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Die meisten von Gewalt betroffenen Frauen verfügen wider Erwarten über vielfältige soziale Unterstützungsmöglichkeiten. Doch wirken sich diese nicht unbedingt nur positiv auf die Gesundheit der Betroffenen aus. In Abhängigkeit von individuellen Bedürfnissen können unpassende oder schlecht abgestimmte Arten sozialer Unterstützung sogar negative Folgen haben. Juliane Wahren untersucht, unter welchen Bedingungen welche Arten sozialer Unterstützung angebracht und hilfreich sind. Dabei zeigt sie auch eine Vielzahl von eigenen und sozialen Ressourcen auf, über die viele der gewaltbetroffenen Frauen selbst verfügen. Das heißt keineswegs, dass professionelle soziale Unterstützung prinzipiell nicht nötig ist. Eine den Bedürfnissen entsprechende – formelle wie auch informelle – soziale Unterstützung spielt eine bedeutende Rolle für Gesundheitswiederherstellung, -erhalt und erfolgreiche Lebensbewältigung trotz bestehender Stressoren.
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Seitenzahl: 689
Juliane Wahren
Soziale Unterstützung für gewaltbetroffene Frauen
Juliane Wahren
Soziale Unterstützung für gewaltbetroffene Frauen
Neue Wege der Gesundheitsförderung
Tectum Verlag
Juliane Wahren
Soziale Unterstützung für gewaltbetroffene Frauen. Neue Wege der Gesundheitsförderung
© Tectum Verlag Marburg, 2016
Zugl. Diss. Technische Universität Dresden 2014
ISBN: 978-3-8288-6535-8(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter der ISBN 978-3-8288-3779-9 im Tectum Verlag erschienen.)
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Bibliografische Informationen der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Dank
Mein besonderer Dank gilt allen Interviewpartnerinnen, die mir in einer für sie schwierigen Lebenssituation ihr Vertrauen und ihre Zeit geschenkt haben und durch deren Offenheit diese Arbeit erst möglich wurde.
Darüber hinaus bedanke ich mich bei meinen beiden Betreuern ganz herzlich. Prof. Dr. Frank Nestmann danke sehr ich für die Annahme dieses komplexen Themas als Dissertation und für die gute und engagierte Betreuung und Beratung während des Entstehungsprozesses. Prof. Dr. Ortmann motivierte mich einst zum Beginn dieses Projektes. Auch während der Entwicklung der Dissertation von der Idee bis hin zur fertigen Arbeit habe ich ihn stets als unterstützenden Betreuer und Berater wahrgenommen. Auch ihm danke ich sehr für die Anregungen und Anmerkungen, kritischen Nachfragen und konstruktiven Rückmeldungen.
Ein ganz besonders herzliches Dankeschön geht auch an die Mitarbeiterinnen des offensiv’91 e. V., insbesondere an die Geschäftsführung und die Kolleginnen im Projekt Frauenzufluchtswohnung, die dieser Arbeit stets aufgeschlossen gegenüberstanden, mir den notwendigen Freiraum dafür einräumten und großen Rückhalt boten.
Darüber hinaus bedanke ich mich sehr bei Anne und Martin für kritisches Korrektur lesen, bei Anne für die Hilfe bei der Transkription und bei allen KommilitonInnen für die hilfreichen Anmerkungen und Diskussionen im Promotionskolleg und im Forschungskolleg Klinische Sozialarbeit. Die finanzielle Unterstützung durch das Promotionsstipendium der KHSB trug einen wesentlichen Anteil zur Verwirklichung dieses Projektes bei. Auch dafür bin ich sehr dankbar.
Ein herzlicher Dank geht auch an alle FreundInnen und Verwandten, die mir während der Erstellung der Arbeit emotional und motivational unterstützend zur Seite standen. Hauptsächlich seien hier Katharina, Martin, René, Anne, Jana, Iris, Katja, Mathias, Gabi, Carina, Mark, Tino und Hildegard erwähnt, die meine Launen während der sechs Jahre geduldig ertrugen und durch interessierte Nachfragen das Voranschreiten der Arbeit förderten bzw. die notwendigen Erholungsphasen anmahnten.
Schließlich geht der größte Dank an meine Eltern und meinen Bruder, die immer ein offenes Ohr für mich hatten und mich vorbehaltlos auf vielfältige Art unterstützten. Insbesondere ohne deren emotionalen Rückhalt wäre die Erstellung dieser Dissertation mit allen Höhen und Tiefen, die die Arbeit und die Lebensumstände während dieser Zeit mit sich brachten, wesentlich erschwert gewesen.
Leider kann Margot, die stets sehr über meine Zielstrebigkeit erfreut war und immer an mich glaubte, den Abschluss dieser Qualifizierungsphase nicht mehr miterleben.
Ihr widme ich diese Arbeit.
Berlin, 2014
Juliane Wahren
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Einleitung
ITheoretische Grundlagen
1(Häusliche) Gewalt
1.1Arten häuslicher Gewalt
1.1.1Physische Gewalt
1.1.2Psychische Gewalt
1.1.3Emotionale Gewalt
1.1.4Soziale Gewalt
1.1.5Sexuelle Gewalt
1.1.6Ökonomische Gewalt
1.2Dynamiken häuslicher Gewalt
1.2.1Theorie der erlernten Hilflosigkeit
1.2.2Stockholm-Syndrom mit Phasen der Viktimisierung
1.2.3Zyklustheorie der Gewalt
1.2.4Die vier Muster der Gewaltdynamik
1.3Vorkommen und Häufigkeit häuslicher Gewalt
Exkurs: Gewalt gegen Männer
1.4Personen mit erhöhter Vulnerabilität und risikoreichen Lebenssituationen
1.4.1Prostituierte
1.4.2Inhaftierte Frauen
1.4.3Flüchtlingsfrauen
1.4.4Migrantinnen
1.4.5Frauen mit Behinderungen
1.5Erklärungsansätze für die Entstehung häuslicher Gewalt
1.5.1Multivalente Ansätze
1.5.1.1Systemtheoretische Ansätze
1.5.1.2Ökologische Ansätze
1.6Folgen häuslicher Gewalt
1.6.1Gesundheitliche Folgen
1.6.1.1Physische Auswirkungen
1.6.1.2Psychosomatische Auswirkungen
1.6.1.3Psychische Auswirkungen
1.6.2Riskante Bewältigungsstrategien
1.6.3Soziale Auswirkungen
1.6.4Finanzielle Auswirkungen
1.7„Protektive“ Faktoren
1.8Frauenzufluchtswohnungen
2Social Support – Soziale Unterstützung
2.1Frühe Ansätze der Konzeptionierung Sozialer Unterstützung
2.2Begriffsbestimmung Social Support
2.3Supportdimensionen
2.4Haupt- und Puffereffekte Sozialer Unterstützung
2.4.1Haupteffekte Sozialer Unterstützung
2.4.2Puffereffekte Sozialer Unterstützung
2.4.3Modell der Effekte Sozialer Unterstützung
2.4.4Neuere theoretische Annahmen
2.4.4.1Soziale Unterstützung als abhängige Variable
2.4.4.2Soziale Unterstützung als Austauschbeziehung
2.4.4.3Passformmodelle
2.4.4.4Bio-psycho-soziales Erklärungsmodell
2.5Quellen Sozialer Unterstützung
2.5.1Informelle UnterstützerInnen
2.5.1.1Ehe- und Partnerbeziehungen
2.5.1.2Familie und Verwandtschaft
2.5.1.3Kinder
2.5.1.4Freundschaft und Bekanntschaft
2.5.1.5Nachbarschaft
2.5.2Formelle UnterstützerInnen
2.6Barrieren für den Erhalt Sozialer Unterstützung
2.6.1Kontextfaktoren
2.6.1.1Räumliche Trennung
2.6.1.2Begrenzte Ressourcen
2.6.1.3Dysfunktionale Einstellungen und Verhaltensweisen anderer Personen
2.6.2Personfaktoren
2.6.2.1Rückzug
2.6.2.2Ausbeuterisches Verhalten
2.6.2.3Versäumte Reziprozität
2.6.2.4Beeinträchtigung anderer
2.6.2.5Soziale Ungeschicklichkeit
2.7Belastende Effekte Sozialer Unterstützung
2.7.1Belastungen für EmpfängerInnen Sozialer Unterstützung
2.7.1.1Belastende Aspekte „normaler“ Unterstützung
2.7.1.2Inadäquate oder fehlgeschlagene Unterstützung
2.7.1.3Enttäuschte Unterstützungserwartungen
2.7.1.4Exzessive Hilfe
2.7.1.5Problematische Beziehungen zwischen UnterstützerInnen und Unterstütztem/-er
2.7.1.6Belastungsbedingte Ineffektivität
2.7.2Belastungen für UnterstützerInnen
2.8Frauen und Soziale Unterstützung
2.9Soziale Unterstützung, Gesundheit und Krankheit
3Soziale Unterstützung, Gesundheit und häusliche Gewalt
3.1Soziale Unterstützung bei von Gewalt betroffenen Frauen
3.1.1Effekte Sozialer Unterstützung bei von Gewalt betroffenen Frauen
3.1.2Probleme mit Sozialer Unterstützung bei von Gewalt betroffenen Frauen
3.2Gesundheitsfördernde Aspekte Sozialer Unterstützung bei von Gewalt betroffenen Frauen
3.3Zusammenhänge zwischen Sozialer Unterstützung und Gesundheit bei von Gewalt betroffenen Frauen
IIEmpirische Untersuchung
4Fragestellung und methodisches Vorgehen
4.1Thematische und methodologische Vorüberlegungen/Entwicklung der Fragestellung
4.2Untersuchungsaufbau/Design
4.3Stichprobenzugang und Stichprobe
4.4Datenerhebung
4.4.1Problemzentrierte Leitfadeninterviews
4.4.1.1Allgemeines
4.4.1.2Erhebung/Setting/Ablauf
4.4.1.3Interviewleitfaden
4.4.1.4Datenauswertung
4.4.2Soziale Atome
4.4.2.1Allgemeines
4.4.2.2Erhebung/Setting/Ablauf
4.4.2.3Datenauswertung
4.4.3Fragebögen F-SozU und GBB-24
4.4.3.1Allgemeines
4.4.3.2Erhebung/Setting/Ablauf
4.4.3.3Datenauswertung
4.5Validierungsstrategien
IIIErgebnisse
5Ergebnisse der Erhebung
6Kurzbeschreibung der Interviewpartnerinnen nach Gruppen
6.1Primär familiär unterstützte Frauen
6.2Primär freundschaftlich unterstützte Frauen
6.3Primär professionell unterstützte Frauen
III/IBefragungszeitpunkt I
7Gesundheit
7.1Befinden
7.1.1Gesundheitliche Beschwerden
7.1.2Was ist wichtig für das Wohlbefinden?
7.1.2.1In der eigenen Person begründete Ursachen
7.1.2.2In anderen Personen begründete Ursachen
7.1.2.3In den Lebensumständen/Umgebungsfaktoren begründete Ursachen
7.1.3Wie kann Wohlbefinden gefördert werden?
7.1.3.1Förderung des Wohlbefindens durch die eigene Person
7.1.3.2Förderung des Wohlbefindens durch andere Personen
7.1.3.3Förderung des Wohlbefindens durch die Lebensumstände/ Umgebungsfaktoren
7.1.4Welchen Belastungen sind die Frauen ausgesetzt?
7.1.4.1Belastungen durch die eigene Person
7.1.4.2Belastungen durch andere Personen
7.1.4.3Belastungen durch die Lebensumstände/Umgebungsfaktoren
7.1.5Was schränkt das Wohlbefinden ein?
7.1.5.1In der eigenen Person begründete Ursachen
7.1.5.2In anderen Personen begründete Ursachen
7.1.5.3In den Lebensumständen/Umgebungsfaktoren begründete Ursachen
7.2Auswirkungen der Gewalterfahrungen auf die gesundheitliche Situation
7.3Verarbeitung der Gewalterfahrungen
Zusammenfassung: Gesundheitliche Situation bei Einzug in die Frauenzufluchtswohnung
Zusammenfassung: Gesundheitsfördernde Bedingungen bei Einzug in die Frauenzufluchtswohnung
Zusammenfassung: Gesundheitseinschränkende Bedingungen bei Einzug in die Frauenzufluchtswohnung
8Soziale Unterstützung
8.1UnterstützerInnen
8.1.1Wahrgenommene Soziale Unterstützung
8.1.2Verfügbarkeit einer Vertrauensperson
8.1.3Reziprozität Sozialer Unterstützung
8.2Zufriedenheit mit der erhaltenen Sozialen Unterstützung
8.3Geschlechterverteilung der Unterstützungsgebenden
8.4Größe des Unterstützungsnetzwerkes
8.5Unterstützungsangebote
Zusammenfassung: Soziale Unterstützung bei Einzug in die Frauenzufluchtswohnung
8.6Informelle Soziale Unterstützung
8.6.1ErbringerInnen informeller Sozialer Unterstützung
8.6.2Geleistete Unterstützungsarten informeller Sozialer UnterstützerInnen
8.6.2.1Emotionale Soziale Unterstützung
8.6.2.2Instrumentelle Soziale Unterstützung
8.6.2.3Informatorische Soziale Unterstützung
8.6.2.4Rückmeldende Soziale Unterstützung
8.6.2.5Gemeinsame Aktionen/Soziale Integration
8.6.2.6Motivationale Soziale Unterstützung
8.6.3Bedeutung informeller Sozialer Unterstützung
8.6.4Auswirkungen informeller Sozialer Unterstützung
8.6.5Wünsche an informelle Soziale UnterstützerInnen
Zusammenfassung: Informelle Soziale Unterstützung bei Einzug in die Frauenzufluchtswohnung
8.7Formelle Soziale Unterstützung
8.7.1ErbringerInnen formeller Sozialer Unterstützung
8.7.2Geleistete Unterstützungsarten formeller Sozialer UnterstützerInnen
8.7.2.1Emotionale Soziale Unterstützung
8.7.2.2Instrumentelle Soziale Unterstützung
8.7.2.3Informatorische Soziale Unterstützung
8.7.2.4Rückmeldende Soziale Unterstützung
8.7.2.5Beteiligung/Einbezug
8.7.3Bedeutung formeller Sozialer Unterstützung
8.7.4Auswirkungen formeller Sozialer Unterstützung
8.7.5Wünsche an formelle Soziale Unterstützung
Zusammenfassung: Formelle Soziale Unterstützung bei Einzug in die Frauenzufluchtswohnung
8.8Barrieren für den Erhalt Sozialer Unterstützung
8.8.1Eigene Unterstützungsbarrieren
8.8.2Unterstützungsbarrieren anderer Personen
8.8.3Unterstützungsbarrieren in der Umgebung
8.9Negative Aspekte Sozialer Unterstützung
8.9.1Belastung durch Soziale Unterstützung
8.9.2Soziale Belastung
Zusammenfassung: Unterstützungsbarrieren – negative Aspekte Sozialer Unterstützung bei Einzug in die Frauenzufluchtswohnung
9Soziale Unterstützung und Gesundheit
9.1Zusammenhang zwischen Sozialer Unterstützung und Gesundheit
9.2Auswirkungen Sozialer Unterstützung auf die Gesundheit
Zusammenfassung: Soziale Unterstützung und Gesundheit bei Einzug in die Frauenzufluchtswohnung
III/IIBefragungszeitpunkt II
10Ergebnisse der Erhebung
11Gesundheit
11.1Befinden
11.1.1Was ist wichtig für das Wohlbefinden?
11.1.1.1In der eigenen Person begründete Ursachen
11.1.1.2In anderen Personen begründete Ursachen
11.1.1.3In den Lebensumständen/Umgebungsfaktoren begründete Ursachen
11.1.2Wie kann Wohlbefinden gefördert werden?
11.1.2.1Förderung des Wohlbefindens durch die eigene Person
11.1.2.2Förderung des Wohlbefindens durch andere Personen
11.1.2.3Förderung des Wohlbefindens durch die Lebensumstände/ Umgebungsfaktoren
11.1.3Welchen Belastungen sind die Frauen ausgesetzt?
11.1.3.1Belastungen durch die eigene Person
11.1.3.2Belastungen durch andere Personen
11.1.3.3Belastungen durch die Lebensumstände/Umgebungsfaktoren
11.1.4Was schränkt das Wohlbefinden ein?
11.1.4.1In der eigenen Person begründete Ursachen
11.1.4.2In anderen Personen begründete Ursachen
11.1.4.3In den Lebensumständen/Umgebungsfaktoren begründete Ursachen
11.2Auswirkungen der Gewalterfahrungen auf die gesundheitliche Situation
11.3Verarbeitung der Gewalterfahrungen
Zusammenfassung: Gesundheitliche Situation bei Auszug aus der Frauenzufluchtswohnung
Zusammenfassung: Gesundheitsfördernde Bedingungen bei Auszug aus der Frauenzufluchtswohnung
Zusammenfassung: Gesundheitseinschränkende Bedingungen bei Auszug aus der Frauenzufluchtswohnung
12Soziale Unterstützung
12.1UnterstützerInnen
12.1.1Wahrgenommene Soziale Unterstützung
12.1.2Verfügbarkeit einer Vertrauensperson
12.1.3Reziprozität Sozialer Unterstützung
12.2Zufriedenheit mit der erhaltenen Sozialen Unterstützung
12.3Geschlechterverteilung der Unterstützungsgebenden
12.4Größe des Unterstützungsnetzwerkes
12.5Unterstützungsangebote
Zusammenfassung: Soziale Unterstützung bei Auszug aus der Frauenzufluchtswohnung
12.6Informelle Soziale Unterstützung
12.6.1ErbringerInnen informeller Sozialer Unterstützung
12.6.2Geleistete Unterstützungsarten informeller Sozialer UnterstützerInnen
12.6.2.1Emotionale Soziale Unterstützung
12.6.2.2Instrumentelle Soziale Unterstützung
12.6.2.3Informatorische Soziale Unterstützung
12.6.2.4Rückmeldende Soziale Unterstützung
12.6.2.5Gemeinsame Aktionen/Soziale Integration
12.6.2.6Motivationale Soziale Unterstützung
12.6.3Bedeutung informeller Sozialer Unterstützung
12.6.4Auswirkungen informeller Sozialer Unterstützung
12.6.5Wünsche an informelle Soziale Unterstützung
Zusammenfassung: Informelle Soziale Unterstützung bei Auszug aus der Frauenzufluchtswohnung
12.7Formelle Soziale Unterstützung
12.7.1ErbringerInnen formeller Sozialer Unterstützung
12.7.2Geleistete Unterstützungsarten formeller Sozialer UnterstützerInnen
12.7.2.1Emotionale Soziale Unterstützung
12.7.2.2Instrumentelle Soziale Unterstützung
12.7.2.3Informatorische Soziale Unterstützung
12.7.2.4Rückmeldende Soziale Unterstützung
12.7.2.5Beteiligung/Einbezug
12.7.3Bedeutung formeller Sozialer Unterstützung
12.7.4Auswirkungen formeller Sozialer Unterstützung
12.7.5Wünsche an formelle Soziale Unterstützung
Zusammenfassung: Formelle Soziale Unterstützung bei Auszug aus der Frauenzufluchtswohnung
12.8Barrieren für den Erhalt Sozialer Unterstützung
12.8.1Eigene Unterstützungsbarrieren
12.8.2Unterstützungsbarrieren anderer Personen
12.8.3Unterstützungsbarrieren in der Umgebung
12.9Negative Aspekte Sozialer Unterstützung
12.9.1Belastung durch Soziale Unterstützung
12.9.2Soziale Belastung
Zusammenfassung: Unterstützungsbarrieren – negative Aspekte Sozialer Unterstützung bei Auszug aus der Frauenzufluchtswohnung
13Soziale Unterstützung und Gesundheit
13.1Zusammenhang zwischen Sozialer Unterstützung und Gesundheit
13.2Auswirkungen Sozialer Unterstützung auf die Gesundheit
Zusammenfassung: Soziale Unterstützung und Gesundheit bei Auszug aus der Frauenzufluchtswohnung
IVDiskussion der Ergebnisse
VFazit
Literatur
Anhang
Anhang I Transkriptionsregeln
Anhang II Interviewleitfaden I
Anhang III Interviewleitfaden II
Anhang IV Soziale Atome
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:Rad der Gewalt (Gabriel 2004: 23; modifiziert von Wahren) 10
Abbildung 2:Ökologische Erklärungsmodell der Entstehung von Gewalt (Krug et al. 2002: 12)
Abbildung 3:Pathways and health effects on intimate partner violence (WHO 2013: 8)
Abbildung 4:Modell der Effekte Sozialer Unterstützung (Gottlieb 1983: 37)
Abbildung 5:Modifiziertes Modell Sozialer Unterstützung (Nestmann 2010: 9)
Abbildung 6:Wechselseitige Beeinflussung von Sozialer Unterstützung, Gesundheit und häuslicher Gewalt (Wahren 2014)
Abbildung 7:Gesundheitliche Beschwerden, Befragungszeitpunkt I
Abbildung 8:Wahrgenommene Soziale Unterstützung, Befragungszeitpunkt I
Abbildung 9:Verfügbarkeit einer Vertrauensperson, Befragungszeitpunkt I
Abbildung 10:Reziprozität Sozialer Unterstützung, Befragungszeitpunkt I
Abbildung 11:Zufriedenheit mit erhaltener Sozialer Unterstützung, Befragungszeitpunkt I
Abbildung 12:Emotionale Soziale Unterstützung, Befragungszeitpunkt I
Abbildung 13:Praktische Soziale Unterstützung, Befragungszeitpunkt I
Abbildung 14:Soziale Integration, Befragungszeitpunkt I
Abbildung 15:Soziale Belastung, Befragungszeitpunkt I
Abbildung 16:Gesundheitliche Beschwerden gesamt, Befragungszeitpunkte I + II
Abbildung 17:Gesundheitliche Beschwerden nach Gruppen, Befragungszeitpunkte I + II
Abbildung 18:Wahrgenommene Soziale Unterstützung gesamt, Befragungszeitpunkte I + II
Abbildung 19:Wahrgenommene Soziale Unterstützung nach Gruppen, Befragungszeitpunkte I + II
Abbildung 20:Verfügbarkeit einer Vertrauensperson gesamt, Befragungszeitpunkte I + II
Abbildung 21:Verfügbarkeit einer Vertrauensperson nach Gruppen, Befragungszeitpunkte I + II
Abbildung 22:Reziprozität Sozialer Unterstützung gesamt, Befragungszeitpunkte I + II
Abbildung 23:Reziprozität Sozialer Unterstützung nach Gruppen, Befragungszeitpunkte I + II
Abbildung 24:Zufriedenheit mit der erhaltenen Sozialen Unterstützung gesamt, Befragungszeitpunkte I + II
Abbildung 25:Zufriedenheit mit der erhaltenen Sozialen Unterstützung nach Gruppen, Befragungszeitpunkte I+II
Abbildung 26:Emotionale Soziale Unterstützung gesamt, Befragungszeitpunkte I + II
Abbildung 27:Emotionale Soziale Unterstützung nach Gruppen, Befragungszeitpunkte I + II
Abbildung 28:Praktische Soziale Unterstützung gesamt, Zeitpunkte I + II
Abbildung 29:Praktische Soziale Unterstützung nach Gruppen, Befragungszeitpunkte I + II
Abbildung 30:Soziale Integration gesamt, Befragungszeitpunkte I + II
Abbildung 31:Soziale Integration nach Gruppen, Befragungszeitpunkte I + II
Abbildung 32:Soziale Belastung gesamt, Befragungszeitpunkte I + II
Abbildung 33:Soziale Belastung nach Gruppen, Befragungszeitpunkte I + II
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:Tabellarische Übersicht der Interviewpartnerinnen
Tabelle 2:Tabellarische Auflistung der Interviews mit Interviewdaten und Decknamen der Interviewpartnerinnen
Tabelle 3:Tabellarische Auflistung der Interviewpartnerinnen mit Kürzel, Interviewdaten und Zuordnung
Einleitung
Dass häusliche Gewalt gegen Frauen tagtäglich in allen Kulturen und sozialen Schichten – unabhängig von Einkommen, Bildung, Alter etc. – ausgeübt wird und umfangreiche gesundheitliche Risiken und Beeinträchtigungen nach sich zieht, wurde in den letzten Jahren hinreichend erforscht. Der Fokus der Studien erweiterte sich von Risikofaktoren über zu Grunde liegende Muster und Dynamiken hin zu Folgen der Gewalt für die Gesundheit der Betroffenen. Mittlerweile wird häusliche Gewalt als eines der größten, wenn nicht sogar DAS größte Gesundheitsrisiko für Frauen weltweit angesehen (vgl. Krug et al. 2005: IV). Auch die erste Untersuchung zur Betroffenheit von Frauen durch geschlechtsbezogene Gewalt in Deutschland, die deutsche Prävalenzstudie, kommt zu dem Ergebnis, dass jede Art der Gewalt zu gravierenden psychischen, psychosozialen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann (vgl. Müller et al. 2004 a: 151 ff.) und ein Zusammenhang zwischen Gewalterfahrungen, gesundheitlichen Beeinträchtigungen und hohem Unterstützungsbedarf besteht „Für Frauen, die durch psychische Gewalt und sexuelle Gewalt – häufig auch in Verbindung mit anderen Formen körperlicher Gewalt – betroffen sind, diagnostiziert die vorliegende Untersuchung einen hohen Unterstützungsbedarf, auf den das bisher entwickelte Hilfesystem noch kaum vorbereitet scheint (…).“ (Müller et al. 2004 b: 16 f.).
Auch europäische (vgl. FRA 2014: 23 ff.) und internationale Studien beschreiben einen Zusammenhang zwischen häuslicher Gewalt und gesundheitlichen Folgen: „Around the world, mental health problems, emotional distress, and suicidal behaviour are common among women who have suffered partner violence.“ (Krug et al. 2005: 16).
Eine umfassende Gewaltprävention muss auf verschiedenen Ebenen der Gewaltentstehung (in der Gesellschaft, im sozialen Umfeld, in der Partnerschaft und auf der individuellen Ebene) ansetzen (vgl. Krug et al. 2002: 12). Dafür ist es notwendig, die Vielzahl der Formen häuslicher Gewalt und damit einhergehende Belastungen und Gesundheitsrisiken in eine Balance zu bislang zu wenig erforschten Stärken, protektiven Faktoren und persönlichen, sozialen Ressourcen gewaltbetroffener Frauen zu bringen.
Mit Hilfe des Konzeptes der Sozialen Unterstützung konnten gesundheitsfördernde und -erhaltende Wirkungen von Hilfen aus sozialen Netzwerken in unterschiedlichen Populationen und Settings aufgezeigt werden. Haupt- und Puffereffekte von Social Support auf die Gesundheit sowie die gegenseitige Einflussmöglichkeit von Stressoren, Belastungsreaktion und Gesundheit auf Soziale Unterstützung wurden bei verschiedenen Zielgruppen untersucht (vgl. Nestmann 2010: 9). In zahlreichen Forschungen hat sich die Einbindung von Menschen in soziale Netze als eine bedeutende Einflussvariable bei der Patho- und Salutogenese erwiesen (vgl. Kardorff 1995: 402 ff.).
„Belege für schädigende und belastende Elemente sozialer Bezüge aus Forschungen zur psychischen und physischen Störung und Krankheit sowie Alltagsbeobachtungen aus verschiedenen Problemfeldern sozialer Interaktionen (Ehekonflikte und Scheidungsfolgen, Frauen- und Kindesmißhandlung etc.) führen auch in der social support-Forschung dazu, daß zwischenmenschliche Bezüge wieder als potentielle Quelle von Streß und Ärger, Sorge etc. wahrgenommen werden (…).“ (Nestmann 1988: 90).
Soziale Ressourcen, die aus dem sozialen Netzwerk des Individuums stammen, können aber auch als passgenaue Hilfen wie ein psychosoziales Immunsystem wirken und für Gesundheit sorgen (vgl. Röhrle 1994: 117). Soziale Unterstützung und Integration des Menschen in seine soziale Umgebung können einen entscheidenden Beitrag zur Förderung und Aufrechterhaltung von Gesundheit sowie Vorbeugung von Erkrankungen leisten. „Soziale Unterstützung durch persönliche Netzwerke gilt somit als eine zentrale Variable in der Erhaltung von körperlicher und seelischer Gesundheit sowie in der Vermeidung, Bearbeitung und Bewältigung unterschiedlicher Belastungen, Krisen und Störungen. Materielle und praktische, informative und emotionale Hilfe, die dem Einzelnen durch Beziehungen mit der sozialen Umwelt (Familie, Nachbarn, Freunde, Kollegen etc.) zur Verfügung stehen, können beitragen, Wohlbefinden zu erhalten und zu sichern, sowie das Individuum gegen schädigende Umwelteinflüsse verschiedenster Art abzupuffern.“ (Niepel/Nestmann 1994: 232).
Es drängt sich die Frage auf, ob das Konzept der Sozialen Unterstützung auch auf die gesundheitliche Situation gewaltbetroffener Frauen in Frauenzufluchtswohnungen anwendbar ist und mit diesem Veränderungen und Unterschiede der Gesundheit dieser vulnerablen Gruppe erklärt werden können. Subjektive Sichtweisen der gewaltbetroffenen Frauen auf Soziale Unterstützung und Gesundheit, deren Zusammenwirken und deren Veränderung im Verlauf des Aufenthaltes in einer Frauenzufluchtswohnung stehen daher im Mittelpunkt dieser Untersuchung.
Um dem/der Leser/in Einstiegsmöglichkeiten in den Text aufzuzeigen, werden nachfolgend Aufbau und Inhalte der vorliegenden Untersuchung skizziert.
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei Hauptteile. In Kapitel I werden theoretische Hintergründe und der aktuelle Forschungsstand dargestellt. Um die Situation gewaltbetroffener Frauen in Frauenzufluchtswohnungen verstehen zu können, wird zunächst ein Überblick über die Arten, Dynamiken, Vorkommen und die Häufigkeit häuslicher Gewalt gegeben. Nachfolgend werden Personengruppen vorgestellt, die ein erhöhtes Risiko tragen, von häuslicher Gewalt betroffen zu sein. Ansätze für die Erklärung der Entstehung und die Folgen häuslicher Gewalt werden anschließend in den Blick genommen. Stellvertretend für die Vielzahl von Theorien, die sich mit Entstehungsbedingungen von (häuslicher) Gewalt auseinandersetzen, werden systemtheoretische und ökologische Ansätze der Gewaltentstehung vorgestellt. Ausführungen zu den Folgen und sogenannten „protektiven“ Faktoren, die das Risiko mindern, Opfer häuslicher Gewalt zu werden, schließen sich an. Abschließend wird der Kontext der Untersuchung, Frauenzufluchtswohnungen, näher beleuchtet.
Der zweite Teil der theoretischen Grundlagen und empirischen Studien widmet sich dem Themenkomplex Soziale Unterstützung. Ausgehend von frühen Ansätzen des Konzeptes über eine Begriffsbestimmung und die Betrachtung der Dimensionen von Social Support schließt sich die Beschreibung von Haupt- und Puffereffekten Sozialer Unterstützung an. Nachfolgend werden Quellen Sozialer Unterstützung und Barrieren für deren Erhalt thematisiert, die in Personen oder dem Kontext liegen können. Da Social Support nicht ausschließlich positive Wirkungen entfaltet, kommen sodann belastende Effekte zur Sprache. Ausführungen zu Sozialer Unterstützung bei Frauen sowie zu deren Verbindung mit Gesundheit und Krankheit folgen. Zum Ende der theoretischen Betrachtungen geraten Soziale Unterstützung, Gesundheit und häusliche Gewalt in den Fokus. Mit empirischen Studien und theoretischen Annahmen über Soziale Unterstützung bei gewaltbetroffenen Frauen, für sie gesundheitsförderliche Faktoren und Zusammenhänge zwischen Sozialer Unterstützung und gesundheitlicher Situation schließt das Kapitel der theoretischen Grundlagen ab.
Kapitel II widmet sich dem methodischen Aufbau der Untersuchung. Zunächst wird auf die Entwicklung der Fragestellung, den Untersuchungsaufbau, das Design der Untersuchung und die Stichprobe bzw. den Zugang zu dieser eingegangen. Anschließend werden die Datenerhebungen mittels problemzentrierter Leitfadeninterviews, Sozialer Atome, der Fragebögen zur Sozialen Unterstützung (F-SozU) und dem Gießener Beschwerdebogen (GBB-24) sowie Validierungsstrategien erläutert.
Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung werden in Kapitel III vorgestellt. Darin erfolgt zuerst eine Einführung in das Kapitel und die Beschreibung der Interviewpartnerinnen. Nachfolgend (in Abschnitt III/I) werden die gesundheitliche Situation mit gesundheitsfördernden bzw. -einschränkenden Bedingungen, Auswirkungen der Gewalterfahrungen auf die Gesundheit und die Verarbeitung der erfahrenen Gewalt zum Zeitpunkt des Einzuges in die Frauenzufluchtswohnung erläutert. Die Darstellung der Ergebnisse zu Sozialer Unterstützung, detaillierter zu UnterstützerInnen, Zufriedenheit mit der erhaltenen Unterstützung, zur Geschlechterverteilung der UnterstützerInnen, zur Größe des Unterstützungsnetzwerkes und zu Unterstützungsangeboten folgt. Im Anschluss werden die informelle und die formelle Soziale Unterstützung der gewaltbetroffenen Frauen bei Aufnahme in die Frauenzufluchtswohnung näher betrachtet. Da Soziale Unterstützung nicht immer gegeben oder bezogen werden kann oder obwohl meist positiv konnotiert, auch negative Seiten aufweist, werden nachfolgend Barrieren für den Erhalt und negative Aspekte Sozialer Unterstützung beschrieben. Den Abschluss der Ergebnisse der Ersterhebung bilden Ausführungen zu Social Support und Gesundheit mit Fokus auf deren Zusammenhang bzw. die Auswirkungen Sozialer Unterstützung auf die Gesundheit. Im zweiten Teil dieses Kapitels (III/II) werden die Ergebnisse der Zweiterhebung zu den vorgenannten Themenbereichen vorgestellt, deren Erhebung bei Auszug aus der Frauenzufluchtswohnung stattfand. Diese werden ins Verhältnis zu denen der Ersterhebung gesetzt, Veränderungen der Sozialen Unterstützung und der gesundheitlichen Situation aufgezeigt.
In Kapitel IV erfolgt die Diskussion der Ergebnisse anhand empirischer Studien und theoretischer Ausführungen.
Auf diesen Erkenntnissen aufbauend wird in Kapitel V ein abschließendes Fazit gezogen, das das Wechselverhältnis von Sozialer Unterstützung, Gesundheit und häuslicher Gewalt und deren gegenseitige Einwirkungen herausstellt und in dem aufgezeigt wird, welche Bedeutung, welche Form Sozialer Unterstützung für die Gesundheit verschiedenartig unterstützter gewaltbetroffener Frauen hat.
Das Literaturverzeichnis und der Anhang, in dem Transkriptionsregeln, Interviewleitfäden und die Sozialen Atome der befragten Frauen aufgeführt sind, vervollständigen die Arbeit.
In dieser Untersuchung werden sowohl die weibliche als auch die männliche Schreibform verwendet. Kommt die weibliche Schreibform allein zur Anwendung, beziehen sich die Aussagen im Text ausschließlich auf Frauen. Bei wörtlichen Zitaten wurde jedoch die Originalschreibweise beibehalten.
ITheoretische Grundlagen
1(Häusliche) Gewalt
Die Begriffe „Familiäre Gewalt“, „Gewalt im sozialen Nahraum“, „Beziehungsgewalt“, „Häusliche Gewalt“, „Domestic Violence“, „Family Violence“, „Violence Against Women“, „Intimate Partner Violence“ versuchen ein schwer zu fassendes, mehrschichtiges, komplexes Phänomen zu definieren. Sie kommen teilweise synonym zur Anwendung. Der hier verwendete Terminus „Häusliche Gewalt“ hat sich im deutschen Sprachgebrauch durchgesetzt und lehnt sich an den im englischsprachigen Raum gebräuchlichen Ausdruck „Domestic Violence“ an (vgl. Mark 2006: 13).
Je nach wissenschaftlich, juristisch, polizeilich orientiertem Hintergrund oder aus der sozialarbeiterischen Praxis heraus entwickelt, variieren die Definitionen „Häuslicher Gewalt“. Polizeiliche und juristische Ausführungen beziehen sich meist ausschließlich auf strafrechtlich oder zivilrechtlich relevante Formen physischer, psychischer und sexueller Gewalt in bestehenden oder bereits aufgelösten familiären oder partnerschaftlichen Beziehungen. „Häusliche Gewalt bezeichnet (unabhängig vom Tatort/auch ohne gemeinsamen Wohnsitz) (Gewalt-)Straftaten zwischen Personen in einer partnerschaftlichen Beziehung, die derzeit besteht, die sich in Auflösung befindet oder die derzeit aufgelöst ist oder die in einem Angehörigenverhältnis zueinander stehen, soweit es sich nicht um Straftaten zum Nachteil von Kindern handelt.“ (Der Polizeipräsident in Berlin/BIG e. V. 2001: 7).
Wissenschaftliche Definitionen sind inhaltlich umfassender. So beschreibt Godenzi (1994: 27) Gewalt im sozialen Nahraum als „schädigende interpersonale Verhaltensweisen, intendiert oder ausgeübt in sozialen Situationen, die bezüglich der beteiligten Individuen durch Intimität und Verhäuslichung gekennzeichnet sind“. Somit impliziert Godenzi nicht nur Gewalt unter (ehemaligen) Partnern, sondern fasst „Gewalt im sozialen Nahraum“ weiter. Gewalt unter Geschwistern, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Verwandten und Bekannten einer Partei des bestehenden oder ehemaligen Paares fallen ebenso unter den Terminus Gewalt im sozialen Nahraum.
Aus der sozialarbeiterischen oder klinischen Praxis entwickelte Definitionen sind meist präziser formuliert und auf den konkreten Einzelfall anwendbar. Sie beziehen soziale, emotionale und zum Teil ökonomische Gewalt ein (vgl. Gabriel 2004: 23; vgl. Gloor/Meier 2004: 12; vgl. Gloor/Meier 2007: 17). Die Berliner Interventionszentrale gegen Gewalt gegen Frauen (BIG) definiert „Häusliche Gewalt“ differenzierter als „die Formen der physischen, sexuellen, psychischen, sozialen und emotionalen Gewalt, die zwischen erwachsenen Menschen stattfindet, die in nahen Beziehungen zueinander stehen oder gestanden haben. Das sind in erster Linie Erwachsene in ehelichen oder nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften, aber auch in anderen Verwandtschaftsbeziehungen“ (o. J.: 4).
Ökonomische bzw. finanzielle Gewalt, als eine Ausprägung häuslicher Gewalt, wird in dieser Definition nicht benannt. In der praktischen Sozialarbeit mit von Gewalt betroffenen Frauen kommt sie jedoch häufig zur Sprache. Finanzielle Abhängigkeit vom Partner, z. B. durch Zuteilung oder Entzug des Geldes durch diesen oder das Verbot zu arbeiten, kann zu einer längeren oder dauerhaften finanziellen Abhängigkeit und damit dem Verbleib oder zur Rückkehr in die gewaltgeprägte Situation beitragen (vgl. Gorde et al. 2004: 704). Die Ausübung finanzieller Gewalt in Zusammenhang mit anderen Gewaltarten hilft dem/der Ausübenden seine Macht- und Kontrollposition in der Beziehung auszubauen, den/die Betroffene/n zu entwerten, zu isolieren und stärker an sich zu binden. Gelingt den Betroffenen die Herauslösung aus einer finanziellen Gewaltsituation, sind sie meist schon hoch verschuldet oder durch langjährige finanzielle Verpflichtungen, wie z. B. Bürgschaften oder gemeinsame Schulden weiterhin an den/die gewalttätige/n Partner/in gebunden.
Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im häuslichen Bereich, z. B. Kindesmisshandlung, Kindeswohlgefährdung oder sexueller Missbrauch, wird juristisch als eigenständiger Problemkomplex gesehen. Kinder sind meist zumindest indirekt durch die Gewalt gegen ihre Mutter oder ihren Vater mitbetroffen. „Gewalt gegen die Mutter ist eine Form der Gewalt gegen das Kind. Wir haben es somit nicht nur mit „Zeugen“ sondern mit Opfern von Gewalt zu tun.“ (Kavemann o. J.: 9). Die von BIG ausgeführte Definition häuslicher Gewalt (s. o.) bezieht sich ausschließlich auf Erwachsene. Kinder und Jugendliche, die nicht direkt, sondern sekundär, als Zeugen häuslicher Gewalt zwischen Erwachsenen betroffen sind, müssen mitbedacht werden, wenn von häuslicher Gewalt die Rede ist. Sie tragen ein stark erhöhtes Risiko, als Erwachsene, selbst häusliche Gewalt zu erfahren. „So hatten Frauen, die in Kindheit und Jugend körperliche Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern mitbekommen haben, mehr als doppelt so häufig selbst Gewalt durch (Ex-)Partner erlebt wie Frauen, die keine körperlichen Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern erlebt haben (47% vs. 21%). Befragte, die angaben, häufig oder gelegentlich Gewalt durch Erziehungspersonen erlebt zu haben, gaben fast drei Mal so häufig eine Viktimisierung durch Gewalt in Paarbeziehungen an wie Frauen, die nie Gewalt durch Erziehungspersonen erlebt hatten (13% vs. 38%).“ (Müller/Schröttle 2004 a: 268).
Daraus geht hervor, wie wichtig der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor direkten oder indirekten Gewalterfahrungen in der Familie, als ein wichtiger Baustein zur Prävention von generationenübergreifendem Gewalthandeln und Gewalterleiden, ist (vgl. Kavemann 2007: 32 f.).
Die Autorin bezieht sich in den weiteren Ausführungen auf die Definition „Häuslicher Gewalt“ durch BIG (vgl. o. J.: 4) und ergänzt diese durch die Gewaltform ökonomische Gewalt.
Das so genannte „Wheel of Power and Control“ wurde im Domestic Abuse Intervention Project in Duluth, Minesota in den 1980er Jahren von gewaltbetroffenen Frauen entwickelt. Es stellt die Formen männlicher Gewalt gegenüber Frauen dar, die als Mittel zur Aufrechterhaltung des ungleichen Machtverhältnisses zwischen Männern und Frauen dienen (vgl. Brandau/Ronge 1997: 3). Zur umfassenden grafischen Darstellung des Phänomens Häusliche Gewalt ist dieses Modell nur bedingt geeignet, da es sich ausschließlich auf Männer als Täter in heterosexuellen Partnerschaften beschränkt und sexuelle Gewalt als eine Form häuslicher Gewalt nicht einbezieht. Aus diesem Grund zieht die Autorin die Darstellung einer modifizierten Variante des „Rades der Gewalt“ vor.
Abbildung 1:Rad der Gewalt (Gabriel 2004: 23; modifiziert von Wahren)
1.1Arten häuslicher Gewalt
Physische, sexuelle, psychische, ökonomische, emotionale und soziale Gewalt werden als Formen der Gewalt unter dem Begriff „Häusliche Gewalt“ in der Literatur aufgeführt (vgl. Ohl 2002: 11; vgl. Gabriel 2004: 23). Diese Arten der Gewalt existieren nebeneinander. In der sozialen Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen wird jedoch selten von nur einer Gewaltart berichtet. Meistens überschneiden sich die Formen, gehen nahtlos ineinander über oder bedingen einander. „Es zeigte sich, dass Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, häufiger von zwei oder drei Gewaltformen berichten. Hiermit bestätigt sich, dass häusliche Gewalt ein komplexes Misshandlungssystem darstellt.“ (Brzank 2005: 4). Beispielsweise ereignet sich physische Gewalt im häuslichen Kontext meist in Zusammenhang mit psychischen Gewalteinwirkungen (vgl. Ohl 2002: 12). Tätliche körperliche Angriffe gehen oft mit Bedrohungen, Beschimpfungen und Beleidigungen einher. Allen Arten häuslicher Gewalt ist gemeinsam, dass sie das Ziel verfolgen, Macht und Kontrolle über eine nahe stehende Person zu erlangen. In einigen Studien wurden soziale (und ökonomische) Gewalt der Kategorie psychische Gewalt untergeordnet bzw. nicht differenziert untersucht (vgl. z. B. Müller/Schröttle 2004 a; vgl. Heiskanen/Piispa 1998). Die nachfolgend unter den einzelnen Gewaltarten aufgezählten Handlungen häuslicher Gewalt können nur stellvertretende Beispiele für deren mannigfaltige Erscheinungsformen sein, die Aufzählung ist nicht abschließend.
1.1.1Physische Gewalt
Unter physischer bzw. körperlicher Gewalt werden alle Angriffe gegen Körper und Leben einer Person verstanden. Darunter fallen z. B. Ohrfeigen, Fußtritte, Schlagen, Schubsen, Treten, Fesseln, Essens- oder Schlafentzug, Würgen, Zufügen von Verbrennungen und anderen Verletzungen sowie tätliche Angriffe mit Schlag-, Stich- und Schusswaffen oder Gegenständen bis hin zur Tötung (vgl. Mark 2006: 11; vgl. Moore et al. 2006: 12). Beinahe untrennbar mit physischer Gewalt ist die psychische Gewalt verbunden, da erstgenannte meist mit Demütigungen und Drohungen einhergeht.
1.1.2Psychische Gewalt
Psychische Gewalt ist durch Drohungen, Beleidigungen, Beschimpfungen, Erniedrigungen, Demütigungen und Einschüchterungen charakterisiert (vgl. Gabriel 2004: 23). Durch Blicke, Gesten und Handlungen, z. B. Zerstörung des Eigentums, wirken die Gewalt Ausübenden Druck auf die Betroffenen aus und flößen ihnen Angst ein. Darüber hinaus bekommen die Betroffenen häufig die Schuld für die Gewaltausbrüche zugeschrieben. Betroffene Frauen benennen diese Art der Gewalt als die zerstörerischste. „Mehrere Frauen beschrieben psychische Gewalt in Paarbeziehungen als eine Form von „Gehirnwäsche“, die sie von ihrem eigenen Empfinden entferne, ihr Selbstbewusstsein zerstöre, sie „verrückt“ mache.“ (Müller et al. 2004 b: 30). Die nachfolgend beschriebenen Gewaltausprägungen soziale und emotionale Gewalt werden in verschiedenen Studien als Teil der psychischen Gewalt betrachtet und oft nicht explizit erwähnt (vgl. Krug et al. 2002, vgl. Martinez et al. 2006, vgl. Müller et al. 2004 a; b).
1.1.3Emotionale Gewalt
Unter emotionaler Gewalt werden Verhaltensweisen, wie Bloßstellen, Lächerlich-Machen, Ignorieren des Partners, Weigerung mit diesem zu sprechen, Isolation, Überwachung, Aussperrung, Einsperrung und vorsätzlich widersprüchliche Handlungen verstanden. Drohungen die Kinder wegzunehmen, den Partner gegenüber anderen Personen für verrückt, krank, dumm usw. zu erklären, Kontrolle wohin er geht, wen er trifft, was er tut, gehören ebenso zu dieser Form häuslicher Gewalt (vgl. Gabriel 2004: 23). Emotionale Gewalt ist charakterisiert durch vollständige Kontrolle aller Lebensbereiche bis hin zu emotionaler Zurückweisung und vollständiger Verweigerung der Anerkennung der Person des Partners/der Partnerin (vgl. Ohl 2002: 12).
1.1.4Soziale Gewalt
Soziale Gewalt ist häufig eng mit psychischer und/oder emotionaler Gewalt verbunden und kann daher kaum losgelöst von diesen betrachtet werden. Charakteristischstes Merkmal dieser Art von Gewalt ist deren Ausrichtung auf soziale Beziehungen der betroffenen Person. Beispiele dafür sind die Abwertung der Person in der Öffentlichkeit, am Arbeitsplatz und/oder vor FreundInnen. Das Ausnutzen von Privilegien, die Behandlung des Partners/der Partnerin als Bedienstete/n oder das alleinige Treffen von Entscheidungen ohne oder für den Partner/die Partnerin sind Ausdrucksformen sozialer Gewalt. Der Einsatz der Kinder als Druckmittel, Kontrolle oder Einschränkung aller sozialen Kontakte sowie die Beanspruchung der alleinigen Entscheidungsmacht über alle Familienmitglieder zählen zu dieser Gewaltform (vgl. Gabriel 2004: 23; vgl. Gloor/Meier 2007: 17; vgl. Mark 2006: 11).
1.1.5Sexuelle Gewalt
Alle sexuellen Handlungen, die mit Drohungen oder Gewalt erzwungen werden, sind dem Begriff der sexuellen oder sexualisierten Gewalt zuzuordnen. Darüber hinaus gelten Handlungen als sexuelle Gewalt, wenn sie gegen den Willen und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung durchgeführt werden, unabhängig davon, ob der/die Täter/in sexuelle Handlungen an einer Person ohne deren Einverständnis tätigt oder durch diese Person an sich ausführen lässt (vgl. Mark 2006: 11).
Das Spektrum sexueller Gewalt ist sehr breit gefächert und wird in körperliche sexuelle und seelische sexuelle Gewalt unterschieden (vgl. Kritsberg 1995: 49). Zu den Formen körperlicher sexueller Gewalt zählen zum Beispiel oraler, analer, vaginaler Geschlechtsverkehr, Zwang zur Prostitution oder zur Teilnahme an Pornografie, Zwang, Zeuge der sexuellen Gewalt gegenüber Dritten zu werden, unnötige medizinische Prozeduren, ungebührliche Gesundheitsmaßnahmen, Weigerung Kondome oder andere Verhütungsmittel zu benutzen, Degradierung zum/Behandlung als Sexualobjekt. Seelische sexuelle Gewalt in familiären Kontexten ist schwerer nachweisbar. Sie kommt häufig in Verbindung mit körperlicher sexueller Gewalt und psychischer Misshandlung vor. Zu den Arten seelischer sexueller Gewalt gehören beispielsweise Exhibitionismus, sexuelle Beschämung, sexuelle Belästigung, sexuelle Einschüchterung, sexuelle Witze (vgl. ebd.).
1.1.6Ökonomische Gewalt
Ökonomische Gewalt umfasst alle Handlungen, die die finanzielle Unabhängigkeit des/der einen Partners/Partnerin durch den/die andere/n Partner/in einschränken, eine finanzielle Abhängigkeit herstellen oder aufrechterhalten. Verbot der Erwerbstätigkeit, Zwang zur Arbeit, Verweigerung oder Zuteilung von Geld, Überwachung der Ausgaben des Partners/der Partnerin, Einbehalten des Lohnes oder von Sozialleistungen sind Ausprägungen dieser Gewaltart (vgl. Gabriel 2004: 23). In der sozialarbeiterischen Praxis berichten die Betroffenen oft von Überschuldungen durch den/die Partner/in. Diese entstehen beispielsweise durch riskante Spekulationen, Raten- und Kreditkäufe, Bürgschaften für den Partner oder Aussetzen von Miet-, Strom- und Telefonkostenzahlungen. Auf Grund der gemeinsamen Haftung, z. B. bei Mietschulden, ist es für die Betroffenen sehr schwierig das bestehende Vertragsverhältnis zu kündigen. Meist ist eine Kündigung oder Entlassung aus dem Vertrag erst nach Begleichen der Schulden möglich. Für die Betroffenen bedeutet das eine sehr starke finanzielle Belastung. Stehen nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung, wird das Verbleiben in der Gewaltbeziehung begünstigt. Für einige Betroffene führt der Ausbruch aus der gewaltgeprägten Beziehung in eine starke Verschuldung oder direkt in die Insolvenz.
Um die Situation gewaltbetroffener Frauen nachvollziehen zu können, ist es unabdingbar, nicht nur die Arten häuslicher Gewalt zu kennen, sondern auch die ihr zu Grunde liegenden Dynamiken zu betrachten.
1.2Dynamiken häuslicher Gewalt
Bei gewaltbetroffenen Frauen treten verschiedene psychologische Prozesse auf, die Ihren Verbleib in der Beziehung begünstigen: Rationalisierung, Leugnung oder Bagatellisierung der erlebten Gewalt oder die Ursache für die Gewaltausbrüche im Alkohol- oder Drogengebrauch des Partners zu sehen. Darüber hinaus wirken sich Gewalterfahrungen negativ auf Problemlösungs- und Copingfähigkeiten aus (vgl. Barnett 2001: 10 ff.). Die Strukturen von gewaltgeprägten Paarbeziehungen sind von unterschiedlichen Mustern durchzogen. Dazu zählen beispielsweise erlernte Hilflosigkeit, das sogenannte „Stockholm-Syndrom“ und der „Zyklus der Gewalt“. Diese Muster sind dynamisch, können sich abwechseln oder ineinander übergehen. Dabei handelt es sich nicht um „Typen von Frauen in gewaltgeprägten Beziehungen“, sondern um verschiedene Möglichkeiten, wie sich Frauen im Verlauf der Gewaltbeziehung wahrnehmen.
1.2.1Theorie der erlernten Hilflosigkeit
Seligman (vgl. 1979: 44) entwickelte mit Hilfe von Lernexperimenten mit Tieren und Menschen die Theorie der erlernten Hilflosigkeit. Diese setzt sich aus drei Faktoren zusammen: Information über das zukünftige Geschehen, kognitive Repräsentation des zukünftigen Geschehens (Lernprozess, Erwartung, Wahrnehmung, Überzeugung) und Verhalten in Bezug auf das Geschehen. Die subjektive Bewertung von Kontrollierbarkeit, nicht die objektiv betrachtete Situation, sind für die Entstehung der Hilflosigkeit Ausschlag gebend. In der Phase der kognitiven Repräsentation des zukünftigen Geschehens tritt die falsche Annahme auf, dass Verhalten und Konsequenz voneinander unabhängig sind. Kognitive, emotionale und motivationale Störungen können aus dieser falschen Annahme resultieren (vgl. ebd.: 35 ff.).
Nach der Theorie der erlernten Hilflosigkeit lernt eine Person, die die Erfahrung gemacht hat, dass Handlungsergebnisse unabhängig von ihrem Verhalten und Bemühen sind, dass zwischen diesen beiden Faktoren kein Zusammenhang besteht. Nach wiederholten Unkontrollierbarkeitserfahrungen bildet sich die Erwartung zukünftiger Unkontrollierbarkeit auch für Situationen aus, die kontrollierbar wären. Werden Lebewesen wiederholter willkürlicher Bestrafung ausgesetzt, erlernen diese Hilflosigkeit. Kann keine der Handlungen die Bestrafung beenden, wird jede willensgesteuerte Tätigkeit aufgegeben. Es entstehen Passivität und Unterwürfigkeit. Selbst in Situationen in denen das Individuum erfolgreich agieren könnte, verbleibt es in einer passiven Haltung. Das bedeutet, dass Situationen, die, wenn sie für das Individuum überfordernd und nicht handhabbar sind, zu einer Reduktion der Reaktionsfähigkeit in folgenden ähnlichen Situationen führen (vgl. ebd.: 44 ff.). Als Folgeerscheinungen können motivationale, kognitive und emotionale Störungen sowie Angst, Stressreaktionen und Depressionen auftreten.
Walker (vgl. 1994: 71 ff.) entwickelte diese Theorie in Bezug auf von Gewalt betroffene Frauen weiter. Erleben Frauen wiederholt Gewalt in der Beziehung und können sie die Gewaltsituationen durch ihr Verhalten nicht verändern, haben sie keine Kontrolle über die Situation. So kann sich ein chronisches Gefühl der Macht- und Hilflosigkeit ausprägen. „Hilflosigkeit beeinträchtigt das Problemlöseverhalten des Menschen. (…) der Schaden [ist] zwar nicht irreversibel (…), aber es ändert sich die Motivation, problemlösende Handlungen zu initiieren. Dadurch wird die Lernfähigkeit beeinträchtigt, und das Verhaltens-Repertoire, aus dem Menschen normalerweise auswählen können, wird eingeschränkt.“ (Walker 1994: 77).
Finden Demütigungen und Misshandlungen mehrfach und über einen längeren Zeitraum statt, verringert sich die Motivation und die Fähigkeit der Frau zu reagieren. Passivität folgt. Zugleich wird die Fähigkeit beeinflusst, eigene Erfolge zu erkennen. „Nachdem die misshandelte Frau ihr Gefühl der Hilflosigkeit generalisiert hat, tritt als nächstes ein, daß sie glaubt, nichts was sie tut, könnte überhaupt etwas an irgendeiner Situation ändern – nicht nur an der speziellen, die gerade eingetreten ist. (…) Schließlich wird ihr Gefühl für emotionales Wohlbefinden ganz unsicher. Sie neigt jetzt mehr zu Depressionen und Angst.“ (ebd.: 78).
Walker nimmt an, dass verschiedene Stufen der erlernten Hilflosigkeit existieren. Sie führt gesellschaftliche Bedingungen, z. B. Erziehung von Mädchen zu Passivität und Gewalterfahrungen in der Kindheit als verstärkende Faktoren für erlernte Hilflosigkeit an (vgl. ebd.: 78 ff.). Diese Theorie veranschaulicht, warum manche Frauen sich nicht oder erst sehr spät vom Partner trennen, wenn sie Gewalt in der Beziehung erleben. Des Weiteren wird die Wichtigkeit des Kontaktes zu einer Vertrauensperson außerhalb der Gewaltbeziehung deutlich. Diese kann dazu beitragen, dass die gewaltbetroffene Frau durch interpretativ-deutende Soziale Unterstützung Situationen (wieder) realistisch beurteilen und angemessen handeln kann. Erfolgreiches Agieren kann durch Hilfe von außen wiedererlernt werden.
1.2.2Stockholm-Syndrom mit Phasen der Viktimisierung
Als so genanntes „Stockholm-Syndrom“ wird ein Verhalten bezeichnet, bei welchem Geiseln ein positives emotionales Verhältnis zu den Geiselnehmern aufbauen, mit diesen sympathisieren oder kooperieren. Diese psychologischen Erscheinungen lassen sich sowohl bei Geiseln als auch bei gewaltbetroffenen Frauen in ähnlicher Form beobachten (vgl. Godenzi 1994: 249 f.).
Seinen Ursprung hat die Bezeichnung „Stockholm-Syndrom“ in einem Banküberfall im Jahr 1973 in Stockholm, bei welchem die Geiseln größere Angst vor der Polizei als vor den Geiselnehmern entwickelten. Der Gebrauch des Begriffes Syndrom ist umstritten, da in der Psychopathologie und der Medizin erst von einem Syndrom die Rede ist, wenn verschiedene Störungsanzeichen bei einer Krankheit gemeinsam auftreten und eine Erscheinung verursachen (vgl. Reinhold; Lamnek; Recker 2000: 668). Erst wenn das Opfer durch die emotionale Identifikation mit dem Täter das eigene Norm- und Wertesystem aufgibt und das des Geiselnehmers annimmt, kann von einer Störung, einem Syndrom, die Rede sein. Ab diesem Zeitpunkt scheint das Verhalten über den eigentlichen „Überlebenswillen“ hinauszugehen (vgl. Wieczorek 2003: 430).
In Anlehnung an Symonds (vgl. 1980: 129 ff.) Viktimisierungssequenz der Opfer von Geiselnahmen, beschreibt Godenzi (1994: 249) vier Entwicklungsetappen der Viktimisierung in Bezug auf gewaltbetroffene Frauen:
„(1) Sie können nicht glauben, was ihnen widerfahren ist, sind schockiert und versuchen so zu tun, als ob nichts geschehen ist.
(2) Die Realität des Gewaltaktes ist nicht mehr zu leugnen. Die Frauen reagieren mit oberflächlicher Beherrschtheit (…), sie fühlen sich hilflos und alleingelassen. Die bei Vergewaltigungen häufig beobachtete Abspaltung des malträtierten Körpers vom Geist findet statt. (…)
(3) Die Frauen machen sich Gedanken darüber, was sie falsch gemacht haben und wie sie sich in Zukunft anders verhalten werden. Die guten Vorsätze wollen sie in die Tat umsetzen, sobald der Gewaltterror ein Ende gefunden hat.
(4) In der letzten Phase regredieren die Betroffenen angesichts ihrer Ohnmacht in unterwürfige Verhaltensweisen («traumatic psychological infantilism»). Sie identifizieren und arrangieren sich mit dem Misshandler und der Abhängigkeitssituation.“
Besonders die vierte Phase der von Symonds entwickelten Viktimisierungssequenz, die positiven Einstellungen des Opfers gegenüber dem Täter bzw. die Identifikation mit dem Aggressor, wird als „Stockholm-Syndrom“ bezeichnet. Auch wenn die Situation von Geiseln mit der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen nur bedingt vergleichbar ist, folgt deren Verhalten ähnlichen psychologischen Mechanismen: Um das eigene Überleben zu sichern, erfolgt oft eine Anpassung der Betroffenen an den Täter (vgl. Graham/Rawlings/Rimini 1988: 219). Für die Entstehung des Stockholm-Syndroms sind nachfolgende Bedingungen notwendig (vgl. ebd.). Godenzi (vgl. 1994: 250) überträgt diese auf Männergewalt gegen Frauen:
(1) Das Leben der Frau wird bedroht.
(2) Die Frau kann nicht entkommen oder glaubt, nicht entkommen zu können.
(3) Die Frau ist von anderen Personen isoliert.
(4) Der Täter ist zumindest zeitweise freundlich und liebenswürdig.
In langjährigen Gewaltbeziehungen sind diese Bedingungen häufig gegeben. Von „traumatic bonding“ (vgl. Dutton/Painter 1981: 146 ff.) kann gesprochen werden, wenn starke emotionale Bindungen zwischen zwei Personen in einer Beziehung bestehen, die durch Misshandlung und/oder Missbrauch der einen Person durch die andere und starke Machtunterschiede zwischen Ihnen gekennzeichnet ist. Ist die Frau in der Gewaltbeziehung untergeordnet, fühlt sie sich zunehmend hilflos und bildet ein unrealistisch geringes Selbstwertgefühl aus, das mit Ängsten und Depressionen einhergeht. Ist der Mann der dominante Part in der Misshandlungsbeziehung, entwickelt er ein unrealistisch übersteigertes Selbstbewusstsein und Abhängigkeit von der untergeordneten Frau, da nur so Gefühle von Macht und Selbstverherrlichung aufrechterhalten werden können. Jeder der Partner braucht den anderen, um die Bedürfnisse zu befriedigen, die in Folge des Machtungleichgewichtes entstehen (vgl. Graham; Rawlings; Rimini 1988: 220 f.).
Ein anderer wichtiger Aspekt traumatischer Bindung ist die Abwechslung von gewalttätigem mit freundlichem und liebenswürdigem Verhalten des Gewaltausübenden. Sind in einer solchen Situation keine anderen sozialen Beziehungen verfügbar, entsteht eine starke emotionale Bindung an die positive freundliche Seite des Misshandlers (vgl. ebd.: 221). Das ambivalente Verhalten des Mannes gegenüber der Frau steigert sein Kontrollpotenzial. In der Hoffnung auf positives Verhalten des Mannes passt sich die Frau seinen Launen und Wünschen an. „Diese Überlebenstechnik, oft als passives Verhalten missverstanden, ist sowohl bei Opfern von Geiselnehmern als auch bei misshandelten Ehefrauen zu beobachten. (…) Die positiven Gefühle für den Misshandler und die Abwehr von Aussenhilfe (…) sind aus obriger Perspektive keine kollaborativen Handlungen der Frauen mit dem Täter, sondern Versuche, ausweglose Situationen einigermaßen unbeschadet überleben zu können. Diese Sichtweise erklärt, warum es missbrauchten Frauen schwerfallen kann, ihren Misshandler zu verlassen oder weshalb sie immer wieder zu ihm zurückkehren.“ (Godenzi 1994: 250 f.).
Meyer et al. (vgl. 2009: 14) fanden heraus, dass Frauen, die das gewalttätige Verhalten ihres Partners entschuldigten, weniger Copingstrategien einsetzten als Frauen, die die Verantwortung für die Gewalthandlungen beim Partner sahen.
1.2.3Zyklustheorie der Gewalt
Nach Walker (vgl. 1994: 84) ist häusliche Gewalt meist durch das Ineinandergreifen verschiedener Gewaltarten und einen spiralförmigen Handlungsverlauf gekennzeichnet. Sie beschränkt sich in ihren Untersuchungen und Ausführungen ausschließlich auf Frauen als Betroffene von Gewalt in Beziehungen. Ob sich die Erkenntnisse auch auf gewaltbetroffene Männer in Beziehungen übertragen lassen, bleibt offen. Daher haben die nachfolgenden Ausführungen ausschließlich von häuslicher Gewalt betroffene Frauen zum Gegenstand.
Nach Interviews mit zahlreichen Frauen in Amerika und England entwickelte Walker (vgl. 1994: 84 ff.) das theoretische Konstrukt der Zyklustheorie der Gewalt. Nach dieser Theorie untergliedern sich Gewalthandlungen in Beziehungen in verschiedene Stufen: Phase des Spannungsaufbaus, akute Gewalt, Phase der Reue und der liebevollen Zuwendung.
Die Phase des Spannungsaufbaus ist gekennzeichnet durch Beschimpfungen, Demütigung, Abwertung, Bedrohung, Einschränkung und Kontrolle des einen Partners durch den anderen. Zum Teil kommt es in dieser Phase auch zu körperlichen Auseinandersetzungen. Die Betroffene richtet ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Partner und versucht durch ihr Verhalten diesem keinen Anlass für erneute Gewaltausbrüche zu bieten, ihn nicht zu provozieren. Eigene Bedürfnisse und Ängste nimmt die Gewaltbetroffene in dieser Phase nicht wahr oder unterdrückt sie. „Je stärker die Angst, desto größer wird die Versuchung sich an die eine erlaubte Beziehung zu klammern: die Beziehung zum Täter.“ (Herman 2006: 116).
In der praktischen Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen in Frauenzufluchtswohnungen berichteten die Betroffenen, dass ihr vorsichtiges Verhalten gegenüber dem Partner als Auslöser für die körperliche Gewaltausübung durch diesen benannt wurde. Durch die Vorahnung der möglicherweise folgenden Gewalthandlungen sind die Betroffenen starkem psychischen Stress ausgesetzt. In Folge dessen können Ängste, Depressionen, Schlaf- und Appetitlosigkeit, Übermüdung, Spannungskopfschmerzen, Magenbeschwerden, allergische Hautreaktionen oder Bluthochdruck auftreten (vgl. Walker 1994: 62).
Die Phase der akuten Gewalt ist charakterisiert durch die Entladung der in Phase eins aufgebauten Spannungen durch Gewaltausübungen sowie Kontrollverlust. „Der Auslösefaktor für den Eintritt in Phase Zwei ist selten das Verhalten der misshandelten Frau, es ist vielmehr ein äußeres Ereignis oder der innere Zustand des Mannes.“ (ebd.: 89). Nach der Zeit der großen Anspannung, der Angst und Nervosität sehnen sich die Betroffenen nach Ruhe. Sie haben erfahren, dass nach der Phase der akuten Gewalt die Phase der Ruhe und Reue einsetzt. In Fällen, in denen beide Parteien schon länger in einer gewaltgeprägten Beziehung leben und den Zyklus der Gewalt schon mehrfach durchlaufen haben, ist es möglich, dass Frauen den Gewaltausbruch ihres Partners bewusst „provozieren“. Manche Frauen bevorzugen es, die Gewalthandlungen möglichst schnell zu überstehen als in ständiger Angst vor ihnen zu leben. Da sie oft erfahren mussten, dass die akute Gewalt nicht verhindert werden kann, wollen sie wenigstens Zeitpunkt und Auslöser des Gewalthandelns bestimmen. So fühlen sie sich nicht gänzlich ausgeliefert und fremdbestimmt.
Die Phase der akuten Gewalt bietet der Betroffenen nur wenige Handlungsmöglichkeiten: Flucht, Gegenwehr oder Ertragen der Misshandlung. Sind Flucht oder Gegenwehr nicht möglich, löst das Ausharren in der gewaltgeprägten Situation Gefühle der Ohnmacht, Abhängigkeit und Hilflosigkeit aus (vgl. Herman 2006: 54). Die Betroffenen wissen nicht, wie lange die Gewalt andauern wird, welche Gewaltformen noch folgen. Keine der möglichen Reaktionen hat Einfluss auf das gewalttätige Verhalten des Partners. Diese Situationen können mit Todesängsten verbunden sein und emotionale Schockzustände und andere schwerwiegende psychische Folgen nach sich ziehen (vgl. Walker 1994: 89).
Die Phase der Reue und der liebevollen Zuwendung schließt sich an die Phase der akuten Gewalt an. In diesem Zeitraum bereut der Gewaltausübende sein Verhalten. Er schämt sich, fühlt sich ohnmächtig, möchte sein Verhalten rückgängig machen, bittet um Verzeihung, macht Geschenke, gelobt sich zu bessern. Manche appellieren an Liebe und Verantwortung, versprechen einen „Neuanfang“, um die Partnerin zum Verbleib in der Beziehung zu motivieren. Einige Gewaltausübende setzen auch FreundInnen und Verwandte ein, um die Betroffenen zur Aufrechterhaltung der Beziehung zu bewegen. In dieser Phase hoffen viele Betroffene, dass der Partner sein Verhalten dauerhaft bessert. Sie ziehen erfolgte Anzeigen zurück bzw. gehen, falls sie in der Phase der akuten Gewalt zu Familie, FreundInnen, in ein Frauenhaus oder eine Frauenzufluchtswohnung flüchten konnten, in die Beziehung zurück.
Erinnerungen an die erfahrene Gewalt werden durch die schöne und harmonische Zeit mit dem Partner verdrängt, die erlittene Gewalt gegenüber Außenstehenden bagatellisiert, der Gewaltausübende verteidigt. „Die Hoffnung auf ein Bad, ein freundliches Wort oder die Erfüllung eines anderen natürlichen Bedürfnisses kann für einen Menschen, dem dies lange verweigert wurde, sehr verführerisch sein. (…) Gewährt er [der Gewaltausübende, Anm. J. W.] dem Opfer je nach Laune kleine Vergünstigungen, untergräbt das die psychische Widerstandskraft sehr viel wirkungsvoller, als wenn er es unablässig misshandelt und in Angst hält.“ (Herman 2006: 112 f.).
Die Suche nach Ursachen für die Gewaltausbrüche führen häufig zur Verschiebung von Schuld und Verantwortung. Die Gewaltausübenden benennen die Gewalt als etwas Unkontrollierbares. Daher suchen sie die Gründe für ihr gewalttätiges Verhalten nicht bei sich selbst, sondern in äußeren Umständen z. B. Stress am Arbeitsplatz, Alkoholkonsum oder im Verhalten der Partnerin. Sie schieben die Verantwortung und die Schuld für das gewalttätige Verhalten anderen zu. Viele der Betroffenen tolerieren dies und verzeihen dem reumütigen Partner. Oft übernehmen sie sogar die Verantwortung für die Gewalt, um das Gefühl der totalen Ohnmacht zu umgehen. Sie halten so die Illusion aufrecht, die Situation unter Kontrolle zu haben und die nächste Eskalation verhindern zu können. Suchen weder die Betroffene noch der Gewaltausübende Hilfe von außen, setzt oft unbemerkt die Phase des Spannungsaufbaus bis hin zur akuten Gewaltausübung erneut ein. Wenn eine weitere Gewalteskalation erfolgt, fühlen sich die Betroffenen oft schuldig dafür, dass sie diese nicht verhindern konnten. Der Gewaltausübende übernimmt keine Verantwortung für die Tat. Mit jedem Gewaltzyklus fühlt sich die Betroffene schuldiger, der Ausübende immer mächtiger. Nachfolgend treten die Phasen der Gewaltausbrüche in immer kürzeren Abständen auf (vgl. Walker 1994: 100).
Das Erleben positiver Phasen mit dem Partner ist sehr bedeutsam und erschwert den Betroffenen die Herauslösung aus der gewalttätigen Beziehung. Die Hoffnung auf eine Änderung des Partners und einen gewaltfreien „Neubeginn“ der Beziehung bleibt oft über Jahre hinweg erhalten. Da die Betroffenen meist nicht voraussehen können, wann Gewaltausbrüche stattfinden, stehen sie unter großer Anspannung. Andererseits erleben sie auch liebvolle und zärtliche Phasen. Diese Wechselhaftigkeit der Beziehung erschwert den Betroffenen die Herauslösung aus dieser. Je länger sie in der Beziehung verbleiben, umso größer werden die Schuld-, Scham- und Ohnmachtsgefühle. Das Selbstwertgefühl und das Vertrauen in die Handhabbarkeit und Einflussnahme auf die eigene Situation werden besonders durch die Phasen des Spannungsaufbaus negativ beeinflusst (vgl. ebd.).
1.2.4Die vier Muster der Gewaltdynamik
Helfferich et al. (vgl. 2004: 42 ff.) entwickelten anhand von Interviews mit gewaltbetroffenen Frauen und vor dem Hintergrund der beschriebenen Theorien vier verschiedene Muster der Gewaltdynamik, welche sich im Beziehungsverlauf abwechseln oder ineinander übergehen können. Grad und Art der Handlungsmächtigkeit der Frauen waren Grundlage für die Bildung der Muster.
„Rasche Trennung nach relativ kurzer (Gewalt-)Beziehung“ bezeichnet ein Muster, nach dem vor allem jüngere Frauen keine Gewalt erdulden wollen und sich bei ersten Gewaltanzeichen schnell und dauerhaft trennen. Diese Frauen werden als selbstbewusst und sozial gut eingebunden beschrieben. Unterstützungsbedarf besteht bei der Umsetzung der Trennung und beim Bewältigen der Anforderungen der neuen Situation.
Das zweite Muster „Neue Chance“ tritt zumeist in langjährigen Beziehungen auf. Frauen, deren Situation diesem Muster zugeordnet wird, empfinden sich selbst als handlungsfähig und wenig verstrickt. Sie verfügen meist über gesicherte Rahmenbedingungen und hoffen auf die Veränderungsbereitschaft des Mannes. Sie sind sich sicher, dass sie die Beziehung aufrechterhalten wollen und suchen in der Beratung konkrete Unterstützungsmöglichkeiten für ihren Mann.
„Fortgeschrittener Trennungsprozess“ kann als Muster nach langjährigen Gewalterfahrungen auftreten. In diesem Stadium haben die Frauen angefangen, nach neuen Wegen zu suchen, sie sind sich ihrer Trennung sicher oder suchen Unterstützung zur Verstärkung des Trennungsgedankens.
Das vierte Muster, „Ambivalente Bindung“, tritt in längeren, durch häusliche Gewalt geprägte Beziehungen und in unterschiedlichen sozialen Situationen auf. Frauen, deren Situation diesem Muster zugeordnet werden kann, sind oft traumatisch gebunden. Sie sind sich bewusst, dass der Verbleib beim gewalttätigen Partner ihnen schadet und sie sich trennen sollten. Diese Frauen können sich nicht lösen, weil sie sich hilflos und ausgeliefert fühlen und haben keine Erklärung dafür (vgl. Kapitel 1.2.1). Unterstützungsbedarf besteht im Vermitteln von Sicherheit sowie Schutz und Stärkung der Frau. Das Wissen um Dynamiken häuslicher Gewalt, vorurteilsfreies Annehmen der Person, Empathie und Verständnis der Unterstützenden sind für die Erhöhung der Handlungsfähigkeit der Frau von großer Bedeutung.
1.3Vorkommen und Häufigkeit häuslicher Gewalt
Häusliche Gewalt gegen Frauen ist ein globales Thema. „Violence against women is a universal phenomenon that persists in all countries of the world, and the perpetrators of that violence are often well known to their victims.“ (Krug et al. 2005: VII). Häusliche Gewalt tritt unabhängig von sozialen Schichten, Nationalitäten, Bildungsstand, Einkommen und Kulturen auf (vgl. Hombrecher et al. 2006: 14; vgl. Krug et al. 2003: 20).
Prävalenzstudien zu häuslichen physischen und sexuellen Gewalterfahrungen von Frauen liegen inzwischen für eine Vielzahl von Ländern vor. Sie lassen sich oft nicht direkt vergleichen, da Definitionen des Untersuchungsgegenstandes, Forschungsdesign, Fragestellungen, Zeiträume in denen Gewalterfahrungen stattfanden, Befragungskontexte und Auswahl sowie Umfang der Stichproben differieren. Einer sekundäranalytisch vergleichenden Metastudie des Forschungsnetzwerkes CAHRV zufolge hat in europäischen Ländern jede dritte bis fünfte Frau1 körperliche Gewalt durch derzeitige oder frühere Beziehungspartner erfahren (vgl. Schröttle/Martinez/Condon et al. 2006: 12). Für sexuelle Gewalterfahrungen durch den derzeitigen oder ehemaligen Partner liegen die Werte zwischen sechs und zwölf Prozent (vgl. ebd.: 18). Verglichen wurden Datensätze aus Studien aus den Ländern Deutschland (Schröttle/Müller 2004), Schweden (Lundgren et al. 2002), Frankreich (Jaspard et al. 2003), Litauen (Reingardiene 2002; 2003) und Finnland (Heiskanen/Piispa 1998).
Der „World report on violence and health“ (vgl. Krug et al. 2002 a, b) präsentiert erstmals Ergebnisse internationaler Studien aus fünf Kontinenten. Er zeigt auf, dass Lebenszeitprävalenzen körperlicher Gewalt durch den derzeitigen oder früheren Intimpartner je nach Untersuchungsland sehr stark schwanken. „In 48 population-based surveys from around the world, 10 – 69% of women reported being physically assaulted by an intimate male partner at some point in their lives. Most victims of physical aggression are subjected to multiple acts of violence over extended periods of time. They also tend to suffer from more than one type of abuse.“ (Krug et al. 2002 b: 15).
Zur Erklärung dieser weit reichenden Differenzen existieren verschiedene Hypothesen. Länder, die sehr arm sind oder in denen bewaffnete Konflikte oder soziale Umwälzungen stattfinden oder vor kurzer Zeit auftraten, wiesen hohe Prozentränge auf, z. B. Nicaragua/Managua (69%), Papua Neu Guinea (67%) oder Türkei (58%). Wo Gewalt alltäglich ist und Menschen einfachen Zugriff zu Waffen haben, sind die sozialen Beziehungen, auch die Geschlechterrollen, gestört. Es wird angenommen, dass Frauen während der Zeit der wirtschaftlichen und sozialen Zerrüttung unabhängiger sind und größere ökonomische Verantwortung übernehmen. Dagegen können Männer ihrer kulturell zugedachten Rolle als Beschützer und Ernährer in dieser Zeit nicht mehr gerecht werden. Diese Faktoren können das Vorkommen und die Häufigkeit häuslicher Gewalt steigern, sind jedoch noch nicht ausreichend erforscht. Eine andere Hypothese macht strukturelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen, starre Geschlechterrollenverteilung, ein Männlichkeitsbild, das mit Dominanz, männlicher Ehre und Aggression einhergeht, für ein höheres Risiko der Gewaltbetroffenheit von Frauen in Partnerschaften verantwortlich (vgl. Krug et al. 2002 a: 100).
Die o. g. Studie zeigt auf, dass körperliche Gewalt durch den derzeitigen oder früheren Intimpartner vor allem von Männern gegen Frauen ausgeübt wird. „Although women can be violent towards their male partners and violence occurs also between partners of the same sex, the overwhelming burden of partner violence is borne by women at the hands of men.“ (Krug et al. 2002 b: 15).
Martinez et al. (vgl. 2006: 11) kommen durch den Vergleich der Ergebnisse ausgewählter europäischer Untersuchungen zu der Erkenntnis, dass die Häufigkeit physischer und/oder sexueller Gewalt durch frühere oder aktuelle Intimpartner in Europa zwischen 4% und über 30% liegt. In der deutschen Gewaltprävalenzstudie (vgl. Müller et al. 2004 a: 222) gaben 25% der in Deutschland befragten Frauen an, von physischer und/oder sexueller Gewalt in der Partnerschaft betroffen zu sein. Ausschließlich körperliche Gewalt in Paarbeziehungen erlebten 6% bis über 25% der Frauen in europäischen Untersuchungen (vgl. Martinez et al. 2006: 11). In Deutschland waren es 23% (vgl. Müller et al. 2004 a: 29).
Die Lebenszeitprävalenz für sexuelle Gewalt in Paarbeziehungen liegt in den Ländern Europas zwischen 4% und über 20% (vgl. Martinez et al. 2006: 11; vgl. Müller et al. 2004 a: 29). Nach dieser Studie haben in Deutschland 7% der befragten Frauen jemals sexuelle Gewalt in der Partnerschaft erfahren (vgl. ebd.).
Einige der europäischen Untersuchungen erfassen das Vorkommen psychischer Gewalt separat. Zwischen 19% und 42% der befragten Frauen gaben in diesen an, jemals in ihrem Leben von psychischer Gewalt durch Intimpartner betroffen gewesen zu sein (vgl. Martinez et al. 2006: 11). In der irischen Studie von Kelleher et al. (vgl. 1995) erfolgte die Befragung von Frauen per Fragebogen unter anderem zu „mental cruelty“. Diese war unter den Befragten im Vergleich zu anderen Arten der Gewalt am weitesten verbreitet. Gillioz et al. (vgl. 1997: 27) ermittelten in ihrer repräsentativen Telefonumfrage in der Schweiz psychische Gewalt separat. 26,2% der befragten Personen gaben an, in den letzten 12 Monaten von psychischer Gewalt betroffen zu sein. Die Lebenszeitprävalenz für psychische Gewalt betrug 40,3%. Müller et al. (vgl. 2004 a: 253) gehen davon aus, dass in jeder fünften bis sechsten Partnerschaft in Deutschland psychische Gewalt in mittlerer oder schwerer Ausprägung vorkommt.
In einigen Studien erfolgte die Befragung nach psychischer Gewalt in Zusammenhang mit anderen Gewaltarten, z. B. physischer oder sexueller Gewalt. Einer schwedischen Studie zu Folge erlebten 15,8% der Befragten psychische und körperliche Gewalt, 5,5% sexuelle und psychische Gewalt durch frühere und derzeitige Beziehungspartner (vgl. Schröttle et al. 2006: 69).
Exkurs: Gewalt gegen Männer
Untersuchungen zum Thema Gewalt in verschiedenen Kontexten, deren Auswirkungen und mögliche Ursachen beziehen sich bisher fast ausschließlich auf Männer als Gewaltausübende und Frauen bzw. Kinder als Gewaltbetroffene. Dass sich Gewalt in den meisten Fällen von Männern gegen Männer richtet, sei es im Krieg oder im täglichen Leben, z. B. auf der Straße, in der Schule, am Arbeitsplatz oder in Haftanstalten, wird gesellschaftlich und politisch weitgehend ignoriert (vgl. Lenz 2007: 21). Dennoch sind Jungen und Männer einem erheblichen Risiko ausgesetzt, körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt in der Öffentlichkeit, in Institutionen, aber auch in Beziehungen zu erfahren. Ausmaß, Ursachen und Folgen der Gewaltausübung gegen Männer standen bisher kaum im Forschungs- und gesellschaftlichen Interesse. Dementsprechend sind Erfahrungen mit und Wissen über Beratungs- und Behandlungsbedarf, Unterstützungsmöglichkeiten, adäquate Beratungs- und Hilfeangeboten für gewaltbetroffene Männer in Deutschland bisher wenig ausgeprägt (vgl. Hornberg et al. 2008: 7).
„Erst zaghaft entsteht eine Diskussion über Männer als Opfer von Gewalt […] die vielleicht geeignet wäre, das Männerbild in diesem Forschungsfeld zu differenzieren. […] In Deutschland scheint aber zwischen den Geschlechtern ein Dialog zum Thema von beiden Seiten blockiert oder nur schwerfällig voranzukommen. Die frauenzentrierte Literatur behandelt den übergreifenden oder gewalttätigen Mann oft als fremdartiges Wesen, das absichtsvoll eigene Bedürfnisse auf Kosten von anderen befriedigt. Die allmählich wachsende Literatur aus männlicher Sicht setzt sich nur selten mit den deutschen feministischen Befunden und Erklärungsmodellen auseinander […].“ (Hagemann-White 2002: 145).
Zu Vorkommen und Verteilung häuslicher Gewalt gegen Männer existieren in Deutschland noch keine repräsentativen Ergebnisse. Die Pilotstudie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zu Gewalterfahrungen von Männern (vgl. Forschungsverbund „Gewalt gegen Männer“ 2004 a) kann auf Grund der geringen Fallzahl nicht als repräsentativ angesehen werden. Sie eröffnet jedoch Forschungszugänge zu einer bisher eher vernachlässigten Thematik und erkundet das Problemfeld „Gewalt gegen Männer“. Erfragt wurden Gewaltwiderfahrnisse in den Bereichen Kindheit und Jugend, im Erwachsenenleben (Öffentlichkeit und Freizeit, Arbeitswelt, Lebensgemeinschaften) und in besonderen Gewaltkontexten (z. B. im Krieg, in der Psychiatrie, im Gefängnis, beim Wehr- oder Zivildienst).
In dieser Studie gab jeder vierte Befragte an, einmal oder mehrmals körperliche Übergriffe durch eine ehemalige oder derzeitige Partnerin erfahren zu haben. Überwiegend wurden leichtere Formen körperlicher Gewalt, z. B. wütend wegschubsen, leichte Ohrfeigen, kratzen und beißen angegeben (vgl. ebd.: 197). Von den Befragten gaben ca. 5% an, in Zusammenhang mit häuslicher Gewalt mindestens einmal verletzt worden zu sein. Psychische Gewalt durch die Partnerin wurde weitaus häufiger als körperliche Gewalt von den befragten Männern thematisiert (vgl. ebd.: 207; vgl. GiG-net 2008: 33). „Auffällig ist hier der wesentlich höhere Anteil der Nennungen im Bereich der sozialen Kontrolle als im Bereich der direkten psychischen Angriffe, Demütigungen, Herabsetzungen und Beleidigungen.“ (Forschungsverbund „Gewalt gegen Männer“ 2004 b: 11).
Auf Grund der unterschiedlichen Fallzahlen und Gewaltdefinitionen lassen sich die deutsche Prävalenzstudie (vgl. Müller 2004 a) und die Pilotstudie (vgl. Forschungsverbund „Gewalt gegen Männer“ 2004 a) nur bedingt vergleichen. Bei der Betrachtung der Studien zeichnet sich jedoch ab, dass Frauen häufigeren und um ein Vielfaches schwereren Formen häuslicher Gewalt mit weitaus höherem Verletzungsrisiko ausgesetzt sind als Männer.
Walby und Allen (vgl. 2004: 12) kommen in der Auswertung einer repräsentativen Studie zu häuslicher Gewalt gegen Männer und Frauen im Rahmen des British Crime Survey für England und Wales zu vergleichbaren Ergebnissen. In dieser Studie gaben 26% der Frauen und 17% der Männer an, jemals in ihrem Leben, im Alter zwischen 16 und 59, von häuslicher Gewalt betroffen gewesen zu sein. Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen öfter schwere Formen häuslicher Gewalt in einer höheren Frequenz und mit schwerwiegenderen Gesundheitsfolgen als Männer erlebten (vgl. ebd.: 33 f.). In der Zeit, in der Frauen ihren Partner verlassen, besteht das höchste Risiko dafür, dass sie misshandelt oder sogar getötet werden (vgl. Kavemann 2002: 30).
Es ist anzunehmen, dass auf dem Gebiet der häuslichen Gewalt eine große Dunkelziffer existiert, da sich nur ein Bruchteil der Betroffenen an Beratungsstellen, Polizei, Frauenhäuser oder Frauenzufluchtswohnungen wendet. Die Bereitschaft zur Nutzung von Hilfeangeboten und zur Anzeige von häuslicher Gewalt ist bei Männern deutlich geringer ausgeprägt als bei Frauen. Ursache dafür kann das fehlende Bewusstsein für die Unzumutbarkeit häuslicher Gewalt sein. Weitere Gründe liegen in stereotypen Denkmustern, die besagen, dass ein Mann nicht von häuslicher Gewalt durch seine Partnerin betroffen und dass der meist körperlich Größere und Stärkere kein Opfer sein kann. Scham und Angst, dass Ihnen nicht geglaubt wird oder die Partnerin sich rächt sowie fehlende spezifische Männerberatungsstellen tragen zusätzlich dazu bei, dass Männer weder Hilfeangebote nutzen noch Anzeige erstatten. Ein Grund, der beide Geschlechter von der Anzeigeerstattung bzw. der Nutzung von Hilfeangeboten abhält, ist die Hoffnung auf Veränderung des/der Partners/-in, zum Teil in Zusammenhang mit Schuldgefühlen und der Hinterfragung des eigenen Verhaltens. Als weiteres Motiv zählt der Wunsch die Familie zusammen zu halten bzw. die Angst den Kindern durch eine Trennung zu schaden (vgl. Forschungsverbund „Gewalt gegen Männer“ 2004 a: 192).
Trotz unterschiedlicher Gewaltprävalenzen in den einzelnen Untersuchungen verdeutlichen die Ergebnisse, dass häusliche Gewalt ein gesamtgesellschaftliches Phänomen von erheblichem Ausmaß ist. Trotzdem tragen bestimmte Personengruppen in bestimmten Lebenskontexten im Vergleich zu anderen ein größeres Risiko, in ihrem Leben häusliche Gewalt zu erfahren.
1.4Personen mit erhöhter Vulnerabilität und risikoreichen Lebenssituationen
Häusliche Gewalt findet in allen sozialen Schichten statt. Dennoch erhöhen bestimmte Situationen das Risiko, von häuslicher Gewalt betroffen zu sein oder sie erschweren die Herauslösung aus gewaltgeprägten Beziehungen. Spezifische Gruppen von Personen mit besonderen Merkmalen oder in besonderen Lebenssituationen, z. B. Obdachlose, Homosexuelle, Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Behinderungen tragen ein erhöhtes Risiko (häusliche) Gewalt zu erleiden (vgl. GiG-net 2008: 37 f.).
Vor allem Veränderungsphasen, komplexe Problemkonstellationen und Umbrüche im Lebenslauf steigern die Vulnerabilität für Gewalterfahrungen. Dazu zählen zum Beispiel „(…) Schwangerschaft und Mutterschaft, Behinderung, Krankheit, hohes Alter, ungesicherter Aufenthalts- oder Minoritätenstatus, Integration in traditionell patriarchalisch strukturierte Familienverbände, sozioökonomische Mangellagen, die mit benachteiligenden Lebens- und Arbeitsverhältnissen zusammenhängen, sowie die Einbindung in Institutionen, die mit spezifischen Abhängigkeiten einhergehen (…)“ (Hornberg et al. 2008: 20).
Für die vulnerablen Personengruppen Prostituierte, Migrantinnen2, Flüchtlingsfrauen3 und Frauen mit Behinderungen4 erfolgt eine vertiefende Darstellung, da diese im Vergleich zu anderen vulnerablen Personen verstärkt Zuflucht und Unterstützung in Frauenzufluchtswohnungen suchen.
Weitaus höhere Betroffenheitsraten von körperlicher und sexueller Gewalt durch (ehemalige) Partner im Vergleich zu den befragten Frauen der Hauptstudie (25%) ergaben sich vor allem für Prostituierte (62%), Flüchtlingsfrauen (54%), inhaftierte Frauen (47%)5 und Türkinnen (38%). Die Prävalenz der Gewalt in Beziehungen der Osteuropäerinnen (28%) war im Vergleich zu den Ergebnissen der Hauptstudie (25%) nur leicht erhöht (vgl. Müller et al. 2004 b: 24).
1.4.1Prostituierte
Müller et al. (vgl. ebd.) kommen zu dem Ergebnis, dass Prostituierte in der Kindheit und Jugend in besonders hohem Maße sexuell missbraucht (43%) und körperlich bestraft (52%) wurden. Sie gelten auf Grund der Missbrauchs- und Gewalterfahrungen und eines erhöhten Unsicherheitsgefühls in Bezug auf (häusliche) Gewalt im Erwachsenenleben als eine hochgradig gefährdete Gruppe. „Insgesamt deutete sich in der Untersuchung an, dass sowohl der schlechte gesundheitliche und psychische Zustand der Frauen wie auch der Mangel an verbindlichen und stabilen sozialen Bezugspersonen und die zudem vielfach vorhandenen Traumatisierungen und psychischen Beeinträchtigungen durch frühe Gewalterfahrungen in der Kindheit Faktoren sein können, die den eigenen Schutz vor Gewalt und Übergriffen im Erwachsenenleben beeinträchtigen und Gefährdungen erhöhen können.“ (ebd.: 26).
Nach Humphreys (vgl. 2007: 124) sind Sexarbeiterinnen, die auf der Straße arbeiten oder die Opfer des Frauenhandels wurden, am meisten gefährdet Gewalt zu erfahren. Aber auch andere Prostituierte berichten über ein hohes Maß an sexueller Gewalt durch Freier oder Zuhälter (vgl. ebd.). Als Folgen davon können gesundheitliche Probleme und risikoreiches Bewältigungsverhalten auftreten. „The spiral of terrible working conditions and violence increases the risk of serious health problems and high-risk health behaviors, such as drug abuse and smoking.“ (ebd.).
1.4.2Inhaftierte Frauen