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Bernd Fischer schrieb diese Anekdoten aus seiner Kindheit und Jugend auf, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Er erzählt von einer Kindheit in der Nähe des Krieges, von Verlust, Erinnerung und Kinderstreichen. Dazu lässt er Einblicke in die Feldpostbriefe seines Vaters aus dem Jahr 1943 zu, - aus jenem Russlandfeldzug, der ihm den Vater nahm. Als Anlage darf der werte Leser aus dem Tagebuch seiner Mutter lesen, in dem sie eine Flucht von Buschow nach Stendal im Jahr 1945 schildert.
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Seitenzahl: 83
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BERND FISCHER
SO WAR DAS
DAMALS
BEI UNS
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2017
Bibliografische Information durch die Deutsche
Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek
verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte bei Bernd Fischer
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
Nein, Nicht Zurück!
Einst unter Linden
Im Februar
Mein Geburtstag 1943
Jedes Körnchen Möchte ich Finden
Wie war er?
Vaters Feldpostbriefe
Wärme und Geborgenheit
Kurz vor Ratzeburg
Zuhause
Kurzer Aufenthalt
Anhang: Flucht aus Buschow
Mittwoch, den 25.4.45
Donnerstag, der 26.4.45
Freitag, den 27.4.45
Sonntag, den 29.4.45
Montag, den 30.4.45
Dienstagabend, den 1.5.45
Mittwoch, den 2.5.45
Donnerstag, den 3.5.45
Freitag, den 4.5.45
Sonnabend, den 5.5.45
(Sonntag, den) 6.5.45
Montag, den 7.5.45
(Montag, den) 14.5.45
Pfingsten (20.-21.5.)
(Dienstag,den) 22.5.(45)
(Dienstag, den) 29.5.(45)
Mittwoch, den 30.5.45
Donnerstag, den 31.5.45
(Freitag, den) 1.6.45
Sonntag, (den 3.6.45)
Montag (,den 4.6.45),
Dienstag Mittag, den 5.6.(45)
(Mittwoch, den 6.6.45)
Donnerstag, den 7.6.(45)
Freitag, den 8.6.(45)
Erinnerungen allein werden zu keiner Biographie, sondern sie sind einzelne Momente, bzw. Einzelgeschichten, die nur durch die Phantasie zu einem Roman verknüpft werden. Dabei besteht aber die Gefahr, dass alles Biografische zur spekulativen Wahrhaftigkeit wird.
Als ich eines Tages alt, Großvater, ja sogar Urgroßvater war und anfing, von »früher« zu erzählen, sagten meine Kinder und Enkel, ich solle meine Geschichten doch einfach mal aufschreiben. Einfach!? Ha, wenn das so einfach wäre …! Sie sollten eigentlich aus ihrer Schulzeit wissen, welche Mühe schriftliches Formulieren macht. Das Schreiben kann richtig in Arbeit ausarten. Ich habe zwar Phantasie, dachte ich, da könnte ich doch aus meinen Erinnerungen zumindest eine zusammenhängende Erzählung machen. Pustekuchen! Diese Ausdauer und Konzentrationsfähigkeit habe ich nicht mehr. Leider! So soll es bei einzelnen Geschichtchen und Gedichtchen bleiben.
Ich weiß nicht, ob die Kinder keine Zeit hatten, meine Erlebnisse zu hören (so oft hatte ich doch gar nicht Gelegenheit, darüber zu berichten). Oder hatten sie mehr Interesse, ihre eigenen, augenblicklichen Probleme vorzutragen? – Wenn ich es mir richtig überlege, habe auch ich erst seit Erreichen des Rentenalters tieferes Interesse, Begebenheiten weiterzuerzählen, die aus meinem Leben und der Familie stammen. Deshalb in den Bücherschrank mit dem Geschriebenen und hervorgeholt nur, wenn entsprechendes Interesse zum Lesen oder Vorlesen da ist.
Und nun ich gebe mir natürlich Mühe, wahrheitsgemäß zu berichten.
Ich habe ein weitgehend optisches Gedächtnis. Deshalb sei es mir erlaubt, Bilder intensiver zu schildern, die ich tatsächlich mit den Ereignissen vor meinen inneren Augen habe. Diese Momentaufnahmen sind teilweise erstaunlich klar. Klarer zuweilen als Dinge aus der nahen Vergangenheit. Ergreift mich schon altersgemäße Demenz?! – Ehe das fortschreitet und das Erinnern total verschüttet wird, habe ich mich getraut, diese kleinen Aufsätze über Begebenheiten aus meinen ersten Lebensjahren zu schreiben und zu veröffentlichen.
Beucha, im April 2017
Das Holz war warm. Es fasste sich gut an. Man fühlte sich auch sicher, denn auf dem unteren Balken fanden meine fünfjährigen Füße gut Platz. Und wenn ich die Arme über den Kopf ausstreckte, konnte ich bequem das mittlere Kantholz umfassen, um mich festzuhalten. Hinten unter mir an der Stütze stand Jochen und sah mir skeptisch nach, als ich über die aufgestapelten Strohballen und dann an der Säule bis kurz unter das Dach der riesigen Scheune geklettert war.
»Jochen, komm mit auf die andere Seite!«, hatte ich ihm zugerufen. »Es ist ganz einfach.«
Aber der hatte nur mit dem Kopf geschüttelt, nichts gesagt und war auf der halben Höhe, auf dem Stroh geblieben. Hatte er Angst oder durfte er nicht? Manchmal war er wirklich etwas komisch. So wie kürzlich, als wir wieder vor dem Kirchentor spielten. Seine Schwester und ich hatten unsere unterschiedlich ausgebildeten Körperregionen unterhalb des Bauchnabels begutachtet, da lief er zum Loch im Zaun und rief: »Das sag’ ich aber!« und verschwand im Gutspark … Dabei war er mein bester Freund; mit ihm konnte man richtig spielen, anders als mit dem großen Kurti. Der bohrte zwar in der Schmiede seines Vaters für uns Jungen aus Kupferpfennigen tolle Ringe, die man dann überall herumzeigen konnte, aber spielen…?
Hier auf dem Balken wurde mir klar, dass ich nun allein dorthin auf die andere Seite der Tenne balancieren musste. Ich war zügig, allerdings auch vorsichtig, etwa zwei Meter vorangekommen, als ich mit leichtem Erschrecken merkte, dass der Mittelbalken, an den ich mich klammerte, immer weiter nach unten verlief. Zuerst war es mir gar nicht aufgefallen, dass ich mich nicht mehr über dem Kopf festhielt, sondern dass sich dieses Schrägholz seitlich am Oberkörper befand. Ratlos setzte ich mich erst einmal auf den unteren Balken. Dort hinten stand Jochen und beobachtete mich. Ich fühlte deutlich dessen Blicke im Rücken. Ich konnte doch jetzt nicht aufgeben!
Wir waren vom Park her gekommen, wo Jochen durch das Loch im Zaun den Kirchenvorplatz erreichen konnte, der zwischen unseren Wohnungen lag, und ich musste mich auf der anderen Seite durch das Geäst der Holundersträucher an der Turnwiese zwängen, um zu diesem Treffpunkt zu gelangen. Mit dem Kiessand vor der Kirchentür spielten wir oft. Heute waren wir beide durch den Parkzaun gekrochen, von Baum zu Baum, ständig uns versteckend, gelaufen, danach an den weißen Außenwänden des lang gestreckten Kükenaufzuchtsgebäudes vorbeigeschlichen, hatten uns gebückt wie angreifende Soldaten dem halb offenen Tor der Scheune genähert und waren dann mit schnellen Schritten hinein auf die linke Seite gerannt, die Sprossenleiter hinauf und fröhlich in das Stroh gekugelt. Aber das Gängebauen zwischen den Strohballen hatte nicht lange gedauert, denn hier machte das Herumtollen nicht so großen Spaß wie in der Feldscheune. Dahin konnten wir heute nicht, dort wurde gearbeitet. Ja, in der Feldscheune, da lag das frische Stroh. Das roch ganz anders. Das war noch biegsam. Die Gebinde hielten dort fest zusammen. Nichts fiel auseinander. Da konnte man tolle Gänge bauen. Hier in der Hofscheune war das Stroh alt, die Halme brachen leicht und die kleinen Bruchstücke krabbelten in den Kragen, rutschten den Rücken hinunter und kitzelten und kratzten fürchterlich. In den dunklen Gängen atmete man dicken Staub durch Nase und Mund ein, so arg, dass wir noch im Freien husten und spucken mussten. Das war höchst unangenehm. Kein Wunder also die Suche nach einer anderen Herausforderung.
Hier unter dem Blätterdach
standen früher die Leiterwagen;
denn es wurden gegenüber
den Pferden die Hufe beschlagen.
Fröhlich kletterten wir
über Deichsel und Speichen;
und vom Kutschbock wollten wir
auch am Abend nicht weichen.
Das Rufen, Lachen und laute Geschrei
wollte kein Ende finden.
Eure Kronen wiegten nur leise dabei,
ihr alten, ihr duftenden Linden.
Das Pflaster der Straße ist heute Asphalt,
nirgends Sand wie in Kindertagen.
Die Schule verlassen, das Kriegsdenkmal alt,
vor dem mich Vater getragen.
Er sieht mich glücklich vom Foto an
und Mutter zeigt Angst, dass ich falle.
Die Kirche verschlossen, gleich nebenan.
Sie träumen vom Gestern wohl alle.
Der Turm hat einen gewaltigen Riss,
er geht auch durch mein Empfinden.
Nur ihr besänftigt die Bitternis,
ihr alten, ihr duftenden Linden.
Der Ofen war weiß. Eigentlich nicht richtig weiß, zwei Seiten waren schattengrau in der Tiefe des Zimmers; nur die Fläche gegenüber dem Fenster war mattweiß. Durch die angelaufenen Scheiben drang ein fröstelndes Licht des verhangenen Februarmorgens herein, eher den Tag erstarrend als belebend. Die Helligkeit kam nicht wie sonst mit der Sonne von oben, nein, sie reflektierte vom nassen Schnee des Weges vor dem Haus von unten. Die kahle Mauer der Backstube gegenüber hatte dunkle Feuchtigkeitsflecken und der wie ein Finger in die graue Wolkendecke weisende Schornstein der benachbarten Bäckerei drückte waagerecht schmutzige Rauchwölkchen über die niedrigen Dächer. Der Morgen war fremd und unwirklich wie ein Traum, den man vergessen möchte.