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SOMMERGRAS ist die alle drei Monate erscheinende Zeitschrift der Deutschen Haiku Gesellschaft (DHG). Die SOMMERGRAS-Ausgabe 141 (Juni 2023) enthält wieder ausgewählte Haiku, Tanka, Haibun, Kettengedichte und Haiga unserer Mitglieder. In der Rubrik KreAktiv wird aufgerufen, ein Haiku mit einem Sommer-Kigo zu schreiben. In zwei Beiträgen wird zum ersten Mal das Thema "künstliche Intelligenz" behandelt. Dir Redaktion bittet um viele Zuschriften der Mitglieder zu allen Rubriken.
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Seitenzahl: 105
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Die Deutsche Haiku-Gesellschaft e. V.1 unterstützt die Förderung und Verbreitung deutschsprachiger Lyrik in traditionellen japanischen Gattungen (Haiku, Tanka, Haibun, Haiga und Kettendichtungen) sowie die Vermittlung japanischer Kultur. Sie organisiert den Kontakt der deutschsprachigen Haiku-Dichter untereinander und pflegt Beziehungen zu entsprechenden Gesellschaften in anderen Ländern. Der Vorstand unterstützt mehrere Arbeits- und Freundeskreise in Deutschland sowie Österreich, die wiederum Mitglieder verschiedener Regionen betreuen und weiterbilden.
Anschrift
Deutsche Haiku-Gesellschaft e. V., z. Hd. Stefan Wolfschütz, Jungmannstr. 11, 24768 Rendsburg
Vorstand
Info/DHG-Kontakt und Redaktion
Horst-Oliver Buchholz,
Redaktion
Eleonore Nickolay,
Kassenwartin
Petra Klingl,
Website
Stefan Wolfschütz,
Claudia Brefeld,
Internationale Kontakte
Klaus-Dieter Wirth,
Tony Böhle,
Peter Rudolf,
Frank Sauer,
Bankverbindung:
Landessparkasse zu Oldenburg, BLZ 280 501 00, Kto.-Nr. 070 450 085 (BIC: SLZODE22XXX, IBAN: DE97 2805 0100 0070 4500 85)
1Mitglied der Federation of International Poetry Associations (assoziiertes Mitglied der UNE-SCO), der Haiku International Association, Tokio, Ehrenmitglied der Haiku Society of America, New York.
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
auch in dunkel gewandeten Büchern kann bisweilen Erhellendes funkeln, und so fand ich zwischen den beinahe ganz schwarzen Buchdeckeln des „Haiku-Jahrbuchs 2022“ einen Satz, der mich innehalten ließ und der als Überschrift dienen könnte für unsere Zeit, er lautet: „Die Welt des Menschen, unsere Welt, kommt aus den Krisen nicht mehr heraus, die Veilchen aber blühen trotzdem.“ Schön, nicht wahr? Wir verdanken diese besondere Sentenz dem Herausgeber des Jahrbuchs, Volker Friebel, dem wir dafür danken wollen, danken für den Trost und die Weisheit und Klarheit seiner Worte. Denn so ist es: Während um uns herum die Welt, oder doch weite Teile von ihr, aus den Fugen geraten und zentrifugale Kräfte auseinander zwingen, was zusammenfinden sollte, gibt es sie doch, die Inseln von Ruhe und Einkehr, von Klarheit und Reinheit, auch Anmut.
Die Dichtung, insbesondere auch die Haiku-Dichtung, kann in diesen Kontext gestellt werden. Sie kann die Flüchtigkeit eines Augenblicks verbinden mit dem Blick darüber hinaus in eine größere Welt und so Wahres, auch Weises, vermitteln, ohne es selbst auszusprechen. Auch das macht diese Kunst besonders.
In diesem Heft finden Sie viele kleine Werke solcher Art, sprachliche Kleinodien, die wir für Sie eingesammelt haben. Einer Blumenlese gleich, die erfreuen und anregen möge auch in dunkleren Stunden …
in meinem Garten
alles in Blüte
im Licht, im Schatten
Kommen Sie gut durch den Sommer, achten Sie auf Blühendes und Schönes, das sich jeden Tag finden lässt. Wir, die Redaktion, hoffen, auch in diesem Heft.
Herzlich,
Ihr Horst-Oliver Buchholz
Editorial
KreAktiv
Haiku-Kaleidoskop
Klaus-Diether Wirth: Haiku – das besondere Kurzgedicht
Foto-Tanka: Claudia Brefeld und Paul Bernhard
Eleonore Nickolay: Französische Ecke
Volker Friebel: Kreativität und Künstliche Intelligenz
Conrad Miesen: Porträt und Würdigung von Joachim Grünhagen
Moritz Wulf Lange: Haiku schreiben mit Kindern
Hartmut Fillhardt: Mundart-Lyrik: Wie Übersetzen Freude trüben kann
Kompakt
Claudia Brefeld: Karumi
Auswahlen
Haiku-Auswahl
Tanka-Auswahl
Sonderbeitrag von Brigitte ten Brink
Mitgliederseite
Haiga: Angelika Holweger
Haibun
Tan-Renga
Kettengedichte
Bücher
Thomas Opfermann: Haiku – Epigramm – Kurzgedicht. Kleine Formen in der Lyrik Mittel- und Osteuropas, herausgegeben von Christine Gölz et al.
Rüdiger Jung: Angle Heiterkeit. Haiku von Roswitha Surber
Claudia Brefeld: Keine besonderen Vorkommnisse. Haiku von Gerd Haag, Heiner Legewie, Alf Trojan
Moritz Wulf Lange: Der Einfluss des Haiku auf Imagismus und jüngere Moderne von Sabine Sommerkamp
Brigitte ten Brink: KONTAKTAUFNAHME von Norbert Flem-ming: Haibun 2023
Georges Hartmann: komm lass uns küssen von R. G. Mohnnau
Reinhard Dellbrügge: Unplugged von Jacob D. Salzer
Haiga: Sonja Raab
Berichte
Frank Sauer: Tanka Wettbewerb der DHG 2023
Brigitte ten Brink: Ein Haiku-Spaziergang über den Hoppenlaufried-hof in Stuttgart
Peter Rudolf: Bericht zu einer Haiku-Schreibwerkstatt in Speicher-schwendi/Schweiz
Haiga: Gabriele Hartmann
Beate Wirth-Ortmann: 10. Haiku-Workshop Wiesbaden-Bierstadt
Mitteilungen
Im vorausgegangenen Heft hatten wir Ihnen ein Foto von der Küste, der Nordsee, angeboten und um ein Haiku dazu gebeten, sodass wir ein Haiga daraus fertigen können. 28 Einsendungen haben uns erreicht, vielen Dank! Und wieder haben wir gelesen, gewertet und gewichtet, leicht war es nicht. Am Ende bekam ein Haiku von Angelica Seithe die höchste Punktzahl, 13 von 16 möglichen. Wir gratulieren! Und dieses Haiga ist daraus entstanden.
Haiku: Angelica Seithe, Foto: Horst-Oliver Buchholz
Und hier weitere Haiku, die die Juroren als gut gelungen gelesen haben. Alle übrigen Einsendungen finden Sie wie immer im Internet auf der Website der DHG unter www.haiku.de/sommergras-141
Sonntagspicknick
schenke meinen Standpunkt
dem Horizont
Bernadette Duncan
Windstille -
wir hören
unsere Herzen
Silvia Kempen
Frontmeldungen
sie wartet
auf eine Nachricht
Ingrid Meinerts
Zwischen den Buhnen
der Geruch von Seetang
Warten auf die Flut
Udo Zielke
Aufbruch.
Ich folge ihr
über den Horizont
Boris Semrow
Der Sommer ist da! Wir laden Sie deshalb herzlich ein: Dichten Sie ein Haiku, das ein Jahreszeitenwort (kigo) zum Sommer enthält. Lassen Sie uns teilhaben an Ihren Gedanken, Gefühltem und Geschautem und schicken Sie uns Ihr Sommer-Haiku an
[email protected] Stichwort: Haiku KreAktiv Einsendeschluss: 15. Juli 2023
Klaus-Diether Wirth
Natürlich ist das Haiku zunächst dem Oberbegriff „Kurzgedicht“ zuzuordnen. Und doch nimmt es nicht nur bezüglich der Form, sondern auch bezüglich des Inhalts eine Sonderstellung ein. So hat es fast nichts zu tun mit den Kriterien, die die verschiedenen Gedichtarten in der westlichen Literaturtradition hervorgebracht und charakterisiert haben, etwa mit der Richtlinie „Prodesse et delectare“ (Nützlich sein und Freude bereiten), die schon der römische Autor Horaz aufstellte und die dann fortgeführt wurde mit der Forderung nach einem Dichtertypus, den man gemeinhin als „po-eta doctus“ bezeichnete, wie er sich etwa in den sogenannten „Gelehrtendichtern“ des Humanismus und Barock wiederfand. Entsprechend vertrat noch der englische Frühaufklärer Francis Bacon (1561–1626) in seiner Schrift „De dignitate et augmentis scientiarum“ (Über die Würde und den Fortgang der Wissenschaften) die Maxime: „Poesis est genus doctrinae“ (Dichtung ist eine Art von Belehrung). Die französische Klassik (1660–1715) differenzierte diese Grundauffassung mit ihrer Doktrin der „Clarté de la langue, vraisemblance et bienséance“ (Klarheit der Sprache, Glaubhaftigkeit und Wohlanständigkeit). Das folgende Zeitalter der Aufklärung modifizierte die Orientierung am „Verstand, guten Geschmack, Schöngeist“ (Raison, bon goût et bel esprit), während die Epoche der Romantik sich kontrapunktisch am Gefühl, an der Begeisterung und Inspiration ausrichtete.
Das Haiku dagegen will weder belehren noch zerstreuen, nicht bewegen oder verherrlichen, nicht anprangern oder beklagen, nicht verändern, geschweige denn Dinge richtigstellen. Es akzeptiert und präsentiert die Realität einfach so, wie sie ist, und zwar nur durch die Vermittlung all ihrer wunderbaren Erscheinungsformen.
Seien es anonyme, prägnante Kurzaussagen des kulturellen Gedächtnisses, wie Sprichwörter, Sinnsprüche oder Bauernregeln, die kollektive Erfahrungen zusammenfassen oder seien es geistreiche Gedankensplitter nachweisbarer Autoren in ihren Varianten, die einen weisen Rat ausdrücken und von einem mehr oder weniger philosophischen, schelmischen, manchmal auch exzentrischen Geist durchdrungen sind; sie alle werten in gewisser Weise Erkenntnisse und Lebensweisheiten ganz aus der Sicht des Menschen aus. So sind im Laufe der Jahrhunderte immer wieder besondere Äußerungsformen dieser Art in Erscheinungen getreten, wie die „Selbstbetrachtungen“2 des Mark Aurel (121–180), die „Adagia“3 des Erasmus von Rotterdam (1466–1536), die „Pensées“4 („Gedanken“) von Blaise Pascal (1623–1662), die Maximen5 der französischen Moralisten, die „Greguerías“6 (Kurzgedanken“) des Spaniers Ramón Gomez de la Serna (1888–1963) oder die aperçuhaft eleganten „Propos“7 („Worte“) des Franzosen Alain8. Das Haiku als solches steht jedoch immer für sich selbst!
Zum Glück ist es nicht schwer, diese sich hier anbietenden, literarischen Kurzformen eindeutig der Prosa zuzuordnen, was sogar außerdem für weitere „Einfache Formen“9 gilt. Eine Ausnahme bildet allenfalls der Aphorismus10, der, obwohl er laut Duden zunächst als „ein prägnant-geistreicher, in sich geschlossener Sinnspruch in Prosa“ definiert wird, durchaus Wesenszüge zeigen kann, die selbst Vorstellungen des Haiku in seiner klassisch-japanischen Zeit genügen.
Zwar zeigt das Emblem11, verstanden als traditionelle Literaturform in seiner eindeutig lyrischen Ausprägung mit seiner Dreigliedrigkeit und Bedeutungskoinzidenz im 17. Jahrhundert, eine gewisse Vergleichbarkeit mit dem Haiku, hat aber letztlich nur wenig mit ihm zu tun, obwohl sich in seiner konsequent eingehaltenen Kürze wie der besagten dreiteiligen Struktur Parallelen ablesen lassen: So findet etwa das vorangestellte Motto12, eine Formulierung, die als ethische Forderung, Lebensregel oder Wahlspruch bereits den gedanklichen Kern des Emblems enthält, beim Haiku oft seine Entsprechung in der situativen Angabe seiner ersten Zeile. Dann folgt allerdings ein mehr oder weniger symbolisches Bild13, sogar ganz konkret als Holz- oder Kupferstich ausgearbeitet, das eine Szene aus dem allgemeinen Sprichwortschatz, aus der Natur, vornehmlich dem Phy-siologus14, Episoden aus der Mythologie, der Bibel oder auch der Geschichte in vereinfachten Reproduktionen wiedergibt und schließlich als Entschlüsselung dieser wechselseitigen Beziehung zwischen Text und Bild, die integrierte Aufklärung15, der Entwurf einer Lebensweisheit oder einer religiösen, moralischen, sozialen oder sogar erotischen Richtlinie. Der Mittelteil ist beim Haiku nicht nur schon rein äußerlich völlig anders gestaltet, nämlich allein textlich, sondern bemüht sich auch inhaltlich nicht um irgendwelche Kodierungen rein historisch kultureller Art. Hier kommt es im Gegenteil primär auf vor allem mit den Sinnen wahrgenommene Augen-blickserlebnisse an. Die Folgerung am Schluss mit ihrem häufigen Überraschungseffekt lässt wiederum wie der Einstieg eine gewisse intenti-onale Übereinstimmung erkennen.
Aus allgemeinerer Sicht betrachtet ist der Emblematiker davon überzeugt, dass die Welt grundsätzlich mit Verweisen und Geheimnissen gefüllt ist, die alle wiederum von einem tieferen Sinn und einer höheren Ordnung zeugen. Gleichzeitig empfindet er eine kindliche Freude, wenn er sich über die scheinbar kryptische Natur der uns umgebenden Realität wundert. Der Haiku-Dichter ist dagegen nie ausdrücklich auf der Suche, weder überall noch um jeden Preis, nach irgendwelchen Zusammenhängen und daraus resultierenden Schlussfolgerungen. Er nimmt einfach wahr, staunt und akzeptiert. Demgegenüber ist das literarische Emblem offensichtlich eine sophistische, spektakuläre Konstruktion. Das Haiku seinerseits kommt eher unbemerkt mit einem leichtfüßigen, doch aufmerksamen Schritt daher, der nichts als eine Spur, den Eindrucks eines intuitiv und intensiv erlebten Moments hinterlässt. Zugleich aber ist mit dem Auftreten des Epigramms16 als Abschluss des Emblems ein Übergang gegeben, der bei der relativ späten Entdeckung des Haiku für die westliche Welt, nämlich um den Beginn des 20. Jahrhunderts, für einige Verwirrung gesorgt hat. Das Epigramm als solches, also als eigenständige, literarische Form betrachtet, charakterisiert sich allgemein als ein kurzes, zugespitztes Sinngedicht. Seine Historie reicht jedoch weit zurück und zeigt deutliche Metamorphosen. Sein Ursprung liegt bei den Griechen, wo es, verfasst in Verspaaren, als Inschrift, überwiegend als Würdigung auf Grabmalen, Verwendung fand. In römischer Zeit wandelte es sich, insbesondere unter dem Einfluss des Dichters Martial (40–ca. 103), zu einem Spottgedicht, wobei es auch nicht länger in Distichen ausgeformt sein musste. Typisch für den Aufbau ist sodann seine antithetische Struktur geblieben, indem einer aufgestellten Behauptung widersprochen wird, die stilistisch noch gerne auf eine Pointe zuläuft. Sowohl die durch die Metrik vorgegebene und festgelegte Kürze, als auch die markante Zweiteilung dieser Gedichtform erschienen daher den frühen Entdeckern des Haiku als na-heliegendste, einheimische Vorlage.
Begünstigt wurde die „Notlösung Epigramm“ zudem allein durch die Tatsache, dass es definitiv keine eigenständige dreiteilige Gedichtform für einen direkten Zugriff im Sinne einer Schablone gab. Bekannt waren zwar das Terzett und die Terzine, doch beide kamen nur als Verbundstrophen zur Anwendung.
Das Terzett ist eine Strophenform, die insbesondere für die beiden Schlussstrophen des Sonetts Verwendung fand, das in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Umfeld des staufischen Kaisers Friedrich II. durch die Sizilianische Dichterschule aus der Kanzonenstrophe entwickelt wurde. Vermutlich war sein Erfinder der Notar Giacomo da Lentini, sein prägender Autor jedoch Francesco Petrarca (1304–1374). Eingeleitet wird das Sonett von zwei Quartetten, ursprünglich mit nur zwei Reimen in umschlingender Stellung: abba, abba, sodann gefolgt von zwei Terzetten im Reimschema cdc, dcd. Diese bilden indes keineswegs autonome Einheiten, da sie sich ihrerseits nicht nur reim- und inhaltsmäßig weiter zu einem Sextett verschachteln, sondern darüber hinaus zusammen die Funktion einer Folgerung, Antithese oder dergleichen im Rückblick auf das vorangehende Oktett innehaben.
Die Terzine wurde von Dante Alighieri (1265–1321) in seiner berühmten Divina Commedia (Göttliche Komödie) eingeführt. Sie besteht aus drei jambischen Endecasillabi (Elfsilbern) und hat die Reimstruktur aba, wobei der innerhalb der ersten Strophe reimlos gebliebene, zweite Vers seine Entsprechung erst in der zweiten Strophe findet, deren Reimschema entsprechend bcb lautet. Nach diesem Muster reimen dann alle weiteren Strophen, ehe am Ende des Gedichts ein einzelner Vers das mittlere Reimwort seiner Vorgängerstrophe aufgreift: … yzy, z. „Der Kettenreim bricht die innere Geschlossenheit der Einzelstrophen und fügt sie zu einer durch Reim verzahnten Reihe dreizeiliger Perioden oft mit Strophensprung aneinander.“17