Verräterische Stille - Luise Klein - E-Book
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Luise Klein

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Beschreibung

Eigentlich wollte Sean Scott bei seiner Rückkehr in den Nationalpark ein paar erholsame Wochen mit seiner Familie verbringen. Doch bereits am nächsten Tag steht Hailey Clarke vor seiner Tür und bittet ihn um Hilfe. Die Arztpraxis in dem kleinen Ort Sharpewood braucht dringend Unterstützung, seit der zuständige Arzt wegen einem gebrochenen Bein ausfällt. Während er versucht, den Alltag mit störrischen Patienten und einem dauerhungrigen Kater zu meistern, wird die Praxis das Ziel mysteriöser Vorfälle. Hailey Clarke lebt erst seit wenigen Monaten in der Kleinstadt am Rande des Nationalparks. Plötzlich steht sie vor der Herausforderung, mit dem attraktiven Arzt zusammenarbeiten zu müssen. Aber es wird schnell klar, dass aus dem freundschaftlichen Arbeitsverhältnis mehr werden könnte. Denn beide fühlen sich zueinander hingezogen, und die Chemie ist von der ersten Sekunde an spürbar. Doch vorher müssen sie herausfinden, wer hinter den seltsamen Ereignissen steckt. Humorvoll, spannend, mit einer großen Portion Liebe und Freundschaft. Der zweite Band der Sharpewood Valley Reihe. Der Roman ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen Büchern der Reihe gelesen werden.

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Inhalt

Eigentlich wollte Sean Scott bei seiner Rückkehr in den Nationalpark ein paar erholsame Wochen mit seiner Familie verbringen. Doch bereits am nächsten Tag steht Hailey Clarke vor seiner Tür und bittet ihn um Hilfe. Die Arztpraxis in dem kleinen Ort Sharpewood braucht dringend Unterstützung, seit der zuständige Arzt wegen einem gebrochenen Bein ausfällt. Während er versucht, den Alltag mit störrischen Patienten und einem dauerhungrigen Kater zu meistern, wird die Praxis das Ziel mysteriöser Vorfälle.

Hailey Clarke lebt erst seit wenigen Monaten in der Kleinstadt am Rande des Nationalparks. Plötzlich steht sie vor der Herausforderung, mit dem attraktiven Arzt zusammenarbeiten zu müssen. Aber es wird schnell klar, dass aus dem freundschaftlichen Arbeitsverhältnis mehr werden könnte. Denn beide fühlen sich zueinander hingezogen, und die Chemie ist von der ersten Sekunde an spürbar. Doch vorher müssen sie herausfinden, wer hinter den seltsamen Ereignissen steckt.

»Verräterische Stille« ist der zweite Band der Sharpewood Valley Reihe.

Der Roman ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen Büchern der Reihe gelesen werden.

Über die Autorin

 

Luise Klein lebt in Süddeutschland. Zwischen der Begeisterung für die Berge und dem Sehnsuchtsort Meer hin- und hergerissen ist eine ihrer Leidenschaften das Reisen. Als begeisterte Leserin hat sie schließlich angefangen, ihre eigenen Geschichten zu schreiben. Da sie selbst ihre Zeit gerne draußen verbringt, spielen ihre Romane oftmals an interessanten Orten in der Natur.

 

Am liebsten schreibt sie spannende Liebesromane und romantische Komödien mit großem Wohlfühlfaktor, humorvollen Dialogen und skurrilen Bewohnern einer Kleinstadt.

 

Bereits erschienen:»Sommer der Gewissheit«»Verborgene Gefahr« (Sharpewood Valley Band 1) »Verräterische Stille« (Sharpewood Valley Band 2) »Verhängnisvolle Strömung« (Sharpewood Valley Band 3) »Verschneite Weihnachten in Sharpewood Valley« (Sharpewood Valley Band 4) »Maple Love – Ganz viel Glück mit dir« (Maple Love Band 1) »Maple Love – Ganz viel Liebe für uns« (Maple Love Band 2) »Maple Love – Ganz viel Sehnsucht nach dir« (Maple Love Band 3)

 

 

Copyright © 2021 Luise Klein

Coverdesign: Christin Giessel, Giessel Design,

www.giessel-design.de

Korrektorat: SW Korrekturen e.U.

 

Luise Klein

c/o autorenglück.de

Franz-Mehring-Str. 15

01237 Dresden

E-Mail: [email protected]

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf ohne Zustimmung der Autorin nicht wiedergegeben, kopiert, nachgedruckt oder oder anderweitig verwendet werden.

 

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

DANKSAGUNG

WEITERE BÜCHER DER AUTORIN

 

Kapitel 1

Ruckartig kam der Wagen zum Stehen, als Sean das Bremspedal bis zum Anschlag durchdrückte. Erschrocken blickte er sich um, doch von der Katze war weit und breit nichts zu sehen. Nachdem er einen prüfenden Blick in den Rückspiegel geworfen hatte, stieg er aus und schaute sich um.

In dem kleinen Ort Sharpewood waren viel befahrene Straßen eine Seltenheit. Lediglich die Touristen, die jedes Jahr in großen Mengen den Nationalpark besuchten, sorgten für eine Steigerung im Verkehrsaufkommen. Am späten Nachmittag war jedoch alles ruhig. Sean nutzte die Gelegenheit, um sich ausgiebig zu strecken. Die Fahrt vom Flughafen war lang gewesen, und er hatte an diesem Tag bereits mehr Zeit im Sitzen verbracht als sonst in einer Woche. Prüfend lief er um den Wagen herum, doch von der Katze war weit und breit nichts zu sehen. Er war überzeugt, dass er das Tier nicht erwischt hatte, aber um sicherzugehen, ließ er sich auf die Knie sinken und warf einen Blick unter das Fahrzeug. Er musste ein seltsames Bild abgegeben haben, wie er halb verdeckt auf dem Boden lag und seinen Hintern in die Luft streckte.

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, ertönte plötzlich die Stimme einer Frau.

Erschrocken fuhr er hoch und stieß sich den Kopf an dem Unterboden. Fluchend kroch Sean unter dem Auto hervor. Sobald er wieder aufrecht stand, betastete er seinen schmerzenden Hinterkopf. Das würde vermutlich eine dicke Beule geben.

»Haben Sie sich verletzt?« Besorgt war die Frau ein paar Schritte auf ihn zugeeilt.

»Nein, es ist nichts passiert.« Unwillig blickte er auf und blinzelte die Unbekannte an. Es war einige Zeit her, seit er zuletzt zu Hause gewesen war, allerdings hätte er sich an diese Frau bestimmt erinnert. Doch er war sich sicher, ihr noch nie begegnet zu sein.

Während er sie anstarrte, erwiderte sie unverwandt seinen Blick. So leicht war sie offenbar nicht aus dem Konzept zu bringen.

»Ich kann mir Ihren Kopf ansehen, wenn Sie möchten.«

»Mit meinem Kopf ist alles in Ordnung«, versicherte er ihr. Das entsprach zwar der Wahrheit, aber er wusste nur zu gut, dass Ärzte selbst oftmals die schlechtesten Patienten waren. Und er stellte keine Ausnahme von diesem Phänomen dar.

»Was haben Sie unter dem Auto gesucht?« Neugierig blickte sie sich um.

»Mir ist eine Katze direkt vor das Fahrzeug gelaufen. Ich wollte sichergehen, dass sie nicht verletzt ist.«

»Ach herrje.« Erschrocken ließ sie sich zu Boden sinken und schaute ebenfalls unter den Wagen.

Erstaunt sah Sean zu, wie sich die Frau flach auf den Asphalt legte. Dabei wurde ihre Kleidung auf die schmutzige Straße gepresst. Erst jetzt bemerkte er die praktische Berufskleidung, die ihre Tätigkeit als Arzthelferin verriet, und blickte zu dem Gebäude am Straßenrand. Jeder im Ort kannte die Arztpraxis von Dr. Wilson. Der Arzt leitete die Praxis länger, als Sean auf der Welt war.

Sie richtete sich auf und klopfte den Dreck von ihrer Hose. »Ich habe nichts entdecken können.«

»Das hätte ich Ihnen auch sagen können, wenn Sie einen Moment gewartet hätten, um mich ausreden zu lassen.«

Sie winkte den Einwand mit einer ungeduldigen Handbewegung zur Seite. »War es eine getigerte Katze mit orange-weißem Fell?«, fragte sie stattdessen.

»Ich habe sie nur ganz kurz gesehen, doch die Farbe könnte passen.«

»Dann war es unser Kater Alfie.« Die Unbekannte seufzte. »Anscheinend ist ihm nichts passiert. Wenn bei Ihnen auch alles in Ordnung ist, haben wir noch mal Glück gehabt.«

Sean stimmte ihr zu, aber sie hatte sich bereits abgewandt und verschwand einen Moment später in dem Praxisgebäude. Ungläubig schüttelte er den Kopf und stieg in seinen Wagen. Der Zwischenfall hatte ihn seine Müdigkeit kurzzeitig vergessen lassen, allerdings spürte er die Auswirkungen jetzt umso deutlicher. Die Begegnung mit der unbekannten Frau würde er so schnell nicht wieder aus seinen Gedanken bekommen. Offenbar hatten sich manche Dinge in dem Ort doch verändert.

 

***

Hailey unterdrückte den Drang, sich noch einmal nach dem Mann umzusehen. Die Praxis war voll und es gab viel zu tun. Als sie bei einem Blick aus dem Fenster das Fahrzeug mitten auf der Straße hatte stehen sehen, war sie ohne groß zu überlegen hinausgerannt. Sie war froh, dass der Zwischenfall glimpflich ausgegangen war. Es war schon öfter vorgekommen, dass der Kater vor ein Auto gelaufen war. Im Laufe der Zeit hatte Dr. Wilson das Tier mehr als einmal wieder zusammengeflickt, obwohl er genau genommen kein Tierarzt war. Doch Alfie hatte es überlebt und sorgte weiterhin für Unruhe.

Sie hatte sich beeilt, hineinzugehen, bevor der Mann die Gelegenheit bekam, sich aufzuregen und seinen Frust an ihr auszulassen. Es wäre zumindest nicht das erste Mal gewesen, dass sie die Verärgerung über das Tier abbekommen hätte. Allerdings hatte er ganz und gar nicht sauer gewirkt. Um nicht noch länger über die Begegnung mit dem Fremden nachzudenken, lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf das volle Wartezimmer, in dem die Leute ungeduldig warteten.

Vor wenigen Tagen hatte sich ihr Chef, Dr. Wilson, das Bein gebrochen, und seitdem war sie ununterbrochen damit beschäftigt, die Patienten der Praxis bestmöglich zu versorgen. Eigentlich sollte der Arzt aufgrund seines fortgeschrittenen Alters bereits im Ruhestand sein, doch er suchte seit Jahren vergeblich nach einem Nachfolger. Solange sich niemand dazu bereit erklärte, seine Position zu übernehmen, weigerte er sich, die Menschen ohne medizinische Betreuung zu lassen. Das nächste Krankenhaus war eine Stunde Fahrzeit entfernt, und im näheren Umkreis gab es keine Arztpraxis, die seine Patienten aufnehmen konnte. Das Gebiet des Nationalparks war ziemlich abgelegen, und es war schwierig, Ärzte zu finden, die Interesse an der Stelle hatten. Hailey konnte nachvollziehen, wieso die meisten von ihnen ihren Beruf lieber in einem großen Krankenhaus ausübten. Besonders lukrativ war die Arbeit in einer solchen Praxis nicht und die Möglichkeiten, Karriere zu machen und sich fachlich weiterzubilden, waren ebenfalls gering. Trotzdem tat es weh, zu sehen, wie schlecht die medizinische Versorgung in manchen Gegenden war. Viele Bewohner scheuten den weiten Weg bis zur nächsten Klinik und zögerten einen Arztbesuch zu lange hinaus. Dieses Verhalten konnte im schlimmsten Fall fatale Folgen für ihre Gesundheit haben.

»Was war denn da draußen los?« Die Stimme von Marcy, der Empfangsmitarbeiterin, unterbrach sie in ihren Gedanken.

Hailey blieb am Tresen stehen und beugte sich mit einem verschwörerischen Flüstern zu Marcy. »Alfie hat wieder für Unruhe gesorgt. Er ist einem Mann direkt vor das Auto gelaufen, aber es ist zum Glück nichts passiert. Weder dem Kater noch dem Fahrer.«

Marcy schüttelte den Kopf. »Dieses Tier macht nur Ärger. Ihm habe ich den Großteil meiner grauen Haare zu verdanken.«

Hailey lächelte. Sie wusste, dass ihrer Kollegin der dicke Kater über die Jahre hinweg ans Herz gewachsen war. Sie war zum großen Teil für seine kräftige Statur verantwortlich. Marcy hatte meistens einen Leckerbissen parat und nahm Alfie abends mit nach Hause, wenn die Praxis geschlossen hatte. Streng genommen war es ohnehin nicht erlaubt, dass das Tier sich in den Praxisräumen aufhielt, aber sie achteten darauf, dass er im hinteren Bereich blieb und keinen Kontakt zu den Patienten hatte. Doch aufgrund seiner launischen Art gelang ihnen das nicht immer.

Bevor sie sich auf den Weg zum Behandlungszimmer machte, warf sie einen prüfenden Blick in das angrenzende Wartezimmer. Wie sie befürchtet hatte, war der kleine Raum noch immer mit wartenden Patienten gefüllt. Nach dem Unfall von Dr. Wilson hatte es zwei Tage gedauert, bis sie eine vorläufige Vertretung gefunden hatten. In der kurzen Zeitspanne waren erstaunlich viele Termine aufgelaufen. Doch Hailey war sich sicher, dass nur ein Teil der Leute tatsächlich ein medizinisches Problem hatten. Die restlichen Anwesenden waren vorbeigekommen, um sich nach dem Gesundheitszustand von Dr. Wilson zu erkundigen, und nutzten die Gelegenheit, um einen Blick auf den fremden Arzt zu werfen.

An die Neugierde der Bewohner einer Kleinstadt hatte sie sich in den vergangenen Monaten gewöhnt, dennoch war sie immer wieder erstaunt, wie schnell sich Neuigkeiten in der Gegend verbreiteten. Als sie sich abwandte, schlossen sich plötzlich die schmalen Finger einer knochigen Hand um ihren Unterarm. Irritiert blickte sie hoch und direkt in das runzelige Gesicht von Mrs. Tremblay. Bevor sie etwas sagen konnte, erklang vom Tresen Marcys aufgebrachte Stimme.

»Ich habe Ihnen doch bereits mehrfach gesagt, dass ich Bescheid geben werde, sobald Sie an der Reihe sind, Mrs. Tremblay.«

»Ich kümmere mich darum, Marcy«, entgegnete Hailey und wandte sich erneut der alten Dame zu. »Sie sollten Marcy nicht immer so verärgern, Mrs. Tremblay. Solange es sich nicht um einen Notfall handelt, müssen Sie sich leider noch gedulden. Und vermutlich haben Sie auch heute wieder keinen Termin«, stellte sie fest.

Die alte Dame warf ihr einen anklagenden Blick zu und hob verärgert die Schultern. Dadurch löste sich ihr Griff endlich von Haileys Arm. »Ich kann mein körperliches Leiden schließlich nicht nach einem Terminkalender ausrichten. Wie soll das denn bitte funktionieren?«

Hailey runzelte die Stirn. Im fortgeschrittenen Alter von 82 Jahren gab es wahrscheinlich keinen Tag mehr, an dem die Frau nicht mit körperlichen Gebrechen zu tun hatte. Doch sie verkniff sich den Kommentar. »Es wäre sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie noch einen Moment im Wartezimmer Platz nehmen würden, und ich sehe zu, dass ich Sie so bald wie möglich drannehmen werde. Ist das in Ordnung?«

Abschätzend taxierte die ältere Frau sie aus zusammengekniffenen Augen. Als Hailey bereits glaubte, die Diskussion gewonnen zu haben, schloss sich die Hand erneut um ihren Arm und zog sie mit erstaunlicher Kraft zu sich hinunter. Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, gab sie nach und war der alten Dame plötzlich unangenehm nah.

Mrs. Tremblay senkte ihre Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Eigentlich möchte ich nur ein Gespräch mit dem neuen Doktor führen. Ich muss mir doch erst mal ansehen, wem ich in Zukunft mein Leben anvertrauen soll.«

Seufzend richtete Hailey sich auf. »Ich habe das ungute Gefühl, dass die Hälfte aller Personen aus diesem Grund in die Praxis gekommen ist. Offenbar hat heute kaum jemand ein medizinisches Problem. Deshalb müssen Sie sich leider trotzdem gedulden. Auch die Neugierde muss warten, bis sie an der Reihe ist.« Sie blickte kurz zu Marcy hinüber, die scheinbar jedes Wort mitgehört hatte und die Gelegenheit nutzte, um die verdatterte Mrs. Tremblay ins Wartezimmer zu begleiten.

Im Behandlungszimmer wurde sie bereits von einem sichtbar genervten Dr. Bentham erwartet. Er saß mit hängenden Schultern hinter dem Schreibtisch, während der Patient unermüdlich auf ihn einredete. Hailey konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, was jedoch nicht unbemerkt blieb. Als der Arzt die Stirn runzelte, vertieften sich die Falten auf seinem Gesicht. Obwohl er erst Anfang vierzig war, erweckte er den Eindruck, schon älter zu sein. Nicht zum ersten Mal dachte Hailey, dass er vermutlich anders wirken würde, wenn er öfter mal lächelte. Doch er hatte seit seiner Ankunft vor wenigen Tagen einen unglücklichen Gesichtsausdruck, der von Tag zu Tag schlimmer wurde und mittlerweile eindeutig gequält wirkte. Wäre er etwas freundlicher, hätte sie vielleicht sogar Mitleid mit ihm gehabt, aber er betrachtete die kurzfristige Vertretung von Dr. Wilson als eine Zumutung und ließ das kleine Praxisteam deutlich spüren, dass er nicht freiwillig vor Ort war.

Nachdem Hailey den Patienten nach draußen begleitet hatte, gab Dr. Bentham ihr mit einer Geste zu verstehen, die Tür zu schließen. Mit leichtem Unbehagen folgte sie seiner Anweisung. Sie spürte förmlich die Ungeduld aus dem Wartezimmer und hätte am liebsten die nächste Person aufgerufen, doch der Arzt lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Im Gegensatz zu ihr ließ er sich von den wartenden Patienten nicht aus der Ruhe bringen.

»Gibt es in dieser Praxis auch hin und wieder tatsächlich etwas zu behandeln, oder muss ich mich weiterhin auf Small Talk einstellen? Deswegen habe ich schließlich nicht studiert.«

Hailey versuchte, die aufsteigende Irritation zu unterdrücken. »Die Menschen aus der Gegend sind an Dr. Wilson gewöhnt. Es ist für sie nicht leicht, plötzlich mit einer fremden Person konfrontiert zu werden. Immerhin kennt Dr. Wilson seine Patienten schon jahrelang und ist über ihre Probleme informiert.«

Abschätzig ruhte sein Blick auf ihr. »Dafür gibt es schließlich Patientenakten.« Er lehnte sich noch weiter zurück und der Stuhl knarzte vernehmlich. Ruckartig richtete er sich auf und die Rückenlehne schnellte wieder in ihre ursprüngliche Position. »Seit der Praxisgründung wurde das Mobiliar vermutlich nicht mehr ausgewechselt.« Missmutig blickte er sich in dem Raum um. »Da ist es auch nicht verwunderlich, dass die Medizin in den Hintergrund geraten ist und die Arztpraxis zur Seelsorge umfunktioniert wurde.«

Das ging nun wirklich zu weit. Obwohl sie erst seit einigen Monaten in der Praxis arbeitete, waren ihr Dr. Wilson und die Bewohner von Sharpewood ans Herz gewachsen, sodass sie die abschätzigen Worte des Arztes persönlich nahm. »Bisher sind wir sehr gut zurechtgekommen«, entgegnete sie knapp. »Dr. Wilson ist ein ausgezeichneter Arzt und kümmert sich hervorragend um seine Patienten.« Es ärgerte sie, dass sie das Gefühl hatte, sich vor dem Mann rechtfertigen zu müssen.

Doch er beachtete sie nicht und ging mit großen Schritten an ihr vorbei zur Tür.

»Wo gehen Sie denn hin?«, fragte sie ihn verdattert.

»Ich brauche frische Luft. Sie können die nächste Person aufrufen, während ich eine kurze Pause mache.«

Ohne ein weiteres Wort verließ er das Behandlungszimmer. Hailey stand ebenfalls auf und schaute ihm hinterher, als er durch den Hintereingang nach draußen trat. Mittlerweile kannte sie seine Gewohnheiten gut genug, um zu wissen, was seine häufigen Pausen bedeuteten. Es erstaunte sie immer wieder, wie viele Mediziner rauchten, obwohl ihnen die Gesundheitsrisiken nur allzu bekannt waren. Doch das war nicht ihr Problem.

Kapitel 2

Die kühle Morgenluft streifte über seine nackten Arme und Sean fröstelte. Es würde ein paar Tage dauern, bis er sich an das veränderte Klima gewöhnt hatte. In Kanada hatte der Herbst Einzug gehalten und die Bäume im Nationalpark leuchteten in satten Farben. Das Farbenspiel der bunten Blätter war jedes Jahr aufs Neue ein besonderes Highlight. Er liebte diese Jahreszeit, aber die lange Anreise steckte ihm noch immer in den Knochen, sodass es ihm schwerfiel, seine sonstige Begeisterung zu empfinden. Der Kontrast in den Temperaturen war deutlich zu spüren. In Mosambik waren die Nächte kühl gewesen, doch tagsüber war die Hitze kaum auszuhalten. Unwillkürlich seufzte er auf. Er wusste aus Erfahrung, dass es einige Zeit dauern würde, bis er wieder vollständig angekommen war. Zu häufig war er in den vergangenen Jahren als Arzt auf Einsätzen im Ausland unterwegs gewesen und hatte sich währenddessen hauptsächlich in Katastrophengebieten aufgehalten.

Mit gleichmäßigen Schritten überquerte er den Vorplatz der Stonebridge Lodge. Das Anwesen war das Herzensprojekt seines Vaters gewesen. Er war froh, dass William Scott sich diesen Traum vor dessen Tod hatte erfüllen können. Die Zeit in der Lodge war für ihn die schönste seines Lebens gewesen. Leider war er im letzten Jahr verstorben und hatte nicht wie geplant seinen Ruhestand an diesem Ort verbringen können. Seitdem führte seine Frau, Carol Scott, den Betrieb weiter. Wie sie das neben dem Verlust ihres Mannes bewältigt hatte, war Sean ein Rätsel. Er spürte, wie sich die bekannten Schuldgefühle in seinem Inneren ausbreiteten, wenn er daran dachte. Von Carols Söhnen waren im vergangenen Jahr sein ältester Bruder Ethan und er selbst beruflich auf Reisen gewesen. Lediglich Nathan, der Mittlere der drei Scott-Brüder, war vor Ort geblieben. Zwar lebte er in einem eigenen Bungalow auf dem Anwesen, aber er unterstützte ihre Mutter, so gut er konnte. Durch seinen Beruf als Ranger im Nationalpark hatte er jedoch nicht viel Zeit für das Familienunternehmen. Daher war Carol Scott zum großen Teil allein mit der Arbeit und der Verantwortung für die Stonebridge Lodge. Doch sie hatte nie von ihren Söhnen verlangt, ihre eigenen Pläne und beruflichen Ziele aufzugeben, und dafür war jeder Einzelne von ihnen dankbar. Der Preis für die Unabhängigkeit war ein nagendes Schuldgefühl, das Sean regelmäßig begleitete.

Als er die Eingangstür erreicht hatte, holte er einmal tief Luft und setzte ein Lächeln auf. Er freute sich auf das gemeinsame Frühstück mit seiner Mutter und wollte sie nicht spüren lassen, mit welchen Gedanken er sich beschäftigte. Sie hatte genug Probleme, mit denen sie umgehen musste. Er wollte unter keinen Umständen zu weiteren Sorgen beitragen.

»Du bist bereits wach«, stellte Carol Scott fest und begrüßte ihren jüngsten Sohn. Wie immer war sie perfekt gekleidet und strahlte eine Autorität aus, die dafür sorgte, dass man sich automatisch aufrichtete, um ihr nicht mit hängenden Schultern zu begegnen.

»Mein Körper muss sich erst an die Zeitumstellung gewöhnen. Ich werde wahrscheinlich in den nächsten Tagen zu den seltsamsten Uhrzeiten über das Anwesen geistern.«

Seine Mutter seufzte resigniert. »Solange du dabei nicht die Gäste erschrickst, geht das für mich in Ordnung.«

Sean lächelte ihr verschmitzt zu. »Vielleicht wäre das sogar ein neuer Programmpunkt für die Touristen. Es soll ihnen bei all der Ruhe und idyllischen Natur um sie herum schließlich nicht langweilig werden.«

Sie hatten sich an den großen hölzernen Esstisch gesetzt, und Sean kam sich ein wenig verloren vor, dort allein mit seiner Mutter zu sitzen. In den vergangenen Monaten war es nur selten vorgekommen, dass sie alle gemeinsam an dem Tisch gesessen hatten. Und seit William Scott gestorben war, blieb ein Stuhl dauerhaft leer. An diesen Anblick hatte er sich noch immer nicht gewöhnt.

Nachdem sie einen Schluck Orangensaft getrunken hatte, blickte sie ihren Sohn an. »Geistersichtungen haben bisher nur den wenigsten Hotels einen guten Dienst erwiesen. Außerdem hatten wir in der letzten Zeit genug Aufregung. Ich bin froh, wenn alles ruhig ist und die Übernachtungsgäste einen erholsamen Aufenthalt haben.«

»Vor mir müsste niemand Angst haben. Ich wäre ein sehr freundliches Gespenst.« Er zwinkerte seiner Mutter zu.

»Vermutlich würden sich unsere weiblichen Gäste tatsächlich über eine nächtliche Begegnung mit meinem gut aussehenden Bruder freuen.« Unbemerkt hatte Ethan Scott den Raum betreten und umarmte ihn freudig.

Von dem plötzlichen Auftauchen überrascht erwiderte Sean die Umarmung ungelenk. »Wenn du einen Moment gewartet hättest, wäre ich aufgestanden. Dann wäre die Situation etwas weniger seltsam«, entgegnete er. Da sein Gesicht in Ethans Stoffhemd gedrückt wurde, kamen die Worte gedämpft hervor.

Lachend trat sein Bruder einen Schritt zurück und Sean konnte wieder freier atmen.

Mit einem breiten Grinsen blickte er zu dem breitschultrigen Mann auf. Es war einige Zeit her, dass er ihn zuletzt gesehen hatte. »Es ist schön, dich zu sehen. Du siehst gut aus.« Ethan hatte durch einen Bootsunfall lange im Krankenhaus gelegen und war anschließend zur Rehabilitation in eine stationäre Klinik gewechselt. Dort hatte Sean ihn auch zum letzten Mal besucht. Seitdem war Ethan nach Hause zurückgekommen und die Veränderung hatte ihm offensichtlich gutgetan. Staunend betrachtete er seinen Bruder. Seine Haut war von vielen Stunden an der frischen Luft gebräunt, und er hatte zu seiner körperlichen Form zurückgefunden, die er vor dem Unfall gehabt hatte. Doch vor allem war das Funkeln in seine blauen Augen zurückgekehrt.

Ethan zog einen Stuhl heran und setzte sich zu ihnen an den Tisch. »Es hat sich einiges verändert, seit ich wieder zurückgekommen bin.«

»Das kann man wohl sagen«, ergriff Carol Scott das Wort. »Er hat es endlich geschafft, sich für eine Frau zu entscheiden. Jetzt können wir nur hoffen, dass das auch so bleibt.«

Sean konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, während Ethan seiner Mutter einen ärgerlichen Blick zuwarf.

»Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen.« Mit einem lauten Klappern stellte er den Kaffeebecher auf den Tisch. »Ich bin glücklich mit Amelia, und ich werde nichts tun, was etwas daran ändern könnte.«

Um die aufkommende Anspannung zu unterbrechen, ging Sean dazwischen. »Das hat auch niemand gesagt«, versuchte er ihn zu beschwichtigen. »Ich freue mich sehr für euch. Wer hätte gedacht, dass aus euch doch noch mal ein Paar wird. Wir müssen demnächst etwas zusammen unternehmen. Es ist Jahre her, seitdem ich Amelia zum letzten Mal gesehen habe.«

Sobald das Gespräch auf seine Freundin kam, erschien ein Lächeln auf Ethans Gesicht. Zustimmend nickte er. »Ich bin gespannt, ob du sie überhaupt erkennst. Sie hat sich seit unserer Jugend sehr verändert.«

»Ganz bestimmt sogar. Sie muss eine Heilige sein, wenn sie freiwillig eine Beziehung mit dir eingeht.« Aufmunternd stieß er seinen Bruder von der Seite an, aber Ethan schenkte ihm nur ein gequältes Grinsen. Offenbar musste er sich an seinen neuen Beziehungsstatus ebenfalls noch gewöhnen.

»Vielleicht war es doch keine so gute Idee, dass du nach Hause gekommen bist. Jetzt werde ich mir andauernd diese Sprüche anhören müssen.« Ethan trank den letzten Schluck von seinem Kaffee und wollte sich bereits erheben, als Carol Scott ihn zurückhielt.

»Du bist doch genauso froh wie ich, dass der Junge endlich wieder da ist. Es scheint nur leider eine Unmöglichkeit zu sein, alle drei meiner Kinder unter einem Dach zu haben. Ständig muss einer von euch in der Weltgeschichte umherreisen.« Vorwurfsvoll blickte sie ihre Söhne an.

»Immerhin hat sich die Quote deutlich erhöht. In den vergangenen Monaten waren immer zwei deiner Söhne vor Ort«, entgegnete Sean.

»Und Nathan ist schließlich nicht lange weg«, fügte Ethan hinzu. »Er hat versprochen, spätestens an Weihnachten zu Besuch zu kommen.«

Bei dem Gedanken an das bevorstehende Fest leuchteten Carol Scotts Augen auf. »Ihr habt recht. Dann gibt es dieses Jahr endlich wieder ein großes Weihnachtsfest auf der Stonebridge Lodge. Vermutlich wäre es am besten, wenn wir möglichst bald mit der Planung anfangen. Es sind nur noch wenige Wochen bis Weihnachten.«

Die Scott-Brüder verzogen skeptisch das Gesicht, doch insgeheim waren sie froh, ihre Mutter auf andere Gedanken gebracht zu haben. Dass ab jetzt die aufwendigen Weihnachtsvorbereitungen beginnen würden, war das geringere Problem, was sie wohl oder übel in Kauf nehmen mussten.

Ein kleines Lächeln erschien um Seans Mundwinkel. Es war schön, wieder zu Hause zu sein.

 

***

Mit schnellen Schritten eilte Hailey auf die Praxis zu. Sie war spät dran und musste sich beeilen, um noch rechtzeitig anzukommen. Es durfte auf keinen Fall passieren, dass der Vertretungsarzt vor ihr eintraf. Seine Laune war gestern schlecht genug gewesen, weshalb sie vor der Arbeit einen Abstecher in die Bäckerei gemacht hatte, um frisches Gebäck zu kaufen. Vielleicht würde es dabei helfen, die negative Stimmung aufzuheitern. Während sie die Türklinke mit dem Ellbogen herunterdrückte, behielt sie den Kaffeebecher im Auge, der bereits eine gefährliche Schieflage erreicht hatte. Vorsichtig hob sie die Pappschachtel ein Stück an und brachte den Becher damit wieder ins Gleichgewicht. Als sie den Vorraum betrat, atmete sie erleichtert auf. Es war um diese Zeit noch ruhig in der Praxis. Offiziell würden sie erst in einer halben Stunde öffnen.

Wie so häufig war Marcy schon vor Ort und hatte die Praxisräume aufgeschlossen. Doch der Empfangstresen lag verlassen da und die Tür zum Wartezimmer war geschlossen. Wahrscheinlich war sie in der Küche und fütterte den aufdringlichen Kater. Wenn Alfie nicht pünktlich seine Mahlzeit bekam, sorgte er lautstark dafür, dass man ihn beachtete. Hailey lief am Tresen vorbei und schob sich vorsichtig durch den schmalen Gang, während sie noch immer den Pappkarton mit dem darauf stehenden Kaffeebecher balancierte. Das alte Haus war vermutlich nicht die beste Wahl gewesen, um eine Arztpraxis darin unterzubringen, doch eine andere Möglichkeit hatte es zum Zeitpunkt der Gründung nicht gegeben. Das zweistöckige Gebäude war das Elternhaus von Dr. Wilson. Seine Eltern hatten es ihm damals überlassen, um ihm den Traum von der eigenen Praxis zu ermöglichen. Es hatte lange gedauert, bis er das Erdgeschoss umgebaut und die Zimmer für seine Patienten eingerichtet hatte. Aus Marcys Erzählungen wusste sie, dass Dr. Wilson bis vor wenigen Jahren in einer Wohnung im oberen Stockwerk gelebt hatte. Erst als seine Eltern gestorben waren, hatte er ihr Haus im Zentrum von Sharpewood bezogen. Auf diese Weise war er noch immer schnell erreichbar, hatte jedoch eine räumliche Trennung gewonnen. Doch Marcy hatte erzählt, dass ihm dieser Schritt sehr schwergefallen war. Seitdem war die Etage größtenteils leer und wurde nur als Lagerraum genutzt.

In ihre Gedanken versunken wäre sie beinahe in ihre Kollegin hineingelaufen, die regungslos in der Küchentür stand. »Meine Güte, Marcy das war knapp.« Im letzten Moment hatte sie einen Zusammenprall vermeiden können. »Warum stehst du denn hier herum?« Leicht verärgert blickte sie die Frau an, als Marcy sich plötzlich umdrehte und gegen den Pappkarton stieß.

Hailey ahnte, was passieren würde, doch sie hatte keine Chance, es zu verhindern. Mit einem unguten Klatschen fiel der Becher um und das heiße Getränk ergoss sich über ihren Unterarm, durchnässte ihr T-Shirt und endete schließlich auf ihrem Oberschenkel. Unwillkürlich zuckte sie zurück und die Pappschachtel landete auf dem Boden. Hektisch strich sie die dunkle Flüssigkeit so gut wie möglich von ihrer Kleidung. Durch den Fußweg von der Bäckerei war der Kaffee zum Glück ein wenig abgekühlt, aber immer noch heiß genug, dass sie kurz vor Schmerz zusammengezuckt war.

Marcy hatte sich aus ihrer Erstarrung gelöst und blickte sie erschrocken an. »Hailey, das tut mir so leid. Hast du dich verletzt?«

Unbeholfen rieb sich Hailey über den schmerzenden Unterarm, konnte jedoch in dem dämmrigen Licht des Flurs kaum etwas erkennen. Als sie bemerkte, wie unangenehm Marcy das Missgeschick war, verflog ihre Verärgerung schnell. »Mir geht es gut. Mach dir keine Gedanken«, beruhigte sie ihre Kollegin. Sie bückte sich, um die Pappschachtel aufzuheben, und hielt irritiert in der Bewegung inne.

Auf dem Boden hatten sich die herausgefallenen Gebäckstücke mit dem Kaffee vermengt, doch das war es nicht, was sie an dem Anblick gestört hatte. Die Pappe des Kartons hatte sich mit Flüssigkeit vollgesogen und klebte schwer am Fußboden. »Wo kommt denn das ganze Wasser her?« Erschrocken blickte sie Marcy an.

Die ältere Dame zeigte wortlos in die Küche, und Hailey drängte sich neben sie in den Türrahmen, um besser sehen zu können. Durch das Fenster drang das Tageslicht herein, wodurch das Problem sofort sichtbar wurde. Die gesamte Küche stand unter Wasser. Fassungslos betrachtete sie das Chaos und zum ersten Mal seit Langem fehlten ihr die Worte.

Ein anklagender Schrei riss sie aus ihrer Erstarrung. Nicht weit entfernt hatte sich der dicke Kater auf einen Schrank gerettet und starrte sie an.

»Ach du meine Güte. Alfie, warte, ich helfe dir.« Eilig stapfte Marcy los und kämpfte sich durch die Überschwemmung. Doch sie war zu klein, um das Tier zu erreichen, und Alfie bewegte sich keinen Zentimeter. Vergeblich streckte sie sich ihm entgegen, berührte mit den Fingerspitzen jedoch lediglich seine Pfoten. Nach mehreren Versuchen gab sie schließlich auf. »So funktioniert das nicht. Wir brauchen eine Leiter oder zumindest einen Stuhl, um hoch genug zu kommen.«

Allerdings hatte Hailey in diesem Moment andere Sorgen. Der Kater war auf dem Schrank vorläufig sicher, zuerst mussten sie die Ursache für den Schaden finden. »Woher kommt das Wasser überhaupt?« Sie betrat die Küche und im selben Augenblick umschloss das Wasser ihre Knöchel. Schaudernd spürte sie, wie die kalte Flüssigkeit ihre Hose durchtränkte und ihr an der Haut klebte.

Marcy warf ihr einen Blick über die Schulter zu, bevor sie sich wieder dem Kater zuwandte. »Ich habe den Wasserhahn natürlich sofort zugedreht, als ich es entdeckt habe. Im ersten Moment habe ich einfach gehandelt, aber danach war ich so schockiert von dem Anblick, dass ich nicht mehr wusste, was ich machen sollte.«

»Du hast es abgestellt? Wo kam es denn her?« Verwirrt schaute sie sich in dem schmalen Raum um. Es gab schließlich nicht viele Möglichkeiten.

Mit einer kurzen Handbewegung deutete Marcy zu dem übergelaufenen Spülbecken. »Der Wasserhahn war bis zum Anschlag aufgedreht. Er muss bereits seit Stunden gelaufen sein, bis ich den Schaden entdeckt habe. Zum Glück haben die alten Leitungen nur einen geringen Wasserdruck. Nicht auszudenken, was ansonsten passiert wäre. Wahrscheinlich wäre uns das Wasser dann an der Eingangstür entgegengekommen.« Sie drehte sich erneut zu ihr um. »Hailey, hilf mir bitte, diesen verdammten Kater dort herunterzubekommen. Ich kann mich nicht konzentrieren, bis er außer Gefahr ist.«

Die ganze Bedeutung dieser Information war noch nicht zu ihr durchgesickert, doch sie half Marcy, den Kater in Sicherheit zu bringen. Sobald seine Pfoten den trockenen Fußboden im Eingangsbereich berührten, stolzierte er beleidigt davon.

»Ein bisschen mehr Dankbarkeit wäre schon angebracht gewesen«, murmelte Hailey vorwurfsvoll. Ihre Kleidung war mittlerweile völlig durchweicht, woran sie jedoch nur wenig ändern konnte. Als ein Klopfen an der Eingangstür erklang, zuckten sie beide zusammen.

»Das müssen die ersten Patienten sein«, stellte Marcy mit einem Blick zur Uhr erschrocken fest. »Was machen wir denn jetzt? Wir können unmöglich jemanden hereinlassen. Das Wasser läuft uns bereits den Flur entlang.«

Nachdem sie den Kater von dem Schrank befreit hatten, hatten sie versucht, die Tür zu schließen und den Spalt bestmöglich zu stopfen. Doch diese behelfsmäßige Konstruktion würde vermutlich nicht lange halten.

»Noch mehr Sorgen mache ich mir allerdings um Dr. Bentham. Er hätte längst hier sein müssen.« Beunruhigt blickte Hailey zur Tür, als das Klopfen erneut ertönte. Dieses Mal schon deutlich energischer.

Marcy straffte die Schultern und ging zu ihrem Platz hinter dem Tresen. »Am besten, wir bringen die Leute vorläufig im Wartezimmer unter, und ich versuche in der Zwischenzeit, Dr. Bentham zu erreichen. Außerdem brauchen wir dringend jemanden, der sich um den Wasserschaden kümmert.«

Als ihre Kollegin zum Telefonhörer griff, öffnete Hailey die Tür und bat die wartenden Patienten hinein. Nachdem sie ihnen die Lage erklärt hatte, atmete sie einmal tief durch. Sie mussten schnellstmöglich eine Lösung für dieses Problem finden. Immerhin hatten sie während Dr. Wilsons Abwesenheit die Verantwortung für die Praxis und sie wollte den Arzt auf keinen Fall enttäuschen. Er hatte durch seine Verletzung zurzeit schon genug Sorgen.

Kapitel 3

 

Erleichtert betrat Sean den Bungalow und schloss die Tür hinter sich. Sein Bruder hatte auf dem Grundstück der Lodge seine eigene Unterkunft, und er hatte das Angebot gerne angenommen, während Nathans Abwesenheit dort zu wohnen. Nathan arbeitete als Ranger im Nationalpark und befand sich für einige Monate aufgrund eines Austauschprogramms in einer anderen Gegend. Es war schade, dass er nicht vor Ort war, allerdings war Sean froh, dadurch einen Rückzugsort zu haben. Er liebte seine Familie, aber er war es nicht mehr gewohnt, so viel Zeit mit ihnen zu verbringen. Leider hatte Nathan auch seinen Hund, einen Golden Retriever namens Scottie, mitgenommen. Sean hatte eine Schwäche für das Tier und war enttäuscht, dass er nicht da war. Doch wie seine Mutter beim Frühstück angemerkt hatte, würden sie spätestens an Weihnachten wieder alle zusammen sein. Bis dahin waren es allerdings noch ein paar Wochen.

Er blickte sich in dem Raum um, unschlüssig, was er mit seiner freien Zeit anfangen sollte. Nachdem er eine Weile ziellos umhergewandert war, ließ er sich in einen alten braunen Sessel sinken und schaute durch die große Glasfront auf den Wald. Die Blätter hatten sich bereits gefärbt und er betrachtete fasziniert die bunte Farbenvielfalt. Er mochte jede Saison, und es gab keinen Zeitpunkt, zu dem die Landschaft des Nationalparks nicht beeindruckend war. Doch die Veränderungen der Jahreszeiten waren immer ein besonderes Highlight.

Sean wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ein Klopfen ihn aufschreckte. Es dauerte einen Moment, bis er wieder in der Gegenwart angekommen war. Gedanklich war er weit weg gewesen. Als ein weiteres Mal an die Tür geklopft wurde, erhob er sich widerwillig.

Mit der Person, die nun vor ihm stand, hatte er am wenigsten gerechnet. Verblüfft wartete er im Türrahmen und schaute sie erwartungsvoll an. Obwohl ihre gestrige Begegnung kurz gewesen war, hatte er die attraktive Frau sofort wiedererkannt. Ihre hellbraunen Haare glänzten, aber ihre Kleidung wirkte unordentlich. Auf ihrem Gesicht erschien ein erstaunter Ausdruck. Offenbar hatte sie jemand anderen erwartet.

Da sie bisher nichts gesagt hatte, begann Sean das Gespräch. »Nathan ist leider nicht da. Er ist für ein paar Monate beruflich unterwegs.« Doch auch das verbesserte die Situation nicht. Im Gegenteil schien es ihre Verwirrung nur zu verstärken.

»Entschuldigung. Ich glaube, es liegt ein Missverständnis vor.« Erneut suchte sie nach den richtigen Worten.

Allmählich empfand Sean Gefallen an der Unterhaltung. »Immerhin sind Sie bei Nathans Bungalow vorbeigekommen. Wenn Sie ihn nicht suchen und mich gar nicht kennen, weiß ich nicht, wie ich Ihnen weiterhelfen kann. Aber ich kann gerne bei der Suche, nach wem auch immer, helfen.« Im selben Moment erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. »Es geht doch nicht schon wieder um diesen verrückten Kater? Ist er noch mal jemandem vor das Auto gelaufen?«

»Alfie? Nein, er ist in der Praxis, nachdem ich ihn heute Morgen aus der überfluteten Küche retten musste.«

»Das Tier hat Ihre Küche unter Wasser gesetzt?«, fragte Sean irritiert. Dieses Gespräch wurde von Sekunde zu Sekunde verwirrender.

»Die Küche in der Arztpraxis«, korrigierte die Frau ihn. »Wir wissen noch nicht, was genau passiert ist, aber der Wasserhahn hat scheinbar einen Defekt und der ganze Raum steht unter Wasser.« Als er sie weiterhin fragend anblickte, vervollständigte sie ihre Erklärung. »Ausnahmsweise hat der Kater nichts damit zu tun. Er hat sich auf einen der Schränke gerettet. Offenbar wollte er sich nicht die Pfoten nass machen und hat darauf vertraut, dass wir ihm helfen würden. Das haben Marcy und ich dann auch gemacht.« Mit einer schnellen Bewegung strich sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr und Sean verfolgte die Geste fasziniert.

Er hatte noch immer keine Ahnung, wer die Frau eigentlich war, doch bei der Erwähnung von Marcy wurde er hellhörig. Die ältere Dame gehörte beinahe zum Praxisinventar und er hatte sie bei seinen seltenen Arztbesuchen kennengelernt. Immerhin gab es nur eine Praxis in dem kleinen Ort. Marcy hatte sich damals sehr gefreut, als er ihr von seinen Plänen berichtete, selbst Medizin zu studieren.

---ENDE DER LESEPROBE---