Smartje - Stefan Gril - E-Book

Smartje E-Book

Stefan Gril

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Beschreibung

Smartje Brinkmann ist ein Mann ohne Moral. In prekären Verhältnissen aufgewachsen, kennt er nur ein Ziel: Er will zu den Gewinnern des Lebens gehören, koste es was es wolle. Von seinem Ziehvater hat er gelernt, dass man das Recht hat, zu betrügen, wenn es anders nicht geht. Er startet furios, sein Aufstieg scheint unaufhaltsam zu sein. Als er sich schon ganz oben angekommen wähnt, verlässt ihn das Glück. Seine moralische Verkommenheit bringt ihn zu Fall. Smartje kämpft vergeblich, der Gewinner wird zum Verlierer.

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Smartje

Smartje Brinkmann ist ein Mann ohne Moral. In prekären Verhältnissen aufgewachsen, kennt er nur ein Ziel: Er will zu den Gewinnern des Lebens gehören, koste es was es wolle. Von seinem Ziehvater hat er gelernt, dass man das Recht hat, zu betrügen, wenn es anders nicht geht.

Er startet furios, sein Aufstieg scheint unaufhaltsam zu sein. Als er sich schon ganz oben angekommen wähnt, verlässt ihn das Glück. Seine moralische Verkommenheit bringt ihn zu Fall. Smartje kämpft vergeblich, der Gewinner wird zum Verlierer.

Über den Autor:

Stefan Gril, bürgerlich Dr. Ernst Flaig, ist Naturwissenschaftler im Ruhestand und freiberuflicher Maler und Autor surrealistischer und gesellschaftskritischer Erzählungen.

Weitere Buchveröffentlichungen:

Die Erlebnisse eines wahnsinnigen Pilgers bei seinen Wanderungen durch die reale Welt, 2022

Traumsignale, Eine Sammlung lucider Träume, 2023

Tanatolien, Eine virtuelle Welt nach dem Super Öko GAU, 2023

Smartje

ein hyperbolischer Lebenslauf

Inhaltsverzeichnis

Teil 1 der Norden

Vorspiele

Smartje, der zwölfjährige.

Vogelscheuche

Smartje ist sechzehn

Der Weg nach oben

Herma

Sven Ravenstein

Edda von Kamphausen

Ophelia

Sylt

Genius der Finanzen

Edelbrand – Distillerie

Elvira

Der Großwesir

Ein armenischer Lamborghini

Andrea

Die Macht des Schicksals oder die Konsequenz des Handelns

Geschäftsmann Smartje

Zu den Sternen und nie mehr im Dunkeln

Die Lösung eines Problems

Eine Genossenschaft für den Vertrieb hochwertiger Weinbrandprodukte

Eine Gesellschaft, die keine ist

Ein potentieller Maulwurf?

Himmel und Hölle

Non scolae sed vitae discimus

Stoß, Parade, Riposte

Überlebenskampf

Heimkehr nach Gronau?

Tarnkappen

Teil 2 Der Süden

Nacht und Nebel

Ausbildung zum Fälschergenie

Neustart, vorwärts, aufwärts!

Thermax

Die Macht des Schicksals

Die Kunst, zu überleben

Hoffen und Bangen

Abwehrkampf

Abstieg

Teil 1 der Norden

Vorspiele

Smartje Brinkmann ist gerade Drei.

Er steht hier am Rande der Sandkiste, in der der Sand vom nächtlichen Regen nass und schwer und kein bisschen einladend aussieht. Smartje trägt einen blauen Overall, den man hier in der Gegend als Holländeranzug bezeichnet. Smartje ist ein hübsches Kind mit weißblonden Locken und wasserblauen Augen wie aus einem Film. So wie er, so sollen sie wohl drüben aussehen, auf der holländischen Seite, in Enschede. Elsa Brinkmann, die Kellnerin im Lokal “Tom Swarten Fatt” , im Zentrum von Gronau, verdankt ihren dreijährigen Engel einer stürmischen Nacht, in der der letzte Gast, ein Handlungsreisender aus Enschede - wie er sich vorstellte - sich nicht in das Unwetter hinauswagte und einfach blieb...

Elsa, ein einfaches Kind und eine liebeshungrige junge Frau, nahm ihrem Gast mit hinauf in die Mansarde über dem Lokal, in der sie gelegentlich Besucher empfing, sofern sie ihrer Vorstellung von starker Männlichkeit entsprachen. Smartjes Vater war blond, blauäugig und unwiderstehlich gewesen. Ohne viele Worte zu machen, hatte er Elsa geschwängert und war dann in der Morgendämmerung wieder hinausgegangen aus ihrem Leben.

Nun steht Smartje hier und der Sand ist nass vom Regen. Alle, die vorbeigehen, sind entzückt über die engelhafte Erscheinung. Er ist so blond, blauäugig und unwiderstehlich wie es sein Vater, den er nicht gekannt hat, einst gewesen war. Eine Frau beugt sich zu ihm hinab: “Du bist ja ein hübsches Kind! Wie heißt du denn, Kleiner?” Smartjes Lächeln hypnotisiert das Gesicht über ihm. Entschlossen holt er aus. Ein Klumpen nassen schweren Sandes landet genau auf der Nasenwurzel, spritzt auf die Brille und in die Frisur. Ein vom Makeup dunkel gefärbtes Rinnsal läuft seitlich in die Halskrause hinein.

Smartje jauchzt vor Glück und reckt seine beiden kleinen Engelsfäuste in Siegerpose nach oben.

“Schule, Pfff...!” (mit vorgestülpter Unterlippe herausgepresst). Er ist schon fast sieben, und Elsa hat wenig Zeit für ihn. Sie verbringt ihre Nächte und Vormittage zumeist mit Tom Lüdemann, dem Inhaber der Kneipe “Tom Swarten Fatt”. Tom ist eine zwielichtige Figur, ein Schrank von einem Mann. Er soll früher Rausschmeißer oder auch Zuhälter in Sankt Pauli gewesen sein - nix Genaues weiß man nicht... Zur Zeit jedenfalls pflegt er regelmäßig den neugierigen Smartje hinaus zu schmeißen, wenn er mit Elsa schlafen will. Smartje lungert dann in der unaufgeräumten Wirtsstube herum, wo der Geruch nach abgestandenem Bier und kaltem Rauch ihm fasziniert. Er nimmt sich vor, so bald wie möglich auch an diesen Tischen zu sitzen, sein Bier zu trinken und beim Kartenspiel wuchtig auf den Tisch zu hauen. An den Spielkarten, die vom Abend hier noch herumliegen, hat er schon wundersames entdeckt: Kerben und geknickte “Ohren”, Rubbelflecken und klebrige Stellen - er begreift sofort, worauf es ankommt, wenn man gewinnen will. Und er will gewinnen, dunnerlüttchen!

Smartje, der zwölfjährige.

Wie hat er es geschafft, zum Gymnasiasten aufzusteigen und sich nun schon drei Jahre scheinbar mühelos zu behaupten? das Phänomen ist vielschichtig.

Da ist zuerst Dirk Haspelsager zu nennen, ihm seit den Grundschultagen in bewundernder Hörigkeit verfallen. In der gottesfürchtigen und obrigkeitshörigen Erziehung im Hause des Polizisten Haspelsager ist eine Erscheinung wie Smartje Brinkmann, diese Sternschnuppe des Teufels, einfach nicht vorgesehen. Dirk muss sich also ohne elterliche Leitlinie damit auseinandersetzen. Und er erliegt dem Charisma des blondgelockten Verführers. Als sie neun sind, haben sie den ersten gemeinsamen Rausch aus dem Inhalt einer Flasche Kömen, die Smartje bei Lüdemann mitgehen ließ. Danach darf Smartje seine Hausaufgaben bei Dirk abschreiben, was nie ohne den Hinweis geschieht, dass anderenfalls die Zecherei dem gestrengen Vater-Polizisten bekannt werden würde. Auch jetzt, da sie zusammen die gymnasiale Quarta besuchen, lebt Smartje zu weiten Teilen von den Zinsen dieser und ähnlicher Wohltaten an seinem Freund.

Dann ist da Dr. Ratsmann. Der Studienrat am Gronauer Gymnasium, Leiter des Kirchenchores, Klassenlehrer von Smartje, ist zunächst fest entschlossen, den windigen Burschen umgehend auf die Hauptschule zurück zu expedieren. Smartje, der Matchwinner, hat Gelegenheit zu seinem ersten Meisterstück.

Er lässt sich, in wohlbedachter Absicht, bei einer Klassenarbeit beim Abschreiben aus Haspelsagers Heft erwischen. Die Konsequenz muss, nach aller Erfahrung, ein Rücksprache-Termin des Erziehungsberechtigten bei Dr.Ratsmann sein. Der Erziehungsberechtigte, Elsa Brinkmann, betritt das Lehrerzimmer gegen drei Uhr nachmittags. Dreißig Minuten später taucht ein blonder lächelnder Smartje wie herbeigezaubert vor den beiden auf, als Ratsmann seine Hose bereits abgestreift hat und sein erigierter Penis unmissverständlich an einer Stelle nach Rücksprache heischt, die von der Natur auch durchaus dafür vorgesehen ist. Ratsmann, Vater von zwei Kindern, Leiter des Kirchenchores und angesehener Bürger Gronaus, verzichtet auf den Vollzug seines augenblicklichen Willens, der nicht sein letzter war, und man arrangiert sich zu jedermanns Nutzen. Smartje bleibt auf dem Gymnasium und Ratsmann ist künftig häufiger Gast in der Kneipe “Tom Swarten Fatt”, das er oft erst lange nach der Schließung des Lokals verlässt.

Auf dem Pausenhof ist Smartje von einer neugierigen Gruppe umringt . Er hat aus der Kneipe eine Zigarrenkiste mitgehen lassen, nun bietet er die Kiste an zum Tausch gegen ein Pausenbrot. Die meisten kennen Smartje und trauen ihm nicht, aber Dirk Haspelsager, Smartjes Fußabtreter und trotz allem noch immer sein Freund lässt sich wieder mal verführen. Eine Zigarrenkiste und ein dick belegtes Wurstbrot wechseln den Besitzer. Mit vor Erwartung geröteten Ohren öffnet Dirk die Kiste. Sie ist leer. Das höhnisch Gekreisch der Umstehenden animiert Dirk zum Direktangriff. Smartje duckt sich hinter den Fahrradständer und der etwas plumpe Dirk reißt sich mit drei stürzenden Rädern auch noch eine blutende Schramme in die Stirn. Smartje ist sehr befriedigt und findet Schule gar nicht mehr so langweilig. Nächstens wird man ihn doch regelmäßiger hier sehen.

Draußen am Stadtrand von Gronau gibt es ein Gebäude, das für Smartje große Anziehungskraft hat. Es ist die Reparaturwerkstatt einer Fahrradhandlung. Magische Wirkung auf Smartje haben Fahrräder mit sechsundzwanzig zölligem Rahmen, die für halbwüchsige Jugendliche gedacht sind. Für einen Zwölfjährigen, der groß und kräftig gewachsen ist, genau das richtige. Aber Mutter Elsa winkt ab.

„Smartje, mein Engelchen, woher soll ich denn das Geld dafür nehmen? Der Lüdemann bezahlt mich so schlecht, das ich manchmal nicht weiß, woher ich das Geld für unser Essen nehmen soll.“

„Also, wenn der Lüdemann so schlecht bezahlt, Mam, wie wär’s dann mit dem Ratsmann – vielleicht zahlt der besser?“

„Du bist ein durchtriebenes kleines Teufelchen, mein Engelchen, was hältst du denn von deiner Mutter! Wenn der Ratsmann spät nach der Sperrstunde heimgeht, ist er betrunken, und er bezahlt nur seinen Schnaps beim Lüdemann, sonst nix!“

„Na ja, das ist natürlich zu wenig, mit „nix“ kann man kein Fahrrad kaufen, höchstens eins finden, wenn eins gerade herrenlos rumsteht.“

„Bitte, Junge, mach keine riskanten Sachen! Am Ende muss ich dafür gerade stehen!“

„Schon gut, Mam, ich werde dich schon nicht in die Bredouille bringen.“

In der Abenddämmerung beobachtet Smartje die Werkstatt. Die Mechaniker sind längst heimgegangen, vor dem Eingang stehen noch einige der reparierten Objekte und sehen sehr einladend aus. Was wäre, wenn eines davon gar keinen Besitzer hätte? Smartje wartet, bis zur vollständigen Dunkelheit. Es ist schon fast Mitternacht, Smartje traut sich aus der Deckung.

Just in diesem Moment kommt der Inhaber des Ladens vor seine Tür. Als er sieht, dass noch Kundenobjekte draußen stehen, stößt er einen ordinären Fluch aus.

„Diese Saukerle, wieder vergessen oder zu faul gewesen, na wartet!“

Schiebt die Räder in den Innenhof und lässt das Tor herunter. Chance verpasst.

Am nächsten Tag ist Smartje schon um die Mittagszeit an seiner Spähposition. Den Gang in die Schule hat er sich geschenkt. Nun will er wissen, wie der Tag da drüben abläuft. Kunden bringen Räder, Mechaniker stellen reparierte Geräte vor die Tür. Nichts ist ungewöhnlich, die Chance zum Zugreifen ist Null. Am späten Nachmittag schließt die Werkstatt. Die Arbeiter schaffen, bevor sie gehen, noch die Räder in den Innenhof. Aha! Das hat also ein Donnerwetter gegeben. Was nun Smartje?

Lauerjäger brauchen Geduld, müssen warten, bis das Opfer Fehler macht. Tags darauf ist er schon vormittags auf seinem Posten. Zur Mittagszeit wird der Verkaufsraum von innen abgeschlossen. Die Werkstattarbeiter sind nicht zu sehen, machen wohl Siesta mit Bier und Wurststulle. Auf der Straße stehen drei Räder, eins davon ein Sechsundzwanziger. Keines ist fest angeschlossen. Aufsitzen und davon radeln wäre einfach. Aber Smartje kann bisher noch nicht Radfahren, wie hätte er das auch lernen sollen? Messerscharf begreift er indessen, dass die Chance einmalig ist, die Konstellation sich so bald nicht wiederholen wird. Wie ein gelangweilter Spaziergänger schlendert er hinüber, greift das Sechsundzwanziger und schiebt es zehn Meter weiter, da bleibt er stehen. Sollte jetzt jemand kommen, würde er erklären, dass er nur mal probieren wollte, ob er damit fahren kann. Niemand kommt, er schiebt seine Beute die Straße hinunter, einen Schotterweg hinauf, einen Waldpfad entlang, bis zu einer Kiefernschonung. Sollte jetzt jemand kommen, so hat er eben das herrenlose Teil gerade gefunden und ist nun auf dem Weg, es bei der Werkstatt abzugeben, als ehrlicher Finder, dem natürlich Finderlohn zusteht. Aber hier, in diesem Kiefernwald, ist er allein. In aller Ruhe kann er seine Eroberung von allen Seiten betrachten, die Funktionen durchprobieren, und dann – aufsitzen, losradeln, mit Karacho zur Seite stürzen. Das hat jetzt ein blutiges Knie ergeben.

Wenn schon, wo gehobelt wird, da fallen Späne. Zum Glück hat er ein Taschentuch in der Hosentasche mit dem das Knie verbunden wird. Nun geht er es etwas vorsichtiger an. Setzt sich mit der Kimme auf die Querstange, meidet die Pedale und stößt sich mit den Füßen am Boden ab. Das funktioniert richtig gut und eine Stunde später hat er ein ausreichendes Gleichgewichtsgefühl, um sich schon mal vorsichtig in die Kurve zu legen.

Als er spät abends heim kommt, schlägt Mutter Elsa die Hände über dem Kopf zusammen.

„Wo hast du denn gesteckt den ganzen Tag? Und wie du aussiehst, hast du dich im Sautrog gewälzt?“

„Ach, Mam, jetzt lass mich mal erklären, mir ist wirklich etwas unglaubliches passiert. Ich hatte dem Dirk vorgeschlagen, dass wir in den Wald gehen sollten um Eichhörnchen zu beobachten. In Naturkunde haben wir die Aufgabe bekommen, Tiere zu beobachten und darüber zu berichten. Der Dirk wollte aber nicht mitgehen, so bin ich alleine gegangen. In der Kiefernschonung, die du auch kennst, fand ich dann – ob du es glaubst oder nicht – ein an einen Baum gelehntes herrenloses Fahrrad. Das ist wirklich wahr, Mam, es stand am Baum und niemand war in der Nähe! So habe ich es mal genommen und Radfahren probiert. Ein paar Schrammen hat das schon gegeben, ist aber nichts schlimmes.“

„Smartje!!! Du verdammter Bengel hast es also wahr gemacht und jetzt kann ich darauf warten, dass der Polizist Haspelsager erscheint und mir einen Strafbefehl wegen Diebstahls überreicht!“

„Aber nicht doch, Mam, nein, nein! Ich hab’s nicht genommen, ich hab’s wieder an den Baum gestellt. Da kann es der Besitzer abholen, wenn er noch weiß, wo.“

„Morgen wirst du auf der Stelle hingehen und das Rad wieder dahin bringen, wo du es hergenommen hast. Wir sind keine Kriminellen!“

Der Lehrer schickt den Polizisten, weil Smartje seit drei Tagen in der Schule abgängig ist. Der packt ihn einfach auf seinen Gepäckträger und radelt mit ihm zur Schule. Elsa wird vom Schulleiter eine schriftliche Ermahnung erhalten, besser auf den Schulbesuch ihres Sprösslings zu achten. Die lässt sie achselzuckend in den Papierkorb wandern.

Eine Woche später kommt das Engelchen Smartje auf einem sechsundzwanziger Rad von der Schule heim geradelt. Wie selbstverständlich stellt er das Ding in den Lüdemann’schen Hof hinter dem Haus. Mutter Elsa schüttelt den Kopf.

„Du fährst aber noch sehr wacklig. Wenn du schon ein Rad hast, musst du es auch fleißig benutzen um darauf sicher zu werden.“

„OK, Mam, mache ich! Übung macht den Meister.“

„Und sieh’ zu, dass es dir nicht geklaut wird!“

Ist das nun Resignation oder gar Stolz auf den unbeirrbaren Durchsetzungswillen ihres Engelchens? Mit Konsequenzen irgendwelcher Art rechnet sie jedenfalls nicht mehr.

Vogelscheuche

Nichts ist für die Ewigkeit gemacht, leider. Die neue Klassenlehrerin von Smartje Brinkmann und Dirk Haspelsager, Fräulein Elisabeth Verkennen, ist eine misslaunig dreinschauende Vogelscheuche. Ihre Jugend hat sie in einer Internatsschule des Karmeliterordens verbracht.

Ihre Ansichten übers Leben sind dementsprechend. Smartje hat wieder eine Fünf im „Deutschen Besinnungsaufsatz“, weil er auf die Frage: „Was weißt du vom Samaritertum?“

keine überzeugende Antwort geben konnte. Nun soll Mutter Elsa die Fünf auch noch mit ihrer Unterschrift absegnen, was Smartje äußerst unpassend findet. Er stößt den Haspelsager nebenan in die Rippen und bietet ihm eine Wette an: Eine Flasche Kömen aus Lüdemanns Pinte, wenn er die Seite mit der Fünf heraustrennt, zerkaut und runterschluckt. Und der Haspelsager geht auf diesen Leim. Während er kaut und schluckt meldet sich Smartje mit schnipsendem Finger:

“Frau Verkennen, Frau Verkennen! Der Haspelsager hier neben mir, der ist ja gemeingefährlich - jetzt frisst er schon mein Aufsatzheft!”

Der nachfolgende Eklat ist gut kalkuliert, Haspelsager kann sich nicht herausreden, denn die Gier nach einer Flasche Kömen als Begründung seiner Tat - nein, nicht, solange Vater Haspelsager werktags Polizist in Gronau und sonntags Hilfsküster beim Gottesdienst ist.

Smartje kommt heil aus der Sache heraus, aber die Freundschaft mit dem Dirk ist nicht mehr dieselbe. Kurz darauf trennen sich ihre Wege endgültig: Dirk Haspelsager wird in die Obertertia versetzt, Smartje Brinkmann wiederholt die Untertertia.

Weil die Schule ein grauer Ort der Enttäuschung und der Frustration ist, meldet sich Smartje häufig krank. Die Unterschrift unter solchen Meldungen “Elsa Brinkmann” hat er anhand von Bestellzetteln aus Tom Lüdemanns Getränkekasse fleißig geübt. Er geht an solchen Vormittagen schlendern und schaut mal beim Nachbarn durch den Zaun. Da steht das unaufgeräumte Frühstücksgeschirr auf der Terrasse und wahrhaftig, eine Armbanduhr liegt da auch! Der kleine Köter des Nachbarn schlägt ein wütendes Gekläff an und dann jault er, als er getreten wird. Man läuft herbei, aber wer dort die Straße hinunterläuft, ist nicht mehr auszumachen. Dass der alte Haspelsager gerufen wird, um den Fall zu Protokoll zu nehmen, erfüllt Smartje mit stiller Freude. Kaum ist dieser nämlich in seiner Amtsstube zurück, sieht er sich einem alerten Smartje gegenüber, der eine abenteuerliche Geschichte erzählt, wie er den Einbrecher verfolgt und ihm die Armbanduhr entrissen hat. Haspelsager glaubt ihm kein Wort, aber - da liegt schließlich die Armbanduhr auf dem Tisch, und der Polizist begreift, in welch angenehmem Licht ihn die so überaus rasche Aufklärung des Falles erscheinen lässt. Er nimmt ein Protokoll auf, darin steht auch, dass der Brinkmann dafür, dass er seine Haut riskiert hat, um das Eigentum des Nachbarn zu retten, eine gewisse Anerkennung erwartet. Die er schließlich auch erhält.

Smartje ist sechzehn

Maia Vondung, genannt «Lolita», ist ein kleines Biest. Auf dem Pausenhof macht sie dem Brinkmann “klimpernde Wimpern” und wenn er sie fangen will, verbirgt sie sich kichernd in einem Pulk von Mitschülerinnen. Smartje, sechzehn und von seiner Unwiderstehlichkeit überzeugt, passt sie auf dem Heimweg ab und drückt sie in einen Hausflur. Natürlich verlässt er auch diesen Schauplatz als Sieger. Maias Eltern haben eine Gemüsehandel am Jöbkesweg, sie sind strikt gegen diesen Umgang. Smartje besorgt sich am Samstag unauffällig einen Strauß Margeriten aus der Vondung’schen Straßenauslage vor dem Laden. Am Sonntag nach dem Hauptgottesdienst steht er proper gekleidet auf der Kirchentreppe und wartet auf die Vondung-Familie. Die Margeriten überreicht er mit einer artigen Verbeugung - Maias Mutter. Die findet den Filou “ganz allerliebst” und vergisst nicht, mit einem Seitenblick auf Vater Vondung, zu erwähnen, dass sie schon jahrelang keine Blumen mehr geschenkt bekommen hat. Smartje hat freien Zugang zum Vondung’schen Gemüseladen und darf auch schon mal nachmittags, wenn wenig Kunden kommen, gemeinsam mit Maia auf die Kasse aufpassen. In günstigen Momenten entnimmt er sich daraus den für diese Mühe fälligen Lohn und erspart so den Vondungs, ihm einen solchen anbieten zu müssen.

Versetzung gefährdet, und das zum zweiten Mal. Der Erziehungsberechtigte soll den Inhalt des Briefes durch seine Unterschrift bestätigen. Smartje weiß, dass Mutter Elsa anderes im Kopf hat, als seine Schulprobleme.Voller Mitleid will er ihr die Wahrheit ersparen, und schließlich - den Namen “Elsa Brinkmann” schreibt er so schön wie sie selbst.

Dieses Mal hat Smartje es mit dem Rektor zu tun. Dr. Bramsche ist weißhaarig, hager, magenkrank und von einem neurotischen Misstrauen erfüllt. Smartje verliert sein erstes Match.

Elsa Brinkmann wird zum Rektor bestellt und mit dem “Blauen” konfrontiert. Ahnungslos bestätigt sie, dass sie das Papier zum ersten Mal sieht.

Consilium abeundi. Smartje macht eine verächtliche Schippe. Scheißschule, wozu? Sein Weizen blüht woanders, das weiß er.

Der Weg nach oben

Smartje kehrt Gronau mit seinen kleinbürgerlichen Endemikern den Rücken, um sein Glück in der Großstadt zu versuchen. In die westfälische Metropole Münster zieht es ihn, wo ein Likörlieferant und Bekannter von Tom Lüdemann einen Großhandel hat. Oskar Lauenberger, der mit seiner “Inex”, Import-Export-Gesellschaft, nicht nur mit Spirituosen handelt, sondern mit allem, was nicht größer ist, als dass es ein einzelner Mensch eiligen Schrittes davontragen kann, schätzt den Wirt vom “Tom Groten Fatt” in Gronau als guten Kunden (manche behaupten, auch als Zubringer in mancherlei Hehlergeschäften), und er tut ihm den Gefallen, seinen Ziehsohn als Lehrling und Commis einzustellen. Jetzt muss Smartje Lagerbestände inventarisieren, Preislisten abschreiben und Palettenlieferungen zusammenstellen. Derweil pulsiert das urbane Leben draußen, dort, wo Smartje leider nicht sein kann. Oskar Lauenberger beobachtet seinen Adlaten aus den Augenwinkeln, aber der ist brav und stets beschäftigt und so lässt er ihn mit der Zeit gewähren. Und Smartje hat ein Ziel: Jetzt will er erstmal Buchhalter werden und danach noch sehr viel mehr. Denn Buchhaltung ist der Schlüssen zu fast allem.

Der Buchhalter Werner Biebrich ist ein lammfrommer Mensch, sein Humor erschöpft sich darin, dass er kichernd die Hände zur Abwehr hebt, wenn Smartje Zoten erzählt. Smartje kennt viele Zoten, von der Art, wie sie im “Tom Groten Fatt” beim Skat die Runde machen, und Biebrich ist gierig danach. Er verlagert seine Tätigkeit häufig ins Spirituosenlager, um der Quelle der prickelnden Verruchtheiten möglichst nahe zu sein. Dabei ist der Mann über Fünfzig, untadelig verheiratet und Vater von drei Kindern. Dass Smartje jünger ist, als Biebrichs Kinder, stört sie beide in keiner Weise. Smartje bringt auch mal Pornohefte mit, und Werner kriecht damit hinter die Fässer mit gutem westfälischem Kartoffelschnaps. Smartje passt auf, dass der Lauenberger nicht unverhofft hereinkommt und studiert dabei voll Interesse Biebrichs Bilanzen, während der sich hinter den Fässern wollüstig wälzt. In der Lieferantenkartei wird sorgfältig vermerkt, wer was geliefert hat, welche Rechnung noch oder offen schon bezahlt ist.

Da hat zum Beispiel Walter Dreher aus Euskirchen eine Rolle Folien geliefert, wie sie für die Schrumpfverpackung von palettierten Sendungen gebraucht wird. Die Rechnung ist längst bezahlt und Smartje übt sich spielerisch, den Eintrag in Biebrichs Handschrift zu wiederholen, allerdings ohne den Vermerk “bezahlt”. Sein Instinkt sagt ihm, dass er jetzt einen verlockenden Köder an der Angel hat und dass Geduld des Anglers Tugend ist. Fünf Tage später findet sich hinter dem simulierten Eintrag der Vermerk “bezahlt”. Biebrich hatte die Rechnung noch nicht archiviert gehabt und sie prompt ein zweites Mal aus dem Bearbeitungsstapel gezogen. Sich selber angesichts seines neuen Hobbies eine Schusseligkeit zutrauend, war die Anweisung ein zweites Mal erstellt und von Lauenberger abgezeichnet worden. Eine Woche darauf macht Smartje ein paar Tage Urlaub. Er fährt nach Euskirchen, dort ist er mit Walter Dreher verabredet.

Walter Dreher ist gerade Dreißig, nur zehn Jahre älter als das Jungtalent Smartje.

Ungewöhnlich für einen Fabrikanten. Die Erklärung liegt nicht auf der Hand und ist dennoch einfach: Er hat dem früheren Inhaber der Folien- und Plastikartikelfabrik “PVDC”, Luchterding, als Rechnungsprüfer dabei geholfen, einen blitzsauberen Bankrott hinzulegen.

Nachdem allen Gläubigern eröffnet worden war, dass sie nichts mehr zu erwarten hätten, wurde von einem gut informierten Insider Anzeige wegen betrügerischen Bankrottes erstattet, beweisende Dokumente lagen der Anzeige als Photokopien bei. Luchterding kam hinter Schloss und Riegel, die Folienfabrik wurde versteigert und ging für einen geringen Bankkredit an Walter Dreher.

Zweifellos ist Smartje mit seinem Plan ein nicht geringes Risiko eingegangen, aber sein Instinkt hat ihn punktgenau zu einer Goldader geführt. Die Verständigung zwischen den beiden kongenialen Partisanen klappt auf Anhieb. Dreher sieht ein, dass die kommentarlose Vereinnahmung der doppelten Überweisung im Fall des Bekanntwerdens zu einem geschäftsschädigenden Verlust seines ohnehin schon anrüchigen Leumundes führen würde und ist bereit zu einer Vereinbarung. Die Vereinbarung, durch einen Händedruck zweier nach Erfolg strebender Geschäftsleute besiegelt, besagt, dass der zweite Rechnungsbetrag diesmal noch zurückgegeben wird und dass weitere Kontakte in gleicher Sache vorgesehen sind.

Smartje hat mit Lauenberger ein Gespräch unter vier Augen. Er übergibt ihm den von Dreher erstatteten Rechnungsbetrag und weist in Biebrichs Büchern auf die Zeile des Anstoßes.

Werner Biebrich wird fristlos entlassen, Smartje Brinkmann wird Chefbuchhalter der Firma Inex und erhält Vollmacht. Als Biebrich vor Gericht steht, bringt er es nicht fertig, die Hintergründe des Vorfalles offen darzustellen. Dass ein Ehrenmann seines Alters sich von einem Zwanzigjährigen mit Pornoliteratur füttern lässt und dabei Fehler in seinem Job begeht ... man findet Werner Biebrich in seiner Wohnung, an einem Hosenriemen aufgehängt.

Gibt es ein eindeutigeres Schuldgeständnis?

Mit Walter Dreher verbindet Smartje inzwischen eine innige Freundschaft. Gemeinsam haben sie mit der Zeit ein rundes Dutzend Kleinunternehmer ausfindig gemacht, die in der Lage waren, bei der doppelten Überweisung eines Rechnungsbetrages ihre Überraschung zu zügeln und ohne Aufsehen zu kassieren. Was diese Geschäftsleute nicht wissen können: die zweite Überweisung kommt nicht aus der Kasse von Inex oder PVDC, sondern aus einer Privatschatulle, die Smartje und Walter zu diesem Zweck eingerichtet haben. Der anschließende Besuch von Smartje oder Walter macht ihnen die Verwerflichkeit ihres Tuns dann klar und sie sehen ein, dass eine Veröffentlichung dieser Sache viel schädlicher wäre als die Zahlung einer angemessenen Provision auf alle Rechnungsanweisungen von Inex an die beiden wohlmeinenden Ratgeber.

Lauenberger hat Vertrauen zu seinem Prokuristen Brinkmann, er überträgt ihm die gesamte Finanzverwaltung einschließlich der Betriebskalkulation und des Personalrechnungswesens.

Viel Verantwortung für einen jungen Mann, der noch keine dreißig ist! Smartje führt einige Neuerungen ein. In der Betriebskalkulation, in der die Preise ermittelt werden, arbeitet er mit einer variablen Marge, die so aufgebaut ist, dass zahlungsschwache Kunden Rabatte erhalten können, wenn sie bereit sind, Smartje eine Provision zu zahlen, die dieser dann stets persönlich abholt. Im Personalrechnungswesen wird älteren Mitarbeitern die freiwillige Firmenzulage gestrichen, da diese Personen ohnehin nicht mehr auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit sind. In Ausnahmefällen kann sie ihnen jedoch weiter gewährt werden, wenn sie bereit sind, Smartje, der diese Wohltat vermittelt, eine Anerkennungsbeitrag zu stiften natürlich regelmäßig und pünktlich!

Herma

Herma Petersen, Lauenbergers neue Sekretärin, ist keine Schönheit, aber hellwach und misstrauisch. Dass der Prokurist einen italienischen Sportwagen fährt, der mehr Geld gekostet hat, als die Nobelkarosse des Chefs, kann sie sich nicht erklären. Will sie sich aber erklären können. Und da sind diese verstohlenen Gesten der Arbeiter, diese kurzen Blicke, wenn der Finanzdirektor Brinkmann vorbeigeht. Smartje testet Herma, wie er jedermann in seiner Umgebung testet: Blick in die Augen, engelhaftes Lächeln, bist du Freund oder Feind? Er spürt die Reserve, ahnt die mögliche Gefahr, reagiert instinktiv. Seine Avancen sind dezent, aber nachdrücklich. Herma ist verheiratet und hat eigentlich keine Lust, auch wenn der Bursche blendend aussieht. Sie will aber ganz dringend wissen, wo dieser Spielkamerad Luzifers seinen Pferdefuß hat. Also flirtet sie zurück und es wird erstmal ein Abendessen in der Datscha, einem feinen Gourmetrestaurant im Zentrum von Münster, daraus. Armes Weibchen Herma: Wer mit dem Teufel essen geht, der muss wissen, was er tut. Es wird ein launiger Abend, rundum zwischen Michaelisplatz und Syndikatsplatz, zwischen Salzstraße und Aegidimarkt, hat Luzifer seine kleinen Lusthöllen. Ein wunderbares Menü, danach ein wenig Körperkontakt im Diskokeller, Sekt und Scharfes in einer Altstadtbar mit hervorragend schlechter Beleuchtung.

Herma erwacht im Morgengrauen in einer ihr fremden Umgebung. Ein Hotelzimmer ist das, und ein Blick aus dem Fenster zeigt die etwas verregnete Fußgängerzone im Zentrum Münsters. Ganz langsam kommt die Erinnerung an die Ereignisse der letzten Nacht. Sie hatte versucht, Smartje Brinkmann zum Reden zu animieren, hatte gehofft, ihn beim Tanzen hinreißen zu können, schließlich geglaubt, dass der Alkohol seine Zunge lösen würde. Am Ende war sie voller Trotz und Entschlossenheit bereit gewesen, auch das letzte Mittel einzusetzen. Als ihr Smartje den Rock von der Hüfte zieht, seine Zunge an der Innenseite des Oberschenkels langsam nach oben wandert, da hat Herma das Duell verloren. Das Blut schießt ihr ins Gesicht vor Scham. Er hatte sie nicht gewaltsam genommen. Sie hatte darauf gewartet, mit sich selber uneins wie ein Trinker mit seiner Absinthflasche. Jetzt ist sie allein in diesem Raum, der Verführer ist längst gegangen. Die hilflose Herma heult wie ein Kind bei dem Gedanken an die bevorstehenden Probleme. Was soll sie ihrem Mann erzählen, wie dem verdammten Mistkerl Smartje entgegentreten. Aber ihre Lage ist noch viel schlimmer, als sie ahnt: Als sie ihren Arbeitsplatz in Lauenbergers Vorzimmer betritt, steht dort ein schlankes Väschen mit einer roten Rose, daneben liegt ein Polaroidphoto. Das Photo zeigt eine halbentkleidete Herma, von einem splitternackten gut gebauten Blondschopf in lustvoller Umarmung umfangen. Auf der Rückseite eine Widmung: “Vielen Dank für den einzigartigen Abend, außer diesem Photo gibt es noch sieben weitere. Küsschen, S.B.” Als sie an diesem Abend schließlich heimgeht und noch immer nicht weiß, wie sie ihrem Mann entgegentreten soll, da löst sich dieser Knoten anders als gehofft: Heinz Petersen erwartet seine Frau wortlos und hält ein Polaroidphoto in der Hand, das mit der Nachmittagspost kam.

Heinz hält ihr das Photo unter die Nase.

„Nun, mein Täubchen, ich warte auf deine Erklärung“

„Mein Liebster, es ist nicht so, wie du denkst…“

„Ach nein, wie ist es dann?“

„Ich hatte den Verdacht, dass er ungesetzliche Geschäfte macht und wollte ihn aushorchen…“

„Und dafür ist es notwendig, mit jemandem nackt ins Bett zu gehen? Die Story kannst du deiner Großmutter erzählen oder wenn du willst, deinem Psychiater. Für mich ist das Ehebruch.“

„Heinz, mein liebster Heinz, verzeih mir, bitte! Ich habe nie geglaubt, dass so etwas passieren könnte. Ich glaube, er hat mir KO-Tropfen in den Kömen getan, ich wurde willenlos.“

„Weshalb musst du Kömen trinken in einem Schnapslokal und überhaupt mit einem Mann dahin gehen, der den übelsten Ruf als Frauenaufreißer hat? Nein mein Schätzchen. Unsere Ehe ist hiermit beendet. Ich gehe und den Rest hörst du von meinem Anwalt.“

Herma weint noch bis Mitternacht, dann versiegen die Tränen.

„Warte, Smartje Brinkmann, du Teufel in Menschengestalt, dir gebe ich keine ruhige Minute mehr. Deine krummen Geschäftstouren werde ich ans Licht bringen, der Staatsanwalt wird dir dein Hotelzimmer anweisen. Da gibt’s keine Frauen zum Verführen, da gibt’s eine Holzpritsche zum Schlafen und ein Klo ohne Deckel – das richtige Ambiente für dich.

Wer sich mit einem Sieger duellieren will, muss eiserne Nerven haben oder mit dem Rücken am Abgrund stehen. Für Herma Petersen gilt beides. Nachdem Lauenberger sie von seinem Vorzimmer in die Lagerkartei versetzt hat und nachdem Heinz ausgezogen ist und die Scheidung betreibt, ist ihr Entschluss gereift: Sie klingelt abends an Smartjes Wohnungstür und sagt einfach: “So, hier bin ich. Nachdem du mein bisheriges Leben sorgfältig zerschlagen hast, wirst du mir jetzt helfen, ein neues aufzubauen.” Smartje ist amüsiert. “Wenn ich dich hinauswerfe?” - “Dann bleibt mir nur die Zuflucht bei meinem letzten Bekannten. Der ist übrigens Staatsanwalt und untersucht gerade den mysteriösen Einbruch in der Edelbrand-Distillerie.” Smartje kontert mit Engelslächeln und zwei Longdrinks. “Aber Schatz - doch nicht zwischen uns beiden ...” Als er das Licht ausmacht und ihre Brüste umfasst, ist sie wieder da, diese schizophrene Mischung zwischen Hass und Gier, diese lodernde Flamme von allen Leidenschaften zugleich. Aber Smartje, der Mann, siegt über Smartje, den Feind. Herma beschließt, erst einmal die eine Leidenschaft zu befriedigen und dann desto konzentrieter der anderen nachzugehen.

Smartje kommt geradezu ins Grübeln. Eine Frau im Haus - das ist nicht nach seinem Geschmack. Herma Petersen im Haus - das riecht wie Weihwasser in der Nase des Teufels.

Dass sie ihm offensichtlich verfallen ist, das schmeichelt ihm natürlich.

Sven Ravenstein

Smartje liebt es, am Wochenende kurze Ausflüge nach Bad Pyrmont oder Bad Salzufflen zu machen. Das nahegelegene Salzufflen oder das etwas entferntere heimliche Nest Pyrmont interessieren ihn nicht wegen des Kurbetriebs oder der obligaten Residenzen verblichener Duodezfürsten, sondern ausschließlich wegen der Spielbanken. Smartje, der Spieler, der keine Leidenschaft kennt, setzt mäßig beim Roulette und bilanziert seine Verluste und Gewinne.

Beim Kartenspiel sind seine Einsätze höher und seine Gewinne immer wieder verblüffend.

Kartenspiel befriedigt ihn, weil es seinen Kindheitstraum lustvoll realisiert: Spieler mit vor Leidenschaft verzerrten Gesichtern, ein lächelnder Smartje dazwischen, der unauffällig zu zinken versteht und um Mitternacht mit geschwollener Brieftasche in die Kellerbar hinuntersteigt.

Mit der Zeit findet Smartje Kartenspiel nicht mehr so interessant. Es ist zu leicht zu berechnen.

Insbesondere, wenn man gezinkte Karten verwendet, gewinnt man praktisch immer – aber immer lächerlich kleine Beträge.

Smartje befindet, dass Bad Pyrmont ein ziemlich langweiliges Nest wäre, gäbe es da nicht wenigstens das Spielkasino mit seinem bekannten Roulette, das angeblich schon soviel Tote hervorgebracht haben soll wie das andere bekannte Roulette; das russische Roulette. Das Roulette ist die Drehscheibe, wo es spannend wird, wo man hohe und höchste Risiken gehen kann, wo man interessanten Typen begegnen kann.

Vielleicht der spielsüchtigen Ehefrau, die alles verloren hat und bereit ist, sich den Verlust zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens im Rahmen eines Sonderangebotes wieder zurück zu holen (aber natürlich nur mit ausgiebigem Vorspiel, sonst wird die Hure hinaus geworfen).

Vielleicht dem gescheiterten Hidalgo, dem Smartje mit sicherem Blick ansieht, dass er nur noch aus Fassade und leerer Brieftasche besteht und der für einen geschenkten Blauen bereit ist, jeden Auftrag auszuführen.

Vielleicht dem Tycoon, der kaum genau weiß, wie hoch sein Bankkonto ist und mit dessen Hilfe man fette Beute machen kann (sofern man Smartje ist und weiß, wie).

Smartje schlendert um den Roulettetisch herum und steht dann vor einem interessanten Typen, der ihm bisher noch nicht aufgefallen ist. Der Mann überragt sogar den recht großen Smartje um einen halben Kopf, scheint kaum älter zu sein und trägt eine glitzernde Militärjacke, mit Epauletten, Goldkordeln und Affenschaukeln.

„Guten Abend, Sie sind offenbar gerade erst eingetroffen, hab’ Sie noch nicht gesehen. Setzen Sie beim Roulette?“

Der Angesprochene macht ein abweisendes Gesicht und mustert Smartje von oben bis unten, dann von unten bis oben.

„Warum interessiert Sie das, wollen Sie mich anpumpen?“

„Ich pumpe niemanden an, ich spiele immer autonom. Aber ich interessiere mich dafür, ob jemand eine Strategie hat. Immer hört man, dass es Gewinnstrategien geben soll, hab’ aber noch nie einen getroffen, der sowas konnte.“

„Strategie? Kein Problem! Aber: mit Strategie - kleines Risiko, kleiner Gewinn; ohne Strategie – großes Risiko, großer Gewinn. Woran sind Sie interessiert?“

„An kleinem Risiko mit großem Gewinn natürlich – Sie doch wohl auch, oder?“

Nun lachen zwei junge Nerds und hauen sich auf die Schultern.

„Ich darf mich vorstellen: Smartje Brinkmann, Finanzvorstand bei Lauenberger Inex GmbH.“

„Angenehm, Sven Ravenstein, Oberleutnant der Reserve, Reitlehrer und und Geschäftsführer der Holtmannshof – Reitschule GmbH.“

„Offizier und Reitlehrer? Das finde ich unglaublich interessant. Sie sind doch sicher der Top-Favorit der Damenwelt von Münster.“

Erneut dröhnendes Lachen und Schulterhiebe. Da haben sich zwei kongeniale Typen gefunden, als hätten sie sich gesucht. Zehn Minuten später stehen sie vor der riesigen Schüssel des Roulettes.

„Sven, du musst mir unbedingt zeigen, was du vorhin mit deiner Strategie gemeint hast.“

„Gut, fangen wir mit dem keinen Risiko an. Nicht auf Nummern setzen, sondern auf die Farbe! Kleiner Starteinsatz.“

„Ich setzte ROUGE.“

„Dann setze ich NOIR. Einer wird sofort gewinnen, der Andere geht erstmal leer aus.“

Die Kugel rollt, bleibt auf einem schwarzen Feld stehen.

„Sorry, Smartje, das war jetzt für mich. Ich steige aus, das macht man grundsätzlich, wenn man den Gewinn realisieren will. Gewinn ist doppelte Quote minus Einsatz, also Höhe eines Einsatzes. Wer verloren hat, macht weiter und verdoppelt den Einsatz.“

Smartje setzt erneut, verdoppelt den Einsatz. Es kommt wieder NOIR.

„Jetzt nicht aufhören, Smartje! Weitermachen, verdoppeln!“

Wieder kommt NOIR.

„Weiter machen verdoppeln!“

„Da: ROUGE!“

„Jetzt abbrechen. Rechne aus: Du hast 15 Beträge gesetzt und 16 ausgezahlt bekommen, hast somit am Ende mit Ausdauer den gleichen Gewinn wie ich zu Beginn mit Glück. Das ist die Strategie: Ausdauer schlägt Glück, wenn man weiß, wie.“

„Funktioniert das auch mit den Zahlen?“

„Im Prinzip schon, nur ist dort der Multiplikator nicht zwei, sondern dreißig. Du solltest mindesten vorher zur Bank gehen und dir einen Verfügungskredit in unbegrenzter Höhe einräumen lassen. Um eine Serie von vier Fehlversuchen zu überleben, brauchst du 810000 Ersteinsätze. Und vier Runden sind natürlich viel zu wenig, das Minimum wären dreißig, besser wären sechzig. Außerdem musst du dir auch eine Pistole in die Tasche stecken.“

„Warum das denn?“

„Du willst sicher nicht den Rest deines Leben hinter Gittern verbringen. Für dreißig Fehlversuche, die äußerst wahrscheinlich sind, würdest du mehr als zehn Milliarden Ersteinsätze benötigen. Falls du dann doch gewinnst, bleibt dir genau der gleiche Gewinn,wie beim „ROUGE ET NOIR“: Ein Ersteinsatz. Wenn du nicht gewinnst, bleibt nur die Pistole.

Das Zahlenroulette ist etwas für Protzer, Dumme oder Lebensmüde.“

„Phantastisch, Kamerad, du bist wirklich ein Ass. Jetzt hat jeder wenigsten einen Einsatz gewonnen. Für die Verwendung meines Teils schlage ich vor, dass wir eine Flasche Kömen besorgen und Brüderschaft trinken, einverstanden?“

Edda von Kamphausen

Sonntag auf dem Holtmannshof. Smartje hat Reitunterricht. Nicht weil er Reiten sportlich oder Pferde schön fände, einfach weil er sich ein Image zulegen will, bei dem es dazu gehört und hoffentlich seine Unwiderstehlichkeit noch weiter steigern wird. Wenn man sieht, wie Sven in rasantem Galopp daher geprescht kommt ... gebt acht, ihr Weiber, der Feuerreiter Smartje Brinkmann kommt!

Aber mierda, heute kann er sich gar nicht konzentrieren. Ein Mühlrad dreht sich in seinem Kopf. Smartje ist auf einem Wasserrad gefesselt, durch dessen Drehung er immer wieder untergetaucht wird. Wenn er auftaucht, sieht er das gefährlich lüsterne Lächeln von Herma Petersen, das gierige Grinsen von Walter Dreher, das abgrundtiefe Erschrecken von Werner Biebrich. Naht ihr euch wieder, schwankende Gestalten?

„Hallo, Smartje, was ist los mit dir, du passt ja gar nicht auf. Ich hab’ dir doch erklärt, dass du nicht von hinten an den Gaul heran gehen darfst. Wenn er dich nicht sieht, schlägt er aus und bricht dir die Knochen.“

„Ja Sven, ich bin heute wirklich nicht bei der Sache. Ich geb’s auf und geh’ lieber einen Kaffee trinken. Edda ist zum Glück nicht so schlagkräftig, wie deine Pferde.“

„Schönen Gruß an Edda, ich komme auch in Kürze rein. Noch eine Runde auf dem Rappen.“

Die Reiterlounge auf dem Holtmannshof ist edel möbliert. Mächtige Lederfauteuils , schwarze Marmortische, glitzernde Intarsienfenster, deren Bilder Geschichten von Reitern und Jägern erzählen. Ein Ambiente, dass unerhörten Reichtum ahnen lässt. Der Besitzer des Holtmannhofs, Wolf von Kamphausen, ist einer der größten westfälischen Pferdezüchter und Sponsor zahlreicher Wettkampfserien. Seine Springer, Galopper, Traber und Dressurpferde erzielen bei Auktionen astronomische Preise. Smartje stellt resigniert fest, dass er sich zwar ziemlich viele Pferde in seinem Sportboliden leisten kann, aber kein einziges von Kamphausens Reitpferden, nicht einmal ein Pony. Kamphausens Reiter, von denen er eine ganze Kompanie beschäftigt, bringen jedes Jahr Berge von Preisgeldern heim. Smartje erkennt, dass er hier eine Welt betritt, von deren Existenz er bisher nicht mal eine flüchtige Ahnung hatte. Seine Sehnsucht, einmal ganz oben zu stehen, begegnet hier ein ganz neuen, riesigen Herausforderung.

Edda von Kamphausen, Tochter und einziges Kind des Gestütsbesitzers Kamphausen, gilt in der westfälischen Pferdearistokratie als hochkarätiger Rohdiamant. Da sie dermaleinst ihren Vater beerben wird und noch unverheiratet ist, wird es einen geben, der sich einen Ring mit funkelndem Brillanten an den Finger stecken kann. Viele wollen natürlich dieser eine sein. Zu denen ab heute auch Smartje Brinkmann gehört. Aber Smartje weiß auch, dass seine Voraussetzungen derzeit noch völlig ungenügend sind und seine Chancen bei Null liegen. Aber soll das ein Grund sein, es nicht zu versuchen? Klar – ein gut behütetes und von einer großen Meute von Verehrern bewachtes Burgfräulein kann man nicht so einfach im Vorbeigehen mitnehmen, wie ein sechsundzwanziger Rad auf der Straße vor der Werkstatt... Aber Smartje ist Smartje: Mit den Schwierigkeiten wächst seine Entschlossenheit.

Edda hat blondes Haar, eine kurz geschnittene kesse Frisur, typisch für eine Reiterin, ein schönes ebenmäßiges Gesicht und eine leider etwas zu betont hervortretende Nase. Smartje empfindet das als Zeichen eines sehr selbstsicheren, gar bestimmenden Charakters. Diese Wesen wird sich nichts vormachen lassen, was ihr nicht gefällt, wird konsequent beiseite geschoben. Obwohl sie im heiratsfähigen Alter ist, gilt ihre Liebe derzeit noch den Pferden, weniger den Männern.

Sie kredenzt Smartje einen Kaffee.

„Da bring’ ich Ihnen was zur Aufmunterung, Herr Brinkmann. Sie schauen drein wie einer dessen Gaul gerade ein Hufeisen verloren hat. Das war wohl nichts heute?“

„In der Tat, ein Tag zum Vergessen. In meinem Terminkalender trenne ich solche Tage heraus und werfe die Seite in den Müll.“

„Im Ernst, machen Sie das wirklich?“

Wenn Edda lacht, hat ihre Stimme den Klang eines tiefen Alt.

„Vielleicht nur symbolisch. Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heiteren Stunden nur.

Übrigens ich heiße ich für meine Freunde „Smartje“, Brinkmann gilt nur für solche Zeitgenossen, die auf Abstand gehalten werden müssen.“

„So – und wie ist das bei mir?“

„Bei dir, liebe Edda, wünschte ich mir den Abstand Null. Du verstehst, was ich meine?“

„Halt halt, lieber Smartje, nicht gar so schnell. Gut Ding will Weile haben.“

„Selbstverständlich, das respektiere ich. Aber ich sag’s wie es ist, ist es nicht schrecklich, wenn man immer nur die Wahrheit sagen kann?“

Edda verschlägt es die Sprache. Sie lacht mit ihrer schönsten Altstimme.

„Du bist offenbar ein Meister der lockeren Sprüche und wohl auch der nicht ganz ernst gemeinten Komplimente.“

„Aber nein, Edda. Einer schönen Frau mache ich niemals Komplimente, ihr sage ich nur die Wahrheit. Komplimente mache ich denen, die sie brauchen.“

Smartje sieht ihr nun tief in die Augen und Edda, die Standfeste, weicht keinen Millimeter aus.

In diesen Augen sieht der Verführer Reserviertheit, aber auch Wohlwollen. Das wird noch ein langer Weg!

Ophelia

Oskar Lauenberger traut seinen Ohren nicht. Was Herma Petersen da vorträgt, ist nichts Geringeres, als dass sein Prokurist Anteile von Personalzulagen in die eigene Tasche umleitet.

Herma will das beweisen können, sie hat zwei Arbeitern beim vertraulichen Gespräch zugehört.

Als Smartje zum Rapport bestellt wird, ist er bestens vorbereitet. Er präsentiert Lauenberger eine Namensliste von Mitarbeitern, die auf kriminelle Art versucht haben sollen, sich gegen die leider unumgängliche Streichung der freiwilligen Firmenzulage zur Wehr zu setzen, indem sie behaupteten, dass:

- erstens, eine Sendung “Sauerländer Edelbrand”, die vor einigen Wochen hereinkam, aus einem Einbruch in die Edelbrand-Distillerie in Ennigerloh stammen sollte und

- zweitens, der Prokurist für dieses Hehlergeschäft verantwortlich sein soll und auf Geheiß des Firmeninhabers auch noch den Preis gedrückt hat und

- drittens, der Prokurist sowieso ein Halsabschneider ist, der sich die Gewährung der Zulage durch eine Art Provision vergelten ließe.

Als Lauenberger die unverzügliche Vorführung der Benannten verlangt, wehrt Smartje ab und gibt zu bedenken, dass insbesondere die Behauptung zu Punkt eins, wenn sie weiter verbreitet würde, unkalkulierbare Folgen haben könne, zum Beispiel das Erwachen des zuständigen Staatsanwaltes. Da sei es wohl besser, den Leuten durch eine gewisse Großzügigkeit den Wind aus den Segeln zu nehmen und sie zugleich fester an die Firma zu binden.

Bei der Erwähnung eines möglichen Untersuchungsverfahrens wegen Verdacht der Hehlerei bekommt Lauenberger eine weiße Nasenspitze. Alles, nur Das nicht! Seine weiße Weste als untadeliger Geschäftsmann darf nicht befleckt werden, geschweige denn kann er eine Polizeirazzia in seiner Buchhaltung gebrauchen. Also bekommt Smartje eine massive Strafpredigt wegen der undurchsichtigen Zulagenaffaire und gleich darauf ein Lob für seine Umsicht in Sachen Hehlereiverdacht. Der Sekretärin, die auf undurchsichtige Weise in die Sache verwickelt scheint, vertraut er nun nicht mehr. Sie muss weg aus seiner unmittelbaren Umgebung und bekommt einen Arbeitsplatz in der Registratur. Hinter dem Spirituosenlager, Schnapskeller genannt, ist noch ein fensterloser Raum, da werden ebenfalls Alkoholika gelagert, zum Beispiel zur Zeit eine Kiste Sauerländer Edelbrand – ohne Absender, ohne Lieferschein. Herma bekommt einen schönen Mahagoni – Schreibtisch und die Aufgabe, hier eine Registratur einzurichten und die Vorräte zu inventarisieren.

Lauenberger ahnt nicht, wie sehr Smartje sich als Sieger fühlt: Für das Abkassieren nicht mehr als markige Worte? Und ein leichenblasser Lauenberger bei der Erwähnung des Vorfalles in der Edelbrand-Distillerie? Er ist sicher, dass er Oskar Lauenberger vor der Flinte hat.

Unten im Keller, im fensterlosen Verlies mit allerlei Karteikarten und alten Registraturbänden, entwickelt Herma Bienenemsigkeit. Der Commis, ein gutherziger Junge, läuft und läuft und bringt ihr die alten Bücher, in die seit Jahren niemand mehr einen Blick geworfen hat. Herma ist elektrisiert. Da gab es vor ihrer Zeit einen Buchhalter Werner Biebrich, der wegen Unregelmäßigkeiten mit Lieferantenrechnugen gefeuert und dann auch noch vor Gericht gestellt wurde. Nachfolger des entlassenen Biebrich wurde damals Smartje Brinkmann. Herma will unbedingt Zugang zum Hauptarchiv um an die alten Geschäftsbücher heranzukommen.

Der Weg dazu führt über Smartje.

Ein paar Nächte lang hat Smartje ein Kuscheltäubchen im Bett und er fragt sich, welche Rechnung ihm dafür wohl präsentiert wird. Wenn Herma neben ihm liegt, wird ihre Stimme zu einem lauten Flüstern, mit einem leichten Kratzton. Ich bin hier und doch nicht hier.

Dann ist es heraus - sie will wieder heraus aus der Kellerhöhle, in sein Vorzimmer will sie.

Also gut, Faktum ist ihm egal, aber er will wissen, was dahintersteckt. Der Commis bekommt einen kleinen Braunen zugesteckt und passt auf, was die neue Sekretärin des Prokuristen so alles an Unterlagen anfordert. Passt auf und notiert es auf einem Zettel, den er dann in einen Spalt im Schreibtisch des Prokuristen schiebt. Die Mausefalle ist aufgestellt.

Smartje ahnt, warum Herma sich für die Affaire um Biebrich interessiert. Er ahnt an diesem Abend auch, was sie vor hat.

In ihrer nachmittäglichen Lektüre eines Jahrganges Lieferantenrechnungen mit Biebrichs Handschrift stößt sie auf einen Namen, den sie in der Firma noch nie gehört hat, den sie aber aus beiläufigen Bemerkungen Smartjes kennt: Walter Dreher, den Smartje seinen Freund nennt.

Und sie findet auch die Zeile, die am Anfang dieser Freundschaft steht: Die zweite , unberechtigte Anweisung von Drehers Rechnung.