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3 Romane in 1 Sammelband: Herzklopfen und Meeresrauschen / Ostseewind und Robbenküsse / Sommersongs und Ostseeküsse ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Zwei Jahre später
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Epilog
Ein Jahr später
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Epilog
Impressum
Originalausgabe Juli 2023 Herzklopfen und Meeresrauschen © Tina Keller, Berlin, Deutschland, 2023
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertung nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.
Cover: © Saga Egmont Verlag
Tina Keller
c/o Internet Marketing
und Publikations-Service
Frank W. Werneburg
Philipp-Kühner-Str. 2
99817 Eisenach
Tina Keller
Herzklopfen
und Meeresrauschen
Humorvoller Liebesroman
Nele ist am Boden zerstört: Ihr Lover Felix hat ihr ein Jahr lang versprochen, sich von seiner Frau zu trennen - und nun darf sie live im Fernsehen dabei zusehen, wie die beiden gemeinsam ein marodes Hausboot sanieren. Was für ein mieser Verräter! Sie will diesen Mistkerl nie mehr wiedersehen.
Kurzentschlossen fährt Nele zu ihrer Tante Nina an die Ostsee, wo diese eine Pension besitzt. Sie muss einfach Abstand bekommen und wieder zu sich finden. Dazu braucht sie vor allem eins: Ruhe.
Mit der Ruhe wird es allerdings schwierig, denn wenige Tage später tauchen zuerst Felix und danach Neles Ex-Freund Fabian auf, die beide beteuern, sich geändert zu haben. Nele ist völlig überfordert. Und dann ist da noch der charismatische Roman, von dem Nele sich sofort angezogen fühlt.
So nimmt das Gefühlschaos unaufhaltsam seinen Lauf. Drei Männer sind eindeutig zwei zu viel – aber welcher ist denn nun der Richtige für Nele?
Lächelnd nicke ich mir im Spiegel zu. Heute Abend wird sich etwas Gravierendes verändern, ich spüre es ganz genau. Felix‘ SMS klang äußerst verheißungsvoll:
Können wir uns heute Abend sehen? Ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen.
Mein Herz flimmert. Ist es heute endlich so weit? Wird Felix mir die alles entscheidende Frage stellen?
Nein, es geht nicht um die Frage, ob ich ihn heiraten will. Das ist im Moment schlichtweg unmöglich, weil der gute Felix bereits verheiratet ist – und zwar mit Beate, einer sauertöpfischen Wuchtbrumme, die ihn gnadenlos herumscheucht. Dauernd überträgt sie ihm neue Aufgaben, und nicht selten schaltet er irgendwann sein Handy mit den Worten „Der Sklave hat jetzt Feierabend“ aus.
Ja, ich weiß, dass es nicht die beste Idee war, etwas mit einem verheirateten Mann anzufangen. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich es nicht wusste. Felix stieß vor anderthalb Jahren als Grafiker zu der Werbeagentur, in der ich arbeite. Wir liefen uns im Büro oft über den Weg und es lag immer eine gewisse Spannung in der Luft, wenn wir uns begegneten. Nach einer Weile fingen wir an, die Mittagspause gemeinsam zu verbringen. Ich fand Felix ungeheuer spannend, denn er hatte zahlreiche Hobbys: Er fotografierte, malte, machte Karate, kletterte, bot Führungen in Berlin an und hatte ein Segelboot. Seine Augen leuchteten, wenn er von seinen neuesten Plänen berichtete. Er hatte noch viel vor in seinem Leben, wollte als Matrose um die Welt fahren und ein solarbetriebenes Seminarschiff auf den Weg bringen. Das gefiel mir an ihm: Er hatte Pläne, Wünsche und Träume – und setzte sie auch um. Immer war er dabei begeistert und diese Euphorie zog mich ungeheuer an.
Eines Abends fuhren wir nach Feierabend an einen See und da passierte es dann. Felix küsste mich zum ersten Mal. In diesem Augenblick schlug bei mir der Blitz ein und ihm ging es offenbar genauso.
Tja, so begann unsere Affäre. Am Anfang fiel es mir gar nicht weiter auf, dass wir uns nie bei ihm trafen und dass er nie über Nacht bei mir blieb. Felix hatte plausible Gründe dafür: Seine Wohnung war bei weitem nicht so gemütlich wie meine, weil er nur vorübergehend dort wohnte und sie nicht renoviert war. Über Nacht konnte er nicht bleiben, weil er zwei Katzen hatte, die versorgt werden mussten.
Ich glaubte ihm natürlich. Was für einen Grund hätte ich gehabt, ihm Lügen zu unterstellen? Außerdem war es Sommer und da hing man sowieso nicht in der Wohnung herum, sondern unternahm draußen eine Menge. Wir lagen am Strand, segelten über den Wannsee, schwebten in einem Heißluftballon über Berlin, erkundeten die urigen brandenburgischen Dörfer und waren glücklich. Wir lachten viel, kuschelten noch mehr und fanden immer einen Platz, an dem wir uns lieben konnten. Es war schön und aufregend und nie gewöhnlich.
Nach einigen Wochen wunderte ich mich allerdings doch darüber, dass ich ihn nie zu Hause besuchen durfte und telefonisch nur schwer erreichte. Das alles erschien mir etwas merkwürdig und ich fragte Felix nach dem Grund. Er druckste eine Weile herum, bis er mir gestand, dass er eine Frau und zwei Kinder hatte. Die Katzen gab es gar nicht und die unrenovierte Wohnung auch nicht.
Ich fiel aus allen Wolken. Mit allem hatte ich gerechnet, aber damit nicht. Ich hatte schon befürchtet, dass Felix ein Messie war und mir deshalb jeglichen Zugang zu seiner Wohnung verweigerte. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass er in einer Beziehung lebte. Und dann auch noch in einer Ehe mit zwei Kindern! Auch in der Firma wusste offenbar niemand etwas davon. Felix erzählte zwar viel von seinen Hobbys und Leidenschaften, doch seinen privaten Status hatte er komplett verschwiegen.
Mein erster Impuls war, unser Verhältnis sofort zu beenden. Keinesfalls wollte ich die heimliche Geliebte eines verheirateten Mannes sein. Doch Felix beschwichtigte mich und erklärte, dass er mit Beate schon lange keine Liebesbeziehung mehr führe und sie nur noch wegen der Kinder zusammen seien. Sexuell spiele sich zwischen ihnen schon seit Jahren nichts mehr ab und die Trennung sei nur eine Frage der Zeit. Bis jetzt habe er keine Veranlassung gesehen, sich zu trennen, aber nun, wo ich in sein Leben getreten sei, sähe es anders aus. Jetzt würde eine Trennung durchaus Sinn machen, weil es einen Grund dafür gäbe. Er müsse nur noch den richtigen Zeitpunkt dafür abwarten.
Ich glaubte ihm, weil ich ihm glauben wollte. Außerdem war ich viel zu verliebt in ihn, um ihn aufgeben zu können. Ich wollte die schöne Zeit mit ihm in vollen Zügen genießen. Mein Ex-Freund Fabian hatte mich vor über einem Jahr verlassen und ich hatte schwer unter dieser Trennung gelitten. Felix hatte einen großen Anteil daran, dass ich das Leben wieder schön fand. Das wollte ich mir nicht nehmen lassen.
Ehe ich mich versah, war ein Jahr vergangen – und an der Situation hatte sich nicht das Geringste geändert. In den letzten Wochen haben wir immer öfter darüber diskutiert, wie unbefriedigend die Situation für uns beide ist und dass wir unbedingt etwas ändern wollen. Felix hat mehrfach beteuert, wie sehr er sich wünscht, dass wir eine gemeinsame Wohnung haben. Ein gemeinsames Leben.
Mein Herz klopft schneller. Ist es jetzt soweit – hat er ein Liebesnest für uns gefunden und will mich damit überraschen?
Ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen.
Das kann doch nur etwas Gutes bedeuten, oder?
Ich habe mich extra schick gemacht, als ich pünktlich um 19 Uhr in unserem italienischen Lieblings-Restaurant eintreffe. Felix ist schon da und sieht mal wieder zum Anbeißen aus mit seinen dunklen, verwuschelten Haaren und den stahlblauen Augen. Die Schmetterlinge in meinem Bauch vermehren sich spontan. Er ist ein wahnsinnig attraktiver Mann und seine Ausstrahlung haut mich jedes Mal aufs Neue um. Irgendwie bin ich ihm total verfallen. Manchmal macht mir das ein bisschen Angst, aber meistens finde ich es unfassbar schön, weil ich mich dadurch so lebendig fühle.
„Hey“, begrüße ich ihn und Felix steht auf, um mich in seine Arme zu nehmen. Ich rieche sein betörendes Aftershave, in dem ich baden könnte. Seine Bartstoppeln streifen meine Wange und er legt seine weichen Lippen kurz auf die meinen. Oh mein Gott, ich liebe ihn! Ich liebe ihn so sehr, dass es weh tut! Und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als endlich richtig mit ihm zusammen zu sein. Hoffentlich sagt er mir jetzt, dass er eine Wohnung für uns gefunden hat und dass all unsere Träume von einer gemeinsamen Zukunft wahr werden.
Doch Felix sagt erst mal gar nichts und sieht mich nur stumm an. Irritiert blicke ich ihm in die Augen, doch er wendet seinen Blick ab. Das ist ungewöhnlich. Normalerweise können wir uns gar nicht lange genug tief in die Augen sehen und er redet wie ein Wasserfall. Aber er wirkt anders als sonst. Weder euphorisch noch fröhlich. Jedenfalls nicht so, als würde er mir die frohe Botschaft überbringen, dass er ein gemeinsames Zuhause für uns gefunden hat.
Meine Kehle schnürt sich zu. Habe ich seine SMS falsch verstanden? Etwas Wichtiges muss nicht unbedingt etwas Positives sein. Ich bin ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass er mir etwas Schönes mitteilen will, aber womöglich habe ich mich geirrt.
Ich merke, dass meine Hände zittern, als ich ihm gegenüber Platz nehme. Plötzlich habe ich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Plötzlich weiß ich, dass es nichts Schönes ist, das er mir sagen wird.
Felix räuspert sich und scheint sich nicht besonders wohl in seiner Haut zu fühlen. Er sieht genauso aus wie damals, als er mir gestanden hat, dass er ein treuloser Ehemann ist. Mein Herz bleibt vorübergehend stehen.
„Ähm … wie ich bereits in meiner SMS angedeutet habe: Ich muss dir etwas sagen.“
Felix blickt angestrengt an die Decke und seufzt steinerweichend. Ich suche seinen Blick, doch an der Decke scheint sich etwas sehr Interessantes zu befinden, denn Felix guckt starr nach oben. Ich muss eine Weile warten, bis er endlich den Mund aufmacht. So kenne ich ihn gar nicht.
„Also, es ist nämlich so …“
Er vermeidet es weiterhin, mich anzusehen.
„Ähm … also …. naja …“
Erneutes Räuspern. Erneutes Seufzen. So langsam verliere ich die Geduld. Er ist doch sonst nicht auf den Mund gefallen!
„Nun sag mir endlich, was los ist!“, fordere ich ihn auf. „Was ist passiert? Haben die Kinder Flöhe? Ist deine Wohnung ausgeraubt worden? Ist Beate schwanger?“
Endlich sieht er mich an, und zwar mit einem sehr verwunderten Blick. Dann atmet er erleichtert aus. So schlimm ist es offenbar nicht.
„Nein, natürlich nicht“, sagt er mit Nachdruck. „Wie sollte Beate schwanger sein, wenn wir nicht miteinander schlafen?“
„Dann bin ich ja beruhigt“, erwidere ich, obwohl ich ehrlich gesagt nicht so ganz glaube, dass die beiden überhaupt keinen Sex mehr haben.
„Was ist es dann?“, dränge ich ihn.
Felix atmet tief ein und aus. Dann gibt er sich einen Ruck.
„Die Sache ist die … Wir haben letzte Woche ein Hausboot ersteigert und werden in den nächsten Monaten ziemlich viel mit dem Umbau zu tun haben. Das heißt, ich werde wenig Zeit haben, auch für dich“, haspelt er in einer atemberaubenden Geschwindigkeit.
Im ersten Moment begreife ich gar nicht so richtig, was er mir gerade mitgeteilt hat. Meine Ohren haben es zwar gehört, aber es scheint nicht vollständig an mein Gehirn weitergeleitet worden zu sein.
„Ihr habt … was? Wer ist denn überhaupt ‚wir’?“, frage ich begriffsstutzig.
Felix setzt sein unschuldigstes Gesicht auf.
„Wer soll ‚wir‘ schon sein? Wir eben. Meine Familie und ich.“
Ich starre meinen Lover fassungslos an.
„Deine Familie und du? Du ziehst zusammen mit Beate um?“, bringe ich heiser hervor. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“
„Mit wem denn sonst?“, gibt Felix zurück und wendet sich der Speisekarte zu.
„Ähm … mit mir vielleicht?“, verabreiche ich ihm einen kleinen Denkanstoß. „Wir sehen uns seit Wochen im Internet Wohnungen an, weil wir zusammenziehen wollen. Hast du das vorübergehend vergessen?“
Felix senkt seinen Blick und betrachtet eingehend seine Schuhe.
„Es hat sich eben anders ergeben“, teilt er mir mit.
Mir bleibt vor lauter Empörung die Luft weg.
„Ergeben?“, keife ich los. „Sowas ergibt sich doch nicht einfach! Oder habt ihr aus lauter Langeweile bei eBay gesurft und geguckt, was dort so alles verkauft wird? Und als ihr dann zufällig die Rubrik ‚Hausboote‘ gefunden habt, seid ihr spontan auf die Idee gekommen, eins zu kaufen? Sag mal, spinnst du? Das müsst ihr doch schon ewig geplant haben!“
„Es war mal im Gespräch“, nuschelt Felix, ohne mich anzusehen. „Aber … nicht so konkret.“
„Ach“, schnaube ich. „Das ist ja höchst interessant. Und gleichzeitig gucken wir beide nach einer gemeinsamen Wohnung? Wolltest du mich damit nur beruhigen? Du hast nie vorgehabt, mit mir zusammenzuziehen, oder? Was für ein Arsch bist du eigentlich?“
Felix hebt endlich seinen Kopf und blitzt mich wütend an.
„Ich bin kein Arsch“, bellt er. „Natürlich wollte ich mit dir zusammenziehen. Aber ich halte mir immer verschiedene Optionen offen. Und wenn sich dann spontan etwas ergibt, greife ich zu.“
Am liebsten würde ich ihm den silbernen Kronleuchter, der auf dem Tisch steht, über den Kopf hauen.
„Wenn sich spontan etwas ergibt, greifst du zu?“, äffe ich ihn nach. „Was soll denn das heißen? Dass es dir egal ist, wo und mit wem du lebst?“
„Natürlich nicht“, beeilt sich Felix zu versichern. „Aber so eine Gelegenheit muss man doch nutzen. Außerdem verstehe ich gar nicht, warum du dich so aufregst. Zwischen uns ändert das doch nichts. Es betrifft dich im Grunde überhaupt nicht.“
Ich glaube, mich verhört zu haben.
„Es betrifft mich nicht?“, zische ich. „Es betrifft mich nicht, wenn der Mann, der mich angeblich liebt, mit einer anderen Frau auf ein Boot zieht? Wen soll es denn sonst betreffen, wenn nicht mich? Sag mal, spinnst du jetzt völlig?“
Die Leute am Nebentisch drehen sich interessiert zu uns um.
„Wieso? Ob wir im fünften Stock wohnen oder auf einem Hausboot, macht doch keinen Unterschied“, entgegnet Felix mit bestechend männlicher Logik. „Ich wollte schon immer am Wasser wohnen, und das tun wir jetzt eben. No big deal.“
Ich kann es nicht fassen. Ich kann nicht glauben, was ich da höre. Ich kann nicht glauben, was Felix da tut.
„Aber … du wolltest mit Beate reden“, erinnere ich ihn. „Und zwar darüber, dass du dich von ihr trennen willst. Kannst du dich noch dunkel entsinnen? Ich meine, ganz dunkel?“
„Natürlich weiß ich das noch, ich bin ja nicht senil“, behauptet Felix.
„Und?“, forsche ich nach. „Hast du es getan? Hast du mit ihr gesprochen?“
„Ich habe es versucht“, erklärt Felix und versteckt sich hinter der Karte. „Ehrlich, das habe ich. Aber sie wollte von dem Thema überhaupt nichts hören. Als ich von Trennungen allgemein redete, hat sie schon total abgeblockt. Da konnte ich ihr von uns natürlich nichts erzählen.“
Hat der Typ noch alle Latten am Zaun? Ehrlich, wie feige kann man eigentlich sein?
Ich strecke meine Finger nach dem Kronleuchter aus. Auf einmal kann ich verstehen, warum sich Paare im Affekt erschlagen. Felix hat Glück, dass wir in einem vollbesetzten Restaurant sitzen und nicht bei mir zu Hause.
„Was ist denn das für ein Quatsch? Seit wann braucht man für eine Trennung das Einverständnis des Partners?“, rege ich mich auf. „Es ist scheißegal, ob Beate das gut findet oder nicht – wenn du dich von ihr trennen willst, muss sie es akzeptieren. Das ist deine Entscheidung. Sie muss damit nicht einverstanden sein.“
Wir sehen uns in die Augen. Ich sehe seinen Blick und weiß plötzlich Bescheid. Das ist kein „Ich liebe dich und will mit dir zusammen sein“ Blick. Es ist eindeutig ein „Tut mir leid, aber ich werde mich niemals trennen“ Blick. In diesem Moment fällt alles in sich zusammen. Seine Beteuerungen, er würde Beate verlassen. Seine Versprechungen, wir würden uns ein gemeinsames Leben aufbauen. Seine Liebesschwüre. Sein Gelaber von einer gemeinsamen Zukunft. Es war alles eine einzige Lüge. Ich war nur dazu da, um seine Ehe zu stabilisieren, die ihm langweilig geworden ist. Beate ist der sichere Hafen, in den er jederzeit zurückkehren kann. Ich hingegen bin nur ein netter Ausflug vom Alltag. Es ist nie mehr für ihn gewesen. Mit einem Schlag sehe ich das ganz klar. Wie konnte ich nur so blind sein?
„Du willst dich gar nicht trennen“, sage ich tonlos. „Nicht jetzt und nicht in fünf Jahren. Niemals. Du hast mich immer nur vertröstet. Es soll alles so bleiben, wie es ist. Für dich ist das ja auch sehr bequem – du hast eine Familie als Sicherheit und eine Geliebte für aufregende Stunden. Warum solltest du etwas ändern? Besser kann es dir gar nicht gehen. Und in mir hast du ja auch eine Blöde gefunden, die das ein ganzes Jahr lang mitgemacht hat.“
„Ich will jetzt erstmal mein Hausboot renovieren“, erwidert Felix halsstarrig. „Das wird mich die nächsten Monate genug beschäftigen. Über alles andere denke ich später nach.“
„Später“, höhne ich. „Später ist jetzt. Kennst du das Lied von Monica Morell? ‚Später, wann ist das?‘, hab ich ihn gefragt. Er hat nur gelacht und dann ‚später‘ gesagt. Obwohl ich ihn liebe, ließ ich ihn allein. Später, da kann es zu spät für mich sein.“
Mit verkniffenem Gesichtsausdruck starrt Felix mich an. Nein, das Lied kennt er wohl nicht.
„Ein Umzug wäre die beste Gelegenheit, um über eine Veränderung nachzudenken“, erkläre ich. „Ich gebe dir mal einige Anregungen: Du könntest allein auf dieses Hausboot ziehen. Du könntest mich fragen, ob ich mit dir dort wohnen will. Du könntest das Hausboot in den Wind schießen und mit mir eine gemeinsame Wohnung suchen. All das könntest du tun. Aber du ziehst ganz selbstverständlich mit Beate dorthin. Du stellst das erst gar nicht in Frage. Damit ist alles gesagt. Du hast dich für sie entschieden. Ich werde immer nur die zweite Besetzung sein. Und das will ich nicht. Nicht, wenn es total perspektivlos ist.“
Ich kann nicht mehr weiterreden, weil mir die Tränen kommen. Es ist aus. Alles ist aus. Das ganze Jahr war umsonst und eine Zukunft wird es nicht geben.
„Das ist doch Quatsch.“
Felix schüttelt den Kopf. Leider sieht er wie immer unglaublich attraktiv aus. Seine meerblauen Augen haben es mir vom ersten Moment an angetan und oft habe ich gedacht, dass diese Augen nicht lügen können, wenn er mir gesagt hat, dass er mich liebt. Nun, da habe ich mich wohl getäuscht.
„Du bist für mich die Nummer Eins, aber jetzt ist eben nicht der richtige Zeitpunkt“, erklärt er stoisch. „Wir müssen erstmal das Hausboot sanieren.“
„Und dann?“, erwidere ich zitternd vor Wut. „Was ist, wenn ihr das Hausboot saniert habt? Dann wirfst du Beate von Bord oder was? Sie soll dir erst helfen und wenn sie das getan hat, verlässt du sie? Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Ihr werdet ewig dort wohnen bleiben, das ist völlig klar.“
„Ich verstehe, dass die Situation für dich nicht ideal ist“, sagt Felix gespreizt. „Und für mich ist sie das im Grunde ja auch nicht. Ich würde liebend gern mal bei dir übernachten oder länger was mit dir unternehmen, keine Frage. Vielleicht könnte man es so einrichten, dass Beate zwar von dir weiß, wir aber trotzdem als Familie zusammen wohnen bleiben. Man könnte das alles etwas offener gestalten.“
Ich schüttele den Kopf, während mir ein dicker Kloß im Hals sitzt.
„Das sind doch alles nur faule Kompromisse“, sage ich wütend. „Und ich will kein Kompromiss sein. Ich will ganz offiziell deine Freundin sein.“
„Das will ich doch auch“, beteuert Felix und setzt seinen berühmten Welpenblick auf. „Glaub mir, ich wünsche mir das mehr als alles andere. Aber im Moment ist einfach nicht der richtige Zeitpunkt.“
Ich winke ab.
„Der richtige Zeitpunkt wird niemals kommen. Es wird immer etwas geben, was dich davon abhält, dich von Beate zu trennen.“
„Das ist nicht wahr.“
„Diesmal ist es ein Hausboot, das nächste Mal kauft ihr ein U-Boot. Für mich wird in deinem Leben nie Platz sein. Darauf habe ich echt keinen Bock mehr. Es reicht, Felix. Irgendwann ist auch mal Schluss mit der Hinhalterei.“
Ich springe auf, reiße meine Jacke vom Garderobenhaken und sprinte aus dem Restaurant.
Draußen regnet es und der Regen vermischt sich mit meinen Tränen. Ich bin so verdammt wütend auf mich. Wie konnte ich nur so blöd sein, Felix zu glauben, dass er sich von Beate trennt. Ich bin die tausendmillionste Geliebte, die auf dieses Gesäusel hereinfällt, aber das macht es jetzt auch nicht besser.
Nele, jetzt warte doch mal und renn nicht weg!“, höre ich die Stimme dieses elendigen Verräters hinter mir, aber ich denke nicht daran stehenzubleiben. Soll er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst.
„Du kannst mich mal!“, rufe ich erzürnt und laufe weiter. „Lass mich bloß in Ruhe, du Mistkerl!“
Doch leider ist Felix bestens durchtrainiert und hat mich nach wenigen Metern eingeholt. Er packt mich am Arm und dreht mich zu sich herum.
„Ich verstehe ja, dass du sauer bist“, ringt er sich ab. „Wäre ich an deiner Stelle auch. Aber es ist eine komplizierte Angelegenheit.“
„Nein, es ist gar nicht kompliziert. Du musst einfach nur wissen, wen von uns beiden du willst“, widerspreche ich. „Du musst von dem Trip runterkommen, dass du beides haben kannst. Das geht nämlich nicht, jedenfalls nicht auf die Dauer. Du musst dich entscheiden und mit den Konsequenzen leben.“
„Ach, Nele …“
Felix zieht mich in seine Arme. Ich spüre die Wärme seines Körpers, seine Nähe, seinen Atem. Verdammt, ich liebe ihn! Aber gerade deshalb kann ich so nicht weitermachen.
„Ich würde wirklich nichts lieber tun, als mit dir zusammenzuleben“, beteuert Felix und drückt mich fest an sich. „Aber ich habe gewisse Verpflichtungen, vor allem meinen Kindern gegenüber. Verstehst du das wirklich nicht?“
Er küsst mich sanft auf die Wange und mir schwinden die Sinne. Verdammt. In seiner Gegenwart fällt es mir schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren. Sobald ich ihn spüre, setzt irgendetwas in mir aus. Normalerweise genieße ich das, aber in diesem Moment verfluche ich seine Wirkung auf mich.
„Als wir uns Wohnungen angeschaut haben, habe ich es ernst gemeint“, murmelt Felix und streift mit seinem Mund sanft mein Ohr, was mich erschauern lässt.
„Aber weißt du … dann gucken mich die Knirpse mit ihren Kulleraugen an …“ Felix stöhnt auf. „Mir zerreißt es das Herz, wenn ich mir vorstelle, dass sie Beate abends fragen, wo der Papa ist und warum er sie nicht mehr ins Bett bringt. Und dann sagt sie ihnen, dass er gerade bei einer anderen Frau ist. Weißt du, was das mit den Kleinen macht? Sie denken, ihr Papa hat sie nicht mehr lieb. Ich kann das meinen Kindern nicht antun.“
Ich kenne diese Sprüche zur Genüge. Natürlich finde ich es toll, dass Felix ein verantwortungsvoller Vater ist, aber für mich ist das weniger toll. Ich weiß nicht, was die richtige Lösung ist. Wenn Felix dauernd ein schlechtes Gewissen hätte, wenn er sich von seiner Familie trennen und mir die Schuld dafür geben würde, hätten wir sicher kein glückliches, unbeschwertes Leben. Man kann es drehen und wenden, wie man will – es wird immer jemanden geben, der auf der Verliererseite steht. Im Moment bin das ganz klar ich. Allen anderen geht es soweit gut.
„Mal eine Frage, Felix: Führt ihr wirklich eine offene Ehe oder gehst nur du fremd?“, erkundige ich mich.
Das hat er mir nämlich am Anfang erzählt, aber ich hatte immer das unbestimmte Gefühl, dass er damit nur sein schlechtes Gewissen beruhigen wollte.
Felix wippt nervös von einem Fuß auf den anderen.
„Wir haben am Anfang unserer Beziehung festgelegt, dass es kein Drama ist, wenn der andere sich mal anderweitig umsieht“, antwortet er. „Ob Beate davon Gebrauch macht, weiß ich nicht. Ich will es auch gar nicht wissen. Wir reden nicht darüber.“
„Würde es dir denn etwas ausmachen?“, frage ich.
Felix schweigt. Das ist kein gutes Zeichen.
„Ich glaube schon“, ringt er sich schließlich ab und vermeidet es, mich anzusehen. Der Pfeil trifft mich mitten ins Herz.
Wenn Beate ihm nicht egal ist, warum zum Teufel rettet er dann nicht seine Ehe, anstatt eine weitere Frau unglücklich zu machen?
„Aber warum habt ihr so eine Vereinbarung?“, frage ich. „Warum sucht ihr euch außerhalb eurer Beziehung das, was ihr auch innerhalb eurer Ehe haben könntet? Ich verstehe das einfach nicht.“
„Weil der stressige Alltag die Erotik kaputtmacht“, erläutert Felix. „Wenn du eben noch Windeln gewechselt hast, hast du im nächsten Moment keine Lust auf eine flotte Nummer. Es gibt so viel zu organisieren mit zwei kleinen Kindern, da bleibst du als Paar total auf der Strecke. Glaub mir, für mich ist das alles auch nicht immer leicht.“
„Aber ihr geht manchmal zu zweit weg und die Kinder sind bei deinen oder ihren Eltern. Dann habt ihr eure Zweisamkeit. Für mich sind das alles Ausreden, Felix. Was ist wirklich bei euch los? Warum gibt es mich in deinem Leben?“
Felix nimmt meine Hände in seine. Mir ist ganz elend zumute. Ich spüre, dass ich ihn verliere. Schlimmer noch: Ich habe ihn nie gehabt. Er war immer bei seiner Familie. Ich war nur ein kleiner, netter Zeitvertreib. Und wenn ich es nicht bin, dann wird es eben eine andere sein. Ich bin komplett austauschbar, dessen bin ich mir plötzlich sicher. Es tut wahnsinnig weh.
„Es gibt dich in meinem Leben, weil wir beide uns auf das Wesentliche konzentrieren; das, was eine Beziehung eigentlich ausmachen sollte: Zweisamkeit, Erotik, Leidenschaft, Sex“, zählt Felix mit leuchtenden Augen auf. „Das gibt es zwischen Beate und mir schon lange nicht mehr. Mit dir finde ich es ungeheuer aufregend und erotisch. Wenn ich dich sehe, geht es mir durch und durch. Ich begehre dich so sehr, wie ich noch nie eine Frau begehrt habe. Das musst du mir einfach glauben.“
Er zieht mich wieder näher an sich. Ich schlucke. Wahrscheinlich ist dies das letzte Mal, dass ich ihn so nah bei mir spüre.
„Ach, Nele, es ist wirklich eine Scheiß-Situation. Du bist meine Traumfrau. Und wenn die Kinder nicht wären … aber sie sind nun mal da, und ich liebe sie über alles.“
Felix‘ Lippen streichen meine Wange und ich schließe die Augen. Der Regen hat aufgehört und es ist eine laue, warme Sommernacht. Aber in mir ist alles kalt und dunkel. Ich weiß, dass unsere Beziehung zu Ende geht. Ab jetzt werde ich wieder allein sein.
„Und was ist mit Beate? Liebst du sie auch?“, flüstere ich.
Mein Herz klopft mir bis zum Hals und meine Hände sind eiskalt. Ich habe Felix diese Frage noch nie so direkt gestellt, weil ich Angst vor der Antwort hatte. Aber jetzt ist sowieso alles egal. Ich muss es einfach wissen.
Wir sehen uns an und schweigen eine Weile. Es fällt mir schwer, das auszuhalten. Ich will hören, dass Felix nur mich liebt und Beate ihm herzlich egal ist. Aber wie könnte sie das sein? Immerhin ist sie die Mutter seiner Kinder, an denen er so sehr hängt.
Erwartungsgemäß tut sich Felix mit einer Antwort schwer.
„Wir sind seit sieben Jahren zusammen“, teilt er mir eine durchaus bekannte Tatsache mit. „Da ist es schwierig zu sagen, was Gewohnheit und Bequemlichkeit ist und was Liebe. Das vermischt sich alles. Wir sind durch die Kinder sehr stark aneinander gebunden. Das ist einfach ein Riesenjob. Ich weiß nicht, ob ich sie noch liebe. Hätte ich dann dich?“
„Aber mich liebst du auch nicht“, erwidere ich zitternd. „Hättest du dann Beate?“
Felix stöhnt auf.
„So einfach ist das nicht. Es gibt nicht nur schwarz oder weiß, Nele. Wenn die Kinder nicht da wären, würde ich mich definitiv von ihr trennen. Aber das geht einfach nicht. Die Knirpse würden das nicht verkraften. Die brauchen ihre Eltern, und zwar beide. Ich kann diese unschuldigen Würmchen nicht ausbaden lassen, dass es zwischen Beate und mir nicht mehr stimmt. Das ist einfach nicht fair. Sie wären diejenigen, die am meisten darunter leiden würden. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich ihnen das antun würde. Das ist keine Ausrede. Du weißt das doch selbst am besten.“
Natürlich, den Trumpf musste er jetzt aus dem Ärmel ziehen. Ich bin selbst ein Scheidungskind und ohne meinen Vater aufgewachsen. Und ich weiß verdammt gut, wie hart das ist und wie weh es tut. Aber die ewigen Streitereien zwischen meinen Eltern waren auch schwer zu ertragen. Das hätte ich genauso wenig ausgehalten.
„Ja, das weiß ich, Felix. Aber das, was du mit mir machst, ist auch nicht fair“, entgegne ich. „Erst sagst du, du liebst mich und willst mit mir zusammenleben – und dann bleibt doch alles beim Alten. Ach nein, das bleibt es ja nicht. Ihr zieht auf ein Hausboot. Für euch beginnt damit ein neues, aufregendes Leben. Nur ich bleibe auf der Strecke. Und meine Hoffnung auch.“
Ich beiße mir auf die Lippe, doch es nützt nichts. Die Tränen kommen ganz von selbst. Felix macht ein unglückliches Gesicht.
„Mensch, Scheiße, Felix“, schluchze ich. „Ich will dich nicht länger teilen. Es zerreißt mir das Herz, verstehst du das nicht? Immer, wenn ich mich nach dir sehne, muss ich damit klarkommen, dass du jetzt bei Beate bist. Hast du auch nur eine entfernte Ahnung, wie weh das tut? Du hast deine Familie, um die du dich kümmerst, aber ich bin allein.“
Meine Lippen zittern und die Tränen vermischen sich mit meiner Wimperntusche.
„Hey, ich weiß, dass die Situation für dich Scheiße ist.“
Felix wischt mir sanft die Tränen weg.
„Was glaubst du, wie oft ich allein im Bett liege und wünschte, du wärst jetzt neben mir? Meinst du etwa, mir macht es Spaß, immer nur mal zwei Stunden zwischendurch für dich zu haben? Ganz so emotionslos, wie du denkst, bin ich auch nicht.“
„Dann ändere endlich was! Du bist nämlich der Einzige, der das kann.“
„Ich kann mich nicht gegen meine Familie entscheiden“, bleibt Felix stur.
„Aber gegen mich“, trumpfe ich auf.
Wir blicken uns an. Hat er nicht vorgestern noch gesagt, dass er mich über alles liebt und es nicht erwarten kann, bis wir endlich richtig zusammen sind?
„Ich verstehe nicht, warum wir nicht alles beim Alten lassen können“, wiederholt Felix sich. „Es war perfekt.“
„Für dich ganz bestimmt“, brause ich auf. „Wenn du gerade mal zwei Stunden zwischen Windeln wechseln und Großeinkauf hast, kommst du für eine kurze Nummer vorbeigeschossen und haust dann wieder ab – zurück in dein Leben, zurück zu deiner Familie. Und wo bleibe ich? Wenn du wirklich mit Beate auf ein Boot ziehst, kannst du dir eine andere Blöde fürs Bett suchen.“
Mein Herz hämmert hart gegen meine Rippen. Jetzt habe ich alles auf eine Karte gesetzt. Aber er wird sich doch für mich entscheiden, oder? Schließlich hat er mir das tausendmal gesagt.
Felix sieht mich bedauernd an.
„Das fände ich sehr schade, Nele.“
Ich kann nicht glauben, was ich da höre. Das ist alles? Für ihn bricht nicht die ganze Welt zusammen? Er findet es nur „sehr schade“?
„Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“, ächze ich.
Das träume ich doch alles nur! Das kann einfach nicht wahr sein! Nicht nach all den Liebesschwüren und Versprechungen.
Felix wiegt den Kopf hin und her.
„Es tut mir sehr leid und ich hätte es gern anders, aber ich will natürlich nicht, dass du leidest“, gibt er mit bekümmerter Miene von sich.
„Wie rücksichtsvoll von dir“, schnaube ich. „Und das war’s jetzt für dich, ja? Nach einem Jahr lässt du mich einfach fallen, wenn ich nicht mehr die kostenlose Nutte spiele.“
„Moment mal, du lässt mich fallen“, stellt Felix klar. „Ich bin nicht derjenige, der unsere Liaison beenden will. Außerdem ist es völliger Quatsch, dich als kostenlose Nutte zu bezeichnen. So habe ich dich nie behandelt.“
„Ach, tatsächlich? War ich denn jemals mehr für dich als ein schneller, unkomplizierter Fick?“, fauche ich ihn wütend an.
Felix blickt sich peinlich berührt um, als zwei ältere Männer an uns vorbeilaufen und frech grinsen.
„Kannst du noch lauter schreien, damit es auch bloß alle mitkriegen?“, zischt er.
„Was bin ich denn für dich?“, rufe ich erzürnt. „Ich will das jetzt endlich mal wissen, verdammt nochmal!“
Ich denke gar nicht daran, meine Stimme zu senken. Sollen doch alle mitkriegen, was für ein mieser Verräter er ist.
Felix greift nach meiner Hand. Sie ist eiskalt.
„Du weißt, dass ich dich liebe.“
Er wagt es tatsächlich, mir das in dieser Situation zu sagen? Ich entziehe ihm meine Hand.
„Ja, klar. Deshalb lebst du auch mit einer anderen Frau zusammen“, schäume ich.
„Wenn die Kinder nicht wären, hätte ich mich schon längst von Beate getrennt“, trägt Felix seine übliche Entschuldigung vor. „Aber die Kinder sind nun mal da und brauchen ihre Eltern. Beide. Ich kann meine Kinder nicht im Stich lassen. Nicht mal für dich. Schluss. Aus. Ende der Durchsage. Nele, kapier das doch bitte endlich mal. Du kannst mich nicht vor die Wahl stellen. Wenn du das tust, werde ich mich immer für meine Kinder entscheiden. Das bedeutet nicht, dass ich dich nicht liebe. Aber ja, wenn du es unbedingt hören willst: Meine Kinder sind mir wichtiger. Sie sind klein und hilflos. Sie können sich nicht wehren. Du bist eine erwachsene Frau. Du kannst mit der Situation umgehen. Meine Kinder können das nicht. Versteh das endlich mal. Und wenn du das nicht kannst … Herrgott noch mal, dann ist es eben aus zwischen uns. Ich bin diese ewigen Diskussionen jetzt leid. Du schaffst es, all das Schöne, das uns verbindet, grundlos kaputtzumachen.“
Ich starre ihn fassungslos an. Mein Herz fällt auf den Boden und zerspringt dort in tausend Stücke.
„Und was bedeutet das jetzt?“ Mir ist kalt und meine Kehle wird eng. „Heißt das, dass unsere Beziehung zu Ende ist?“
Felix sieht mich unschlüssig an.
„Das musst du entscheiden“, erwidert er und zuckt mit den Schultern. „Ich kann dir nur das bieten, was wir haben. Mehr geht nicht. Wenn dir das nicht reicht, musst du dich von mir trennen. Es ist deine Entscheidung.“
Ja, es ist meine Entscheidung. Ich kann alles beim Alten lassen und mich auf die paar Stunden freuen, die ich in unregelmäßigen Abständen mit ihm verbringen kann. Ich kann mir die Augen ausweinen, weil ich an Weihnachten und an seinem oder meinem Geburtstag allein bin, während er im trauten Familienkreis feiert. Ich kann die Wochenenden allein verbringen, an denen er mit seiner Familie tolle Ausflüge macht. Ich kann allein in den Urlaub fahren und die anderen Paare beneiden, die die schönste Zeit im Jahr gemeinsam verbringen. Und dann kann ich daran denken, dass Familie Hartmann auch gerade einen wunderschönen Urlaub macht und sicher viel Spaß hat.
All das kann ich machen. Ich habe es schließlich ein Jahr lang ausgehalten. Aber ich war nicht glücklich dabei. Und ich habe es nur deshalb ertragen, weil ich die Hoffnung hatte, dass sich irgendwann alles ändern würde. Aber jetzt habe ich diese Hoffnung nicht mehr. Felix hat mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass seine Familie immer an erster Stelle stehen wird.
Wie heißt es so schön? Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Natürlich wird es hart, nach diesem Jahr ohne Felix zu leben. Aber wahrscheinlich würde es noch viel härter werden, mit ihm zu leben und dennoch ohne ihn zu sein. Es gibt nur eine Entscheidung, die richtig für mich ist. Und die werde ich jetzt treffen.
Acht Wochen sind vergangen, seitdem ich die Entscheidung getroffen habe, nicht länger die heimliche Geliebte zu spielen. Zum Glück ist Felix mit der Restaurierung seines Hausbootes so sehr beschäftigt, dass er sich für die nächsten Monate hat freistellen lassen und ich ihm somit nicht mehr im Büro über den Weg laufe.
Mir geht es miserabel. Ich vermisse ihn schmerzlich. Nichts macht mir ohne ihn Spaß und ich habe überhaupt keine Lust, irgendetwas zu unternehmen. Ohne Felix ist alles nur fade und langweilig.
Manchmal ertappe ich mich dabei, mir die blöde Frage zu stellen, ob es nicht besser gewesen wäre, wenigstens einen kleinen Teil von ihm zu behalten als gar nichts. Oft genug bin ich kurz davor, ihn anzurufen und unsere Affäre wieder aufleben zu lassen. Aber dann versuche ich, mich in fünf oder zehn Jahren zu sehen - verbittert, frustriert, deprimiert und irgendwie trotzdem allein. Diese Vorstellung ist furchtbar. Jetzt ist es zwar auch furchtbar, aber diese schlimme Zeit wird irgendwann vorbeigehen. Wenn ich weiterhin Felix‘ heimliche Geliebte bleibe, wird sie hingegen niemals vorbei sein. Das muss ich mir immer vor Augen halten.
Also muss ich ihn vergessen und mir irgendwann, wenn ich über ihn hinweggekommen bin, einen anderen Mann suchen. Die Zeit bis dahin ist verdammt schwierig, aber irgendwie muss ich sie überstehen, einen Tag nach dem anderen. Irgendwann wird es besser werden, da bin ich mir ganz sicher.
***
„Du brauchst dringend Ablenkung“, findet meine Mutter, als ich wie ein Häufchen Elend vor ihr sitze.
„Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass es nichts bringt, mit einem verheirateten Mann etwas anzufangen.“
„Mama, bitte!“ Ich verdrehe die Augen. „Diese Erkenntnis nützt mir jetzt auch nichts mehr. Außerdem hat er mir ständig gesagt, dass er sich bald trennen wird.“
„Jaja, das sagen sie alle.“ Meine Mutter schüttelt mahnend den Kopf. „Dabei weiß man ganz genau, dass das nur Gerede ist. Und du bist darauf hereingefallen. Das war wirklich dumm von dir, Nele. Ich verstehe nicht, wie du ihm das glauben konntest.“
Meine Mutter besitzt die Gabe, dass ich mich noch schlechter fühle als ohnehin schon, wenn etwas Schlimmes passiert ist. Sie ist keine der warmherzigen Mütter, die ihr Kind in den Arm nimmt und es tröstet. Nein, sie reibt mir mein Pech höhnisch unter die Nase und zelebriert es richtiggehend. Manchmal habe ich den Eindruck, ihr selbst geht es besser, wenn es anderen schlecht geht.
„Das will ich jetzt nicht hören, Mama“, erwidere ich wütend. „Kannst du nicht ein einziges Mal ein bisschen Mitgefühl haben?“
„Habe ich ja“, behauptet meine Mutter fröhlich. „Trotzdem war es dumm von dir. Aber gut, dass diese Sache jetzt beendet ist. Du brauchst einen Tapetenwechsel, eine andere Umgebung, andere Leute. Ich habe schon mit Tante Nina gesprochen. Du kannst ab sofort drei Wochen zu ihr fahren.“
Verständnislos blicke ich meine Mutter an.
„Wieso sollte ich das tun?“, will ich wissen.
Meine Mutter schnauft ungehalten.
„Hörst du mir nicht zu? Das sagte ich doch gerade: Weil du dringend einen Tapetenwechsel brauchst. Hast du nicht gesagt, dass du eine Menge Überstunden angehäuft hast? Die könntest du alle auf einmal nehmen. Tante Nina freut sich, wenn du ihr Gesellschaft leistest. Schließlich ist sie deine Patentante.“
Nina ist die Schwester meiner Mutter und ich habe sie mir als Kind heimlich als meine Mama gewünscht. Sie ist so ganz anders als meine Mutter – lustig, mitfühlend, warmherzig, ausgeglichen. Bei ihr habe ich mich immer wohl gefühlt. Ich habe sie lange nicht gesehen, eigentlich viel zu lange. Sie hat Berlin vor vielen Jahren verlassen und an der Ostsee eine kleine Pension eröffnet. Das war immer ihr Herzenswunsch und als sie geerbt hat, hat sie sich diesen Wunsch erfüllt.
„Hm“, mache ich und denke darüber nach. Im Grunde ist das keine schlechte Idee. Meine Mutter hat Recht: Ich habe so viele Überstunden, dass ich wahrscheinlich das ganze Jahr nicht mehr arbeiten müsste.
Außerdem liegt mein letzter Urlaub über ein Jahr zurück. Das hängt damit zusammen, dass ich mit Felix nicht wegfahren konnte und keine Lust hatte, allein irgendwo zwischen lauter verliebten Paaren rumzuhängen. Die Aussicht, am Meer zu sein, die salzige Luft zu schmecken und dem Kreischen der Möwen zuzuhören, weckt in mir große Sehnsüchte. Jedes Mal, wenn ich am Meer bin, bin ich glücklich. Mich hat die Weite des Meeres schon immer fasziniert und wenn ich meine Zehen in den Sand stecken kann, geht es mir gut. Vielleicht klappt das auch diesmal.
„Mir gefällt die Idee“, sage ich und merke, wie sich meine Laune schlagartig bessert, wenn ich mir vorstelle, am Strand zu liegen und im Meer zu schwimmen.
„Meine Ideen sind immer gut“, entgegnet meine Mutter mit der ihr eigenen Bescheidenheit. „Übrigens wirst du Gesellschaft haben. Barbara, Burkhard und Dieter sind auch gerade dort. Sie machen dieses Jahr ausnahmsweise keine Kreuzfahrt und haben sich bei Nina eingenistet.“
„Oh, das ist aber schön“, freue ich mich.
Ich mag meine schräge Verwandtschaft – und schräg sind die drei wirklich. Barbara ist meine Cousine, die kein Blatt vor den Mund nimmt und immer sagt, was sie denkt. Burkhard ist mein Onkel, der oft zu tief ins Glas schaut und ein echter Kavalier ist. Im Klartext bedeutet das, dass er jeder Frau nachsteigt, die mindestens zwanzig Jahre jünger ist als er. Dieter ist um hundert Ecken mit uns verwandt und hat nur ein Hobby: essen. Das sieht man ihm auch deutlich an.
„Wann fährst du los?“, will meine Mutter wissen.
Ich strahle über beide Ohren.
„Sobald ich im Büro weg kann. Je schneller, desto besser.“
Eine Woche später ist es so weit und ich düse mittags bei Regen und grauem Himmel von Berlin los. Je länger ich fahre, umso freundlicher wird das Wetter und als ich nach dreieinhalb Stunden die Autobahn verlasse, scheint sogar die Sonne. Das ist ein gutes Omen. Nun geht es noch eine knappe halbe Stunde über die Landstraße, vorbei an gelben Rapsfeldern, Wiesen und Wäldern. Ich öffne das Fenster und bilde mir ein, dass die Luft hier schon viel besser ist als im stickigen Berlin. Oh, ich freue mich so!
Dann habe ich mein Ziel erreicht. Seelingsdorf steht an dem gelben Schild, als ich die Ortseinfahrt passiere und ich seufze glücklich auf. Geschafft! Ich muss schmunzeln, als ich Schilder erblicke mit Aufschriften wie „Seelingsdorf – Strand deines Lebens“, „Seelingsdorf – nirgendwo bist du glücklicher“ oder „Seelingsdorf – fast zu schön, um wahr zu sein.“ Ein bisschen übertrieben erscheint mir das schon, aber andererseits ist es wirklich sehr idyllisch hier. Seelingsdorf ist ein kleines, verschlafenes Nest mit nicht mehr als 1.500 Einwohnern, also genau das Gegenteil von Berlin. Es gibt hier nicht mal einen Bäcker, geschweige denn einen Supermarkt. Dazu muss man erst drei Kilometer weit bis Teupitz fahren. Mit dem Auto ist das kein Problem, aber zu Fuß ist man aufgeschmissen. In der Saison gibt es immerhin eine Eisdiele und ein paar Imbissstände.
Was mir wieder einmal angenehm auffällt, sind die schmucken Häuschen mit den liebevoll angelegten Gärten. Alles ist sauber und ordentlich, ganz anders als in Berlin, wo man ständig aufpassen muss, dass man nicht in Hundekot oder sonstwas tritt. Es gibt zwar keine Bäder-Architektur wie in Rügen oder Usedom, aber die wunderschönen reetgedeckten Häuschen sind auch nicht zu verachten. An vielen der Häusern hängt ein Schild mit der Aufschrift „Pension“. Hotels gibt es hier nicht, höchstens in den umliegenden Orten. Seelingsdorf wirkt, als sei hier die Welt noch in Ordnung – und das ist sie offenbar auch, denn der Ort rühmt sich damit, dass die Kriminalitätsrate bei null Prozent liegt.
Die Hauptstraße ist so eng, dass man im Sommer gemächlich hinter den Radfahrern herschleichen muss, denn überholen ist nicht drin. Aber niemand scheint es hier eilig zu haben. Die Touristen sind entspannt, weil sie Urlaub haben und die Einwohner sind generell sehr ausgeglichen. Ich als nervöse Berlinerin bin natürlich ungeduldig, zumal ich jetzt endlich an meinem Ziel ankommen will, aber ich füge mich in mein Schicksal und verfolge eine vierköpfige Familie mit E-Bikes.
Dann bin ich endlich da! Ninas Domizil liegt direkt am Meer und ich denke wieder einmal, dass ich im Paradies gelandet bin. Meine Tante hat einen wunderschönen, liebevoll gepflegten Garten und wenn man auf der Terrasse sitzt, hört man das Rauschen der Wellen und das Kreischen der Möwen.
Ich parke mein Auto an der Straße, hieve meinen Koffer aus dem Auto und bleibe einen Moment stehen, um die Schönheit des Augenblicks zu genießen. Endlich, ich bin hier! Die schönste Zeit des Jahres kann beginnen. Und ich werde sie sowas von genießen, das habe ich mir fest vorgenommen. Nichts und niemand wird mich daran hindern. Ich werde schwimmen, am Strand spazieren gehen, gut essen, mit meiner Familie quatschen und es mit allen Sinnen auskosten, dass ich am Meer bin.
Ninas Pension ist eins dieser urgemütlichen Häuschen mit Reetdach, in die man sich sofort verliebt. Sie hat inzwischen so viele Stammgäste, dass sie schon lange vor Saisonbeginn komplett ausgebucht ist. Von daher wundert es mich, dass sie überhaupt noch ein Zimmer für mich frei hat.
„Nele, da bist du ja!“, höre ich ihre fröhliche Stimme und wirbele herum.
„Tante Nina!“ Ich laufe auf sie zu und falle ihr stürmisch um den Hals.
Nina ist jetzt schon braungebrannt und strahlt mit der Sonne um die Wette. Dass sie sich hier wohl fühlt, ist nicht zu übersehen. Sie hat ihre Haare zu einem lässigen Dutt zusammengesteckt, ist nur minimal geschminkt und leger angezogen. Das genaue Gegenteil zu meiner Mutter, in jeder Hinsicht.
„Immer noch derselbe Wildfang wie als Kind“, lacht Nina. „Du hattest immer Hummeln im Hintern und hast deine Mutter ganz schön auf Trab gehalten. Ich weiß noch, wie du auf einen Baum geklettert bist und dann Angst hattest, dort wieder herunter zu springen. Da musste erst Onkel Burkhard kommen, um dich zu retten.“
Ich erinnere mich und muss lachen. Es kam mir damals wie eine Ewigkeit vor, bis endlich jemand kam und mich von diesem Baum herunterfischte. Ich hatte gedacht, ich würde mein ganzes Leben dort oben verbringen müssen.
„Apropos Onkel Burkhard: Sind die drei hier oder unterwegs?“, erkundige ich mich.
„Wir sind natürlich hier“, höre ich eine vertraute Stimme hinter mir. „Wenn wir uns schon in Berlin nie sehen, dann wenigstens an der Ostsee, wa?“
Ich wirbele herum und sehe meinen Lieblingsonkel vor mir stehen. Er ist maritim in den Farben blau-weiß gekleidet und trägt eine Kapitänsmütze. Dazu grinst er verschmitzt und breitet seine Arme aus.
„Komm her, meene Kleene. Hab dir lange nich gesehen, mein Mädchen.“
Er reißt mich ungestüm in seine Arme. Obwohl ich ihn sehr mag, sehen wir uns fast nur bei Familienfeiern, aber dann ist es immer sehr lustig.
„Gleichfalls“, ertönt Barbaras Stimme. „Man könnte meinen, du willst nichts mit uns zu tun haben.“
„Quatsch.“
Ich löse mich von meinem Onkel und begrüße Barbara, die quietschbunte Klamotten zu ihren feuerroten, langen Haaren trägt. Nun schleppt sich auch noch Dieter herbei, wie immer etwas Essbares in der Hand.
„Sag mal, wie kommt es, dass du ein Zimmer frei hast?“, wende ich mich an Nina. „Normalerweise bist du doch schon ewig im Voraus ausgebucht, oder?“
„Das stimmt“, nickt meine Tante. „Aber ein Ehepaar hat kurzfristig abgesagt, weil der Mann einen Unfall hatte. Das hat zeitlich perfekt gepasst. Ich glaube, es sollte so sein, dass du deinen Urlaub bei mir verbringst. Wie deine Mutter berichtete, hast du eine schwere Zeit hinter dir. Ich hoffe, ich kann dich ein bisschen aufheitern.“
„Was für eine schwere Zeit?“, will Barbara wissen. „Was ist passiert?“
Ich zucke mit den Achseln.
„Ich habe mit einem Kollegen was angefangen, der leider verheiratet ist und zwei Kinder hat. Das hatte er mir am Anfang natürlich heimtückisch verschwiegen. Dann hat er mir ein Jahr lang erzählt, dass er sich von seiner Frau trennt, was er aber nie getan hat. Vor zwei Monaten habe ich die Sache beendet.“
„Sehr richtig!“, lobt Burkhard mich und klopft mir auf die Schulter. „Dazu bist du dir viel zu schade. Dit kommt jar nüscht in Frage. Da suchst du dir mal eenen, für den du … für den du … wat wollte ick noch mal sagen? Wo habe ick denn mein Bier stehenlassen?“
„Wie wäre es mal mit etwas nicht-alkoholischem?“, schlägt Barbara vor. „Aber das kommt wohl nicht in Betracht, oder?“
„Nein“, schmettert Burkhard sie barsch ab. „Das Leben ist viel zu kurz, um es mit nicht-antibolischen …. äh …. Dingsda … na, ihr wisst schon.“
„Sein Sprachzentrum setzt manchmal aus“, erklärt Barbara grinsend. „Er hat sich gestern Abend voll die Kante gegeben aus lauter Freude, dass er heil angekommen ist. Ich glaube, da ist noch viel Alkohol im Blut.“
„Quatsch“, widerspricht Burkhard und stolpert über einen Stein. „In meinen Adern fließt kein Alkohol, sondern Rock’n’Roll. Ich werde demnächst meine Elvis-Imitation geben.“
„Seitdem er auf einem Kreuzfahrt-Schiff einen Wettbewerb als Elvis gewonnen hat, muss er überall als der King auftreten“, schaltet Dieter sich ein und beißt in etwas Undefinierbares.
„Ich bin der King“, lacht Burkhard fröhlich. „Der King der guten Laune. Und die wirst du bald auch wieder haben, mein Kind, denn es gibt noch andere nette Männer.“
„Du scheidest für Nele aber schon mal aus“, weist Barbara ihn in die Schranken. „Nicht, dass du auf abstruse Gedanken kommst.“
Burkhard lacht schallend und zeigt dabei seine perfekten Zähne, die natürlich nicht echt sind. Aber schick aussehen tun sie schon.
„Ich zeige dir jetzt erstmal dein Zimmer“, ergreift Nina das Wort. „Du hast Glück. Die Gäste hatten eine luxuriöse Suite mit Meerblick gebucht.“
Ich reiße meine Augen auf.
„Aber die kannst du doch bestimmt bestens vermieten“, rufe ich erschrocken. „Mir reicht ein kleines Zimmer völlig aus. Und im Übrigen bezahle ich die Unterkunft natürlich. Du brauchst diese Einnahmen doch.“
Nina winkt ab.
„Das geht schon in Ordnung. Das Ehepaar war froh, dass der Unfall so glimpflich abgelaufen ist. Sie haben darauf bestanden, dass ich ihnen das Geld nicht erstatte. Der Mann ist Vorstand einer großen Bank und nagt nicht gerade am Hungertuch. Du musst dir also überhaupt keine Sorgen machen. Und in deiner derzeitigen Situation verdienst du nur das Beste. Diese Suite ist genau das Richtige für dich. Von da aus kannst du morgens den Sonnenaufgang sehen, das ist traumhaft.“
Mist, ich will das wirklich nicht denken, aber wie schön wäre es, wenn Felix jetzt bei mir wäre. Wie schön wäre es, wenn wir den Sonnenaufgang gemeinsam bewundern würden.
„Ich weiß, wie weh das tut und wie schlimm Liebeskummer ist“, sagt Nina weich und legt den Arm um mich. „Es ist furchtbar, aber es wird vorübergehen. Du musst jetzt ganz besonders gut zu dir sein und dich um dich kümmern.“
„Ach, Nina.“ Ich lehne meinen Kopf an ihre Schulter und spüre noch etwas anderes als den Schmerz über Felix‘ Verlust. Den Schmerz darüber, niemals eine so verständnisvolle und liebe Mutter wie Nina gehabt zu haben. Das hätte vieles leichter gemacht.
„Wir sind alle hier und stehen dir bei.“ Burkhard tätschelt liebevoll meine Schulter. „Wenn irgendwas ist, wende dich ruhig an uns. Wir sind immer für dich da. Tag und Nacht. Allzeit bereit. Sozusagen ein 24-Stunden-Service für verwunderte … äh … verwundete Herzen.“
Barbara und Dieter nicken mitfühlend und lächeln mich an. Ich lächele dankbar zurück.
„Ihr seid so lieb“, sage ich und hole tief Luft. „Das tut gut. Die mitfühlenden Worte meiner Mutter waren lediglich, ich wäre selbst schuld, weil ich mich mit einem verheirateten Mann eingelassen habe und das hätte sie mir gleich gesagt.“
Die drei nicken, denn sie kennen meine Mutter schließlich zur Genüge.
„Besonders feinfühlig war meine Schwester noch nie“, erinnert sich Nina. „Als Kind hat sie mir meine Puppen weggenommen und versteckt. Dann hat sie sich diebisch gefreut, wenn ich weinend nach ihnen gesucht habe. Ich sollte das vielleicht nicht sagen, aber Nicola ist eine reichlich merkwürdige Person.“
Barbara zuckt mit den Achseln.
„Wieso solltest du das nicht sagen? Das wissen wir doch alle. In unserer Familie ist einer schräger als der andere. Naja, außer dir vielleicht, Nina. Bei dir habe ich noch keine Macke entdeckt – so sehr ich auch danach suche.“
„Dann hast du wohl nicht gründlich genug geguckt“, lacht Nina.
„Ich habe mehr Macken, als du denkst.“
„Ich hatte auch mal eine Affäre mit einem verheirateten Mann“, teilt Barbara uns mit.
Burkhard sieht sie erstaunt an.
„Du? Wer war det denn jewesen?“
Barbara winkt ab.
„Kennst du nicht. Es war die Hölle. Immer war ich allein –Weihnachten, Geburtstag, Urlaub … Ich kenne die Versprechungen, dass er sich trennen will, aber ihn immer irgendwelche Umstände davon abhalten. Meistens sind es die Kinder, die vorgeschoben werden.“
„Aber für die Kinder ist es tatsächlich schlimm, wenn sich die Eltern trennen“, räume ich widerwillig ein. „Das weiß ich ja am besten.“
„Das muss aber nicht so sein“, widerspricht Nina. „Es liegt viel daran, wie die Eltern damit umgehen. Deine Mutter hat deinen Vater gehasst und kein gutes Haar an ihm gelassen. Du durftest ihn ja überhaupt nicht sehen. Wenn sie sich einigermaßen vernünftig verhalten hätte, wäre es für dich nicht so schlimm gewesen. Ich halte nichts davon, eine Ehe aufrechtzuerhalten, wenn sie längst kaputt ist. Auch nicht wegen der Kinder. Das kann man anders regeln. Für mich sind das nur Ausreden.“
„Findest du das wirklich?“, frage ich verwundert.
„Ja, das ist auf jeden Fall meine Meinung“, bestätigt Nina fest. „Weißt du, du hast nur dieses eine Leben. Es sind vergeudete Jahre, wenn du dieses Leben mit jemandem verbringst, mit dem du eigentlich gar nicht mehr zusammen sein willst. Und das ist auch für die Kinder nicht gut. Die spüren es nämlich, wenn Mama und Papa sich nicht mehr verstehen.“
Inzwischen sind wir in dem großen, reetgedeckten Haus angekommen und ich sehe mich um. Alles ist aus Holz und wirkt warm und behaglich. Es ist ein Ort, an dem man sich sofort wohl fühlt. Nina hat das ganze Haus in hellen, fröhlichen Farben eingerichtet und wenn man erstmal hier ist, möchte man gar nicht wieder weggehen. Aber das muss ich ja auch nicht, denn schließlich bin ich gerade erst angekommen.
„Es ist so schön hier“, sage ich begeistert. „Ich habe den Eindruck, es wird mit jedem Mal schöner, wenn ich wieder hier bin.“
Nina lacht.
„Ich gebe mir alle Mühe“, erwidert sie gutgelaunt. „Es macht mir Spaß, immer wieder etwas zu verändern und alles zu optimieren. Seit neuestem habe ich in den meisten Zimmern Boxspringbetten. Das Schlimmste für mich persönlich wäre, wenn ich einen dreiwöchigen Urlaub gebucht hätte und nach der ersten Nacht feststellen würde, dass ich in dem Bett überhaupt nicht schlafen kann. Fürs nächste Jahr plane ich bei zwei Zimmern einen Outdoor-Whirlpool. Das wird bestimmt der Renner. Stell dir vor, du sitzt auf deiner Veranda im Whirlpool und guckst dabei aufs Meer. Das ist doch genial, oder? Ich freue mich schon riesig darauf.“
Nina strahlt übers ganze Gesicht und ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange. Sie ist einfach toll. Ich sollte viel öfter hierher kommen.
„Ich hatte mal in einem Hotel eine Dusche, in der die Farben beim Duschen ständig wechselten“, lässt Burkhard uns an seinen Highlights teilhaben. „Det war lustig jewesen. Ein anderes Mal hatte ich einen beheizten Toilettendeckel, det war ooch super.“
„Na, du hast ja schon was erlebt“, grinst Barbara.
„Jetzt werde ich erstmal erleben, dass Nina mir noch eine Flasche Wein aufmacht“, hofft Burkhard sehnsüchtig.
„Und mir was zu essen gibt“, schließt sich Dieter an. „Ich komme um vor Hunger.“
„Gibt es eigentlich auch Tageszeiten, an denen du nicht isst?“, erkundigt Barbara sich süffisant.
„Im Urlaub mache ich ganz bestimmt keine Diät“, fährt Dieter sie an. „Ihr habt mir schon auf den Kreuzfahrten das Essen nicht gegönnt.“
„Wir gönnen dir alles, lieber Didi, aber die obersten beiden Knöpfe deiner Hose platzen gleich ab“, warnt Barbara ihn.
„Pass bloß auf, dass sie niemanden ins Auge springen.“
„Deine Suite ist die Nr. 3 im ersten Stock.“ Nina drückt mir eine Chipkarte in die Hand. „Stell deinen Koffer ab, mach dich ein bisschen frisch und ich decke inzwischen den Tisch.“
„Gute Idee“, lobt Dieter sie mit leuchtenden Augen. „Endlich gibt es was zu essen.“
Ich schnappe mir meinen Koffer, stapfe in den ersten Stock und stecke die Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz.
Atemlos bleibe ich stehen. Wow, das ist fantastisch! Schon von der Eingangstür aus kann ich das Meer sehen. Ich stelle meinen Koffer ab und gehe ein paar Schritte in das Apartment hinein. Hier hat sich Nina wirklich selbst übertroffen. Die riesige Couch-Landschaft steht auf einem Podest, sodass man auch im Sitzen den fantastischen Meerblick genießen kann. Dasselbe gilt für die hohen Barhocker und einer erhöhten Sitzbank im American Diner Stil. An der Wand hängt ein riesiges Poster von Hollywood, das perfekt zu den Möbeln passt. Das ganze Apartment ist sehr stylisch und modern eingerichtet. Es gibt sogar eine lebensgroße Marilyn Monroe Figur. Ich bin total begeistert. Ein cooleres Apartment hätte meine Tante mir gar nicht geben können.
Das Bett im Schlafzimmer ist riesig und ebenfalls so hoch gebaut, dass man auch von dort aus das Meer sehen kann. Seufzend lasse ich mich darauf fallen. Wie schön wäre es, hier mit Felix zu liegen. Naja, wir würden sicherlich nicht nur herumliegen. Das ganze Jahr über war es mir nicht ein einziges Mal vergönnt, gemeinsam mit ihm einzuschlafen. Dabei war es das, was ich mir sehnlichst gewünscht habe: in seinen Armen einzuschlafen und darin wieder aufzuwachen. Es waren immer nur diese paar gestohlenen Stunden, die wir miteinander hatten.
Mir sitzt plötzlich ein fetter Kloß im Hals. Es ist so schön hier, aber mit ihm wäre es noch viel schöner. Natürlich nur, wenn er mein fester Freund wäre und nicht mein heimlicher Geliebter.
Mist, ich muss diese Gedanken an ihn endlich abstellen, denn sie tun mir nicht gut. Aber das ist gar nicht so einfach. Noch gelingt es mir nicht, ihn aus meinem Herzen zu reißen. Aber ich hoffe, dass die Zeit für mich arbeiten wird.
Ich mache mich frisch und lande dann wieder auf der Veranda. Nina und die anderen haben schon den Tisch gedeckt und alles an kulinarischen Köstlichkeiten angeschleppt, was man sich nur denken kann: diverse Sorten Käse, Lachs, Wurst, Obst, Brötchen, Brot, Kuchen, Feta, getrocknete Tomaten, gefüllte Peperoni, Oliven und und und ….
„Hast du das Frühstücks-Buffet geplündert?“, lache ich. „So viel wäre doch gar nicht nötig gewesen.“
„Natürlich ist das nötig“, erwidert Dieter gierig. „Das Mittagessen ist schließlich lange her.“
„Es gab danach Kaffee und Kuchen“, erinnert Barbara ihn.
„Das ist kein richtiges Essen“, informiert Dieter sie. „Das ist ein Snack für zwischendurch, damit man nicht tot umfällt bis zum nächsten Essen.“
„Du fällst eher tot um, wenn du so weiterfrisst“, gibt Barbara es ihm und erntet dafür einen bitterbösen Blick von Dieter.
„Wie gefällt dir die Suite, Nele?“, lenkt Nina geschickt ab. „Stylisch, oder?“
„Sie ist einfach der Hammer“, freue ich mich. „Damit hast du tausendprozentig meinen Geschmack getroffen. Die hattest du beim letzten Mal aber noch nicht so flippig eingerichtet, oder?“
Nina schüttelt den Kopf.
„Nein, damals noch nicht, aber ich finde solche Themen-Zimmer klasse. Obwohl es sehr speziell ist und einen nicht so großen Kundenkreis anspricht. Da muss man vorsichtig sein. Die meisten Gäste wollen in den Zimmern das typische Ostsee-Flair mit Leuchtturm-Figur und Dünenbildern haben. Aber ich muss sagen, die Suite ist immer als erstes ausgebucht.“
„Ich liebe sie“, verkünde ich. „Und der Ausblick ist eine Wucht. Aber das ist er hier ja überall.“
Ich lasse meinen Blick durch den Garten schweifen und blicke in ein wahres Blütenmeer. Es gibt Rosenbögen mit prächtigen Rosen in allen Farben, Sonnenblumen, riesige Gladiolen, Lilien, Hortensien, Ziersträucher, Stauden, Ritterporn, Pampasgras, Apfel- und Pflaumenbäume und sogar Palmen. Nina hat große und kleinere römische Figuren und einen Brunnen aufgestellt. Sie hat nicht mal einen Zaun errichtet. An den Garten schließt sich eine große Wiese an und dann kommt der Strand.
„Du hast hier wirklich ein Paradies erschaffen“, sage ich überschwänglich. „Der Garten der Träume. Es ist unbeschreiblich schön hier, Nina.“
„Vielen Dank.“ Nina strahlt. „Ich liebe meinen Garten auch sehr. Und ich liebe es, an ihm zu arbeiten. Nichts macht mir mehr Freude als das. Das ist ja das Schöne an meiner Pension: Ich arbeite im Grunde gar nicht mehr, weil ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe.“
Wir reden und essen und lachen. Das heißt, wir Frauen reden eine Menge, während Dieter sehr viel isst und Burkhard sehr viel trinkt. Dieter benimmt sich so, als hätte er seit Wochen nichts Anständiges mehr zu essen bekommen und Burkhard trinkt die Flasche Wein ganz allein aus.
Aber das ist egal. Es ist herrlich, hier zu sein und ich freue mich, dass meine Verwandtschaft auch hier ist. Sie ist herrlich schräg und ich möchte keine andere haben.
Wir werden sicher noch eine ganz wunderbare Zeit miteinander haben.
Die gute Stimmung wird jäh unterbrochen, als mein Handy klingelt.
„Meine Mutter“, seufze ich nach einem Blick auf das Display. „Ich sollte lieber nicht rangehen, wenn ich mir nicht die Laune verderben lassen will.“
„Gute Idee“, findet Nina und schiebt sich genüsslich eine Olive in den Mund. „Mache ich auch immer so.“