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SOMMERGRAS ist die alle drei Monate erscheinende Zeitschrift der Deutschen Haiku Gesellschaft (DHG). Die SOMMERGRAS-Ausgabe 137 (Juni 2022) enthält Beiträge zu allen üblichen Rubriken des Heftes. In der Rubrik KreAktiv wird dazu aufgerufen, ein Haiku zum Thema WALD zu dichten. Wie gewohnt finden sich im neuen Heft die Haiku- und Tanka-Auswahl, Haibun, Tan-Renga und Kettendichtungen.
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Seitenzahl: 80
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Die Deutsche Haiku-Gesellschaft e. V.1 unterstützt die Förderung und Verbreitung deutschsprachiger Lyrik in traditionellen japanischen Gattungen (Haiku, Tanka, Haibun, Haiga und Kettendichtungen) sowie die Vermittlung japanischer Kultur. Sie organisiert den Kontakt der deutschsprachigen Haiku-Dichter untereinander und pflegt Beziehungen zu entsprechenden Gesellschaften in anderen Ländern. Der Vorstand unterstützt mehrere Arbeits- und Freundeskreise in Deutschland sowie Österreich, die wiederum Mitglieder verschiedener Regionen betreuen und weiterbilden.
1Mitglied der Federation of International Poetry Associations (assoziiertes Mitglied der UNESCO), der Haiku International Association, Tokio, Ehrenmitglied der Haiku Society of America, New York.
Anschrift
Deutsche Haiku-Gesellschaft e. V., z. Hd. Stefan Wolfschütz, Postfach 202548, 20218 Hamburg
Vorstand
Info/DHG-Kontakt und Redaktion
Horst-Oliver Buchholz,
Redaktion
Eleonore Nickolay,
Kassenwartin
Petra Klingl,
Website
Stefan Wolfschütz,
Claudia Brefeld,
Internationale Kontakte
Klaus-Dieter Wirth,
Peter Rudolf,
Tony Böhle,
Bankverbindung:
Landessparkasse zu Oldenburg, BLZ 280 501 00, Kto.-Nr. 070 450 085 (BIC: SLZODE22XXX, IBAN: DE97 2805 0100 0070 4500 85)
Nie wieder Krieg!
Von Täuschung zu Täuschung
Auf dieser Erde vorankommen1
Tōta Kaneko (1919–2018)
Ihre SOMMERGRAS-Redaktion
1 Aus: Tōta Kaneko: Cet été-là, j’étais soldat, Verlag Pippa, Paris 2018. Übersetzung ins Deutsche von Eleonore Nickolay.
Editorial
KreAktiv
Aufruf
Haiku-Kaleidoskop
Klaus-Dieter Wirth: Das Haiku als Vierzeiler
Foto-Tanka: Paul Bernhard und Claudia Brefeld
Eleonore Nickolay: Französische Ecke
Conrad Miesen: Porträt und Würdigung von Isolde Schäfer
HaiQ
Haiga: Gabriele Hartmann
Kompak
t
Claudia Brefeld: Yūgen
Auswahlen
Haiku-Auswahl
Tanka-Auswahl
Sonderbeitrag von Ramona Linke
Mitgliederseite
Foto-Tanka: Paul Bernhard und Claudia Brefeld
Haibun
Haiga: Gabriele Hartmann
Tan-Renga
Kettengedichte
Rezensionen/Besprechungen
Brigitte ten Brink: ALLES! Foto-Tanbun-Sequenz von Rita Rosen und Gabriele Hartmann
Brigitte ten Brink: Serpentinen. Haiku 2021 von Gabriele Hartmann
Brigitte ten Brink: Perseidenschauer und Umleitung von Tony Böhle und Gabriele Hartmann
Gabriele Hartmann: Die Affen im Zoo von Ralf Günther Mohnau
Reinhard Dellbrügge: Klangschalenton von Martin Berner
Horst-Oliver Buchholz: Werkstattgespräch mit Klaus-Dieter Wirth
Mitteilungen
Nicht eben einfach, wozu wir im vergangenen SOMMERGRAS angeregt hatten. Galt es doch, das Haiku eines Meisters mit einem Unterstollen zu einem Tan-Renga zu erweitern: Issa war es, von dem wir ein Haiku zum Frühling zitierten:
Ohne viel Getu´
ist der Frühling einfach da –
Helles Himmelsgelb!
Ohne viel Getue erreichten uns 32 Einsendungen, teils heitere, teils nachdenkliche, auch stimmungsvolle. Wir lasen und staunten, gewichteten und verwarfen – wie immer war die Auswahl nicht leicht. Schließlich war es ein Unterstollen von Gabriele Hartmann, still, anmutig, in großer Klarheit, die in einfacher Sprache Wirkung erzeugt, der die meisten Punkte bekam. Wir gratulieren! Und so heißt er:
Ohne viel Getu´
ist der Frühling einfach da –
Helles Himmelsgelb!
unter der Forsythie
unser erster Kuss
Und hier eine Auswahl von Texten, die die Juroren mehrheitlich überzeugt haben. Alle weiteren Texte, die uns erreicht haben, werden ebenfalls veröffentlicht. Wie immer auf „Hallo Haiku“, dem Online-Portal der Deutschen Haiku-Gesellschaft: www.haiku.de/sommergras-137
Ohne viel Getu´
Ohne viel Getu´
ist der Frühling einfach da -
ist der Frühling einfach da -
Helles Himmelsgelb!
Helles Himmelsgelb!
sie versucht es
In der Sonne kämmt sich
ohne Krücken
eine Hummel ihren Pelz
Martin Berner
Deborah Karl-Brandt
Ohne viel Getu´
Ohne viel Getu´
ist der Frühling einfach da -
ist der Frühling einfach da -
Helles Himmelsgelb!
Helles Himmelsgelb!
Sonnabend im Park
Wieder naht der Frühjahrsputz.
so viele Düfte zertreten
Nun denn, nun denn!
Ruth Karoline Mieger
Johann Reichsthaler
Ohne viel Getu´
Ohne viel Getu´
ist der Frühling einfach da -
ist der Frühling einfach da -
Helles Himmelsgelb!
Helles Himmelsgelb!
Der Amsel Abendgesang
In die gewählte Stille
fliegt über den Schneegarten.
eines Mönches Bittgebet.
Ina Schwarzer
Helga Stania
Ohne viel Getu´
ist der Frühling einfach da -
Helles Himmelsgelb!
Nur mein Nachbar
trägt weiter den Winterpelz
Udo Zielke
Auruf
Ein Haiku zum Thema „Wald“
Hinaus in die Natur! Dorthin, wo es seit jeher reich ist an Inspirationen für Poetinnen und Poeten: hinaus in den Wald. Wir laden Sie ein, dazu ein Haiku zu dichten. Als kleine Anregung möge das Bild dienen. Ausdrücklich erlaubt und erwünscht sind natürlich auch Haiku, die sich vom Bild lösen und eigene Impressionen, Erlebtes oder Geschautes zum Thema „Wald“ aufs Papier bringen.
Einsendungen an
redaktion@deutschehaikugesellschaft
Stichwort: Haiku KreAktiv
Einsendeschluss: 15. Juli 2022
Klaus-Dieter Wirth
Das Haiku als Vierzeiler
Ausnahmen bestätigen die Regel! Warum sollte das also nicht auch für das Haiku gelten? Allerdings trifft diese Grunderkenntnis hier umso pointierter zu, da bei näherem Hinsehen in diesen Fällen Abweichungen überwiegend eher konstruiert als berechtigt erscheinen. Bisweilen drängt sich sogar der Eindruck auf, dass das besondere Verhalten in erster Linie dazu dienen soll, mehr Aufmerksamkeit auf die Autorschaft zu lenken.
Ein beredtes Zeugnis legt davon der britische Haiku- und Haibun-Autor Stephen Henry Gill ab, der – vielleicht schon bezeichnenderweise – seit über 30 Jahren unter dem Pseudonym Tito firmiert, seine Haiku quasi von Anfang an in vier Zeilen schrieb, sie ferner stets mit dem Entstehungsort und -datum versah und sie seit 1990, dem Gründungsjahr der British Haiku Society (BHS), als Haiqua, seine eigene Wortschöpfung, bezeichnete. Die Vierzeiligkeit geht bei ihm – wie er selbst erklärte2– auf seine erste Begegnung mit dem Haiku 1972 in einer Klosterbibliothek am Fuß des Fuji zurück, wo er eine ältere Penguin Classic Paperback-Ausgabe von Bashōs berühmtem Reisetagebuch „Auf schmalen Pfaden ins Hinterland“ aus dem Jahr 1966 in einer englischen Übersetzung von Nobuyuki Yuasa fand. Das Beispiel lautete:
Even the woodpeckers
Sogar die Spechte
Have left it untouched,
Haben sie unberührt zurückgelassen,
This tiny cottage
Diese ganz kleine Hütte
In a summer grove.
In einem Sommerhain.
Dass nun aber eine solche Version keineswegs geeignet war, als grundlegende Form für das Genre verstanden zu werden, belegen gleich drei auf der Hand liegende Beweise, die auch einem vielleicht zu sehr auf Selbstdarstellung achtenden Weltenbummler bei seiner ununterbrochenen weiteren Beschäftigung mit dem Haiku unweigerlich hätten auffallen müssen:
Da wäre zunächst das japanische Original in Betracht zu ziehen gewesen:
kitsutsuki mo / io wa yabura zu / natsu kodachi
das sich eindeutig im klassisch-traditionellen 5-7-5-„Silben“-Schema darstellt. Auch die Interlinearübersetzung
Spechte sogar / Hütte betreffs Beschädigung nicht / Sommerhain
weist auf keinerlei Erweiterung, eher auf eine Verkürzung hin. Entsprechend fällt die folgende – wortlautorientiertere – englische Übersetzung aus:
even woodpeckers
sogar Spechte
do not damage this hut
beschädigen diese Hütte nicht
a summer grove
3
ein Sommerhain
Und schließlich käme auch die obige vierzeilige Version nach Streichung allen überflüssigen Ballasts sogar ganz normal im 5-7-5-„Silben“-Schema und dazu viel griffiger, haikuhafter daher.
even woodpeckers
sogar Spechte
left it untouched this cottage
ließen sie unberührt diese Hütte
in a summer grove
in einem Sommerhain
Sechs Monate später schrieb Tito dann schon auf seiner Tour durch den Mittleren Osten und den Himalaya in Nepal den folgenden eigenen, haikunahen Text:
Seemingly engulfed
Scheinbar verschlungen
By the weedy bay,
Von der verkrauteten Bucht.
Three boys in a boat
Drei Jungen singend
Are singing.
In einem Boot.
(Gairako Chautara, Phewa Lake, 16.7.72)
Viel zu überladen! Und auch hier hätte die nötige Straffung zu einem überzeugenderen Ergebnis geführt:
seemingly engulfed
scheinbar verschlungen
by the bay singing boys
von der Bucht singende Jungen
in a boat
in einem Boot
Selbst über die folgenden Jahre hinweg ist in Titos Haiquas außerdem keinerlei Strukturgerüst zu erkennen: Eine bis selten mehr als sieben Silben wechseln einander beliebig ab:
Today –
Heute –
tongues of deer
Zungen von Hirschen
curl around
umschlingen abgefallene
fallen magnolia petals
Magnolienblütenblätter
(Nara, 26.3.20)
Eine derartige Willkür verträgt das Haiku jedoch nicht! Seine Orientierungsschablone ist und bleibt nun einmal die Dreiteilung im Rhythmus von 5-7-5 Silben bei einem in der Regel zweiteiligen Inhalt. Im obigen Beispiel wäre im Übrigen leicht auch eine Annäherung in diesem Sinne zu erreichen gewesen, wenn der Autor einfach auf den ersten Vers verzichtet hätte. Überdies ist der Augenblicksbezug ohnehin bereits immanent vorhanden. Ihn ausgerechnet mit „today“ expressis verbis besonders hervorzukehren, ist in diesem Fall nicht nur überflüssig, sondern – ganz genau betrachtet – eher noch verwässernd.
Welche Argumente für ein vierzeiliges Haiku führt nun sein „Pionier“ selbst an? Hier sind sie:
„Ich liebe die Möglichkeit, ein Wort oder einen Wortverband durch eine zusätzliche Zeile hervorzuheben, die Art und Weise wie alles der japanischen Schreibgepflogenheit entsprechend so weiter nach unten abrollt … Ich lasse die Augenblicke einfach auf mich zukommen, eine Ansicht weit entfernt von jeder Silbenzählerei … Alle meine Haiku entstehen aus dem Zusammenfließen von Ort, Zeit und Dichter. Sie sind nicht nur mein Werk: Der Ort und der Tag sind gleichermaßen ihre ursächlichen Bestandteile.“4
Neutral betrachtet, wohl keinerlei triftige Aussagen: die erste sogar höchst kontraproduktiv, da gerade das Haiku grundsätzlich von der Kürze, eher noch von einer Verknappung lebt; die zweite geradezu läppisch, von nicht nachvollziehbarer Bedeutung; die dritte, explizit zu einer Grundkomponente erhoben, ähnlich zu vernachlässigen, was allein schon die jahrhundertealte japanische Praxis belegt, wo diese Auffassung absolut keine Rolle spielt.
An anderer Stelle, in einer unbekannt gebliebenen französischen Quelle, sagt Tito zur Verteidigung des Vierzeilers noch weiter, dass er „mehr Raum biete, um Bilder unterzubringen, dass er einen verlangsamten Informationsfluss schaffe, mehr Möglichkeiten, um „Trennwörter“ einzusetzen und das Haiku schließlich näher an andere poetische Formen heranrücke.“ Wer sich aber mit dem besonderen Charakter gerade des Haiku einigermaßen auskennt, weiß, dass alle diese Punkte ihm nur abträglich sein können!