Sommer der Gewissheit - Luise Klein - E-Book
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Sommer der Gewissheit E-Book

Luise Klein

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Beschreibung

Ein ereignisreicher Sommer am Meer voller Geheimnisse, Liebe und Freundschaft! Claire will nach einer schlimmen Trennung nur noch Abstand zwischen sich und ihr Leben in der Großstadt bringen. Spontan mietet sie ein Strandhaus direkt am Meer und erfüllt sich damit einen Kindheitstraum. Doch die erholsamen Sommermonate in dem Küstenort Seabrook verlaufen anders als geplant. Der Fund einer Frauenleiche versetzt die Bewohner der Kleinstadt in Aufruhr und weckt alte Erinnerungen. Denn vor zehn Jahren gab es bereits einen ähnlichen Todesfall. Während Claire immer tiefer in die Ereignisse hineingezogen wird, lernt sie den attraktiven Pastor Eric kennen, der widersprüchliche Gefühle in ihr auslöst. Ein aufregender Sommer stellt Claire vor ungeahnte Herausforderungen, während sie dabei ist, wieder zu sich selbst zu finden.

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Das Buch

 

Claire will nach einer schlimmen Trennung nur noch Abstand zwischen sich und ihr Leben in der Großstadt bringen. Spontan mietet sie ein Strandhaus direkt am Meer und erfüllt sich damit einen Kindheitstraum. Doch die erholsamen Sommermonate in dem Küstenort Seabrook verlaufen anders als geplant. Der Fund einer Frauenleiche versetzt die Bewohner der Kleinstadt in Aufruhr und weckt alte Erinnerungen. Denn vor zehn Jahren gab es bereits einen ähnlichen Todesfall.

Während Claire immer tiefer in die Ereignisse hineingezogen wird, lernt sie den attraktiven Pastor Eric kennen, der widersprüchliche Gefühle in ihr auslöst. Ein aufregender Sommer stellt Claire vor ungeahnte Herausforderungen, während sie dabei ist, wieder zu sich selbst zu finden.

 

Die Autorin

 

Luise Klein lebt in Süddeutschland. Zwischen der Begeisterung für die Berge und dem Sehnsuchtsort Meer hin- und hergerissen ist eine ihrer großen Leidenschaften das Reisen. Nachdem sie als begeisterte Leserin über die Jahre hinweg viele Bücher gelesen hat, entstand das Bedürfnis, ihre eigenen Geschichten zu schreiben. Mit ihrem Debütroman »Sommer der Gewissheit« begann diese neue Reise. Ihre Zeit verbringt sie gerne in der Natur und beschäftigt sich mit den Themen Kreativität und persönlicher Weiterentwicklung.

 

Weitere Informationen:

www.luiseklein.com 

 

LUISE KLEIN

 

 

SOMMER DER GEWISSHEIT

 

 

ROMAN

 

 

Copyright © 2021 Luise Klein

Coverdesign: Wolkenart - Marie-Katharina Becker,

 www.wolkenart.com unter Verwendung von: Bildmaterial

Korrektorat: SW Korrekturen e.U.

 

Luise Klein

c/o skriptspektor e. U.

Robert-Preußler-Straße 13 / TOP 1

5020 Salzburg

AT – Österreich

E-Mail: [email protected]

Weitere Informationen: www.luiseklein.com 

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf ohne Zustimmung der Autorin nicht wiedergegeben, kopiert, nachgedruckt oder anderweitig verwendet werden.

 

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. 

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
DANKSAGUNG

Kapitel 1

 

Der Wind peitschte ihr um die Ohren, als sie die Klippe hinab nach unten blickte. Obwohl die Sonne mit aller Kraft vom Himmel brannte, schoben sich, angetrieben vom Wind, immer wieder Wolken dazwischen und verdunkelten das Licht. Claire hielt sich am Geländer fest und streckte ihr Gesicht dem Meer entgegen. Der Anblick des Wassers löste etwas tief in ihrem Inneren. Schon immer hatte die Weite des Meeres diesen Effekt auf sie gehabt. Sie liebte das Geräusch der Wellen, und für sie, wie auch für viele andere Menschen, hatte das Meer eine heilsame Wirkung. Obwohl sie gerade erst angekommen war, merkte sie bereits jetzt, wie ein Teil der Anspannung nachließ. Zum ersten Mal seit Monaten war sie wieder in der Lage, frei zu atmen.

Vor wenigen Stunden war sie eher widerwillig in ihrer kleinen Wohnung aufgewacht. Der Großstadtlärm war sofort in ihr Bewusstsein gedrungen und hatte die pochenden Kopfschmerzen nur verschlimmert. Unter der warmen Bettdecke hatte sie still dagelegen und den Moment hinausgezögert, bis sie schließlich aufstehen musste. Doch sie hatte keine Wahl gehabt. Das vorbestellte Taxi war pünktlich eingetroffen und hatte sie zum Flughafen gebracht. Nach einem ereignislosen Flug war sie schließlich mit dem Mietwagen weitergefahren und befand sich nun an ihrem vorläufigen Ziel. Sie hatte sich bereits im Voraus nach diesem Ort erkundigt und ihre Wahl nicht bereut. Die Aussichtsplattform am Leuchtturm bot einen beeindruckenden Blick direkt auf den Ozean. Der Leuchtturm strahlte in hellem Weiß und war ein imposanter Anblick. Um sie herum erklang das fröhliche Lachen von Kindern, für die der Sommer die schönste Zeit des Jahres darstellte. Unterbrochen wurde das Gelächter nur von dem lauten Schreien der Möwen. Der perfekte Anfang für Wochen voller Sommertage, in denen die Sonne kraftvoll vom Himmel brannte.

Das Vibrieren des Smartphones in ihrer Tasche holte sie unsanft in die Gegenwart zurück. Frustriert zog sie es hervor und betrachtete die eingegangenen Nachrichten und Anrufe. Nachdem sie den Inhalt der Nachrichten überflogen hatte, schaltete sie das Gerät aus. Sie hätte das Gerät nach ihrem Flug gar nicht erst wieder einschalten dürfen, doch diesen Fehler würde sie so schnell nicht wiederholen. Zumindest hatte sie es vermieden, die Mailbox abzuhören. Das würde sie noch eine ganze Weile aufschieben. Sie hatte kein Interesse daran, seine Stimme zu hören.

Beinahe widerwillig löste sie sich vom Anblick des Meeres und stieg die Treppenstufen entlang der Felskante nach unten. Der Fels war rau und kantig. Die Ursprünglichkeit der Steine faszinierte sie. Man konnte ihnen ansehen, dass sie den Witterungsverhältnissen und der wilden Unberechenbarkeit des Meeres gnadenlos ausgesetzt waren. Auf dem Parkplatz angekommen, steuerte sie geradewegs auf ihren Mietwagen zu. Es war angenehm gewesen, sich nach der langen Autofahrt die Beine zu vertreten. Zum Glück war es nur noch eine kurze Strecke bis zu ihrer Unterkunft für die nächsten Wochen. Allmählich konnte Claire sich auf das Strandhaus freuen, und sie war gespannt, was sie vor Ort erwarten würde.

 

Nach wenigen Minuten auf der Hauptstraße bog sie in einen schmalen Weg ab. Die Zufahrtsstraße war voller Sand, und Claire hoffte inständig, dass ihr Mietwagen mit den Bodenverhältnissen zurechtkam. Doch sie machte sich umsonst Sorgen. Nachdem sie eine Weile dem Weg gefolgt war, öffnete sich zum ersten Mal ein Spalt in den Dünen und sie konnte einen kurzen Blick auf das Meer werfen. Allmählich wurde die Straße wieder breiter und die Dächer der ersten Häuser wurden sichtbar. Aufmerksam studierte sie die Nummern, bis sie schließlich fündig wurde und eine freie Parkbucht ansteuerte.

Erleichtert schaltete sie den Motor aus. Einen kurzen Augenblick lang saß sie da und lauschte auf die Stille in ihrem Wagen. Schließlich holte sie noch einmal tief Luft und stieg aus. Mit dem Gepäck in der Hand steuerte sie auf den Holzsteg zu. Oben angekommen blieb sie erneut stehen und blickte sich um. Der Steg gabelte sich und führte auf der linken Seite zu Häusern, die zwischen den Dünen gebaut worden waren. Geradeaus folgte man der Treppe direkt zum Strand. Am liebsten wäre Claire sofort zum Wasser gelaufen, doch langsam setzte die Abenddämmerung ein und sie wollte ungern in der Dunkelheit nach ihrem Ferienhaus suchen. Kurz entschlossen setzte sie ihren Weg fort. Nachdem sie zweimal falsch abgebogen war, hatte sie schließlich das richtige Haus gefunden. Sie war froh, als sie den schweren Koffer endlich auf der Veranda abstellen konnte. Die alten Holzlatten knarrten unter ihren Füßen, während sie nach dem Schlüssel suchte und schließlich die Haustür aufschloss. Von der Eingangstür blätterte bereits die Farbe ab und insgesamt wirkte das kleine Strandhaus etwas mitgenommen. Offenbar war es eine Weile her, dass die Außenfassade einen frischen Anstrich bekommen hatte. Doch im Inneren des Hauses war alles aufgeräumt und sauber. Die Einrichtung war ebenfalls nicht auf dem neuesten Stand, allerdings gefiel Claire der rustikale Charme der Holzmöbel. Auch wenn die Möbel bereits einige Jahre hinter sich hatten, war ihre gute Qualität nicht zu übersehen.

Es dauerte nicht lange, bis sie das gesamte Haus durchquert und in jedes Zimmer geblickt hatte. Neben einem großen Wohnzimmer sowie der Küche gab es im oberen Stockwerk noch zwei Schlafzimmer und ein kleines Bad. Das würde für die kommenden Wochen absolut ausreichend sein. Am besten gefiel ihr ohnehin die große Veranda, die einen direkten Blick auf den Strand und das Meer bot. Sie war sich sicher, dass sie dort sehr viel Zeit verbringen würde. Bei dem schönen Sommerwetter wollte sie sich viel draußen aufhalten, lange Spaziergänge machen und im Meer schwimmen gehen. Dafür hatte sie hier die besten Bedingungen.

Leider war es mittlerweile zu dunkel geworden, um noch an den Strand zu gehen. Claire wäre gerne ein kleines Stück spazieren gegangen und hätte die Füße ins Wasser gehalten. Nach einer Tradition aus ihrer Kindheit war sie erst dann offiziell angekommen, wenn sie mit den Füßen im Meer gestanden hatte. Doch das musste sie auf den nächsten Tag verschieben. Sorgfältig schloss sie die Haustür von innen ab und blickte sich in dem stillen Raum um. Von draußen drang schwach das Geräusch der Wellen zu ihr herein. Doch ansonsten war es ruhig und sie war allein in einem fremden Haus und einer unbekannten Umgebung. Unwillig versuchte sie das unangenehme Gefühl abzuschütteln. Sie hatte bereits vorher gewusst, dass ihr Entschluss, aus ihrem alten Leben auszubrechen und allein zu verreisen, in der Umsetzung nicht einfach werden würde. Doch schlimmer als die vergangenen Monate konnte es auch nicht mehr werden. Sie musste sich dieser neuen Herausforderung stellen und meistens war der Anfang ohnehin am schwierigsten.

 

Frühmorgens wurde sie von den ersten Sonnenstrahlen geweckt. Sie hatte am Abend zuvor nur die Vorhänge zugezogen und sich anschließend erschöpft ins Bett fallen lassen. Die Kleider vom Vortag lagen unordentlich über dem Sessel verteilt. Blinzelnd setzte sie sich auf und rieb sich über die Augen. Automatisch griff sie als Nächstes nach ihrem Smartphone, doch der kleine Holztisch neben dem Bett war leer. Überrascht stellte sie fest, dass sie das Gerät am Abend zuvor nicht mit ins Schlafzimmer genommen hatte. Vermutlich lag es noch immer in der Küche. Der rustikale Wecker mit dem großen Ziffernblatt konnte ihre Frage nach der Uhrzeit allerdings ebenso gut beantworten. Erstaunt wurde ihr klar, dass es zwar noch früh am Morgen war, sie die Nacht jedoch durchgeschlafen hatte. Es war ungewöhnlich, dass sie in einer fremden Umgebung von Anfang an gut schlafen konnte. Doch nach all den schlaflosen Nächten der vergangenen Wochen war dies eine willkommene Abwechslung.

Mit neuer Energie sprang sie aus dem Bett und lief ins Badezimmer. Um vollständig wach zu werden, benötigte sie erst einmal eine Dusche. Die Wasserleitungen ächzten und mit einem Schwall spritzte ihr eine Ladung Wasser entgegen. Erschrocken schrie sie auf. Das Wasser war eiskalt. Nachdem sie sich von ihrem ersten Schreck erholt hatte, musste sie lachen. Sie hatte geahnt, dass dieses Haus sie vor Herausforderungen stellen würde. Nach einer Weile hatte sie den Dreh raus und eine angenehme Wassertemperatur gefunden. Die nächsten Tage in dem alten Haus würden sicherlich noch das ein oder andere Abenteuer für sie bereithalten.

Kurze Zeit später stand sie auf der Veranda und beobachtete den Strand. Das Geräusch der brechenden Wellen vermischte sich mit dem Kreischen der Möwen in der morgendlichen Stille. Entspannt nippte Claire an ihrem Kaffee, während sie den Ausblick genoss. Um diese Zeit waren erst wenige Menschen unterwegs. Bislang hatte sie das Wasser lediglich aus der Ferne betrachtet und es zog sie magisch an. Das Strandhaus stand in vorderster Reihe in den Dünen, sodass sie nur wenige Meter laufen musste, bis sie den Sand unter ihren Füßen spüren konnte. Bevor sie sich auf den Weg in die Stadt machte, wollte sie unbedingt einen kurzen Abstecher zum Wasser machen. Kurz entschlossen trank sie den letzten Schluck von ihrem Kaffee, schloss die Haustür ab und machte sich barfuß auf den Weg zum Strand. Sie genoss das ungewohnte Gefühl und grub die Zehen tief in den kühlen Sand. Die erste Welle fand ihre Beine und durchnässte den Saum ihrer Hose. Schon jetzt bereute sie es, aufgrund mangelnder Alternativen eine lange Hose angezogen zu haben.

Da sie ohnehin Lebensmittel für die nächsten Tage einkaufen musste, konnte sie die Gelegenheit nutzen und sich gleich noch passendere Kleidung besorgen. Ihre Alltagskleidung war für die sommerlichen Temperaturen und den vielen Sand absolut ungeeignet. Sie hatte das Gefühl, in einer vollkommen anderen Welt gelandet zu sein. Ihr Alltag zu Hause erschien meilenweit entfernt. Genau aus diesem Grund war ein Szenenwechsel so dringend notwendig gewesen.

Während sie die Hosenbeine nach oben rollte, hielt sie ein Auge immer auf das Wasser gerichtet. Schon immer hatte sie die gewaltige Kraft des Wassers sowohl beängstigend als auch faszinierend gefunden. Sie war eine gute Schwimmerin, deren Erfahrung sich jedoch auf Schwimmbecken und Seen beschränkte, in denen es weder Wellen noch Strömungen gab. Daher begegnete sie dem Meer mit einer großen Portion Respekt.

Nachdem sie eine Weile am Strand entlanggelaufen war, machte sie sich schließlich mit wenig Begeisterung auf den Rückweg. In den nächsten Wochen würde sie noch häufig die Gelegenheit haben, den Strand zu erkunden. Daher freute sie sich umso mehr, dass ihr gemietetes Strandhaus direkt am Meer lag. Zumindest hatte sie sich in diesem Sommer einen lang gehegten Wunsch erfüllen können. Als Kind hatte sie immer davon geträumt, irgendwann in einem Haus am Meer zu leben. Und zumindest für kurze Zeit war dieser Traum jetzt in Erfüllung gegangen. Sie nahm sich vor, diesen Sommer besonders zu genießen.

Kapitel 2

 

Mit dem Auto waren es nur wenige Minuten Fahrzeit ins Zentrum des Ortes. Durch die Hilfe ihres Navigationssystems hatte sie den Weg ohne Probleme gefunden. Doch eigentlich hätte sie das Gerät gar nicht gebraucht. Der Ort war um einiges kleiner, als sie zuerst vermutet hatte, und die wenigen Straßen waren gut ausgeschildert. Sie parkte ihren Mietwagen in einer Nebenstraße und machte sich zu Fuß auf die Suche nach den Geschäften des Ortes. Im Strandhaus hatte sie eine Stofftasche gefunden, die sie sich um die Schulter hängte. Es dauerte nicht lange, bis sie einen Lebensmittelladen gefunden hatte. Sie betrachtete das Obst in den Kisten und bekam bei dem Anblick sofort Hunger. Jetzt machte es sich langsam bemerkbar, dass sie heute noch nicht gefrühstückt hatte.

Der Laden war nicht sonderlich groß, hatte aber eine gute Auswahl, sodass sie ihren Einkaufskorb schnell gefüllt hatte. Auf dem Weg zur Kasse ließ sie ihren Blick erneut durch die Regalreihen schweifen und betrachtete das Angebot. An der Kasse nickte sie der Frau höflich zu und holte die Lebensmittel aus dem Korb. Sie hatte das Gefühl, währenddessen neugierig gemustert zu werden.

»Willkommen in Seabrook«, begrüßte sie die Kassiererin freundlich.

Entweder war dieser Ort tatsächlich sehr klein und die Dame an der Kasse kannte alle Bewohner beim Namen oder ihr Erscheinungsbild hatte sie ganz eindeutig als Touristin verraten.

»Vielen Dank. Ich bin gestern Abend angereist«, bestätigte sie die Vermutung der Frau.

»Dann sind Sie allein hier?« Die Verblüffung stand der Frau deutlich ins Gesicht geschrieben.

Leicht verärgert holte Claire ihren Geldbeutel hervor. Sie konnte es nicht leiden, sich rechtfertigen zu müssen. Und es ärgerte sie, dass sie das Gefühl hatte, ihre offenbar ungewöhnliche Art des Reisens erklären zu müssen.

»Ja, ich verbringe die Sommermonate hier. Allein«, fügte sie knapp hinzu.

Erleichtert zog sie kurz darauf die Ladentür hinter sich zu. Das würden in der nächsten Zeit ein paar interessante Einkaufstouren werden. Die Nachricht über die Ankunft einer allein reisenden Frau würde sich schnell unter den Einwohnern verbreiten. Aus diesem Grund hatte sie die Anonymität einer Großstadt bislang immer vorgezogen. Allerdings konnte dieses Leben auch häufig einsam sein.

Vor dem Laden setzte sie ihre Sonnenbrille auf und blickte die Straße entlang. Nachdem sie sich einen kurzen Überblick verschafft hatte, brachte sie die Lebensmittel zum Mietwagen und verstaute die Tasche im Kofferraum. Bevor sie sich auf den Rückweg machte und im Strandhaus endlich frühstücken konnte, wollte sie die Gelegenheit nutzen und nach einem Kleidungsgeschäft Ausschau halten. Ihre lange Hose war eindeutig viel zu warm, sodass sie ihren Einkauf ungern weiter hinauszögern wollte.

Sie folgte der Nebenstraße in die entgegengesetzte Richtung und stand kurze Zeit später vor der Kirche des Ortes. Sie hatte bereits die Kirchenglocken in der Ferne läuten hören und betrachtete das Gebäude neugierig. Es war eine unscheinbare, aber dennoch große Kirche in einem hellen Sandton. Den Eingang versperrte eine zweiflüglige Holztür, wovon sich eine Seite in diesem Moment öffnete. Da die Vorderseite des Gebäudes in Schatten gehüllt war, konnte sie die Gestalt nur schwer erkennen, die Augenblicke später durch die geöffnete Tür trat. Es war ein Mann, der sie nun seinerseits zu beäugen schien. Im Gegensatz zu ihr konnte er sie im hellen Licht der Morgensonne jedoch gut erkennen. Während sie den Blick bereits abwandte, konnte sie aus dem Augenwinkel sehen, dass er die Hand zum Gruß erhoben hatte. Rasch winkte sie zurück und setzte ihren Weg fort. Die Situation hatte ihr ein unangenehmes Gefühl bereitet und sie wollte nicht neugierig wirken. Zwar verdienten viele der Einwohner offenbar ihren Lebensunterhalt durch den Tourismus, doch sie wollte nicht tiefer als nötig in ihre Privatsphäre eindringen. Es war vermutlich nicht leicht, in den Sommermonaten jedes Jahr aufs Neue seine Heimat mit immer neuen Menschen teilen zu müssen. In den restlichen Monaten des Jahres war es in diesem kleinen Ort an der Küste bestimmt wesentlich ruhiger.

Da die Hauptstraße nicht sonderlich lang war und das Angebot gering, hatte sie bereits wenige Minuten später einen Bekleidungsladen gefunden. Beim Betreten des Ladens erklang ein helles Läuten. Die Klingel über der Tür schaukelte durch die Bewegung hin und her. Zwei Frauen waren in ein Gespräch vertieft und blickten hoch, als Claire den Laden betrat. Nachdem sie das Hilfsangebot der Verkäuferin abgelehnt hatte, stöberte sie durch das Angebot.

Im Hintergrund hatten die Frauen ihr Gespräch wieder aufgenommen. Obwohl sie sich bemühten, leise zu sprechen, konnte man aufgrund der geringen Größe des Ladens fast jedes Wort verstehen.

»Bei mir ruft dieser Vorfall unangenehme Erinnerungen wach. Grifton ist kaum dreißig Minuten Fahrzeit von uns entfernt. Das kann doch unmöglich ein Zufall sein. Bei unserem Glück wird die arme Frau tot an unserer Küste angespült.« Aufgeregt wedelte die Kundin mit einer Zeitung in der Hand herum.

»Aber das kannst du doch nicht sagen«, entrüstete sich die Verkäuferin. »Bislang ist nur bekannt, dass Meghan Wheeler verschwunden ist. Bestimmt gibt es dafür eine harmlose Erklärung und wir machen uns umsonst Sorgen.«

Doch ihre Gesprächspartnerin wischte den Einwand mit einer unwilligen Handbewegung beiseite.

»Ich kann wirklich nicht verstehen, wie du in einer derartigen Situation gelassen bleiben kannst. Das wird wieder in einer Tragödie enden, so viel ist sicher. Die Frage ist nur, ob es eine Verbindung zu uns gibt oder nicht. Dabei haben wir in diesem Ort doch bereits genug durchgemacht.«

Nachdem die beiden Frauen sich voneinander verabschiedet hatten, verließ Claire mit einem Stapel Kleidung auf dem Arm die Umkleidekabine. Überrascht hob die Verkäuferin die Augenbrauen.

»Ist der Koffer bei der Anreise verloren gegangen?«

»Nein, zum Glück nicht. Es wurde einfach Zeit für ein paar neue Sachen. Mein letzter Sommerurlaub liegt schon eine Weile zurück.«

Sie lächelte der Frau zu, während sie die Kleidungsstücke auf den Tresen legte.

»Dann kann ich den Laden ja für den Rest des Tages schließen. Meinen Tagesumsatz für heute habe ich schon erreicht.« Sie lachte die irritiert wirkende Claire offen an. »Das war nicht vollkommen ernst gemeint. Aber einen wahren Kern hat es schon. Ich bin in meiner Art hin und wieder etwas zu direkt«, entschuldigte sie sich beiläufig.

Nachdem sie bezahlt und die Tüten bereits in der Hand hatte, deutete Claire mit einem Kopfnicken auf die Zeitung, die noch immer auf dem Tresen lag. Offenbar hatte die Kundin vor ihr die Zeitung liegen gelassen.

»Mich interessiert der Artikel, über den Sie vorhin gesprochen haben. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich die Zeitung mitnehme?«

Ein wenig verlegen begegnete die Frau ihrem Blick.

»Dann war unser Gespräch wohl doch zu laut«, entschuldigte sie sich. »Die Zeitung können Sie selbstverständlich haben.«

Claire bedankte sich und verstaute die Zeitung in ihrer Handtasche. Die Verkäuferin blickte ihr nach, als sie den Laden verließ. Aus manchen Kunden wurde man einfach nicht schlau.

 

Im Strandhaus angekommen, räumte sie die Lebensmittel in die Schränke, während sie im Vorbeigehen die Kaffeemaschine einschaltete. Sobald der Kaffee durchgelaufen war, nahm sie ihre Tasse mit nach draußen auf die Veranda. Als sie sich hingesetzt hatte, schlug Claire ungeduldig die Zeitung auf und musste nicht lange suchen, bis sie den Artikel gefunden hatte. Das Papier der Zeitung und die umständliche Größe fühlten sich ungewohnt an. Es war lange her, seit sie das letzte Mal eine Zeitung aus Papier in den Händen gehalten hatte. Nachdem sie eine Weile gegen Wind und Papier gekämpft hatte, konnte sie die Zeitung auf den gesuchten Artikel zusammenfalten. Die nächsten Minuten vertiefte sie sich in die Zeilen und trank dazwischen immer wieder einen Schluck Kaffee. Der Artikel nahm eine ganze Seite in Anspruch, doch die Menge an Informationen war gering.

Eine 32-jährige Frau war vor zwei Tagen verschwunden und bislang fehlte jede Spur. Die Polizei geht aktuell noch nicht von einem Verbrechen aus. Es ist unklar, wo sich die Person vor ihrem Verschwinden zuletzt aufgehalten hatte. Bislang handelte es sich bei möglichen Ursachen für ihr Verschwinden um Spekulationen. Die Polizei bittet um Hinweise und hofft auf Mithilfe durch die Bevölkerung. 

Seufzend legte Claire die Zeitung beiseite. In einem kleinen Ort wie Seabrook schien eine solche Nachricht für große Aufregung zu sorgen. Zwar war der Ort des Geschehens einige Meilen entlang der Küste entfernt, doch sie konnte sich noch gut an die Bemerkung einer der Frauen erinnern. Offenbar hatte es bereits einen ähnlichen Vorfall an genau diesem Ort gegeben.

Nachdenklich trank sie den letzten Schluck Kaffee und stellte anschließend den leeren Becher ab. In der Großstadt wurde sie täglich mit den Gefahren des Alltags konfrontiert. Auch die Medien überschlugen sich mit Schreckensnachrichten aus der ganzen Welt. Dagegen erschien ihr dieser ruhige Ort wie das Paradies auf Erden. Die Bewohner kannten sich untereinander, gingen zusammen zur Schule und zogen gemeinsam ihre Kinder groß. Man war mit seinen Nachbarn befreundet und half sich gegenseitig. Doch auch unter dieser harmlos wirkenden Oberfläche gab es negative Gefühle, Streit, Neid, Eifersucht und vielleicht sogar Gewalt.

Während sie die warmen Temperaturen genoss, versuchte sie diese Gedanken von sich zu schieben. Sie war hier, um ihren Sommer zu genießen und sich von den vergangenen Monaten zu erholen. Die waren turbulent genug gewesen, sodass sie dringend ein paar unbeschwerte Wochen gebrauchen konnte. Als sie aufs Meer hinausblickte und die Wellen beobachtete, kehrten ihre Gedanken erneut zu der jungen Frau zurück. Sie waren im selben Alter, und Claire hoffte, dass es der Frau gut ging. Durch diese Gemeinsamkeit entstand unwillkürlich eine leichte Befangenheit. Niemals wollte man sich vorstellen, dass einem selbst etwas Derartiges im Leben widerfahren könnte. Doch auch diese Gedanken brachten sie nicht weiter. Es wurde Zeit, sich abzulenken und ihren knurrenden Magen zu beruhigen. Schließlich hatte sie noch immer nicht gefrühstückt.

Kapitel 3

 

Das Wasser tropfte von ihrem Körper, als sie das Meer verließ. Während sie sich durch die kleinen Wellen zurück zum Strand kämpfte, spürte sie ein leichtes Ziehen in den Beinen. Morgen würde sich die ungewohnte Anstrengung in ihrem Körper bemerkbar machen. Solange sie in Bewegung blieb, sollte sich der Muskelkater allerdings in Grenzen halten. Es war eine Weile her, seit sie das letzte Mal geschwommen war. Und im offenen Meer zu schwimmen war eine andere Herausforderung für die Kondition als ein ruhiger Pool.

Zufrieden bückte sie sich nach ihrem Handtuch und trocknete sich ab. Während sie das Handtuch um ihren Körper schlang, spazierte ein Paar auf sie zu. Claire wollte sich bereits abwenden, als der Mann grüßend die Hand hob. Es war jetzt schon das zweite Mal innerhalb weniger Stunden, dass sie auf diese Weise begrüßt wurde. Leicht irritiert wartete sie, bis sich das Paar genähert hatte.

»Hallo. Wir möchten nicht stören. Meine Frau und ich wollten Sie nur willkommen heißen.«

»Das ist sehr freundlich von Ihnen.«

Ein wenig unbehaglich gab sie ihnen nacheinander die Hand. Sie war noch nicht lange genug hier, um sich leicht bekleidet in Gegenwart von fremden Menschen wohlfühlen zu können. Immerhin hatte sie bereits das Handtuch als Schutzbarriere um ihren Körper gewickelt.

Das Ehepaar gab sich betont offen und freundlich. Sie war sich jedoch sicher, dass es sich bei den beiden nicht um Einheimische handelte. Ihre Kleidung und die Art und Weise, wie sie sich verhielten, vermittelte einen anderen Eindruck. Bestimmt waren es ebenfalls Touristen. Dem Alter nach zu urteilen könnten sie auch bereits im Ruhestand sein.

»Wir waren ganz überrascht, zu erfahren, dass jemand das Haus von Helen über den Sommer gemietet hat. Viele Menschen finden besonders die direkte Lage zum Meer vorteilhaft. Mich würde es allerdings beunruhigen, derart nah am Wasser schlafen zu müssen. Aber das muss schließlich jeder selbst wissen. Ich bin übrigens Gloria und das ist mein Mann Howard.«

Die Frau hielt ihre Nase unnatürlich weit in die Luft gereckt. Obwohl sie eine geringe Körpergröße hatte, vermittelte sie einem das Gefühl, von oben auf einen herabzuschauen.

Claire konnte diese Frau von der ersten Sekunde an nicht ausstehen. Nachdem sie sich ebenfalls vorgestellt hatte, breitete sich ein unangenehmes Schweigen aus. »Dann wurde das Strandhaus in den vergangenen Sommern nicht vermietet?«, entgegnete sie höflich. Sie wollte nicht gleich am ersten Tag einen schlechten Eindruck hinterlassen.

»Doch, hin und wieder hat sich jemand für den Sommer gefunden. Allerdings wurde das Haus einige Jahre lang etwas vernachlässigt und benötigte ein paar Reparaturen, bevor es wieder vermietet werden konnte. Daher freut es mich umso mehr, dass nun wieder jemand für die Sommermonate eingezogen ist. Das wird für Helen sicherlich auch eine finanzielle Erleichterung sein.«

Claire versuchte sich ihren Missmut nicht anmerken zu lassen. Das Verhalten der Frau wurde immer unangenehmer.

»Da Sie so gut informiert sind, gehe ich davon aus, dass dies nicht Ihr erster Aufenthalt in Seabrook ist?«

»Ach du meine Güte, nein. Wir kommen bereits seit Jahren jeden Sommer hierher. Irgendwie scheint dieser Ort uns nicht mehr loszulassen, sodass wir vor einigen Jahren unser eigenes Ferienhaus gekauft haben. Es war doch sehr unangenehm, immer in den Häusern von fremden Menschen leben zu müssen. So ist es deutlich komfortabler.«

Nachdem seine Frau das Gespräch übernommen hatte, räusperte sich ihr Mann nun verhalten.

»Es hat uns auf jeden Fall gefreut, dass wir Ihnen begegnet sind. Wir werden uns in den nächsten Wochen sicherlich häufiger über den Weg laufen«, verabschiedete sich Howard Burton freundlich.

Damit hatte er dem Redefluss seiner Frau ein abruptes Ende gesetzt, worüber diese nur wenig erfreut war.

»Spätestens beim Abendessen wird man sich wiedersehen. Es gibt in diesem Ort nur ein Restaurant, das man wirklich empfehlen kann.«

Sobald sie Claire eine ausführliche Beschreibung gegeben und ein paar Gerichte angepriesen hatte, die ihrer Meinung nach besonders empfehlenswert waren, verabschiedete auch sie sich endlich. Offenbar war es ihr wichtig gewesen, das letzte Wort bei dieser Unterhaltung zu haben.

Während sich das Paar entfernte, sammelte Claire ihre restlichen Sachen ein und lief zügig zu ihrem Haus zurück. Sie wollte weitere Begegnungen für heute vermeiden. Das Ehepaar war anstrengend genug gewesen. Der Mann hatte ganz nett gewirkt, doch seine Frau gehörte zu einer unangenehmen Sorte von Mensch. Hoffentlich würde das nächste Aufeinandertreffen nicht allzu bald stattfinden. Die Restaurantempfehlung würde sie allerdings im Gedächtnis behalten. Sie hatte zwar vor, die meiste Zeit selbst zu kochen, doch etwas Abwechslung konnte nicht schaden und sie wollte ihren Urlaub genießen. Ein gutes Abendessen in einem netten Restaurant würde sicherlich dazu beitragen.

Nachdem sie das Handtuch zum Trocknen aufgehängt hatte, setzte sie sich auf die Veranda und beobachtete den Strand. Noch immer war es erstaunlich ruhig. Sie hatte mit deutlich mehr Touristen gerechnet, doch sie freute sich, dass das Gegenteil der Fall war. In den nächsten Tagen würde sich das bestimmt ändern. Der Sommer hatte erst angefangen und sie war früh angereist. Die meisten Touristen würden wahrscheinlich in den nächsten ein bis zwei Wochen eintreffen.

Sie hatte die Menschen, die ihre Sommermonate fern von zu Hause verbrachten, immer ein wenig beneidet. Doch aufgrund ihres Berufs wäre ihr ein derartiges Verhalten nie in den Sinn gekommen. Unvorstellbar, mehr als eine Woche auf der Arbeit zu fehlen. Und nun war sie hier. Ohne Job, aber mit sehr viel Zeit. Langsam streckte sie ihre Beine in den kurzen Shorts aus. Sobald sie sich unter der Dusche das Meerwasser vom Körper gespült hatte, hatte sie eine kurze Hose und ein passendes T-Shirt aus ihrem Einkauf herausgesucht. Heute Abend würde sie herausfinden müssen, wie man die Waschmaschine bediente, um ihre neuen Kleidungsstücke waschen zu können. Doch sie hatte ungern wieder eine lange Hose anziehen wollen. Daher konnte sie nun ihre weißen Beine in den Shorts betrachten.

Sie genoss es, die warme Luft an ihrer nackten Haut zu spüren. Auf der Veranda war sie um diese Zeit nicht den direkten Sonnenstrahlen ausgesetzt, sodass ihre blasse Haut nicht in Gefahr geriet, einen Sonnenbrand zu bekommen.

Zufrieden lehnte sie sich zurück und nippte an ihrem Wasser. Die Sonne hatte sie ausgetrocknet, und sie würde sich angewöhnen müssen, regelmäßig Wasser zu trinken, um die ungewohnt warmen Temperaturen ausgleichen zu können.

 

Kapitel 4

 

Mit einer Tasse Kaffee in der Hand öffnete sie die Tür und trat hinaus auf die Veranda. Schon jetzt fand sie Gefallen an ihrem morgendlichen Ritual. Es war eine schöne Art, in den Tag zu starten.

Die Sonne strahlte bereits kraftvoll vom Himmel und hatte die Holzbretter aufgewärmt. Barfuß lief sie zum Geländer und blickte auf den Strand hinaus. Auch Wochen später noch würde sie diesen Anblick jeden Tag aufs Neue genießen.

Nachdem sie geduscht und sich angezogen hatte, schnappte sie sich die Autoschlüssel von der Kommode. Bei ihrem gestrigen Besuch im Ort hatte sie ein kleines Café entdeckt, das frische Backwaren anbot. Sie wollte den heutigen Tag mit einem ausgiebigen Frühstück starten und das Café schien der ideale Ort dafür zu sein.

Als sie nur noch wenige Meter entfernt war, schlug ihr bereits ein köstlicher Duft nach frischem Brot entgegen. Auf dem Gehsteig standen ein paar Tische und Stühle, die größtenteils bereits besetzt waren. Sie schenkte den Anwesenden nur einen flüchtigen Blick und betrat das Café. Sofort wurde der Duft nach Kaffee und frischen Backwaren intensiver. Die Auswahl war überschaubar, doch alles war hausgemacht und sah köstlich aus.

Eine junge Frau nahm ihre Bestellung entgegen und reichte ihr ein Tablett. Unschlüssig sah Claire sich um. Das Wetter war viel zu schön, um drinnen zu frühstücken, doch die Tische draußen schienen alle belegt zu sein. Als sie eine Frau allein an einem der Tische entdeckte, ging sie zögerlich auf sie zu.

»Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mich zu Ihnen setze?«, fragte sie die ältere Dame höflich.

Überrascht blickte sie auf. »Aber natürlich nicht. Setzen Sie sich zu mir.«

»Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen. Das Wetter ist einfach zu schön, um die Zeit drinnen zu verbringen«, fügte sie erklärend hinzu.

»Ich bin ganz froh, solange es noch einigermaßen kühl ist. Heute Mittag wird es wieder schrecklich heiß werden. Ich bin übrigens Helen«, stellte die Frau sich vor.

Interessiert blickte Claire auf. Der Name kam ihr aus irgendeinem Grund bekannt vor. Sie hatte ihn erst vor Kurzem wieder gehört.

»Dann sind Sie meine Vermieterin. Ich bin Claire und habe das Strandhaus für den Sommer gemietet.«

»Das habe ich mir schon gedacht, aber ich wollte nicht aufdringlich sein«, entgegnete Helen lächelnd. »Die Leute in diesem Ort reden gerne, sodass ich bereits gestern von der Ankunft erfahren habe. Im Grunde ist dieses Geschwätz meistens harmlos, aber die Sommergäste sind jedes Jahr aufs Neue wieder ein interessantes Gesprächsthema. Ich hoffe, das Strandhaus gefällt dir und es ist alles zu deiner Zufriedenheit.«

Claire wusste nicht, was sie davon halten sollte. Zwar war sie selbst in einer Kleinstadt aufgewachsen, hatte diesem Leben jedoch den Rücken zugekehrt, sobald sie es sich finanziell leisten konnte. Daher war ihr das Gerede der Leute nicht fremd, doch es war ihr noch immer unangenehm, wie sie feststellen musste.

»Es ist alles in bester Ordnung. Die Lage direkt am Meer ist traumhaft.«

Die ältere Frau seufzte und blickte sie betrübt an. »Das Meer hatte schon immer eine ungewöhnlich starke Anziehungskraft auf einige Menschen. Auch wenn die Strömung bei uns nicht allzu stark ist, sollte man sie dennoch nicht unterschätzen. Das Schwimmen im Meer kann gefährlich werden.«

Erstaunt erwiderte Claire ihren Blick. Die Stimmung hatte umgeschlagen und ihre Gesprächspartnerin wirkte beinahe traurig.

»Ich werde keine unnötigen Risiken eingehen«, versicherte sie.

Nachdem sie einen Schluck von ihrem Kaffee getrunken hatte, straffte Helen die Schultern und schien damit einen unbequemen Gedanken abschütteln zu wollen. »Es tut mir leid, wenn ich belehrend gewirkt habe. Das war nicht meine Absicht. Ich habe allerdings meine Begeisterung für das Meer vor Jahren verloren und vermiete daher auch das Strandhaus. Ich bin nicht mehr gerne in der Nähe von Wasser.«

»Das ist schade, aber ich freue mich natürlich, dass ich das Haus für den Sommer mieten konnte.« Sie versuchte die Stimmung wieder zu heben.

Dankbar nickte die Frau ihr zu. »Es ist schon eigenartig. Früher habe ich das Meer geliebt.«

Damit schien das Thema für sie beendet zu sein. Der Rest des Gesprächs verlief deutlich angenehmer und Helen schien sich wieder zu entspannen. Sobald die letzten Reste des Frühstücks aufgegessen waren, verabschiedeten sich die Frauen voneinander. In einem kleinen Ort wie Seabrook würde man sicherlich bald wieder aufeinandertreffen.

Auch wenn der Anfang etwas holprig verlaufen war, hatte Claire es genossen, mit der älteren Frau zu frühstücken. Grundsätzlich war sie gerne allein, doch die Gesellschaft hatte ihr gutgetan. Offenbar sollte sie häufiger Dinge tun, zu denen sie in ihrem Alltag sonst keine Zeit fand.

 

Ihr Weg hatte sie erneut zur Kirche geführt. Sie war dem Ratschlag von Helen gefolgt, sich dort auf die Suche nach geeigneter Lektüre für ihren Urlaub zu machen. Zuerst war sie skeptisch gewesen, doch es konnte nicht schaden, zumindest einmal vorbeizuschauen. Sollte das nicht funktionieren, hatte sie immer noch die Möglichkeit, sich nach einer Alternative umzuschauen.

Direkt beim Kircheneingang gab es einen Raum, in den die Einwohner ihre gelesenen Bücher zurückbrachten und in dem sie sich auch wieder neue Lektüre aussuchten. Im Grunde funktionierte es wie eine öffentliche Bücherei, nur dass niemand die Vorgänge verwaltete. Claire gefiel die Idee einer Tauschbörse für Bücher.

In Seabrook war es ansonsten schwer, an Bücher zu gelangen. Eine Buchhandlung gab es nicht und der nächste Laden, in dem man Bücher kaufen konnte, war eine halbe Stunde Autofahrt entfernt.

Der Vorplatz lag verlassen da. Ein paar Meter weiter überquerte eine Katze gemächlich die Straße. Ansonsten war alles ruhig. Zögerlich drückte sie die Klinke der Eingangstür herunter. Fast hatte sie erwartet, die Tür verschlossen vorzufinden, doch sie ließ sich problemlos öffnen. Beim Betreten wurde die Luft sofort merklich kühler. Sie spürte, wie sich eine Gänsehaut auf ihren Armen ausbreitete, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Einen Moment lang verharrte sie unschlüssig und blickte sich um. Auf ihrer linken Seite befand sich der Raum mit den Büchern. Durch die offen stehende Tür konnte sie die farbigen Buchrücken erkennen. Geradeaus befand sich eine weitere Holztür, die in das Innere der Kirche führte. Skeptisch blickte Claire sich um.

Eine Kirche war für sie ein ungewohnter Ort, an dem sie sich normalerweise nicht aufhielt. Schließlich wandte sie sich ab und betrat den Raum mit den Büchern. Es war ein schmales Zimmer, vollgestellt mit Bücherregalen aus hellem Holz. Durch die großen Fenster strömte das Tageslicht herein und sorgte für eine freundliche Atmosphäre. In einer Ecke gab es zwei bequem aussehende Sessel und einen runden Beistelltisch. Alles wirkte bunt zusammengewürfelt, aber einladend und freundlich. Neugierig trat sie an das erste Regal heran. Den Kopf seitwärts gelegt, um die Buchtitel lesen zu können, arbeitete sie sich langsam voran. Es waren erst wenige Minuten vergangen und sie hatte bereits ein paar interessante Titel entdeckt. Offenbar steckte hinter Helens Empfehlung ein kleiner Geheimtipp.

Hinter ihr erklang ein leises Räuspern. Unwillkürlich zuckte sie zusammen. Schnell drehte sie sich um und versuchte, ihren Herzschlag zu beruhigen. Im Türrahmen lehnte ein Mann und musterte sie gelassen.

»Meine Güte, haben Sie mich erschreckt«, fauchte sie den Fremden verärgert an. Sie war so vertieft gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie sich ihr jemand genähert hatte.

»Das war nicht meine Absicht. Deshalb habe ich mich auch bemerkbar gemacht, um Sie eben nicht zu erschrecken. Das scheint leider nicht funktioniert zu haben.« Belustigt sah der Fremde Claire an.

Irritiert erwiderte sie seinen Blick. Seine braunen Augen blickten sie unverwandt an, was nicht dazu beitrug, ihr schnell klopfendes Herz zu beruhigen. Sie musste den Blickkontakt zuerst abbrechen.

»Interessieren Sie sich für die Bücher?«

Verblüfft drehte sie sich zu dem Regal hinter ihrem Rücken um. Sein plötzliches Auftauchen hatte sie aus dem Konzept gebracht.

»Ja, deshalb bin ich hierhergekommen. Also zur Kirche. Nicht nach Seabrook. Zumindest nicht wegen der Bücher. Ich mache hier Urlaub«, fügte sie als Erklärung hinzu. Am liebsten hätte sie die Hände vor dem Kopf zusammengeschlagen. Was redete sie denn nur für einen Unsinn. Etwas an dem Mann machte sie nervös.

»Das habe ich mir schon gedacht.«

Aus seiner Erwiderung konnte sie nicht erkennen, worauf er sich damit bezog, aber im Grunde war das auch nebensächlich.

»Für einen kleinen Ort haben wir über die Jahre eine schöne Sammlung zusammentragen können. Sie können sich jederzeit ein Buch aussuchen. Dafür sind sie gedacht.« Während er sprach, hatte er den Platz an der Tür verlassen und trat einen Schritt auf sie zu.

Erst jetzt wurde ihr klar, was sie an seinem Aussehen irritiert hatte. An dem Kragen seines kurzärmligen Hemdes war ein weißer Priesterkragen befestigt. Offenbar war das der Pastor der Kirche. Und ein ziemlich gut aussehender noch dazu. Da er auf eine Antwort zu warten schien, versuchte sie den Blick von seiner Kleidung zu lösen.

»Das ist sehr nett von Ihnen. Ich werde das Angebot sicherlich nutzen. Einen Sommerurlaub ohne die passende Strandlektüre kann ich mir nur schwer vorstellen. Helen hat mir beim Frühstück den Tipp gegeben«, fügte sie noch hinzu. Um seinem Blick nicht begegnen zu müssen, fuhr sie mit dem Finger die Buchrücken entlang.

»Dann haben Sie ja schon einige Bekanntschaften gemacht.« Er fing ihren fragenden Blick auf. »Die Leute reden gerne«, fügte er erklärend hinzu.

Seufzend zog sie eines der Bücher aus dem Regal. »Das habe ich auch schon festgestellt.«

»Aber Helen ist eine sehr nette Frau. Anfangs vielleicht etwas verschlossen, aber sie hat das Herz am richtigen Fleck.«

»Durch Ihren Beruf kennen Sie die Leute in dieser Stadt sicherlich besonders gut.«

»Ganz so würde ich es nicht formulieren, aber wahrscheinlich haben Sie recht.« Er stellte sich neben sie an das Regal und zog eines der Bücher heraus. »Versuchen Sie es damit. Es ist eine interessante Geschichte und das Meer spielt eine große Rolle. Ich denke, damit empfiehlt es sich als Strandlektüre.« Claire nahm die zerschlissene Ausgabe entgegen. Sie standen jetzt deutlich näher beieinander, und sie merkte, wie sich ihr Pulsschlag beschleunigte. Seine von der Sonne gebräunten Arme waren klar definiert und kräftig.

Bislang hatte sie noch nicht mit vielen Pastoren Bekanntschaft gemacht, aber sie war überzeugt, dass er keinesfalls die Norm darstellte. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück, um den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern. Das Buch fühlte sich schwer in ihrer Hand an. Die Leserillen zeigten, dass das Buch bereits von einigen Lesern genutzt worden war.

»Danke, ich werde es auf jeden Fall ausprobieren. Ich habe nur leider kein Buch, das ich im Gegenzug dafür hierlassen könnte«, gestand sie.

»Kein Problem. Die Regale sind zurzeit gut gefüllt. Und die Touristen lassen bei ihrer Abreise am Ende des Sommers jedes Mal einige Bücher zurück. Dann füllt es sich automatisch wieder auf und die Einwohner haben über den Winter neuen Lesestoff. Von einigen der Damen habe ich bereits eine Liste mit bestimmten Wunschbüchern erhalten.« Lachend schüttelte er den Kopf.

Claire starrte ihn fasziniert an. Sein Lachen hatte den kantigen Gesichtszügen mehr Weichheit verliehen und tiefe Grübchen zum Vorschein gebracht. Sicherheitshalber brachte sie einen weiteren Schritt Abstand zwischen sich und den Pastor. Als sie sich bereits zur Tür gewandt hatte, blieb ihr Blick an einem Bild hängen. Es war die Aufnahme einer jungen Frau am Strand. Keine gestellte Szene, sondern eine Momentaufnahme, die von der Kamera festgehalten worden war. Normalerweise hätte sie dem Bild keine weitere Beachtung geschenkt, doch an diesem Ort wirkte es seltsam deplatziert. Darunter hing eine kleine Gedenktafel. Mit Erschrecken musste Claire feststellen, dass die junge Frau im Alter von zwanzig Jahren bereits verstorben war. Dennoch erklärte es nicht, wieso ihr Bild an diesem Ort aufgehängt worden war.

»Ava ist vor einigen Jahren umgekommen. Sie ist in dieser Stadt aufgewachsen und die Einwohner hat die Tragödie damals ziemlich hart getroffen. Es wurden an ein paar Stellen in der Umgebung Gedenkstätten errichtet.«

Die Stimme des Pastors erklang direkt an ihrem Ohr. Unbemerkt war er neben sie getreten und betrachtete nun ebenfalls das Bild.

»Ihre Großmutter wollte verhindern, dass Ava und das Unglück, das ihr widerfahren ist, in Vergessenheit gerät.«

Das klang eher nach einem Mahnmal, doch Claire behielt ihre Gedanken für sich. Im Grunde ging es sie auch nichts an, allerdings berührte sie das Bild der jungen Frau. Die Aufnahme musste kurz vor ihrem Tod entstanden sein. Auch die Auswahl des Bildes war eher unüblich. In den meisten Fällen wurde für einen derartigen Anlass ein Porträtbild verwendet.

»Sie wirkt auf dem Bild glücklich«, stellte sie nachdenklich fest.

»Ich bin mir sicher, in diesem Augenblick war sie das auch. Für Ava war Seabrook ihre Heimat. Auch wenn das Leben in dieser Stadt nicht immer einfach ist, war es doch ihr Zuhause. Und sie hat das Meer geliebt. Vielleicht macht das die Umstände ihres Todes umso schlimmer.«

Fragend blickte Claire ihn von der Seite an.

---ENDE DER LESEPROBE---