Stadt der Finsternis - Im Sturm der Magie - Ilona Andrews - E-Book

Stadt der Finsternis - Im Sturm der Magie E-Book

Ilona Andrews

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wo sie ist, ist das magische Chaos nie weit ...

Kate und Curran haben Atlanta mit ihrem Sohn Conlan verlassen und sich geschworen, diesmal unter dem Radar zu bleiben. Neue Stadt, neues Haus - aber manche Dinge ändern sich nie - wieder einmal bricht eine magische Bedrohung über sie herein, und während Curran zuhause die Stellung hält (und das Haus sicherheitshalber für eine Belagerung wappnet), macht Kate sich auf die Suche nach einem vermissten Kind. Und bald ist Kate wieder mittendrin im magischen Chaos und ihr Plan, nicht aufzufallen, geht schon bald gehörig den Bach runter ...

»Eine fantastische und mitreißende Story voller Action und Magie.« THE READING CAFÉ

Eine neue spannende Novella aus der Welt von Kate Daniels (Stadt der Finsternis)

Teil 1 der WILMINTON-YEARS-Reihe

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 220

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

1

2

3

4

5

6

7

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Ilona Andrews bei LYX

Impressum

ILONA ANDREWS

Stadt der Finsternis

IM STURM DER MAGIE

Ins Deutsche übertragen von Andreas Heckmann

Zu diesem Buch

Kate und Curran haben Atlanta mit ihrem Sohn Conlan verlassen und sich geschworen, diesmal unter dem Radar zu bleiben. Neue Stadt, neues Haus – aber manche Dinge ändern sich nie: Wieder einmal bricht eine magische Bedrohung über sie herein, und während Curran zuhause die Stellung hält (und das Haus sicherheitshalber für eine Belagerung wappnet), macht Kate sich auf die Suche nach einem vermissten Kind. Und bald ist Kate wieder mittendrin im magischen Chaos und ihr Plan, nicht aufzufallen, geht schon bald gehörig den Bach runter …

1

KATE

Mrs Vigue rückte ihre leuchtend rote Brille zurecht und taxierte mich vom Sofa unseres zweiten Wohnzimmers aus. Wir renovierten derzeit, und dieses Zimmer war einer von vier Räumen, in denen man sich in unserem Haus gerade überhaupt aufhalten konnte.

Mrs Vigue, Anfang fünfzig, leicht gebräunt, hatte aschblondes, kurzes, zurückgekämmtes Haar. Ihre Augen hinter der Brille waren vielleicht grau oder hellblau. Sie hatte eine grüne Seidenbluse und einen hellgrauen Rock an und wirkte zurechtgemacht genug, um zu einem Geschäftsessen zu gehen.

Ich trug alte Shorts, einen Sport-BH und ein Top mit Farbklecksen, denn ich hatte ein Schlafzimmer gestrichen, als Mrs Vigue hereingeschneit war. Das braune Haar hatte ich zum Knoten gebunden und mit einem alten Halstuch umwickelt, damit es möglichst wenig Farbe abbekam, und weil diese Seite des Hauses weder Ventilatoren noch eine andere Kühlung besaß, roch ich wie eine Holzfällerin nach einem langen Arbeitstag. Ich machte also einen prima Eindruck auf die Schulleiterin.

Wir lächelten uns an. Mrs Vigue gab sich alle Mühe, zugänglich zu wirken, während ich mich sehr bemühte, harmlos zu erscheinen. Wir logen beide, dass sich die Balken bogen.

Small Talk ist keine meiner wenigen Tugenden. »Ich dachte, wir haben die Zulassung schon hinter uns. Sie haben uns doch ein Annahmeschreiben geschickt.«

Was ein Grund für unseren Umzug hierher gewesen war, wo wir nun in der Renovierungshölle steckten.

»Richtig.« Mrs Vigue warf mir ein kurzes, humorloses Lächeln zu. »Unsere Schule ist einzigartig.«

Das konnte man laut sagen. So einzigartig, dass sie ein Vermögen kostete. Zwei Monate hatten wir uns überschlagen, jede Menge Formulare ausgefüllt und Unterlagen zusammengesucht, um das Privileg eines Gesprächs zu bekommen, und dann noch einen Monat auf die Entscheidung gewartet. Sosehr mir die Schule empfohlen worden war – ich hatte von diesem Unsinn die Nase voll.

»Unsere Schülerschaft soll wirklich repräsentativ sein für die vielfältige Welt, in der wir leben.«

Mrs Vigue geriet in ihren Ansprache-Modus. Womöglich wirkte das beim Beschaffen von Geldern Wunder.

»Unsere Einrichtung ist ein besonderer Ort, an dem Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichstem Hintergrund zusammenkommen. Dieses Gespräch soll helfen, die Bedürfnisse Ihres Kindes besser zu verstehen, und uns in die Lage versetzen, seine Sicherheit zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass es in unserer dynamischen Gemeinschaft aufblüht.«

Aha. Ihr Besuch diente also der Gefahrenabschätzung. Dabei hatten wir das alles bereits bei der Aufnahmeprozedur besprochen. Warum nervte sie uns damit nun wieder?

Ich lächelte. Curran und ich waren uns einig darüber, nach dem Umzug ein unauffälliges Leben zu führen. Denk die üblichen Vorstadtgedanken – das konnte doch nicht so schwer sein. Wir waren einfach eine kleine Familie, die ihr neues Heim renovierte.

»Natürlich beantworten mein Mann und ich Ihnen alle berechtigten Fragen. Stellen Sie sie bitte.«

Sie nahm eine Ledermappe, öffnete den Reißverschluss und prüfte den Inhalt. »Einer unserer Förderer hat Sie empfohlen. Woher kennen Sie Dr. Cole?«

Zu sagen, Doolittle habe mich zu oft zusammengeflickt, um noch mitzuzählen, hätte das Gespräch entgleisen lassen. »Er war unser Hausarzt und hat Conlan mit auf die Welt gebracht und häufig behandelt. Wir betrachten ihn als Freund der Familie.«

Mrs Vigue nickte und machte sich eine Notiz. »Ihr Sohn hat bei der Einstufung eine bemerkenswert hohe Punktzahl erreicht.«

War das ein Kompliment? Wenn ich es so auffasste, konnte sie dagegen nichts machen. »Danke.«

»Das Renommee unserer Schule zieht die herausragendsten Köpfe an. Ihr Sohn wird intellektuell unter seinesgleichen sein.«

Das würde schwierig werden, aber ich legte keinen Wert darauf, dass er intellektuell unter seinesgleichen geriet. Mir ging es darum, dass er lernte, sich wie ein Mensch zu verhalten und mit anderen Kindern zu kommunizieren, ohne dass die Last seiner Identität ihn zu Boden zog.

»Soweit ich weiß, ist Ihr Kind ein Gestaltwandler.«

Na bitte. »Ja.«

»Und in welches Tier verwandelt er sich?«

Ich lächelte noch freundlicher. »Das ist eine gänzlich unerlaubte Frage, Mrs Vigue. Welches Tier in Personen steckt, die ihre Gestalt wandeln, ist vertraulich und darf von keiner Erziehungseinrichtung dieses Landes zur Grundlage von Ungleichbehandlungen gemacht werden.«

Das wusste ich, weil mein Mann jede Menge Geld und Mühe in die Lobbyarbeit für das entsprechende Gesetz investiert hatte. Damals kannten wir uns noch nicht.

Mit dem Mittelfinger schob Mrs Vigue ihre Brille höher auf die Nase.

Aha, du mich auch. »Soll ich Ihnen die einschlägigen Bundes- und Landesgesetze zu den Rechten von Gestaltwandlern zitieren, oder können wir diese Formalitäten überspringen?«

»Natürlich können wir Sie nicht zwingen, uns diese Information mitzuteilen. Aber …«

»Ihre nächsten Worte entscheiden darüber, was ich Dr. Cole heute Abend sage, wenn er anruft, um zu hören, wie es mit unserer Eingewöhnung läuft. Und er wird anrufen. Er ist sehr fürsorglich und gründlich. Ich bin sicher, er und seine siebentausend Mitarbeiter würden es missbilligen, falls Ihre Schule das Kind von Gestaltwandlern zu diskriminieren versucht.«

Ihre Augen wurden schmal. »Es wird schwierig mit Ihnen, was?«

Du hast keine Ahnung. »Ich weiß nicht, was Sie meinen, Mrs Vigue. Hatten Sie sonst noch Fragen?«

»Ich komme jetzt direkt zur Sache.«

»Das wäre mir recht.«

»Können Sie garantieren, dass Ihr Sohn die Kinder in seiner Klasse nicht angreift und nicht nach ihnen schnappt?«

»Absolut. Er ähnelt seinem Vater sehr. Ihm ist wichtig, dass es als freie Entscheidung und nicht als Kontrollverlust erscheint, wenn er zu Gewalt greift.«

Sie blinzelte.

Egal, wie stark sich Gestaltwandler sozial engagierten – andere Menschen vergaßen nie, dass in jedem von ihnen mögliche Amokläufer steckten. Von einer Person, die mit Kindern arbeitete, hatte ich allerdings mehr erwartet.

»Da wir beschlossen haben, offen zu sein: Sollte mein Sohn sich für Randale entscheiden, werden ihn alle Sicherheitsleute Ihrer Schule zusammen nicht aufhalten. Falls etwas Beunruhigendes geschieht – und das wird nicht passieren –, rufen Sie uns an. Sein Vater oder ich, seine Mutter, kommen dann sofort und kümmern uns darum.«

»Sollen wir uns also gar nicht erst bemühen, ihn unter Kontrolle zu bringen?«

»Conlan greift Sie nicht an, sofern Sie keine Bedrohung darstellen. Am besten halten Sie in so einem Fall still und sehen zu Boden. Rennen Sie nicht weg, denn dann jagt er Sie, und er ist schnell. Auch wenn Sie sich auf den Rücken werfen und einnässen, verschwinden Sie von seiner Beuteliste.«

Sie blinzelte wieder.

»Aber wie gesagt, das ist sehr unwahrscheinlich. Ihre dynamische Schülerschaft wird völlig sicher sein. Jetzt habe ich eine Frage an Sie. Hat die Schule Sie geschickt, oder haben Sie dieses Gespräch aus freien Stücken gesucht?«

»Als Pro-Dekanin …«

Das hatte ich mir gedacht. Sie war aus eigenem Antrieb gekommen. Ich lächelte freundlich, und Mrs Vigue verstummte unvermittelt.

Normalität wird ohnehin überschätzt.

»Ich freue mich sehr, dass wir ein wenig geplaudert haben, Mrs Vigue. Möchten Sie für den Rückweg Eistee?«

Drei Minuten später stand ich im Tor zum Hauptgebäude, sah sie in ihren Chevy Malibu steigen und auf der Straße nach Westen davonfahren. Ich holte tief Luft und atmete langsam aus. Es roch nach Meer und Sonne. Das hätte mich beruhigen sollen. Tat es aber nicht.

Die letzten Tage hatten ein kleines Unglück nach dem anderen gebracht. Begonnen hatte es damit, dass der Boden im Hauswirtschaftsraum eingebrochen war. Seither war es stets schlimmer geworden. Der Besuch von Mrs Vigue war nur eine verschimmelte Kirsche mehr auf dieser Torte des Kummers.

Mein Mann, mein Sohn und ich hatten die Schule besichtigt und den Lehrkörper ebenso gemocht wie die Inhalte des Unterrichts. Auch die Verwaltungskräfte hatten uns überwiegend gefallen. Das galt allerdings nicht für das Büro der Pro-Dekanin. Ich hatte bisher drei Leute dort kennengelernt, darunter Mrs Vigue, und sie hatten meine Geduld auf die Probe gestellt. Ich hätte ihnen gern alle möglichen Versicherungen gegeben, wenn sie nur den leisesten Versuch gemacht hätten, mit uns auf Augenhöhe zu kommunizieren.

Ich musste unbedingt Dampf ablassen.

Mein Sohn trat mit einem mir unbekannten Jungen hinter der Wand hervor. Conlan war groß für sein Alter und hatte mein dunkles Haar und die grauen Augen seines Vaters. Der Junge neben ihm war etwa genauso groß, aber vermutlich ein, zwei Jahre älter, vielleicht neun oder zehn. Er war dünn und dunkelhaarig, hatte bronzefarbene Haut und braune Augen und schien sich nicht sicher zu sein, was als Nächstes passieren würde. Etwas schreckhaft.

Conlan blieb vor mir stehen. »Hallo, Mom. Das ist Jason, Pauls Neffe.«

Paul Barnhill war unser Bauunternehmer. Jason winkte mir zaghaft zu.

»Können wir ein paar Sandwiches kriegen?«, fragte Conlan.

Wenn es darum ging, Freundschaften zu schließen, folgte mein Sohn den Ratschlägen seines Vaters. Das Essen stand an erster Stelle. Und er wusste, wo der Kühlschrank stand, und hatte sich schon mit zwei Jahren seine Brote geschmiert.

»Na klar.«

»Danke. Jasons Bruder wurde entführt.«

Aha. Es ging also gar nicht um Sandwiches.

Conlan wandte sich an Jason. »Komm.«

Sie gingen rein. Grendel, unser mutierter schwarzer Pudel, kam hinter der Wand hervor, leckte im Vorbeigehen an meinem Bein, hinterließ ein kleines Heer stinkender Bakterien auf meinem Schenkel und folgte den beiden.

Essen hat besondere Bedeutung für Gestaltwandler. Sie teilen es nicht einfach so. Conlan hatte Jason hergebracht, dafür gesorgt, dass ich sein Gesicht sah und wusste, er würde ihm gleich ein Brot schmieren, und mich dann informiert, dass Jason ein Problem hatte. Ein Problem, von dem ich mehr erfahren wollte, denn Jason war nun kein Kind mehr, das mein Sohn zufällig kannte, sondern jemand, den er akzeptierte und mit dem er eine Mahlzeit teilen wollte.

»Entführt« kann bei Neunjährigen vieles bedeuten. In der ersten Nacht nach unserem Einzug hier hatte mir ein halb nackter Conlan mitgeteilt, Grendel sei von Piraten entführt worden. Ich hatte mein Schwert genommen, war an den Strand gelaufen und hatte Grendel in einem Boot entdeckt, anderthalb Meter vom Ufer entfernt an einem angeschwemmten Baum vertäut. Er bellte wie ein Wahnsinniger, während eine Totenkopfflagge, die mein Sohn mit Wandfarbe auf sein schwarzes T-Shirt gemalt hatte, über ihm wehte. Doch wir lebten in unsicheren Zeiten. Echte Entführungen waren nicht selten, vor allem dann nicht, wenn das Opfer – um es mit Mrs Vigue zu sagen – »dynamisch« war.

Die Festung um mich herum verschwand, und eine quälende Sekunde rannte ich die Straße entlang. Mir war eiskalt vor Angst; verzweifelt suchte ich in den Ruinen ringsum nach dem Funken von Baby Conlans Magie und wünschte mit jeder Faser, ihn vor seinen angeblichen Entführern zu finden.

Mit einem Seufzer machte ich mich auf die Suche nach Paul.

Paul zu finden, dauerte ein paar Minuten, weil unser neues Haus ungewöhnlich groß war.

Ich umkreiste den dritten Bauholzstapel im Hof. Ringsum ragten die Wände von Fort Kure im Sonnenschein auf und blockierten den Blick auf den Strand. Einer örtlichen Überlieferung nach hatte ein verrückter Millionär das historische Fort Fisher besucht und war ziemlich enttäuscht gewesen, weil nur ein kleiner Teil der ursprünglichen Befestigungsanlagen überdauert hatte. Er hatte Fort Kure als »Begleitattraktion« der historischen Stätte konzipiert, als extreme Seefestung, um den Touristen jenen Zitadellenkitzel zu liefern, der Fort Fisher abging. Aus unbekannten Gründen war der Millionär geflohen, als zwei Drittel des Baus fertiggestellt waren.

Wenn Fort Kure fertig wäre, würde es ein sehr sicheres Gebäude sein, ein Zwitter aus mittelalterlicher Burg und moderner Zitadelle. Mein Mann hatte nur einen Blick auf die absurd dicken Steinmauern, den Turm und den Atlantik geworfen, der sich erstreckte, so weit das Auge reichte, und war verliebt gewesen. Seine grauen Augen hatten jenes etwas wahnsinnige Leuchten bekommen, und er hatte meine Hand genommen und gesagt: »Baby, wir wären verrückt, wenn wir das nicht täten.«

Ich hatte zugestimmt, weil ich ihn liebte. Und weil wir Atlanta verlassen mussten, wo alle wussten, wer wir waren und was wir vermochten. Wären wir geblieben, hätte Conlan nie so etwas wie eine normale Kindheit erlebt. Gut, »normal« ist ein problematisches Wort, aber hier würde man ihn zumindest behandeln wie jedes andere Gestaltwandlerkind, nicht wie den Sohn eines früheren Rudelführers; nicht wie ein Wunderkind, das zu Übernatürlichem fähig war. Langer Rede kurzer Sinn: Wir hatten eine sichere Operationsbasis gebraucht, also hatten wir Fort Kure mit großem Preisnachlass gekauft und jede Menge Geld hineingesteckt. Die Mauern waren nun fertig, das Vordertor auch, und der Rest der Anlage machte innen Fortschritte. Langsam, ganz langsam. Falls alles weiter nach Plan liefe, wäre das Fort womöglich im Herbst bewohnbar.

Ich entdeckte Paul in der Nähe des Souvenirladens, den wir zu einem Stall umbauen wollten. Er sprach mit einem Mann, den ich nicht kannte, und wirkte aufgeregt. Dabei war Paul nie aufgeregt. Er war ein Optimist, der eine verfallene Mauer mit der Einstellung »Die kann ich reparieren« ansah und das häufig auch tat. Der Mann, mit dem er redete, war etwa zehn Jahre älter als er, Ende vierzig. Die beiden mussten verwandt sein – sie hatten die gleiche bronzene Haut, die gleichen dunklen Locken, die gleichen Adlernasen.

»… das kann ich unmöglich.«

»Ich weiß«, sagte der Mann.

»Wenn ich dir das Geld überlasse, kann ich keinen Lohn auszahlen. Die Arbeit ist bereits getan. Ich muss den Leuten ihr Geld geben. Ich kann meine Männer nicht bitten, umsonst zu arbeiten.«

»Ich weiß«, wiederholte der Mann. In seiner Stimme lag eine kühle Endgültigkeit. Er hatte sich schon mit einem Nein abgefunden, war aber zu verzweifelt, um es nicht doch zu versuchen.

Paul fuhr sich durchs Haar. »Hör mal, ich hab noch Dads Lastwagen.« Er zog einen Schlüsselring aus der Tasche. »Ich bin nie dazu gekommen, ihn zu reparieren. Nimm den, schlachte ihn aus und verkauf die Teile. Damit verdienst du nicht viel, aber immerhin etwas …«

Paul sah mich, und sein Mund klappte zu.

»Hallo«, sagte ich. »Jason meinte, Ihr Neffe wurde entführt.«

Beide starrten mich an.

»Das ist mein Bruder Thomas«, meinte Paul schließlich. »Jemand hat seinen Sohn verschleppt. Wir versuchen, genug Geld zusammenzukratzen, um ihn zurückkaufen zu können.«

»Wissen Sie, wer ihn verschleppt hat?«

»Ja«, sagte Thomas.

Ich wartete. Paul stieß ihn an.

»Die Red Horn Nation«, antwortete Thomas schließlich.

»Was sind das für Leute?«

»Eine Bande von hier«, sagte Paul. »Sie kontrolliert den Großteil von South Wilmington. Vor allem handelt sie mit Drogen, raubt aber auch Kinder.«

»Wie viele Mitglieder?«

Paul runzelte die Stirn. »Fünfzig? Vielleicht mehr.«

Eine schöne runde Zahl. »Halten die ihn gefangen, um Lösegeld zu erpressen?«

»Nein«, sagte Thomas.

»Haben Sie es schon bei der Polizei versucht?«

»Die sind gefährlich«, entgegnete Thomas. »Die Polizei lässt sie in Ruhe, solange es keine Beweise gibt. Und ich habe keine Beweise.«

»Woher wissen Sie dann, wer ihn verschleppt hat?«

»Es gab Zeugen.«

Und würden diese Zeugen zur Polizei gehen, würde es ihnen übel ergehen.

»Wie alt ist Ihr Sohn? Und wann wurde er verschleppt?«

Thomas antwortete nicht.

»Darin ist sechzehn«, sagte Paul. »Die haben ihn sich vor fünf Tagen geschnappt. Warum ist das Alter wichtig?«

»Weil kleine Kinder üblicherweise an Sexualstraftäter oder an Familien verkauft werden, die Nachwuchs wollen. Teenager dagegen werden an Leute verkauft, die sie gefangen halten. Sie zu transportieren, ist riskant.«

Darin war vermutlich noch in der Stadt.

»Da Sie Geld sammeln, wissen Sie, wo diese Leute sich aufhalten«, sagte ich zu Thomas.

Er nickte. »Sie haben ein Haus.«

»Gut.« Ich zog das Tuch vom Kopf. »Warten Sie hier. Ich ziehe mich rasch um, dann holen wir Ihren Sohn zurück.«

»Sie verstehen nicht«, begann Thomas. »Das sind …«

»Böse Leute. Das sagten Sie schon.«

Die Barnhill-Brüder blickten skeptisch, wohl wegen meiner einnehmenden Kombination aus bekleckstem Trägerhemd und zerrissenen Shorts.

Mein Mann kam aus dem Nordturm getrabt. Er war fast eins achtzig groß, blond und grauäugig und hatte den Körper eines Preisringers in seiner Blüte. Die beiden Männer traten intuitiv beiseite, um ihm Platz zu machen.

»Hallo.«

»Hallo«, erwiderte ich.

»Was gibt’s?«

»Pauls Neffe wurde von einer hiesigen Gang entführt, zu der ungefähr fünfzig Leute gehören. Ich hole ihn zurück.«

Curran grinste. »Bist du zum Abendessen wieder da?«

Paul und Thomas sahen ihn an, als sei er verrückt geworden.

»Nein, esst ohne mich.« Ich ließ die Schultern ein wenig kreisen, umarmte ihn flüchtig und begab mich in unser Schlafzimmer.

»Die Red Horns bringen Leute um«, sagte Thomas in meinem Rücken. »Ihre Frau …«

»Wird das Training genießen«, erklärte mein Mann. »Und Sie wissen doch: Glückliche Frau, glückliches Leben.«

Fünf Minuten später kam ich in Arbeitskleidung zurück: graues T-Shirt, weiche Stiefel und eine Jeans, locker genug, um jemandem, der größer war als ich, ins Gesicht zu treten. Dazu trug ich einen Multifunktionsgürtel um die Taille und ein Schwertfutteral auf dem Rücken, aus dem der Griff meiner Waffe ragte. Ich hatte mein Haar geflochten und trug zwei Wurfmesser und ein langes Jagdmesser am Gürtel.

Kurz umarmte ich Curran.

»Denk dran«, sagte er.

»Unterm Radar bleiben, ich weiß.« Ich wandte mich an Thomas. »Los jetzt.«

Thomas sah seinen Bruder an, der achselzuckend die Arme ausbreitete. Dann erst schaute er mich an und folgte mir.

»Sind Sie mit dem Auto hier?«

»Zu Pferd.«

»Gut, Pferde sind mir am liebsten.« Sie arbeiteten zuverlässig.

Die Welt hielt für eine Sekunde den Atem an. Die Technik röchelte und erstarb, und Magie umflutete uns wie eine unsichtbare Woge. Die Farben wurden etwas intensiver, die Geräusche ein wenig lauter, und alles geriet schärfer in den Blick. Solange die Magie anhielt, würden Schusswaffen nicht funktionieren, Glühlampen dunkel bleiben und in der Finsternis Ungeheuer erstehen. Ich blickte zum Horizont.

»Ich finde das noch immer eine schlechte Idee, Mrs …«

»Keine Sorge«, erwiderte ich. »Wie Curran schon sagte: Ich brauche das Training. Und nennen Sie mich bitte Kate.«

CURRAN

Als ich meine Frau wegreiten sah, war mir klar, dass unser hiesiges Leben in ruhiger Anonymität vorbei war. Obwohl sie das Gegenteil versprochen hatte: Was immer sie tat, würde laut und unschön sein. Zeit, meinen Sohn zu suchen.

»Was meinen Sie, was sie tut?«, fragte Paul.

»Sie macht das Hornissennest ausfindig und setzt es in Brand. Und wenn die Hornissen angeschwirrt kommen, erledigt sie sie mit ihrem Schwert.«

»Sie wirken nicht sonderlich beunruhigt«, sagte Paul.

»Bin ich auch nicht. Sie ist fast so gut wie sie meint. Aber erzählen Sie ihr bloß nicht, dass ich das gesagt habe.«

Wir sahen Kate und Thomas weiter beim Wegreiten zu.

»Warum heißen die Red Horns?«, fragte ich.

»Keine Ahnung.« Paul zuckte die Achseln. »Vielleicht, weil sie sich mit Bullen anlegen, um die Hörner zu kriegen? Das ist eine brutale Truppe, kann ich Ihnen sagen.«

Brutal mussten sie sein, um ein Kind zu rauben.

»Gut. Hmm.« Er zögerte.

»Was ist?«

»Meine Familie, wir haben nicht viel Geld …«

Ich wartete und schwieg.

»Was die Renovierung angeht, könnte ich Ihnen ein gutes Angebot machen.«

»Nicht nötig. Wir hatten uns auf einen fairen Preis für das alles geeinigt.« Mit weit ausholender Armbewegung wies ich auf meine im Bau befindliche Festung. »Das ist geklärt.«

»Können wir sonst noch was machen?«

Ich sah ihm in die Augen und legte Gewicht in meinen Blick.

»Ja. Sie können Ihre Familie herbringen. Paul, hören Sie: Mit Familie meine ich alle – Ihre Familie und die von Thomas. Und nahe Freunde, Leute, an denen Ihnen liegt. Leute, die verletzt oder bedroht werden könnten, um Druck auf Sie auszuüben. Verstehen Sie?«

Er wäre fast rückwärts gestolpert. Vielleicht hatte ich etwas übertrieben, aber es war wichtig.

»Ja, das kann ich machen.«

»Gut. Erledigen Sie das sofort. Ich behalte Jason hier. Er kann meinem Sohn und mir bei den Vorbereitungen helfen.«

»Worauf?«, fragte er.

»Auf eine Belagerung.«

»Eine was?«

»Paul, wir haben nicht viel Zeit. Kate wird tun, was sie tut. Sie wird ein paar sehr gefährlichen Typen einige sehr gezielte Fragen dazu stellen, wer Ihren Neffen entführt hat und warum. Dabei werden sicher Leute verletzt; womöglich sterben einige. Deren Freunde werden Rache üben wollen und nach ihr suchen. Und nach Ihnen. Und Ihrer Familie. Wenn Sie und Ihre Leute hier sind, kann ich dafür sorgen, dass alle in Sicherheit sind. Also gehen Sie sie bitte holen. Sofort.«

Er ging ohne weitere Fragen. Jetzt musste ich Conlan finden. Wir hatten viel zu tun, und ich musste ihm einiges erklären.

Der Wind wehte vom Meer. Ich folge seinem Geruch zu einem Seil, das an einem angeschwemmten Baum vertäut war. Am anderen Ende des Seils, etwa zwölf Meter entfernt, schwamm ein »Boot«, das mein Sohn gefunden und repariert hatte.

Grendel sah sich bei meinem Näherkommen um, erkannte mich und legte sich ins Boot, sodass nur seine Augen noch zu sehen waren. Grendel war ein ungewöhnlich kluger Hund.

Die Jungen wandten mir den Rücken zu und starrten aufs Meer und auf die Abenteuer, die sie dort erwarteten. Ich zerrte am Seil. Kräftig.

Das Boot schaukelte zurück an den Strand.

Ehe es auf Grund lief, landete Conlan schon mit einem Sprung im Sand.

»Wow!«, rief Jason. »Dein Dad ist echt stark!«

»Und leise«, sagte Conlan und wandte sich an mich. »Ich habe nicht gemerkt, dass du gekommen bist.«

»Das solltest du auch nicht. Wir können reden, während du das Bauholz vor der Festung wegschaffst.«

»Gibt es Schwierigkeiten? Ich wollte dir keine Probleme bereiten.« Jason wandte sich an mich. »Ich kann nach Hause gehen, Mr Lennart.«

Ich glaubte nicht daran, dass man Kinder belügen soll.

»Niemand steckt in Schwierigkeiten, Jason. Du bleibst hier. Meine Frau wird deinen Bruder finden. Den Leuten, die ihn verschleppt haben, wird das nicht gefallen, und sie werden heute Abend auftauchen, um Vergeltung zu üben.«

Goldenes Licht glitt über Conlans Augen.

»Dazu kommen wir noch«, sagte ich zu ihm. »Aber wenn wir Gäste erwarten, auch ungeladene Besucher, müssen wir aufräumen. Vor der Mauer sieht es furchtbar aus.«

»Wir machen für böse Leute sauber?«, fragte Jason.

Er war jung und hatte zuletzt viel durchgemacht, darum konnte ich ihm nicht vorwerfen, dass er Schwierigkeiten hatte, mitzukommen. Das war in Ordnung, denn mein Sohn verstand mich ja.

»Er meint, dass es sonst viele Orte gibt, an denen die bösen Leute sich verstecken können. Er möchte aber sehen, wie sie sich anschleichen.«

Jasons Miene zeugte von allmählichem Begreifen. »Meine Familie …«

»Ist hinter diesen Mauern in Sicherheit. Dein Vater holt sie gerade. Alles wird gut. Unterdessen kannst du uns helfen, fertig zu werden.«

2

KATE

Wenn Menschen den Weltuntergang prophezeiten, dann immer in der Erwartung, er werde schnell geschehen. Sicher, es würde Kriege, Naturkatastrophen und andere Vorankündigungen geben, die sich hinziehen mochten, aber das eigentliche Weltende würde kurz sein. Ein Feuerregen, ein Atompilz, ein Meteor, ein katastrophaler Vulkanausbruch … Und als die Magie uns das erste Mal traf, bewirkte sie genau das Erwartete.

Flugzeuge fielen vom Himmel. Die Stromversorgung brach zusammen. Schusswaffen funktionierten nicht mehr. Normale Menschen verwandelten sich in Ungeheuer oder sandten von den Fingerkuppen Blitze aus. Gefräßige mythische Kreaturen entstanden aus dem Nichts. Drei Tage wütete die Magie, dann verschwand sie und hinterließ Berge von Verlusten. Und als die Welt mühsam versuchte, die Teile wieder zusammenzulesen, kehrte die Magie zurück, und das langsame Anrücken des Untergangs begann.

Wir nannten diesen ersten magischen Tsunami die Wende und alles danach die Post-Wende. Magie flutete unsere Welt in Wogen, unangekündigt, Technologie erstickend, Wolkenkratzer zu Staub zermahlend und langsam, aber sicher die Grundstruktur unseres Daseins verändernd. Landschaft, Klima, Tier- und Pflanzenwelt, Menschen – nichts blieb unberührt. Niemand konnte vorhersagen, wie lange die Wogen anhalten oder wie intensiv sie sein würden. Im Laufe des letzten halben Jahrhunderts hatten wir gelernt, damit zu leben.

Wilmington war es besser ergangen als den meisten Städten, sicher besser als Atlanta, der Stadt, aus der wir kamen. Zum einen war der Ort ein gutes Jahrhundert älter, und Alter half. Zum anderen war er nicht annähernd so hoch und prächtig erbaut wie Atlanta, wo die einst glitzernden Bürotürme und Hochhäuser in Trümmern lagen. Magie hatte auch diesem Ort schweren Schaden zugefügt, ihn aber nicht völlig verwüstet.

Doch Wilmington war nicht ungeschoren davongekommen. Einige größere Gebäude waren zusammengebrochen. Die Cape Fear Memorial Bridge existierte nicht mehr. Sie war schon bei der ersten Magiewoge eingestürzt. Das Murchison Building war immer poröser geworden und schließlich in sich zusammengesunken. Der Turm der First Baptist Church – einst höchster Punkt der Stadt – war eines Tages abgebrochen und auf die Straße gekracht, wobei mehrere Leute umgekommen waren. Den größten Schaden aber hatten Fluten angerichtet.

Der Meeresspiegel war angestiegen, sei es wegen der globalen Erwärmung vor der Wende, sei es aufgrund magischer Vorfälle, die niemand ganz verstand. Inzwischen sahen Teile der Stadt aus wie Venedig, und die Brücken dort waren manchmal solide, manchmal aber auch zusammengebastelt aus den Materialien, die gerade zur Hand gewesen waren. Und überall gab es Kanäle, Teiche und Sumpfgebiete.

Thomas und ich ritten nun über eine dieser Brücken, und die Hufschläge ließen das ramponierte Holz dröhnen. Er ritt eine alte kastanienbraune Stute, während ich auf Cuddles unterwegs war. Bei seiner ersten Begegnung mit dem Tier hatte Thomas es schräg gemustert. Cuddles war drei Meter hoch (die sechzig Zentimeter langen Ohren eingerechnet) und voller schwarzer und weißer Flecken. Und es handelte sich um einen Esel, um eine riesige Eselstute, um genau zu sein.

Pferde haben Vorteile, sind aber meist schreckhaft. Einmal ritt ich mit Cuddles über eine wacklige Brücke voller magischer Schlangen. Sie stapfte einfach über die zischenden Reptilien hinweg, als wären sie gar nicht da, und tänzelte, als wir wieder festen Boden erreichten.

Leider vermochte Cuddles Thomas nicht das Gefühl zu geben, dass ich knallhart war. Ihm Informationen zu entlocken, war wie Zähne ziehen. Er misstraute mir komplett, und als er nun neben mir ritt, zeigte seine ganze Körpersprache, dass er es für eine äußerst schlechte Idee hielt, sich mit mir zu diesem Abenteuer aufgemacht zu haben.