Sprache und Raum (E-Book) -  - E-Book

Sprache und Raum (E-Book) E-Book

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  • Herausgeber: hep verlag
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Wie zeigt sich Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum? Wie erleben Lernende die Sprachen in verschiedenen schulischen Kontexten? Wie kann die sprachliche Landschaft als pädagogische Ressource in der Förderung der Schul- und Familiensprachen verwendet werden? Der Band richtet sich an Forschende und Studierende in den Bereichen Mehrsprachigkeit, Bildungswissenschaft und Soziolinguistik. Interessierte Lehrpersonen erweitern ihre Kenntnisse zu den Themen Sprache, Raum und Mehrsprachigkeit und integrieren Linguistic Landscape als pädagogisches Tool in ihren Schulalltag.

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Seitenzahl: 616

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Edina Krompák / Vincenzo Todisco (Hrsg.)

Sprache und Raum - Language and Space

Mehrsprachigkeit in der Bildungsforschung und in der Schule

 

ISBN Print: 978-3-0355-2182-5

ISBN E-Book: 978-3-0355-2183-2

 

Coverfoto: Barbara Keller

 

1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 hep Verlag AG, Bern

 

hep-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Vorwort

1 Sprache und Raum. Eine Einführung

2 Die sprachliche Landschaft der Pandemie

3 Kunst und Semiotik in der Linguistic Landscape

4 Schulräume und ihre Textsorten: Schoolscape-Forschung am Beispiel eines Hamburger Gymnasiums

5 Visuelle Literalität – Wie mehrsprachige Kinder Linguistic Landscape wahrnehmen

6 Methodological considerations for engaging in field-based linguistic landscape work

7 Sprachbiografien aus Romanischbünden – Wie schulische Übergänge in Bezug auf das Spracherleben wahrgenommen und beschrieben werden

8 Der Stufenübergang im Fremdsprachenunterricht: Sprachlernbiografien künftiger Lehrpersonen

9 Berufsbezogene Überzeugungen von Studierenden zum Fremdsprachenlehren und -lernen sowie zur Mehrsprachigkeitsdidaktik

10 Die Linguistic Landscape als mehrsprachige didaktische Ressource

11 Kinder als Sprachforschende: Die Didaktisierung von Linguistic Landscape auf der Primarstufe

12 Multilingual Lausanne: Linguistic landscape as a pedagogical resource for critical multilingual awareness in higher education

13 Soundscape – Mit offenen Ohren durch die Klanglandschaft

14 Projektwochen zu Sprachenvielfalt in der Primarschule mit SAMS: Ein Praxisbeitrag

Anhang

Vorwort

von Thomas Meinen

 

Der vorliegende Herausgeberband präsentiert Erkenntnisse empirischer Forschungs- und Praxisprojekte zum Thema «Sprache und Raum – Mehrsprachigkeit in der Bildungsforschung und in der Schule». Die meisten Beiträge entstanden aus den Präsentationen der gleichgenannten internationalen Tagung, die in Zusammenarbeit der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen (PHSH) und der Pädagogischen Hochschule Graubünden (PHGR) während der Covid-19-Pandemie, im März 2021, online durchgeführt wurde.

Die Teilnehmenden trafen sich im virtuellen Raum. Es ist mittlerweile ein Raum, der für uns alltäglich geworden ist, in dem wir uns zunehmend agil und sicher bewegen. Ein Raum, in dem Unterricht und Bildungsveranstaltungen aller Art stattfinden können.

Wir stellen fest, dass der virtuelle Raum ist auch zum pädagogischen Raum geworden ist. Das kann erstaunen, da dies nicht genuin pädagogischen Vorstellungen entspricht.

Denken wir an die große französische Pädagogin Simone Weil. Zentraler Begriff ihrer Pädagogik ist der Begriff «Enracinement». Es geht um Einwurzelung. Wir kennen den pädagogischen Topos: Menschen müssen Wurzeln schlagen können, damit ihnen Flügel wachsen.

«Enracinement» verweist auf analoge, primäre Erfahrungen, getragen von unmittelbaren persönlichen Beziehungen. Im Verständnis von Simone Weil ist dies mit konkreten Orten verbunden.

Und jetzt treffen wir uns zum Lehren und Lernen immer wieder in einem ortsungebundenen Raum. Damit stellt sich die Frage neu, wann ein Raum zum pädagogischen Raum wird.

Wenn ich zur Beantwortung dieser Frage meinen Erfahrungen folge, dann stelle ich fest: Ich brauche Sicherheit, ich muss wissen, wie ich mich einloggen und auch wieder ausloggen kann; ich muss wissen, wie ich gesehen und gehört oder nicht gesehen und nicht gehört werde. Vor allem aber muss ich mich im Raum bewegen können. Dazu brauche ich Kenntnisse der Navigation. Das geht nie ohne Zeichen und Sprache. In einem pädagogischen Raum sind Sprache und Raum aufeinander bezogen.

Wie dieser Bezug zu verstehen ist und in welchen Ausprägungen Sprache und Raum pädagogisch nutzbar gemacht werden können, wird im vorliegenden Herausgeberband erörtert. Zum Beispiel begegnen wir der Sprachlandschaft des schulischen Raums anhand einer Fallstudie der Universität Hamburg. Wir werden eingeführt in Linguistic Landscape als mehrsprachige didaktische Ressource; es wird dargestellt, wie im Projekt Sprachland der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen die Mehrsprachigkeit durch Linguistic Landscape gefördert werden kann.

Es geht in den Beiträgen um folgende Fragestellungen: Wie zeigt sich Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum und in den Bildungsinstitutionen? Wie erleben Lernende die Sprachen in verschiedenen (Lebens-)Räumen und schulischen Kontexten? Wie kann die sprachliche Landschaft (Linguistic Landscape) als pädagogisches Tool in der Förderung der Schul- und Familiensprachen sowie in der Auseinandersetzung mit Sprache und Raum verwendet werden?

Bezüglich Schul- und Unterrichtsentwicklung besteht Einigkeit, dass Schule und Unterricht in Zukunft an flexibilisierten Lernorten stattfinden werden. In Linguistic Landscape sehe ich eine idealtypische Form, wie Räume als Lernräume erschlossen werden können. Die Erforschung von Sprachbiografien zeigt uns wiederum die Bedeutung der mehrsprachigen Lebensräume in Lehr- und Lernprozessen.

Es ist wichtig, dass Erfahrungen darüber zusammengeführt und vertieft werden. Der vorliegende Band löst diesen Anspruch ein.

Ich wünsche der Publikation interessierte Leserinnen und Leser, die sich inspirieren lassen und ermutigt werden, neue pädagogische Räume zu erschließen.

 

Thomas Meinen, Rektor der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen

Schaffhausen, August 2021

Vorwort

von Gian-Paolo Curcio

 

Sprache ist nicht nur akustisch wahrnehmbar, sondern auch visuell. Dementsprechend verfügt Sprache neben einer akustischen und einer visuellen auch über eine räumliche Dimension. Plakate, Anschriften, Mitteilungen usw. – der Raum spricht. Neben der Mehrsprachigkeit im engeren Sinn war «Sprache und Raum» das Thema der Tagung, welche im März 2021 die Pädagogische Hochschule Graubünden (PHGR) unter der Leitung der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen (PHSH) mitorganisieren durfte. Die Tagung musste aufgrund der Covid-Pandemie online stattfinden. Die Sprache hat sich auch in den virtuellen Räumen positioniert.

Mehrsprachigkeit ist ein Wesensmerkmal des Kantons Graubünden und der PHGR. Sie wird in den Räumen des Schulgebäudes sichtbar. Mehrsprachigkeit ist ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts und ein Eckpfeiler der Forschung. Aus diesen Überlegungen heraus hat die PHGR im Auftrag des Kantons Graubünden eine Sonderprofessur für integrierte Mehrsprachigkeitsdidaktik mit Schwerpunkt Romanisch und Italienisch eingerichtet. Um das didaktische Konzept eines auf mehrere Sprachen ausgerichteten Unterrichts zu definieren und zu schärfen, um Gelingensbedingungen zu überprüfen, um die didaktischen Ressourcen, unter anderem auch der Linguistic Landscape, zu erörtern, werden empirische Daten benötigt. Die in diesem Band versammelten Studien und Praxisberichte liefern einen wichtigen Beitrag dazu. Damit sich die Fachdidaktik, in diesem Fall der Sprachen, als wissenschaftliche Disziplin etablieren und weiterentwickeln kann, sind Werke wie dieses fundamental wichtig. Die drei Beiträge der PHGR beschäftigen sich mit Mehrsprachigkeit und mit Didaktik der Fremdsprachen im Feld «Schule». Sie versuchen eine Brücke zur Praxis zu schlagen, indem sie in einem qualitativen Verfahren Sprachlernbiografien von jungen Menschen des romanischen Sprachraums und Studierenden der PHGR beleuchten und in einem quantitativen Vorgehen mentale Konzepte von Studierenden bezüglich des schulischen Fremdsprachenlernens erforschen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse fließen wiederum in die Lehre ein, indem sie einerseits in den Modulen thematisiert werden und andererseits zur Optimierung und Weiterentwicklung derselben dienen. Auf diese Weise schließt sich der Kreis, und ich bin glücklich darüber, dass die auf der Tagung vorgestellten Beiträge nun in dieser Form einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Sie verdienen es, weil sie viele interessante Aspekte der Mehrsprachigkeit in Schule und Forschung aufgreifen.

Die Pandemie hat viele Einschränkungen verursacht. Die vorliegende Publikation zeigt, dass sie das Denken, Forschen, Entwickeln von engagierten FachdidaktikerInnen, Forschenden und Lehrpersonen nicht aufhalten konnte. Die Hartnäckigkeit, mit der dieses Projekt, zuerst der Tagung und dann der Publikation, trotz der Pandemie verfolgt und realisiert wurde, machen es noch wertvoller.

In diesem Sinne möchte ich der PHSH danken für die konstruktive Zusammenarbeit, der Herausgeberschaft, Dr. Edina Krompák und Prof. Dr. Vincenzo Todisco, für ihre Unnachgiebigkeit, den Autorinnen und Autoren für ihre wertvollen Beiträge und den Begutachterinnen und Begutachter für ihre unabdingbare Expertise. Damit sich die Fachdidaktik als Wissenschaft etablieren kann, muss sie Produkte hervorbringen, die sich mit anderen messen können und die einen hohen Qualitätsanspruch haben. Diese Publikation entspricht diesen Kriterien. Ich wünsche den Leserinnen und Lesern viel Vergnügen, und ich bin mir sicher, dass die gewonnenen Erkenntnisse die Basis für neue Forschungen im Feld der Mehrsprachigkeit, der Linguistic Landscape und der Fachdidaktik sein werden.

 

Prof. Dr. Gian-Paolo Curcio, Rektor der Pädagogischen Hochschule Graubünden

1Sprache und Raum. Eine Einführung

Edina Krompák und Vincenzo Todisco

1.1Einleitung

Der vorliegende Herausgeberband basiert auf der internationalen Tagung «Sprache und Raum. Mehrsprachigkeit in der Bildungsforschung und in der Schule», die am 26. und 27. März 2021 von der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen und der Pädagogischen Hochschule Graubünden online durchgeführt wurde. Im Mittelpunkt der Tagung standen das Erscheinungsbild der Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum und in Bildungsinstitutionen, das Spracherleben aus einer biografischen Perspektive, das Sprachenlernen von Schülerinnen und Schülern und Studierenden sowie das didaktische Potenzial des soziolinguistischen Forschungsfelds Linguistic Landscape (LL). Während LL auf die wahrnehmbare sprachliche sowie multimodale Landschaft fokussiert, befasst sich die Sprachbiografie mit den relevanten Lebensereignissen, die die sprachliche Identität, den Sprachgebrauch sowie das Sprachenlernen beeinflussen. Die Didaktisierung von LL im pädagogischen Umfeld zeigt innovative Ansätze auf, die insbesondere für das Sprachenlernen und für die Förderung der Mehrsprachigkeit relevant erscheinen.

Der vorliegende Herausgeberband knüpft an diese drei Aspekte, das Erscheinungsbild der Mehrsprachigkeit, das Erleben und Lernen von Sprachen und die Relevanz der LL für die Didaktik der Mehrsprachigkeit, die sich sowohl im öffentlichen wie im Bildungsraum verorten lassen, an. Als Herausgebende setzen wir uns demnach zum Ziel, einen Beitrag zum Diskurs über Sprache und Raum als soziales Konstrukt zu leisten. Um den komplexen Zusammenhang zwischen Sprache und Raum aus mehreren Perspektiven zu erläutern, stützen wir uns auf bedeutende theoretische Konzepte aus verschiedenen Disziplinen. Unser Erkenntnisinteresse richtet sich nach den folgenden Fragen: Inwieweit bereichert der Sprache-Raum-Diskurs die Mehrsprachigkeitsforschung? Welche neuen Ansätze bietet die Didaktisierung von LL für die pädagogische Praxis, insbesondere für die Förderung von Mehrsprachigkeit?

Im Folgenden setzen wir uns mit den Konzepten von Sprache und Raum sowie mit dem Forschungsfeld LL auseinander und geben einen Überblick über die aktuellen Erkenntnisse zur Sprachbiografieforschung, zum Sprachlernen und zur Mehrsprachigkeitsdidaktik. Diesem Überblick folgt die Beschreibung der einzelnen Kapitel des Tagungsbandes und ihrer Untergliederung in zwei inhaltsbezogene Abschnitte: Sprache im öffentlichen Raum und in der Schule (Teil 1) sowie Sprachenlernen im Bildungsraum (Teil 2). Zum Schluss wird eine Synthese formuliert, in der die zentralen Fragestellungen des Bandes beantwortet und weiterführende Fragen formuliert werden.

1.2Koexistenz von Sprache und Raum

Um die Koexistenz von Sprache und Raum aus interdisziplinärer Sicht zu erläutern, stützen wir uns auf drei Konzepte, die ihre komplexe und wechselseitige Beziehung zum Ausdruck bringen. Dies äußert sich in der raumbezogenen (multimodalen) Interaktion (1), in der sozialen Konstruktion von Sprache und Raum (2) sowie in den sprachlichen Lern- und Lebensräumen (3). Schmitt und Hausendorf (2016) zeigen im Bereich der Linguistik die Entwicklung der multimodalen Interaktionsanalyse auf und weisen auf die Bedeutung der raumgebundenen, hör- und sichtbaren Interaktionen (mitgedacht sind auch Blickverhalten, Gestik und Mimik) sowie auf die verstärkte Berücksichtigung des «Raum[es] als interaktive Ressource» hin (Schmitt & Hausendorf, 2016, S. 16). Dabei rücken der Raum und dessen Ausstattung, die bestimmte Interaktionen ermöglichen, in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. Aus dieser Perspektive gewinnen beispielsweise die Schulräume und ihre physische Ausgestaltung in der Erforschung der Interaktionen zwischen den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren an Bedeutung. Darüber hinaus können die Formen der Raumnutzung auf soziale Praktiken und «sozial geprägte[s], raumbezogene[s] Wissen» hinweisen (Schmitt & Hausendorf, 2016, S. 12). Die Wechselbeziehung von Sprache und Raum sowie die soziale Konstruktion des Raums bilden den zentralen Teil des Konzepts von Lefebvre (1974/1991): «Every language is located in a space. Every discourse says something about a space (places or sets of places); and every discourse is emitted from a space» (Lefebvre, 1974/1991, S. 132). Nach Lefebvre (1974/1991) stellt der Raum ein soziales Konstrukt dar. Dies äußert sich in der zunehmenden Bedeutung des sozialen Raumes gegenüber dem natürlichen Raum sowie in der aktiven Rolle der Agentinnen und Agenten in der Konstruktion ihres eigenen sozialen Raumes. Basierend auf der Theorie von Lefebvre (1974/1991), die den sozialen Raum als eine Triade von perceived, conceived und lived space beschreibt, kommen die Konstruktion und Repräsentation des sozialen Raumes als räumliche Praktiken (perceived space), als verbale Repräsentationen (conceived space) und als physischer Raum (lived space) zum Vorschein. Ähnlich wie Raum wird Sprache aus der Sicht der Soziolinguistik sozial konstruiert: «Language is a set of resources which circulate in unequal ways in social networks and discursive spaces, and whose meaning and value are socially constructed within the constraints of social organizational processes, under specific historical conditions» (Heller, 2007, S. 2). Lernraum (wir verstehen darunter auch den sprachlichen Lernraum) wird aus der realistischen Perspektive als physischer Raum und aus der relationistischen Perspektive als untrennbares und wechselseitiges Gefüge des Raumes und dessen Verwendung betrachtet (Mulcahy et al., 2015, S. 577–579). Gleichzeitig heben Mulcahy et al. (2015) die diskursiven, materiellen und sozialen Aspekte des Lernraums hervor. Die Rekonstruktion der sprachlichen Lernräume sowie der Einstellungen und Sprachkompetenzen stehen im Zentrum der sprachbiografischen Forschung (Tophinke, 2002). Insbesondere in diesem Ansatz bekommt die Zeit durch die erinnerte raumbezogene Interaktion und die soziale Konstruktion von Sprache und Raum eine besondere Bedeutung.

Während Sprache und Raum in den unterschiedlichen Disziplinen weitgehend erforscht sind, wird der Sprache-Raum-Diskurs in den Bildungswissenschaften und in der Mehrsprachigkeitsforschung wenig berücksichtigt. In den folgenden Kapiteln greifen wir relevante Aspekte des Sprache-Raum-Diskurses auf und erörtern Ansätze und deren Anwendung in der Linguistik-Landscape- und Mehrsprachigkeitsforschung.

1.3Sprache-Raum-Diskurs in der LL-Forschung

Im Folgenden werden zwei für diesen Herausgeberband relevante Aspekte der LL, der spatial und der educational turn in der LL, näher thematisiert. Linguistic Landscape stellt ein relativ junges Forschungsfeld dar, das seine Ursprünge in der Soziolinguistik hat und immer mehr an Transdisziplinarität gewinnt. Die dynamische Entwicklung des Forschungsfeldes zeigt sich sowohl in der Erweiterung seiner Definition als auch in der Diversität des Forschungsgegenstandes und der Forschungsmethoden (Krompák, 2018). So steht in der ersten und am häufigsten zitierten Definition von Landry und Bourhis (1997) noch die geschriebene Sprache im Fokus: «the language of public road signs, advertising billboards, street names, place names, commercial shop signs, and public signs on government buildings combines to form the linguistic landscape of a given territory, region, or urban agglomeration» (Landry & Bourhis, 1997, S. 25). Shohamy und Ben-Rafael (2015) indes heben in ihrer Definition die Multimodalität hervor: «single words with deep meanings and shared knowledge, colourful images, sounds and moving objects, billboards, graffiti as well as a variety of text types displayed in cyber space» (Shohamy & Ben-Rafael, 2015, S. 1). In der Definition von Blommaert (2013) rückt die Interaktion von Nutzerinnen und Nutzern des öffentlichen Raumes mit dem Zeichen sowie die Geschichte des Raumes in den Mittelpunkt: «signs in social space tell us a lot about the users of the space, how users interacts [sic] with signs, how users influence and are influenced by them; they so start telling stories about the cultural, historical, political and social backgrounds of a certain space – the ‹system› in the sense outlined earlier» (Blommaert, 2013, S. 14). Obwohl LL ursprünglich an den öffentlichen Raum gebunden ist, verschieben sich die Grenzen der Öffentlichkeit immer mehr, und es werden beispielsweise Schulgebäude als schoolscape (Brown, 2005, 2012; Purkarthofer, 2016; siehe auch den Beitrag von Androutsopoulos & Kuhlee im vorliegenden Band) oder andere Institutionen wie ein Laboratorium (Hanauer, 2009), öffentliche Gesundheitseinrichtungen (Mdukula, 2020), ein internationaler Flughafen (Cunningham & King, 2020), eine Textilfabrik (Kırkgöz, 2020) oder ein Museum (Loester, 2020) erforscht. Auch der private Raum stellt einen Untersuchungsgegenstand der LL dar, indem beispielsweise Warnschilder wie «Beware of the dog» am Eingang zu privaten Grundstücken (Laihonen, 2014) oder sprachlich-semiotische Zeichen zu Hause als linguistic homescape (Krompák, 2018, 2021) erforscht werden. Im öffentlichen Raum wahrnehmbare Körper und deren Tätowierungen als skinscape (Peck & Stroud, 2015; Roux et al., 2019) oder zum Körper gehörende Kleidungsstücke (Järlehed, 2019) bilden weitere Untersuchungsbereiche an der Schnittstelle des öffentlichen und privaten Raumes. Auch der virtuelle Raum gewinnt an Bedeutung in der Erforschung der LL (Biró, 2018, 2019) und stellt gleichzeitig eine neue multimodale Dimension im Forschungsfeld dar.

Die verstärkte Berücksichtigung des geosemiotischen Ansatzes von Scollon & Wong Scollon (2003) sowie der Fokus auf die semiotische Landschaft (Jaworski & Thurlow, 2010) kündigten den spatial turn in der LL-Forschung an. Basierend auf den Erkenntnissen der Geosemiotik wurde das Augenmerk auf die Platzierung des Zeichens und deren Einfluss auf die soziale Bedeutung gerichtet (Scollon & Wong Scollon, 2003). Die Zeichen und ihre Platzierung im Raum stellen unterschiedliche Diskurse dar (siehe die Beiträge Androutsopoulos & Kuhlee und Krompák), die – zufällig oder auch nicht – miteinander interagieren, wodurch ein sogenanntes semiotisches Aggregat entsteht: «Language in the material world exists mainly within such complex semiotic aggregates» (Scollon & Wong Scollon, 2003, S. 193). Jaworski und Thurlow (2010) bauen auf den geosemiotischen Ansatz von Scollon und Wong Scollon (2003) auf und unterscheiden zwischen semiotischen und nicht semiotischen Räumen. Dabei definieren sie die semiotische Landschaft als «any (public) space with visible inscription made through deliberate human intervention and meaning making» (Jaworski & Thurlow, 2010, S. 2). Dementsprechend wurde Raum als sozialer Raum nach Lefebvre (1974/1991) in der LL-Forschung wahrgenommen und erforscht.

Eine weitere Wende fand in der bewussten Berücksichtigung von schulischen Räumen und der Verwendung von LL im Bildungskontext als educational turn statt (Krompák et al., 2021b, S. 8–12). Während die Schoolscape-Studien die sprachliche Landschaft einer Schule in Bezug auf die Sprachenpolitik (Brown, 2005, 2012; Szabó, 2012), translanguaging (Straszer, 2017), Lernräume (Krompák, Camilleri Grima, & Farrugia, 2021) sowie die Herstellung des sozialen Raumes der Schule (siehe den Beitrag von Androutsopoulos und Kuhlee) untersuchen, zeigen andere Studien zahlreiche Möglichkeiten auf, wie LL als pädagogische Ressource in der Förderung von Language Awareness (Scarvaglieri & Salem, 2015; Camilleri Grima, 2020), in der Didaktik der Sprachen (siehe den Beitrag von Badstübner-Kizik hier) und der Literatur (Badstübner-Kizik & Janíková, 2018) oder in der Demokratiebildung (Sullivan et al., 2021) umgesetzt werden kann. Die dabei entstandenen Räume werden als educationscape bezeichnet, die über die schulischen Räume hinaus alle materiellen und soziale Räume beinhalten, in denen Lernen stattfindet: «In this context, linguistic and semiotic educationscapes may be defined as the mutually constitutive material and social spaces in which linguistic and symbolic resources are mobilised for educational purposes» (Krompák, Fernández-Mallat, & Meyer, 2021b, S. 2). Der educational turn in der LL-Forschung liefert wertvolle Ansätze für die Bildungswissenschaft und insbesondere für die Mehrsprachigkeitsforschung und -didaktik.

1.4Sprache-Raum-Diskurs in der Forschung zur Mehrsprachigkeit

Der vorliegende Sammelband unternimmt den Versuch, von LL zur Mehrsprachigkeitsdidaktik eine Brücke zu schlagen. Dies, weil a) Schule bzw. Schoolscape gleichzeitig einen Lernort und einen Erfahrungsraum darstellt (siehe die Beiträge von Androutsopoulus & Kuhlee; Badstübner-Kizik; Kaufmann; Imhof & Moskopf-Janner; Todisco, Manna, & Imhof; Schnitzer & Hänggi; Wepfer) und b), weil LL per se eine plurale Dimension annimmt. In einer Sprachlandschaft können grundsätzlich alle Sprachen vorkommen bzw. wahrgenommen und erfahren werden, und Sprachen können nebeneinander oder sogar ineinander verschachtelt, wie das Konzept von translanguaging (García, 2009; García & Li, 2014) dies beschreibt, auftreten.

Sprachenlernen in der Schule erfolgt immer mehr in einer ganzheitlichen Dimension und vorzugsweise aus der Perspektive der Mehrsprachigkeit. Nach der Einführung oder Vorverlegung einer zweiten Fremdsprache in der Primarschule, unter Einbezug der Schulsprache und unter Berücksichtigung der Familiensprachen der Schülerinnen und Schüler ist die Schule zum Ort geworden, in dem Mehrsprachigkeit erfahren und gelebt wird.

Von der Schule als Ort, ja sogar als Raum zu sprechen, ist legitim. Im Rahmen verschiedener Projekte zur Förderung des doppelten Kompetenzprofils (swissuniversities, 2021) wird durch eine intensivere und partnerschaftliche Kooperation und Verzahnung der Lernorte «Schule» und «Hochschule» versucht, eine qualitative Steigerung der berufspraktischen Ausbildung zu erreichen. Dort, wo Bildungsinstitution und Schule, und also auch Theorie und Praxis, aufeinandertreffen, wird von einem «hybriden» (Zeichner, 2010; Fraefel, 2018) oder «dritten Raum» (Kreis et al., 2020) gesprochen. Der Begriff des dritten Raumes kann auch auf die Sprachendidaktik allgemein und die Mehrsprachigkeitsdidaktik insbesondere übertragen werden. Mehrsprachigkeit im Kontext der Bildung in einer räumlichen Dimension zu denken, kann helfen, den Realitätsbezug zu fördern, an dem es im Fremdsprachenunterricht oft mangelt.

Die Mehrsprachigkeitsdidaktik, deren Ursprung als Konzept in den frühen Neunzigerjahren liegt (Flügel & Sitta, 1992) und die mittlerweile vielfältige Definitionen und Ausprägungen angenommen hat (García, 2009; Beacco & Byram, 2007; Candelier & Castellotti, 2013; Candelier & Schröder-Sura, 2016; Fäcke & Meißner, 2019), postuliert die Aneignung und lebenslange Erweiterung eines individuellen mehrsprachigen Repertoires. Das Bildungsziel, das daraus entsteht, ist jenes der funktionalen Mehrsprachigkeit, welche Sauer und Saudan (2008, S. 4) in Anlehnung an den Begriff der mehrsprachigen und plurikulturellen Kompetenz des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Europarat, 2001) als Fähigkeit definieren, Sprachen zum Zweck der Kommunikation zu benutzen und sich an interkultureller Interaktion zu beteiligen. Dabei wird der Mensch als gesellschaftlich Handelnder verstanden, der über – graduell unterschiedliche – Kompetenzen in mehreren Sprachen und über Erfahrungen in mehreren Kulturen verfügt. Die funktionale Mehrsprachigkeit setzt auf holistische und sprachenübergreifende Mehrsprachenmodelle und ersetzt das bis noch vor nicht allzu langer Zeit isolierte und auf formale Korrektheit ausgerichtete Sprachenlernen (Europarat, 2001; Cathomas et al., 2022).

Aus einer solchen Perspektive können Sprachen nicht mehr voneinander isoliert unterrichtet werden. Translanguaging, wonach Sprachen keine streng voneinander abgegrenzten Einheiten sind (García, 2009; García & Li, 2014), sprachübergreifende Ansätze, horizontale und vertikale Kohärenz (siehe den Beitrag von Todisco, Imhof, & Manna) sind wichtige Voraussetzungen, um Schule zu einem Ort zu machen, an dem die Grundlagen für ein lebenslanges Lernen gelegt werden. Lebenslanges Lernen bedeutet Erfahrungen zu sammeln, die aus einer retrospektiven Reflexion wichtige Erkenntnisse über das eigene Sprachenlernen liefern können (siehe den Beitrag von Todisco, Imhof, & Manna).

Im öffentlichen Raum, aber auch im Bildungsraum der Schulinstitutionen, wird, wie bereits dargelegt, dieses Ineinanderfließen der Sprachen durch das Konzept der LL sichtbar gemacht. Somit wird hier die LL auch als didaktisches Tool verstanden, das, wie man sehen wird, ein großes Potenzial für das Sprachenlernen und insbesondere für die Mehrsprachigkeitsdidaktik in sich birgt. In einem von Cathomas et al. (2022, S. 104–106) vorgeschlagenen Modell für die Operationalisierung der Mehrsprachigkeitsdidaktik vollzieht sich dieser Ansatz in vier Gestaltungsfeldern: dem individuumsbezogenen, dem sprachlichen, dem methodischen und dem curricularen (Cathomas et al., 2022, S. 109–113). Diesem Sammelband liegt aus der Sicht der Mehrsprachigkeitsdidaktik der Versuch zugrunde, LL in die vier Gestaltungsfelder zu verorten, auch weil, wie bereits erwähnt, das didaktische Potenzial der LL erst in den letzten Jahren entdeckt wurde (Badstübner-Kizik & Janíková, 2018; Krompák, 2018; Krompák, Fernández-Mallat, & Meyer, 2021a). Nicht nur aus sprachdidaktischer Sicht, sondern auch in einer soziokulturellen und bildungspolitischen Dimension lohnt es sich, das Konzept der LL im Bildungsraum «Schule» zu verorten und unter dem Blickwinkel der Mehrsprachigkeitsdidaktik zu betrachten.

An das individuumsbezogene Gestaltungsfeld, das die Perspektive des lernenden Individuums und dessen individuellen Zugang zur Welt ausgehend von den entsprechenden Vorerfahrungen in den Fokus stellt (Cathomas et al., 2022, S. 109–110), knüpfen die Beiträge dieses Bandes an, die sich mit Sprachlernbiografien auseinandersetzen (Kaufmann; Todisco, Manna, & Imhof; Imhof & Moskopf-Janner). Die Beiträge nehmen retrospektiv Spracherfahrungen von Individuen in verschiedenen Lebensräumen, darunter auch in der Schule, in den Fokus. Versteht man LL nicht nur als grafisches bzw. visuelles Phänomen, sondern auch als Gefüge von Zeichen, die kulturelle, gesellschaftliche und politische Implikationen beinhalten, so werden Spracherfahrungen in der autobiografischen Dimension und im Kontext «Schule» Teil davon. Viele der Studierenden, die ihre Sprachlernbiografie verfasst haben, sind entweder in einem mehrsprachigen Kontext aufgewachsen oder leben in einem solchen. Darüber hinaus bildet ihr Bildungsraum, die dreisprachige Pädagogische Hochschule Graubünden, ohnehin einen Raum, in dem sich LL sichtbar manifestiert (Krompák, accepted).

In Anlehnung an Busch (2010) arbeitet Kaufmann (in diesem Band) den Begriff des «Spracherlebens» heraus, bei dem es um die Art und Weise geht, wie sich Individuen «in ihrer Mehrsprachigkeit erfahren, positionieren und darstellen» (Busch, 2010, S. 38). In ihrer Diskussion zu den Einstellungen zur eigenen Sprache weist Kaufmann auf den Begriff der «Sprachräume» (Schröder & Jürgens, 2017) hin. Sie bezieht sich auf die äusseren Einflüsse (z.B. die soziolinguistische Situation), welche das Spracherleben und -empfinden beeinflussen können. Im weiteren Sinn sind solche Einflussfaktoren Teil einer LL. Interessant ist dabei zu erfahren, auf welche Weise sich das Spracherleben in den verschiedenen «Bildungsräumen» (Kindergarten, Primarschule, Oberstufe) verändert.

Auf die Didaktik übertragen bedeutet dies, dass mit der LL Sprachen, die im öffentlichen und schulischen Raum vorkommen, sichtbar und bewusst gemacht werden. Dazu können auch die unterschiedlichen Familiensprachen der SchülerInnen gezählt werden. Damit verbunden sind interkulturelle Aspekte und Bereiche der Interkomprehension verbunden.

Im Rahmen des sprachlichen Gestaltungsfeldes (Cathomas et al., 2022, S. 110–111) stellt sich die Frage, wie Sprachen beschaffen sind (im übertragenen Sinn und, auf die LL bezogen, wie sie aussehen) und wie sich sprachliche Phänomene im Sprachvergleich beobachten lassen. Sprachvergleiche können als wichtiges Element der Mehrsprachigkeitsdidaktik angesehen werden (Barras et al., 2019; Bredthauer, 2019; Rödel, 2013). Sie können als Lernstrategie eingesetzt werden, um die Reflexion über strukturelle Eigenschaften von Sprachen zu fördern (Mehlhorn, 2013), und auch der Lehrplan 21 weist darauf hin, dass der Vergleich zwischen Sprachen das Verständnis für die eigene Sprache fördert (EDK-Ost, 2016). Da LL Sprachen sichtbar macht, stellt sie mehrere Spracherscheinungen nebeneinander. Durch gezielte Sprachvergleiche und Interkomprehension können Transferprozesse initiiert werden, die das Sprachenlernen fördern. LL bietet sich demnach als ausgezeichnetes Feld für komparative Sprachreflexion.

Das höchste Potenzial können die LL wohl im methodischen Gestaltungsfeld ausschöpfen (Cathomas et al., 2022, S. 111–112). Hier stellt sich die Frage, wie LL im Unterricht genutzt und methodisch-didaktisch umgesetzt werden kann. LL kann zu den nicht erwerbsorientierten Ansätzen im Sprachenunterricht gezählt werden, wie zum Beispiel Éveil aux langues und Begegnung mit Sprachen / language awareness (ELBE) (vgl. u.a. Schader, 2012, S. 60–64). Hier geht es um die Sensibilisierung für und Bewusstmachung von sprachlicher Vielfalt. Vielen Herangehensweisen der Mehrsprachigkeitsdidaktik gemein ist das Bestreben, die spielerischen und induktiven Methoden des Sprachenlernens durch die explizite, reflexive Beschäftigung mit Sprachen zu ergänzen. Die Wissenskonstruktion wird durch Lernerautonomie und durch den Einbezug authentischer Materialien zur Förderung einer Diskursfähigkeit (Dausend, 2014), die das Spektrum der traditionellen kommunikativen Kompetenz erweitert, gefördert (Cathomas et al., 2022, S. 112). LL liefert authentisches Material, das für den Sprachunterricht genutzt werden kann.

Bezüglich des curricularen Gestaltungsfelds (Cathomas et al., 2022, S. 112–113), zu dem die vertikale und horizontale Kohärenz gehören, könnte man sich schließlich die Frage stellen, inwieweit und in welcher Form LL Einzug in die Lehrmittel gefunden hat (wenn überhaupt). Diese Thematik stellt einen kaum erforschten Bereich in der LL-Forschung dar und weist auf die Möglichkeiten hin, LL als Lernmaterial für die Förderung von Multiliteralität und interdisziplinärem Lernen einzusetzen: «Going beyond this, the inclusion of LL signs and methodologies in both language teaching and across the curriculum can facilitate interdisciplinary learning and teaching by bringing together discrete subjects such as the arts, sciences and sports» (Burr, 2021, S. 254).

1.5Aufbau des Herausgeberbandes

Die Beiträge des Sammelbandes sind zwei Themenkomplexen zugeordnet: Sprache im öffentlichen Raum und in der Schule (Teil 1) sowie Sprachenlernen im Bildungsraum (Teil 2). Während der erste Teil empirische Studien zur Erforschung der Linguistic Landscape beinhaltet, fokussiert der zweite Teil auf die empirische Untersuchung von Sprachenlernen in verschiedenen Lebensräumen sowie auf Mehrsprachigkeitsdidaktik, darunter auf die Verwendung von LL als pädagogische Ressource. Durch internationale Beiträge aus Belgien, aus der Schweiz, Deutschland, Polen und den USA bieten die Studien eine inhaltliche und geografische Vielfalt in der Erforschung von Sprache im öffentlichen Raum und in der Schule sowie beim Sprachenlernen.

Teil 1: Sprache im öffentlichen Raum und in der Schule

Den ersten Teil des Herausgeberbandes eröffnet ein historisch und gesellschaftlich hoch aktuelles Thema, nämlich die Covid-19-Pandemie und ihre visuelle Erscheinung im öffentlichen Raum. Mit dieser bis jetzt wenig erforschten Thematik befasst sich der Beitrag von Claudio Scarvaglieri am Beispiel der sprachlichen Landschaft während der Covid-19-Pandemie in Gent (Belgien). Der Autor untersucht, welche Texte in welchen Sprachen im Kontext der Pandemie entstanden sind und welche Akteurinnen und Akteure dadurch mobilisiert wurden. Basierend auf dem handlungstheoretischen Ansatz wurde das Datenkorpus, bestehend aus 121 Texten, qualitativ-handlungstheoretisch sowie quantifizierend analysiert. Obwohl während des Lockdowns das Betreten des öffentlichen Raumes stark eingeschränkt war, stellte der öffentliche Raum auch während der Pandemie einen wichtigen Kommunikationsraum dar. Gleichzeitig stellte der Autor anhand seiner Analyse eine sprachlich-soziale Homogenität in der untersuchten Covid-LL fest, die die gesellschaftliche und sprachliche Diversität nicht widerspiegelte.

Ebenfalls der öffentliche Raum steht im Mittelpunkt der Studie von Thomas Meier und Edina Krompák, die die künstlerische Darstellung der semiotischen Landschaft untersucht und eine neue transdisziplinäre Perspektive in der Erforschung der Linguistic Landscape anstrebt. Meier und Krompák stellen dabei die Frage, wie Kunstschaffende Elemente der semiotischen Landschaft wahrnehmen und wie diese in den Kunstfotografien repräsentiert werden. Ebenso waren die Forschenden daran interessiert, wie die künstlerische Perspektive die Erforschung von LL bereichert. Gestützt auf einen Datensatz von zwei Kunstschaffenden zu Schaufenstern und öffentlichen Räumen, analysieren der Autor und die Autorin ausgewählte Kunstfotografien innerhalb des Theorierahmens der Sozialsemiotik. Das explorative Vorgehen beinhaltete ethnografische Kurzgespräche mit den Kunstschaffenden sowie ein Leitfadeninterview. Vier Schlüsselbilder wurden nach den Dimensionen des semiotischen Ansatzes – Diskurs, Genre, Stil und Modalität – analysiert und mit Leitfadeninterviews trianguliert. Auf Basis der Analyse stellten die Forschenden fest, dass die Kunstschaffenden eine bewusste und unbewusste Kontrastierung von unterschiedlichen Diskursen in den Kunstfotografien wiedergaben. Durch die Analyse traten Aspekte wie Körperlichkeit, die Repräsentation von (oft kontroversen) Diskursen im Raum und Emotionen hervor, die in der Erforschung der semiotischen Landschaft an Bedeutung gewinnen können.

Der nächste Beitrag befasst sich mit dem semiöffentlichen Raum, der Schoolscape, der im deutschsprachigen Raum kaum erforscht ist. In ihrer Fallstudie rücken Jannis Androutsopoulos und Franziska Kuhlee die räumliche Dimension eines Hamburger Gymnasiums in den Fokus und untersuchen, wie die visuelle Sprachlandschaft den sozialen Raum Schule herstellt und mit welchen semiotischen Mitteln die schulischen Akteurinnen und Akteure ihre Sprachlandschaft ausgestalten. Theoretisch stützen sie sich auf die Erkenntnisse der Schoolscape-Forschung und die Raumsemiotik und entwickeln eine schulspezifische Schildtypologie, die bei der Analyse der visuellen Daten eingesetzt wurde. Der aus 536 Fotos bestehende Datensatz wurde nach den Kriterien Sprache, Multimodalität, Akteurinnen und Akteure, Schildfunktionen, Diskurstypen und Räume analysiert. Vertieft gehen der Autor und die Autorin auf vier schulische Räume, den Außenbereich, den Flurbereich, das Klassenzimmer und die Sanitäranlagen ein und erläutern durch die Analyse nach Funktion, Diskurstyp und raumtypischer Textsorte den Zusammenhang zwischen den schulischen Räumen und den der Schule institutionell zugeschriebenen Anforderungen. Mit ihrer Analyse bereiten die Forschenden einen Weg für einen Mehrebenenansatz für die Schoolscape-Forschung. Zum Schluss weisen sie auf die Bedeutung der Schoolscape-Forschung für die pädagogische Praxis hin und formulieren offene Fragen für die weiterführende Forschung.

In ihrem Beitrag geht Edina Krompák der Frage nach, wie mehrsprachige Kinder im Rahmen des LL-Projekts «Sprachland – Förderung der Mehrsprachigkeit durch Linguistic Landscape» die semiotische Landschaft wahrnehmen und die raumgebundene Sprache erschließen. Dabei lag der Fokus auf der Entwicklung der visuellen Literalität der Schülerinnen und Schüler durch den Einsatz des multimodalen LL-Klassenprojekts. Vor dem theoretischen Hintergrund der visuellen Literalität, der Sozialsemiotik und der Geosemiotik wurden visuelle Narrative in Gestalt von Zeichnungen vor und nach dem LL-Klassenprojekt erhoben und qualitativ sowie quantitativ analysiert. Zusätzlich berichteten die Kinder in einem Fokusgruppeninterview über ihre Wahrnehmung und Reproduktion der semiotischen Landschaft. Auf Basis der Analyse der visuellen Narrative folgert die Autorin, dass die Kinder den semiotischen Raum in Relation zu ihren sozialen Lebensräumen reproduzieren. Durch das LL-Klassenprojekt entwickelte sich bei den teilnehmenden Kindern eine bewusste und differenzierte Wahrnehmung der Zeichen. Nicht zuletzt trug das LL-Projekt dazu bei, dass die Schülerinnen und Schüler für die visuelle und multimodale Kommunikation sowie für die gesellschaftliche Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum sensibilisiert wurden.

Der erste Teil des Herausgeberbandes schließt mit einem Beitrag, in dessen Mittelpunkt die Methode der LL-Feldforschung steht. Xinyue Lu und Bethany Martens thematisieren in ihrem englischsprachigen Beitrag die bis jetzt wenig beachteten methodologischen Herausforderungen der LL-Feldforschung mit Fokus auf die Datenerhebung. Dabei geben die Autorinnen einen Überblick über die Entwicklung der Linguistic-Landscape-Forschung und gehen auf die methodologischen Überlegungen der verschiedenen Studien in der LL-Feldforschung vertieft ein. Im Mittelpunkt des Beitrags steht die narrative Beschreibung der LL-Studie der Autorinnen, durchgeführt im Rahmen eines Forschungsprojekts im Mittleren Westen der USA. Aufgrund ihrer Erfahrung mit der LL-Feldforschung diskutieren die Autorinnen drei methodologische Herausforderungen. Erstens erläutern sie die Schwierigkeiten in Bezug auf den Feldzugang und heben die Vulnerabilität der Forschenden hervor. Zweitens weisen die Autorinnen auf die oft unterschätzte Rolle der Forschenden als Fotografinnen und Fotografen hin. Wie die dokumentierten Sprachen bzw. Lehnwörter in Bezug auf ihre Etymologie kategorisiert und Taxonomien gebildet werden, stellt die dritte Herausforderung dar. Zusammenfassend formulieren die Autorinnen ihre Erkenntnisse, die LL-Forschende sowie Lehrpersonen, die LL-Feldforschung mit ihren Klassen durchführen, mit konkreten methodologischen Hinweisen unterstützen.

Teil 2: Sprachenlernen im Bildungsraum

Der zweite Teil beginnt mit dem Beitrag von Flurina Kaufmann-Henkel, der die schulischen Übergänge, den sogenannten Schulerfahrungsraum von jungen romanischsprachigen Erwachsenen in den Fokus nimmt. Diese werden oft als sprachbiografisch relevante Momente, als spartavias/Scheidewege erinnert und wahrgenommen, insbesondere weil sie mit der Verwendung und der Wahrnehmung einer Minderheitensprache zusammenhängen. Um ihre Einsichten zu gewinnen, bedient sich Kaufmann-Henkel des narrativen Interviews, einer offenen Interviewform, die keine vorgegebenen Antwortkategorien vorsieht. Kaufmann-Henkel zeigt auf, wie sich aus der Perspektive von jungen Erwachsenen der Übergang von einem Schulerfahrungsraum zum anderen die Bedeutung, Wahrnehmung und Wertung des Rätoromanischen verändern kann. Insbesondere der Übergang von der Primarschule in die Oberstufe wird von den Jugendlichen emotional beschrieben. Interessant ist auch zu sehen, welche Einstellungen diese Jugendlichen gegenüber Sprache(n) im Allgemeinen und insbesondere gegenüber dem Rätoromanischen haben. Interessant ist dieser Beitrag auch, weil er das Rätoromanische, eine minoritäre und kleinräumige Sprache, in den Fokus nimmt.

Ebenfalls mit dem schulischen Übergang befasst sich der Beitrag von Vincenzo Todisco, Andreas Imhof und Valeria Manna, und zwar ausgehend von Sprachlernbiografien von Studierenden der Pädagogischen Hochschule Graubünden. Zahlreiche Studien zeigen, dass der Übergang von einer Schulstufe in die andere eine wichtige Rolle für einen erfolgreichen Unterricht spielt. Dies gilt auch für den Fremdsprachenunterricht. Der Beitrag beschäftigt sich mit den Beschreibungen von Stufenübergängen in schriftlich verfassten Sprachlernbiografien von Studierenden der Pädagogischen Hochschule Graubünden. In ihren Texten reflektieren die Studierenden retrospektiv ihren in der Schule erlebten Fremdsprachenunterricht. Die in Aufsatzform verfassten Texte wurden mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Die jeweiligen Stufenübergänge im Fremdsprachenunterricht, insbesondere von der Primarschule in die Sekundarstufe I, aber auch von der Sekundarstufe I in die Sekundarstufe II, sind bei den Studierenden mehrheitlich als Bruch in Erinnerung geblieben. Die Bewertung dieser Diskontinuität ist unterschiedlich. Oft wird sie als (stark) motivationsmindernd für das Lernen der Fremdsprache beschrieben. Einige Studierende sagen hingegen, dass sie froh waren, auf der höheren Schulstufe an bekannte Inhalte anschließen zu können, weil ihnen dies Sicherheit für das weitere Lernen gab.

Im Wissen, dass berufsbezogene Überzeugungen einen bedeutenden Einfluss auf das Handeln von Lehrpersonen haben, gehen Andreas Imhof und Maria Chiara Moskopf-Janner in ihrem Beitrag der Frage nach, mit welchen allgemeindidaktischen und fachspezifischen Überzeugungen zum Fremdsprachenlehren und -lernen und zur Mehrsprachigkeitsdidaktik Studierende der Pädagogischen Hochschule Graubünden ihre Ausbildung in Angriff nehmen. In einem entsprechenden internen Forschungsprojekt haben sie 100 Studienanfängerinnen und -anfänger mittels Fragebogen befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass die befragten Studierenden sowohl konstruktivistischen als auch transmissiven Lehr-Lern-Überzeugungen zustimmen, wobei eine stärkere Zustimmung zu konstruktivistischen Überzeugungen festgestellt werden kann. Kommunikativ geprägten Formen des Fremdsprachenunterrichts wurde signifikant stärker zugestimmt als formalistisch geprägten. Bezüglich Immersionsmodellen bestanden beträchtliche Unterschiede in den Wertungen der Studierenden. Es lässt sich festhalten, dass sie in ihren Überzeugungen modernen Ansätzen der Fremd- und Mehrsprachigkeitsdidaktik grundsätzlich aufgeschlossen sind. Dies gilt nur teilweise für immersive Methoden.

Camilla Badstübner-Kizik betrachtet LL als unerschöpfliches und unmittelbar zugängliches Angebot an Impulsen und Inhalten, die in einem Sprachenunterricht, der auch kulturbezogene Inhalte einbezieht, für den Lernprozess genutzt werden können. In ihrem Beitrag setzt sie sich mit dem didaktischen Potenzial der LL auseinander, und zwar ausgehend von drei grundlegenden Fragen aus der Perspektive der Lehrenden. Erstens geht es darum zu klären, was die Lehrenden unter LL verstehen. Dieses Verständnis bildet die Basis für ihre methodischen Entscheidungen im Hinblick auf die Didaktisierung von LL. Damit verbunden ist zweitens die Dimension der Mehrsprachigkeit und ihrer Sichtbarkeit im öffentlichen Raum. Drittens muss der Lernort berücksichtigt werden, an dem eine LL thematisiert bzw. konkretisiert werden soll. In ihrer Diskussion des didaktischen Potenzials von LL unterscheidet die Autorin zwischen dem schulischen und dem außerschulischen Kontext (Erwachsenenbildung) und zeigt die verschiedenen Voraussetzungen, Ziele und Rahmenbedingungen, die diese beiden Kontexte im Hinblick auf eine Arbeit mit LL ausmachen. Der Fokus kann jeweils auf die verschiedenen Formen von Spracherwerb, linguistischen, politischen, geografischen, historischen, medialen oder wirtschaftlichen Perspektiven gelegt werden, was die Fülle an Themen verdeutlicht, die man mit LL angehen kann. LL ermöglicht zudem die Förderung von sprachlichen Fertigkeiten und Sprachreflexion und öffnet die Türen für das Entdecken der sprachlichen, demografischen, wirtschaftlichen, kulturellen und historischen Eigenschaften des Ortes, an dem LL didaktisch aufgearbeitet wird. Anhand theoretischer und praxisbezogener Quellen gibt die Autorin einen Überblick darüber, wie eine Wechselwirkung zwischen Schulzimmer und LL im öffentlichen Raum entstehen kann. Der Beitrag ist mit zahlreichen anschaulichen Abbildungen ausgestaltet, die wie Mosaiksteine die Komplexität einer LL erahnen lassen. Somit entsteht ein Gesamtbild, welches das facettenreiche didaktische Potenzial von LL aufzeigt.

Wie LL auf der Primarstufe didaktisiert werden kann, untersuchtLisa Wepfer in einem systematischen Literaturreview, das im Rahmen des bereits erwähnten LL-Projekts «Sprachland – Förderung der Mehrsprachigkeit durch Linguistic Landscape» durchgeführt wurde. Die theoretische Basis des Beitrags bildet die aktuelle LL-Forschung, die LL als pädagogisches Tool verwendet. Ausgehend von209 Publikationen stellte die Autorin in einem iterativen Selektionsverfahren ein Datenkorpus von sechs Publikationen für die vertiefte Analyse zusammen. In der qualitativen Inhaltsanalyse wurden drei Merkmale der Didaktisierung von LL untersucht:inhaltliche Zugänge, relevante Kontextfaktoren sowie das Unterrichtsangebot. Die Analyse weist darauf hin,dass auf der Primarstufe insbesondere die Erkundung von LL alsperceived spacemit verschiedenen Sinnen sowie die subjektive Auseinandersetzung mit LL alslived spacefür die altersgerechte Didaktisierung von LL von Bedeutung sind. Als weiterführende Perspektiven für die erziehungswissenschaftliche Erforschung von LL als pädagogischem Tool betont die Autorindie gezielte Verbindung mit fachdidaktischen Konzepten sowie deren empirische Überprüfung.

Zugleich steht LL als pädagogische Ressource im Mittelpunkt des englischsprachigen Beitrags von Maria Rosa Garrido Sardá. Vor dem theoretischen Hintergrund der LL-Studien sowie des sprachlichen und sprachpolitischen Kontexts von Lausanne stellt die Autorin das LL-Projekt «Multilingual Lausanne» vor, das mit Studierenden der Universität Lausanne durchgeführt wurde. Die pädagogischen Ziele des Projekts umfassten die Förderung der kritischen Sprachbewusstheit sowie die Erprobung von soziolinguistischen Forschungsmethoden. Im Weiteren beschreibt die Autorin die Lernsequenzen, die einen vertieften Einblick in die Planung eines LL-Projekts geben. Aus der Analyse schriftlicher Reflexionen der Studierenden folgert die Autorin, dass das Projekt die Studierenden für die Komplexität des Zusammenspiels von Sprache und urbanem Raum sensibilisierte, ihre kritische Sprachbewusstheit und ihre Reflexion über sprachliche Einstellungen und Ideologien förderte.

Den Zusammenhang von Sprache und Klang thematisiert der Beitrag von Philipp Saner, dem ein multimodales und fächerübergreifendes Klassenprojekt zugrunde liegt. Ein im Rahmen des LL-Projekts «Sprachland – Förderung der Mehrsprachigkeit durch Linguistic Landscape» durchgeführtes Soundscape-Klassenprojekt möchte damit einen Beitrag zur Förderung der Mehrsprachigkeit leisten. Das Projekt basiert auf den Erkenntnissen aus der LL-Forschung, wie der Multimodalität der LL und der LL als pädagogische Ressource, sowie aus dem musikwissenschaftlichen Gebiet dersoundscape studies. Der Autor beschreibt den Aufbau und die Etappen des Projekts, die innovativen Zugänge, die den Klangspaziergang und die Komposition von verschiedenen Klängen beinhalten. Die im Soundscape-Projekt entstandenen Klangcollagen der Schülerinnen und Schüler erlauben die multimodale Erforschung der LL sowie die Integration der individuellen Mehrsprachigkeit durch mehrsprachige Sprachklänge. Gleichzeitig weist der Autor auf den Mehrwert der transdisziplinären Zusammenarbeit hin, die sowohl unterschiedliche Akteurinnen und Akteure als auch Disziplinen fruchtbar verbindet.

Der zweite Teil des Herausgeberbandes schließt mit dem Beitrag zur Förderung der Mehrsprachigkeit durch die Verbindung von verschiedenen Bildungsräumen, wie beispielsweise der Lehrerinnen- und Lehrerbildungsinstitution und der Schule. In ihrem Praxisbeitrag stellen Françoise Hänggi und Katja Schnitzer die Ausgangslage, die Ziele und die Produkte des an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (PHFHNW) angesiedelten Entwicklungsprojekts SAMS (Sprachenausstellung zur Mehrsprachigkeit in der Schweiz) vor. Sie erläutern die Gründe, weshalb sich das Projekt an einem inklusiven Verständnis von Mehrsprachigkeit orientiert, und stellen den Bezug zu einem Kompetenzkatalog her, den das Projekt für die Aus- und Weiterbildung von Primarlehrpersonen anstrebt. Sie zeigen das umfangreiche didaktische Potenzial des Projekts für die Mehrsprachigkeit. Weiter diskutieren sie die Möglichkeiten für die Integration von LL in solchen Projektwochen, die die Sprachenvielfalt zum Thema haben und sich unter anderem das Ziel setzen, die in den Klassen vorhandene Sprachenvielfalt sichtbar zu machen und wertzuschätzen. Ein wichtiger Effekt dieser Projektwochen ist unter anderem die verstärkte Vernetzung zwischen allen Mitwirkenden. Darauf aufbauend führen die beiden Autorinnen Argumente an, weshalb eine Zusammenarbeit zwischen den Sprachfächern in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen für die Primarstufe wichtig ist. Sie weisen darauf hin, dass die mehrsprachigen Ressourcen der Lernenden im Sinne einer vertikalen und horizontalen Kohärenz in allen Sprachfächern im Lernprozess sichtbar gemacht und wertgeschätzt werden sollten. Zum Schluss werden der Mehrwert solcher Kooperationen erläutert und wichtige Gelingensbedingungen aufgezählt.

1.6Synthese: Erkenntnisse zum Sprache-Raum-Diskurs

Der vorliegende Herausgeberband folgt der Frage, inwieweit der Sprache-Raum-Diskurs die Mehrsprachigkeits- und die Bildungsforschung bereichert. Er beleuchtet zudem neue Ansätze zur Didaktisierung von LL und ihr Potenzial für die pädagogische Praxis, insbesondere für die Förderung von Mehrsprachigkeit.

Die Berücksichtigung des Sprache-Raum-Diskurses in der Mehrsprachigkeits- und Bildungsforschung erlaubt einerseits die bewusste Wahrnehmung der sichtbaren gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit aufgrund der sprachlichen Landschaft, andererseits weist sie auf die Bedeutung des Lebens- und Lernraums beim Sprachlernen hin. Die Beiträge dieses Herausgeberbandes zeigen auf vielfältige Weise, wie die sprachlich-soziale Kommunikation im öffentlichen Raum erfolgt (siehe den Beitrag von Scarvaglieri), wie mehrsprachige Kinder die semiotische Landschaft wahrnehmen (siehe den Beitrag von Krompák) und wie die kritische Sprachbewusstheit der Studierenden durch die Erforschung von LL gefördert wird (siehe die Beiträge von Garrido Sardá sowie Lu & Martens). In der Sprachbiografieforschung gewinnt die retrospektive Rekonstruktion der im Lernraum Schule gemachten Erfahrungen (siehe den Beitrag von Todisco, Imhof & Manna) an Bedeutung. Ebenfalls relevant erscheinen Räume wie der geografische Lebensraum und die erlebten institutionellen Übergänge beim Sprachlernen (siehe den Beitrag von Kaufmann). Innovative Ansätze liefert die Untersuchung der sprachlichen Landschaft einer Schule, der Schoolscape, in der Mehrsprachigkeits-, aber auch in Bildungsforschung (siehe den Beitrag von Androutsopoulos & Kuhlee). Dabei eröffnet die soziolinguistische Perspektive neue Einsichten in den bildungs- und erziehungswissenschaftlich geprägten schulischen Raum.

In erster Linie erlaubt LL eine bewusste und differenzierte Wahrnehmung des multimodalen Raumes (siehe den Beitrag von Saner), in dessen Mittelpunkt die Erschließung der Bedeutung eines Zeichens steht. Durch die Erforschung der Sprache im öffentlichen Raum werden sprachliche Phänomene im Alltag und deren Bedeutung reflektiert. Und da sich Sprache im Raum in verschiedenen Ausdrucksformen manifestieren kann, kommen transdisziplinäre Komponenten hinzu, beispielsweise die Verbindung mit Kunst (siehe den Beitrag von Meier & Krompák). LL öffnet also neue Perspektiven und macht die Sprachen in ihrer räumlichen Dimension sichtbar. In diesem Sinne leistet LL einen Beitrag zur Metalinguistik, bei der es um die Wechselbeziehung zwischen der Sprache und außersprachlichen Phänomenen wie Politik, Demokratie oder Kultur geht.

Ähnlich wie der Gegenstand von LL, der eine breite Palette von Untersuchungsgegenständen, wie beispielsweise Straßenschilder, Tattoos, Skulpturen, T-Shirts usw. umfasst, gestaltet sich das pädagogische Potenzial von LL unerschöpflich (siehe den Beitrag von Badstübner-Kizik). LL bietet nicht nur authentische Lern- und Lehrmaterialien für den Unterricht, sondern sie fördert das außerschulische Lernen und erweitert den Bildungsraum Schule. Allerdings erscheint es uns wichtig, auf die Gelingensfaktoren eines LL-Projekts hinzuweisen (Krompák, 2018, siehe den Beitrag von Wepfer). In der tertiären Bildung oder auf der Sekundarstufe I und II ist es empfehlenswert, den Ablauf einer empirischen Untersuchung beizubehalten. Dieser beinhaltet die theoretische Auseinandersetzung mit der LL vor dem Projekt, die (forschungs-)fragegeleitete Untersuchung von LL während des Projekts sowie die theoriebasierte Analyse der Zeichen und ihre Interpretation in Bezug auf Fragestellung und Theorie als Ergebnis des Projekts. In der Primarschule oder im Kindergarten kann die Erforschung von LL mit multimodalen Tools wie Actionbound (siehe den Beitrag von Krompák) bereichert werden, die eine aktive Partizipation der Schülerinnen und Schüler ermöglichen. Kindergartenkinder können partizipativ beispielsweise durch die Benutzung von Straßenkreide die LL mitgestalten. Dank der Verbindung mit Kunst oder Aktionsforschung entstehen innovative, interdisziplinäre Projekte, die der LL neue Anwendungsperspektiven verleihen.

Mit dem vorliegenden Herausgeberband plädieren wir für die bewusste Berücksichtigung des Sprache-Raum-Diskurses in den Bildungswissenschaften und insbesondere in der Erforschung von Mehrsprachigkeit und in der Sprachdidaktik. Es besteht eine Forschungslücke in der Schoolscape-Forschung (siehe den Beitrag von Androutsopoulos & Kuhlee) sowie die Didaktisierung von LL in den verschiedenen Schulstufen. Zudem fehlen Erkenntnisse über die Bedeutung des physischen und sozialen Raumes beim Sprachenlernen und Spracherleben. Wir begrüssen eine transdisziplinäre Betrachtung des Phänomens Sprache im Bildungskontext, die verschiedene Perspektiven aus der Linguistik, Soziolinguistik, Sprachdidaktik, Geosemiotik und den Bildungswissenschaften verbindet.

Danksagung

An erster Stelle möchten wir unseren aufrichtigen Dank an die Autorinnen und Autoren aussprechen, deren Expertise und großes Engagement die Entstehung dieses Herausgeberbandes ermöglichten. Weiter bedanken wir uns bei der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen und der Pädagogischen Hochschule Graubünden für die Unterstützung und Finanzierung unseres Projekts. Um die Qualitätssicherung der vorliegenden zweisprachigen Publikation zu gewährleisten, fand ein double blind peer review-Verfahren statt, bei dem sich zwei anonyme, ausgewiesene Expertinnen und Experten des jeweiligen Forschungsfeldes mit den Manuskripten auseinandergesetzt und diese begutachtet haben. Dieser äußerst gewinnbringende Prozess erlaubte einerseits die Entstehung eines elaborierten wissenschaftlichen Textes sowie den Wissenstransfer über die geografischen und disziplinären Grenzen hinaus. Darüber hinaus entstand eine bereichernde Vernetzung mit Akademikerinnen und Akademikern der scientific community aus sieben Ländern: aus der Schweiz, aus Deutschland, Österreich, Estland, Belgien, Luxemburg und den USA. An dieser Stelle möchten wir uns bei den mit der Deanonymisierung einverstandenen Reviewerinnen und Reviewern für ihre wertvollen und konstruktiven Rückmeldungen herzlich bedanken: Lukas Bleichenbacher (CH), Claudine Brohy (CH), Rico Cathomas (CH), Jan-Oliver Eberhard (CH), Mirjam Egli (CH), Thomas Hermann (CH), Raphaela Kogler (AT), Christine Le Pape Racine (CH), Yu Li (US), Giuseppe Manno (CH), Heiko T. Marten (EST), Bethany Martens (US), Marina Petkova (CH), Mathias Picenoni (CH), Cristina Pileggi (CH), Silvia Melo-Pfeifer (DE), Christoph Purschke (LU), Judith Purkarthofer (DE/AT), Jana Roos (DE), Maris Saagpakk (EST), Jürgen Spitzmüller (AT), Anna Schnitzer (DE), Hartmann Stöckl (AT), Nadja Thoma (AT), July de Wilde (BE), Evelyn Ziegler (DE) und Martina Zimmermann (CH). Ein großes Dankeschön geht an Alexa Mathias und Alexa Barnby für das präzise und gewissenhafte Lektorat der deutschsprachigen und englischsprachigen Manuskripte sowie Patricia Schubiger für ihre wertvolle Mitarbeit beim Zusammenstellen des Manuskripts. Ebenfalls zu großem Dank verpflichtet sind wir Christian de Simoni vom hep Verlag für das Interesse an unserem Projekt und die Unterstützung im Publikationsprozess. Für die Geduld und das entgegengebrachte liebevolle Verständnis bedanken wir uns ganz herzlich bei unseren Familien, Krishna, Mandula und Orlando sowie Alice, Aurelio, Flavio, Milena, Andrea, Loris, Chiara und Sofia.

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2Die sprachliche Landschaft der Pandemie

Claudio Scarvaglieri

In diesem Artikel wird der Teil der Linguistic Landscape (LL) beschrieben, der während der Covid-19-Pandemie in Gent (Belgien) emergierte. Es wird dokumentiert, welche Texte mit Bezug auf die Pandemie neu entstanden sind, welche Botschaften in welchen Sprachen vermittelt werden und welche Akteure auf diese Weise im öffentlichen Raum tätig werden. Zudem wird die Covid-LL in Beziehung gesetzt zum allgemeinen Diskursgeschehen rund um die Pandemie in Belgien. Der Beitrag baut auf einem Korpus auf, das während des ersten und zweiten Lockdowns in der flämischen Stadt Gent (Zentrum sowie Randbezirke) im Frühjahr und Herbst 2020 erhoben wurde. Die Analyse der Daten erfolgt v.a. qualitativ-handlungstheoretisch (Scarvaglieri et al., 2013; Pappenhagen et al., 2016; Pick & Scarvaglieri, 2021) und greift ergänzend auf quantifizierende Auswertungen zurück. Der Beitrag zeigt, dass der öffentliche Raum auch dann ein wichtiger Kommunikationsraum ist, wenn sein Betreten untersagt bzw. stark eingeschränkt ist. Dabei kommt in der Covid-LL u.a. eine starke sprachlich-soziale Homogenität zum Ausdruck, hinter der die vorhandene gesellschaftliche und sprachliche Diversität zumindest zeitweise zu verschwinden scheint.

Im Folgenden wird zunächst kurz der handlungstheoretische Ansatz, mit dem sich dieser Beitrag der LL nähert, dargelegt (Kap. 2.1). Anschließend wird auf existierende Vorarbeiten eingegangen (Kap. 2.2) und das Vorgehen der Datenerhebung und -analyse dargestellt (Kap. 2.3). In Kapitel vier wird schließlich die Analyse vorgenommen, wobei zwischen staatlichen (2.4.1) und privaten Akteuren (2.4.2) unterschieden wird. Es werden verschiedene Handlungszwecke, denen Akteure in der LL folgen, beschrieben. Zudem wird auf die Mehrsprachigkeit der Covid-LL (2.4.3) eingegangen. In Kapitel fünf werden die Ergebnisse kurz zusammengefasst und auf ihre Aussagekraft zum sozialen Umgang mit der Pandemie hin befragt.

2.1Ein handlungstheoretischer Zugang zu Texten im öffentlichen Raum

In diesem Beitrag folge ich in einem handlungstheoretischen Zugang zu Texten, der davon ausgeht, dass Texte – wie auch mündliche Äußerungen bzw. Äußerungen bei Ko-Präsenz der Aktanten – der Interaktion von Autorinnen und Leserinnen[1] dienen. Mit vertexteten sprachlichen Handlungen wird in das Wissen, in die mentalen Prozesse der Leserinnen eingegriffen (Ehlich, 1983, 1994). Einige Texte zielen mit diesem Eingriff konkrete Anschlusshandlungen der intendierten Adressatinnen an (Verbote, Wegweiser), andere dienen zunächst allein der Wissensveränderung (Infotafeln an Sehenswürdigkeiten) und strukturieren das anschließende Handeln nicht konkret vor. Zudem können Texte den öffentlichen Raum strukturieren, indem sie ihn benennen (z.B. Straßenschilder) und Handlungsmöglichkeiten anzeigen (z.B. Verkehrsschilder, Parkplatzschilder). Auf diese Weise tragen Texte dazu bei, dass der öffentliche Raum für das Handeln erschlossen wird und menschliches Verhalten in räumlich und sprachlich teilweise vorstrukturierte Bahnen gelenkt wird (vgl. Domke, 2014).

Texte im öffentlichen Raum sind damit Teil eines Handlungszusammenhangs und dienen dem Eingriff in den leserseitigen Handlungsprozess (Scarvaglieri et al., 2013). Die Integration in den Handlungszusammenhang, die räumliche Verortung von Texten sowie die Funktion, die sie in diesem physischen und interaktiven (und damit quasi zeitlichen) Zusammenhang spielen, prägen die sprachliche und nichtsprachliche – die semiotische – Form von Texten (vgl. Auer, 2010; Hausendorf et al., 2017; Scarvaglieri, 2017; Schmitz, 2018, 2021). Dieser Zusammenhang lässt sich mittels handlungstheoretisch-linguistischer Analysen auch umkehren, sodass anhand der sprachlich-semiotischen Form beschrieben werden kann, in welchen Handlungszusammenhängen und an welchen Orten Texte welche Funktionen erfüllen (Hausendorf et al., 2017; Pick & Scarvaglieri, 2021). Die sprachlich-semiotische Form bleibt beim Text naturgemäß konstant, kann sich also an unterschiedliche Leserinnen und deren Vorkenntnisse (etwa Sprachkenntnisse, Ortskenntnisse, Wissen über die gesellschaftlich-politische Lage oder eben auch über die Existenz und Entwicklung einer Pandemie) genauso wenig anpassen wie an Veränderungen der physischen Umwelt. Da Texte im öffentlichen Raum zudem potenziell von jedem gelesen werden können – ein zentrales Bestimmungskriterium des öffentlichen Raumes ist ja, dass er von jedermann betreten und (in eingeschränktem Maße) genutzt werden kann (Wehrheim, 2011; Habermas, 2013) – enthalten sie häufig Hinweise darauf, welche Personengruppen adressiert werden (s.u. Kap. 4). Die Form eines Textes sagt also etwas aus über den Handlungszusammenhang, in dem er relevant wird, über die Funktion, die er in diesem Zusammenhang erfüllt, sowie über die Personengruppen, die er adressiert (en détail wird diese Analyse entwickelt in Pick & Scarvaglieri, 2021).

Die hier vorgelegte Analyse greift diese Kategorien auf und zeigt, welche Funktionen die Texte übernehmen, die im Rahmen der Pandemie im öffentlichen Raum auftauchen, wie sie in welche Handlungszusammenhänge eingebettet sind und welche Personen mit diesen Texten adressiert bzw. nicht adressiert werden. So wird deutlich, wie die Schwierigkeiten, die mit der Pandemie entstehen, von den Akteuren, die in der LL tätig werden, aufgefasst und bearbeitet werden und welche Rolle und Bedeutung dabei verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zugeschrieben wird. Dies soll zu einem Verständnis der gesellschaftlichen Konzipierung und Handhabung der Pandemie beitragen, das in diesem Fall auf Belgien bezogen ist, dessen methodische Erarbeitung und empiriebasierte Konzipierung aber als Ausgangspunkt für vergleichende Untersuchungen von Gesellschaften dienen kann, die sich in je verschiedenen Dimensionen von der hier untersuchten unterscheiden.

2.2Die Pandemie und die Linguistic Landscape

Eine Reihe von Untersuchungen hat darauf hingewiesen, dass sich soziale Diskurse im öffentlichen Raum und in der sprachlichen Landschaft niederschlagen. Studien zeigen etwa, wie die LL im Rahmen von Tourismus und Stadtmarketing zum Ort der Inszenierung regionaler Authentizitäten wird (Kallen & Ní Dhonnacha, 2010; Reershemius, 2011; Moriarty, 2015) und damit Authentisierungs- und Kommodifizierungsdiskurse im öffentlichen Raum realisiert werden (vgl. Heller, 2011; Duchêne & Heller, 2012). Auch wurde untersucht, wie nationalistische Diskurse räumlich inszeniert und reproduziert werden (z.B. Waksman & Shohamy, 2010; Szabó, 2015) und der öffentliche Raum zum Ort der Auseinandersetzung verschiedener Sprachgruppen werden kann (Landry & Bourhis, 1997; Dal Negro, 2009; Busch, 2017, S. 141–143). Jüngere Forschungen haben zudem darauf hingewiesen, dass auch in der LL Diskurse nicht unidirektional verlaufen müssen, dass sich also textuell transportierte Dialoge entwickeln können, sodass ein Austausch von Pro- und Contra-Argumenten auch in der sprachlichen Landschaft stattfindet (Auer, 2010; Schmitz & Ziegler, 2016; Luginbühl & Scarvaglieri, 2018). So werden Diskussionen über die Verteilung des öffentlichen Raums in die LL übertragen, etwa indem Schilder, die bestimmte Nutzungsmöglichkeiten verbieten, manipuliert und somit in ihr Gegenteil verkehrt werden (z.B. wird aus «kein Spielplatz» «ein Spielplatz» [Warnke, 2013]). Auch Wahl- oder Abstimmungsplakate können zu Orten werden, an denen verschiedene politische Botschaften ausgetauscht werden (Michel & Pappert, 2018). Das einzelne Plakat wird somit als Text sowie aufgrund seiner materialen Eigenschaft, weiteren Text aufnehmen zu können, manipuliert und zum Träger politisch-sozialer Auseinandersetzungen (Scarvaglieri, 2018; Scarvaglieri & Luginbühl, 2020). Die LL als Ganze erlaubt daher eine spezifische Annäherung an sozial-politische Diskurse (vgl. auch Muth, 2014).

Zur diskursiven Besetzung der LL in der Pandemie liegen bisher nur wenige Arbeiten vor. Diese weisen darauf hin, dass sich die Pandemie vergleichsweise stark in der sprachlichen Landschaft niederschlägt. So zeigt Androutsopoulos (2020), dass die Covid-Aushänge in Hamburg häufig spontan, improvisiert und uneinheitlich gestaltet sind und dass sie, neben den erwartbaren Funktionen «Regulation» (von Handeln) und «Information» auch dem Ausdruck von Affekten dienen (vgl. Marshall, 2021). Hopkyns & van den Hoven (2021) kommen zu dem Ergebnis, dass die Covid-LL