stichverletzung die Todesursache?«

»Ja. Außer den Schnitten im Gesicht und dem Stich hat sie etliche kleinere Verletzungen von Glassplittern.« Maja deutete auf die überall im Flur liegenden, bunten Glasstücke, die eine Frau aus ihrem Team akribisch einsammelte. Sie würden später wie ein Puzzle zusammengesetzt werden, denn was immer die Splitter vorher gewesen waren, daran konnten sich wichtige Spuren befinden. »Dem ersten Anschein nach hat sie sich heftig gegen ihren Angreifer gewehrt. Aber das kann ich dir nach der Spurenauswertung und Doktor Johansson nach der Obduktion genauer sagen. Die Tatwaffe haben wir bisher nicht gefunden. Aber wir haben ja auch erst angefangen und würden gern in Ruhe weiterarbeiten.«

Paula verstand den Hinweis. Sie winkt Rambacher, ihr nach draußen zu folgen und verließ die Wohnung. Bis der Erkennungsdienst alle Spuren gesichert und gesichtet hatte, würden Tage vergehen. Deshalb hatte die Vernehmung von Jerome Kastor nun oberste Priorität. Was die uniformierten Kollegen ermittelt hatten, würde sie später bei der Dienstbesprechung erfahren.

Während sie die Treppe hinunterging, überlegte sie, was sie an Jerome Kastor irritiert hatte. Irgendetwas war seltsam an ihm. Wie immer war sie entschlossen, nicht eher lockerzulassen, bis sie eine Antwort gefunden hatte.

 

*

 

Jerome Kastor hatte keine Zeit verloren und unverzüglich seinen Anwalt angerufen. Doktor Moritz Jasper saß neben seinem Mandanten im Wartebereich und gab ihm letzte Instruktionen. Ein Beamter stand außer Hörweite und achtete darauf, dass der Verdächtige nicht zu fliehen versuchte. Man hatte Kastors Kleidung bereits asserviert. Er trug einen der weißen Spurenschutzanzüge vom Erkennungsdienst und hatte die erkennungsdienstliche Behandlung demnach schon hinter sich. Hände und Gesicht waren vom Blut gesäubert. In dem Plastikoverall sah er ganz und gar nicht mehr elegant aus. Eher lächerlich. Der durchdringende Blick, den er Paula und Rambacher zuwarf, erweckte jedoch den Eindruck, dass in dem Mann ein Raubtier steckte, das man besser nicht unterschätzen sollte.

Kastor nickte zu ihr hin, worauf Moritz Jasper sich zu ihr umdrehte und aufstand. »Sind Sie verantwortlich für diese Ungeheuerlichkeit?«

»Sie sind bitte wer?« Zwar kannte sie Jasper von Fotos aus der Nordwest Zeitung, da der Anwalt die Begabung hatte, sich jeden prestigeträchtigen und spektakulären Fall unter den Nagel zu reißen. Sie hatte aber noch nie persönlich mit ihm zu tun gehabt.

»Doktor Moritz Jasper.« Er betonte seinen Titel nachdrücklich. »Ich vertrete Herrn Kastor in juristischen Dingen. Und ich verlange …«

»Sie entschuldigen mich einen Moment.«

Paula ließ ihn stehen und ging zu Roemers Büro. Rambacher folgte ihr. Als sie eintraten, legte ihr Vorgesetzter den Telefonhörer auf und blickte Paula ernst an.

»Ich hoffe, du hast für Kastors Verhaftung einen wirklich guten Grund.« Er deutete auf das Telefon. »Das war der Polizeipräsident. Er verlangt zu wissen – sehr energisch –, was wir dem untadligen Herrn Kastor vorwerfen. Was er sonst noch gesagt hat, erspare ich dir, weil heute dein erster Tag ist.«

Paula schnaubte. »Ich bin doch kein Weichei. Also spuck’s ruhig aus. Aber ich kann’s mir schon denken, nachdem Kastor uns bereits am Tatort gedroht hat, uns den Alten auf den Hals zu hetzen.«

Roemer winkte ab. »Was habt ihr?«

»Das Opfer wurde erstochen und Kastor mit ihrem Blut an Händen, Kleidung und im Gesicht dabei ertappt, wie er in ihrem Schmuck herumwühlte. Angeblich wollte er sich ein Schmuckstück sichern, das er der Toten geliehen hat. Wer’s glaubt! Außerdem versuchte der untadlige Herr Kastor zu fliehen, als die Kollegen eintrafen. Vor Ort wurde die Tatwaffe bis jetzt nicht gefunden, und er hatte sie auch nicht bei sich. In jedem Fall wurde er in flagranti beim versuchten Diebstahl erwischt, was er auch zugegeben hat. Natürlich nicht mit diesen Worten. Er behauptete, er wollte nur sein angebliches Eigentum an sich nehmen. Sein Verhalten ist mehr als verdächtig.«

»Das sehe ich auch so.« Roemer sah auf die Uhr. »Da du vor Ort warst, übernimmst du die Vernehmung. Ich setze mich als Beobachter dazu.«

Paula runzelte finster die Stirn.

Roemer hob abwehrend die Hände. »Beobachter, Paula, nicht Aufpasser. Schließlich muss ich mich vor dem Alten rechtfertigen. Deshalb möchte ich die Vernehmung aus erster Hand miterleben und sie mir nicht erst hinterher vom Band anhören oder das Protokoll lesen.«

Paula schwieg.

»Reden wir über die Vorgehensweise. Wichtig sind die Dinge, mit denen wir ihn festnageln können. Die Staatsanwaltschaft habe ich über den Fall schon informiert.«

Die vorherige Abstimmung und Festlegung der Vorgehensweise bei einer Vernehmung gehört zum Standardverfahren und stellte deshalb wohl keine Gängelung dar, als die Paula sie sonst empfunden hätte. Da es sich um eine erste Vernehmung handelte, die darüber entscheiden würde, ob gegen Kastor ein Haftbefehl beantragt wurde – was sicher der Fall sein würde –, dauerte die Besprechung nicht lange.

»Nur zur Information, Jakob: Die Tote arbeitete für Severin.«

»Sieh mal einer an.« Roemer winkte ab. »Aber ich wage nicht zu hoffen, dass wir Kastor dazu bringen können zuzugeben, dass er bezahlten oder überhaupt Sex mit ihr hatte. Er wäre der erste von Severins Kunden, der redet.«

»Was er bestimmt nicht tun wird. Er ist ziemlich arrogant und benimmt sich, als könnte niemand ihm was am Zeug flicken.« Paula wandte sich an ihren neuen Kollegen. »Rambacher, wir brauchen noch ein paar Stühle in unserem Kabuff. Drei. Finden Sie im Abstellraum im Erdgeschoss. Oder nehmen Sie erst mal welche aus der Wartezone im Flur.«

»Herr Rambacher bitte. So viel Zeit muss sein, Frau Rauwolf.«

»Wir duzen uns hier, wie Ihnen vielleicht schon aufgefallen ist. Wenn Sie auf dem Nachnamen und ›Sie‹ bestehen – meinetwegen. Aber der Einzige, den ich hier mit ›Herr‹ anrede, ist der Polizeipräsident. Und jetzt holen Sie die verdammten Stühle, Rammböckchen. Das war eine Dienstanweisung Ihrer Vorgesetzten.«

Rambacher presste die Lippen zusammen und verließ Roemers Büro.

»Ein bisschen freundlicher solltest du zu ihm schon sein, Paula.«

»Wozu? Nachdem er mir unmissverständlich klar gemacht hat, dass er es als Strafe empfindet, mit mir zu arbeiten, kaum dass er guten Morgen gesagt hatte – und einen guten Morgen hat er mir garantiert nicht gewünscht –, sehe ich dazu nicht den geringsten Grund. Ist unser Kabuff wenigstens mit einem Aufnahmegerät ausgestattet?«

»Ich nehme sicherheitshalber meins mit.«

Roemer folgte Paula in ihr Büro.

Wenig später wurden Kastor und Jasper dort hineingeführt. Rambacher stellte die Stühle vor die Schreibtische. Roemer setzte sich an die Wand, ein Stück von den Tischen entfernt.

Kastor blickte sich mit allen Anzeichen von Verachtung in dem kleinen Raum um. »Nette Besenkammer.«

Paula verkniff sich eine Antwort. Die Bemerkung verstärkte ihre Abneigung gegen ihn nicht nur wegen des Spotts. In erster Linie störte sie sich an seiner Pietätlosigkeit. Eine Frau war tot, mit der er möglicherweise ein Verhältnis gehabt hatte, und er riss Witze und zeigte nicht das geringste Mitgefühl oder Betroffenheit. Der Kerl war kalt wie eine Hundeschnauze und allein schon deshalb ein heißer Kandidat für die Täterschaft.

»Nehmen Sie Platz. Haben Sie was dagegen, wenn wir das Gespräch aufzeichnen?«

»Absolut nicht.« Kastor setzte sich und zog den Stuhl dicht an Paulas Schreibtisch heran. »Ich habe nichts zu verbergen.« Er sah ihr herausfordernd in die Augen.

Paula nahm ein Formular aus einer Schublade und reichte es Kastor. »Füllen Sie bitte diese Einverständniserklärung für die Tonaufzeichnung aus und unterschreiben Sie sie.«

Kastor hielt Jasper gebieterisch die Hand auf, der hastig einen Kugelschreiber aus der Innentasche seines Jacketts zog und ihm mit einer angedeuteten Verbeugung reichte. Kastor bedankte sich nicht einmal, sondern füllte das Dokument aus. Paula baute Roemers Aufnahmegerät auf und wartete, bis Kastor ihr das unterschriebene Formular hingeschoben hatte, ehe sie es einschaltete.

»Achtundzwanzigster September, elf Uhr zweiundvierzig. Vernehmung von Jerome Kastor zu dem heute begangenen Tötungsdelikt an Frau Jasmin Stojanovic.« Sie nannte die Adresse. »Anwesend sind der Tatverdächtige Jerome Kastor, Rechtsanwalt Moritz Jasper …«

»Doktor Moritz Jasper, bitte.«

»Sowie Hauptkommissar Jakob Roemer, Kommissarin Paula Rauwolf und Hauptmeister Lukas Rambacher. Herr Kastor, nennen Sie uns bitte Ihren vollständigen Namen, Geburtsdatum und -ort, Familienstand, Staatsangehörigkeit und Ihre Adresse.«

»Jerome Kastor, geboren am zwölften April 1973 in Wilhelmshaven.

---ENDE DER LESEPROBE---