Verborgene Gefahr - Luise Klein - E-Book
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Luise Klein

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Beschreibung

Amelia Lewis lebt in einer Kleinstadt in Kanada. Umgeben von der atemberaubenden Landschaft des Nationalparks führt sie ein ruhiges Leben. Das ändert sich, als ihre Jugendliebe Ethan Scott zurückkehrt. Der erfolgreiche Reisefotograf ist jahrelang um die Welt gereist, doch sie hat ihre erste Liebe nie vergessen können. Nachdem zwei Touristen von einer Wanderung nicht zurückkehren, wird der ganze Ort für eine Suchaktion mobilisiert. Die Situation verschlimmert sich, als eines der Suchteams eine grausame Entdeckung macht. Am Grund einer Schlucht wird die Leiche einer Frau gefunden, und niemand weiß, was passiert ist. Inmitten der bedrohlichen Ereignisse kommen sich Amelia und Ethan näher. Allerdings führen ihre unterschiedlichen Lebensweisen immer wieder zu Spannungen, und Amelia fragt sich, ob Ethan dieses Mal in Sharpewood bleiben wird.

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Inhalt

 

Amelia Lewis lebt in einer Kleinstadt in Kanada. Umgeben von der atemberaubenden Landschaft des Nationalparks führt sie ein ruhiges Leben. Das ändert sich, als ihre Jugendliebe Ethan Scott zurückkehrt. Der erfolgreiche Reisefotograf ist jahrelang um die Welt gereist, doch sie hat ihre erste Liebe nie vergessen können.

 

Nachdem zwei Touristen von einer Wanderung nicht zurückkehren, wird der ganze Ort für eine Suchaktion mobilisiert. Die Situation verschlimmert sich, als eines der Suchteams eine grausame Entdeckung macht. Am Grund einer Schlucht wird die Leiche einer Frau gefunden, und niemand weiß, was passiert ist.

 

Inmitten der bedrohlichen Ereignisse kommen sich Amelia und Ethan näher. Allerdings führen ihre unterschiedlichen Lebensweisen immer wieder zu Spannungen, und Amelia fragt sich, ob Ethan dieses Mal in Sharpewood bleiben wird.

 

»Verborgene Gefahr« ist der erste Band der Sharpewood Valley Reihe.

 

Der Roman ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen Büchern der Reihe gelesen werden.

Über die Autorin

 

Luise Klein lebt in Süddeutschland. Zwischen der Begeisterung für die Berge und dem Sehnsuchtsort Meer hin- und hergerissen ist eine ihrer Leidenschaften das Reisen. Als begeisterte Leserin hat sie schließlich angefangen, ihre eigenen Geschichten zu schreiben. Da sie selbst ihre Zeit gerne draußen verbringt, spielen ihre Romane oftmals an interessanten Orten in der Natur. Am liebsten schreibt sie spannende Liebesromane mit großem Wohlfühlfaktor, humorvollen Dialogen und skurrilen Bewohnern einer Kleinstadt. Die aktuelle Sharpewood Valley Reihe handelt von einem Nationalpark in Kanada.

 

Weitere Informationen:www.luiseklein.com

 

Bereits erschienen:»Sommer der Gewissheit«»Verborgene Gefahr« (Sharpewood Valley Band 1) »Verräterische Stille« (Sharpewood Valley Band 2) »Verhängnisvolle Strömung« (Sharpewood Valley Band 3)

 

LUISE KLEIN VERBORGENE GEFAHR ROMANSHARPEWOOD VALLEY BAND 1

 

 

Copyright © 2021 Luise Klein

Coverdesign: Christin Giessel, Giessel Design,

www.giessel-design.de

Korrektorat: SW Korrekturen e.U.

 

Luise Klein

c/o autorenglück.de

Franz-Mehring-Str. 15

01237 Dresden

E-Mail: [email protected]

Weitere Informationen: www.luiseklein.com

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf ohne Zustimmung der Autorin nicht wiedergegeben, kopiert, nachgedruckt oder oder anderweitig verwendet werden.

 

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

DANKSAGUNG

WEITERE BÜCHER DER AUTORIN

 

Kapitel 1

 

Mühsam richtete Amelia sich auf. Sie war bereits seit einer Weile damit beschäftigt, einen Karton nach dem anderen auszupacken. Der Lieferwagen war in den frühen Morgenstunden eingetroffen und hatte die Bestellungen für die nächsten Tage gebracht. Seitdem hatte sie ununterbrochen die Ware ausgepackt und an ihren vorgesehenen Platz in den Regalen geräumt. Es blieb ihr nur noch wenig Zeit, bis sie den Laden für die Kundschaft aufschließen musste. Grundsätzlich mochte sie die Tage, an denen eine neue Lieferung ankam, nicht besonders. Denn das bedeutete viel Arbeit, bevor der Laden überhaupt geöffnet hatte und sie zusätzlich zu dem Tagesgeschäft noch die Bestellungen an ihre Kundschaft ausfahren musste. Doch sie wollte sich nicht beschweren. Amelia liebte die frühen Morgenstunden, in denen sie ganz allein im Laden war. In den meisten Häusern war es zu dieser Zeit noch dunkel und die Welt erwachte erst langsam zum Leben. Außerdem freute sie sich über die bestellten Waren. Es konnte vorkommen, dass sie tagelang gewisse Artikel nicht mehr vorrätig hatten und auf eine neue Lieferung warten mussten. In dieser abgelegenen Gegend war es nicht möglich, schnell an dringend benötigte Materialien zu gelangen.

Für die umliegenden Geschäfte und die Bewohner von Sharpewood waren sie die erste Anlaufstelle, um die wichtigsten Dinge für den Alltag einzukaufen. Dementsprechend groß war ihr Sortiment. Ihr Vater hatte den Gemischtwarenladen in zweiter Generation von ihrem Großvater übernommen. Und irgendwann würde der Zeitpunkt kommen, an dem Amelia das Geschäft übernehmen sollte. Das war zumindest der Plan.

Seufzend strich sie sich über die verschwitzte Stirn und betrachtete die verbliebenen Kartons, als ihr Vater den Verkaufsraum betrat. In seinem alten Karohemd und den verwaschenen Jeans hatte er sein typisches Arbeitsoutfit angezogen. Amelia lächelte bei seinem Anblick. Er hatte in den vergangenen Monaten gesundheitliche Probleme gehabt und litt noch immer unter den Nachfolgen der Krankheit. Immerhin hatte er wieder eine gesunde Gesichtsfarbe bekommen und war auch ansonsten stabil auf den Beinen. Dennoch versuchte sie so gut es ging, ihm einen Großteil der täglichen Arbeit abzunehmen, was gar nicht so einfach war.

»Ich habe dir etwas zum Frühstück mitgebracht«, begrüßte er sie und hob demonstrativ die Tüte in die Höhe.

Während sie die Bäckertüte entgegennahm und einen Blick hineinwarf, begutachtete er die restlichen Kartons.

»Du warst fleißig. Den Rest kannst du mir überlassen. Ich wollte ohnehin damit beginnen, die Bestellung für die Stonebridge Lodge zusammenzupacken.« Er räusperte sich kurz und Amelia blickte auf. »Dann kann ich heute Mittag auch die Fahrt dorthin übernehmen. Es ist schon eine Weile her, seit ich das letzte Mal rausgefahren bin.«

Skeptisch zog Amelia eine Augenbraue nach oben. Es sah ihrem Vater gar nicht ähnlich, freiwillig eine Lieferung auszufahren.

»Was genau verschweigst du mir?« Auffordernd blickte sie ihn an.

»Gar nichts«, murrte er. »Ich dachte, es ist mal wieder an der Zeit, dass ich mich hinters Steuer setze. Keine große Sache.«

»Aber ausgerechnet die Stonebridge Lodge? Normalerweise machst du einen großen Bogen um diesen Ort. Also, was ist los?«, versuchte sie es erneut.

Grimmig blickte er sie an. »Der Junge der Scotts ist wieder da.«

Im ersten Moment wusste Amelia nicht, wovon er sprach. Die Scotts hatten drei Söhne, von denen zurzeit nur einer zu Hause war. Doch als ihr klar wurde, wen ihr Vater meinte, zog sie scharf die Luft ein. Das konnte nicht sein.

»Ethan ist wieder da? Seit wann?«, murmelte sie bestürzt.

»Er ist gestern Abend angekommen. Mehr weiß ich auch nicht. Im Laden von Beth gab es allerdings schon die wildesten Vermutungen, weshalb er zurückgekommen ist. Es wird spekuliert, dass er dieses Mal für einen längeren Zeitraum bleiben wird.«

Amelia seufzte. Die Bäckerei war eines der beliebtesten Geschäfte im Ort. Nicht nur, weil es dort die besten Backwaren im Umkreis gab, sondern weil er besonders am frühen Morgen als Anlaufstelle für Informationen diente. Am Abend übernahm die Bar von Mike Torres diese Funktion. Und dazwischen wurde ihr eigener Laden mit dem unterschiedlichen Sortiment für die ein oder andere Unterhaltung genutzt. Irgendetwas konnte man schließlich immer gebrauchen und ihr Angebot deckte eine große Spannbreite von Bedürfnissen ab. Von Lebensmitteln über Haushaltswaren und Materialien für den landwirtschaftlichen Betrieb war alles vorhanden. Zumindest so lange, wie die Lieferungen aus den großen Verteilerzentren regelmäßig eintrafen.

Selbstverständlich wusste der Ort bereits über die Ankunft des ältesten Sohnes der Scotts Bescheid. Hätte sie den gestrigen Abend nicht zu Hause, sondern in der Bar verbracht, hätte sie die Neuigkeit früher erreicht. Doch das änderte nichts an der Tatsache, mit der sie sich abfinden musste. Ihre Jugendliebe Ethan Scott war wieder da. Der Junge, in den sie sich Hals über Kopf verliebt und der sie mit gebrochenem Herzen zurückgelassen hatte, als er Sharpewood verlassen hatte, um die Welt zu bereisen. Seitdem war er nur wenige Male nach Hause zurückgekehrt und nie lange geblieben. Es war Jahre her, seit sie sich zuletzt begegnet waren.

Amelia straffte die Schultern und versuchte, sich das Gefühlschaos in ihrem Inneren nicht anmerken zu lassen.

»Das ist schon in Ordnung«, versicherte sie ihrem Vater. Doch sie hörte selbst, wie verunsichert ihre Stimme klang. War sie wirklich bereit, Ethan wiederzusehen?

»Es wäre für mich kein Problem«, entgegnete ihr Vater und gab ihr damit die Möglichkeit, es sich noch einmal anders zu überlegen.

Amelia schüttelte den Kopf. »Es ist ewig her, Dad. Das wird mich nicht daran hindern, meinen Job zu machen. Und die Fahrten zur Lodge gehören nun einmal dazu. Du weißt, wie es in so einem kleinen Ort ist. Über kurz oder lang werde ich ihm sowieso begegnen, das werde ich nicht verhindern können. Dann bringe ich es lieber schnell hinter mich. Bestimmt hat er sich vollkommen verändert, und ich werde mich fragen, wie ich je etwas für ihn empfinden konnte.« Sie versuchte sich selbst Mut zu machen, doch sie konnte an dem Gesichtsausdruck ihres Vaters sehen, dass sie sich etwas vormachte. Er hatte damals hautnah miterlebt, wie schlecht es ihr nach Ethans Abreise gegangen war. Vermutlich kamen auch bei ihm die Erinnerungen an diese unschöne Zeit hoch.

 

Die Sonne schien ihr warm in den Nacken, während sie mit einem lauten Knall die Ladeklappe des Pick-ups schloss. Der Vormittag hatte sich endlos dahingezogen. Mechanisch hatte sie die wenigen Kunden bedient, war mit den Gedanken jedoch völlig abwesend. Nervös hatte sie die große Uhr im Laden dabei beobachtet, wie die Zeiger unendlich langsam voranschritten. Normalerweise mochte sie die Arbeit im Laden und den Kontakt mit den Kunden. Es gab immer genug zu tun, sodass ihr selten langweilig war.

Doch bei dem Gedanken an die Fahrt zur Lodge wurde ihr mulmig. Sie wusste nicht, was sie dort erwartete. Es würde seltsam sein, Ethan nach all den Jahren wiederzusehen. Amelia fragte sich, was der Grund für seine Rückkehr sein mochte. Während er um die Welt gereist war, hatte sie diesen Ort nur selten verlassen. Vermutlich konnte er sich nicht einmal mehr an sie erinnern. Da sie die Begegnung auf Dauer nicht vermeiden konnte, sollte sie es besser hinter sich bringen. Wahrscheinlich entsprach das Bild, das sie von ihm hatte, ohnehin nicht mehr der Realität. Schließlich waren sie alle älter geworden.

Als sie den voll beladenen Pick-up auf die Straße lenkte, verließ ihr Vater den Laden und blickte dem davonfahrenden Wagen hinterher. Amelia kannte die Strecke auswendig. Sie war hier geboren und in der weiten Landschaft des Nationalparks aufgewachsen.

Es dauerte nicht lange, bis sie den offiziellen Eingang zum Nationalpark erreicht hatte. Das kleine Blockhaus wurde von einem großen Parkplatz umgeben. Für die Besucher war es die letzte Möglichkeit, ihr Auto zu parken. Von dort aus ging es nur zu Fuß weiter, es sei denn, man hatte eine geführte Tour gebucht, oder es gab einen speziellen Grund, der es notwendig machte, mit dem Auto noch weiterzufahren. Viel zu häufig war es in der Vergangenheit zu Fehlverhalten der Besucher gekommen, bevor das allgemeine Verbot für Fahrzeuge ausgesprochen wurde. Amelia war froh, dass die Einhaltung der Regeln von den Rangern streng überwacht wurden. Sie dachte nur ungern daran zurück, wie sehr die Natur und die Tierwelt durch das rücksichtslose Fahren der Touristen gelitten hatte. Zudem war es äußerst gefährlich, von den vorgeschriebenen Wegen abzuweichen. Nicht umsonst wurden diese von den Rangern für unerfahrene Besucher angelegt. Die Wildnis des Nationalparks hatte ihre eigenen Regeln und war nicht mit einem Spaziergang im Park zu vergleichen. Amelia hatte durch ihren Vater bereits früh den respektvollen Umgang mit Natur und Tierwelt beigebracht bekommen. Und sie war vorsichtig genug, um keine Risiken einzugehen.

Durch die unebenen Straßen und ihren voll beladenen Pick-up kam sie nur langsam voran. Unter anderen Umständen hätte sie die Fahrt durch die Landschaft mehr genießen können, doch die aktuelle Situation lag ihr wie ein Stein im Magen. Sie fuhr die Strecke mindestens einmal in der Woche und über die Jahre hinweg hatte sich eine Freundschaft mit den Scotts gebildet. Es lebten nicht viele Menschen in Sharpewood, sodass es hilfreich war, wenn man sich mit den anderen Bewohnern verstand. Außerhalb der Saison, wenn nur wenige Touristen den Nationalpark besuchten, war es sehr still und die Kontakte beschränkten sich auf die Menschen, die im Umkreis lebten.

Sobald Amelia den Wald erreicht hatte, wurde es merklich kühler. Die dichten Baumkronen hielten die Sonnenstrahlen ab und tauchten den Weg in ein schummriges Licht. Nach kurzer Zeit hatten sich ihre Augen jedoch an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt. Der Wagen schaukelte, als sie über eine unebene Stelle fuhr, und Amelia umklammerte das Lenkrad fester. Sie lauschte nach hinten auf die Ladefläche, doch es war kein verdächtiges Scheppern zu hören gewesen. Der Ladung schien nichts passiert zu sein. Während sie vorsichtig weiterfuhr, lichtete sich der Wald und schon bald kam die Stonebridge Lodge in Sicht.

Die große Lodge war aus massiven Baumstämmen gefertigt und bot einen beeindruckenden Anblick mitten auf der Lichtung. Durch die erhöhte Lage hatte man einen fantastischen Blick auf das große Waldgebiet, welches das Haus von allen Seiten umschloss. Bei den meisten Anwohnern hatte das Projekt wenig Begeisterung ausgelöst, doch die Familie Scott hatte bei der Planung großartige Arbeit geleistet. Das gesamte Anwesen war geschmackvoll errichtet und mit Materialien aus der Gegend erbaut worden. Für das Bauvorhaben waren viele Leute aus der Gegend engagiert worden, was die Anwohner wieder besänftigt hatte. Auch Amelia war damals skeptisch gewesen, doch das Ergebnis hatte sie überzeugt.

Sie parkte den Wagen vor dem Hintereingang, als die Tür aufging und der Küchenchef der Lodge heraustrat. Amelia stieg aus und winkte dem mürrisch dreinblickenden Mann zu.

»Du bist früh dran«, begrüßte er sie knapp.

Amelia zuckte mit den Schultern und deutete auf die Ladefläche. »Immerhin ist dieses Mal alles vollständig geliefert worden. Auch die Sonderwünsche deiner Chefin haben wir bekommen.« Sie wusste aus Gesprächen, dass Carol Scott eine gradlinige Frau war, die ihren Betrieb mit größter Sorgfalt führte und dabei hohe Ansprüche an ihre Mitarbeiter hatte.

»Na immerhin etwas, das heute funktioniert.«

Fragend blickte Amelia ihn an. Er war neben sie getreten und half ihr beim Ausladen der Ware.

»Kein guter Tag?«, fragte sie schließlich, da seine schlechte Laune kaum zu übersehen war.

Er zuckte resigniert mit den Schultern. »Wir sind zurzeit vollständig ausgebucht und haben viel zu tun. Als wäre das nicht schon Arbeit genug, haben wir ein Ehepaar, das gerade erst angereist ist und sehr spezielle Wünsche für das Mittagessen hatte. Das hat meine Planung ziemlich durcheinandergebracht, aber ich habe natürlich trotzdem versucht, alles bestmöglich umzusetzen. Doch jetzt haben sie sich spontan umentschieden und wollten statt des aufwendig zubereiteten Mittagessens lieber einfache Lunch-Pakete, die sie auf ihre Wanderung mitnehmen können.«

»Sie wollen jetzt noch zu einer Wanderung aufbrechen?« Skeptisch blickte sie ihn an. Für eine größere Tour war es eigentlich schon zu spät. Es würde schwierig sein, vor der Dunkelheit wieder die Lodge zu erreichen. Und in der Dunkelheit sollte kein unerfahrener Tourist mehr allein unterwegs sein.

»Soweit ich weiß, haben sie für den morgigen Tag eine geführte Tour gebucht. Was sie jetzt noch machen wollen oder nicht, ist mir egal. Für einen kurzen Rundweg von ein paar Stunden sollte es trotzdem reichen. Das Essen ist nun ohnehin ruiniert.«

Nachdem sie die letzte Kiste abgeladen hatten, lehnte Amelia sich gegen das Fahrzeug. Sie war ein wenig außer Atem und nutzte die Pause, um sich kurz auszuruhen.

»Dafür, dass ihr vollständig ausgebucht seid, ist es ziemlich ruhig«, stellte sie fest. In der Hauptsaison war die Lodge eine beliebte Übernachtungsmöglichkeit bei den Touristen, da sie einiges an Komfort zu bieten hatte und in einer wunderschönen Lage direkt im Wald lag.

»Die meisten Gäste sind auf einer Wanderung unterwegs und werden erst heute Abend zurückkommen.«

Amelia nickte ihm zu und verabschiedete sich schließlich. Sie hatte gehofft, dass er noch etwas mehr erzählen und dabei vielleicht auch auf die Scotts zu sprechen kommen würde. Doch das war nicht der Fall. Es hatte keinen Sinn, die Rückfahrt noch länger hinauszuzögern. Wenn sie daran dachte, wie widerwillig sie hierhergefahren war, fiel es ihr nun erstaunlich schwer, wieder aufzubrechen. Sie hatte nicht erwartet, dass sie niemandem begegnen würde. Oder zumindest niemandem der Familie Scott.

Während sie den Pick-up wendete und im Schritttempo zur Vorderseite der Lodge fuhr, entdeckte sie zwei Wanderer, die offenbar zu einer Tour aufbrachen. Der Mann wartete ungeduldig, während die Frau sich umständlich bückte und die Schnürsenkel an ihren Schuhen zuband. Das musste das Ehepaar sein, das für den Ärger mit dem Mittagessen verantwortlich war. Sie fuhr langsam an ihnen vorbei, beachtete sie jedoch nicht weiter. Es wurde Zeit, zurückzufahren.

 

Am frühen Abend befand sie sich endlich auf dem Heimweg. Es war ein langer Tag gewesen, an dem sie eine Bestellung nach der anderen ausgefahren hatte. Das Gebiet war groß und dementsprechend lange dauerten die Fahrten zu den einzelnen Kunden. Ihre letzte Tour war erledigt, und sie freute sich darauf, endlich die Füße hochlegen zu können. Sie war seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen und die Erschöpfung machte sich bemerkbar. Die Sonne war dabei unterzugehen und tauchte den Himmel in ein Farbspektakel aus orangenen und roten Schattierungen.

Amelia spürte die letzte Wärme des Tages auf ihrem Gesicht, während sie den Pick-up auf die Hauptstraße des Ortes lenkte. Bereits nach wenigen Sekunden wurde ihr klar, dass etwas nicht in Ordnung war. Normalerweise war es um diese Zeit auf den Straßen um einiges ruhiger. Die meisten Menschen saßen zu Hause beim Abendessen, bevor sie am späten Abend noch einen Abstecher in die Bar von Mike Torres machten. Doch heute standen ungewöhnlich viele Leute vor dem Laden ihres Vaters versammelt.

Mit einem unguten Gefühl stieg sie aus dem Wagen und war erleichtert, ihren Vater wohlbehalten auf der Veranda vorzufinden. Sie trat näher und vergewisserte sich unauffällig, dass mit ihm alles in Ordnung war.

Er bemerkte ihre sorgenvolle Miene und winkte ab. »Mir geht es gut. Mach dir keine Sorgen.«

»Was ist denn hier los?«, fragte sie, während sie die Menschen betrachtete.

»Die Stonebridge Lodge hat einen Rundruf gestartet. Sie vermissen zwei Wanderer, die noch nicht zurückgekehrt sind. Offenbar sind sie ohne Guide losgezogen und haben ihre Route nicht hinterlegt.« Sein Missfallen über dieses Verhalten war deutlich erkennbar. Es war für unerfahrene Touristen gefährlich, nach Einbruch der Dunkelheit noch im Park unterwegs zu sein. Sie wussten alle um die Gefahren, die dort draußen lauern konnten.

»Wahrscheinlich waren es die zwei Leute, die ich gesehen habe, als ich die Lieferung zur Stonebridge Lodge gebracht habe.«

»Das kann gut sein. Es handelt sich um ein Ehepaar. Eine Frau und einen Mann im Alter von 42 und 45 Jahren. Offenbar ziemliche Anfänger und erst seit Kurzem in der Gegend.«

»Was passiert jetzt?«

»Der junge Scott hat sich mit ein paar Helfern auf die Suche gemacht. Die Ranger wurden bereits informiert. Alle halten Ausschau nach den Vermissten, aber in der bald einsetzenden Dunkelheit werden sie nicht viel ausrichten können. Falls sie tatsächlich nicht in den nächsten Stunden zurückkehren, wird morgen früh bei Sonnenaufgang ein Suchtrupp organisiert. Hoffen wir mal, dass die Leute schlau genug sind und ihren Weg zurückfinden.«

Amelia konnte ihm nur zustimmen. Wenn das jedoch nicht der Fall sein sollte, musste sie ihren morgigen Tag umplanen. Sie wollte auf jeden Fall bei der Suche helfen.

Kapitel 2

 

Was sie befürchtet hatten, war über Nacht eingetreten. Die Wanderer waren nicht zurückgekehrt und wurden weiterhin vermisst. Derartige Situationen kamen zum Glück nicht allzu oft vor. Durch die geführten Touren der Guides und ausgeschilderte Wege, die die Ranger anlegten, wurde das Risiko für unerfahrene Wanderer deutlich minimiert. Doch es gab immer wieder Touristen, die sich überschätzten und abseits der Wege die Gegend erkunden wollten. Diese Entscheidungen konnten im schlimmsten Fall fatale Folgen haben.

Amelia hatte sich bereits früh auf den Weg zur Stonebridge Lodge gemacht. Das erste Licht des Tages durchbrach die Dunkelheit, während sie den Wagen langsam über die verlassenen Straßen lenkte. Der Lichtkegel umfasste die Bäume im Dickicht des Waldes und scheuchte hin und wieder kleine Wildtiere auf. Trotz der frühen Morgenstunden war sie hellwach und konzentrierte sich auf den vor ihr liegenden Weg. Es war nicht ganz ungefährlich, bei diesen Lichtverhältnissen durch den Wald zu fahren. Doch sie kannte die Straßenverhältnisse und war eine sichere Fahrerin.

An der Lodge angekommen war sie überrascht über die Menge an geparkten Fahrzeugen. Offenbar war sie nicht die Einzige, die sich früh auf den Weg gemacht hatte, um sich an der Suchaktion zu beteiligen. Sie fand einen freien Parkplatz und nahm ihren Rucksack vom Beifahrersitz. Im schlechtesten Fall würde die Suche den ganzen Tag dauern, daher war es wichtig, die richtige Ausstattung für einen langen Fußmarsch dabeizuhaben. Außerdem ging sie nie auf eine größere Wandertour, ohne ihren Rucksack und die notwendige Grundausstattung.

Auf der großen Veranda hatten sich die ersten Freiwilligen versammelt und stärkten sich mit frisch aufgebrühtem Kaffee. Auch Amelia griff nach einem Becher und schenkte großzügig ein. Sie begrüßte die Anwesenden kurz und stellte fest, dass sie die meisten von ihnen kannte. Was im Grunde nicht weiter verwunderlich war. Wenn jemand Hilfe brauchte, half man sich gegenseitig, so gut es ging. Unwillkürlich hatte sie die Anwesenden gemustert und dabei nach einem bestimmten Gesicht Ausschau gehalten. Doch genauso wie am gestrigen Tag konnte sie ihn auch heute nicht entdecken. Hatte sie sich gestern noch vor der Begegnung gefürchtet, schlug ihre Nervosität allmählich in Frustration um. Sie hätte es gerne hinter sich gebracht. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, war sie auch ein wenig neugierig, inwieweit er sich nach all den Jahren verändert hatte.

Während die Sonne immer weiter aufstieg und beinahe die ersten Baumwipfel erreichte, hatte sich eine beachtliche Menge von Menschen zusammengefunden, die an der Suchaktion teilnehmen würden. Kurz dachte Amelia an die verschwundenen Touristen. Sie hatten vermutlich die ganze Nacht im Wald verbracht. Es wurde Zeit, dass man sie fand.

Einer der Ranger hatte sich gut sichtbar für alle aufgestellt und räusperte sich, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Auf der Motorhaube seines Wagens war eine Karte der Gegend ausgebreitet. Sein Kollege war bereits damit beschäftigt, mögliche Routen mit einem roten Filzstift zu markieren. Bevor die Suchtrupps eingeteilt wurden, bekamen sie eine kurze Einführung und einen Bericht über die aktuelle Lage.

»Es handelt sich um zwei vermisste Personen, die Gäste der Stonebridge Lodge sind. Maureen und Terry Adams sind verheiratet und 42 und 45 Jahre alt. Soweit wir informiert sind, handelt es sich um unerfahrene Touristen, die zum ersten Mal zu Besuch im Nationalpark sind. Daher haben sie vermutlich keine besonderen Kenntnisse über die Gegend. Das Ehepaar ist am gestrigen Tag um die Mittagszeit zu einer spontanen Wanderung aufgebrochen. Sie haben keine Route an der Rezeption hinterlegt, wollten jedoch zum Abendessen zurück sein. Für den heutigen Tag war eine geführte Wanderung gebucht, wir sind daher überzeugt, dass sie nicht freiwillig über Nacht ferngeblieben sind. Wahrscheinlich sind sie vom Weg abgekommen und haben sich im Wald verirrt. Es wurde am gestrigen Abend, nachdem die Gäste nicht zurückgekehrt sind, ein kleiner Suchtrupp zusammengestellt, der hauptsächlich aus Rangern und erfahrenen Tourguides bestand. Aufgrund der fortschreitenden Dunkelheit musste die Suche jedoch frühzeitig abgebrochen werden.« Erneut räusperte er sich, dieses Mal allerdings aus einem anderen Grund. »Nathan Scott hat sich ebenfalls an der Suche beteiligt. Aufgrund ungeklärter Umstände haben wir den Funkkontakt zu ihm verloren. Nachdem die restlichen Helfer zurückgekehrt sind, blieb Nathan verschwunden. Er ist seitdem nicht wieder aufgetaucht.«

Ein erstauntes Raunen ging durch die Anwesenden. Amelia starrte den Ranger schockiert an. Sie konnte nicht glauben, was sie soeben gehört hatte. Nathan Scott war der mittlere der Scott-Brüder und ausgebildeter Ranger. Sein älterer Bruder Ethan war vor Kurzem wieder zurückgekehrt und sein jüngerer Bruder Sean war zurzeit beruflich in einem anderen Land unterwegs. Nathan kannte die Gegend wie seine Westentasche. Es war unvorstellbar, dass er sich verlaufen haben sollte.

Der Ranger versuchte wieder Ruhe in die Gruppe von Anwesenden zu bringen. »Vermutlich gibt es für seine Abwesenheit eine einfache Erklärung. Möglicherweise hat er die vermissten Wanderer gefunden, wollte den Rückweg jedoch nicht in der Dunkelheit zurücklegen. Wir hatten gehofft, dass sie im Morgengrauen aufbrechen werden, aber bislang sind sie nicht wieder aufgetaucht. Daher werden wir die Suche wie geplant starten, und ein Suchtrupp wird sich zu der Stelle begeben, an der wir zuletzt Kontakt mit Nathan hatten.« Nachdem er geendet hatte, teilten seine Kollegen die Personen in Gruppen ein und erklärte ihnen ihren zugewiesenen Suchbereich.

Amelia hob ihren Rucksack vom Boden auf und begab sich zu ihrer Gruppe. Sie bildete ein Suchteam zusammen mit Frank und Beth. Sie war froh, gemeinsam mit ihrer Freundin in einer Gruppe zu sein. Beth war vor einigen Jahren nach Sharpewood gezogen und hatte die Bäckerei ihrer Tante übernommen. Da sie ungefähr im selben Alter waren, hatten sich die Frauen schnell angefreundet. Auch die Bewohner des Ortes waren sowohl von Beths fröhlichem Charakter als auch von ihren Backkünsten schnell überzeugt und hatten sie herzlich aufgenommen.

Bevor sie etwas zu ihrer Gruppe sagen konnte, erklang ein lautes Poltern auf der Treppe. Überrascht drehte sie sich um und erstarrte. Nicht weit entfernt stand Ethan Scott und schnallte seinen Rucksack fest. Nur Sekunden später trat seine Mutter ebenfalls auf die Veranda und redete mit leiser Stimme auf ihn ein. Doch Ethan ignorierte sie. Ohne sie eines Blickes zu würdigen, trat er die Treppenstufen nach unten und zog dabei das linke Bein unmerklich nach.

Dort stand er nur wenige Meter von ihr entfernt. Obwohl es Jahre her war, seit sie sich zum letzten Mal begegnet waren, hatte sie ihn sofort erkannt. Er hatte sich verändert und war nicht mehr der junge Mann Anfang zwanzig, der er gewesen war, als er zu seiner Reise aufgebrochen war. Doch genauso hatte Amelia ihn in ihren Gedanken festgehalten. In ihren Erinnerungen hatte er sich weder verändert noch war er gealtert. Es war ein unwirkliches Gefühl, ihn jetzt als erwachsenen Mann wiederzusehen.

Sie überlegte einen Moment und kam zu der Schlussfolgerung, dass er vor Kurzem seinen 36. Geburtstag gefeiert haben musste. Die Zeit hatte ihn reifen lassen, seine Gesichtszüge kantiger gemacht und seinen Körper breiter und muskulöser werden lassen. Auf die Entfernung war es schwer, Einzelheiten zu erkennen, doch soweit sie es beurteilen konnte, war er noch immer sehr attraktiv. Jetzt allerdings auf eine andere Art und Weise. Sie hoffte sehr, dass er nicht mehr dieselbe Anziehungskraft besaß, deren Wirkung sie damals gnadenlos ausgeliefert war. Wie gebannt starrte Amelia ihn an, als sich eine Hand auf ihren Arm legte.

»Bist du so weit? Wir sollten aufbrechen«, erklang Beths Stimme.

Ein wenig verlegen wandte Amelia sich ihr zu. »Ja, natürlich. Ich komme schon.«

Eilig folgte sie ihr, während Frank mit großen Schritten vorauslief. Sie konnte es jedoch nicht verhindern, dass sie sich bereits nach wenigen Metern erneut umdrehte und einen Blick über die Schulter warf. Ethan stand mittlerweile bei einem der Ranger und diskutierte eindringlich mit ihm.

»Es muss seltsam für dich sein, dass Ethan plötzlich wieder da ist.« Beth lief auf dem schmalen Pfad neben ihr her und betrachtete sie von der Seite.

»Er war lange weg«, entgegnete sie ausweichend und versuchte sich auf die Umgebung zu konzentrieren. Doch Beth ließ sich davon nicht beirren.

»Ethan war nicht mal zu der Beerdigung seines Vaters im letzten Jahr hier. Und jetzt taucht er wie aus dem Nichts wieder auf.« Beth schüttelte ungläubig den Kopf.

Doch Amelia hatte kein Interesse daran, dieses Thema mit ihr zu diskutieren. »Weißt du, was mit seinem Bein passiert ist?«, fragte sie stattdessen.

Beth runzelte die Stirn, doch nach kurzem Zögern antwortete sie schließlich. »Nathan war vor ein paar Monaten in der Bar. Wir haben uns unterhalten, und er hat erzählt, dass sein Bruder einen Bootsunfall gehabt hat. Dabei hat er sich offenbar das Knie verletzt. Muss eine ziemlich schlimme Sache gewesen sein. Er war eine lange Zeit im Krankenhaus und war danach noch eine Weile in einer Reha-Klinik.« Als hätte sie bereits zu viel gesagt, verstummte Beth plötzlich. Für die ansonsten sehr gesprächige Frau war das ungewöhnlich.

Schockiert blickte Amelia sie an. »Das wusste ich nicht. Wie kann es sein, dass ich in unserer kleinen Stadt noch nichts davon gehört habe?«

»Ich habe es für mich behalten. Also zumindest bis jetzt. Aber da Ethan wieder da ist, wird es über kurz oder lang sowieso das Gesprächsthema der Stadt sein.« Sie seufzte. »Nathan hatte an dem Abend in der Bar einen schwierigen Tag gehabt und schon zu viel getrunken. Ansonsten hätte er es mir wahrscheinlich nicht erzählt. Deshalb habe ich es lieber für mich behalten. Offenbar wollte er nicht, dass es jemand weiß.«

Das war kein ungewöhnliches Verhalten für die Familie Scott, die Dinge lieber für sich behielten. Allerdings sorgten sie unfreiwillig immer wieder dafür, dass den Bewohnern der Stadt der Gesprächsstoff nicht ausging. Und die kleinen und großen Dramen der Scotts waren ein beliebtes Thema.

Amelia war in Gedanken versunken und brauchte einen Moment, um die neuen Informationen zu verarbeiten, als Frank plötzlich stehen blieb. Er war den gesamten Weg vorneweg gelaufen und blickte sich nun aufmerksam um.

»Frank, ist alles in Ordnung?« Die Frauen traten zu ihm und schauten sich ebenfalls um.

»Wir sind an der vereinbarten Stelle angekommen. Hier beginnt unser zugewiesenes Suchgebiet.«

Nun wurde es also ernst. Obwohl sie bereits auf dem Hinweg Ausschau gehalten hatten, wurde ihnen der Ernst der Situation jetzt umso bewusster. Sie wussten noch immer nicht, wo sich die Wanderer befanden. Auch die anderen Gruppen, die über Funk Kontakt hielten, hatten bisher kein Glück gehabt.

Frank erklärte ihnen das weitere Vorgehen, während sie angespannt zuhörten. Amelia kannte den älteren Mann gut und war froh, von seiner Erfahrung lernen zu können. Er war einige Jahre jünger als ihr Vater und Stammkunde in ihrem Laden. Während sie ihn betrachtete, wurde ihr bewusst, dass man ihm sein Alter kaum ansah. Funktional, aber sportlich gekleidet machte er noch immer eine gute Figur. Vermutlich wurde ihr erst durch seinen Anblick bewusst, wie sehr ihr Vater durch seine Krankheit in den letzten Monaten gealtert war. Sie versuchte den Gedanken abzuschütteln und sich auf die vor ihr liegende Suche zu fokussieren.

Konzentriert teilten sie sich schließlich auf und gingen mit Abstand zu den anderen im gleichmäßigen Tempo vorwärts, während sie die Umgebung im Auge behielten und alle paar Schritte die Namen der Touristen riefen. Ihre Stimmen hallten verzerrt durch den Wald. Die Bäume dämpften die Geräusche. Amelia hatte das ungute Gefühl, dass das Knacken der Äste unter ihren Wanderschuhen lauter war als die Rufe ihrer Stimmen. Es war ein frustrierendes Erlebnis. Amelia war nicht zum ersten Mal bei einem Suchtrupp dabei, doch sie war froh, dass dies nicht zu ihrem Alltag dazugehörte. Die meisten Vermisstenfälle wurden durch die Ranger schnell aufgeklärt oder die Wanderer fanden ihren Weg von selbst wieder zurück. Oft kamen alle mit dem Schrecken davon und Amelia war froh darüber. Sie wollte nicht wissen, wie schlimm dieses Erlebnis für die Betroffenen sein musste. Allein durch die unendliche Weite des Nationalparks zu irren und den Gefahren der Natur, des Wetters und den Wildtieren ausgeliefert zu sein. Schaudernd zog sie die Schultern hoch. Sie war froh über ihre wasserdichte Regenjacke, die sie in der kühlen Dunkelheit des Waldes wärmte. Der Wetterbericht hatte einen sonnigen Tag angekündigt, doch am frühen Morgen war davon noch wenig zu spüren. Über den Tag hinweg würde das Wetter hoffentlich aufklaren.

Sie warf einen prüfenden Blick zu Frank, der konzentriert die Gegend beobachtete, während er langsam vorwärtslief. Wie immer trug er eine Basecap auf dem Kopf, die seine allmählich ergrauten Haare verdeckte. Amelia hatte ihn selten ohne Kopfbedeckung gesehen, und sie war sich sicher, dass er eine ganze Sammlung davon besaß. Sobald sie im Laden eine neue Auswahl anboten, war Frank der Erste, der die Ware begutachtete.

Der kurze Moment Unachtsamkeit hatte gereicht, um sie über eine Wurzel stolpern zu lassen. Amelia fluchte leise und richtete den Blick wieder auf den Weg zu ihren Füßen. In der Nacht hatte es geregnet und der Waldboden war weich, doch sie konnte keine verdächtigen Spuren entdecken. Es hätte sie ohnehin gewundert, wenn die Wanderer an dieser Stelle durchs Dickicht gelaufen wären. Sie waren mehrere Hundert Meter weit von befestigten Wegen entfernt.

Neben ihr knackte es im Gebüsch, was nicht weiter verwunderlich war, doch Amelia stellte irritiert fest, dass das Geräusch aus der falschen Richtung kam. Sie hatten eine Reihe gebildet und Beth in ihre Mitte genommen. Beth befand sich auf ihrer rechten Seite und setzte unbeirrt ihren Weg fort. Doch das Geräusch war von der anderen Seite gekommen. Erneut knackte es und die Zweige im Gebüsch raschelten. Erschrocken blieb sie stehen. Das Gebüsch war breit und von dichtem Blätterwerk durchzogen. Sie konnte nicht sehen, was sich dahinter verbarg. Doch um einen Menschen zu verbergen, war das Gebüsch zu niedrig. Ein kleineres Wildtier würde sie allerdings nicht sehen können.

Verunsichert überlegte sie, nach den anderen zu rufen, als sich erneut die Blätter bewegten. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Irgendjemand oder irgendetwas verbarg sich dort. Sie hoffte sehr, dass es sich dabei nicht um einen Bären handelte. Doch dafür war es weder die richtige Zeit noch der richtige Ort. Bevor sie eine Entscheidung treffen konnte, brach ein goldener Schatten durch das Gebüsch und rannte direkt auf sie zu. Verängstigt schrie sie auf, bis ihr klar wurde, dass es kein wildes Tier, sondern ein Hund war. Und zwar nicht irgendein Hund. Aufgeregt sprang der Hund an ihr hoch und sie streichelte das goldene Fell. Beth und Frank waren zu ihr geeilt, während sie sich bückte und versuchte, den Hund zu beruhigen.

»Das ist Nathans Hund«, rief sie den anderen entgegen. Als sie aufblickte, sah sie in entsetzte Gesichter. Verwirrt drehte sie sich um und betrachtete das Tier eingehender. Jetzt wurde ihr klar, wieso die anderen so erschrocken waren. Am Maul und an den Pfoten des Hundes klebte getrocknetes Blut.

Kapitel 3

 

Während Frank den Hund mit Wasser aus seinem Rucksack versorgte, hatten Amelia und Beth den Golden Retriever auf Verletzungen untersucht. Das Blut war bereits vollständig getrocknet, hob sich jedoch deutlich von dem hellen Fell ab.

»Ich habe keine Wunde gefunden. Ich denke nicht, dass das Blut von Scottie ist. Er scheint nicht verletzt zu sein.«

Erleichtert atmete Amelia auf. Der Hund beruhigte sich allmählich und war auch sonst in guter Verfassung. Doch woher stammte das Blut? Und wo war Nathan?

»Ich werde ihn vorsichtshalber anleinen. Er ist zwar gut erzogen, aber ich weiß nicht, ob er auf uns hören wird«, meinte Frank und bastelte mit seinem Gürtel eine provisorische Leine an das Halsband des Hundes.

»Wenn Scottie hier ist, muss Nathan irgendwo in der Nähe sein. Vielleicht hat er uns gehört und ist deshalb gekommen. Er würde sich nicht von Nathan entfernen, es sei denn, es ist etwas passiert«, warf Beth ein. Die Sorge war ihr deutlich anzusehen.

Stirnrunzelnd blickte Frank sie an. »Wir befinden uns in keinem der Suchgebiete, in denen Nathan vermutet wird. Er ist von einer völlig anderen Stelle gestartet. Ich kann mir kaum vorstellen, wie er hierher gelangt sein soll. Die Suchgebiete wurden durch die große Beteiligung an Helfern großflächig angelegt. Das hätten Nathan und die Helfer, die ihn begleitet haben, überhaupt nicht leisten können.«

Nachdenklich standen sie da und betrachteten den Hund.

»Vielleicht kann uns der Hund zu Nathan führen«, schlug Amelia vor. »Ein Versuch kann zumindest nicht schaden. Außer der Richtung, aus der er gekommen ist, haben wir sonst keinen Anhaltspunkt, wo wir am besten nach ihm suchen können.«

Frank kratzte sich am Kopf und blickte sich um. »Wir sollten unseren Suchabschnitt verlassen und zumindest versuchen, ob der Hund uns irgendwohin führt. Ich übernehme die Verantwortung für die Entscheidung, werde mich jedoch mit dem Koordinator besprechen und ihn über die Änderung informieren. Dann muss ein anderer Suchtrupp unseren Abschnitt übernehmen.«

Beth und Amelia stimmten seiner Idee zu. Nachdem sie den Suchleiter per Funk über die Änderung informiert hatten, machten sie sich auf den Weg. Sie liefen in die Richtung, aus der der Hund gekommen war. Etwas umständlich kämpften sie sich durch das Gebüsch und stolperten durch das Unterholz. Es dauerte ein paar Minuten, in denen sie der Hund irritiert anblickte, doch er folgte ihnen anstandslos. Frank versuchte ihm verständlich zu machen, was sie von ihm erwarteten, indem er ihn hin und her führte und immer wieder Nathans Namen sagte.

»Langsam komme ich mir dämlich vor. Vermutlich versteht er kein Wort von dem, was ich sage.«

Nach einigen Minuten hatte Frank mit seinen Bemühungen schließlich Erfolg. Der Hund schien verstanden zu haben, was von ihm erwartet wurde. Zumindest interpretierten sie sein zielstrebiges Verhalten in diese Richtung. Eifrig warf er sich in die provisorische Leine und zog Frank mit sich. Eilig folgten Amelia und Beth dem ungleichen Paar.

»Hoffentlich funktioniert das tatsächlich«, murmelte Frank, während er Mühe hatte, dem Tempo des Hundes zu folgen.

Während sie scheinbar ziellos durch den Wald irrten, wurden die Bäume um sie herum immer dichter. Sie hatten sich weit von den Wegen entfernt und schlugen sich durchs Unterholz. Besonders hartnäckige Äste kratzten an Amelias Regenjacke. Die Luft wurde allmählich wärmer und durch das hohe Tempo fing sie bald an zu schwitzen. Doch der Stoff bot ihr einen gewissen Schutz gegen die Äste, weshalb sie die Jacke vorsorglich anbehielt.

Frank versuchte den Hund immer wieder leicht zu bremsen, damit sie den Anschluss nicht völlig verloren. Sie mussten unter allen Umständen als Gruppe zusammenbleiben. Amelia beschleunigte unwillkürlich ihre Schritte, obwohl sie bereits schwerer atmete. Erst vor Kurzem hatte sie darüber nachgedacht, wie schlimm die Erfahrung sein musste, sich im Wald zu verirren. Sie wollte dieses Gedankenspiel ungern zur Realität werden lassen.

»Hätten wir Nathan nicht schon längst finden müssen?«, keuchte Beth. »Wir irren bereits seit einer halben Stunde durch den Wald. Ich habe mittlerweile vollkommen die Orientierung verloren. Wenn wir nicht aufpassen, wird für uns ebenfalls ein Suchtrupp benötigt.« Offenbar waren Beths Gedanken in eine ähnliche Richtung gegangen.

Insgeheim stimmte Amelia ihr zu, doch Frank lief unbeirrt weiter.

»Aber was bleibt uns anderes übrig? Vielleicht ist das die schnellste Möglichkeit, um Nathan zu finden. Vermutlich sogar die einzige«, murmelte er, während er die Leine erneut fester packte. Doch der Hund stemmte sich mit seinem gesamten Gewicht in die Leine und lief unverändert weiter.

Plötzlich fing Scottie an zu winseln. Schwer atmend blieben sie stehen und lauschten auf die Stille des Waldes. Selbst die Vögel waren verstummt. Amelia bekam eine Gänsehaut, während der Hund immer aufgeregter um sie herumsprang.

»Bitte lass es keinen Bären sein«, murmelte Beth neben ihr.

Doch auch dieses Mal hatten sie Glück. Nachdem sie vorsichtig weitergelaufen waren, blieb Frank unvermittelt stehen.

»Schaut mal, da vorn.« Frank deutete auf eine Stelle wenige Hundert Meter von ihnen entfernt. Er hatte sich zwischen den dicht beieinanderstehenden Bäumen hindurchgedrängt und bog einige Äste zur Seite, damit sie besser sehen konnten.

Beth schrie auf, als sie entdeckte, was Frank bereits gesehen hatte, und stürmte hastig an ihm vorbei. Amelia beschleunigte ebenfalls ihre Schritte, während sich Scottie schließlich ungeduldig losriss und sie überholte. Laut bellend stürmte er auf die Person am Boden zu.

Erleichtert stellte Amelia fest, dass Nathan sich bewegte. Er hob einen Arm, um seinen Hund zu begrüßen, und blickte ihnen entgegen. An den Stamm eines großen Baumes gelehnt saß er da und wartete, bis sie bei ihm waren.

»Nathan, ist alles in Ordnung?« Beth ließ sich neben ihm auf den Boden sinken.

Frank suchte bereits im Rucksack nach seiner Wasserflasche und reichte sie Nathan. Dankbar nahm er sie entgegen und trank gierig ein paar Schlucke, wobei sich sein Gesicht schmerzvoll verzog.

Er trug ebenfalls robuste Wanderkleidung mit einer leichten wasserfesten Jacke und Wanderschuhen. Im Gegensatz zu ihnen war seine Kleidung jedoch verdreckt und er wirkte insgesamt etwas mitgenommen. Da er offenbar die Nacht im Wald verbracht hatte, ohne einen Unterstand zu finden, war das allerdings nicht weiter verwunderlich.

Amelia versuchte Scottie ein wenig zur Seite zu ziehen, um Nathan besser sehen zu können. Sie entdeckte das Blut in seinen hellbraunen Haaren und beugte sich zu ihm hinunter.

»Du hast Blut am Kopf«, murmelte sie halblaut, doch er hatte sie trotzdem verstanden.

---ENDE DER LESEPROBE---