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FOLGE 3 - PATIENT X: Joey Falk lebt in Zone 0. Hier, wo sich kein Cop, kein Sniper und keine Security-Agency hinwagt und die Menschen sich selbst überlassen und den Smashern schutzlos ausgeliefert sind, verdient Joey sein Geld als Cage-Fighter. Er ist der beste. Doch die Zuschauer verlangen nach mehr. Gemeinsam mit seinem Kumpel Max soll er in den Käfig steigen und gegen die ultimativen Gegner kämpfen: Smasher. Joey hat Skrupel, aber Max braucht das Geld. Für seine Flucht. Denn Max wird gnadenlos gejagt, seitdem er als einer von wenigen Menschen eine Smash-Vergiftung überlebt hat.
DIE SERIE: Ein fremdartiges Toxin verbreitet sich rasend schnell - Smash. Wer damit infiziert wird, verwandelt sich innerhalb von Sekunden in einen vor Wut rasenden Smasher, der seine Mitmenschen anfällt und zerfetzt, bevor er selbst stirbt. Niemand weiß, wer hinter der Verbreitung des Gifts steckt. Klar aber ist: In einer Gesellschaft am Rande des Zusammenbruchs sind Smasher nicht dein größer Feind.
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Seitenzahl: 145
Cover
Die Serie
Folge 3: Patient X
Über den Autor
Titel
Impressum
1. Kapitel: Cage-Fight
2. Kapitel: Bar-Fight
3. Kapitel: Street-Fight
4. Kapitel: Aufräumarbeiten
5. Kapitel: Peinliche Befragung
6. Kapitel: Patient X
7. Kapitel: Mephisto
8. Kapitel: Smasher-Fight
9. Kapitel: Erlösung
10. Kapitel: Abrechnung
Epilog
In der nächsten Folge
Ein fremdartiges Toxin verbreitet sich rasend schnell – Smash. Wer damit infiziert wird, verwandelt sich innerhalb von Sekunden in einen vor Wut rasenden Smasher, der seine Mitmenschen anfällt und zerfetzt, bevor er selbst stirbt. Niemand weiß, wer hinter der Verbreitung des Gifts steckt. Klar aber ist: In einer Gesellschaft am Rande des Zusammenbruchs sind Smasher nicht dein größer Feind.
Joey Falk lebt in Zone 0. Hier, wo sich kein Cop, kein Sniper und keine Security-Agency hinwagt und die Menschen sich selbst überlassen und den Smashern schutzlos ausgeliefert sind, verdient Joey sein Geld als Cage-Fighter. Er ist der beste. Doch die Zuschauer verlangen nach mehr. Gemeinsam mit seinem Kumpel Max soll er in den Käfig steigen und gegen die ultimativen Gegner kämpfen: Smasher. Joey hat Skrupel, aber Max braucht das Geld. Für seine Flucht. Denn Max wird gnadenlos gejagt, seitdem er als einer von wenigen Menschen eine Smash-Vergiftung überlebt hat.
J.S. Frank hat nach seinem Germanistik-Studium mehr als zwanzig Jahre für ein internationales Medien-Unternehmen gearbeitet. Seit 2013 ist er freier Autor mit einem ungebrochenen Faible für die anglo-amerikanische und französische Literatur. J.S. Frank ist ein Pseudonym des Autors Joachim Speidel, der mit seinen Kurzgeschichten bereits zweimal für den Agatha-Christie-Krimipreis nominiert war.
J.S. Frank
Smash99
FOLGE 3
Patient X
beBEOYND
Digitale Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Uwe Voehl
Projektmanagement: Stephan Trinius
Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de unter Verwendung von Motiven © shutterstock/501room; © shutterstock/Molodec; © shutterstock/Bildagentur Zoonar GmbH; © shutterstock/Aleksandra Kovac
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-3278-0
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Die Faust schlägt in sein Gesicht ein. Ein Knacken. Blut schießt ihm aus der Nase. Er ist irritiert. Wasser füllt seine Augen.
Ich juble innerlich. Setze nach. Er weicht zwei, drei Schritte zurück, das ist schon mal ein gutes Zeichen. Er ist nur noch eine Handbreit von den Gitterstäben entfernt. Ich muss ihn dort hintreiben, ihn mit meinen Fäusten ans Eisen nieten. Dann ist er am Arsch!
Doch Roloff geht auf einmal zum Gegenangriff über. Ohne Respekt und Achtung. Schüttelt sich, pariert jeden Schlag, spielt Konter aus. Punktiert meine Rippenbögen mit seinen Knien, mit richtig fiesen Knee-Strikes.
Roloff, fast zwei Meter groß, mit Armen und Beinen dick wie Baumstämme, ist mindestens zwanzig Kilo schwerer als ich. Beim Cage-Fight in der City-Hall gibt’s keine Gewichtsklassen. Alles ist erlaubt. Er kann mich hier zu Frikassee verarbeiten – unter den Augen des werten Publikums. Auf einen Ringrichter, der in der Not dazwischen geht, hofft man vergebens. Man ist auf die Gnade des Gegenübers angewiesen. Entweder hört er von alleine auf, wenn er merkt, dass es keine Gegenwehr mehr gibt, oder er kriegt mit, wenn man abklatscht oder bewusstlos ist. Oder tot.
Ich ducke mich, eine Faust, massig wie eine Abrissbirne, rast über mir hinweg. Wir kämpfen nicht mit schicken Box-Handschuhen. Auch die dünnen Martial-Arts-Handschuhe sind verpönt. Wir kämpfen mit bloßen Fäusten. Bare-Nuckle – astrein und unverfälscht.
Im nächsten Moment saust erneut sein Knie hoch. Ich drehe mich weg. Er trifft mich am Oberschenkel. Glück gehabt. Hätte anders aussehen können. Von uns trägt keiner ein Suspensorium, das einem die Kronjuwelen schützt. Ein Treffer im Unterleib, und der Kampf ist von einer Sekunde auf die andere zu Ende.
Roloffs Glatzkopf, mit schwarzen Runen-Tätowierungen verziert, glänzt vor Schweiß. Langsam flippt der Hüne aus. Er weiß, seine Chance auf einen raschen Sieg ist verflogen. Er versucht es jetzt auf die brachiale Methode. Drischt auf mich ein, als wäre ich ein Box-Sack. Er stöhnt, schreit, brüllt.
Für mich heißt es: Verteidigung. Deckung hoch. Ausweichen. Mich von den Gitterstäben fernhalten.
Hier in der City-Hall ist ein Cage-Fight noch ein richtiger Fight in einem richtigen Käfig. Kein so ’n Kinderkram mit Maschendraht. Der Käfig befindet sich in der Mitte der Halle und misst sechs mal sechs Meter, so groß etwa wie ein Boxring. Die Gitterstäbe sind im Boden und in der Decke fest verankert, gehen also gute acht Meter in die Höhe. Ja, die City-Hall ist kein Kinderzimmer, kein Separee, keine Wohlfühl-Lounge. Im letzten Jahrhundert war sie mal eine Werkshalle. Hier passen vielleicht hundert Leute rein. Und alle wollen einen Platz ganz nah am Käfig ergattern. Damit ihnen nichts entgeht.
Ich hoffe, dass er müde wird. Roloff hat die Kraft eines Elefantenbullen, aber die Kondition eines Rentners mit Sauerstoffflaschen am Rollator. Meine Muskulatur ist angespannt. Ich habe alles im Griff. Denke ich jedenfalls.
Ein Irrtum! Ein Moment der Unachtsamkeit. Er packt mich. Hebt mich hoch. Ich setze eine Halsklammer an. Er zieht den Kopf ein. Seine Trapezmuskeln treten wie Berge hervor. Ich versuche, seine Hüfte mit den Beinen zu umfangen. Bin chancenlos. Er hievt mich noch eine Etage höher. Grunzt. Ich weiß, was der Scheißkerl vorhat. Er holt jetzt Schwung. Schleudert mich zu Boden. Mit voller Wucht. Auf den Beton. Ich liebe Betonböden. Ich liebe es, auf ihnen zu kämpfen. Gepolsterte Böden sind nur was für Memmen. Muss die Muskeln rechtzeitig anspannen. Ziehe den Kopf in der Luft ein. Wenn ich damit aufpralle, ist das Genick gebrochen.
Wenn ich Glück habe.
Vielleicht bin ich dann aber auch gelähmt. Vom Hals abwärts. Das wäre so eine Scheiße. Ich kann nur hoffen, dass die Kumpels mir in so einem Fall auf dem Weg in die Katakomben ein Kissen aufs Gesicht drücken. Für den Rest des Lebens in einem Pflegebett dahinvegetieren – nee, das wär nichts für mich.
Knalle auf den Beton. Rechte Schulter, rechter Rückenmuskel, rechte Hüfte. Ein Schmerz sticht hoch bis ins Hirn. Sehe über mir Roloff, der sich auf mich wirft. Kann gerade noch die Arme vors Gesicht bringen.
Er landet auf mir. Ich ächze wie eine ausgetretene Holzdiele. Das Publikum, das direkt hinter den Gitterstäben steht, johlt, man bespritzt uns mit Bier.
Die Adern an seinen Armen, seinen Schultern, seinem Hals schwellen an. Ich sehe den Wahnsinn in seinen Augen! Sehe, dass er mich umbringen will. Wir kennen uns schon seit gut einem Jahr. Haben den einen oder anderen Fight schon miteinander gehabt. Er ist langsam, ich bin schnell. Er schlägt wie ein Vorschlaghammer, ich schlage gezielt. Er ist verrückt, ich gehe systematisch vor. Er ist kein schlechter Kerl. Wir sind keine Freunde, aber wir haben immer einigermaßen fair miteinander gekämpft. Bislang. Jetzt will er mich auf einmal erledigen. Will mich am liebsten tot sehen. Ich sehe die Vorfreude! Sehe, wie ihm fast einer abgeht. In seinen Augen steht die Mordlust. Was zum Henker ist mit ihm los? Seine Fäuste wirbeln, er will mir den Schädel einschlagen, den Betonboden mit meinem zermanschten Hirn beschmieren.
Meine Hand schießt hoch. Reflexartig. Die Finger gestreckt. Starr wie ein Buchenbrett. Sie stechen in seinen Kehlkopf.
Roloff erstarrt in der Bewegung. Der Mund klappt auf. Die Augen ploppen fast aus dem Schädel. Seine Hände gehen hoch zum Hals. Ich drehe mich, werfe ihn ab. Im nächsten Moment bin ich auf den Beinen.
Die Rufe des Publikums verhallen. Ich höre meinen Atem rasseln. Wische mir Schweiß und Blut aus dem Gesicht.
Roloff berappelt sich wieder. Springt auf. Seine Mordlust hat nur für einen Moment ausgesetzt. Er stürzt sich auf mich. Ich erwische ihn mit einem harten Punch, er wird gegen die Käfigwand geschleudert. Fällt.
Jetzt ist es an mir, die Initiative zu ergreifen. Er ist am Boden, breitet haltsuchend die Arme aus. Die rechte Hand umfasst einen Gitterstab. Der Ellenbogen drückt auf den Gitterstab daneben. Dazwischen der Unterarm. Ein wahnwitziger Gedanke. Ich hole aus. Komme mir vor, als wäre ich auf dem Fußballplatz. Ein Freistoß aus dreißig Metern. Ich trete zu. Der Tritt des Jahrhunderts. Ich schieße eine Kanonenkugel ins Weltall. Ich zertrete Roloffs rechten Unterarm, die Elle, die Speiche.
Ein Knall erfüllt die Halle. Schockstarre in den Kehlen der Zuschauer.
Die Knochen splittern, durchstoßen Muskeln und Haut. Die Blutströme halten sich seltsamerweise in Grenzen. Offensichtlich sind keine lebenswichtigen Adern verletzt worden. Roloff nimmt alles nüchtern zur Kenntnis, als wäre ein Pickel auf seinem Arm geplatzt. Er ist schneller auf den Beinen, als mir lieb ist. Anscheinend hat er kein Schmerzempfinden, nicht das geringste. Aber ich kenne das, eine hohe Adrenalin-Dosis wirkt wie eine örtliche Betäubung.
Unbeeindruckt marschiert er auf mich los. Tritt abwechselnd mit beiden Beinen zu. Roundhouse-Kicks in Richtung Kopf. Der Fluch der Chuck-Norris-Filme.
Ich zögere wegen seiner Verletzung. Bin irgendwie gehemmt und wehre nur ab. Weiche zurück. Nach den Tritten setzt er seinen rechten Arm wie eine Sense ein. Die Hand mit der Hälfte seines Unterarmes baumelt wie ein loser Klöppel herab. Aber die spitzen, scharfen Knochen von Elle und Speiche, die wie Messer aus seiner Haut herausragen, sausen ein ums andere Mal an meinem Gesicht vorbei. Als ich eine Etage tiefer gehe und nach seinen Beinen greife, fahren mir die gesplitterten Knochen über die Stirn. Ich bleibe trotzdem an ihm dran, packe ihn, schmeiße ihn zu Boden. Springe auf seine Brust. Beginne, seinen Schädel zu bearbeiten. Ich weiß, ich muss ihn ausknocken.
Dass er abklatscht, glaube ich nicht.
Dann – wieder einmal – überrascht er mich: Er stößt die blanken Knochen hoch in mein Gesicht, sie zischen vorbei, ich kriege den Arm zu packen, drehe ihn in die entgegengesetzte Richtung und – zack – reißen die Knochen ihm die Halsschlagader auf.
Blut schießt mir ins Gesicht. Eine wahre Fontäne. Ich lasse den Scheißkerl los, hämmere mit den Fäusten in seine Fresse. Alles wird schmierig, meine Schläge gleiten ab. Seine Gegenwehr lässt nach. Die Kräfte schwinden. Ein Blutteich bildet sich um seinen Kopf. Die Leute sind aus dem Häuschen. »TÖTE IHN!« … »TÖTE IHN!« … »TÖTE IHN!« Die Daumen zeigen nach unten.
Es ist Zeit, den Dampfhammer rauszuholen. Meine Finger verhaken sich ineinander. Ich hebe die Hände über den Kopf.
Doch dann blicke ich in Roloffs Augen. Sämtliche Mordlust ist aus ihnen gewichen. Er starrt verunsichert zu mir hoch. Ungläubig. Seine Lippen zucken. Er will was sagen. Ich weiß nur, dass ich nicht zuschlagen kann.
»TÖTE IHN!« … »SCHLACHTE IHN AB!« … »SCHLAG IHN TOT!«
Die Menge tobt, sie bewirft mich mit Bierbechern, Dosen, zerknülltem Fresspapier. Wahnsinn, wie schnell das geht. Sein Arm mit den gebrochenen Knochen hebt sich. Er könnte ihn mir ins Gesicht stoßen. Doch die Geste bedeutet etwas anderes. Roloff, dieses Arschloch, das vor wenigen Minuten versucht hat, mich umzubringen, bittet um Gnade.
Ich schreie: »EIN ARZT! EIN ARZT, VERDAMMT NOCH MAL!« Aber da kommt kein Arzt. Roloff wird bleich. Er läuft aus. Ich drücke die Hände auf die Wunde am Hals. Aber es ist sinnlos. Die Finger schmieren ab. »EIN VERBAND! IRGENDWAS!«
Ich kriege »FEIGLING« … »WEICHLING« … »LUSCHE« zu hören. Und lautes Gelächter.
Dann landet ein Sweat-Shirt auf dem Betonboden neben mir. Von irgendwoher. Ich grapsche es und presse es gegen die zerrissene Halsschlagader. Es klappt. Es saugt sich voll, der Körper hört auf auszubluten. Roloff verdreht die Augen. Sein Arm fällt zu Boden. Im nächsten Moment wird die Zellentür aufgerissen. Zwei Männer stoßen mich zur Seite. Die beiden fetten Sanitäter, die drüben in der Dead End Bar herumlungern. Ernie und Bert, kein Mensch weiß, wie sie richtig heißen. Sie kümmern sich um Roloff wie um ein frisch geborenes Baby.
Lautes Pfeifen, das zunehmend anschwillt. Es wird gebuht. Roloff wird auf eine Trage geschnallt und hinausgetragen. Ich knie noch in seinem Blut.
So sehen Sieger aus.
Eine kleine Schnapsflasche trifft mich mit voller Wucht an der Stirn.
***
Ich bin recht glimpflich davongekommen. Ein Cut unter dem Auge, ein klaffender Schnitt in der Stirn von den Säbelknochen. Nachdem der Notarzt da war und Roloff mit einem Sanitätswagen abgeholt wurde, vernäht Bert mir die Wunden. Er verzieht keine Miene. Er sticht durch die Hautlappen und zieht sie zusammen. Der Schmerz ist erträglich. Es brennt, es pocht. Aber man muss nicht mal die Zähne zusammenbeißen. Man weiß, dass es bald vorbei ist.
Nachher begutachte ich das Ganze im Spiegel. Ein geschwollenes Gesicht. Leicht verzerrte Züge. Die Fäden in der Haut. Ich gehe mich duschen. Nehme eine Flasche Jack Daniels mit.
Später findet man mich drüben in der Dead End Bar an der Theke. Manchmal stehe ich dahinter, zapfe Bier, fülle Gläser mit allerlei absonderlichem Zeug. Für den Job bin ich angemeldet, sozialversichert. Ein stinknormaler Arbeitnehmer. Für das Tohuwabohu in der City-Hall bin ich nur ein Zirkuspferd.
Ernie und Bert stehen neben mir an der Theke. Zwei Zwanzigtonner. Die Wildecker Herzbuben der Sanitäter. Die Biergläser sehen wie Eierbecher in ihren Schaufellader-Händen aus. Sie leeren ein Glas nach dem anderen.
Nach und nach füllt sich die Bar. Etliche Gäste, die mich angebrüllt, mich angestachelt haben, Roloff abzumurksen, sind schon da. Beäugen mich misstrauisch. Nach meinem Fight finden noch ein paar weitere Kämpfe statt, aber sie scheinen nicht so prickelnd zu sein. Bei mir sind die Leute beinahe Zeugen eines Totschlags geworden! Das ist schon ein anderes Spektakel! Für so was zahlt man gerne die hohen Eintrittspreise!
Einige klopfen mir auf die Schulter. Die Wut ist verraucht. Vielleicht sind die einen oder anderen auch wieder zur Besinnung gekommen. In die City-Hall geht man, um Fights zu sehen, bei denen alles, jeder Schlag, jeder Tritt, jeder Wurf erlaubt ist. Da brechen Knochen, da geht auch mal einer hops. Dafür zahlen die Leute eine ganze Stange Geld. Da können sie die Sau rauslassen. Den Neandertaler. Aber wenn die Show vorbei ist, wird der Krawattenknoten geradegerückt, man blickt sich um und wundert sich über all die Primitivlinge, Dummbeutel und Schreihälse, die um einen herumstehen.
Die City-Hall und die Dead End Bar befinden sich in einer sogenannten ZONE 0. Die Stadt ist eingeteilt in Sicherheitszonen. Der Bahnhof, der Flughafen, das Rathaus und ganz bestimmte Plätze und Örtlichkeiten liegen dagegen in einer ZONE 10. Höchste Sicherheitsstufe. Dort sind die Hauswände, ist jeder Busch, jedes Verkehrsschild mit Überwachungskameras vollgeklatscht. Kein Wurm kann sich in ZONE 10 über den Asphalt schlängeln, ohne dass er nicht auf unzähligen Monitoren zu sehen ist. Auch steht an jeder Ecke Sicherheitspersonal, entweder von privaten Securitys oder von der Polizei. Nachdem in Deutschland der Ausnahmezustand ausgerufen worden ist, kann aber auch eine ganze Armee-Einheit hier Patrouille schieben.
Und als ob das alles nicht reichen würde, haben sich überall auf den Dächern, auf Balkonen, in leeren Wohnungen Scharfschützen positioniert, die alles abchecken, was sich in ihrem Sichtfeld so tut. Und wenn irgendein armes Schwein sich in einen Smasher verwandelt, wird er innerhalb kürzester Zeit atomisiert.
Es hat sich viel verändert in Deutschland im Zeitalter von Smash. Im September des letzten Jahres ist es zum ersten Smasher-Vorfall gekommen. Ein Verkäufer in Berlin hat aus dem Nichts heraus ein paar Passanten angegriffen und Hackfleisch aus ihnen gemacht. Und in den Tagen darauf haben sich überall im Land harmlose Zeitgenossen in blutrünstige Berserker verwandelt und wahre Blutbäder angerichtet. Zum Glück sind ihre Zerstörungswut und ihre Mordlust nur von kurzer Dauer. Sie kollabieren schon nach wenigen Minuten und sterben meistens an Ort und Stelle. Oder sie werden von Scharfschützen der Polizei, der Security oder der Armee liquidiert.
Dabei handelt es sich bei ihnen ja eigentlich um arme Schweine. Um Menschen wie du und ich. Sie haben nur das Pech, vergiftet zu werden – mit Smash, einem Teufelszeug, das aus ihnen kraftstrotzende, rotierende Fleischwölfe macht. Irgendwelche Arschlöcher versetzen Lebensmittel, Getränke und sogar Rauchwerk mit dem Gift oder jagen dir feinste Spritzen mit der Substanz in den Blutkreislauf, wenn du gerade im Café sitzt oder auf deinen Bus wartest. Zwar wird seit den ersten katastrophalen Massenmorden alles peinlichst untersucht, kontrolliert und überwacht, aber immer wieder passiert es doch, dass sich innerhalb von Sekunden ein harmloser Mensch in einen Schlächter verwandelt.
Dass es sich bei diesen Gift-Attacken um sehr effektive Terroranschläge handelt, ist relativ schnell klar gewesen. Die innere Sicherheit hat empfindlich zu wackeln begonnen. Die Politiker sind von morgens bis abends nur am Stottern, und irgendwelche Welterklärer sagen das gesellschaftliche Armageddon voraus. Die Nachrichtendienste, die Kriminalämter – alle rotieren seit Monaten an der Belastungsgrenze. Terror-Spezialisten und Toxikologen aus der ganzen Welt werden eingeflogen, um zu helfen. Über die Hintermänner hat man seltsamerweise bislang nichts Handfestes rauskriegen können. Ein Witz! Kaum zu glauben, aber wahr! Jeden Tag werden neue Erfolgsmeldungen, neue Erkenntnisse, neue Durchbrüche in der Terror-Aufklärung verkündet. Und am Tag darauf wird wieder alles zurückgenommen. Nur eines hat sich im Laufe der Zeit als erfolgreich erwiesen: die innere Mobilmachung und – grünes Licht für die Scharfschützen. Seit sie die Lizenz nicht nur zum finalen, sondern auch zum präventiven Todesschuss haben, sind schon etliche Smasher ausgeschaltet worden, bevor sie ein Blutbad anrichten konnten. Gut, ein paar Epileptiker oder Betrunkene mussten auch dran glauben, weil den Snipern der Finger am Abzug gejuckt hat, aber solche Fälle werden gemeinhin als unvermeidliche Kollateralschäden verbucht.
Was die einzelnen Zonen angeht: Egal ob ZONE 10 oder ZONE 1 – letztendlich unterscheiden sie sich nur in der Dichte des Sicherheitsnetzes.