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Die Anwendung des Begriffes „innerdeutsche Grenze“ anstelle Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten, ist eine historische und zeitgenössische Lüge. Die Erklärung von Bundeskanzler Willy Brandt im Deutschen Bundestag vom 15. Februar 1973, selbst das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag vom 31. Juli 1973 sowie das „Gesetz über den Abbau von Salzen im Grenzgebiet an der Werra“ vom 3. Dezember 1984, das vom Bundestag beschlossen und die Zustimmung des Bundesrates erhielt, kennen keine „innerdeutsche Grenze“. Spätestens seit diesen Zeitpunkten gehört das „Phantom von einer innerdeutschen Grenze“, wenn die Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten gemeint ist, ins Vokabular des Kalten Krieges. Trotzdem wird im Beschluss des Stuttgarter Parteitages der CDU (30.11. bis 2.12.2008) die „konsequente Nicht-Anerkennung der inner-deutschen Demarkationslinie als völkerrechtliche Grenze“ noch als von „zentraler Bedeutung“ für die CDU betrachtet! An Beispielen aus der deutschsprachigen völkerrechtlichen Literatur seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird nachvollziehbar gemacht, wie sich Theorie und Praxis des staats- und völkerrechtlichen Phänomens „Staatsgrenze“ entwickelte. Im Mittelpunkt steht dabei die Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten, die nicht mit Mauer und Stacheldraht (Sicherungsanlagen) gleichzusetzen ist. Die Regeln der Ein- und Ausreise werden grundsätzlich in souveräner Entscheidung durch die Staaten geregelt. Ausnahme bildet der Ort des Grenzübertritts. Das illegale Passieren über die „grüne“ oder befestigte Staatsgrenze, egal in welcher Richtung, gestattet kein Staat. Der Inhalt des Grenzgesetzes der DDR aus dem Jahre 1982, zieht sich wie ein roter Leitfaden durch das gesamte Buch.
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Seitenzahl: 172
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Jahrgang 1936, Studium, (Diplom-Jurist.), Promotion zu völkerrechtlichen Problemen der Staatsgrenzen. Tätig in den bewaffneten Organen der DDR. Arbeit am Institut für Theorie des Staates und des Rechts der Akademie der Wissenschaften der DDR, Bereich Verfassungsrecht.. Sekretär der Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ am Zentralen Runden Tisch. Nach Anschluß der DDR an die BRD: Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Landtag Schwerin, Fraktion LL/PDS. Langzeitarbeitslos - mit fünf monatiger „interdisziplinärer Fortbildung“. Bis Juli 2016 Rechtsanwalt in Mecklenburg-Vorpommern und Hessen.
Veröffentlichungen u.a.: „Grenzen. Eine Auswahl staats-, völkerrechtlicher sowie zeitgeschichtlicher Aspekte der Grenzen am Beispiel beider deutscher Staaten und der Hauptstadt Berlin“; „In guter Verfassung? Warum das Grundgesetz auf den Prüfstand gehört“; „Gesamtdeutsche Verfassung - eine Karikatur?“; „Befohlene Entnazifizierung oder `verordneter´ Antifaschismus in Deutschland 1945 bis 1948?“; „Die Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten“; „Glaube und Kirche im Sozialismus. Die Trennung von Kirche und Staat. Ein Abriss“; „Die Grenzkommission beider deutscher Staaten. Aufgaben, Tätigkeit und Dokumente“: „Die Grenze um Westberlin 1945 - 1990. Eine staatsrechtliche Studie“. Zuletzt erschienen (2016): „Die Grenzen der DDR. Ausgewählte Probleme und Dokumente. Mit einem ausführlichen Literaturverzeichnis.“
„Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
§ 1
(1) Abbaugebiete im Sinne dieses Gesetzes sind Gebiete, die in der als Anlage beigefügten Karte…
1. den Verbindungslinien der Punkte a)…(bis) t)
und
2. jeweils der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (Grenze)…
umschlossen sind.
(2) Die Karte ist Bestandteil dieses Gesetzes.“
„Gesetz über den Abbau von Salzen im Grenzgebiet an der Werra“ vom 3.Dezember 1984. BGBl. Teil I, Z 5702 A 1984, ausgegeben zu Bonn am 6. Dezember 1984 Nr. 50, S. 1430 bis 1432. Unterstreichung - K.E. vollständiger Text: Anlage 9.)
Die strikte Achtung und Einhaltung der allgemein anerkannten Prinzipien des Völkerrechts, darunter die Achtung der Souveränität, der Unverletzlichkeit der Staatsgrenzen, der territorialen Integrität und der Nichteinmischung in die Inneren Angelegenheiten, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen, die Sicherheit und Zusammenarbeit zwischen den Staaten und die entscheidende Grundlage einer stabilen Friedensordnung.
In Wahrnehmung ihrer souveräne Rechte gestaltet die Deutsche Demokratische Republik ihre Beziehungen in Grenzangelegenheiten mit den benachbarten Staaten in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und organisiert den Schutz der Staatsgrenze einschließlich des Luftraumes und der Territorialgewässer.
Zu diesem Zwecke beschließt die Volkskammer auf der Grundlage der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik das folgende Gesetz…“
Präambel Gesetz über die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik (Grenzgesetz) vom 25. März 1982 (Gesetzblatt Teil I Nr.11 Seite 197 - Ausgabetag 29. März 1982)
AdG Archiv der Gegenwart
BK Bundeskanzler(in)
BRD Bundesrepublik Deutschland
BVerG (E) Bundesverfassungsgericht (Entscheidungen)
DdP Diktatur des Proletariats
DDR Deutsche Demokratische Republik
Dok. Dokument(e)
EG Europäische Gemeinschaft
FN Fußnote
Frontex Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen VO (EG) 2007/2004
GLV Grundlagenvertrag DDR/BRD 21.12.1973
GSA Grenzsicherungsanlagen
GSSD Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland
GÜST Grenzübergangsstelle
GVS Geheime Verschlußsache
jW Tageszeitung junge Welt
KSZE Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
NVR Nationaler Verteidigungsrat der DDR
PT Parteitag
TG Territorialgewässer
TZ Tageszeitung
VO Verordnung
VR Völkerrecht
Grundsätzliches zur Aktualität
Was ist Sozialismus?
Warum mußte die Sowjetgesellschaft Vorbild sein?/
Diktatur des Proletariats/
Warum war Sicherung der Souveränität der DDR und ihres Hoheitsgebietes von besonderer Bedeutung?
Alle Sicherungsanlagen der DDR befanden sich ausschließlich auf ihrem Hoheitsgebiet
Das Phänomen territorialer Grenzen und ihre Arten
Nochmals zur Aktualität des Themas
Das Grenzgesetz der DDR
Die aktuelle Interpretation zur „innerddeutschen Grenze“
Die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten bis zum 03.10.1990.
Das Hoheitsgebiet und seine Abgrenzung aus völkerrechtlicher Sicht an historischen und zeitgenössischen Beispielen dargestellt
Völkerrecht und Staatsgrenzen I
Bonfils (1904)
Anzilotti (1929)
Vanselow (1931)
Radbruch (1929/1952) „Nie wieder Krieg“
Entschließung des Deutschen Bundestages vom 7. April 1954 zur „Souveränität“ der DDR
Verdross (1955)
Rumpf (1956)
Dahm (1958)
Reintanz (1959/1962) Exkurs Westberlin,
Luftraum über Westberlin
„Staatsgrenzen“ im Wörterbuch des Völkerrecht (1962)
Petrenko (1967).
Verhandlungen zum GLV im Zusammenhang mit der
Staatsgrenze DDR/BRD
Gespräch M.Kohl/Bahr 15. Juni 1972,die deutsche Nation /
Gespräch Bahr - Erster Sekretär des ZK der SED Honecker am 7. September 1972 in Berlin /
Verhandlungen M. Kohl/Bahr November 1972 /
Worum ging es tatsächlich bei den Verhandlungen zum GLV? /
5.
Exkurs: Rumpf (1973).
Die KSZE-Schlußakte und die Staatsgrenzen
Die Schlußakte vom 1. August 1975 (Auszüge)
Gespräch Erster Sekretär des ZK der SED Honecker mit BK H. Schmidt in Helsinki am 30. Juli 1975, Fortsetzung des Gesprächs, 1. August 1975 (Kommerzieller Menschenhandel)
Schreiben BK H. Schmidt an Generalsekretär des ZK der SED Honecker vom 28. 7.1976(Grenzzwischenfall Bubbers)
Gespräche Schmidt/Wehner - Wolfgang Vogel am 16. Mai 1977 in Westberlin
Gespräch Wischnewski u.a. mit Axen, Fischer, Häber und Schindler am 28. Januar 1978 in Berlin (Spiegel Veröffentlichung zur Elbe-Grenze)
Schreiben Honecker an Schmidt vom 13. Juni 1978 (Elbe-Grenze)
Gespräch BK Schmidt - Michael Kohl am 14. Juni 1978 in Bonn (Kali-Abbau, Transitmißbrauch, Elbe)
Non paper der DDR für BK Schmidt (21. August 1980)
Gespräch Gaus - Honecker am 3. November 1980.
Völkerrecht und Staatsgrenzen II
Kröger (1981)
Oeser/Poeggel (1983)
J. Barsz (1985) Volksrepublik Polen
Heinze/Poeggel (1988)
Präambel Einigungsvertrag (1990)
Doehring (1990), Doehring und der Grenzverlauf auf der Elbe
Neugebauer (2000)
Khan (2004)
Gornig (2007)
Vitzthum (2007), Vitzthum und der Grenzvertrag mit Polen (1990)
Paech/Stuby (2013)
Görner (2014)
Exkurs: Einige Folgerungen.
Die Ausdehnung des Hoheitsgebietes in das Erdinnere
Der grenzüberschreitender Kaliabbau zwischen beiden deutschen Staaten und ihre Rechtsstandpunkte
Die Grenztruppen der DDR, Bundesgrenzschutz, Frontex und das Grenzregime Europas
Grenztruppen der DDR /
Der Bundesgrenzschutz der BRD /
Frontex /
Das Grenzregime Europas
Die See- oder Territorialgewässergrenze
Die TG und ihre Abgrenzung, die TG im Grenzgesetz der DDR /
Die Sicherung der EU-Außengrenze auf See
Literaturverzeichnis
Verzeichnis der Anlagen
Anlage 1
Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung
Nr. 145 S. 1412 7. August 1956
„Ist die Sowjetzone ein Staat?
Pseudostaatliche Tarnorganistion sowjetrussischer Fremdherrschaft Von Legationsrat Dr. Helmut Rumpf, Auswärtiges Amt“
(ungekürzte Abschrift)
Anlage 2
Artikel 134
des Entwurfs der DDR Verfassung, der am 4. April 1990 allen Mitgliedern der Volkskammer auf ihre Arbeitstische gelegt wurde. Ein Exemplar erhielt Ministerpräsident Lothar de Maiziere vom Sekretär der Arbeitsgruppe, Dr. Klaus Emmerich, persönlich überreicht
Anlage 3
Das geltende
Recht; Ausgabe 1989
chronologisch und systematisch geordnet. Verzeichnis der geltenden Rechtsvorschriften der DDR vom 7.10.1949 bis 31.12.1988. Herausgegeben vom Sekretariat des Ministerrates. Staatsverlag der DDR Berlin 1989. Einschließlich Änderungsdienst zum „Geltenden Recht“ (Stand 31.12. 1989).
Ordnungszahl 88602- 88611
Anlage 4
Außengrenzen der EU
Quelle:
https://de.wikipedia.org/wiki/Außengrenzen_der_Europäischen
_
Union
Anlage 5
Zweite DVO zur Grenzordnung
Anlage 6
Grenzverletzungen Oktober 1989.
Quelle: Baumgarten/Freitag aaO Seite 437.
Anlage 7
Ergebnisse der Grenzüberwachung Oktober 1989
Quelle: Baumgarten/Freitag aaO Seite 438
.
Anlage 8
Gesetz über den Abbau von Salzen im Grenzgebiet an der Werra Vom 3. Dezember 1984 (BGBl. Nr.50, S. 1430)
Anlage 9
„Problembereich der Elbe. 87. Kabinettssitzung der Bundesregierung Bonn, 6. November 1974.“
Um die Aktualität dieses brisanten Themas nach einem viertel Jahrhundert nach Anschluß der DDR an die BRD zu verdeutlichen, halte ich es für bedeutsam, in thesenhafter Form jene Probleme anzudeuten, die im öffentlichen „gesamtdeutschen Gedächtnis“ erhalten blieben und bedeutsam zu sein scheinen. Ohne ins Detail zu gehen, darf der Kalte Krieg, der Aktionen und Reaktionen besonders an der Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten und der Grenze um Westberlin beider Seiten auslöste, nicht ignoriert werden.
Themenbezogen gehören meines Erachtens, die folgenden Grundfragen, die ich knapp umreißen möchte, dazu:
„Die Auffassungen darüber, was die Gesellschaft, die meist realer Sozialismus genannt wird, eigentlich war, gehen weit auseinander: überhaupt kein Sozialismus oder das Gegenteil von Sozialismus, ein Staatssozialismus oder ein Parteisozialismus, ein… deformierter Sozialismus, eine Übergangsgesellschaft oder einfach eine Diktatur und ein Unrechtsstaat?… Woran kann man unterscheiden, was richtiger und was falscher Sozialismus ist? …Hier ist dialektisches, historisch-materialistisches Herangehen gefordert…“ 1 Inwieweit das Recht, und hier besonders das Staatsrecht, hier wiederum jene Normen, die das Grenzregime betreffen, zur Beantwortung dieser Grundfragen beitragen können, will ich nicht beantworten. Aber jene „Bemühungen um die Deutungshoheit über die Geschichte des Sozialismus sind ein nicht unwesentlicher Bestandteil des ideologischen Klassen-kampfes der Gegenwart, und dieser wird - zumindest von Seiten der bürgerlich - antisozialistischen Kräfte - mit großem Aufwand und entschlossener Härte geführt. Dabei werden alle Mittel eingesetzt, von einer primitiven ideologischen Gehirnwäsche in den Massenmedien, die mit Lügen, Verleumdungen und Diskriminierungen arbeitet, bis zu großen Geschichtsfälschungen in umfangreichen historischen und theoretischen Darstellungen wissenschaftlichen Charakters. Sie alle verfolgen in sehr unterschiedlicher Weise das gleiche Ziel, nämlich des Sozialismus als einen illegitimen Irrweg der Geschichte hinzustellen, der unvermeidlich nur zu einer Gesellschaft des Zwanges, der Unterdrückung und der Armut führen kann… Jede positive Erinnerung an den realen Sozialismus (soll) ausgelöscht werden, damit den Menschen eingetrichtert werden kann, dass der Kapitalismus die beste aller möglichen Gesellschaften ist und bleibt.“2.
„Ein Standardargument der Gegner und Kritiker des Sozialismus besteht in der Behauptung, dass von den in Russland gegebenen ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen her kein Sozialismus entstehen konnte, sondern nur eine diktatorische Gesellschaft des Zwanges. Angeblich war diese Entwicklung kraft der objektiven Bedingungen und gesellschaftlichen Gesetz-Mäßigkeiten unvermeidlich, so dass der geschichtliche Werdegang der Sowjetgesellschaft vom Anfang bis zum Ende unabwendbar bestimmt war.“3
Die Verbrechens Stalins, die Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU, Gorbatschows JA zur deutschen Einheit sollen die Sowjetgesellschaft charakterisieren. Der Sieg der Sowjetunion im Großen Vaterländischen Krieg, die Millionen Menschenopfer, die vor allem dieser Krieg der UdSSR brachte, werden aufgerechnet mit sogenannten Mauertoten.
Der Eintrag von Michael Gorbatschow ins Gästebuch der Grenztruppen der DDR vom 26. April 1986 lautet:
„Am Brandenburger Tor kann man sich anschaulich davon überzeugen, wieviel Kraft und Heldenmut der Schutz des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden vor den Anschlägen des Klassenfeindes erfordert. Die Rechnung der Feinde des Sozialismus darf nicht aufgehen. Der Unterpfand dessen sind das unerschütterliche Bündnis der DDR und der UdSSR sowie das enge Zusammenwirken der Bruderländer im Rahmen des Warschauer Vertrages.
Ewiges Andenken an die Grenzsoldaten, die ihr Leben für die sozialistische DDR gegeben haben.
Michael Gorbatschow, Generalsekretär des ZK der KPdSU“.4
Etwa 10 Jahre später, Moskau, den 7.Juni 1996, schrieben der Marschall der Sowjetunion V. G. Kulikow und Armeegeneral der Sowjetarmee A. I. Gribkow an das Landgericht Berlin:
„Mit Aufmerksamkeit und Besorgnis verfolgen wir die Prozesse in der BRD gegen frühere Hoheitsträger der DDR, insbesondere gegen die Angehörigen der NVA und der Grenztruppen der DDR im Zusammenhang mit den tragischen Folgen von Grenz-Verletzungen…
Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen (die in den Ziffern 1. bis 5. ausgeführt wurden K.E.) war darum sowohl die politische als auch die militärische Führung der DDR nicht frei in ihren Entscheidungen.
Die Führung der DDR konnte an der Grenze zur BRD und zu Westberlin eigenständig nichts unternehmen. Jegliche Veränderung der Ordnung an der gemeinsamen Grenze der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages erforderte die Abstimmung mit ihm, das heißt mit den höchsten Organen seiner Teilnehmerstaaten. Alleinige Entscheidungen der Führung der DDR in diesen Fragen waren ausgeschlossen, da Alleingänge die Interessen des Warschauer Vertrages berührt und ihn dadurch bedroht hätten, Das wäre von Paktmitgliedern, in erster Linie von der Sowjetunion, niemals zugelassen worden. “5
Ligatschow, den ich zu dieser Fragestellung, warum die Sowjetunion von der DDR (nicht nur der Führung) als Vorbild betrachtet wurde, möchte ich wie folgt zitieren: „Die Geschichte entwickelt sich nicht gradlinig, sie verläuft im Zickzack, über Umwege und auch im Rückwärtsgang. Diese Rückschläge bleiben auch der sozialistischen Entwicklungsstufe der Zivilisation nicht erspart. Aber trotz der zeitweiligen Niederlage des Sozialismus in der UdSSR und des einschneidenden Rückgangs der Verbreitungs- und Einflusssphäre des Sozialismus in der Welt hat sich das 20. Jahrhundert mit solchen Ereignissen in die Geschichte eingeschrieben wie es die Oktoberrevolution, der Zusammenbruch des Kolonialsystems, die Zerschlagung der faschistischen Tyrannei und die historisch Erfahrung der Errichtung der sozialistischen Gesellschaft sind.“6
Ob die Sicherung der Staatsgrenze, beginnend mit dem 13. August 1961, als ein derartiges Ereignis der Geschichte einzuordnen ist, wage ich zu bezweifeln. Vor allem kalte Krieger in allen Zeiten besonders, sehen dass selbstverständlich anders!
Die marxistisch-leninistische Staats- und Rechtlehre umfaßt einen außerordentlich breit gefächerten Komplex von Problemen. Ihren Kern bildete. die unter Theoretikern (linker Prägung) umstrittene Lehre von der Diktatur des Proletariats (DdP). Es wurde zwar in der DDR sehr viel von schöpferischer Anwendung dieser Lehre durch die führende Partei gesprochen, aber ihre Anwendung und Umsetzung in die Praxis ließ zahlreiche Lücken erkennen.
Karl Marx hat bereits in seinen „Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei“ 7 auf die Übergangsperiode, der DdP hingewiesen indem er ausführte: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nicht anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats“.8 Ich will ich nicht versuchen, diesen Gedanken von der historischen Notwendigkeit der Errichtung der DdP im Detail zu erörtern. Da aber bei zahllosen Theoretikern und Praktikern aller Couleurs in der Vergangenheit 9 und heutiger Zeit von der „Diktatur des Proletariats“ als theoretisches Leitgebilde nur die Diktatur erhalten blieb und diese häufig in der Begrifflichkeit der „zwei Diktaturen in Deutschland“10 oder an den Sicherungsanlagen von Mauer und Stacheldraht und „Schießbefehl“ mündet, möchte ich die Diktatur des Proletariats - als theoretische Kategorie - zumindest erwähnt haben.11
Wie jede Staatsgrenze auf der Welt hatte auch die Staatsgrenze der DDR ihre spezifischen Besonderheiten. Sie war nicht nur eine Grenze zwischen Staaten, sondern war eine Trennlinie zwischen dem Warschauer Vertrag, dem die DDR angehörte und dem NATO-Staat-BRD.
Ich wage den Vergleich: ähnlich der Außengrenzen der EU, die nicht nur normale Staatsgrenzen sind!
Eigentlich keine Besonderheit, sondern eine unumstößliche Wahrheit: Der Verlauf jeder Staatsgrenze ist nicht gleichzusetzen mit den Sicherungsanlagen, egal welcher Art sie waren oder an den Außengrenzen der EU noch/wieder sind.
Die Sicherungsanlagen befanden sich ausschließlich auf dem Hoheitsgebiet, Territorium, Staatsgebiet der DDR bzw. befinden sich im Jahre 2016 ausschließlich auf dem Hoheitsgebiet des EU-Staates, der sich an dieser EU-Außengrenze befindet.
Der Bau, ihre Art und ihr Verlauf (der Abstand von der Staatsgrenze) wurden grundsätzlich durch die dafür zuständigen Organe der DDR auf der Grundlage der Rechtsvorschriften und darauf beruhenden dienstlichen Bestimmungen festgelegt.
Das trifft selbstverständlich auch für die Sicherung der EU-Außengrenzen zu.
Ich gehe davon aus, dass bestimmte Ausnahmen in der DDR von den zuständigen Organen der GSSD bestimmt wurden. Aus einem Brief des Oberkommandierenden der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte an den Minister für Nationale Verteidigung der DDR vom 14.September 196112 geht hervor um welche Ausnahmen sich u.a. handelte:
Maßnahmen zur Aussiedelung aus dem Grenzstreifen;
die Grenzen des 500 Meter Schutzstreifens und der 5 Kilometer Zone;
Schaffung von Pioniersperren in einer bestimmten Breite;
Anlegen von Drahtsperren, Minenfelder, Signalvorrichtungen, Beobachtungstürmen, Kontroll- und Patrouillenstreifen, Recht auf Durchsuchung von Ortsansässigen;
Anlegestellen an den Gewässern sind zu überwachen;
der Verkauf von Fahrkarten in Bahnhöfen, See- und Flughäfen in Richtung Grenze „hat nur bei Vorhandensein eines entsprechenden Passierscheines zu erfolgen“…
13
Daraus folgt: Eine Identifizierung Verlauf der Staatsgrenze DDR/BRD mit den Sicherungsanlagen ist nicht nur falsch, sondern irreführend. Gerade zwischen beiden deutschen Staaten wurde entsprechend des Grundlagenvertrages aus dem Jahre 1972 eine Grenzkommission gebildet, die die Staatsgrenze vermessen, teilweise festgelegt und markiert hat. Der vereinbarte neue Grenzstein trug auf einer Seite das Kürzel: DDR. Normal wäre gewesen, dass auf der anderen Seite das Kürzel BRD stand. Der Vorschlag lediglich ein „D“ auf die Gegenseite des Grenzsteins zu setzen, wäre sicherlich, soweit es ihn überhaupt gab, an der Position der DDR gescheitert.
Um dem Leser einen Überblick zu verschaffen, was in der Wissenschaft unter „Grenzen“ verstanden wird, soll die folgende Aufstellung dienen, die die „räumlichen Grenzen in Europa“ veranschaulicht:
Arten von Grenzen
Beispiele
Grenzen im Naturraum
tellurische Grenzen
Kontinentalgrenzen
geozonale Grenzen
Klimazonen
arcalgeographische Grenze
Naturräume, Verbreitungsgrenzen
Hypsometrische Grenzen
Höhengrenzen
Grenzen im Kulturraum
ethnographischer Grenzen
Volks-, Sprachgrenzen
kulturelle Grenzen
Religionsgrenzen
siedlungsräumliche Grenzen
Ökumene (bewohnte Erde) Anökumene(unbewohnte E.)
wirtschaftsräumliche Gr.
Anbaugrenzen, Währungs-, Zollgrenzen
verkehrsräumliche Grenzen
Verkehrsbarrieren, Erreichbarkeitsgrenzen
Grenzen im politischen Verwaltungsraum
transnationale Grenzen
Grenzen internationaler Bündnisse
nationale Grenzen
Festland-, Meeres- und Luftgrenzen
intranationale Grenzen
Binnengrenzen: Bezirke, Wahlkreise
Grenzen im Planungsraum
Grenzen von Strukturräumen
Verdichtungsräume, periphere Räume
Grenzen von Planungsregionen
Gebietseinheiten
Grenzen von Fördergebieten
Zielgebiete von Fördermaßnahmen
Grenzen im Handlungsraum
:
aktionsräumliche Grenzen
Einzugs-, Reichweite-, Sperr-Schutzgebiete
Grenzen im Wahrnehmungsraum:
Informationsgrenzen Kommunikationsgrenzen
Reichweite von Zensur oder Kabelnetzen
Zeitgrenzen
Sprachbarrieren Grenzen von Zeitzonen
14
Die Aktualität der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Grenze beschreibt Peter Krüger:
„Heutzutage kann man, besonders in sogenannten fortschrittlichen Kreisen, den Eindruck gewinnen, Grenzen seien nur noch dazu da, um überwunden zu werden, ja- sie seien Relikte eines überholten Staatsverständnisses des eifersüchtig auf seine Unversehrtheit bedachten Nationalstaates, einer Wortverbindung von zwei politisch-gesellschaftlichen Gestaltungsformen, Staat und Nation, die im Grunde beide obsolet seien und daraus möglichst bald die Konsequenzen zu ziehen hätten. Das ist falsch. Wer sich heute ernsthaft mit Grenzen beschäftigt, sollte das unvoreingenommen tun und sie nicht von vornherein zu den Häßlichkeiten des menschlichen Daseins rechnen. Alle Vorteile und Fortschritte des Rechtsstaates, der Verfassung, der Menschen- und Bürgerrechte, im Grunde der Kultur und Gesittung des Menschen sind nur in der Abgegrenztheit des eigenen, überschaubaren Gemeinwesens durchzusetzen und zu gewährleisten, ungeachtet der Forderung nach ihrer universellen Geltung; denn selbst wenn sie auf der ganzen Welt durchgesetzt wären, blieben doch die vielen unterschiedlichen, traditionsgebundenen Formen ihrer Verwirklichung.
Aber nicht allein von einer weltumspannenden Kultur- und Rechtsgemeinschaft, auch von einer einheitlichen Weltgemeinschaft sind wir noch sehr weit entfernt, und es erscheint wenigstens zweifelhaft, ob man diesen Zustand unbedingt ändern sollte, selbst in Anbetracht der Tatsache, daß die Ambivalenz aller menschlichen Gestaltungen die Abgegrenztheit politischer Organisation zu einer Quelle des Unrechts und des Schreckens machen kann.“15
Rechtsnormen und anerkannte zwischenmenschliche Normen aller Art hängen nicht von einer Welt ohne Grenzen ab.16
Grenzen schaffen erst die Voraussetzungen für den Interessenausgleich in Form von Vereinbarungen zwischen den Staaten und als sinnvoll erkannte Regelungen in verschiedenen Rechts- und Kulturkreisen. Auch die Wechselwirkung von Grenze und Verfassung und die Sicherung der Staatsgrenze erhält ein viel umfassendere Dimension, sie dient nicht nur der militärischen Verteidigung. „Gerade weil die Grenzen präzisiert, demarkiert, bewacht werden, wahrnehmbar geworden sind und auch für den einzelnen spürbare Konsequenzen haben, entsteht zugleich mit ihnen ihre Unsicherheit: Sie können nicht nur dauernd, selbst aus geringfügigen Anlässen, verletzt werden, was meist empfindliche Reaktionen nach sich zieht… Es geht um die territoriale Sicherheit und damit um die Sicherheit des modernen Staates überhaupt. Je weiter sich die Kriegsmittel entwickeln, desto verwundbarer wird er. Deshalb wird so große Mühe darauf verwendet, die Unverletzlichkeit der Grenzen als vorrangiges Völkerrechtsprinzip zu verankern und für entsprechende Garantien zu sorgen.“17
Hannelore Burger begründet die „derzeit äußerste Aktualität“ aus österreichischer Sicht des Themas Grenze mit dem „Fall des Eisernen Vorhang - einst hermetische Systemgrenze zwischen Ost und West-, die seither verstärkt vor sich gehende Integration Europas (verbunden mit einem Verblassen der alten nationalstaatlichen Grenzen und dem Entstehen einer neuen Außengrenze) sowie auch die vielbeschworene Globalisierung mit der ihr innewohnenden Tendenz zur Überschreitung jeglicher Grenzen haben nicht nur das Bewußtsein über die Bedeutung von Grenzen verschärft, sondern auch die wissenschaftliche Forschung zu diesem Thema stark verändert… Bewußt wird jetzt, daß es neben der sichtbaren Grenze, der Staatsgrenze, in jedem Land auch unsichtbare Grenzen (Einheimische/Fremde) gibt, daß jede Grenze sowohl Inklusion als auch Exklusion bedeutet. Mit dem Werden einer Staatsgrenze engstens verbunden sind Fragen der Grenzüberwachung, des Paß- und Meldewesens, der Staatsbürgerschaft, des Asylwesens, der Ein- und Auswanderung sowie der Fremdengesetzgebung.“18
Neben diesen fachspezifischen Bemerkungen soll aber nicht die Meinung Stefan Heyms vergessen werden, der als Gründe für das Verlassen der DDR durch ihre Staatsbürger nicht nur bessere und mehr Konsumgüter, leichtere Arbeit mit höheren Löhnen im Westen und eine zu „Schulbuchphrasen“ erstarrte Ideologie, nannte.19 „Kein Wunder also, daß immer mehr DDR-Deutsche ihr Bündelchen packten und per S-Bahn, Auto oder zu Fuß über die sperrangelweitoffene Grenze in den Westen zogen. Die Gefahr bestand und wurde immer größer, daß der längst totgesagte Imperialismus mit seinen Verlockungen zwar nicht das Territorium der DDR annektieren würde, wohl aber breite Teile der DDR-Bevölkerung. In den Tagen, beginnend etwa mit dem Frühjahr 1961, wurde viel über Abhilfe nachgedacht und wie man das Loch schließen könne, durch das die Kraft, die menschliche und damit wirtschaftliche, des Staates ausfloß…