Sommerträume auf Sylt - Stephanie Jana - E-Book
SONDERANGEBOT

Sommerträume auf Sylt E-Book

Stephanie Jana

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In einer Sommernacht auf Sylt schworen sich Lucy, Mado, Sonja und Rieke als Jugendliche, sich stets bei der Erfüllung ihrer Träume zu helfen. 25 Jahre später sind die vier Hamburgerinnen immer noch beste Freundinnen. Nur ihre Wünsche haben sich verändert. Cafébesitzerin Lucy träumt vom Heiraten, Anwältin Mado von einer heißen Liebesnacht. Sonja, Mutter dreier Kinder, sehnt sich nach Zeit für sich, und Weltenbummlerin Rieke möchte endlich irgendwo ankommen. Also beschließen die vier, erneut nach Sylt zu fahren und dort ihren Träumen auf die Sprünge zu helfen. Doch der Sommer auf der Insel rückt alles in ein neues warmes Licht …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 514

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

In einer Sommernacht auf Sylt schworen sich Lucy, Mado, Sonja und Rieke als Jugendliche, sich stets bei der Erfüllung ihrer Träume zu helfen. Fünfundzwanzig Jahre später sind die vier Hamburgerinnen immer noch beste Freundinnen. Nur ihre Wünsche haben sich verändert. Lucy, die in der Alstermetropole ein kleines Blumencafé führt, träumt davon, ihren Freund Vince zu heiraten. Die geschiedene Anwältin Mado dagegen scheut eine feste Bindung und stellt sich eine heiße Liebesnacht mit einem gut aussehenden Fremden vor. Lehrerin Sonja, verheiratet und Mutter dreier Kinder, sehnt sich nach Zeit für sich und will kitesurfen lernen. Und Rieke, Fotografin und Weltenbummlerin, möchte endlich irgendwo ankommen. Also beschließen die vier, erneut nach Sylt zu fahren und dort ihren Träumen auf die Sprünge zu helfen. Doch der Sommer auf der Insel hält so manche Überraschung bereit und rückt alles in ein neues warmes Licht …

Weitere Informationen zu

Stephanie Jana und Ursula Kollritsch

sowie zu lieferbaren Titeln der Autorinnen

finden Sie am Ende des Buches.

Stephanie Jana & Ursula Kollritsch

Sommerträume

auf Sylt

Roman

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe März 2022

Copyright © 2022 by Stephanie Jana und Ursula Kollritsch

Copyright © dieser Ausgabe 2022 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotive: Strandmotiv: GettyImages/PPAMPicture; Dünengras, Picknickdecke: Stocksy/BONNINSTUDIO; Blumen im Korb: Stocksy/Screen moment

Redaktion: Hannah Brosch

KS · Herstellung: ik

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN: 978-3-641-24735-5V001

www.goldmann-verlag.de

Besuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

Für Coco und Sophie

und alle unsere Herzensmenschen

Die schönsten Wege führen ans Meer.

Trenne dich nie von deinen Träumen.

Mark Twain

Vor vielen Jahren …

Das Meer rauschte schwarz und schäumend heran. Es war so dunkel wie der Nachthimmel darüber. Nur die Sterne leuchteten hell. Und das Feuer. Die Betreuer des Feriencamps auf der Insel hatten es bei Einbruch der Dämmerung angezündet. Unten am Strand, hinter den hohen Dünen. Die Kinder waren den ganzen Nachmittag unterwegs gewesen, um dafür Äste und Strandgut zu sammeln. Es war das größte Feuer, das die vier Mädchen aus der Stadt je gesehen hatten. Einfach riesig. Außerdem war es für alle das erste Mal, dass sie ohne ihre Eltern zwei Wochen in den Sommerferien verreist waren.

Sie hatten sich erst vor ein paar Tagen kennengelernt und waren trotzdem schon so eng verbunden, als wären es Jahre. Vier Mädchen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten: Lucy Baumeister, die eigentlich Luzia hieß nach der nordischen Lichtgöttin, war schmal und zart, mit langen blonden Haaren, und sah aus wie ein Engel. Auch weil sie am liebsten helle, weiße Kleider und Röcke trug. Mado Mancini war ein typisches Pferdemädchen, athletisch und diszipliniert, mit braunem Zopf, immer ihr Ziel vor Augen. Dann gehörte Sonja Peters zu dem neu entstandenen Glückskleeblatt, ein rotblond gelocktes Pummelchen mit lustigen Sommersprossen, das immer ein offenes Ohr für alle hatte und das ansteckendste Lachen der Welt. Schließlich schloss sich ihnen Rieke Müller an, mit elf zwei Jahre jünger als die anderen. Mit ihren kurzen, zerzausten Haaren und den schief abgeschnittenen Hosen konnte man sie auf den ersten Blick für einen Jungen halten.

Die vier Freundinnen saßen im Sand und blickten gebannt auf das prasselnde Feuer. Sie waren die Letzten am Strand. Die restlichen Kinder waren schon in die Jugendherberge zurückgekehrt. Steen, ihr Betreuer, saß etwas abseits am Meer und spielte auf seiner Gitarre einen Song nach dem anderen: »Country Roads«, »If I Had a Hammer«, »Penny Lane«, »Hey Jude«, »Über den Wolken«. Dazu sang er leise, während im Hintergrund das Meer rauschte.

Die Geisterstunde hatte fast begonnen, es war Mittsommer, der 24. Juni. Steen war Schwede, kam aus Vimmerby, dem Geburtsort von Astrid Lindgren. Er hatte den Mädchen vorhin erzählt, dass in seiner Heimat am Mittsommerabend die Elfen tanzten und sich hinter jedem Baum ein Troll versteckte. Die Luft wäre dann voller Magie, und Wunder könnten geschehen. Davon sei jeder in seinem Land überzeugt. Das gefiel ihnen, und sie hofften sehr, etwas von dem Zauber dieses außergewöhnlichen Tages abzubekommen.

Heute war Lucys dreizehnter Geburtstag. Daher strahlte sie sowieso schon seit dem frühen Morgen. Mit dem Sonnenaufgang waren die Mädchen aus ihren Etagenbetten gehüpft, hatten ihr mit lautem Geschrei gratuliert und viele Küsse auf die Wange gedrückt. Nun hockte sie mit ihren neuen Freundinnen ganz nah an den Flammen. Es war aufregend, ihre Kraft und Hitze unmittelbar zu spüren. Das Knistern des Feuers und das Rauschen der Wellen vermischten sich mit der Musik zu einer ganz eigenen Melodie. Glitzernde Funken stoben in die Dunkelheit. Wie Wunderkerzen sah das aus, fand Lucy, oder Sternschnuppen, aber solche, die von unten nach oben fliegen.

»Schaut mal«, rief Rieke und deutete darauf. »Das sind bestimmt lauter kleine Wünsche. Die schickt jemand hoch ins Universum, und dann werden die geheimsten Träume wahr!«

Die anderen lachten. Typisch Rieke. Ihre Mutter besaß ein »Studio«, in dem sie Leute beriet und mit ihnen sang und tanzte. Mit ihrem bunten, langen Kleid und einem Tuch auf dem Kopf war sie den Mädchen sofort aufgefallen, als sie und ihre Familien am Hamburger Hauptbahnhof auf den Zug nach Sylt gewartet hatten. Wie ihre Mutter sagte Rieke oft solche Sätze wie den mit den Wünschen. Ganz selbstverständlich, so als wüsste das jeder mit dem Feuer, den Funken und dem Universum.

Lucy, die neben Rieke auf einem Baumstumpf saß, dachte nach. Heute war eine ganz besondere Nacht, das war klar. Vielleicht eine, an die sie sich ewig erinnern würden. Aufgeregt zog sie ihr Micky-Maus-Longshirt über die Knie und sagte: »Das ist eine super Idee! Los, wir wünschen uns was. Sternschnuppen sieht man erst im August, das dauert mir viel zu lang, schließlich habe ich heute Geburtstag!« Sie blickte strahlend in die Runde. Sonjas Augen weiteten sich begeistert, Mado zwirbelte an ihrem Pferdeschwanz und kaute auf der Unterlippe.

Auf einmal lag so ein Knistern in der Luft, was nicht nur am Feuer lag, alle vier spürten das und wechselten einen prüfenden Blick.

»Au ja!«, riefen sie dann gleichzeitig, sprangen auf, nahmen sich an den Händen und hüpften aufgeregt herum.

Schließlich zog Rieke ein zerknittertes Blöckchen aus der hinteren Tasche ihrer Jeans. Sie löste den Minikugelschreiber an der Seite von seinem Gummiband und sagte feierlich: »Lasst uns unsere Wünsche aufschreiben und ins Feuer werfen. Dann schicken wir sie wie Sternschnuppen zurück in den Himmel. Einverstanden?«

»Genial«, fand Sonja.

»Wartet, das geht noch besser.« Lucys Augen leuchteten. »Jede von uns schreibt ihren geheimsten Traum auf. Den allergeheimsten, den wir bisher nie jemandem verraten haben. Keiner außer uns darf davon wissen! Und dann verbrennen wir die Zettel, wie Rieke gesagt hat.«

Die anderen stimmten jubelnd zu. So laut, dass Steen kurz den Blick von seiner Gitarre löste und zu ihnen herübersah.

Mado ergänzte verschwörerisch: »Wenn die Träume wirklich wahr werden sollen, müssen wir einen Pakt schließen.«

»Was für einen Pakt?«, fragte Sonja.

»Na, den ultimativen Mittsommernachtsfreundinnenträumepakt, so was wie Blutsbrüderschaft bei den Jungs. Versteht ihr?«, antwortete Mado, die Arme wie so oft in die Seiten gestemmt.

»Nee!«, kam es im Chor zurück.

»Mensch Mädels, ihr steht auf dem Schlauch«, stöhnte Mado. »Ein Pakt, das ist so eine Art Schwur, ein Versprechen. Daran müssen sich alle halten. Okay?« Sie schaute feierlich in die Runde.

»Ja! Und wir versprechen alle ganz fest, jeder Freundin dabei zu helfen. Mit vereinten Kräften.« Sonja war ganz entflammt für die Idee und strahlte aufgeregt.

»Genau!« Mado klatschte in die Hände.

»Super! Versprochen – hoch und heilig«, rief Rieke.

Lucy lachte und schaute ins Feuer. »Und heiß und innig«, schloss sie mit ihrem neuen Lieblingsausdruck, den sie auf einer Zeitschriftihrer Mutter gelesen hatte. »Ich fange an, okay?« Ohne eine Antwort abzuwarten, riss sie Rieke den ersten Zettel aus der Hand. Schließlich war sie das Geburtstagskind, und ihren Traum kannte sie in und auswendig: Einmal eine wunderschöne Braut sein. Nachdem sie das schnell aufs Papier gekritzelt hatte, reichte sie den Block Mado. Die lächelte unsicher und notierte schließlich: Lenny küssen, den tollsten Jungen der Schule.

Nun war Sonja an der Reihe. Entschlossen nahm sie Block und Stift. Sie wusste sofort, was sie schreiben wollte: Vom Fünfmeterturm springen!

Als Letzte kam Rieke dran. Nervös biss sie auf dem Stift herum, während sie angestrengt nachdachte. Ihren größten Traum herauszufinden war gar nicht so leicht. Schließlich erhellte sich ihr Gesicht, und sie schrieb schwungvoll auf das kleine Blatt: Einen Hühnergott finden. Sie fügte hinzu: So einen Stein mit einem Loch in der Mitte. Den gibt es nur am Meer, und der soll Glück bringen, sagt Steen.

Die vier Mädchen stellten sich mit ernsten Mienen nebeneinander. Während sie vorlasen, sagte keine etwas dazu, niemand lachte oder stellte Fragen. Schließlich waren sie selbst so aufgeregt, und die Magie dieser Nacht tat das ihre.

Steen schaute schmunzelnd zu den Freundinnen herüber, die ihre Zettel zusammenknüllten und sie nacheinander in die lodernden Flammen warfen. Dann setzte er zum nächsten Song an, der passte perfekt: »Let It Be« von den Beatles.

Mado legte eine Hand aufs Herz und hob die linke, wie sie es aus amerikanischen Gerichtsfilmen kannte. Nur ihr wippender Pferdeschwanz verriet, wie aufgeregt sie war, als sie schwor: »Die Syltschwestern schließen hiermit den ›Pakt der geheimen Träume‹. Mögen unsere Träume in Erfüllung gehen! Und wir versprechen uns absolute Unterstützung und Geheimhaltung. Großes Ehrenwort! Ich schwöre!«

Die anderen drei taten es ihr nach, und jede rief mit fester Stimme: »Ich schwöre!« Danach fassten sie sich schweigend an den Händen und schauten mit glänzenden Augen zu, wie ihre Zettel in sich zusammensanken und leuchtende Funken in den schwarzen Himmel stiegen.

MITTSOMMERPAKT 2.0

#dieglücklichstebrautderwelt

Lucypustet die Kerzen aus. Das macht sie immer als Erstes, wenn eine Feier im Blumencafé vorüber ist. Im ganzen Raum sind Laternen mit Teelichtern verteilt. Weiße Kerzen zieren zudem die hellen Holztische. Sie stehen auf dem alten Küchenschrank zwischen dem dänischen Porzellan in Blau-Weiß und auf der Theke. Dort sind sie um die Vorratsgläser mit Cookies, Herzgummis und Minibaisers platziert.

Plötzlich ist es still geworden im Heiß & Innig, wo noch vor wenigen Minuten eine Gruppe bestens gelaunter Frauen Junggesellinnenabschied feierte. Mit ihrem »Hier-kommt-die-Braut-Brunch« samt Tanzen, Spielen und allem Pipapo hat Lucy einen echten Coup gelandet. Auch die anderen Events wie das »Mädelsfrühstück de luxe«, »Kuchen und Kaffee aus aller Welt« oder »Blumenbinden mit Brioches« kommen bestens an und füllen die Seiten ihres Reservierungsbuchs.

Die Hamburger lieben Lucys Blumencafé, das die Floristin aus Leidenschaft vor gut acht Jahren im Stadtteil Ottensen in einer Seitenstraße eröffnet hat. Es passt optimal in das ehemalige Handwerkerviertel, das bekannt ist für seine kleinen Geschäfte und Ateliers. Hinten im Laden verkauft sie Blumen, vorne ist ein kleines Café untergebracht, mit Vintage-Möbeln und ein paar Tischen auf dem Gehweg. Einerseits liegt die Beliebtheit bestimmt an dem gemütlichen und liebevoll eingerichteten Laden, geht es Lucy erschöpft und zufrieden durch den Kopf. Aber sicher auch an ihren wunderschönen Freiland-, Feld- und Wiesenblumen, die man wirklich nicht überall bekommt. Sie stehen in großen Vasen vor einer himbeerrot gestrichenen Wand und verwandeln das Blumencafé in eine duftende, farbenfrohe Welt.

Lucy empfindet Stolz bei dem Gedanken, dass ihr Schritt in die Selbstständigkeit so gut geklappt hat. Möglicherweise liegt der Erfolg auch ein bisschen an ihr, die, solange sie sich zurückerinnern kann, einfach alles liebt und zelebriert, was mit Dekorieren, Feiern und ganz besonders mit Hochzeiten zu tun hat. Vielleicht kann sie deshalb so gut ihre Kunden glücklich machen und ihnen hier einen Ort schenken, wo sie sich wohlfühlen. Schwungvoll wischt sie mit einem Handtuch über die Ablage.

Nach all dem Trubel von heute Mittag genießt es Lucy sehr, dass sie nun in Ruhe ihren Gedanken nachhängen kann. Wenn es bald bei mir so weit wäre, überlegt sie sehnsüchtig, wie würde mein Brautkleid aussehen? Was wäre der ultimative Blumenschmuck für mein eigenes Hochzeitsfest? Wie wäre es mit Steinen als Namensschilder, die könnte sie mit ihren Freundinnen an der Elbe sammeln …

Das Für und Wider abwägend räumt sie die Kuchenteller ab und sortiert sie in die Spülmaschine. Jetzt ist die Pyramide aus Sektschalen dran, das Highlight aller hier ausgerichteten Feste. Die mit Blüten verzierten Kristallgläser hat sie mühsam auf Flohmärkten zusammengesucht. Wie gemacht für diesen Ort. Lucy stellt ein Glas nach dem anderen auf ein Tablett, um sie nachher sorgsam von Hand zu spülen, und macht sich dann daran, den übergelaufenen Winzersekt vom Tisch zu entfernen. So schön das Bauwerk aussieht, ohne Verluste klappt die Schampusaktion nie.

Immer wieder kommt ihr das Bild von sich als Braut in den Sinn: Sie sieht sich in einem weißen A-Linien-Kleid aus Seidensatin, ihre langen blonden Haare sind zu einem eleganten Dutt hochgesteckt, mit einem glitzernden Diadem wie eine Prinzessin. In der Hand hält sie lange weiße Lysianthus, mit fliederfarbenem Band zusammengebunden. Oder würde ein kurzes Petticoatkleid mit kompaktem Fünfzigerjahre-Strauß vielleicht doch besser zu ihr passen?

Leider sind ihre Überlegungen bis jetzt nichts als Tagträume. Wann wird Vince ihr endlich einen Antrag machen? Sie sind nun schon fast so lange ein Paar, wie es das Blumencafé gibt, und übermorgen wird sie achtunddreißig. Sie blickt zum Eingang.

Dort ist Vince bei ihrer ersten Begegnung hereingekommen. Früh am Morgen und, wie sich später herausstellte, vor seinem Seminar als Dozent für Vergleichende Literaturwissenschaften. Der große Blonde gefiel ihr auf Anhieb, er trug Jeans und Jackett und fragte sie mit verschmitztem Lächeln, ob sie ihm eher etwas Heißes oder lieber etwas Inniges empfehlen könne. Auch vor und nach ihm versuchten es Männer mit ähnlichen Sprüchen, doch keiner hat dabei so charmant und schelmisch gelächelt wie er.

»Am besten beides!«, antwortete Lucy Vince zwinkernd und empfahl ihm einen Cappuccino XXL mit weißen Schokoraspeln und dazu ein Stück Hefekranz mit selbstgemachter Himbeermarmelade.

Seufzend rückt sie die Margeritensträuße auf den Tischen zurecht.

»Meine Güte! Liebes. Was stöhnst du denn so laut an diesem herrlichen Sommertag?«, reißt eine Stimme Lucy aus ihren Gedanken.

»Rieke! Du hast mich richtig erschreckt!«

»Du warst ganz abwesend. Lass mich raten, es geht um …« Rieke unterbricht sich, legt die Finger in Denkerpose unter ihr schmales Kinn und inspiziert den Raum. »Oh, hier hat es wieder eine Wahnsinnige krachen lassen, bevor sie sich in das Unglück ihres Lebens stürzt.« Sie bückt sich, um eines der Post-its eines Brautspiels vom Parkett zu ziehen, das Lucy beim Aufräumen übersehen hat.

Rieke liebt es, alles mit Hashtags zu versehen, und hat ihre Freundinnen erfolgreich damit infiziert. Leise liest sie das Post-it und pappt es Lucy kurzerhand auf die Stirn. Bevor diese kapiert, wie ihr geschieht, zückt Rieke schon ihre geliebte Polaroidkamera, drückt ab und reicht der Freundin grinsend das Foto. Lucy zieht sich den Klebezettel von der Stirn und sieht zu, wie auf dem Bild langsam ihr verdattertes Gesicht zum Vorschein kommt, mit der Aufschrift #dieglücklichstebrautderwelt.

»Du bist doof.« Sie muss trotzdem lachen. »Ich sehe nicht aus wie eine Braut, sondern wie ein Huhn, wenn’s blitzt.« Als könnte sie rückwirkend etwas an der Aufnahme ändern, löst sie die Spange um ihre langen blonden Haare, streicht diese mit den Fingern glatt und bindet sie neu zusammen.

»Sorry, Luzia! Berufskrankheit.« Von Lucys drei besten Freundinnen ist Rieke diejenige, die sie am häufigsten mit ihrem Taufnamen anspricht, es passe einfach, hat sie ihr schon oft bestätigt: Wo Lucy ist, sei es einfach hell. Hinzu kommt ihr »Romantik-Gen«, wie Mado das nennt, neben Sonja die dritte im Bunde ihrer engsten Freundinnen. Und wenn sie, so wie jetzt, eine sieht, fehlen ihr sofort die anderen.

»Vergiss es!« Lucy streckt Rieke die Zunge heraus, kann sich aber das Lachen nicht verkneifen, denn auf ihre Mädels, und ganz besonders auf Rieke, die Jüngste von ihnen, kann sie nie wirklich sauer sein. »Kaffee schwarz mit einem Klecks Sahne?«, fragt sie dann. Es ist eher eine Feststellung, natürlich kennt sie die Vorlieben ihrer Engsten genau, auch wenn sie sich im ausgefüllten Alltag nicht so oft sehen. Schon gar nicht zu viert. Nur Rieke schneit mindestens einmal pro Woche ins Café herein. Sie ist die Einzige von ihnen, die völlig ungebunden ist, privat wie beruflich. Eine Beziehung hatte sie schon länger nicht mehr, höchstens ab und an mal eine Affäre. Bei ihrem derzeitigen Job in einem Callcenter für verschiedene Reiseanbieter kann sie sich ihre Zeit flexibel einteilen. So bleibt genug Raum für ihre Leidenschaft, das Fotografieren.

Bei Mado und Sonja sieht das ganz anders aus. Mado ist zwar seit ein paar Jahren wieder Single, aber als erfolgreiche Scheidungsanwältin mit eigener Kanzlei in Eppendorf dauerbeschäftigt. Auch Sonja hat als Lehrerin und Mutter von drei Kindern mit meist abwesendem Ehemann, Chirurg und Oberarzt in der benachbarten Park-Klinik, plus großem Haus und Garten in Großhansdorf keine freie Minute.

»Hast du vielleicht noch einen ›Innigen Wrap‹ übrig? Ich habe Hunger wie ein kanadischer Grizzly.« Mit dieser für sie typischen Bildsprache lässt sich ihre Freundin auf den grünen Fifties-Sessel am Fenster fallen. Entspannt legt sie den Kopf mit dem wilden Bob nach hinten auf die Lehne und streckt ihre langen, schlanken Beine aus, die aus ausgefransten Jeansshorts ragen. Am liebsten mag Rieke legere, sportliche Klamotten, mit denen sie immer noch aussieht wie ein Teenager. Und sie lebt auch so, als hätte sie alles noch vor sich. Frei wie ein Vogel, in jeder Hinsicht. Die Reeperbahn um die Ecke und die Elbe vor der Nase, wohnt sie in einem WG-Zimmer auf St. Pauli, und das sowie ihr Job ermöglichen es ihr, mit Schnäppchenangeboten um den Globus zu reisen. Ihr Herzensprojekt ist nämlich ihr Instagram-Blog @riekeknipstdiewelt, in dem sie tausend Geheimtipps von hier und überall festhält: Ein versteckter Gebirgssee, in den Rieke offensichtlich nackt hineingesprungen ist, glitzert dort in der Morgensonne mit dem Hashtag #frostyisthenewhot, ein Gruppentrip mit Trampeltieren in der Wüste steht unter #einkamelkommtseltenallein, darunter sitzt ein neapolitanischer Fischer rauchend in seinem Boot zu dem Hinweis #wartenkönnenistsexy.

Die Kaffeemaschine gibt ein lautes Zischen von sich und holt Rieke aus ihrem nie lange andauernden Chillmodus. Schon kramt sie die Kamera aus dem Rucksack und knipst die Tischdeko vor sich.

»Wehe, du lädst das bekloppte Brautfoto von mir auf deinem Account hoch!«, warnt Lucy beim Spülen. Vorsichtshalber schnappt sie sich das Polaroid und steckt es in die Schublade unter dem Tresen.

»Wo denkst du hin, Süße? Als Braut lichte ich dich erst in echt ab. Dann vermarkten wir dich als Starmodel in allen einschlägigen Brautwahnmagazinen, und schwups ist eure Traumhochzeit bezahlt. Wirst sehen.« Rieke zwinkert frech. »Wann ist es denn bei euch zwei Hübschen endlich so weit? Gibt’s was Neues zu berichten?« Sie nippt an ihrem Kaffee, den Lucy ihr zusammen mit dem Snack gebracht hat.

»Der Plural ist nicht angebracht. Das musst du leider Vince fragen. An mir wird es nicht scheitern.« Lucy zuckt mit den Schultern. Der Gedanke daran, dass ihr Freund seit acht Jahren keine Anstalten macht, stimmt sie traurig. »Aber er muss fragen, darauf besteh ich.«

»Macht Vince bestimmt bald, er weiß doch, wie gerne du Braut spielen würdest.« Rieke nimmt einen großen Bissen und kaut mit vollen Backen.

»Ich will nicht spielen«, erwidert Lucy und wirft den feuchten Spüllappen nach ihrer Freundin. Dieser trifft Rieke am Arm, die aufquiekt und das Ding zurückschießt.

»Ja, schon klar. Du weißt, wie ich es meine.«

Sie nickt. Das ganze Freundinnen-Kleeblatt weiß das. Schließlich hat alles damals mit ihren Träumen angefangen.

»Übrigens, Lucy, übermorgen ist schon dein Geburtstag und außerdem unser fünfundzwanzigster Jahrestag! Wir vier haben so was wie Silberhochzeit! Hast du jetzt eigentlich was geplant? Willst du nicht doch ein bisschen feiern?«, fragt Rieke und steckt sich ein Stück Tomate in den Mund.

Lucy überlegt, während sie weiter Sektschalen spült. »Um ehrlich zu sein, nein. Vince hat zurzeit so viel zu tun. Seit er die Option auf eine Professur hat, kommt er meistens spätabends heim. Wir sehen uns kaum. Auch im Café wird es mir nicht gerade langweilig. Siehst ja, was hier los ist.« Sie zeigt um sich. »Und dann haben wir ja seit November noch den Garten angemietet. Der nimmt mehr Zeit in Anspruch, als ich dachte. Ich muss gestehen, da hab ich gar nicht mehr übers Feiern nachgedacht.« Lucy wischt sich eine Strähne aus dem Gesicht und zuckt mit den Schultern. »Ist ja kein runder.«

»Na und? Jeder Geburtstag sollte gefeiert werden! Mensch, Lucy, der Garten, das ist es! Du willst doch nicht etwa unser Freundschaftsjubiläum übergehen, ausgerechnet du? Außerdem ist das Wetter gerade so herrlich. Wir haben erst Ende Juni, und es ist schon wie im Hochsommer – besser geht’s nicht!« Zur Sicherheit loggt sich Rieke rasch in die Wetter-App auf dem Handy ein. »Siehste, und es soll auch so bleiben. Pass auf: Wir treffen uns einfach in deiner Laube. Ganz unkompliziert! Wann haben wir uns zuletzt zu viert gesehen? Alle Syltschwestern vereint? Das ist Ewigkeiten her.« Sie macht eine große Geste mit dem Arm. »Es wird echt mal wieder Zeit!«

»Ach Rieke, ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll. Das Blumencafé ist bis siebzehn Uhr offen. Auch samstags«, erwidert Lucy.

»Ja prima, passt genau. Du musst auch gar nichts vorbereiten. Du bringst einfach die Essensreste von hier mit. Mado besorgt wie immer die sündhaft teuren Schnapspralinen in der belgischen Chocolaterie neben ihrer Kanzlei und diese verboten guten Antipasti von Luigi. Sie wird eh sagen, sie habe es leider nicht geschafft, etwas vorzubereiten, dabei wissen wir alle, dass sie null kochen kann. Ich packe ein paar Flaschen Sekt in meinen Rucksack« – wie zur Verdeutlichung, dass noch Platz darin ist, rüttelt Rieke daran – »und Sonja, unsere Vorzeigemama der Nation, reißt uns ohnehin alle raus. Wetten? Sie taut die halbe Gefriertruhe auf, um uns zu verköstigen. Außerdem lädt sie ihren VW-Bus voll mit Astra, selbstgemachten Limonaden und wer weiß was noch. Komm, gib dir einen Ruck. Wir können doch nicht immer nur funktionieren!« Rieke streckt den Daumen hoch und schaut Lucy erwartungsvoll an.

Nachdenklich blickt sie aus dem Fenster, wo die Sonne hell am klaren blauen Himmel steht, die Vögel in den Bäumen zwitschern und die Farben so verheißungsvoll leuchten, dass sie ihr eigenes Zögern plötzlich nicht mehr nachvollziehen kann.

»Vielleicht hast du recht.« Lucy schaut ihrer Freundin in die Augen und grinst.

»Natürlich hab ich das!«

Rieke saust hinter die Theke, um Lucy zu umarmen und geschickt ein Grinse-Selfie mit wedelndem Handtuch zu schießen. Prompt flutscht das entsprechende Beweisfoto aus dem Apparat.

»Ich freu mich, ich freu mich! Los, Lucy, piep die beiden gleich mal an. Sonja hatte mich letztens schon gefragt. Was hältst du von Samstag um acht? Wenn das für Vince okay ist, dass du nicht mit ihm feierst … Das wird ein Fest.«

Dann nimmt Rieke den wasserfesten Stift, den sie traditionell an einem Lederband um den Hals trägt, und schreibt mit gleichmäßigen Lettern #bestfriendsbestdays auf den unteren Rand des neuen Polaroids. Lucy wird es später an die Pinnwand hängen, neben dem Regal mit den alten Gläsern, und immer schmunzeln, wenn sie es sieht.

#allesunterkontrolle

Mado gähnt, reibt sich erschöpft die Augen und streckt sich ausgiebig. Hoffentlich stellt Frau Meier-Hoppenstedt, ihre Assistentin, jetzt keine Anrufe mehr durch. Immerhin ist schon fast Feierabend. Sie kann wirklich nicht mehr geradeaus denken, geschweige denn fehlerfrei formulieren.

Seit fünf Uhr früh ist sie wach. Nach ihrer Joggingrunde um die Alster und ein paar Dehnübungen auf ihrem Balkon, anschließend einem schnellen Müsli plus grünem Tee im Stehen ist sie direkt in die Kanzlei geeilt, um die Unterlagen für die erste Gerichtsverhandlung noch mal durchzugehen. Puh! Daran möchte sie auch gar nicht mehr denken. Ihr Mandant, ein prolliger Soapschauspieler mit Boxervisage, ist im Gerichtssaal völlig ausgerastet, nachdem das Urteil zu Unterhalt und Ausgleichszahlungen zugunsten seiner Exfrau verkündet worden war. Die Ordner mussten ihn festhalten, es brach völliges Chaos aus, und der Richter verhängte anschließend eine saftige Geldstrafe. Kein Wunder, dass der Typ zum dritten Mal geschieden ist.

Die anderen Verhandlungen liefen heute zwar Gott sei Dank erfolgreicher ab, waren aber nicht minder anstrengend und zogen sich bis in den Nachmittag. Es blieb nur Zeit für einen kurzen Imbiss mit Werner – ihrem vierundzwanzig Jahre älteren Exmann, Gründer der noblen Sozietät Länz & Partner in Uhlenhorst –, mit dem sie ein paar wichtige juristische Fragen zu klären hatte. Auch seit ihrer Scheidung vor vier Jahren verstehen sie sich gut, und Werner hat die Trennung sowieso mit viel Gelassenheit und Lebensklugheit aufgenommen, wofür ihm Mado bis heute dankbar ist. Er hilft ab und zu in ihrer Kanzlei aus, die sie voller Stolz führt. Sie war ein Glücksgriff, denn sie liegt im Erdgeschoss eines der wunderschönen alten Etagenhäuser in der Curschmannstraße. Mado hat die Kanzlei modern eingerichtet, alles ist in Cremefarben gehalten und mit Holz und Marmor ausgestattet. Schicke Designermöbel zieren die Räume, ein paar ausgewählte Kunstwerke die Wände, und frische Rosen stehen als Farbtupfer auf den Tischen.

Gelangweilt von dem Aktenberg vor ihr fährt sie mit dem Drehstuhl ein bisschen hin und her. An nach Hause gehen ist nicht zu denken. Bei dem Berg an Arbeit, der heute noch vor ihr liegt, muss sie noch mal gähnen. Da bleibt ihr Blick an dem Bild gegenüber hängen, das einzige nicht abstrakte Gemälde in ihrer Kanzlei. Sie liebt das Bild sehr, ein phänomenaler Sonnenuntergang am Weststrand von Sylt, ihrer Insel.

Sobald sie als Kind ans Meer kam, wollte sie sich immer sofort im weichen Sand wälzen und darin mit Armen und Beinen einen Engel machen wie andere im Schnee. Mado liebte den Sand. Liebt ihn bis heute. Sie fragt sich, wann sie bloß aufgehört hat, sich im Sand wälzen zu wollen. Das ist doch das, was man instinktiv tun möchte, sobald man die Millionen winziger Körner mit den nackten Füßen berührt: ihn spüren. Überall. Vor allem wenn er warm ist und trocken, so wie auf dem Bild vor ihr, nach einem langen Hochsommertag, wenn die Sonne ihn aufgeheizt hat und er sich anfühlt wie eine kuschelige Decke. Als Mädchen wünschte sie sich nichts sehnlicher, als sich in den Sand hineinzulegen, mit ihm zu spielen, ihn anzufassen, durch die Finger rieseln zu lassen, die Füße darin zu verbuddeln, Burgen zu bauen und Dämme, verziert mit Muscheln, Steinen und Hölzern. Wenn dann im Hintergrund das Meer rauschte, die Wellen gleichmäßig ans Ufer schlugen, die Sonne auf dem Wasser glitzerte und der Nordseewind ihr um die Ohren pfiff, dann, erinnert sich Mado, war sie einfach nur glücklich.

Sie muss an ihr erstes Feriencamp auf Sylt denken, als sie Lucy, Rieke und Sonja kennenlernte. Wieder hört sie das laute Lachen der Sonja von damals, die am Strand ein Rad nach dem anderen schlug und bei jedem Schwung fröhlich jauchzte. Bis sie sich erschöpft in den Sand plumpsen ließ und Mado lachend mit Rieke und Lucy zu ihr lief, sich alle drei auf sie warfen, sie durchkitzelten und dabei kreischten, wie man es nur in diesem Alter kann. Überall hatten sie damals Sand hängen, und zu jeder Zeit sprangen sie ins Meer, wollten die Wellen bezwingen. Oder sie unternahmen einen Ausritt am Strand, in die Dünen, ins Wäldchen. Das war ihr Sommer, die Zeit, in der alles begann.

Schade, dass man sich nicht in vergangene Zeiten zurückbeamen kann, als die Tage noch Überraschungen und Abenteuer in sich bargen.

Pling, pling, durchbricht es plötzlich Mados Sinnieren. Eine Nachricht von Lucy.

Hallo Mado!

Rieke hat mich gerade überzeugt, doch meinen Geburtstag bei mir im Garten zu feiern. Außerdem haben wir Freundinnen-Silberhochzeit, stell Dir vor! Das können wir nicht unter den Tisch fallen lassen. Wir haben uns sowieso lange nicht mehr gesehen, alle zusammen. Also: Ihr seid am Samstag ab 20 Uhr herzlichst eingeladen! Es wird ganz unkompliziert, jede bringt was mit. Ginge das? Ich habe nämlich irre viel zu tun. Vince geht zum Dart-Abend, wir sind also unter uns. Ja? Bittebittebitte komm, ich würde mich sooo freuen!

Wie bitte? Was ist denn in Lucy gefahren, dass sie erst jetzt damit kommt? Sie wollte doch eigentlich dieses Jahr gar nicht feiern. Die Nachricht bringt Mados ganzen Zeitplan durcheinander. Da klingelt das Bürotelefon laut und fordernd.

Sie hebt genervt ab. »Frau Meier-Hoppenstedt, was gibt es denn noch? Ich muss die Anklagen und Berichte schreiben, das Zeitfenster ist sehr eng heute Abend. Also?«, pampt sie die Arme an.

»Bitte entschuldigen Sie, Chefin, aber Sonja Peters hat sich nicht abwimmeln lassen und sagt, es ist dringend!«

»Meinetwegen, stellen Sie sie durch. Und dann brauche ich Sie nicht mehr, gehen Sie ruhig nach Hause. Bis morgen! Neun Uhr reicht völlig«, sagt Mado, milder gestimmt und in dem Versuch, es bei ihrer Assistentin, die kurz vor der Rente steht, wiedergutzumachen. Diese bedankt sich wie immer nordisch-kühl und verbindet sie mit Sonja.

»Mado, Liebes? Ist die Müller-Lüdenscheidt jetzt aus der Leitung? Hast du auch schon die Einladung von Lucy bekommen? Damit hab ich ja überhaupt nicht mehr gerechnet! Gehst du hin? Ich hätte richtig Lust. Außerdem muss ich hier mal raus, sonst drehe ich durch. Ob Schule oder zu Hause, immer nur Kinder um mich rum! Ich komme mir vor wie im Knast. Dauerbelagerung, Tag und Nacht! Am Samstag könnte meine Mutter die Kinder hüten, Mark ist ja auf einem Ärztekongress. War klar. Aber viel wichtiger: Was schenken wir Lucy? Was bringen wir mit? Kann ich dann bei dir pennen? Was meinst du?«

»Meier-Hoppenstedt, Sonja. Nicht Müller-Lüdenscheidt.«

»Ist doch das Gleiche. Na, was sagste?«

»Tja, so richtig passt es eigentlich nicht in meine Planung, und es ist sehr spontan, aber ehrlich gesagt könnte ich einen Freundinnenabend auch ziemlich gut gebrauchen. Ich hetze nur noch von Termin zu Termin.« Mado überlegt kurz. »Ja, ich bin dabei! Hm, wir könnten Lucy einen kleinen Obstbaum für ihren Garten schenken. Pfirsich, Birne, Orange? Da kenn ich mich nicht aus. Frag Rieke, ob sie mitmacht. Kümmerst du dich darum? Bitte, bitte! Passt sicher in deinen Bus. Und klar schläfst du bei mir. Wenn ich es schaffe, bereite ich was zu essen vor und besorg ’ne Flasche Schampus. Holst du mich ab, gegen Viertel vor?«

Während Sonja noch jubelt, überlegt Mado, wie lange die Chocolaterie nebenan samstags geöffnet hat und ob Luigi kurzfristig Vorbestellungen für die gemischte Antipastiplatte annimmt.

#ichbineinefrauholtmichhierraus

»Mamaaaaaaa! Edwin hat seinen Ranzen wieder einfach auf den Boden geschmissen! Und dabei ist seine Flasche ausgelaufen … Aua!«, hört Sonja Mina, ihre Jüngste, im Flur schimpfen, und dann folgt wildes Gerangel samt Kampfgeschrei.

»Du fiese Petze! Kleine Schleimwachtel! Häng dich nicht rein, das geht dich nix an!«, ruft Edwin stinksauer.

»Hey, hör auf, lass mich! Maaaamaaaa! Autsch!« Es poltert und rumpelt unaufhörlich.

Sonja bekommt Angst um die wertvolle alte Kommode im Flur, ein Erbstück von Marks Großeltern. Bei einem Streit vor ein paar Tagen hat Edwin eine dicke Kerbe reingeschlagen. Davon weiß Mark noch gar nichts … Schon allein deswegen müsste sie dazwischengehen, stattdessen bleibt sie an der Spüle stehen, dreht den Hahn auf und weicht das schmutzige Geschirr ein. Nur ein paar Sekunden durchatmen.

»Spinnt ihr? Könnt ihr mich vielleicht mal durchlassen? Ey Leute, weg da, ihr seid so cringe!«, vernimmt Sonja dann auch noch ihre Älteste im Flur, schon pubertierend, aber immerhin minimal vernünftiger als die anderen.

»Halt’s Maul, Lola, mach die Fliege!«, brüllt Edwin. Warum er in letzter Zeit häufig diesen aggressiven Ton hat, ist Sonja ein Rätsel. Vielleicht zockt er zu viel, steht in der Schule zu sehr unter Druck. Oder seine neue Fußballmannschaft übt diesen Einfluss auf ihn aus.

»Hilfe, Mama! Edwin haut mich! Gib mir Bella zurück! Hey, du Arsch, neeeeiiin, nicht werfen, die geht kaputt, hör auf!« Mina scheint den Tränen nahe, und dann schlägt etwas brutal auf die Fliesen.

»Das ist deine Strafe, du Verräterin. Blöder Zwerg! Da hast du sie! Leck mich.«

Seufzend stellt Sonja das Wasser ab. Wie kam sie damals bloß auf die Idee, es würde ihr gelingen, drei Kinder in den Griff zu bekommen, nur weil sie Lehrerin war? Äquivalent zur Anzahl ihrer Kinder ist sie zugegebenermaßen etwas erziehungsmüde geworden.

Mina fängt jetzt zu heulen an und rennt ihre Puppe retten. Edwin verschwindet die Treppe hoch in sein Zimmer und knallt die Tür zu. Sonja kann sich nicht erinnern, wann es einmal keinen Streit zwischen den beiden gab. So in etwa muss es ebenso ihrer eigenen Mutter mit ihren älteren Brüdern und ihr gegangen sein. Kein Wunder, dass ihr Vater meistens im Gemeindebüro verschwunden ist.

»Mama? Wo bist du? Ich hab mega Huuunger! Ist noch was da? Was Warmes? Nudeln? Aber keine Suppe!«, ruft Lola von irgendwoher. Instinktiv duckt sich Sonja, als könne sie dadurch nicht gesehen werden. Jetzt wie bei Harry Potter einen magischen Tarnumhang überwerfen und sich unsichtbar machen! Das wär’s. Wie landet man eigentlich freiwillig im Dschungelcamp? Geht das? Nach dem Motto: Ich bin eine Frau, die nur noch als Mutter, Ehefrau, Lehrerin, Haushälterin und Kummerkasten funktioniert, holt mich hier raus. Und rein ins Camp? Ich ess sogar fiese Heuschrecken oder Tierhoden, wenn’s sein muss. Bitte!

Während sie die Spülmaschine ausräumt, bemerkt Sonja wieder einmal, dass sie so dringend eine Pause braucht wie noch nie in ihrem Leben. Endlich mal allein sein, nicht erreichbar, nur lesen, schlafen, Musik hören, träumen, schwelgen, baden, rumliegen, essen, verlottern, sich betrinken, für nichts verantwortlich sein … Hach, wäre das schön. Aber wer kümmert sich dann um die Kinder, das Haus, den Garten, die Kaninchen, die Schildkröte, und, und, und? Die würden alle verwahrlosen, verhungern, verdursten – allen voran vermutlich ihr Mann.

Sonja seufzt erneut und schielt auf die Uhr. Freitagnachmittag, vier Uhr. Alle ihre Kinder sind nun aus der Schule zurück, sie selbst hatte heute nur vier Stunden an der Gemeinschaftsschule Großhansdorf, wo sie als Lehrerin für Englisch und Religion arbeitet. Inzwischen ist Lola dreizehn Jahre alt, Edwin zehn und Mina sieben. Endlich kein Kindergartenkind mehr im Haus!

Ihren Job als Lehrerin liebt Sonja, ihre Schule ist solide, mit netten Kollegen – auch wenn der Direktor manchmal ziemlich konservativ ist, was neue pädagogische Konzepte angeht. Doch daran hat sie sich gewöhnt, sie kann sich schließlich nicht um alles kümmern.

Sie stapelt die Teller aufeinander und räumt sie in den Küchenschrank. Das macht außer ihr hier meistens keiner. Mark ist ihr im Alltag keine große Hilfe. Das war früher nicht anders, aber jetzt als Leiter der orthopädischen Chirurgie der benachbarten Park-Klinik glänzt er die meiste Zeit durch Abwesenheit.

»Mama!« Lola stürmt in die Küche.

»Ja, bitte? Ich bin nicht schwerhörig!«

»Du sagst gar nix! Ich habe einen random Hunger, wie verrückt. Gibt es noch Nudeln?« Ihre große Tochter schaut sich suchend um.

»Nein, Liebling. Du weißt, dass ich heute Abend für uns koche. Bis dahin ist es nicht mehr lange, und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du dir jetzt schnell mal selbstständig etwas zu essen machen würdest. Zum Beispiel Müsli oder ein Käsebrot. Ich muss einen Kuchen für Lucys Geburtstag morgen backen«, erwidert Sonja.

»Is ja gut, chill mal«, motzt Lola, schüttet sich Cornflakes mit Milch in eine Schüssel und schnappt sich dazu eine Cola. Sonja verdreht innerlich die Augen – igitt, was für eine Kombi.

»Mina hockt übrigens im Flur und flennt!«, ruft Lola ihr zu und verschwindet in ihrem Zimmer.

Wie sehr sich Sonja danach sehnt, wenn heute Abend alle Kinder im Bett sind und sie ein wenig Zeit für sich haben wird. Ein wohltuendes Ölbad, die Füße auf der Couch und ihrer Lieblingsmusik lauschen, sich mit einer amerikanischen Thrillerserie zerstreuen, ein Glas Eistee im Garten oder mit einer Gurkenmaske meditieren? Oder doch einen Wein? Am besten alles zusammen.

Sie verstaut das letzte Besteck in der Schublade und klappt die Spülmaschine zu. Wenigstens sieht die Küche jetzt wieder einigermaßen aus. Sie braucht klar Schiff, bevor sie sich gleich an die Zubereitung des Kuchens macht. Aber zuerst geht sie zu ihrer schluchzenden Jüngsten, zieht sie liebevoll vom Parkett hoch und setzt sie mit Puppe Bella, die etwas lädiert aussieht, vor den Fernseher ins Wohnzimmer. Sie stellt Mina den Kinderkanal an und drückt ihr eine selbstgemachte Melonenlimonade in die Hand.

»Jetzt beruhigst du dich erst mal, Maus. Gleich hast du Turnen, bis dahin kuschelst du hier ein bisschen. Edwin ist oben, der tut dir nichts mehr, und ich pass auf.« Zärtlich streicht sie Mina über die rotblonden Haare, die aussehen wie ihre eigenen, nur etwas feiner, und gibt ihr einen Kuss. »Um Bellas Verletzungen kümmern wir uns nachher. Wir bringen sie zum Bärendoktor, und sie bekommt ein Prinzessin-Lillifee-Pflaster, einverstanden?«

Mina nickt mit großen Augen und steckt sich den Daumen in den Mund. Na gut, Glotze und Lutschen, ausnahmsweise, Sonja lässt sie gewähren. Dafür hat sie nun mindestens eine halbe Stunde Ruhe. Sie geht zurück in die Küche und sucht die Zutaten für den Kuchen zusammen. Kirschstreusel in Herzform, der wird Lucy gefallen.

Auf ihrem Smartphone geht eine Sprachnachricht von Mark ein. Was will der denn jetzt schon? Haben die auf dem Kongress Kaffeepause? Sonja drückt auf Start und schlägt geschickt die Eier in die Schüssel.

»Liebling, mein Sonjascheinchen, ich sprech dir schnell drauf, weil wir gleich wieder reinmüssen und das Dinner sich später direkt anschließt. Vielleicht wird es dann zu spät zum Telefonieren. Weißt ja, wie der Hase hier läuft. Also kann berichten, alles so weit gut, die Vorträge sind ziemlich langweilig, aber meiner lief einwandfrei heute, und ich habe viel positive Resonanz von Kollegen bekommen. Und auch schon eine Einladung für Mitte Oktober nach Berlin, Charité, da soll ich meinen Vortrag vor einem internationalen Plenum halten. Da ist doch nichts geplant, oder? Tja … äh … und sonst ist auch alles wunderbar, das Wetter ist traumhaft, und das Hotel ist wirklich eins a, liegt direkt am Bodensee, das Kongresszelt sogar auch, in der Pause kann man dort spazieren gehen. Ja, und … äh … du, dann habe ich tatsächlich einen alten Studienkollegen wiedergetroffen, erinnerst du dich an Paul Breitbach? Zwanzig Jahren habe ich ihn nicht mehr gesehen, er leitet inzwischen eine renommierte Klinik in der Schweiz. Tja … Duuu, Sonni, deshalb wollte ich auch … äh, also … wir haben dann gestern spontan beschlossen, nächste Woche noch zwei Tage zum Wandern in den Alpen dranzuhängen. Ist das nicht toll? In der Klinik habe ich schon Bescheid gesagt, da ist alles geregelt. Und … äh … Sonni, du hast sicherlich nichts dagegen? Ich käme nämlich erst Mittwochabend zurück …« Mark räuspert sich. »Denn du verstehst das sicher, zwanzig Jahre, eine verdammt lange Zeit, und wo wir schon mal zusammen hier sind, und Paul ist frisch geschieden, er …«

Den Rest hört Sonja gar nicht mehr. Ja, sie weiß, wie der Hase läuft, gerade bei ihm. Immer nur er, er, er. Nicht einmal kommt die Frage, wie es ihr und den Kindern zu Hause geht oder ob an der Schule alles gut ist. Hier könnte die Welt untergehen, das würde ihn gar nicht interessieren. Er geht einfach davon aus, dass sie alles im Griff hat. Was zugegebenermaßen meistens zutrifft, sie ist selbst schuld: Zu nichts sagt sie Nein, immer macht sie alles möglich, hat für alles Verständnis. Das hat sich jetzt so eingespielt, dass Mark es als selbstverständlich nimmt, wie sie funktioniert und ihm den Rücken freihält. Sie hat es inzwischen aufgegeben, auf sich zu achten und darauf, was sie eigentlich will.

Traurig und hilflos schickt sie ihrem Mann eine kurze Sprachnachricht, sie freue sich für ihn, und es sei in Ordnung, wenn er verlängere. Sie darf sich im Grunde nicht beschweren, denn sie leben hier natürlich sehr komfortabel. Sie haben beide ein überdurchschnittliches Einkommen, eine Putzfrau und sogar ihre Mutter vor Ort. Omi Marlis springt immer ein, wenn Not ist und auch so. Nach dem frühen Tod von Sonjas Vater ist sie von St. Peter-Ording in eine Wohnung um die Ecke gezogen und unterstützt die Familie jederzeit.

Warum also fehlt ihr trotzdem etwas? Und was genau? Warum geht Mark ihr auf die Nerven, obwohl er nie da ist? Warum hat sie Fluchtgedanken, wenn sie doch immer eine Familie wollte? Und sie liebt Mark – mit all seinen Macken –, die Kinder und ihren Job. Was ist nur los mit ihr?

Vielleicht braucht sie endlich mal was ganz Neues, anderen Input. Eindeutig ein Thema für einen Freundinnenabend. Gut, dass Lucy nun doch feiert. Das kommt ihr so was von recht. Da darf morgen nichts, rein gar nichts dazwischenkommen.

Sonja wäscht sich die Hände, wischt sie an ihrer Jeans trocken. Dann beginnt sie, den Teig kraftvoll zu kneten.

Wenn sie morgen Abend nicht hier rauskommt, lässt sie sich tatsächlich ins Dschungelcamp einweisen. Koste es, was es wolle. Mark zahlt.

#diebesteideeseitlangem

Rieke läuft hoch zu ihrer WG, in der sie im mehrstöckigen Klinkerhaus lebt. »Ich darf nicht das Wichtigste vergessen«, murmelt sie und schließt mit einem gekonnten Ruck die Wohnungstür auf. Ihre beiden Mitbewohner fahren am Wochenende meistens zu ihren Partnern und Familien, sodass sie die große Wohnküche und das Bad für sich hat.

Auch heute am Samstagabend ist keiner da, als sie durch den langen Korridor in ihr Zimmer stürmt. Sie wirft ihren Rucksack aufs Bett, das spartanisch in Hellgrau bezogen ist. Dafür hängt die Wand voll mit Fotos, die Gott und die Welt und immer wieder auch ihre Freundinnen zeigen. Automatisch muss sie lächeln, als sie mit schnellem Blick die Schnappschüsse scannt: Lucy im Blumenkleid im Café, Sonja, das üppige Vollweib auf einem Parkplatz, winkend und auf dem Sprung, Mado in schickem Kostüm mit gespielt strengem Blick, doch die Lachfältchen um ihre Augen verraten ihre warmherzige Seite. Und dann die Selfies, auf denen sich alle vier verbiegen, um die Gesichter grinsend in die Kamera zu recken. Natürlich ist jedes der Bilder mit einem passenden Hashtag versehen.

Mit den Fotos und dem Riesenschreibtisch voller Bastelutensilien sieht ihr Zimmer eher aus wie eine Werkstatt als ein gemütlicher Wohnraum. Ein Grund, warum sie sich mit ihren Freundinnen lieber unten im Ausgehviertel trifft. Oder wie heute in Lucys blühendem Garten.

Rieke kniet sich auf den Boden und fängt an, in einer Kiste zu wühlen. Sie wirft Bücher, CDs und Stifteboxen beiseite, bis sie findet, was sie gesucht hat, und sich zufrieden aufs Bett plumpsen lässt. Das lederne Büchlein mit dem nachgedunkelten Messingschloss legt sie neben sich. Ein Glück, es ist noch da. Sie sucht weiter, bis sie entdeckt, was sie braucht. Eins, zwei, drei, vier … zählt sie aufgeregt.

Rieke schaut auf die große Bahnhofsuhr über ihrem Schreibtisch, schon zwanzig vor acht, allerhöchste Zeit. Sie saust in die Küche, wo sie sich zwei gekühlte Flaschen Sekt schnappt und ein paar Servietten sowie etwas Haushaltskordel aus der Krimskramsschublade. Dann packt sie ihre Funde damit notdürftig ein. Entschlossen drückt sie alles in den olivfarbenen Rucksack und ihren Kapuzenpulli mit dem Anker obendrauf, bevor sie die breiten Gurte über die Schultern zieht und zurück ins Treppenhaus stürmt. Jetzt aber los. Lucy hat Geburtstag, zudem jährt sich ihre Mittsommernacht zum fünfundzwanzigsten Mal. Unglaublich. Rieke hat an die Überraschung gedacht. Sie freut sich jetzt schon auf die Reaktion der anderen – die werden Augen machen!

Vorm Haus schwingt sie sich auf ihr Rennrad, auf dem himmelblauen Rahmen steht in silbernen Lettern: Große Freiheit Nummer unbekannt. Darauf ist sie besonders stolz. Mit Hans Albers auf modernen Beats im Ohr radelt sie die Reeperbahn und Königstraße entlang Richtung Altona und muss daran denken, wie selbstverständlich Willkommen und Abschied hier nebeneinander wohnen.

#mittsommernachtsfeeling

»Vince, bitte, nur noch den schweren Holztisch, den schaff ich nicht alleine. Er muss da auf die Wiese.«

Lucy geht zu der ausgewählten Stelle, dreht sich um die eigene Achse und inspiziert fachkundig die Lage. Gut, dass sie schon vor ein paar Wochen zwei Lichterketten mit bunten Glühbirnen um das Gartenhaus herum aufgehängt hat. Und die Solarlampions liegen auf der altmodisch geblümten Hollywoodschaukel daneben bereit. Diese gleich im Garten zu verteilen wird schnell gehen.

Obwohl die große Wiese mit den Blumenrabatten und langen Staudenreihen zu einer Schrebergartenkolonie gehört, hat man in Lucys Garten das Gefühl, ganz für sich zu sein. Das liegt zum einen an der Größe von über tausend Quadratmetern und zum anderen daran, dass die Fläche, als Lucy sie vor allem zum Anbauen von Feldblumen und Stauden übernahm, total überwuchert war und sie die mannshohen, undurchdringlichen Himbeer- und Brombeerhecken drum herum einfach stehen ließ. Ein natürlicher Sicht-, Schall- und Abgasschutz, der ihren Garten zu einer wildromantischen Oase macht.

Sie ist versucht, einfach die Augen zu schließen und sich weiterzudrehen, wie früher als Mädchen. Ist diese Nacht, als sie ihren Pakt schlossen, wirklich schon so lange her? Ihr größter Traum hat danach zumindest im Kleinen geklappt, denn sie durfte bei einer Schulaufführung tatsächlich eine Braut sein. Sie erinnert sich genau, wie großartig und erhaben es sich anfühlte, in diesem feinen Spitzennachthemd auf der Bühne zu stehen und einen endlos langen Schleier aus Vorhangstoff hinter sich herzuziehen.

Die Bilder, das Gefühl und die Sehnsucht sind geblieben, wie sie zugeben muss. Ihr Traum jedoch ist seit den Kindertagen erwachsener geworden. Er ist jetzt nicht mehr dieser Kleinmädchenwunsch, ein Prinzessinnenkleid zu tragen und zu strahlen, dass man alle Blicke auf sich zieht. Nachdem sie sich beruflich durch die Ausbildung kämpfte, das Café fand, einen Kredit aufnahm, um den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen, sehnte sie sich irgendwann sehr danach, den Richtigen zu finden und ihn zu heiraten. Als Zeichen dafür, zusammenzugehören, gemeinsam durch dick und dünn zu gehen. Den einen, the one and only Mr Right, der für sie bestimmt war. Und sie für ihn. Am Hochzeitstag will sie neben ihm stehen, ihre Hand in seiner, und sicher sein: Mit dir will ich mein ganzes verrücktes Leben leben, den langen Weg gehen. Und seit sie Vince kennt und liebt, sieht sie diesen Tag heller und klarer vor Augen denn je.

Einfach weiterdrehen, am liebsten so lange, bis er mich auffängt, denkt Lucy. Doch dann ist ihr schwindelig, sie hält abrupt an und fällt fast ins Gras.

»Lucy, hilf mir bitte, du musst schon mit anpacken«, hört sie Vince’ tiefe, warme Stimme. »Ich bin ja nicht Superman.«

Bestimmt hängen die Studierenden an seinen Lippen, vor allem die weiblichen. Verliebt schaut sie zu ihm rüber. Gerade sieht er jedoch ziemlich genervt aus, wie er verschwitzt, im ehemals weißen Shirt und beigen Bermudas den Holztisch anhebt. Lucy schüttelt den Kopf und sammelt sich, dann läuft sie rüber zum Gartenhäuschen, wo Vince die Holzstühle mit Korbgeflecht bereitgestellt hat.

»Was treibst du denn da drüben?«, fragt er ungeduldig. »Du weißt doch, die Jungs warten schon. Ich muss auch noch duschen.« Er schaut an sich herunter.

»Es ist richtig schade, dass wir uns heute kaum gesehen haben, an meinem Geburtstag«, seufzt Lucy hin- und hergerissen.

»Du bist mir eine. Du hast mich ausgeladen, nicht umgekehrt, erinnerst du dich? Um mit deinen Freundinnen zu feiern. Schon vergessen?«

Seinen Blick kann sie nicht deuten. Will er sie foppen, oder ist er wirklich beleidigt? Nein, da ist es wieder, dieses verschmitzte Vince-Lachen, das er nicht verbergen kann.

»Ach, Schatz, wir sehen uns doch jeden Tag. Außerdem hat Rieke mich regelrecht bequatscht, weil heute unser Freundinnen-Jahrestag ist, weißt du. Genau heute vor fünfundzwanzig Jahren haben wir …« Sie stoppt, immerhin war der Pakt damals geheim. Also sagt sie stattdessen: »Morgen, lass uns morgen anstoßen, ja? Nur wir beide!«

Lucy klettert auf den Tisch, kommt ihm auf allen vieren entgegen und küsst ihn auf den schönen, warmen Mund. Sollen doch alle an seinen klugen Lippen hängen. Hauptsache, sie ist diejenige, die sie berührt. Sie spürt ein kurzes Zögern, bevor er ihren Kuss erwidert. Das liegt bestimmt an dem schweren Tisch, den er hält, mit ihr drauf. Vielleicht sorgt er sich, dass sie abstürzt.

»Natürlich, wir holen das nach«, sagt er. »Jetzt aber los, wir müssen alles aufbauen und das Lagerfeuer richten.«

Sie küsst ihn ein letztes Mal. Dann springt sie mit den Worten »Aye, aye, Sir!« vom Tisch und hilft Vince beim Tragen. Dabei spürt sie plötzlich eine Vorfreude in sich aufsteigen wie als Kind. Bald kommen ihre drei Herzensfrauen, und sie wird es ihnen im Garten richtig schön machen.

Wie sehr hat sie die Freundinnen vermisst.

#dasfalschemetall

Mit lautem Hupen bremst Sonja knapp vor der hohen Hecke auf dem Gehweg, der die gesamte Schrebergartenanlage umschließt.

»Pass doch auf!«, ruft Mado erschrocken, denn beinahe wäre ihre Freundin auf Lucys himbeerfarbenen Kastenwagen draufgefahren. Das Auto mit dem weißen Logo des Blumencafés – eine Kaffeetasse, aus der zarte Blumenranken emporsteigen – parkt direkt vor ihnen.

»Ja doch. Schau, ich hab alles im Griff!« Sonja lässt sich augenscheinlich nicht beirren, schlägt noch ein paarmal ein, bis sie mit dem VW-Bus gerade an der Straße steht.

»Mir ist schlecht«, schimpft Mado, »du fährst wie eine gesengte Sau!«

»Danke für das Kompliment!«, lacht Sonja selbstironisch. »So, du Nöltante, raus hier, Lucy wartet bestimmt schon.« Sie lässt das Lenkradschloss einrasten, schnallt sich ab und springt mit Elan aus dem Auto. Mado schüttelt stöhnend den Kopf und steigt dann auch aus dem Familiengefährt. Nie im Leben würde sie so ein Monstrum fahren, selbst wenn sie alle Kinder einzeln herumkutschieren müsste. Zum Glück hat sie weder Kind noch Hund noch Mann, dafür aber einen schicken silbernen Alfa Romeo Spider, einen Oldtimer.

Sonja macht sich am Kofferraum zu schaffen. »Hier deine Antipastiplatte – hmmm, sieht ja lecker aus – und die Schokopralinen und … o toll, Champagner!« Freudig begutachtet sie das Etikett. »Wow, Moët & Chandon Impérial. Signora Mancini, das haben Sie sich aber was kosten lassen!« Sie zwinkert ihrer Freundin zu und schwenkt die Flasche.

»Gib her, was denkst du denn! Ist immerhin unser Jubiläum und Lucys Ehrentag. Überhaupt tut der uns sicher allen gut.« Mado grinst, dabei leuchten ihre großen braunen Augen, und sie zieht ihrer Freundin ruppig die Flasche aus der Hand. »Nicht weiterschütteln! Die schäumt sonst gleich über.«

Mado versucht, in ihrem sündhaft teuren mokkafarbenen Jumpsuit und den neuen schwarzen Jimmy-Choo-Lackpumps möglichst unversehrt und ohne Verlust der aufgetürmten Köstlichkeiten samt Champagner in der Hand, in den Garten zu stolzieren.

Sonja kommt in locker-leichtem Sommerkleid mit buntem Blumenmuster und flachen Ballerinas wesentlich schneller voran. Und das, obwohl sie zuerst das Weinbergpfirsichbäumchen, das sie Lucy schenken, den Kuchen, einen Nudelsalat, ein Baguette, eine Kiste selbstgemachte Melonenlimonade sowie eine mit Astra samt Rosato und Quittensaft im klappbaren Bollerwagen verstauen und hinter sich herziehen muss.

Als die beiden Freundinnen den Weg von der Rückseite der Schrebergartenkolonie geschafft und alles ins offene Gartenhäuschen getragen haben, in dem es auch eine kleine Küchenzeile gibt, schauen sie sich fragend an. Keiner da.

»Komm«, sagt Sonja und macht ein Zeichen. Sie gehen auf der anderen Seite des Häuschens hinaus auf die kleine Veranda, die schon liebevoll geschmückt ist. Die Bäume im Garten sind mit knallbunten Lampions behängt, und auch die Büsche hat Lucy mit unterschiedlichen Lichterketten dekoriert. Vor der Veranda steht der große Holztisch, der bereits mit Geschirr aus dem Café eingedeckt ist. Außerdem hat Lucy köstliche Donuts und Muffins, ein paar ihrer Spezialwraps und Knabberzeug auf der weißen Leinentischdecke verteilt.

Ein Highlight ist der auf einer mit Obst und Keksen bestückten Etagère montierte Blumenkranz, von dem lauter bunte Bänder über den Tisch hängen – eine Adaption der skandinavischen Mittsommerdeko. Typisch Lucy alles. An drei Plätzen am Tisch liegen kleinere Blumenkränze als Haarschmuck. In der Mitte der Tafel steht ein wunderbarer Wildblumenstrauß aus Korn-, Butterblumen und Margeriten in einer Glasvase. Daneben ein Servierwagen mit ersten Getränken. Ganz fürsorgliche Gastgeberin hat Lucy auf jeden der vier Korbstühle noch eine kuschelige weiße Wolldecke gelegt, für später.

»Ist das schööön …«, stößt Sonja begeistert aus und lässt den Blick umherschweifen. »Ich wusste gar nicht, dass sie mit dem Garten schon so weit ist.« Etwas weiter hinten ist ein kleiner Haufen Holz für ein Lagerfeuer aufgetürmt, davor stehen eine weiße Bank und zwei Klappstühle.

»Das kannst du laut sagen«, ergänzt Mado. »Andererseits ist es kein Wunder, dass wir nicht auf dem neuesten Stand sind. Du bewegst dich ja kaum noch vor die Hütte, wenn du aus der Schule kommst, und ich hetze zwischen Kanzlei und Gericht hin und her. Wann waren wir das letzte Mal hier? Ist bestimmt ein halbes Jahr her.«

»Oder länger«, gibt Sonja ihr recht. »Aber wo ist Lucy?«

»Hallo! Da seid ihr ja endlich!«, erschallt es fröhlich hinter ihnen. Die beiden fahren zeitgleich herum, da fällt ihnen das Geburtstagskind bereits um den Hals.

»Schatz, wo kommst du denn her?! Alles, alles Liebe und Gute zum Geburtstag! Ich freu mich so, dass wir uns heute sehen und dass du doch noch feiern wolltest. Lass dich umarmen und knutschen!« Überschwänglich drückt Sonja Lucy an ihr tiefes Dekolleté und verteilt mehrere dicke Schmatzer auf ihrem Gesicht.

»Danke, Sonja! Danke«, antwortet Lucy sichtlich gerührt. Dann wendet sie sich Mado zu. »Wow.« Sie geht einen Schritt zurück und sieht glücklich von einer zur anderen. »Ihr seht super aus! So schön, dass ihr da seid.«

»Happy Birthday, Lucy! Ich wünsche dir ein erfolgreiches, wundervolles Lebensjahr.« Mado umarmt Lucy fest, küsst sie auf die Wange und schiebt sie mit beiden Händen von sich, um sie ebenfalls zu betrachten. »Du aber auch, cara mia. Lucy, du siehst fantastisch aus!«

Diese strahlt bis über beide Ohren. Sie trägt ein langes weißes Trägerkleid und sieht mit dem Blumenkranz auf den blonden Haaren aus wie eine aus Schweden eingeflogene Elfe.

»Setzt euch, habt ihr schon gesehen, ich hab auch für euch Blumenkränze gebunden! Die müsst ihr nachher unbedingt aufziehen, man fühlt sich direkt viel …« Sie sucht kurz nach dem richtigen Wort, bevor Sonja ergänzt: »… mittsommerlicher.«

»Ganz genau!«, stimmt Lucy heiter zu. »Und die Blumen bringen Glück. Heute feiern wir alles ganz stilecht! Wir kennen uns schon fünfundzwanzig Jahre, könnt ihr das glauben?« Lucy lacht und schiebt die Freundinnen zum Tisch.

»Du hast dich mal wieder selbst übertroffen, Lucy. Hat Vince dieses Wahnsinnsfeuer vorbereitet? Wo ist er überhaupt? Wohin hast du ihn ausquartiert?«, fragt Mado amüsiert, während Sonja sich einen Keks von der Etagère stibitzt.

»Vince ist beim Dart-Turnier mit seinen Kumpels, wie geplant. Er hat mir hier geholfen, dann ist er los. Ein bisschen schade ist es ja schon …« Lucy schaut etwas traurig.

»Schatz, du hattest zunächst gar nichts an deinem Geburtstag geplant, ihr wohnt zusammen und seht euch immer – und er hat bestimmt mehr Spaß beim Darten als mit uns! Dieses Hobby habe ich übrigens noch nie verstanden, erwachsene Menschen, die Pfeile durch die Gegend werfen. Wenn ihr mich fragt: bescheuert!« Sonja wedelt mit der Hand vor ihrem Gesicht herum.

»Auf eine Scheibe, Liebes. Sie werfen Pfeile auf eine Scheibe, nicht durch die Gegend«, korrigiert Mado amüsiert.

»Ist doch das Gleiche!« Sonja lacht und wendet sich wieder Lucy zu. »Auf jeden Fall sind wir jetzt bei dir und lassen es so richtig krachen!« Kaum hat sie das ausgesprochen, lässt sie sich auch schon auf einen der Holzstühle fallen.

»Ja, stimmt schon«, gibt Lucy schließlich zu und stellt drei der Sektgläser nebeneinander, »ihr habt mir auch echt gefehlt!«

»Es kann losgehen, Mädels. Time to drink champagne and dance on the table«, ruft Mado weltgewandt. »Wo bleibt unsere Lütte eigentlich, ts, ts, ts, wieder zu spät?« Sie zwinkert den anderen zu, dann läuft sie, so schnell es auf ihren High Heels nur geht, ins Gartenhaus.

»Tadadadaaa!« Wieder am Tisch präsentiert ihnen Mado die mitgebrachte Flasche und erklärt: »Der edelste Tropfen für meine Besten.«

»Wenn Rieke da ist, gibt es Geschenke!« Sonja klatscht in die Hände.

»Und dann eröffnen wir die Tafel.« Bei diesen Worten der Gastgeberin strahlen sie alle erwartungsvoll.

»Apropos: Ich wollte auch etwas vorbereiten, aber ich hab es einfach nicht geschafft!«, sagt Mado bedauernd, aber ihre Freundinnen rufen nur: »Das verstehen wir, Mado!« und »Jaja, is klar!« Sie müssen laut lachen.

Dann öffnet Lucy die Champagnerflasche und lässt den Korken knallen. »Ein Hoch auf uns, auf eine wunderbare Nacht und …«, sie überlegt kurz, dann grinst sie und ergänzt: »… gut, dass es Luigi gibt!«

»Lucy, du hast dich ja mal wieder selbst übertroffen. So schön alles! Du bist unglaublich, Luzia Lichtkönigin.«

Inzwischen ist auch Rieke mit ihrem Rennrad im Garten angekommen, nachdem sie noch einen Abstecher in den Altonaer Supermarkt gemacht hatte und »Stuuunden« in der Schlange stehen musste, nur um Chips und Nachos zu kaufen.

Gerade haben sie das Geschenk übergeben und zusammen »Happy Birthday« geschmettert. Lucy freut sich wahnsinnig über den Weinbergpfirsich, weil sie Geschenke mag, die »bleiben und wachsen«. Sie weiß schon genau, an welcher Stelle sie den Baum einpflanzen wird. Das Lieblingsplatz-Schild baumelt bereits an der Hollywoodschaukel.

Nun sitzen die vier Freundinnen mit ihren Blumenkränzen auf dem Kopf plaudernd am Tisch. Nach der Flasche Champagner ist jetzt Sonjas neuer Spezialcocktail aus Prosecco, Rosato und Quittensaft dran, Kir Quitte. Die köstlichen Antipasti waren im Nu aufgegessen, ebenso die Wraps und der Fisch. Beim Duft von Sonjas Streuselkuchen wird Mado warm ums Herz. Auch Lucy war beim Anblick der entsprechenden Form ganz gerührt. Als die Dämmerung einsetzt, zündet Rieke, ehemals engagierte Pfadfinderin, das Lagerfeuer an. Es herrscht eine mystische, fast abenteuerliche Stimmung, so abgeschlossen vom Rest der Welt, in diesem geheimen Gartenidyll. Das Knistern der Flammen zieht die Frauen in seinen Bann und lässt sie zur Ruhe kommen. Mado ist zum ersten Mal seit Monaten vollkommen gelöst. Auch Lucy hat rote Wangen und sieht richtig glücklich aus. Sonja bekommt einen Lachanfall nach dem anderen. Und Rieke hat fröhlich plappernd die hübschen Beine in den obligatorischen Hotpants auf den Tisch gelegt. Im Hintergrund läuft Clubmusik, sanfte elektronische Beats schwingen mit Latino-Einflüssen um die Wette. Gerade tönt »Despacito« aus dem Bluetooth-Lautsprecher in die Sommernacht.

»Was hast du denn eigentlich von deinem Liebsten bekommen?«, fragt Sonja plötzlich neugierig.

»Ja richtig, hat der Herr Dozent was springen lassen?«, klinkt sich Mado ein.

»Hat er … Diese Kette hier.« Lucy greift an ihren Hals und zeigt ihnen eine goldene Kette mit drei kleinen Sonnen, jeweils mit einem gelben, orangefarbenen und roten Stein in der Mitte.

Rieke schwingt ihre Beine hinunter und beugt sich vor, damit sie das Schmuckstück besser erkennen kann. »Trägst du nicht lieber Silber?«, überlegt sie laut.

»Eigentlich schon …«, antwortet Lucy etwas verunsichert.

»Sollte Vince nicht langsam wissen, was du für Schmuck magst?« Rieke bleibt hartnäckig.

Sonja versucht zu vermitteln: »Also mir gefällt die Kette sehr! Hat er die alleine ausgesucht? Ist das süß. Das würde Mark niemals hinbekommen. Lass mal sehen. Drei Sonnen, alle mit Stein, und passend zu deinem Namen, Luzia, die Sonnenkönigin sozusagen! Ist doch toll!« Sie legt Lucy, die neben ihr sitzt, den Arm um die Schulter und streichelt sie sanft.

»Sie ist die Schutzpatronin des Lichts, bedeutet ›die Leuchtende‹«, verbessert Mado.

»Bestimmt hat er ganz bewusst Gold genommen, weil du sein Goldstück bist – und unseres auch«, ignoriert Sonja Mados Kommentar, klopft Lucy aufs Knie und gabelt sich anschließend etwas Räucherlachs auf den Teller.

Lucy schaut trotzdem leicht bedröppelt.

Mado fährt unbeirrt fort: »Kinder, mit so was kenne ich mich aus. Ketten schenken Männer, weil sie meinen, wir Frauen erwarten Schmuck, aber in Wahrheit wollen sie sich so um den einen Ring drücken!«

»Mensch Mado!«, schimpft Sonja und verdreht die Augen.

Rieke lacht los und lenkt für alle ein: »So einen Quatsch habe ich ja noch nie gehört. Ist doch ein super Geschenk. Bloß eben das falsche Metall.«

Lucy nimmt einen Schluck vom Spezialcocktail. »Meinst du wirklich, Mado?«

»Ja sicher. Sorry, aber ihr glaubt nicht, was Männer sich alles einfallen lassen, um sich nicht angeln zu lassen.« Mado guckt dramatisch-vielsagend und trinkt ihr Glas aus.

»Glaub ihr kein Wort, Süße!«, sagt Rieke, vermutlich hoffend, dass Lucy diese komischen Gedanken schnell wieder aus dem Kopf bekommt. »Ist doch im Grunde egal, ob Gold oder Silber, Kette, Armband oder Ring. Hauptsache, das Gefühl stimmt. Ist doch so, Luzia?« Mit diesen Worten zieht sie das Geburtstagskind hoch. »Hey Mädels, genug spekuliert. Wir drehen jetzt die Musik lauter – schnappt euch eure Drinks und dann rüber zum Feuer! Es wird Zeit für einen Mittsommernachtstanz. Wie früher!« Rieke läuft bereits mit ihrem Glas und einer neuen Sektflasche, die sie mit Schwung aus dem Eiskübel gezogen hat, ans andere Ende des Gartens.

#derpaktdergeheimenträume

Was für eine magische Nacht mit so vielen Sternen! Und dann auch noch der glänzende Mond am Himmel, eine elegant geformte Sichel. Er hängt am Himmel wie eine Spieluhr, findet Mado.