Soziale Marktwirtschaft im digitalen Zeitalter -  - E-Book

Soziale Marktwirtschaft im digitalen Zeitalter E-Book

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Beschreibung

Die Soziale Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards ist das Fundament unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und hat zu Wohlstand und Wachstum geführt. Sie wird getragen von den Werten und Regeln des Wettbewerbs durch Freiheit, Kosteneffizienz durch Wirtschaftlichkeit, sowie durch Chancengleichheit, unternehmerische Eigenverantwortung, Privateigentum und die Autonomie des Marktes. Der Sammelband versucht die Frage zu beantworten, wie die Regeln und Werte der Sozialen Marktwirtschaft im digitalen Zeitalter neu interpretiert und angewendet werden müssen. Hierzu liefern Einzelbeiträge entsprechende Schlaglichter auf die verschiedenen Anwendungsfelder der Digitalisierung, für die auch die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen eine zentrale Rolle spielen.

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Wirtschaftsrat der CDU (Hg.)

Soziale Marktwirtschaft im digitalen Zeitalter

Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2019

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Chris Langohr Design

E-Book-Konvertierung: Daniel Förster, Belgern

ISBN (Buch): 978-3-451-39985-5

ISBN (E-Book): 978-3-451-81655-0

Inhalt

Vorwort

I. Ordnungsrahmen für Politik und Wirtschaft

Einführung: Soziale Marktwirtschaft im digitalen Zeitalter

Von Paul Kowitz

Vom Datenschutz zur Daten­souveränität: Anpassungen des digitalen Ordnungsrahmens

Von Axel Voss

II. Leistungsstreben, Transparenz & Wettbewerb

Unternehmerische Verantwortung im digitalen Zeitalter

Von Nicolai Andersen

Engineered in Germany: Die Digitale Soziale Marktwirtschaft

Von Hannes Ametsreiter

Das digitale Deutschland beschleunigt

Von Ralf Kleber

Offenheit und Wettbewerbsfairness in der Plattform-Ökonomie

Von Michael Bültmann

Digitale Herausforderungen für die Wettbewerbspolitik

Von Hal Varian, Maurits Dolmans, Gavin Baird, Max Senges

III. Markt, Risiko & Innovation

Industrielle Anpassungen an disruptive Entwicklungen

Von Hans-Georg Krabbe

Digital Health: Chancen im Gesundheitswesen

Von Frank Wartenberg

Exponentielle Technologie­entwicklung als Treiber fundamentaler Transformations­prozesse

Von Christian Böhning

Agile Geschäftsmodelle: Soziale Marktwirtschaft im Zeitalter der Digitalisierung

Von Joachim von Schorlemer

IV. Freiheit, Verantwortung & Sicherheit

Eine Wohlstandsgesellschaft braucht in Zukunft mehr als Soziale Marktwirtschaft

Von Dinko Eror

Künstliche Intelligenz: Hype oder gesellschaftliche und wirtschaftliche Chance?

Von Nadine Schön

Ein neues Zusammenspiel von Staat und Wirtschaft für mehr Cybersecurity

Von Timo Kob

V. Demokratie, Chancengleichheit & Informationsfreiheit

Create Change: Gemeinsam neue Wege gehen

Von Conrad Albert

Digitalisierung: Der Schlüssel zu neuen Wohnformen

Von Jan Hase

Digitale Bildung: Der Weg zu mehr Chancengleichheit im 21. Jahrhundert

Von Arndt Kwiatkowski

Die Autorinnen und Autoren

Vorwort

Warum macht man ausgerechnet ein Buch, wenn man über das digitale Zeitalter sprechen möchte? Was genau hat die Soziale Marktwirtschaft mit Digitalisierung zu tun? Beide Fragen hängen ziemlich unmittelbar miteinander zusammen und sind gewissermaßen auch der Anstoß für den Sammelband, den Sie in Ihren Händen halten.

In einer Welt, in der es immer schneller zugeht, in der technologische Entwicklungen für wirtschaftliche Dynamik und gesellschaftliche Veränderungen sorgen, sollten nicht Ängste und Sorgen vorherrschend sein, sondern vor allem die Frage, wie dieser Wandel positiv und durch den Menschen gestaltet werden kann. Gerade weil Digitalisierung vielschichtig, schnell und komplex ist sowie auf unterschiedlichen Anwendungsfeldern verschiedene Ausprägungen hat, sind visionäre Antworten beileibe nicht schnell zu geben. Je schneller eine Entwicklung ist, umso wichtiger könnte es sein, sich Zeit zu nehmen, um kluge Gedanken für eine langfristige Vision anzustellen. Ein Buch gehört zum Überkommenen, ist mithin ein Medium, auf dessen Charakter sehr schön der Spruch gemünzt werden kann: Gut Ding will Weile haben! Deshalb ist ausgerechnet ein Buch – zu lesen mit Muße, zum Nachlesen und Studieren – genau das richtige Format, um sich mit Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten bezüglich der Digitalisierung auseinanderzusetzen.

Dabei gibt es viele Fragen zu bedenken: Wie sehen Verteilungskämpfe in einer Welt aus, in der Ressourcen im Zuge der Digitalisierung vollkommen anders verteilt werden? Wie gestaltet man Wettbewerb in einer Welt, die scheinbar nach dem »The winner takes it all«-Prinzip funktioniert? Wie sieht angemessener Schutz der Menschen vor den Gefahren der neuen technologischen Entwicklungen aus? Getragen von dem Gedanken Ludwig Erhards, dass eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung für »Wohlstand für alle« sorgen müsse, wiegen diese Fragestellungen umso schwerer. Einige wenige zweifeln gar an, dass die 70 Jahre alte Soziale Marktwirtschaft überhaupt in der Lage ist, auf diese neuartigen Probleme auf neuen Spielfeldern eine brauchbare Antwort geben kann. Zu alt, zu entrückt, aus einer anderen Zeit stammend sei die Soziale Marktwirtschaft gar nicht imstande, mit der Digitalisierung Schritt zu halten. Sie sei schlicht nicht dafür geschaffen worden, die Digitalisierung zu zähmen. Das stimmt – einerseits.

Andererseits ist die Soziale Marktwirtschaft keine Antwort auf die Digitalisierung. Das muss sie auch nicht sein. Ähnlich wie ein Buch – gut Ding will Weile haben – ist der Ordoliberalismus gereift, fußt auf Prinzipien und Handlungsmaximen, die wie ein Kompass durch die Geschichte reisen; und gerade deshalb, weil sie losgelöst von Problemlagen universell sind, versprechen sie in der Rückbesinnung die Antworten, die es heute braucht. Gerade wegen der Digitalisierung wird die Soziale Marktwirtschaft mehr denn je gebraucht.

Davon zeugen auch die verschiedenen Branchen und neuen Spielfelder, die Digitalisierung eröffnet und die wir in diesem Sammelband zusammengetragen haben. Jeder Beitrag für sich zeigt die enormen Chancen auf und gleichzeitig die Notwendigkeit für einen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Unterbau, den die Soziale Marktwirtschaft bietet. Wir danken deshalb ausdrücklich und jedem einzelnen Autor ganz persönlich für die Bereitschaft, die Bedeutung der Sozialen Marktwirtschaft auch im digitalen Zeitalter mit der jeweils eigenen Expertise und Erfahrung zu unterstreichen.

Unser Dank gilt jenen, die einen Beitrag geschrieben haben, und gleichzeitig auch den Mitgliedern unserer Bundesfachkommissionen, die sich stets mit breitem Wissensschatz in unsere Arbeit im Bereich der Digitalpolitik engagiert einbringen. Nicht zuletzt danken wir auch Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die Sie diese Beiträge studieren und auf Schlüssigkeit hin überprüfen werden. Denn nur mit Ihrer Überzeugung kann es gelingen, die Soziale Marktwirtschaft auch in ihre nächsten 70 Jahre zu führen, die wesentlich auch von Fragen der Digitalisierung geprägt sein werden.

Wolfgang Steiger

Generalsekretär

Dr. Rainer Gerding

Bundesgeschäftsführer

I. Ordnungsrahmen für Politik und Wirtschaft

»Mit der wirtschaftlichen Wendung von der Zwangswirtschaft hin zur Marktwirtschaft haben wir mehr getan, als nur eine engere wirtschaftliche Maßnahme in die Wege geleitet; wir haben damit unser gesellschaftswirtschaftliches und soziales Leben auf eine neue Grundlage und vor einen neuen Anfang gestellt. (…) Wir mussten hin zu einer Ordnung, die durch freiwillige Einordnung, durch Verantwortungsbewusstsein in einer sinnvoll organischen Weise zum Ganzen strebt. (…) Diese Freiheit bedeutet nicht Freibeutertum, und sie bedeutet nicht Verantwortungslosigkeit, sondern sie bedeutet immer verpflichtende Hingabe an das Ganze.«

(Ludwig Erhard, Rede vor dem 2. Parteikongress der CDU der britischen Zone, Recklinghausen, 28. August 1948)

Einführung: Soziale Marktwirtschaft im digitalen Zeitalter

Von Paul Kowitz

»Die Zeit drängt«, erklärte Bundeskanzlerin Merkel am 21. November 2018 in ihrer vor dem Plenum des Deutschen Bundestages gehaltenen Rede im Rahmen der Generaldebatte zum Haushalt. »Wir stehen in einem wahnsinnigen globalen Wettbewerb und wir stehen in der Herausforderung, diesen Wettbewerb so zu gestalten, dass er uns auch im siebzigsten Jahr der Sozialen Marktwirtschaft die Chance gibt, das so zu gestalten, dass der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht die Technik den Menschen beherrscht. Das ist die große Überschrift, unter der das alles stattfindet.«

Vom Wandel zur Revolution

Weil die Welt sich verändert, durch einen Wandel, dem sich auch die Bundesrepublik Deutschland nicht entziehen kann, ist es das Gebot der Politik, den Wandel anzunehmen und gewissermaßen die Zukunft gedanklich vorwegzunehmen, indem Weichen heute so gestellt werden, dass sie das Zusammenwirken von Wirtschaft und Gesellschaft unter Abwägung aller dafür notwendigen Gesichtspunkte bestimmen. Holzschnittartig mag das die Vorstellung der Bundeskanzlerin in der Generaldebatte gewesen sein. Doch das ist weder etwas Neues noch etwas Ungewöhnliches. Genau genommen erfordert jeder Wandel die Begleitung durch die Politik. Das war in der industriellen Revolution, in der die sozialen Belange deutlich stärker politisch konturiert werden mussten, mindestens genauso wie in der 68er-Revolution, in der das Zusammenleben der Gesellschaft insgesamt auf die Probe gestellt worden ist.

Der Wandel, der durch die Digitalisierung ganz spezifisch determiniert ist, fördert hingegen eine neue Herausforderung zutage. Anders als manch anderer Wandel ist die Digitalisierung getrieben aus der ökonomischen Sphäre des Technischen, charakterisiert durch eine enorm verkürzte Zeitschiene, auf der sich grundlegende technische Veränderungen abspielen, und nicht zuletzt deren unmittelbare, beinahe alle Lebensbereiche der Menschen durchschlagende Wirkung. Digitalisierung ist demnach nicht von oben verordnet, sie entsteht einfach aus zusammengesetzten technisch-fragmentierten Neuerungen und erfährt aus sich selbst heraus eine ungebremste Dynamik. Deshalb wird im Zusammenhang mit der Digitalisierung gerne von einer (vierten industriellen) Revolution gesprochen.

Grundsätzliche Herausforderungen

Insgesamt legt das neue wie alte Konfliktlinien der Menschheitsgeschichte frei: Zum einen ist die Debatte neu entflammt, ob der Politik oder doch eher der Wirtschaft (respektive Technik) das Primat des Taktgebers zukommt. Manch einer sieht die Politik atemlos hinter den technischen Fortschritten reaktiv hinterherlaufen, ohne zu wissen, was als Nächstes passiert. Manch anderer hängt der Vorstellung nach, dass erst durch den proaktiven Rahmen, den staatliche Institutionen zu setzen haben, ein Spielfeld entstünde, auf dem die Technik ihre Anwendung findet oder finden darf und damit einen Markt erhält bzw. erhalten sollte.

Zum anderen ist dem neuen, digitalen Wandel eine ethische Fragestellung inhärent, die an der Kontrollierbarkeit des Wandels anknüpft. In Zeiten der Renaissance, in der die medizinische Erforschung des Menschen durch illegale Obduktionen für Ängste sorgte, dass die Legitimation des kirchlichen Wirkens infrage gestellt sein könnte und die Staatlichkeit herausgefordert sei, war die Frage ganz zentral, inwieweit die Neuerungen durch wen auch immer zu kontrollieren seien. Auch mit der Digitalisierung verbindet sich die Frage, ob der Mensch imstande sein wird, die Geister, die er ruft, dauerhaft zu bändigen. Der Anspruch, dass der Mensch bei allen Entscheidungen im Mittelpunkt stehen müsse und sich nicht durch die Technik paradoxerweise selbst überflüssig machen dürfe, scheint aus dieser Sichtweise heraus geradezu zwingend. Das betrifft beispielsweise das Thema der Daten wie auch der Künstlichen Intelligenz.

Digitalisierung als globales Phänomen

Noch ein weiterer Aspekt ist neu und anders bei der Digitalisierung: Entgegen vielen anderen Revolutionen in der Menschheitsgeschichte ist das Digitale nichts, was punktuell geschieht und über mehr oder weniger lange Zeiträume entsprechende Ausbreitung über den Globus findet. Vielmehr ist Digitalisierung etwas, was global gleichzeitig stattfindet, in verschiedenen Formen, auf verschiedenen Anwendungsfeldern in jeweils anderen Ausprägungen, aber doch in faszinierender Weise immer kompatibel zueinander.

Das Internet als Produkt des US-amerikanischen Militärs und die ohnehin hohe technische Affinität der Amerikaner erweckt ein ums andere Mal den Eindruck, als seien die USA das Mutterland der Digitalisierung. Zweifelsohne ist das Silicon Valley eine globale Marke der Startup-Ökonomie und fünf der zehn Unternehmen mit der weltweit höchsten Marktkapitalisierung sind US-amerikanische Tech-Firmen, die es ohne Digitalisierung nicht geben würde. Die Plattform-Ökonomie ist bis auf wenige Ausnahmen, zum Beispiel aus dem chinesischen Raum, fest in der Hand der Amerikaner, Spitzenforschung zur Digitalisierung findet in den USA statt und digitale Lösungen werden kaum irgendwo so konsequent in Militärtechnik verbaut wie jenseits des Atlantiks. Doch diese Betrachtung allein würde einerseits die globale Dynamik ausblenden und andererseits verkennen, dass Digitalisierung viele Dimensionen aufweist und sich beispielsweise nicht allein an der Tech-Führerschaft in der Plattform-Ökonomie entscheidet.

Lange bevor eine deutsche Öffentlichkeit überhaupt eine Ahnung davon hatte, was Industrie 4.0 und Robotics sein könnte, waren die Japaner weit vorne, computergestützte Assistenzsysteme in der Industrie einzusetzen. Doch die Welt ist so dynamisch, dass selbst die Japaner nicht mehr die Führerschaft bei Robotern für sich beanspruchen können. Mit 631 Robotern auf 10.000 Menschen verfügt Korea über die höchste Roboterdichte, gefolgt von Singapur (488) und Deutschland (309).1

Auf der Suche nach dem Land, das führend im Bereich der Künstlichen Intelligenz ist, bieten sich neben den USA auch viele weitere Märkte an, je nachdem, welchen Maßstab man anlegen möchte. Mit 7,3 Mrd. Euro in 2017 fanden die größten Investitionen in KI-Startups in China statt, sicher auch begünstigt dadurch, dass selbstlernende Systeme eine Unmenge an Trainingsdaten benötigen, die sie aufgrund des nicht existenten Datenschutzes in der Volksrepublik und der schieren Bevölkerungszahl wie Sand am Meer finden. In keinem anderen Land hingegen ist länger an KI geforscht worden als in Deutschland.

Ein anderes Beispiel ist die Cybersicherheit: Die enge Verzahnung von Gesellschaft und Militär, aber auch von Wirtschaft und Militär hat in Israel ein geradezu einzigartiges Startup-Ökosystem im Bereich der Cybersicherheit entstehen lassen. Ein Land, das sich in ständiger Alarmbereitschaft befindet, tut sich leichter, ein Verständnis für die Gefahrenabwehr zu entwickeln. Heute ist Israel ein 83-Mrd.-Dollar-Markt für IT-Sicherheitslösungen, beheimatet mehr als 300 Cyberabwehr-Startups und exportiert Cybersecurity-­Produkte im Wert von 6,5 Mrd. US-Dollar jedes Jahr.2

Digitalisierung findet also überall auf der Welt statt. Besonders faszinierend ist die Digitalisierung dort, wo sie nicht nur Anwendungsfelder findet, sondern tradierte Systeme global herausfordert. Afrika gilt zwar einerseits als ärmster Kontinent, verfügt aber andererseits über eine Mobilfunkdichte von 80 Prozent. Der Grund liegt unter Berücksichtigung der Digitalisierung beinahe auf der Hand: Eine Reihe afrikanischer Staaten wie der Kongo, der Sudan oder Nigeria überspringen mittels der Mobilfunktechnologie schlicht das Zeitalter des analogen Finanzsystems. In 2015 wurden mehr als die Hälfte der 40 Mrd. US-Dollar, die über Gastarbeiter im Ausland nach Schwarzafrika überwiesen worden sind, per Mobiltelefon transferiert. Alec Ross, einer der weltweit versiertesten Tech-Experten und früherer Senior Advisor von Hillary Clinton, begründet das wie folgt: »Die Digitalisierung des Geldes hat den Finanzdienstleistungssektor grundlegend verändert – und das weltweit innerhalb nicht einmal einer Generation. Digitalisiertes Geld ist nicht nur effektiv, weitere große Vorteile sind der Vertrauenszuwachs und die abnehmende Korruption.«3

Vertrauen ist das Stichwort. Addiert man zur Digitalisierung des Geldes nun auch noch eine in weiten Teilen der Welt stark vorangetriebene Blockchain-Technologie hinzu, wird sich absehbar die Frage stellen, ob es überhaupt noch eine Finanzdienstleistungsindustrie braucht und ob oder wie der Geldfluss zu regulieren ist.

Transformation statt Change

Die Finanzindustrie ist nur beispielgebend für eine Branche, die sich Veränderungen gegenübersieht, deren Ausprägungen allenfalls aber im Bereich der Ahnung liegen. Warum? Auch das macht Digitalisierung in besonderer Weise schwer abschätzbar. Denn Digitalisierung ist qua Wortstamm ein Prozess – und zwar ein nicht abschließender Prozess. Dieser Prozess hat transformierenden Charakter, wie an vielen Stellen bereits beschrieben: Die Art des Wirtschaftens transformiert sich, der Arbeitsmarkt verändert sich, genauso wie sich Unternehmen und Organisationen unter dem Eindruck der Digitalisierung anpassen. Wer es nicht tut, wird zu den Verlierern des neuen Zeitalters gehören.

Sich diesen Veränderungen anzunehmen und sich darauf einzustellen, steht deshalb unter besonderen Vorzeichen, weil das Ende dieses Prozesses aus heutiger Sicht vollkommen unklar ist. Das unterscheidet digitale Transformation von einem Change-Prozess: Das Ende, das Ergebnis eines Change-Prozesses ist im Vorfeld mindestens bekannt, wenn nicht gar bestimmt worden. Alle dafür notwendigen Strategien und Handlungen können folglich auf die Erreichung hin ausgerichtet werden. In einer Phase der Transformation, bei der das Ende nicht feststehend und bekannt ist, lässt sich eine solche Strategie, die auf die Transformation einzahlt, nur schwerlich bestimmen. Wohin die Digitalisierung im Einzelnen führt, wie umfassend sich unser Leben, unser Wirtschaften, das Zusammenspiel von Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Verwaltung verändert, lässt sich höchstens mit mehr oder weniger gut begründeten Annahmen prognostizieren – nicht mehr und nicht weniger.

Das stellt in Summe vollkommen neue Anforderungen an das staatliche Wirken. Denn ein unbestimmter und extrem schneller Prozess droht den Staat zu einer reaktiven Instanz werden zu lassen, die stetig nachsteuern muss und gesetzgeberisch Anpassungen vornimmt. Dem Staat wird Agilität abverlangt, stetig neues Lernen und nicht zuletzt Handlungsfähigkeit in einem sich ständig verändernden Umfeld. Nicht wenige stellen die Frage, ob der Staat dafür überhaupt gemacht ist. Kann er das?

Digitalisierung und Soziale Marktwirtschaft

Es ist offenkundig, dass sich technische Neuerungen auf Märkten abspielen, die in ein Gesellschafts- und Wirtschaftssystem eingebettet sind. Diese Systeme funktionieren zum Teil jeweils unter vollkommen unterschiedlichen regelbasierten Annahmen. Unbestritten ist, dass die Volksrepublik China in einem anderen politischen, rechtlichen, sozioökonomischen wie sozialethischen Rahmen agiert als die unmittelbaren Nachbarstaaten Südkorea oder Japan. Selbst in der westlichen Hemisphäre gibt es Antipoden des wirtschaftlichen Systems, wenn man etwa liberale angelsächsische Systeme in ihrem Wohlfahrtswesen, dem Arbeitsmarkt und der Regulierungsdichte vergleicht mit denen nordeuropäischer Staaten.

Die Soziale Marktwirtschaft ist in diesem globalen Umfeld so einzigartig wie erfolgreich und gewissermaßen der deutsche Weg für eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Ludwig Erhard, als einer der geistigen Väter der Sozialen Marktwirtschaft, verband mit ihr das Versprechen »Wohlstand für alle«. Die reine liberale Marktwirtschaft auf der einen und den Sozialismus auf der anderen Seite hielten die professoralen Vordenker Alfred Müller-­Armack und ­Walter Eucken für verbraucht. Grundlegend schien ihnen stattdessen die wirtschaftliche Freiheit, basierend auf einem marktwirtschaftlichen Fundament mit freien Preisen, Wettbewerb, Eigentumsrechten und entsprechenden Haftungsregeln. Eingerahmt sein möge diese Freiheit durch den staatlich induzierten sozialen Ausgleich, der Sorge tragen muss für Chancengleichheit und eine würdige Existenz durch Umverteilung. Zugleich soll der Staat die Leitplanken setzen, die einen fairen Wettbewerb möglich machen.

In dieser Weise tritt der Staat nicht als aktiver Mitspieler auf, der Eigentum verteilt, Preise bestimmt und Verträge zwischen Marktteilnehmern schließt. Vielmehr tritt der Staat als Schiedsrichter auf, der die Einhaltung der wesentlichen Charakteristika der Sozialen Marktwirtschaft zwischen den Marktteilnehmern überwacht und nur dann eingreift, wenn sein Wirken auf die Bewahrung dieser Charakteristika wie Eigentumssicherung, Wettbewerbserhaltung oder Stärkung der Chancengleichheit hinreichend notwendig geworden ist.

Im späteren Verlauf hat insbesondere die Freiburger Schule den Ordoliberalismus insoweit akzentuiert, als die Stärkung der Eigenverantwortung und die Förderung bis Anreizung der individuellen Leistungsbereitschaft ein Kernziel einer ordnenden Politik sein sollte. Andernfalls drohe die Gefahr, dass der überbordende Wohlfahrtsstaat zu einem Erlahmen von Wachstum und Innovation beitrage. In besonderer Weise gilt es deshalb in der Sozialen Marktwirtschaft, Monopole zu vermeiden und den Wettbewerb jederzeit zu stärken. Nur aus dem Wettbewerb heraus erwachse Effizienz, Innovation und Leistungsbereitschaft.

Unter heutigen Gesichtspunkten ließe sich das theoretische Konstrukt plötzlich hinterfragen: Mit Blick auf eine Suchmaschine (Google), ein digitales Poesie-Album (Facebook) oder ein digitales Gesamtwarenhaus (Amazon) verfügen weder Deutschland noch Europa über geeignete Unternehmen oder Ansätze, dieser digitalen Hegemonie entgegenzutreten. Wie ist es folglich mit der Monopolkontrolle in der Plattform-Ökonomie bestellt? Hat die Soziale Marktwirtschaft heutiger Prägung überhaupt eine Chance für den Fortbestand?

Update für die Soziale Marktwirtschaft?

Eines ist die Soziale Marktwirtschaft mit Sicherheit nicht: Sie ist keine unmittelbare Antwort auf die Digitalisierung. Das wiederum fordert sie heraus, weil sie Antworten auf die Folgen einer Entwicklung geben muss, die nicht ansatzweise denkbar waren, als sie entwickelt worden ist.

Damit das Versprechen Ludwig Erhards »Wohlstand für alle« gleichwohl auch im Zuge der Digitalisierung eingelöst werden kann, wird vielfach eine Anpassung der Sozialen Marktwirtschaft eingefordert. Auf einem Kongress im Juni 2018 fragt die amtierende CDU-Generalsekretärin ins Publikum: »Wie müssen wir die Soziale Marktwirtschaft an das 21. Jahrhundert anpassen, um das Vertrauen in unser System wieder zu stärken?« Unverkennbar war mit der Frage ein Lob auf die Soziale Marktwirtschaft verbunden und mit dem 21. Jahrhundert die Digitalisierung und ihre Folgen gemeint. Doch ist es an der Zeit, gerade wenn man die Soziale Marktwirtschaft für ein Erfolgsmodell hält, Anpassungen an ihr einzufordern?

Charakteristika der Sozialen Marktwirtschaft wie Leistung, Eigenverantwortung, Wettbewerb und Chancengleichheit sind als Grundprinzipien einer Werte- und Wirtschaftsordnung so zeitlos wie richtig – und in Summe evident erfolgreich. Wettbewerb – um ein Charakteristikum wahllos herauszugreifen – lässt sich als solcher wohl kaum in einer wie auch immer gearteten Form anpassen. Ein bisschen mehr oder ein bisschen weniger Wettbewerb ist genauso schlecht messbar wie ein bisschen richtig oder ein bisschen falsch.

Und dennoch muss die Frage erlaubt sein, wie gut die Soziale Marktwirtschaft auf die rasanten Veränderungen, die tief greifenden Umwälzungen als Folge der Digitalisierung, vorbereitet ist. Wird die Soziale Marktwirtschaft auch in den nächsten 70 Jahren so erfolgreich sein können wie in den zurückliegenden? Kann sie gewissermaßen als Insellösung der Wirtschaftssysteme in Deutschland in dem beschriebenen weltweiten Wettbewerb überhaupt bestehen? Einiges spricht dafür.

Erstens: Als die Soziale Marktwirtschaft mit Freigabe der Preise 1948 in Deutschland zur praktischen Anwendung gekommen ist, waren viele Fixpunkte, die uns heute selbstverständlich sind, noch nicht gegeben. Diese Fixpunkte verlangten jeweils nach einer politisch-staatlichen Begleitung. Man nehme das Feld der Außenpolitik: Beispielsweise war die Bundeswehr noch nicht gegründet, geschweige denn zugelassen. Deutschland war kein NATO-Mitglied, nicht Mitglied der Vereinten Nationen, und die Europäische Gemeinschaft noch nicht einmal richtig im Entstehen. Diese außenpolitischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte verlangten nach einer politischen Gestaltung ausgehend von den Werten und Zielen der Sozialen Marktwirtschaft, ohne dass der Ordoliberalismus zwingend für diese spezifischen Fragestellungen entwickelt worden ist. Genauso wenig wurde der ordnende Liberalismus für die Problemstellungen der Digitalisierung entworfen und wird doch Antworten basierend auf einem feststehenden Wertegerüst finden.

Zweitens: Die Soziale Marktwirtschaft wird getragen von dem Gedanken, dass der Staat einen Rahmen setzt, innerhalb dessen sich Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft verständigen und innerhalb dessen sie regelbasiert agieren. Zur Erfüllung dieses Anspruchs wird so viel Staat gebraucht wie nötig, um den Rahmen zu setzen, aber so wenig Staat wie möglich, um die Freiheit der Marktakteure zu erhalten. Auf der nächst höheren Abstraktionsebene ist die Soziale Marktwirtschaft folglich selbst ein Ordnungsrahmen. Es dürfte daher plausibel sein, wenn man nicht den Ordnungsrahmen, also die Soziale Marktwirtschaft, an die Veränderungen der Zeit anpasste, sondern vielmehr die Instrumente, die sich unterhalb der Sozialen Marktwirtschaft etabliert haben. Dass dies keine abstrakte Vorstellung ist, sondern vielfach praxisnah umzusetzen ist, lässt sich anhand eines konkreten Beispiels veranschaulichen.

Beispiel: Datensouveränität zur Stärkung der Eigenverantwortung

Wenn Produkte nutzergeeignet verbessert, Wartungen von Flugzeugen kostengünstiger und schneller realisiert oder Systeme in die Lage versetzt werden sollen, sich selbst zu verbessern, fallen entweder Daten an oder müssen erhoben werden. Dem Moore’schen Gesetz folgend verdoppelt sich alle zwei Jahre die Anzahl der Transistoren, was der Speicherung von immer mehr Daten Vorschub leistet. Sprechen wir heute noch vom Wunsch eines Gigabit-Zeitalters, wird in Kürze allein ein autonom fahrendes Fahrzeug pro Tag 40.000 Petabytes an Daten sammeln. Damit einher geht nicht nur die Frage, wem diese Daten gehören, sondern auch eine regelbasierte Steuerung der Daten­erhebung, -speicherung und -löschung. Mit anderen Worten: Vielen Menschen ist die Datenflut nicht geheuer und führt dazu, dass ein vom Staat kontrollierter Datenschutz gewährleistet werden muss.

So legitim der Anspruch auf Datenschutz sein mag, so wenig kompatibel ist er mit dem rechtlichen und technischen Verständnis der Bevölkerung in Bezug auf Digitalisierung. Der Terminus Datenschutz leitet schon deshalb in die Irre, weil Daten nicht das Grundbedürfnis nach Schutz einfordern. Vielmehr geht es um das berechtigte Anliegen, Verbraucherschutz zu betreiben. Das ist keine simple Dialektik, sondern knüpft an die Diskrepanz an, die es zwischen dem neuen Phänomen der Daten und der alten, nach wie vor mit Bedeutung behafteten Staatsaufgabe gibt, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Doch wie kann die Soziale Marktwirtschaft hier Antworten bieten?

Unser, in manchen Teilen sogar häufig deutsches, Problem ist das mangelnde Verständnis von der neuen Welt. Solange wir Daten immer noch als Rohstoff bezeichnen, bringen wir stets unsere Unkenntnis zum Ausdruck. Daten sind vielleicht Treibstoff, aber kein Rohstoff. Daten sind duplizierbar, replizierbar und werden damit nicht auf natürliche Weise knapper, wie es bei Rohstoffen der Fall ist. Ebenfalls anders als Rohstoffe gehören Daten niemandem. Das mag ketzerisch klingen, ist aber rechtlich wie technisch gut begründbar. Sowohl in der bundesrepublikanischen wie auch europäischen Rechtsprechung ist das deutlich geworden. Nicht einmal das personenbezogene Datum gehört einer Person exklusiv, weil es nicht per se abgegrenzt werden kann. Das ist offensichtlich bei der Haarfarbe anders als beim Geburtsort. Genau genommen ist jedes Datum für sich genommen auch ziemlich unbedeutend. In der digitalen Welt ist letztlich nur Big Data von Wert, die große Wolke aus heterogenem Datenmaterial, die es auszuwerten lohnt, wodurch wiederum das einzelne personenbezogene Datum erheblich in den Hintergrund rückt.

Das als solches entbindet jedoch weder davon, für einen ausreichenden Schutz der Anliegen von Menschen zu sorgen, noch macht es ein geordnetes Datenrecht obsolet. Datenschutz jedoch neigt zu Verboten und staatlichen Eingriffen, die zu einer Reduzierung von Daten beitragen soll. Bevor etwas schiefgeht, sorgt Datenschutz lieber dafür, dass so wenig Daten wie möglich gewonnen werden. Dieses Prinzip der Datensparsamkeit könnte man betreiben, wenn Digitalisierung wie jeder andere Wandel nur punktuell statt global gleichzeitig stattfinden würde. So jedoch steht die ganze Welt in einem Wettbewerb zueinander.

Kaum etwas wäre also falscher an einer Digitalpolitik als der Grundsatz der Datensparsamkeit. Der Wert eines Datums lässt sich schließlich auch nicht bemessen, indem man etwa – wie manche vorgeschlagen haben – die Marktkapitalisierung von Facebook ins Verhältnis setzt zur Anzahl seiner Nutzerdatensätze. Der Wert eines Datums bemisst sich vielmehr – abhängig von der jeweiligen Verwendung – am Wert der Information, zum Beispiel im Rahmen von Big-Data-Analysen, KI-Anwendungen oder Produktplatzierungen. Unterstellt, dass der Datenwert vom Informationsgehalt abhängt, bedeutet Sparsamkeit nichts anderes als Informationsminimierung.

Die Soziale Marktwirtschaft bietet stattdessen die Eigenverantwortung als Antwort auf Datenschutz an. Den Menschen geht es vor allem darum, transparent erkennen zu können, wo Daten erhoben und gewonnen werden, wohin sie gelangen, was mit diesen geschieht, und sie wollen gewissermaßen sicherstellen, die Kontrolle über diesen Prozess zu erhalten. Solange eine überdeutliche Mehrheit der Menschen ohne Weiteres in eigener Verantwortung bereit ist, Daten freiwillig und kostenfrei zur Verfügung zu stellen (zum Beispiel bei Facebook), kann unterstellt werden, dass es keine grundsätzliche Ablehnung von Daten gibt. Ein Paket zu bestellen, erfordert die Angabe der eigenen Adresse. Die Sinnhaftigkeit, dieses Datum für den Zweck des Paketversands zur Verfügung zu stellen, ist nachvollziehbar. Transparent bleiben muss, ob mit dem Datum über den eigentlichen Zweck hinausgehend noch etwas Zusätzliches passiert.