Sportpsychologie -  - E-Book

Sportpsychologie E-Book

0,0

Beschreibung

Sports psychology is a dynamically developing discipline on the intersection between psychology and sports science. It deals with human experience and action in the complex field of sport and exercise. Areas of interest include options for ways of optimizing sports performance, on the one hand, and topics relating to sport and health as well as the sociopsychological effects of sport and exercise on the other. This textbook discusses these topics primarily in relation to the empirical and experimental foundations of the field and in the context of the current state of international research. In 12 chapters, internationally renowned authors introduce the empirical and experimental foundations for the individual topics of perception and attention, motor learning and motor expertise, emotion and motivation, embodiment and social-psychological aspects of sport, and they discuss the research methods that are central to each of these subject areas.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 621

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Herausgeber

Jörn Munzert ist Professor für Sportpsychologie und Bewegungswissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er war von 2003–2005 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie (asp) und von 2005–2008 Geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift für Sportpsychologie.

Markus Raab ist Professor für Psychologie an der Deutschen Sporthochschule Köln und zugleich Professor an der London South Bank University, UK. Von 2009–2012 war er Geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift für Sportpsychologie. Er ist Präsident der Europäischen Vereinigung für Sportpsychologie (FEPSAC).

Bernd Strauß ist Professor für Sportpsychologie an der Universität Münster. Von 2001–2004 war er Geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift für Sportpsychologie und ist seit 2011 zusammen mit Nikos Ntoumanis (AUS) Editor-in-Chief der Zeitschrift »Psychology of Sport and Exercise«. Von 2003–2009 fungierte er als Präsident der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft, seit 2013 ist er Präsident der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie (asp).

Jörn Munzert, Markus Raab, Bernd Strauß (Hrsg.)

Sportpsychologie

Ein Lehrbuch

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.

1. Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-021436-1

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-035503-3

epub:    ISBN 978-3-17-035504-0

mobi:    ISBN 978-3-17-035505-7

Verzeichnis der Autor*innen

 

 

Dr. Dennis Dreiskämper, Arbeitsbereich Sportpsychologie, Institut für Sportwissenschaft, Universität Münster

Prof. Dr. Anne-Marie Elbe, Institut für Sportpsychologie und Sportpädagogik, Sportwissenschaftliche Fakultät, Universität Leipzig

Prof. Dr. Reinhard Fuchs, Arbeitsbereich Sportpsychologie, Institut für Sportwissenschaft, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Dr. Philip Furley, Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik, Deutsche Sporthochschule Köln

Prof. Dr. Norbert Hagemann, Arbeitsbereich Psychologie und Gesellschaft, Institut für Sport und Sportwissenschaft, Universität Kassel

Prof. Dr. Mathias Hegele, Arbeitsbereich Experimentelle Sensomotorik, Institut für Sportwissenschaft, Justus-Liebig-Universität Gießen

Dr. Sandra Klaperski, Faculty of Social and Behavioural Sciences, University of Amsterdam

Prof. Dr. Jens Kleinert, Psychologisches Institut, Deutsche Sporthochschule Köln

Dr. Axel Kohler, Goethe Research Academy for Early Career Researchers (GRADE), Goethe-Universität Frankfurt a.M.

PD Dr. Florian Loffing, Institut für Sportwissenschaft, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Prof. Dr. Daniel Memmert, Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik, Deutsche Sporthochschule Köln

Prof. Dr. Jörn Munzert, Arbeitsbereich Sportpsychologie und Bewegungswissenschaft, Institut für Sportwissenschaft, Justus-Liebig-Universität Gießen

Dr. Fabian Pels, Psychologisches Institut, Deutsche Sporthochschule Köln

Prof. Dr. Dr. Markus Raab, Psychologisches Institut, Deutsche Sporthochschule Köln und London South Bank University, UK

Prof. Dr. Jörg Schorer, Institut für Sportwissenschaft, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Dr. Vanda Sieber, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich

Dr. Kathrin Staufenbiel, Arbeitsbereich Sportpsychologie, Institut für Sportwissenschaft, Universität Münster

Prof. Dr. Bernd Strauß, Arbeitsbereich Sportpsychologie, Institut für Sportwissenschaft, Universität Münster

Prof. Dr. Maike Tietjens, Arbeitsbereich Sportpsychologie, Institut für Sportwissenschaft, Universität Münster

Dr. Karsten Werner, Forschungsgruppe »Kognition und Motorik«, Universität Potsdam

Dr. Kathrin Wunsch, Institut für Sport und Sportwissenschaft, Karlsruher Institut für Technologie

Prof. Dr. Karen Zentgraf, Arbeitsbereich Bewegungs- und Trainingswissenschaft, Institut für Sportwissenschaften, Goethe-Universität Frankfurt a.M.

Inhaltsverzeichnis

 

 

Verzeichnis der Autor*innen

Einleitung

Jörn Munzert, Markus Raab & Bernd Strauß

1 Forschungsmethoden in der empirischen Sportpsychologie

Karen Zentgraf & Axel Kohler

1.1 Forschungsmethoden als Mittel zur Erkenntnisgewinnung

1.2 Maße und Messmethoden in der Sportpsychologie

1.3 Ethische Aspekte empirischen Arbeitens in der Sportpsychologie

Übungsfragen

Literaturvorschläge zum Weiterlesen

Literatur

2 Wahrnehmung und Bewegung im Sport

Jörn Munzert & Jörg Schorer

2.1 Grundlagen des Zusammenhangs von Wahrnehmung und Bewegung

2.2 Die Rolle der visuellen Wahrnehmung im Leistungssport

2.3 Das Training von Wahrnehmung

Übungsfragen

Literaturvorschläge zum Weiterlesen

Literatur

3 Aufmerksamkeit

Daniel Memmert & Philip Furley

3.1 Einleitung

3.2 Aufmerksamkeitsdimensionen

Übungsfragen

Literaturvorschläge zum »Weiterlesen«

Literatur

4 Motorisches Lernen

Mathias Hegele

4.1 Einleitung

4.2 Theorien und Modelle des motorischen Lernens

4.3 Einflussfaktoren motorischen Lernens

Übungsfragen

Literaturvorschläge zum Weiterlesen

Literatur

5 Mentales Training und Simulationstraining

Jörn Munzert & Karen Zentgraf

5.1 Grundlegende Experimente und Darstellung der Reviews und Meta-Analysen – was versteht man unter Mentalem Training?

5.2 Experimentelle Grundlagen der Bewegungsvorstellung und des Mentalen Trainings

5.3 Experimentelle Zugänge zu Bewegungsvorstellung und Bewegungsvorstellungstraining

5.4 Anwendungsbereiche des Mentalen Trainings

5.5 Motor Imagery und Brain-Machine Interfaces in der Neurorehabilitation

Übungsfragen

Literaturvorschläge zum Weiterlesen

Literatur

6 Expertise

Norbert Hagemann & Florian Loffing

6.1 Einleitung

6.2 Was ist Expertise?

6.3 Entstehung der Expertiseforschung

6.4 Der Experten-Novizen-Vergleich und die Expertiseforschung im Sport

6.5 Erklärungen von Expertenleistungen und die Bedeutung von

deliberate practice

6.6 Weitere Erklärungsfaktoren und ein multifaktorielles Modell

Übungsfragen

Literaturvorschläge zum Weiterlesen

Literatur

7 Embodiment

Markus Raab und Karsten Werner

7.1 Embodiment-Forschung

7.2 Theoretische Grundlagen

7.3 Empirische Grundlagen

7.4 Relevanz der Embodiment-Forschung für die Sportpsychologie

Übungsfragen

Literaturvorschläge zum Weiterlesen

Literatur

8 Soziale Einflüsse auf Verhalten und Leistungen

Kathrin Staufenbiel & Bernd Strauß

8.1 Einleitung

8.2 Sozialer Einfluss durch die bloße oder aktive Anwesenheit

8.3 Sozialer Einfluss durch Persuasion

8.4 Sozialer Einfluss durch Normen

Übungsfragen

Literaturvorschläge zum Weiterlesen

Literatur

9 Gruppe und soziale Beziehungen

Jens Kleinert & Fabian Pels

9.1 Einleitung

9.2 Begriffliche Bestimmungen

9.3 Modelle und Theorien

9.4 Treatments und Gruppenfaktoren

9.5 Zielgrößen

9.6 Transfer gruppenexperimenteller Erkenntnisse in die Praxis des Sports

9.7 Ausblick auf gruppenexperimentelle Forschung

Übungsfragen

Literaturvorschläge zum Weiterlesen

Literatur

10 Motivation und Volition

Anne-Marie Elbe & Vanda Sieber

10.1 Einführung in das Thema Motivation und Volition

10.2 Wie erfasst man Motivation und Volition? Darstellung verschiedener Verfahren

10.3 Welche Konstrukte werden gemessen und welche (sportspezifischen) Instrumente gibt es?

Übungsfragen

Literaturvorschläge zum Weiterlesen

Literatur

11 Emotionen und Stress

Reinhard Fuchs, Kathrin Wunsch & Sandra Klaperski

11.1 Stresstheoretische Grundlagen

11.2 Stress und Angst im Leistungssport

11.3 Stressregulation durch Sportaktivität

Übungsfragen

Literaturvorschläge zum Weiterlesen

Literatur

12 Selbstbezogenes Wissen im Kontext von Sport und physischer Aktivität: Das physische Selbstkonzept (PSK)

Maike Tietjens & Dennis Dreiskämper

12.1 Einführung

12.2 Selbstkonzept und Sport(-psychologie)

12.3 Vorherrschende methodische Designs und Messinstrumente

12.4 Wirkungen des PSK: Exercise and Self Esteem Model und Reciprocal-Effect-Model

12.5 Experimentelle, quasi-experimentelle und longitudinale Studien zum (physischen) Selbstkonzept

12.6 Interventionsstudien

Übungsfragen

Literaturvorschläge zum Weiterlesen

Literatur

Stichwortverzeichnis

Einleitung

Jörn Munzert, Markus Raab & Bernd Strauß

 

 

Sportpsychologie beschäftigt sich mit den Ursachen, Bedingungen und Folgen des Erlebens und Verhaltens im Sport (bzw. auch weitergehend in allen Formen der Bewegung) und leitet daraus auch Möglichkeiten der Beeinflussung ab, wie beispielsweise die Optimierung von Leistung durch mentale Prozesse im Leistungssport oder Maßnahmen zur Prävention von Gesundheitsrisiken sowie Krankheiten, aber auch zur Rehabilitation von Erkrankungen im Gesundheitssport. Sportpsychologie ist methodologisch, aber auch bezüglich ihrer Theoriebestände, der Basiswissenschaft Psychologie verpflichtet, sieht sich aber auch eng verbunden mit Disziplinen der Sportwissenschaft wie Bewegungswissenschaft, Sportmedizin, Sportsoziologie und Sportpädagogik.

Wie bspw. in dem Standard-Lehrbuch für Sportpsychologie von Weinberg und Gould (2018) ausführlich dargestellt wird, besitzt die Sportpsychologie drei Funktionen: Forschung, Lehre und Beratung bzw. Intervention im sportpraktischen Bereich in den Anwendungsfeldern Leistungs- und Gesundheitssport.

Die ersten Anfänge der Sportpsychologie als Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen im Sport finden sich national und international bereits vor über 100 Jahren. So untersuchte bspw. Mosso (1884) den Einfluss des Turnens auf das Lernen und Triplett (1898) den Einfluss der Anwesenheit anderer auf motorische Leistungen. Diese letztere Studie hat große Bedeutung in der Psychologie als eines der ersten sozialpsychologischen Experimente, wie auch in der Sportpsychologie als eine der ersten empirischen Studien, die der Sportpsychologie zugerechnet werden können. Darüber hinaus hat sie auch große Bedeutung für dieses Lehrbuch, weil schon mit dieser Studie der Wert und die Bedeutung experimentellen wissenschaftlichen Arbeitens in der Sportpsychologie, auch für die Theoriebildung, deutlich wurde. Sie kann aber auch gleichzeitig als ein gutes Beispiel für die vielfältigen methodischen Zugänge in der empirisch orientierten Sportpsychologie gesehen werden (vgl. ausführlich Strauß, 1999; 2002).

Triplett (1898) stellte zunächst in einer archivarischen Studie anhand der Ergebnisstatistiken der Radrennsaison aus dem Jahre 1897 fest, dass Radrennfahrer mit Schrittmacher um gut 25% schneller gefahren waren als ohne. Triplett erklärte dies u. a. damit, dass die körperliche Gegenwart eines anderen den Wettkampfinstinkt anregt. Allerdings ermöglicht dieser methodische Beobachtungszugang nur die Entwicklung von Hypothesen, nicht aber die Überprüfung von Ursachen. Hierzu bedarf es eines experimentellen Zugangs, in dem Ursachen und Wirkungen voneinander getrennt werden können. Zur präziseren Überprüfung seiner vorläufigen Vermutungen, die er aus Beobachtungen abgeleitet hatte, führte er folgendes Experiment durch: Seinen Versuchspersonen (Schulkindern) stellte er die Aufgabe, eine Kurbel an einer von ihm konstruierten »competition machine« so schnell wie möglich zu drehen – in einer Bedingung alleine und in der anderen Bedingung im Wettstreit mit einer anderen Person. Es zeigte sich, dass ein Teil der Personen ihre Leistungen in der Wettkampfbedingung verbesserte, ein anderer Teil aber Leistungsverschlechterungen aufwies. Triplett argumentierte, dass durch die körperliche Gegenwart eines Konkurrenten Energie freigesetzt wird, die leistungsfördernde, aber auch leistungshemmende Auswirkungen haben kann. Diese klassische Studie war dann im Übrigen auch der Startpunkt für zahlreiche weitere empirische sozialpsychologische und sportpsychologische Untersuchungen zu der Frage, ob die Anwesenheit anderer förderlich oder hinderlich bei der Leistungserbringung ist (»social facilitation«), sei es im kognitiven oder im motorischen Bereich.

Die Geschichte der Sportpsychologie kann nach Janssen (2009) in drei grundsätzliche Phasen unterteilt werden:

1.  Phase der Vorläufer: Visionäre und Pioniere (bis 1918);

2.  Phase der partiellen Institutionalisierung (1919 bis 1945);

3.  Phase der internationalen Professionalisierung (ab 1946 bis Gegenwart).

Die Entwicklung der Sportpsychologie als Wissenschaftsdisziplin ist gekennzeichnet von der Orientierung an drei Säulen, nämlich a) der wissenschaftlichen Psychologie und ihren methodischen Grundlagen, b) der Sportwissenschaft und ihren Teildisziplinen und c) den verschiedenen Anwendungsfeldern im Sport (wie z. B. dem Leistungssport, dem Gesundheitssport, dem Freizeitsport), aber mittlerweile auch außerhalb des Sports, wie z. B. im Wirtschafts- und Medizinbereich (z. B. in der Anwendung des mentalen Trainings). Heckhausen (1979; vgl. auch Willimczik, 2006; Gabler, 2003) spricht in seinem sehr einflussreichen Beitrag in ähnlicher Weise von den drei Eckpunkten eines »magischen« Dreiecks, in dem sich die Sportpsychologie befindet: »Die Eckpunkte des Dreiecks werden besetzt von der Mutterdisziplin Psychologie, von den anderen sportwissenschaftlichen Einzeldisziplinen und schließlich von der sportpraktischen Fachöffentlichkeit« (ebd., S. 43).

In Deutschland sind beim Aufbau und der Festigung der Sportpsychologie seit den ersten Anfängen in den zwanziger Jahren die internationalen und nationalen politischen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, wie der Zweite Weltkrieg, die Folgen des »Kalten Krieges«, dessen Überwindung und die deutsche Wiedervereinigung im Jahre 1990. In seinem ausführlichen Überblick geht Janssen (2009) dabei insbesondere auch auf die nach 1945 unterschiedlichen Entwicklungen der Sportpsychologie in Ost- und Westdeutschland ein und beschreibt darüber hinaus detailliert den Stand der universitären Sportpsychologie nach 1989 im wiedervereinigten Deutschland. Über die internationale Entwicklung, insbesondere in den USA mit dem Beginn der Etablierung der Sportpsychologie durch Coleman Griffith, dem »Vater der Sportpsychologie in Nordamerika« und seine umfangreichen und einflussreichen Arbeiten wie »The Psychology of Coaching« (1926), kann man sich z. B. besonders bei Voelker und Gould (2014) informieren.

International wie auch in Deutschland liegt der Beginn der Institutionalisierung der Sportpsychologie an den Hochschulen und in den Fachgesellschaften in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts (vgl. z. B. Strauß, 2007, 2019). So wurde z. B. 1965 die Weltorganisation für Sportpsychologie ISSP (International Society of Sport Psychology) und 1969 die europäische FEPSAC (Fédération Européenne de Psychologie des Sports et des Activités Corporelles) gegründet. Diese Gründungen, an denen Wissenschaftler aus beiden Teilen Deutschlands entscheidend beteiligt waren, führten zur internationalen und nationalen Vernetzung und zu einem nachhaltigen Austausch von sportpsychologischen Erkenntnissen, z. B. im Rahmen von sportpsychologischen Kongressen der jeweiligen Fachgesellschaften oder von eigens gegründeten wissenschaftlichen Fachzeitschriften, die zur Qualitätskontrolle strenge Peer-Review-Verfahren vorsehen. Zum Beispiel wurde bereits 1970 das International Journal of Sport Psychology als Zeitschrift der ISSP gegründet und 2000 brachte die FEPSAC das Psychology of Sport and Exercise im Elsevier-Verlag heraus, mittlerweile eine der weltweit führenden sportpsychologischen Zeitschriften.

Ein markanter Punkt für die erfolgreiche Entwicklung der Sportpsychologie in Deutschland war 1969 die Gründung der Fachgesellschaft für Sportpsychologie in Münster, der asp (Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie e. V.), die jährlich sportpsychologische Kongresse veranstaltet, seit 1987 ebenfalls eine eigene Zeitschrift unterhält (»Zeitschrift für Sportpsychologie« im Hogrefe-Verlag) und mittlerweile fast 500 Mitglieder hat. Eine aktuelle Darstellung zur Gründung und zur Entwicklung der asp ist Strauß (2019) zu entnehmen.

Ein wesentlicher Aspekt der internationalen Vernetzung ist die Aus-, Fort- und Weiterbildung in der Sportpsychologie, um den Bedarf in zunehmend ausdifferenzierten sportpsychologischen Arbeitsfeldern in Deutschland wie auch Europa zu decken (vgl. Hanin, 2005). Die FEPSAC bietet seit einigen Jahren mit zahlreichen europäischen Hochschulen einen europäischen Masterstudiengang für Sportpsychologie an (European Masters Degree in Exercise and Sport Psychology), in Deutschland bietet die asp ein entsprechendes Curriculum für die sportpsychologische Beratung im Leistungssport an (vgl. Lobinger, Mayer & Neumann, 2019).

Die letzten Punkte, Etablierung der Angewandten Sportpsychologie sowie Aus- und Fortbildung, sind für die Weiterentwicklung der Sportpsychologie unabdingbar, werden in diesem Buch gleichwohl keine besondere Rolle spielen (vgl. hierzu ausführlich Staufenbiel, Liesenfeld & Lobinger, 2019).

In diesem Lehrbuch kehren wir – wenn man so will – zu den Anfängen zurück und legen den Schwerpunkt auf das experimentelle Arbeiten und dessen Notwendigkeit für eine erfolgreiche sportpsychologische Theoriebildung. Die Ursache des erfolgreichen nationalen wie internationalen Aufstiegs der Sportpsychologie liegt neben der Erschließung der Praxisfelder in einer systematischen, methodisch elaborierten theoretischen Fundierung, die es erst ermöglicht hat, dass Angewandte Sportpsychologie in der Praxis einen erfolgreichen Weg beschreiten konnte und hohe wissenschaftliche und gesellschaftliche Relevanz erzielt hat (vgl. zur Zukunft der Sportpsychologie Raab, 2017).

Ein zentraler Unterschied zu bisherigen Lehrbüchern liegt im Fokus der experimentellen Forschung innerhalb der Sportpsychologie. Dies hat zur Folge, dass Querschnittsthemen, beispielsweise zu Forschungsmethoden, besonders aber mit Schwerpunkt auf die experimentelle Arbeit beschrieben werden. Zudem werden sich die einzelnen Kapitel mit klassischen inhaltlichen Themenschwerpunkten bei Einzeldarstellungen vor allem um experimentelle Beispiele in der Forschung bemühen und weniger korrelative, ideographische Studien oder Ableitungen zur sportpsychologischen Praxis beinhalten. Gleichwohl werden manche Beiträge auch nicht um die Darstellung von Studien außerhalb der experimentellen Methodik umhinkommen, weil experimentelle Ansätze in den unterschiedlichen Themenbereichen unterschiedlich dominant sind.

Kapitel 1 von Zentgraf und Kohler beschreibt Forschungsmethoden in der empirischen Sportpsychologie. Nach einer einführenden Systematik von Forschungsstrategien und Herausforderungen empirischen Forschens in der Sportpsychologie wird der Fokus auf quantitative und experimentelle Ansätze gelegt. Maße und Messmethoden werden anhand der am häufigsten eingesetzten Paradigmen dargestellt und durch Themen der Signalentdeckungstheorie sowie gängiger psychometrischer Testverfahren und physiologischer Messverfahren ergänzt. Die für die Sportpsychologie relevanten Methoden zur Quantifizierung von Körper- und Augenbewegungen schließen die Darstellung ab. Abschließend wird das Kapitel durch ethische und praktische Dimensionen des Experimentierens in der Sportpsychologie mit Handlungsempfehlungen abgerundet.

Die Autoren Munzert und Schorer behandeln in Kapitel 2 das klassische Thema Wahrnehmung und Bewegung. Nach einer einführenden Systematik in die Grundlagen von Wahrnehmung, Bewegung sowie der sinnesphysiologischen Voraussetzungen der Wahrnehmung werden die einzelnen Sinnessysteme differenziert. Die Darstellung der Sinnessysteme beinhaltet die somatosensorischen Systeme, das vestibuläre System sowie das visuelle System. Auf der Basis dieser Grundlagen wird die besondere Rolle der visuellen Wahrnehmung für das Bewegungshandeln im Leistungssport behandelt. Inhaltliche Themen des »Quiet Eye«, der Antizipationsprozesse, des Erkennens von taktischen Mustern und der lateralitätsspezifischen Wahrnehmungsexpertise werden an experimentellen Beispielen exploriert. Abgerundet wird das Kapitel mit dem aktuellen Stand zum Wahrnehmungstraining im Sport.

In Kapitel 3 beschäftigen sich Memmert und Furley mit dem Thema der Aufmerksamkeit, die hinsichtlich der Aufmerksamkeitsdimensionen differenziert wird. Diese Differenzierung beinhaltet die Aufmerksamkeitsorientierung, die Selektive Aufmerksamkeit, die geteilte Aufmerksamkeit und die Konzentration. In allen Dimensionen wird an experimentellen Studien im Sport gezeigt, wie zentral Aufmerksamkeitsforschung für die Sportpsychologie ist.

Hegele beschreibt in Kapitel 4 zentrale Theorien und Modelle des motorischen Lernens, die sich in Phasenmodelle, Regelungsmodelle, schematheoretische Vorstellungen sowie neuropsychologische Theorien unterteilen lassen. Im Folgenden werden dann zentrale Einflussfaktoren des motorischen Lernens aufgezeigt, unter anderem die Übungsgestaltung und das Feedback.

Mentales Training und Simulationstraining werden in Kapitel 5 von Munzert und Zentgraf beschrieben. Die Autoren geben mit einer historischen und durch Überblicksartikel und Meta-Analysen systematisierten Darstellung zentraler Experimente eine Antwort auf die Frage, was unter mentalem Training verstanden wird. Eine zentrale Differenzierung bezieht sich auf die eingesetzten Forschungsdesigns, die unterschiedlichen Fragestellungen als Grundlage dienen. Die verschiedenen Hypothesen zur Erklärung der Wirkung von mentalem Training werden zusammengefasst und experimentelle Zugänge zu Bewegungsvorstellungen sowie zum Bewegungsvorstellungstraining diskutiert. Sowohl physiologische Verfahren als auch mentale Chronometrie werden beschrieben. Abschließend werden spezifische Anwendungsbereiche des mentalen Trainings für Kinder mit Developmental Coordination Disorder oder Zerebralparese und für die neurologische Rehabilitation berichtet. Ein interessanter Ausblick gelingt durch die aktuellen Forschungsbemühungen der sogenannten Brain-Computer-Interfaces.

In Kapitel 6 stellen Hagemann und Loffing den aktuellen Stand der Expertiseforschung vor. Ausgehend von einem historischen Überblick und einer Definition von Expertise im Sport wird die zentrale Forschungsstrategie der Experten-Novizen-Vergleiche beschrieben und kritisch analysiert. Anschließend wird der Weg zu Expertenleistungen durch das Konzept Deliberate Practice erarbeitet. Abschließend werden die wichtigsten Erklärungsfaktoren für Expertise-Leistungen dargestellt und ein multifaktorielles Modell aus Anlage- und Umwelt-Faktoren schematisiert.

Raab und Werner beschreiben in Kapitel 7 das relativ wenig behandelte Thema Embodiment in der Sportpsychologie. Die Bedeutung des Zusammenspiels von körperlichen und kognitiven Informationen für sportpsychologisches Handeln wird in diesem Beitrag historisch und auf der Grundlage einer Taxonomie verschiedener Theorien dargestellt. Anschließend werden zentrale empirische Studien systematisch nach den verschiedenen Mechanismen, wie Bewegungen und Körperinformationen Einfluss auf kognitive Prozesse haben, abgebildet. Der letzte Abschnitt widmet sich dem Transfer der Embodimentforschung auf Phänomene der Sportpsychologie und bietet somit eine Reihe von Anknüpfungspunkten für zukünftige Forschung.

Kapitel 8 von Staufenbiel und Strauß behandelt wichtige Bereiche der sozialpsychologischen Forschung im Sport, nämlich den sozialen Einfluss auf Verhalten und Leistungen; dabei gehen sie besonders auf drei Formen ein: Der soziale Einfluss durch die bloße oder aktive Anwesenheit anderer Personen wird zuerst beschrieben. Als zweites wird ein weiteres traditionelles Feld der Sozialpsychologie zum Thema sozialer Einfluss behandelt, nämlich Persuasion oder Überredung, besonders am Beispiel von Trainerinnen und Trainern. Das dritte Feld in diesem Beitrag sind die sozialen Normen und wie sie sich auf Verhalten und Leistungen auswirken. Beispielhaft wird dies am Einfluss von sozialen Stereotypen und Farben im Sport verdeutlicht.

Kapitel 9 von Kleinert und Pels betrachtet die Themen Gruppe, Führung und Partnerschaft aus einer sportpsychologischen Perspektive. Nach einer Einführung und Definition interpersonalen Handelns werden Modelle und Theorien, bspw. die Theorie der sozialen Identität, das multidimensionale Modell von Führung, Rollentheorien, die Balance-Theorie, die Zielerreichungstheorie, die Interdependenz-Theorie, Modelle sozialer Unterstützung sowie die Bindungstheorie beschrieben. Anschließend werden Gruppenexperimente und Einflussfaktoren auf Gruppen systematisiert. Der Einfluss der Aufgabenarten und Zielsetzungen bietet den Übergang zum Transfer gruppenexperimenteller Erkenntnisse in die Praxis des Sports, der mit einem Ausblick auf die zukünftige Forschung abgerundet wird.

In Kapitel 10 behandeln Elbe und Sieber verschiedene Aspekte von Motivation und Volition. Zu Beginn wird auf einzelne Konstrukte von Motiven und der Volition eingegangen, darauf folgen Verfahren zur Erfassung derselben. Klassische Experimente zum Ringwurfspiel oder zur Ego-Depletion veranschaulichen die Relevanz der empirischen Forschung zu Motivation und Volition für das sportpsychologische Handeln.

Kapitel 11 von Fuchs, Wunsch und Klaperski umfasst die Themengebiete Emotionen und Stress. Anfänglich werden Traditionen der Stressforschung hinsichtlich des Stimulus-, Reaktions- und Interaktionsansatzes beschrieben. Vor diesem Hintergrund werden danach wichtige Phänomene wie »Choking under Pressure« beschrieben. Eine wichtige Ergänzung sind die Erläuterungen zur Stressregulation durch Sportaktivität und die damit verbundenen gesundheitsrelevanten Konsequenzen. Abschließend werden für die zukünftige Forschung verstärkt Wirkungsanalysen von Sport und Bewegung auf Emotionen, Stimmungen und Affekte gefordert.

Die Selbstwahrnehmung im Sport und insbesondere das physische Selbstkonzept werden in Kapitel 12 von Tietjens und Dreiskämper behandelt. Nach einer Darstellung der gängigen Designs und Messinstrumente werden Wirkungen des physischen Selbstkonzepts auf das Verhalten, klassische Phänomene sowie experimentelle und quasi-experimentelle Studien zum physischen Selbstkonzept erläutert. Abschließend werden Interventionsstudien in verschiedenen Anwendungsfeldern wie Verein und Schule differenziert und vor allem experimentelle und longitudinale Studien für die zukünftige Forschung gefordert.

Die zwölf Kapitel international ausgewiesener Autorinnen und Autoren stellen den aktuellen Stand einer experimentell orientierten Sportpsychologie dar und dienen den am Sport interessierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Studierenden der Psychologie, der Sportwissenschaft und der Sportpsychologie als Grundlage.

Literatur

 

Gabler, H. (2003). Die Sportpsychologie im magischen Dreieck von Sport, Psychologie und Sportwissenschaft. psychologie und sport, 10, 54-58.

Griffith, C. (1926). The Psychology of Coaching. New York: Scribner’s.

Hanin, J. L. (2005). Sport Psychology in Europe: Current Status and Perspectives. In Würth, S., Panzer, S., Krug, J. & Alfermann, D. (Hrsg.), Sport in Europa (S. 30-31). Hamburg: Czwalina.

Heckhausen, H. (1979). Sportpsychologie: Auf der Suche nach Identität in einem magischen Dreieck verschiedener Fachöffentlichkeiten. In J. R. Nitsch (Hrsg.), Bericht über die 10. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie in Köln, 1979 (S. 43-61). Köln: bps.

Janssen, J. P. (2009). Geschichte der Institutionalisierung der Sportpsychologie unter besonderer Berücksichtigung ihrer Entwicklung in Deutschland. In W. Schlicht & B. Strauß (Hrsg.), Enzyklopädie für Psychologie: Grundlagen der Sportpsychologie. Göttingen: Hogrefe.

Lobinger, B., Mayer, J. & Neumann, G. (2019). Etablierung der Angewandten Sportpsychologie im Leistungssport. In K. Staufenbiel, M. Liesenfeld und B. Lobinger (Hrsg.), Angewandte Sportpsychologie für den Leistungssport (S. 30-45). Göttingen: Hogrefe.

Mosso, A. (1892). La fisiologia dell’uomo sulle Alpi. Milano (Der Mensch auf den Hochalpen). Leipzig: Hirzel.

Raab, M. (2017). Sport and Exercise Psychology in 2050. German Journal of Exercise and Sport Research, 46, 62-71.

Staufenbiel, K., Liesenfeld, M. & Lobinger, B. (Hrsg.). (2019). Angewandte Sportpsychologie für den Leistungssport. Göttingen: Hogrefe.

Strauß, B. (1999). Wenn Fans ihre Mannschaft zur Niederlage klatschen. Lengerich: Pabst.

Strauß, B. (2002). Social facilitation in motor tasks. Psychology of Sport and Exercise, 3, 237-256.

Strauß, B. (2007). Anmerkungen zur bundesdeutschen Sportpsychologie. In S. Schröder & M. Holzweg (Hrsg.), Die Vielfalt der Sportwissenschaft (S. 133-140). Schorndorf: Hofmann.

Strauß, B. (2019). 50 Jahre asp. Zeitschrift für Sportpsychologie, 26, 43-58.

Triplett, N. (1897/98). The dynamogenic factors in pacemaking and competition. American Journal of Psychology, 9, 507- 533.

Voelker, D. & Gould, D. (2014). The history of sport psychology. In R.C. Eklund & G. Tenenbaum, G. (Hrsg.), Encyclopedia of Sport and Exercise Psychology (S. 346-351). Sage Publications.

Weinberg, R. & Gould, D. (2014). Foundations of Sport and Exercise Psychology. Champaign, IL: Human Kinetics.

Willimczik, K. (2006). Wissenschaftstheorie und Ethik in der Sportpsychologie. In M. Tietjens & B, Strauß (Hrsg.), Handbuch der Sportpsychologie (S. 11-23). Schorndorf: Hofmann.

1          Forschungsmethoden in der empirischen Sportpsychologie

Karen Zentgraf & Axel Kohler

 

1.1       Forschungsmethoden als Mittel zur Erkenntnisgewinnung

Auf welche Art und Weise und mit welchem Ziel bearbeiten Forscher*innen in der Sportpsychologie wissenschaftliche Fragestellungen? In diesem Kapitel soll es um die methodischen Zugänge gehen, die helfen, diese Forschungsziele zu erreichen. Generell lassen sich in der Psychologie grob vier Zielbereiche definieren.

Zunächst kann es um die Deskription eines Phänomens gehen, also die Eingrenzung und Benennung eines Gegenstands, was er ist und was nicht. Wie lässt sich z. B. Versagen unter Druck beschreiben, durch was sind Leistungsabfälle charakterisiert, was sind überhaupt Drucksituationen in sportlichen Leistungssituationen ( Kap. 11)?

Ein weiteres Forschungsziel kann die Vorhersage des Eintretens eines Ereignisses oder eines Zustandes sein, d. h., wann wird das Ereignis/der Zustand zu beobachten sein und wann nicht? Welche Eigenschaften von Basketballtalenten sagen den späteren Erfolg vorher?

Um gute Vorhersagen erklären zu können, kann es helfen, die spezifischen Faktoren zu kennen, die das Auftreten des Ereignisses oder des Zustands bedingen – hiermit ist vornehmlich das Ziel der Kontrolle der Kontext- oder Bedingungsvariablen gemeint. Tritt Versagen unter Druck z. B. nur in Abhängigkeit eines bestimmten Persönlichkeitsmerkmals oder des Spielstandes ein? Welche anderen Faktoren sind denkbar, die zu Leistungsabfällen führen können? Wie generalisierbar ist die gedankliche Vorwegnahme (Antizipation) von Sportspielexpert*innen ( Kap. 2 und  Kap. 6)?

Das Forschungsziel der Erklärung von Phänomenen soll Fragen beleuchten, warum ein Ereignis oder ein Zustand eintritt – welches Erklärungsmodell steckt hinter dem Phänomen? Ist eine erhöhte Selbstaufmerksamkeit Ursache für den Leistungsabfall oder werden antizipierte Misserfolge der Person handlungswirksam? Haben Sportspielexpert*innen aufmerksamkeitsbedingt eine bessere Sensitivitätsschwelle für die Detektion von spielrelevanten Hinweisreizen ( Kap. 3)?

Inzwischen gibt es eine Vielzahl an Methoden, die für sportwissenschaftliche Untersuchungen zur Verfügung stehen: von klassischen Verhaltensuntersuchungen bis hin zu hirnphysiologischen Messungen mit großem apparativen Aufwand.

Zuweilen kann der Eindruck entstehen, dass manche Methoden um der Methode willen angewandt werden und das Ziel, Antworten auf zentrale Forschungsfragen zu finden, in den Hintergrund rückt. Methoden dienen allerdings allein den Forschungszielen. Für bestimmte Forschungsziele eignen sich bestimmte methodische Zugänge besonders. Beobachtungsstudien, Einzelfallstudien, Berichte und Interviews sind Verfahren, die ohne eine untersucherbezogene Kontrolle des Gegenstandsbereichs arbeiten. Dies gilt auch für korrelative beschreibende Untersuchungen. Hier untersuchen Forschende, wie Variablen »natürlicherweise« zusammenhängen, ohne auf kausale Wirkungszusammenhänge zu referieren. Wenn das Ausmaß körperlicher Aktivität mit einem geringeren Körpergewicht positiv korreliert, heißt dies nicht, dass körperliche Aktivität Körpergewichtsreduktionen verursacht. Aber aufgrund der Kenntnis dieses Zusammenhangs aus beschreibenden Untersuchungen ergeben sich ggf. weitere Fragen, die mit anderen und ergänzenden methodischen Ansätzen beantwortet werden können.

Allerdings sind unter bestimmten Bedingungen andere methodische Ansätze auch ethisch nicht vertretbar, korrelative Studien bieten dann die einzige Möglichkeit, sportpsychologische Forschung zu betreiben: Die Untersuchung der Frage, inwiefern schwere Sportverletzungserfahrungen wettkampfbezogene Selbstwirksamkeitserwartungen verändern, wird Sportpsycholog*innen aus plausiblen ethischen Gründen nicht auf die Idee bringen, Verletzungen in einem manipulativen Sinne herzustellen, sondern man wird Forschungsdesigns anwenden, die z. B. verschiedene Gruppen mit und ohne Sportverletzungserfahrungen vorsehen.

1.1.1     Experimentieren in der Sportpsychologie

Wilhelm Windelband formulierte bereits 1894 die – zumindest im deutschen Sprachraum – sehr einflussreiche Unterscheidung von nomothetischen und idiographischen Ansätzen in der Wissenschaft. Der idiographische Ansatz zielt auf die Beschreibung und Analyse einzigartiger Vorgänge und Ereignisse (z. B. historische Prozesse oder individuelle Biografien).

Die Forschungsziele nomothetischer Ansätze liegen hingegen im Besonderen in der Erklärung von Phänomenen und der Entwicklung von allgemein gültigen Gesetzmäßigkeiten. Die Idee der Verwendung experimenteller Methoden liegt darin begründet, durch strenge Kontrolle der möglichen beeinflussenden Variablen die wirksamen Faktoren zu isolieren. Dass die Auslegung, wie »streng« diese Bedingungen in der Forschungswirklichkeit zu kontrollieren sind, sehr heterogen ist, muss zur Kenntnis genommen werden.

Übergreifend fordern experimentelle Herangehensweisen die Forscher*innen auf, eine Variable systematisch zu verändern (unabhängige Variable, UV, z. B. verschiedene, von der Versuchsleitung vorgegebene sportliche Belastungen), möglichst alle anderen zu kontrollieren, z. B. konstant zu halten, und den Einfluss der Manipulation der UV auf eine weitere, die abhängige Variable (AV, z. B. die Treffergenauigkeit), zu messen. Dadurch scheint es möglich, auf theoretischer Basis begründete Erwartungen (Hypothesen) zu überprüfen, die Forscher*innen als verursachend für den zu beobachtenden Effekt annehmen.

Eine UV hat typischerweise Stufen, also verschiedene Ausprägungen, die manipuliert werden. Zwei Stufen sind minimal notwendig, um überhaupt Vergleiche vornehmen zu können (beim Beispiel der sportlichen Belastung könnte es eine hohe und niedrige Beanspruchung geben oder aber sogar feinere Abstufungen). Die Stufen können sich auf eine oder mehrere Versuchsgruppen beziehen: Entweder durchläuft ein*e Versuchsteilnehmer*in beide (oder alle) Stufen der UV (die Belastungsstufen würden bei der gleichen Person an verschiedenen Versuchstagen oder mit ausreichender Pause untersucht) oder eine Person wird zufällig einer Stufe der UV zugeordnet (dann gibt es unterschiedliche Gruppen für die Belastungsstufen). Im ersteren Fall spricht man von sog. »Within-Subject«- oder Intrapersonalen Designs mit Messwiederholung; im zweiten Fall von »Between-Subject-« oder Zwischengruppendesigns. Bei beiden Designs sind bzgl. der Kontrolle von Störvariablen und zur Vermeidung von Konfundierungen weitere Aspekte zu berücksichtigen, z. B. Reihenfolgeeffekte, Stichprobenfehler, nicht-zufällige Zuordnungen etc. Diese Verfahren sollen sicherstellen, dass das Ergebnis von der untersuchten Stichprobe auch überzeugend auf die Gesamtpopulation übertragen werden kann. Aber auch hier können Fehler entstehen, wenn z. B. von der Untersuchung von Studienteilnehmer*innen aus einem Kulturkreis auf Personen aus einem anderen Kulturkreis generalisiert wird.

1.1.2     Experimentelle Validitäten, Forschungsdesigns und Versuchspläne in der Sportpsychologie

In Forschungsfeldern ergeben sich aus der Interaktion zwischen den formalen Ansprüchen an experimentelle Forschung (Kontrolle der Bedingungen, zufällige Zuordnung in Versuchsgruppen etc.) und den Gegebenheiten in der jeweiligen Disziplin (verfügbare Methoden und charakteristische Fragestellungen etc.) typische experimentelle Designs und Versuchspläne, die zur Untersuchung von wissenschaftlichen Fragestellungen Anwendung finden.

Dies kann man auch als Forderungen an die interne und externe Validität von Experimenten verstehen. Es geht in beiden Fällen entsprechend der Wortbedeutung um die Gültigkeit von Aussagen oder Schlussfolgerungen, die aus Studien gezogen werden. Die interne Validität bezieht sich auf die Frage, ob ein Versuch so gestaltet war, dass man auf eine Kausalbeziehung zwischen den UV und AV schließen kann. Wenn in einem Laborversuch zu mentalen Rotationsleistungen mit menschlichen Körpern ausschließlich die Sichtbarkeit des Reizes in verschiedenen Bedingungen manipuliert und ein Effekt auf die Antwortzeiten festgestellt wird, kann man sicher sein, dass die Manipulation einen direkten kausalen Einfluss hatte. Wenn in zwei Schulklassen zwei verschiedene Unterrichtsmethoden zum Beobachtungslernen einer Rolle rückwärts eingesetzt werden, gibt es viele Unterschiede zwischen den Klassen, die einen Einfluss auf die Ergebnisse haben könnten. Zuerst muss sichergestellt sein, dass die Klassen überhaupt vergleichbar sind. Ist die eine Klasse disziplinierter, erreichen sie bessere Ergebnisse, obwohl das nichts mit der Unterrichtsmethode zu tun hat. Selbst wenn Unterschiede zwischen den Klassen messbar gemacht werden, ist nicht auszuschließen, dass ein anderer Einflussfaktor übersehen wurde. Man geht deshalb bei solchen Feldstudien allgemein von einer eingeschränkten internen Validität im Vergleich zum Laborexperiment aus (auch wenn das bei gut geplanten Feldstudien nicht notwendigerweise der Fall ist).

Bei der externen Validität ist es eher die Frage, inwiefern sich Ergebnisse auf andere Personengruppen und Situationen übertragen lassen. Gerade im Sportbereich ist es oft notwendig, mit vorhandenen Gruppen (z. B. Spitzenathlet*innen, Schulklassen, Alzheimer-Patient*innen) zu arbeiten bzw. ist die Nützlichkeit von Laborexperimenten sehr begrenzt, wenn eine Anwendung auf den sportlichen Kontext gar nicht möglich oder fraglich ist.

Als weiteren Begriff in diesem Bereich wird oft noch die ökologische Validität als Kriterium angeführt. Sie bildet ab, in welchem Maß eine Untersuchungssituation einem natürlichen Kontext entspricht. »Natürlich« bezieht sich dabei nicht auf die belebte Natur, sondern auf Situationen, die auch im Alltag vorkommen können. Beim Menschen sind das in den meisten Teilen der Welt stark kulturell geprägte soziale Umgebungen.

Rein definitorisch kann man die ökologische von der externen Validität trennen. Wenn ein Experiment mit sehr vielen Personengruppen verschiedenen Alters, verschiedener Nationalitäten und in verschiedenen Laborsituationen durchgeführt wurde, sollte ein hohes Maß an externer Validität gegeben sein. Man könnte hier aber immer noch einwenden, dass das Experiment nicht in möglichen Alltagssituationen erprobt wurde (mangelnde ökologische Validität). Man kann also Szenarien beschreiben, in denen die beiden Aspekte nicht notwendig zusammenhängen.

Es können an dieser Stelle nicht alle Faktoren benannt und erläutert werden, welche die verschiedenen experimentellen Validitäten beeinflussen. Bei den Beispielen und Erwägungen wurde aber bereits deutlich, dass die Validitäten teilweise im Widerspruch stehen können.

Wenn man die obigen Überlegungen auf konkrete Forschungsdesigns anwendet, lassen sich verschiedene Ansätze zur Durchführung von Studien nach der Qualität der Schlussfolgerungen und der Generalisierbarkeit unterscheiden. Die folgende Darstellung zu den Designfragen lehnt sich an einen klassischen Text von Campbell und Stanley (1963) an. Dort wird noch eine Vielzahl weiterer Designs besprochen und auch die jeweiligen Stärken und Schwächen im Detail dargelegt. An dieser Stelle sollen nur die wichtigsten Aspekte und die bekanntesten Designs betrachtet werden.

Aus der Ausprägung der internen und externen Validität lassen sich zwei Grundunterscheidungen von Studien ableiten, die oben zum Teil schon angesprochen wurden. In Bezug auf die externe bzw. ökologische Validität kann man zwischen Labor- und Feldstudien differenzieren. Die künstliche Laborsituation schränkt die externe Validität ein, die im Vergleich bei Studien in realistischen Situationen und Umgebungen (»im Feld«) höher ausgeprägt ist. Auch wenn es in Feldsituationen manchmal schwerer fällt, Störeinflüsse zu kontrollieren, ist die interne Validität bei sorgfältig geplanten und durchgeführten Feldstudien nicht notwendigerweise eingeschränkt. Bei der internen Validität kann man stattdessen zwischen Experimenten und Quasi-Experimenten unterscheiden. Für ein erstes Verständnis der Konzepte ist es ausreichend, von einer experimentellen Gruppe und einer Kontrollgruppe auszugehen. Bei »echten« Experimenten wird die Zuordnung der Versuchspersonen zu den Gruppen zufällig ermittelt. Das heißt, weder die Versuchsleitung noch die Versuchspersonen haben Einfluss darauf, wer welcher Gruppe angehört. Dadurch wird sichergestellt, dass es keine systematischen Unterschiede in der Gruppenzusammensetzung gibt. Könnten sich die Versuchspersonen eine Gruppe aussuchen, würden evtl. Persönlichkeitsmerkmale die Gruppenwahl beeinflussen (»Die Experimentalgruppe finde ich spannender« vs. »Egal, ich kann auch in die Kontrollgruppe«). Würde die Versuchsleitung die Einteilung bestimmen, könnte die Gruppenzusammensetzung – oft auch unbewusst – im Sinne der eigenen Erwartungen beeinflusst werden. Eine Vielzahl solcher Versuchsleitungseffekte war selbst Gegenstand experimenteller Untersuchungen und konnten überzeugend als relevant dargelegt werden.

In manchen Fällen ist es jedoch nicht möglich, die Zuordnung zu kontrollieren oder randomisiert vorzunehmen. Werden Geschlechterunterschiede untersucht, müssen die Unterschiede als gegeben hingenommen werden. Wir können Menschen nicht zufällig in eine Geschlechterkategorie einordnen. In sportwissenschaftlichen Untersuchungen besteht häufig Forschungsinteresse an Expertinnen und Experten, die bestimmte Bewegungen oder die Ausführung einer Sportart über lange Jahre perfektioniert haben ( Kap. 6). Auch in diesem Fall müssen wir mit den bereits vorhandenen Gruppen zurechtkommen. Erfolgt die Zuordnung in die jeweiligen Gruppen nicht randomisiert, ist die interne Validität eingeschränkt. Man spricht dann von »quasi-experimentellen Designs«, da die Durchführung einer solchen Studie trotzdem nach hohen experimentellen Standards erfolgen kann, die entscheidende Anforderung der Randomisierung aber von vornherein nicht erfüllt ist.

Unter den experimentellen Designs ist zunächst ein Grunddesign zu betrachten, das die wichtigsten Aspekte eines Zwischengruppen-Experiments abdeckt: das Prätest-Posttest-Kontrollgruppen-Design. Auch wenn Gruppen zufällig eingeteilt werden können, kann es gerade wegen des Zufalls auch vor der experimentellen Manipulation bestehende Unterschiede zwischen den Gruppen in den abhängigen Variablen geben. Es ist deshalb oft ratsam, eine erste Referenztestung (Prätest) zu Beginn durchzuführen. Dann folgt für die Experimentalgruppe die Intervention, während die Kontrollgruppe entweder keine Intervention erhält oder idealerweise eine Kontrollbedingung durchläuft, die sonst vergleichbar ist mit der Experimentalbedingung, aber sich im entscheidenden Faktor unterscheidet. Wenn die Hypothese ist, dass ein Krafttraining das physische Selbstkonzept stärkt, dann könnte ein Ausdauertraining als Kontrollbedingung wenigstens ausschließen, dass der Effekt allein auf der körperlichen Betätigung beruht. Wenn die Kontrollgruppe keine Intervention erhält, bleibt die Zahl der Alternativerklärungen unbefriedigend hoch, sodass es weiterer Experimente bedarf, um einen spezifischen Mechanismus zu isolieren.

Nach der experimentellen Manipulation (unabhängige Variable) soll der Effekt auf die abhängige Variable getestet werden (Posttest). Der Vergleich von Posttest und Prätest zeigt, ob beim Experiment ein Effekt erzeugt wurde, der vorher noch nicht oder in einem geringeren Maß vorhanden war. Im Prinzip kann ein solches Design auch ohne Prätest mit den entsprechenden Einschränkungen bei der Interpretation durchgeführt werden. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Prätest die Ergebnisse einer experimentellen Intervention oder Manipulation und/oder die Effekte im Posttest verändert, wurde von Solomon (1949) vorgeschlagen, in einem umfassenden Design die Interaktionen zwischen allen Einflussfaktoren direkt zu testen. Wenn im Beispiel oben bereits vorher ein Test zum physischen Selbstkonzept durchgeführt wurde, könnten die Versuchspersonen anders an die Trainingsintervention herangehen und sie würden sich für den Posttest vielleicht schon überlegen, was die erwarteten Effekte sind und ihr Antwortverhalten (oft auch unbewusst) darauf einstellen. Beim Solomon-Vier-Gruppen-Design gibt es mindestens zwei Gruppen mit und zwei Gruppen ohne Prätest. Damit wird der Einfluss der Vortestung überprüft. Bei jedem Paar gibt es eine Kontrollgruppe für die Abschätzung des Interventionseffekts. Einziger Nachteil bei dem Design ist der recht hohe Aufwand. Ist ein Einfluss der Vortestung unwahrscheinlich, ist zu überlegen, ob die Ressourcen für die zusätzlich erforderlichen Gruppen gut investiert sind.

In vielen Forschungsbereichen ist das Ziel, mehr als einen Einflussfaktor zu untersuchen. Zum einen steigert es die Effizienz unserer Forschungsaktivität, weil mehrere Hypothesen in einem Experiment getestet werden können. Zum anderen können nur bei gleichzeitiger Betrachtung mehrerer Faktoren in einem Datensatz sogenannte »Interaktionseffekte« überprüft werden. Bei Interaktionen geht es um die Abhängigkeit oder Unabhängigkeit zwischen verschiedenen Einflussgrößen. Was ist, wenn der Effekt des Krafttrainings auf das Selbstkonzept davon abhängt, mit wem ich mich beim Training vergleiche? Experimentatoren könnten den Versuchspersonen bestimmte Trainingspartner*innen zuweisen. Bei leistungsgleichen oder etwas schwächeren Vergleichspersonen zeigt sich vielleicht der erwartete, positive Effekt auf das Selbstkonzept. Wird einer Versuchsperson jedoch eine leistungsstärkere Person zugewiesen, zeigt sich evtl. ein negativer Effekt. Wichtig für das Bestehen einer Interaktion ist, dass bei der Kontrolltrainingsbedingung (z. B. Ausdauertraining anstatt Krafttraining) dieser Vergleichsfaktor keine Rolle spielt. Um den Effekt des einen Faktors (Vergleichsgruppe) auf das Selbstkonzept vorherzusagen, muss also auch die Ausprägung des anderen Faktors bekannt sein (Art des Trainings). In diesem Fall ist eine Interaktion vorhanden und die Faktoren sind nicht voneinander unabhängig. Das Design liefert also Zusatzinformationen, die über den getrennten Einfluss der einzelnen Manipulationen (die sogenannten »Haupteffekte« für »Vergleichsgruppe« und »Art des Trainings«) hinausgeht.

Im Vergleich zu den experimentellen Designs können bei quasi-experimentellen Untersuchungen bestimmte Faktoren nicht vollständig kontrolliert werden. Vielleicht sollen vorhandene Gruppen verglichen werden, es besteht Interesse an speziellen Gruppen (z. B. Hochleistungssportler*innen, Alzheimer-Patient*innen) oder es müssen gegebene Organisationsformen hingenommen werden (z. B. Schulklassen). In all diesen Fällen ist bei der Interpretation der Ergebnisse besondere Vorsicht geboten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die bereits vorher bestehenden Unterschiede zwischen den Gruppen auch die Effekte der experimentellen Manipulation erklären. Es können durchaus Designs verwendet werden, die grundsätzlich den experimentellen Formen entsprechen. Wird die Vergleichbarkeit der Gruppen auf möglichst vielen Dimensionen sichergestellt, kann die Interpretierbarkeit der des echten Experiments sehr nahekommen.

Abgesehen von den experimentellen und quasi-experimentellen Designs, bei denen verschiedene Bedingungen aktiv realisiert werden, wird bei vielen Studien nur der Zusammenhang zwischen verschiedenen Maßen betrachtet. Man spricht hier von Korrelationsstudien. Kann man anhand physiologischer Messungen den Erfolg bei einem Wettkampf vorhersagen? Werden Menschen mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften mit höherer Wahrscheinlichkeit Leistungssportler*innen? Die Einschränkung der internen Validität ist in diesem Fall besonders stark. Streng genommen sollten gar keine Schlussfolgerungen über kausale Mechanismen gezogen werden.

In vielen Fällen scheint allerdings eine kausale Interpretation plausibel, z. B. dass der Zusammenhang zwischen höherer Lebenserwartung und körperlicher Aktivität darauf zurückgeht, dass sportliche Betätigung die Lebenserwartung erhöht. Es gibt aber eine Vielzahl von Alternativerklärungen, die den gefundenen Zusammenhang erklären können und bei denen der kausale Mechanismus ein anderer ist: Personen, die sich sportlich betätigen, ernähren sich möglicherweise auch anders, was die eigentliche Ursache für den Effekt auf die Lebenszeit sein könnte. Eventuell gibt es Erbanlagen, die sich sowohl auf die Sportlichkeit als auch auf die Lebensdauer auswirken. Kausale Belege in diesem Kontext stammen aktuell aus einer Vielzahl sorgfältig geplanter experimenteller Studien, in denen verschiedene Alternativerklärungen ausgeschlossen werden konnten. Auch Experimente an Tieren unterstützen den Zusammenhang, der – mit Einschränkungen – auf den Menschen übertragbar ist. Im Hinblick auf die Forschungsziele ist demnach zu konstatieren: Korrelative Daten sind zunächst beschreibend und nicht erklärend.

1.2       Maße und Messmethoden in der Sportpsychologie

Entsprechend der Ausrichtung dieses Buches auf quantitative, experimentelle Ansätze soll an dieser Stelle insbesondere auf Methoden eingegangen werden, die in empirischen, natur- und verhaltenswissenschaftlich orientierten Studien zum Einsatz kommen.

1.2.1     Verhaltensmaße

Die solide Basis für die experimentelle Arbeit in der empirischen Sportwissenschaft ist die sorgfältige Erhebung von Verhaltensdaten. In vielen Fällen werden bei einer bestimmten Aufgabenstellung auch bestimmte Reaktionen erwartet. Grundvariablen für die Auswertung sind dabei die Reaktionszeiten und die Korrektheit der Antworten. Reaktionszeitparadigmen spielen auch in der Sportpsychologie eine wichtige Rolle, im Rahmen vieler Fragestellungen werden Einfach- oder Wahlreaktionen abgefragt. Weitere Paradigmen sind »Go/no-go«- und »Two-alternative-forced-choice«-Aufgaben; bei letzteren muss über die räumliche oder zeitliche Ordnung zweier Reize entschieden werden. Primingstudien sind in der Sportpsychologie weit verbreitet: Hierbei geht es um die Wirkung der Bahnungsreize (»Primes«) auf Zielreize (»Targets«). Zahlreiche weitere Standardparadigmen wie Stroop, Eriksen-Flanker, Posner-Cuing, visuelle Suche etc. werden auch in sportpsychologischen Studien verwendet ( Kasten 1.1).

Kasten 1.1: Einige in der Sportpsychologie häufig verwendete Paradigmen

•  Wahlreaktionen: Der zeitliche Ablauf eines Durchgangs wird bestimmt durch eine Reizdarbietung, die Verarbeitungszeit und die Antwort der Versuchspersonen (Vp). Für die Antwort stehen der Vp zwei Optionen zur Verfügung, aber es wird pro Durchgang nur ein Reiz präsentiert. Die experimentellen Bedingungen werden meist durch die unterschiedlichen Reize implementiert. Als AV werden sowohl die Dauer der Reaktions-/Antwortzeit (d. h. vom Beginn der Reizdarbietung bis – meist – zum Drücken einer Taste) als auch die Qualität der Antwort betrachtet. Beispiel: In einem Wahrnehmungsexperiment reagieren Handballtorhüter (Helm, Reiser & Munzert, 2016) auf visuelle Reize mit dem rechten oder linken Arm. Zu der Reaktionszeit (Dauer zwischen Reizpräsentation und Start der motorischen Antwort) wurde zudem auch die Bewegungszeit (Dauer der Armstreckung) erfasst.

•  »Two-alternative forced choice« (TAFC): Hier werden der Vp zwei Reize innerhalb eines Durchgangs präsentiert und sie muss sich für eine Option entscheiden, basierend auf einem instruierten Kriterium (z. B. »Welcher Reiz ist heller?« »In welchem Reiz bewegen sich Punkte nach oben oder unten?« etc.). Auch hier interessieren die Antwortdauern und -qualitäten. Beispiel: Kennel, Hohmann und Raab (2014) verwenden eine akustische TAFC-Aufgabe, um die Rolle motorischer Expertise bei der Diskriminierung von bewegungsbezogenen Geräuschen beim Hürdenlaufen zu untersuchen.

•  Gleich-Verschieden: Dargeboten werden entweder gleichzeitig oder kurz nacheinander zwei Reize, über deren Gleich- oder Verschiedenheit die Vp entscheiden muss. Beispiel: Shepard und Metzler (1971) präsentierten zwei Würfelfiguren aus unterschiedlichen Perspektiven und manipulierten systematisch den Drehwinkel, der die beiden in Überdeckung bringen konnte. Die Forscher zeigten, dass die Zeit für die Entscheidung über Gleichheit oder Unterschiedlichkeit proportional zur Disparität der Figuren anstieg. In der mentalen Rotationsforschung innerhalb der Sportpsychologie werden heute viele Paradigmen verwendet, die sich vom klassischen Gleich-Verschieden-Paradigma unterscheiden (Heppe, Kohler, Fleddermann et al., 2016; Jansen, Lehmann & Van Doren, 2012; Steggemann, Engbert & Weigelt, 2011) und die Fragestellungen untersuchen, wie körperliche und sportliche Aktivität die mentalen Rotationsleistungen verändert.

•  Stroop: Hier werden Reize präsentiert, bei denen geschriebene Farbwörter (»ROT«, »BLAU« etc.) mit Farben versehen werden: entweder kongruent, d. h. das Wort »ROT« wird in roter Schrift dargeboten, oder inkongruent, d. h. das Wort »ROT« in blauer Farbe. Auch neutrale Bedingungen sind möglich (z. B. das Wort »ROT« in schwarzer Farbe oder einfach nur ein farbiger Reiz, z. B. ein Kreis). Variiert werden auch die Aufgaben: also entweder das Wort vorlesen (unabhängig von der Farbe) oder die Farbe benennen (unabhängig vom Wort). Beispiel: Das Paradigma wird seit einigen Jahren im Rahmen einer größeren Test-Batterie verwendet, um die kognitiven Leistungseffekte von im Sport erlittenen Gehirnerschütterungen zu untersuchen (Echemendia, Putukian, Mackin et al., 2001; McCrea, Guskiewicz & Marshall, 2003).

•  Eriksen-Flanker: Die Vp hat die Aufgabe, einen zentral präsentierten Reiz zu benennen (z. B. »Zeigt der Pfeil nach rechts oder links?«). Dabei sind die benachbart (flankierend) präsentierten Reize nicht zu beachten. In manchen Studien werden Ziel- und Flankierreiz auch zeitlich versetzt präsentiert (mit einer sog. Stimulus-Onset-Asynchronie, SOA). Beispiel: Varianten des Paradigmas wurden verwendet, um z. B. zu untersuchen, ob sich körperlich Aktive oder Personen, die einer sportlichen Interventionsgruppe zugeordnet sind, in ihren Leistungen und neuralen Substraten unterscheiden (z. B. Chaddock, Hillman, Pontifex et al., 2012).

•  Posner-Cueing: Auch hier werden unterschiedliche Typen von Reizen eingesetzt. Zentral wird ein Hinweisreiz (Cue) dargeboten, der mit hoher Wahrscheinlichkeit angibt, ob nachfolgend rechts oder links ein Zielreiz erscheint. Die Aufgabe der Vp ist es, auf den Zielreiz rechts oder links mit einem Tastendruck zu antworten. Unterschieden werden valide und invalide Durchgänge, d. h. einmal gibt der Cue tatsächlich an, auf welcher Seite der Reiz kommen wird und in anderen Durchgängen nicht (invalide Durchgänge). Die Reaktionszeiten bei Durchgängen mit validem Hinweisreiz sind in der Regel niedriger als bei invaliden. In der Sportpsychologie werden Varianten des Paradigmas eingesetzt, um z. B. Zusammenhänge zwischen dem motorischen und dem kognitiven Leistungszustand von Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen im mittleren oder höheren Alter zu untersuchen (z. B. Wang, Liang, Tseng et al., 2015; Cereatti, Casella, Manganelli et al., 2009).

•  Priming: Dazu existieren zahlreiche Varianten. Die methodische Grundlogik ist, dass ein vorhergehender Bahnungsreiz (»prime«) den nachfolgend präsentierten Zielreiz (»target«) in seiner Verarbeitung beeinflusst. Bahnungsreize können unterschiedliche Modalitäten ansprechen (visuell: Bild; akustisch: Ton; olfaktorisch: Geruch etc.) und sollen (meist implizit) einen Gedächtnisinhalt aufrufen, der die Verarbeitung des nachfolgenden Zielreizes, der bewusst verarbeitet wird, beeinflusst. In einer Studie von Stone, Harrison und Mottley (2012) wurden am College studierende Athlet*innen unterschiedlicher ethnischer Herkunft vor der Bearbeitung von Aufgaben entweder als »Scholar Athletes«, »Athletes« oder »Research Participants« gebahnt. Entsprechend der Erwartungen eines Stereotyps »Threats« zeigten die afroamerikanischen Sportler*innen besonders schlechte Leistungen, wenn sie bzgl. ihrer athletischen Identität gebahnt wurden.

Mit entsprechenden Versuchsanordnungen können mit Verhaltensmaßen dann auch Aussagen über den Zeitverlauf mentaler Prozesse getroffen werden.

Die Verwendung von Verhaltensmaßen in der Forschung hat eine lange Tradition. Es war einer der ersten Ansätze, um »geistige« Prozesse sichtbar zu machen. Wichtige erste Schritte in diesem Bereich waren die Arbeiten der »Psychophysiker« des 19. Jahrhunderts. Auch auf persönlicher Ebene gab es eine enge Verknüpfung mit der Entwicklung der Psychologie als wissenschaftlicher Disziplin in Deutschland. Wilhelm Wundt (1832–1920), der 1879 das erste Psychologische Institut in Leipzig gründete, war in intensivem wissenschaftlichen Austausch mit den ebenfalls in Leipzig arbeitenden Gründungsvätern der Psychophysik, Gustav Theodor Fechner (1801–1887) und Ernst Heinrich Weber (1795–1878). Fechner verallgemeinerte die Erkenntnis von Weber, dass bei der Entdeckung eines sensorischen Unterschieds – z. B. beim Vergleich der Helligkeit von zwei Lichtquellen oder der Lautstärke von zwei Tönen – die Unterschiedsschwelle vom Intensitätsniveau der Reize abhängt. Bei sehr leisen Tönen kann schon ein geringer Unterschied entdeckt werden, bei lauten Tönen bedarf es hingegen eines deutlich größeren Unterschieds zwischen dem Reizpaar. Anders ausgedrückt ist die für eine Unterscheidung notwendige Reizdifferenz als prozentualer Anteil der Grundintensität bestimmt. Die Verallgemeinerung dieses Zusammenhangs wird auch als Weber-Fechner-Gesetz bezeichnet: Es definiert einen funktionalen Zusammenhang zwischen der Reizintensität und der Empfindung. Die Art des Zusammenhangs ist logarithmisch, was sich einfach mathematisch aus der von Weber beschriebenen Eigenschaft der Unterschiedsschwelle ergibt.

In der Mitte des 20. Jahrhunderts stellte sich heraus, dass das Weber-Fechner-Gesetz nicht auf alle Schwellenphänomene in sensorischen Systemen umfassend zutraf. Stanley S. Stevens entwickelte neue Messmethoden zur Erfassung von Empfindungen; d. h., Versuchspersonen mussten nicht Unterschiede zwischen Größen bestimmen, sondern gaben direkte Schätzungen der absoluten Wahrnehmungsintensität ab. Außerdem berücksichtigte er bei der mathematischen Herleitung des psychophysischen Gesetzes, dass auch auf der Seite der Empfindung der wahrgenommene Unterschied von der absoluten Intensität der Empfindung abhängt (wie bei der Reizschwelle). Die Form des funktionalen Zusammenhangs ist dann nicht mehr logarithmisch, sondern entspricht einer Potenzfunktion. In vielen Fällen haben diese beiden Funktionen einen ähnlichen Verlauf, doch es zeigte sich, dass die Potenzfunktion die empirischen Daten deutlich besser abbilden konnte und sich bereits beschriebene Abweichungen vom Weber-Fechner-Gesetz dadurch erklären ließen.

Parallel zu Stevens’ Weiterentwicklung der Psychophysik entstand ein neuer Ansatz zur mathematischen Behandlung von Schwellenmessungen, der auch heute noch von zentraler Bedeutung ist. Die Signalentdeckungstheorie entwickelte sich ursprünglich als Antwort auf Fragen im Umgang mit der Radartechnik. Das erklärt die manchmal eigentümlich technisch klingende Terminologie, die in diesem Kontext Anwendung findet. Der Grundgedanke der Signalentdeckungstheorie ist, dass bei Wahrnehmungen und insbesondere bei darauf basierenden Entscheidungen das Signal fast immer mit Rauschen vermischt ist. Das Rauschen beruht auf variablen Eigenschaften der technischen Systeme, die für eine Messung eingesetzt werden, kann aber auch in der beobachtenden Person selbst begründet sein, wenn z. B. die Aufmerksamkeit fluktuiert oder auch der Zustand der sensorischen Systeme im Gehirn variabel ist. Das heißt, in den meisten Situationen werden nicht konstante, isolierte Signale präsentiert, sondern es ist ein Signal zu entdecken, das mit Rauschanteilen versetzt ist.

Ein zweiter wichtiger Aspekt der Signalentdeckungstheorie ist, dass bei Beobachter*innen nicht nur die Sensibilität für Signale entscheidend ist, sondern auch das angewandte Kriterium. Angenommen, zwei angehende Schiedsrichterinnen im Basketball nehmen an einer Schulung teil und sollen im Rahmen der Beobachtung von Spielszenen Fouls entdecken. Sie sind darüber informiert, dass bei einem Teil der Szenen Fouls begangen wurden. Eine Schiedsrichterin möchte auf keinen Fall ein Foul verpassen und entscheidet fast immer auf »Foul«. Dadurch berichtet sie alle vorhandenen Fouls korrekt, erzeugt aber auch sehr viele falsche Entscheidungen. Das heißt, dass zusätzlich zur korrekten Entdeckung von Signalen (Foul) auch die Anzahl der Falschmeldungen berücksichtigt werden muss. Die andere Schiedsrichterin ist deutlich kritischer: Sie übersieht zwar zwei Fouls, erzeugt aber sonst keine Fehlentscheidung. Welche Schiedsrichterin hat nun die bessere Leistung gezeigt? Es ist klar, dass die erste Schiedsrichterin mehr Fouls entdeckt, allerdings ist ihr Kriterium so liberal, dass es viele Pfiffe für Spieler gibt, die gar kein Foul begangen haben – mit entsprechenden Folgen wie vorzeitigem Spielausschluss durch Erreichen der Foulhöchstgrenze. Die zweite Schiedsrichterin entdeckt nicht alle Fouls, aber es wird auch kein Spieler mit einem Foul belastet, das er nicht begangen hat.

Die Signalentdeckungstheorie hilft, diesen Aspekt des Antwortkriteriums von der eigentlichen sensorischen Sensibilität zu unterscheiden. Die Sensibilität gibt an, wie gut Personen oder auch Apparaturen das Signal vom Rauschen trennen können. Das Antwortkriterium spiegelt davon unabhängig wider, ob die Entscheidungen eher konservativ (Signale werden manchmal verpasst, aber es gibt auch kaum »falschen Alarm«) oder liberal sind (mehr Signale werden entdeckt, aber auch häufiger Rauschen als Signal interpretiert). Innerhalb einer Person kann dieses Kriterium unabhängig von der Sensibilität auch verschoben werden, indem man z. B. Anreize setzt oder bestimmte Fehler höher »bestraft«. Im Fall der Foulansage könnte man dieses Kriterium der Basketball-Schiedsrichterinnen dadurch beeinflussen, dass direkt Feedback gegeben wird (siehe z. B. Schweizer & Plessner, 2013).

Heutzutage wird der Begriff »Psychophysik« oftmals allgemein für jegliche Art von Verhaltensmessung eingesetzt. Das ist mit Bezug auf die Originalkonzeption und angesichts der historischen Entwicklung dieses Feldes eigentlich nicht angemessen, aber in den meisten Fällen unproblematisch. Für Schwellenmessungen werden inzwischen komplexe mathematische Modelle angewandt, mit denen Schwellen adaptiv und effizient bestimmt werden können. Unter anderem kommen dabei Bayes’sche Statistiken zum Einsatz, welche die Beziehung zwischen zugrundeliegenden mathematischen Modellen und empirischen Daten optimal formalisieren.

1.2.2     Tests

Im Folgenden wird unter dem Begriff des Tests ein »wissenschaftliches Routineverfahren zur Untersuchung eines oder mehrerer empirisch abgrenzbarer Persönlichkeitsmerkmale mit dem Ziel einer möglichst quantitativen Aussage über den relativen Grad der individuellen Merkmalsausprägung« (Bortz & Döring, 2002, S. 189) verstanden. Im Rahmen sportpsychologischer Forschung werden Tests zur Messung von motorischen und kognitiven Leistungen oder von Persönlichkeitsmerkmalen bei verschiedenen Populationen (Kinder, Jugendliche, Erwachsene) und Zielgruppen angewendet. Zur Abgrenzung sei angemerkt, dass bei Leistungstests ein objektiver Beurteilungsmaßstab existiert: Wird beim Zahlenverbindungstest die 17 nicht mit der 18, sondern mit der 19 verbunden, ist die Aufgabe falsch gelöst. Bei Persönlichkeitstests ist dies nicht der Fall: Einstellungen oder Motive sind nicht falsch oder richtig, sondern stärker und weniger stark ausgeprägt. Allerdings sollte differenziert werden zwischen Persönlichkeitstests und Persönlichkeitsfragebogen: Die Anwendung von Tests findet stärker im Rahmen der Diagnostik latenter Merkmale und des Vergleichs von individuellen Daten mit Referenz- oder Normwerten statt; dies ist bei Fragebögen meist nicht der Fall.

Auch motorische Tests können als Leistungstests kategorisiert werden. Sie werden häufig im Rahmen von Entwicklungsuntersuchungen eingesetzt: Der motorische Entwicklungsstand soll erfasst, ggf. Förderbedarf erkannt bzw. ein prozessbegleitendes Beobachtungsverfahren (z. B. Zimmer & Volkamer, 1987, MOT 4-6) zur Verfügung gestellt werden. Beim Körperkoordinationstest für Kinder (KTK; Kiphard & Schilling, 2007) oder beim Movement-ABC (M-ABC; Henderson, Sugden & Barnett, 2007) werden Komponenten motorischer Funktionen mit standardisierten Aufgaben analysiert. Dabei wird – bei aufgabenangemessener Bearbeitung – der Ausprägungsgrad (z. B. die Anzahl der gefangenen Bälle) dokumentiert, aber nur, wenn die Aufgabe auch bearbeitet wurde (z. B. wird beim M-ABC im Protokollbogen ein »V« für Verweigerung oder ein »B« für Beeinträchtigung markiert, wenn ein definierter Durchlauf gar nicht beendet wurde).

Im Leistungssport werden z. B. im Rahmen der Talententwicklung oder der Talentselektion motorische Leistungstests eingesetzt, allerdings häufig nicht im Sinne eines differenzierten Motoriktests mit mehreren Aufgaben, sondern es werden einzelne Testaufgaben (20 Meter Sprint zur Messung der Sprintleistung, Drop Jump zur Messung der Reaktivkraftleistung) absolviert und weitestgehend isoliert betrachtet. Anhand dieser Daten werden dann, nach Geschlecht und Alter sortiert, Normwerttabellen entwickelt, welche die Beurteilung der individuellen Leistungsfähigkeit anhand von Perzentilstufen erlauben (z. B. für Basketballtalente: Ferrauti, Holst, Kellmann et al., 2015). Auch im Bereich des Fitnesssports und des Gesundheitssports haben sich Testprozeduren etabliert (z. B. Reiman & Manske, 2009), die sich auf Gleichgewichts-, Maximalkraft- oder Schnelligkeitsleistungen beziehen.

Bei der »Psychometrie« soll entsprechend der Wortbedeutung der menschliche Geist (griech.: psyche = Geist, Seele) gemessen werden (griech.: metron = Maß). Die Tradition der Messung geistiger Eigenschaften reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück, als Sir Francis Galton den ersten Versuch unternahm, insbesondere intellektuelle Fähigkeiten mit biologisch orientierten Verfahren (Reaktionszeiten, Wahrnehmungsschwellen etc.) zu bestimmen. Aus diesen Vorläufern entwickelten sich später die modernen Intelligenztests.

Gemäß dem Anwendungsbereich und/oder den zugrundeliegenden Fähigkeiten werden Leistungstests oft noch weiter unterteilt. Schmidt-Atzert und Amelang (2012) unterscheiden z. B. Aufmerksamkeitstests ( Kap. 3 zur Aufmerksamkeit), Konzentrationstests, Intelligenztests, spezielle Fähigkeitstests, Entwicklungstests und Schultests. Die Kategorisierung ist hilfreich, hat aber keine weiteren methodischen Implikationen, da die Tests nach sehr ähnlichen Grundprinzipien aufgebaut sind. Von den untersuchten Personen muss in den relevanten Bereichen eine Testleistung erbracht werden. Eine Manipulation des Ergebnisses durch die getestete Person ist nur bedingt möglich. Personen können zwar absichtlich schlechter abschneiden, aber eine Verbesserung über die eigenen Fähigkeiten hinaus ist nicht möglich.

Der Klassiker unter den Leistungstests ist der Intelligenztest, mit denen der Intelligenzquotient (IQ) bestimmt werden kann. Es sind verschiedene Verfahren im Einsatz, denen auch zum Teil recht unterschiedliche Theorien der Intelligenz zu Grunde liegen. Die Gemeinsamkeit ist, dass es in irgendeinem Sinne um Problemlöseverhalten und das Denkvermögen von Personen geht. Als ein zweites Beispiel für einen sehr bekannten Leistungstest aus einem anderen Bereich sei der »d2-Test« genannt. Er gehört zu den Aufmerksamkeits- und Konzentrationstests und wird sehr gerne als eine Komponente bei der Überprüfung der Leistungsfähigkeit von Personen eingesetzt. Bei dem Test müssen die Personen unter Zeitdruck den Buchstaben ›d‹ in Reihen von vielen ›d‹- und ›p‹-Reizen finden, die in der Summe von genau zwei Strichen umgeben sind. Da die meisten Symbole nur der Ablenkung dienen (sogenannte »Distraktoren«), ist es recht anstrengend, die korrekten Zielreize unter den Distraktoren zu finden. Hinzu kommt, dass die Aufgaben mit entsprechenden Zeitbeschränkungen nicht vollständig zu lösen sind, was zur Drucksituation beiträgt. Leistungstests werden gerne für die Forschung und für z. B. Fragen der Personalselektion eingesetzt, da sie von hoher Qualität sind und den Erfolg von Personen im Alltag häufig recht gut vorhersagen können (insbesondere Intelligenztests).

In der Sportwissenschaft spielt z. B. bei der Frage nach den individuellen Eigenschaften, die erfolgreiche Sportler*innen auszeichnet, die Persönlichkeit eine große Rolle. Ein dominantes Modell, das in vielen Studien bestätigt werden konnte, ist die Fünf-Faktoren-Theorie der Persönlichkeit von McCrae & Costa (2008; engl.: »Big Five«).

In vielen experimentellen Untersuchungen in der Sportpsychologie werden Persönlichkeitsfaktoren mit erhoben. Ein solches Wissen könnte bei der Talentselektion hilfreich sein, auch wenn zu erwarten ist, dass es sich immer nur um ein probabilistisches Kriterium unter vielen anderen handeln wird. Für die Messung von Persönlichkeitseigenschaften gibt es einen dominanten Ansatz, dessen Grundlage die Selbstbeschreibung von Individuen ist. Personen werden befragt, inwiefern sie sich bestimmte Eigenschaften zuschreiben bzw. wie sie in bestimmten Situationen empfinden oder reagieren würden. Zum Beispiel würde man Personen fragen, ob sie der Aussage »Ich treffe mich gern mit anderen Leuten« zustimmen oder nicht. Die Antwort könnte dabei mit »ja/nein« erfolgen oder auch in mehreren Stufen (Grad der Zustimmung oder Ablehnung). Die Frage würde vermutlich auf »Geselligkeit« oder »Extraversion« abzielen. Die Verfahren verfügen oft über einen hohen Grad an Transparenz und Augenscheinvalidität. Es ist uns klar, worum es bei der Frage geht und – vorausgesetzt, die Personen antworten hinreichend ehrlich – viele Forscher*innen würden eine solche Frage auch als ein gültiges (valides) Maß für die Persönlichkeitseigenschaft akzeptieren bzw. zumindest berücksichtigen. Damit ist auch eine der Schwächen von Persönlichkeitsfragebögen angesprochen. Wie oben erwähnt, können bei Leistungstests zumindest keine guten Leistungen (schlechte allerdings schon) vorgetäuscht werden. Im Fall der Persönlichkeitsfragebögen ist die Manipulation in beide Richtungen möglich, z. B. könnten die Bögen in Richtung bekannter sozialer Erwünschtheit verzerrt ausgefüllt werden. Über die Persönlichkeitseigenschaften hinaus können auch Einstellungsmessungen anfällig für Verzerrung sein, z. B. wenn Athlet*innen nach Maßnahmen gegen Dopingsünder oder nach der Vertrauenswürdigkeit von Antidopingmaßnahmen gefragt werden oder wenn Personen angeben sollen, wie viele Minuten Sport sie pro Woche treiben. Einige methodische Varianten setzen sich zum Ziel, zumindest die Fragen genauer zu erkennen, die anfällig für soziale Erwünschtheit sind (z. B. »Faking Good« and »Faking Bad« – sich in besonders gutem oder schlechten Licht darstellen; zudem: Randomized-Response-Technik, RRT). Bei Letzterer bestimmt ein Zufallsgenerator, ob die befragte Person ehrlich antworten soll oder mit der Antwort »Ja« und die Versuchsleiter kennen diese Zuordnung bei der Auswertung nicht. Striegel, Ulrich und Simon (2010) verwendeten bei Leistungssportler*innen der deutschen Spitzenklasse sowohl traditionelle Verfahren als auch RRT, um die Prävalenz von Doping zu eruieren. Die RRT-Daten lassen auf eine Prävalenz von ca. 7% der Personen mit Gebrauch von Dopingsubstanzen schließen, während klassische Fragebögen praktisch null Auftretenswahrscheinlichkeit detektierten.

1.2.3     Physiologische Messverfahren

In experimentellen sportpsychologischen Untersuchungen, deren Ziel es ist, den Zusammenhang zwischen psychischen und körperlichen Prozessen bzw. Zuständen zu beleuchten, werden häufig physiologische Messverfahren eingesetzt. Dabei werden z. B. Beanspruchungsindikatoren wie die Herzfrequenz, die Kortisolkonzentration im Speichel oder die Zusammensetzung der Atemluft (Spirometrie) gemessen. Häufig werden die Studienteilnehmenden auch einer kontrollierten körperlichen Belastung ausgesetzt, wie z. B. im Rahmen einer spiroergometrischen Untersuchung. Zahlreiche Untersuchungen zur Überprüfung der Stresspufferhypothese körperlicher Aktivität (Klaperski, von Dawans, Heinrichs et al., 2013) oder zu den Effekten spezifischer aufmerksamkeitslenkender Instruktionen (Schücker, Fleddermann, de Lussanet et al., 2016) verfolgen das Ziel, die psychischen Vorgängen zugrundeliegenden physiologischen Prozesse zu untersuchen. Auch hirnphysiologische Untersuchungsverfahren, die im Folgenden beleuchtet werden, kommen hier zur Anwendung.

Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT)

In den letzten Jahren haben sich hirnphysiologische Messungen auch in der sportpsychologischen Forschung verbreitet. Die MRT beruht auf dem physikalischen Phänomen der Magnetresonanz. Die Resonanzeigenschaften hängen dabei vom jeweiligen Stoff ab: Man kann aus den auf Einstrahlungen folgenden Abstrahlungen eines Objekts auf dessen stoffliche Zusammensetzung schließen. Zudem stellte sich heraus, dass die Magnetresonanz von Wasserstoffatomen genutzt werden kann, um schnittartige Bilder vom Körpergewebe sogar bei lebendigen Organismen zu erhalten. Von besonderem Interesse für die Neurowissenschaft war es, dass diese Aufnahmen auch vom Gehirn gemacht werden konnten.

Die Parameter der Messsequenz, die am MRT-Scanner eingestellt wird, bestimmen, welche genauen Gewebeeigenschaften bei der Messung abgebildet werden. Mithilfe der funktionellen Variante (fMRT) können bestimmte Funktionen des Gehirns, d. h. die Aktivität von Nervenzellen erfasst werden – auf indirekte Weise. Die Möglichkeit, mit fMRT Gehirnaktivität zu messen, beruht auf zwei biologischen Prozessen: Wenn Nervenzellen aktiv werden, verbrauchen sie Energie. Das Blutkreislaufsystem sorgt dafür, dass Energie nachgeliefert wird. In Hirnregionen mit vermehrter Aktivität kommt es deshalb zu einem Anstieg des Blutflusses. Meist wird mehr Blut angeliefert, als unbedingt benötigt wird. Das führt zu einem Überschuss von mit Sauerstoff geladenen Erythrozyten, deren Hauptbestandteil und Träger der Sauerstoffladung Hämoglobin ist. Hämoglobin hat in Abhängigkeit davon, ob es mit Sauerstoff geladen (oxygeniert) ist oder nicht (deoxygeniert), unterschiedliche magnetische Eigenschaften.

Die magnetischen Eigenschaften des Hämoglobins können das MRT-Signal beeinflussen. Bei der Verwendung einer funktionellen MRT-Messsequenz gibt es mehr Signal aus einer Hirnregion, wenn dort viel oxygeniertes Hämoglobin im Vergleich zu deoxygeniertem Hämoglobin vorhanden ist. Bei vermehrter Aktivität von Nervenzellen steigert sich der Blutfluss, was zu mehr oxygeniertem Hämoglobin und damit zu mehr Signal führt. Dieses Signal kann auch über die Zeit gemessen werden, sodass wir die Gehirnaktivität unter verschiedenen Bedingungen vergleichen können.

Diffusion Tensor Imaging (DTI)

Es gibt noch weitere MRT-basierte Methoden, die Einblicke in die Eigenschaften des Gehirns und anderer Organe ermöglichen. Die Diffusions-Tensor-Bildgebung (engl.: diffusion tensor imaging, DTI) hat die Leitungsbahnen des Gehirns im Blick. Abgesehen von der grauen Substanz besteht unser Gehirn zu einem großen Teil aus Verbindungen zwischen Nervenzellen, der weißen Substanz. Mithilfe der DTI-Technik kann der Verlauf dieser Leitungen nachvollzogen und auch die Qualität der Leitungen erfasst werden. Eine weitere Technik ist die Magnetresonanzspektroskopie (MRS). Sie beschäftigt sich mit den vielen anderen Molekülen, die außer H2O im Gehirn zu finden sind. Mit der MRS kann in einer Hirnregion die Konzentration bestimmter Botenstoffe (Neurotransmitter) gemessen werden, die für die Übertragung von Signalen zwischen Nervenzellen wichtig sind.

Positronen-Emissions-Tomografie (PET)