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Spargel in Afrika ist eine leise, persönliche Erzählung zwischen Melancholie und Ironie, ein Monolog, der sich als Dialog verkleidet, als wortreiche und zugleich sprachlose Auseinandersetzung eines fürsorglichen Sohnes mit seinem lebensmüden, 90-jährigen Vater, der im Krankenhaus liegt und sterben wird. Der Sohn spürt, dass auch er älter wird und in der Generationenfolge den Platz seines Vaters einnehmen wird. Während dieser womöglich letzten Begegnung berühren beide das Thema des Nährens und Genährt-Werdens als universelles Bedürfnis des Menschen. Gemeinsame Essens-Erinnerungen helfen ihnen, eine Übereinstimmung zu finden, dort, wo es unmöglich geworden zu sein scheint, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu verbalisieren.
»Was fehlt dir, Vater?«, frage ich ihn und gebe mir die Antwort selbst: Nichts, natürlich; du hast alles, was du brauchst.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
I.
II.
III.
Corinna Antelmann
Bücher von Corinna Antelmann
Für Thomas
Es gibt niemanden, der Spargel so isst wie er: Das Messer unberührt neben dem Teller, sticht er mit der Gabel in die Mitte der Stange, führt sie zum Mund und schlürft sie in einem Zug hinein, vorsichtig, damit die Butter nicht über das Kinn tropft. Er beherrscht die Technik ausgezeichnet. Abgesehen von dem Geräusch, das dabei entsteht, nimmt sich der Vorgang nicht einmal unappetitlich aus, zumal er peinlich darauf achtet, nach jeder Stange den Mund mit der Stoffserviette abzutupfen, bevor es an die nächste geht.
Spargel gehört zu seinen Lieblingsspeisen.
Als er in Afrika war, ließ er sich ein Paket aus Deutschland schicken, für ein fulminantes Spargelessen, das der schwarze Koch dann in eine Katastrophe verwandelte. Die gesamte Familie sitzt bereits um den afrikanischen Tisch aus Tropenholz, das damals noch nicht als politisch inkorrekt galt, sonst hätte Vater ihn sicher nicht angeschafft, der Spargel duftet, der Schinken steht servierfertig bereit.
François, où sont les patates?, fragt er. Wo sind die Kartoffeln?
Und François: Je les ai oublié, patron.
Er hatte vergessen, die Kartoffeln zu kochen. Wunderbare Petersilie-Kartoffeln, dampfend in der Schüssel aufgetragen und weich genug, um sie zu zerdrücken und in der Butter zu schwenken, wie es in Westfalen üblich gewesen war. Von Sauce Hollandaise hatte er sich, solange er in Afrika zu tun hatte, ohnehin schweren Herzens verabschiedet, denn der Versuch, dem Koch zu erklären, wie das gehen könnte, wäre von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.
So dachte er wohl.
Ich weiß nicht, warum ich ausgerechnet an Spargel denke, während der Fahrstuhl sich dem zweiundzwanzigsten Stock nähert.
Die Spargelzeit ist längst vorbei.
Die Zeit in Afrika ebenfalls.
Das Altersheim liegt direkt am Rhein. Auch Vaters kleine Wohnung schaut auf den Fluss, weil sie so weit oben liegt. Diesen Blick wünschte er sich immer und ist beinahe stolz darauf. Nun wohnt er dort, wo schon sein Vater wohnte, nachdem er zu alt geworden war, sich selbst zu versorgen.