Stadt der Geheimnisse - Stewart O′Nan - E-Book

Stadt der Geheimnisse E-Book

Stewart O'Nan

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Beschreibung

Jerusalem, 1947: Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, die Staatsgründung Israels steht unmittelbar bevor. Jossi Brand hat nichts mehr zu verlieren: Seine gesamte Familie, lettische Juden, wurde in Riga von den Deutschen ermordet. Er beschließt, Mitglied der zionistischen Untergrundorganisation Hagana zu werden, aus der nach der Staatsgründung die israelische Armee hervorgehen wird, reist nach Palästina und heuert in Jerusalem als Taxifahrer an. Seine Auftraggeber kennt er nicht, aber ihm ist klar, dass er nicht nur Touristen durch die Goldene Stadt kutschiert, sondern auch Männer, die Bomben im Handgepäck haben. Seine Kontaktperson ist die Prostituierte Eva, in die er sich wider besseres Wissen verliebt. Eva beschützt ihn, sie warnt ihn vor Attentaten. Doch als eine Bombe im berühmten Jerusalemer King David Hotel platziert wird, hört Brand nicht auf sie und setzt alles aufs Spiel. Stewart O'Nan setzt diese Geschichte spannungsvoll in Szene. Von der amerikanischen Presse wurde er deshalb mit John Le Carré, Joseph Conrad und Graham Greene verglichen. Das schillernde Jerusalem der vierziger Jahre wirkt schon nach wenigen Seiten ungeheuer vertraut. Und die moralischen Fragen, die der Roman aufwirft, bleiben einem lange im Gedächtnis

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Seitenzahl: 253

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Stewart O'Nan

Stadt der Geheimnisse

Roman

Aus dem Englischen von Thomas Gunkel

Über dieses Buch

Ein Spionageroman, der in Jerusalem spielt, 1947: Die Staatsgründung Israels steht unmittelbar bevor. Jossi Brand beschließt, Mitglied der zionistischen Untergrundorganisation Hagana zu werden, aus der später die israelische Armee hervorgehen wird. Er reist nach Palästina und heuert in Jerusalem als Taxifahrer an. Seine Auftraggeber kennt er nicht, aber ihm ist klar, dass er nicht nur Touristen durch die Goldene Stadt kutschiert. Seine Kontaktperson ist die Prostituierte Eva, in die er sich wider besseres Wissen verliebt. Eva beschützt ihn, sie warnt ihn vor Attentaten. Doch als eine Bombe im berühmten Jerusalemer King David Hotel platziert wird, hört Brand nicht auf sie und setzt alles aufs Spiel.

Vita

Stewart O’Nan wurde 1961 in Pittsburgh/Pennsylvania geboren und wuchs in Boston auf. Er arbeitete als Flugzeugingenieur und studierte an der Cornell University Literaturwissenschaft. Heute lebt er wieder in Pittsburgh. Für seinen Erstlingsroman «Engel im Schnee» erhielt er 1993 den William-Faulkner-Preis. Auch für seine beiden Romane «Die Chance» und «Westlich des Sunset» wurde er von der Kritik gefeiert und eroberte sich auch in Deutschland eine große Leserschaft.

Wiederum für Trudy

Der Engel des Vergessens ist ein gesegnetes Wesen.

MENACHEM BEGIN

1

Als der Krieg kam, hatte Brand Glück: weil er jung war und, im Gegensatz zu seiner Frau Katja, seinen Eltern und seiner kleinen Schwester Giggi, auch im Gegensatz zu seinen Großeltern, Tanten, Onkeln, Cousins und Cousinen, Motoren reparieren konnte, blieb ihm der Tod erspart. Als Lette und Jude wurde er zuerst von den Russen, dann von den Deutschen, dann wieder von den Russen interniert. Durch Zufall blieb er am Leben. Obwohl er die Versuchung fast täglich (meistens nachts) verspürte, war er doch nicht fatalistisch genug, dieses Geschenk zurückzugeben. Ohne ein Zuhause, in das er zurückkehren, oder Gräber, an denen er das Andenken der Toten hochhalten konnte, heuerte er im Nachkriegswinter auf einem maltesischen Frachter an und landete in Jerusalem, womit er den Lebenstraum seiner Mutter verwirklichte. In ihrem Esszimmer in Riga hatte eine schlechte Lithographie der ummauerten Stadt gehangen, die darauf wie eine Festung aus Drei Fremdenlegionäre aussah, ihre Steinmauern golden im numinosen Wüstenlicht. Am Ende des Seder hatte sein Großvater Udelson der Abbildung immer zugeprostet. «Nächstes Jahr in Jerusalem.» Für Brand war es nächstes Jahr, aber ohne die Annehmlichkeit.

Wie so viele Flüchtlinge fuhr er ein Taxi, das, wie auch seine Papiere, vom Untergrund bereitgestellt wurde. Sein neuer Name war Jossi. Er hatte die Aufgabe zuzuhören – auch das ein Glück, denn als ehemaliger Kriegsgefangener hatte er damit jahrelange Erfahrung. Mit seinem blonden Haar und seinem Grundschul-Hebräisch wirkte er vertrauenswürdig. Die britischen Soldaten, die seligen Pilger, die glotzenden Touristen, alle wollten sie reden. Sie sprachen mit ihm, als wäre er begriffsstutzig, beugten sich nah an sein Ohr und formten jede einzelne Silbe.

Wo er herkomme? Was er von den Prozessen halte? Wie es ihm gefalle, in Jerusalem zu leben?

Statt «Es ist besser als in den Lagern» oder «Ich freue mich, am Leben zu sein» oder, ehrlicherweise, «Ich weiß nicht», sagte der Mann, der er zu sein vorgab: «Es gefällt mir gut.»

Die Stadt war ein aus Symbolen zusammengesetztes Puzzle, ein Durcheinander aus Alt und Neu, aus Panzerwagen und Eseln in den Straßen, aus Beduinen und Bankiers. Die prachtvollen griechischen und russischen Prozessionen, die Türken und die Charedim, alle schienen kostümiert zu sein und eine wundersame Vergangenheit nachzustellen. Sogar die Steine waren gebraucht, man hatte sie gereinigt und willkürlich eingefügt, ihre römischen Inschriften auf den Kopf gestellt. Es war Regenzeit, und die Mauern waren grau statt golden, in den Souks wimmelte es von Ratten. Der Ostwind peitschte die Pappeln und Olivenbäume, wirbelte in den Sackgassen Müll auf und ließ die Fenster klappern. Brand hatte im Krieg zu viel Gewicht verloren und fror ständig. Wenn ihm das Kerosin ausging, brachte ihm sein Kontaktmann Asher einen Kanister, den er von den Besatzern gestohlen hatte. Nachts flackerten die Straßenlaternen, und der Strom fiel aus. Von seiner Unterkunft in der Nähe der Bahnhofstraße aus überblickte man den armenischen Friedhof, wo die Huren nach dem Schließen der Bars mit den Soldaten hingingen und ihre Taschenlampen sich zwischen den Grüften entlangschlängelten. Der Regen fiel auf die Kuppeln und Glockentürme und Minarette, füllte die alten Zisternen unter der Altstadt auf, fiel auf den Skopusberg und den Ölberg und die Wüste dahinter, und der Donner grollte über dem Toten Meer. Die Feuchtigkeit erinnerte Brand an den Rübenkeller seiner Großmutter. Als Kind hatte er stets Angst gehabt, die Tür am oberen Ende der holprigen Treppe könnte durch ihr eigenes Gewicht zuschlagen, und der Riegel könnte einrasten und ihn im Dunkeln einsperren. Jetzt stellte er sich vor, wie seine Großmutter sich dort mit schmutzigen Wangen versteckte und von eingekochten Rüben und Meerrettich lebte, aber das konnte natürlich nicht sein. Das Haus, die Stadt, das gesamte Land existierte nicht mehr.

Wenn ihn seine Träume und die Blitze nachts manchmal nicht schlafen ließen, kleidete er sich an, ging zu seinem Taxi hinunter, einem alten Peugeot, den er immer spiegelblank polierte, und fuhr, als wollte er einen Fahrgast abholen, durch den Kontrollposten am Zionstor in die Altstadt, um die Witwe zu besuchen. Sie hieß Eva, aber als Asher sie ihm empfohlen hatte, hatte er sie «die Witwe» genannt, als wäre es ein Deckname, und obwohl Brand selbst Witwer war, bekam er es nicht aus dem Kopf. Sie würde immer einem anderen gehören, ihre tote Liebe privat, unantastbar.

Wie kam es, dass er nach allem immer noch stolz war? Es gab Schlimmeres, als der Zweitbeste zu sein.

Eva, seine neue Julia, seine neue Eva. Aus Wilna, dem Jerusalem des Nordens, mit weltläufiger Verachtung für das rückständige Lettland. Sie war mehr als zehn Jahre älter als Brand, hatte Tränensäcke unter den Augen, und ihr pechschwarzes Haar war von Grau durchzogen. Vor dem Krieg war sie Schauspielerin gewesen, bekannt für ihre Nora und Lady Macbeth. Sie wünschte, sie hätte ihm ihre Zeitungsausschnitte zeigen können. Im richtigen Licht konnte er sehen, dass sie einmal eine Schönheit gewesen war, das dunkle Haar und die himmelblauen Augen, hohe Wangenknochen und üppige Lippen, doch an einem Mundwinkel war eine tiefe Narbe schlecht verheilt, der Nerv durchtrennt, sodass die eine Gesichtshälfte in übertriebener Düsterkeit herabhing wie eine Maske der Tragik. Genau wie Brand hasste sie die Russen und Deutschen gleichermaßen, unumschränkt. In ihrer Zelle galt sie als Lachnummer, als zugrunde gerichtete Frau, nur für eins zu gebrauchen. Wenn sie trank, schimpfte sie auf die Welt und bezeichnete alle Männer als Schweine.

«Du nicht», sagte sie. «Du bist wie ich.»

Wie denn?, hätte er am liebsten gefragt, fürchtete sich jedoch vor der Antwort.

Wenn sie nach dem Beischlaf oder beim Frühstück an ihrem kleinen Tisch weinte, wusste er, dass es wegen ihres Mannes war, dessen Namen sie nicht verraten wollte. Brand hatte kein Geld, und sie hatten eine lockere Vereinbarung getroffen, die er schon bald bereute. Ihm war verboten, das Wort Liebe auszusprechen, beim ersten Anzeichen von Romantik würde sie ihn verbannen. Sie gehörte ihm nicht, war nur eine Kameradin. Sie brachte ihm nach und nach Hebräisch und Englisch bei, berichtigte mit ihrer perfekten Aussprache seine anfängerhaften Versuche, als wollte sie ihn für die Bühne ausbilden. Im Gegenzug kutschierte er sie zu ihren Verabredungen, wartete diskret auf der anderen Straßenseite, wo er rauchte und Zeitung las, und er bemühte sich, nicht an Katja zu denken, auch wenn ihn die Erinnerung an sie in den Lagern und während der langen sternenbeschienenen Wachen auf See aufrechterhalten hatte. Nach Katja hatte alles, was ihm zustieß, keine Bedeutung mehr. Die Welt war nicht die Welt.

An diesem Abend ging es am Zionstor kaum voran, der Verkehr staute sich die Mauer entlang, und der Regen fiel in langen Nadeln durch den roten Abgasdunst. Die Schlange war zum Stehen gebracht worden. Im starken Licht der Scheinwerfer, die von den mit Sandsäcken befestigten Wällen herab leuchteten, gingen Soldaten mit Hunden von Auto zu Auto, öffneten Türen und zerrten Leute heraus. Die Polizei hatte seit Wochen keine Ausgangssperre verhängt. Es musste etwas vorgefallen sein, doch im Radio wurde nichts durchgegeben. Er versuchte den Untergrundsender am anderen Ende der Anzeige hereinzubekommen, hörte aber nur lautes Rauschen.

Weiter vorn filzte ein Soldat mit Maschinenpistole einen graubärtigen Araber in voller Tracht und Kopfbedeckung, während ein Hund im Innern des Wagens herumschnüffelte, eine schwere Beleidigung, falls der Mann Moslem war, weil Hunde als unrein galten. Es war aber durchaus möglich, dass er Christ war; viele von ihnen waren Christen. Da Brand ja aus Europa hierher verpflanzt worden war, konnte er die Leute nicht auseinanderhalten. Es machte ihm eher Sorgen, dass der Hund seine Sitze verschmutzen könnte, und er wünschte, er hätte die Zeitung nicht weggeworfen. Zum Umdrehen war es zu spät, er machte den Motor aus, um Benzin zu sparen.

Seine Papiere waren gefälscht, wie auch der Fahrzeugschein des Peugeot, der Wagen selbst in Tel Aviv gestohlen, neu lackiert und mit dem doppelbödigen Kofferraum eines Schmugglers ausgestattet. Falls man Brand zum Verhör mitnehmen würde, hätte er keine Rechtfertigung. Man würde ihn als Illegalen und Dieb verhaften, ihn vernehmen, dann einsperren oder abschieben. Doch bislang – wenn er angehalten wurde und all die Kontrollposten tapfer ertrug – hatte die Polizei noch nie etwas auszusetzen gehabt. Während seine Papiere – wie sein gegenwärtiges Leben, könnte er sagen – passable Fälschungen waren, war seine Taxilizenz, eine an der vorderen Stoßstange befestigte Metallplakette, die viel schwerer zu bekommen war als die Papiere, völlig echt. Und dennoch, da er schon mal verhaftet worden war – als er in Riga an seinem Tisch in seinem Lieblingscafé gesessen hatte –, wusste er, dass man als Jude nirgends sicher war.

Der Hund kletterte mit heraushängender Zunge aus dem Wagen des Arabers. Der Soldat mit der Waffe gab dem Mann ein Zeichen, den Kofferraum zu öffnen. Einen Augenblick rechnete Brand damit, dass sich jemand darin befand – ein Attentäter vielleicht –, dass die Person mit einer Pistole herausspringen und in die Dunkelheit rennen würde, nur um von einer Gewehrsalve niedergemäht zu werden. Doch da war nichts, bloß ein Ersatzreifen und ein Pappkarton, aus dem der Soldat ein Knäuel bestickter Halstücher, die bei den Touristen beliebt waren, in den Schlamm kippte. Als er mit dem Lauf darin herumstocherte, wandte der Araber den Kopf und spuckte aus. Bevor er sich wieder umdrehen konnte, trat der Soldat mit dem Hund vor und schlug dem Mann mit einem Gummiknüppel ins Gesicht, woraufhin er zu Boden stürzte.

Der Hund stürmte knurrend mit gefletschten Zähnen heran, und als der Alte im Schmutz zurückkroch, sah er Brand – oder bildete er sich das bloß ein? – einen Moment mit flehendem Blick an, als könnte er ihn retten.

Tut mir leid, dachte Brand und biss sich auf die Lippe, als würde er noch überlegen. Du hättest nicht ausspucken sollen.

Der Tommy zerrte den Hund am Halsband zurück. Ein Trupp Männer kam angerannt, hievte den Alten hoch, schleifte ihn blutend, das Gewand verschmutzt, weg und ließ den Haufen Halstücher und eine einzelne Sandale zurück. Der Soldat mit der Waffe fuhr den Wagen von der Straße und ließ ihn mit offenem Kofferraum stehen.

Brand rollte vor, bis die Halstücher unter seinem Wagen verschwanden, und kurbelte das Fenster herunter. Der Soldat mit dem Hund blieb vor dem Wagen stehen und notierte seine Plakettennummer.

«Papiere.»

Brand reichte sie ihm. Der Hund hechelte, weißen Schaum auf der Zunge. Im silbernen Licht war sein Atem eine Wolke. Im Lager hatte er gesehen, wie ein Wachhund ein Kleinkind wie eine Puppe schüttelte. Er würde Hunden nie wieder trauen.

«Wohin wollen Sie?»

Anders als Brand sprach der Tommy fehlerfreies Hebräisch. Es war stets ein Schock zu denken, dass ein Jude brutal sein konnte, geschweige denn sein Feind.

«Ins jüdische Viertel.»

«Weshalb?»

«Ich hab da einen Fahrgast.»

«Welche Adresse?»

Es gab keinen Grund zu lügen. Er tat es trotzdem. «Beersheba Street 17.»

Der Soldat gab ihm seine Papiere zurück.

«Sie können fahren.»

«Danke», sagte Brand und benutzte dann, als er längst an ihm vorbei und das Fenster geschlossen war, ein neues Wort, das ihm Eva beigebracht hatte: «Wichser.»

Die Straße war von verlassenen Wagen gesäumt, die Türen und Kofferraumklappen offen, Taschen und Kleidung auf dem Boden verstreut wie Müll. Die Araber mussten eine große Sache durchgezogen haben, denn als er das Tor erreichte, lud die Polizei gerade ein Dutzend von ihnen in einen sandfarbenen Bus mit Maschendraht vor den Fenstern. Am Ende der Reihe schlurfte der Alte mit gesenktem Kopf hinter den anderen her.

Innerhalb der Mauern war das armenische Viertel dunkel, die Eisengitter der Cafés an der Street of the Martyrs für die Nacht verriegelt. Das Radio brachte nichts, das war typisch. Die Mandatsregierung posaunte ihre Niederlagen nicht aus, nur die glorreiche Großherzigkeit des Empires. Morgen würde er in der Post davon lesen, mit dem obligatorischen Leitartikel, der sowohl die Araber als auch die Briten verurteilte, als hätte sich ihre eigene Lage irgendwie verbessert.

Brand fand den ständigen politischen Aktionismus so ermüdend wie den Regen, und als er in die Street of the Jews bog, konnte er nirgends parken. Während er auf der Suche nach einer Parklücke die Hurva-Synagoge umkreiste, musste er die ganze Zeit an das Gesicht des Alten denken. Was sollte Brand tun? Sein Vater und seine Mutter hatten sich wahrscheinlich genauso beklagt. Doch niemand hatte sie gerettet. An einem verschneiten Tag, während sich Brand um die stockenden Pressen eines requirierten Stanzwerks gekümmert hatte, hatten die Deutschen die Juden von Riga in den Krähenwald marschieren lassen und dort erschossen. Nicht massenweise, sondern einen nach dem anderen, jedes neue Opfer musste sich nackt, mit dem Gesicht nach unten, zwischen die Beine des Vorgängers legen, bevor man ihm hinterm Ohr eine einzige Kugel in den Kopf jagte, wodurch man nicht nur ihren Widerstandsgeist brechen, sondern auch Platz sparen wollte. Er versuchte das Bild von Katja in der Grube zu verscheuchen, indem er das Lenkrad drückte, als wollte er es zerquetschen, bis ihm die Fingerknöchel wehtaten und er den Alten und den Soldaten verfluchte, weil sie die Erinnerung ausgelöst hatten. Es war spät, und er fror. Er wollte bloß noch in Evas warmem Bett liegen und schlafen.

Einen Block weiter endeten die Straßen. Wie fast die gesamte Altstadt war das Viertel abgeschottet, ein Gewirr aus Stein. Vor einem Gebäude, das ein römisches Badehaus sein sollte, fand er eine Parklücke, tauchte in den nächsten Durchgang und schlängelte sich zurück durch das Labyrinth aus gepflasterten Gassen und feuchten Stufen, das im Dunkeln trügerisch war. Das einzige Geräusch war das Rauschen der Fallrohre, deren kostbares Abflusswasser den Rinnstein entlangströmte und durch die Gullyroste in die verborgenen Zisternen stürzte. In manchen Nächten hatte Brand, wenn er das schattige Labyrinth mit den Gewölbegängen, Höfen und Basaren durchquerte, das Gefühl, in die Vergangenheit gereist zu sein. Andere Male, wenn er halb betrunken und ungeheuer dankbar, am Leben zu sein, zu ihr kam und das freudige Geheimnis seiner kurzsichtigen, unmöglichen Liebe hütete, sah er sich in ein exotisches Abenteuer verwickelt. Er wusste, dass beides bloß Trugbilder waren, wusste genau, warum er sie brauchte. Er war kein Held, kein Romeo, nur ein Narr, vom Engel des Vergessens noch unberührt. Als er die lange Arkade des Marktes mit den verschlossenen Buden entlangging und durch das Bogentor hinter Evas Pension trat, bezeugte die Lampe in ihrem Fenster, die signalisierte, dass sie beschäftigt war, seinen wahren Platz in der Welt.

Er würde warten. Es war zu spät, um stolz zu sein. Er hatte es schon öfter getan, bei schlechterem Wetter. In seiner Wohnung wartete nur der letzte Rest einer Flasche Arrak, und er musste am nächsten Tag aufstehen und fahren.

Weiter unten gab es unter der Markise eines Blechschmieds eine trockene Nische. Aus dem Schatten konnte er ihre Tür beobachten. Er steuerte darauf zu, nur um die flackernde Glut einer Zigarette zu entdecken.

«Jossi», raunte eine bekannte Stimme, und das Mondgesicht von Lipschitz tauchte aus der Dunkelheit auf – seine dicke Brille und seine Schweinsbäckchen, der feuchte Schimmer von Zähnen. «Asher hat gesagt, du würdest kommen.»

Brand konnte Lipschitz ganz gut leiden, aber er würde auf keinen Fall Schlange stehen. «Ich komm ein andermal wieder.»

«Wir haben versucht, deine Vermieterin anzurufen.»

«Ist schon okay.»

Lipschitz schüttelte den Kopf. «Es geht nicht darum. Wir brauchen deinen Wagen.» Er deutete mit seiner Zigarette auf die Tür. «Das Passwort lautet ‹Hiskia›.»

Worum es auch gehen mochte, dachte Brand, nach allem, was am Kontrollposten passiert war, konnte es nichts Gutes sein. Und es war schlampig, schlecht geplant. Lipschitz, der so gut wie nichts sehen konnte, war ihre Wache.

Als Brand klopfte, war es nicht Ashers Stimme, die nach dem Passwort fragte, sondern die eines Franzosen. Der Mann, der die Tür öffnete, war stämmig wie ein Holzfäller, hatte buschige rote Brauen und einen rostfarbenen Bart und hielt eine kleine Pistole in der Hand, die er wieder in die Manteltasche steckte. Das war ein schwerer Verstoß gegen das Protokoll. Um die Bewegung zu schützen, kannte man nur die Mitglieder seiner eigenen Zelle. Keiner von beiden verlor darüber ein Wort, während der Franzose ihn die Treppe hinaufführte.

«Dein Taxi ist da», verkündete der Mann und schloss hinter Brand die Tür.

«Jossi», rief Asher aus dem Schlafzimmer. «Komm her.»

Der Lampenschirm und die Decke lagen auf dem Boden. Im grellen Licht der nackten Glühbirne hielten Eva und Asher auf dem Bett, das er mit ihr hatte teilen wollen, einen Mann mit nacktem Oberkörper fest, der dunkelhäutig wie ein Araber war. Die weißen Laken waren voller Blut – das ganze Zimmer stank danach. Der Mann stöhnte mit geschlossenen Augen und rollte den Kopf auf dem Kissen hin und her.

«Hier rüber», sagte Asher und deutete mit dem Kinn. Silberhaarig und gut in Form, erinnerte er Brand an seinen letzten Schiffskapitän, der Portwein und Schach geliebt hatte. Seine Hände waren damit beschäftigt, ein blutverschmiertes Handtuch auf den Bauch das Mannes zu drücken. «Halt das mal.»

Asher stand auf und krümmte sich, damit Brand unter ihm hindurchtauchen und seinen Platz einnehmen konnte. Das Handtuch war feucht und erstaunlich warm. Als Brand es auf die Wunde drückte, ächzte der Mann, verkrampfte sich und strampelte mit den Beinen.

«Du musst es fest draufdrücken», sagte Eva. Sie hielt ein weiteres Handtuch an die Schulter des Mannes, während Asher zur Kommode ging und einen Mullverband aufriss. Er zog weißes Klebeband von einer Rolle und schnitt es mit einer Schere ab.

Trotz seiner dunklen Haut trug der Mann eine Kette mit einem goldenen Davidstern und hatte einen aufgerichteten Löwen auf den Bizeps tätowiert. Über seinem rechten Auge verzweigte sich eine wulstige Narbe, die wie der Buchstabe Jod geformt war. Wahrscheinlich ein Sabra, hier geboren. Die waren angeblich am grimmigsten, denn sie kämpften um ihre Heimat, nicht für das Hirngespinst irgendeines bourgeoisen Aschkenasen.

«Wer ist das?», fragte Brand.

Keiner von beiden sagte ein Wort, und er erkannte seinen Fehler.

Asher beugte sich über ihn, an seinem Arm hingen geringelte Klebebandwürmer. Er schob Brands Hand zur Seite, um sich die Wunde anzusehen, in der klaffenden Haut prangte ein dunkler Blutfleck. Das Loch kann nur von einem Schuss stammen, dachte Brand, offenbar ein großes Kaliber. Asher drückte Verbandsmull hinein, woraufhin sich der Mann krümmte, deckte das Ganze mit einer weiteren Kompresse ab und klebte sie fest. «Heute Nacht ist er dein Bruder.»

«Tut mir leid.»

«Ist schon in Ordnung. Denk einfach nach.»

Asher tippte sich an die Schläfe.

«Wirf das Handtuch in den Waschbottich», sagte Eva. «Und lass Wasser darüberlaufen.»

Die Schulter sah nicht so schlimm aus, denn es war ein sauberer Durchschuss, der den Knochen verfehlt hatte. Asher und Eva beugten sich darüber, arbeiteten wie Arzt und Krankenschwester, und Brand fragte sich, wie viel praktische Erfahrung sie hatten und wie der Mann hier gelandet war.

Brand war erleichtert, da er dachte, sie seien fertig.

«Steh nicht bloß da», sagte Eva. «Hilf uns, ihn rumzurollen.»

Dabei sah Brand die Austrittswunde.

Der Verbandsmull reichte nicht aus. Asher versorgte die Wunde so gut wie möglich mit einem Geschirrtuch, das er mit langen Klebebandstreifen befestigte. Der Mann hatte das Bewusstsein verloren. Sie setzten ihn auf, um ihm Ashers Unterhemd über den Kopf zu ziehen. Das Blut sickerte bereits durch.

«Gib mir deinen Pullover», sagte Asher.

Brand konnte nicht protestieren, zögerte aber.

«Ich besorg dir einen anderen», sagte Asher und steckte die Arme des Mannes in die Ärmel. Er war ihm viel zu groß. «Stellt ihn auf.»

«Wohin fahren wir mit ihm?»

«Du bringst ihn ins belgische Hospiz. Da erwartet dich ein Arzt.»

«Mein Wagen steht hinter der Synagoge.»

«Du musst ihn holen.»

Eva wollte seinen Platz einnehmen, doch Asher sagte, sie solle Brand begleiten, und rief den Franzosen herauf. Brand würde den Wagen herholen, und sie würde hereinkommen und dem Franzosen sagen, dass er bereitstand.

Draußen umschloss sie die Dunkelheit, eine Erleichterung. Lipschitz hielt blinzelnd in seiner Nische Wache. Sie gingen an ihm vorbei, als wäre er unsichtbar.

Brand gefiel die Sache nicht. Es machte ihn nervös, da er bloß ein Kurier war. Ohne seinen Pullover fror er, und seine Finger waren klebrig vom Blut. Er wünschte, er wäre im Bett geblieben, und gab dem Regen die Schuld.

Auf dem Markt zog Eva seinen Arm um sich, und sie gingen wie Verliebte, eine leicht durchschaubare Tarnung. «Ich hab versucht anzurufen.»

«Hat Lipschitz gesagt.»

«Sei nicht wütend.»

«Warum sollte ich wütend sein?»

«Du hast deine Sache gut gemacht», sagte sie.

«Wirklich?»

«Du hattest keine Angst. Du hast geholfen.»

«Kommt so was oft vor?»

«Es ist nicht das erste Mal, falls du das meinst.»

Er war still, und sie reckte sich und küsste ihn als Entschuldigung auf die Wange. «So oft kommt es nicht vor.»

«Hoffentlich nicht.»

«Aber wenn es passiert, müssen wir bereit sein.»

Er begriff, auch wenn er bei dem Wort «wir» zusammenzuckte. Wie von jedem in der Zelle wurde von ihr erwartet, dass sie ihre Wohnung ohne vorherige Ankündigung in einen geheimen Unterschlupf verwandelte. Er würde dasselbe tun, und dennoch, wenn er daran dachte, wie sie und Asher zusammengearbeitet hatten, während er selbst mit dem Handtuch wie ein Idiot dastand, war er eifersüchtig. Er war nicht mutig gewesen, er hatte Angst gehabt, so wie er bei dem Alten am Kontrollposten ein Feigling gewesen war. In den Lagern hatte er gelernt, tatenlos zuzusehen. Das hatte ihm das Leben gerettet und ihn unnütz gemacht. Wenn er hergekommen war, um sich zu ändern, musste er besser werden.

Weiter vorn liefen die Gassen an einem Brunnen zusammen.

«Wo hinter der Synagoge?», fragte Eva.

«Bei den Bädern.»

Sie kannte einen schnelleren Weg und ging mit ihm über den Blumenmarkt, die Steine übersät mit Stängeln und welken Blüten. Ein Gartentor führte zu einem Park mit rauschenden Zypressen, deren reger Schatten sie verbarg. An seinem Eingang bogen sie rechts unter einem Bogen hindurch, wandten sich dann nach links, in einen von Mülltonnen gesäumten Durchgang, und kamen neben den Bädern heraus. Er rechnete mit einem patrouillierenden Panzerwagen, dessen Suchscheinwerfer über die Ladenfassaden glitt, doch die Straße war leer.

Als er den Schlüssel ins Schloss steckte, erklang jenseits der Stadtmauer das Glockenspiel des YMCA und schlug zwei. Er hätte nicht gedacht, dass es schon so spät war.

Eva setzte sich wie ein Fahrgast nach hinten. Es war niemand zu sehen, bis sie in ihre Straße bogen, wo zwei Scheinwerfer, die aus der entgegengesetzten Richtung kamen, herausfordernd leuchteten. Für einen Panzerwagen saßen die Lichter zu niedrig, vielleicht handelte es sich um einen Kampfjeep, der noch von El Alamein übriggeblieben war.

Doch es war bloß ein anderes Taxi, das durchzukommen versuchte. Brand stieß zurück und ließ es vorbei, hielt dann an der Einmündung ihrer Gasse.

Eva beugte sich vor, als würde sie bezahlen, und küsste sein Ohr. «Sei vorsichtig.»

«Du auch.»

Als er allein war, schaltete er das Radio ein. Nichts als Rauschen und, ganz leise, amerikanische Tanzmusik aus Kairo – Rasseln und eine schlängelige Klarinette. That old black magic has me in its spell, that old black magic that you weave so well. Manchmal schoben sie in ihrem Wohnzimmer den Tisch beiseite und tanzten zum Grammophon, und er dachte wieder, dass er im warmen Bett liegen und schlafen sollte, dass all das nur ein böser Traum war. Er blickte in den Rückspiegel, als könnte sich jemand anschleichen. Wenn er das Licht ausschaltete, würde er bloß noch mehr auffallen, deshalb saß er mit eingeschalteten Scheibenwischern da und vergeudete Benzin. Er beobachtete, wie der Regen die Pfützen kräuselte. Zwischen der Straße und ihrer Tür kannte er jede Stufe, jeden Pflasterstein, er konnte den Weg mit verbundenen Augen finden. Inzwischen hätten sie da sein müssen. Vielleicht war der Mann gestorben. Dann müssten sie immer noch die Leiche beseitigen. Aber das konnten sie dort erledigen, dafür brauchten sie seinen Wagen nicht.

Ein neuer Song begann, ein klimperndes Klavier und ein angeheitertes Saxophon. If you were mine, I could be a ruler of kings. And if you were mine, I could do such wonderful things.

In der Gasse glitten Schatten über die Mauern. Aus der Dunkelheit tauchte eine Gestalt auf – Eva, hünenhaft hinter ihr Asher und der Franzose, der Mann wie ein Betrunkener in Brands Pullover zwischen ihnen zusammengesackt. Aus Gewohnheit sprang Brand aus dem Wagen und lief auf die andere Seite, um ihnen die Tür aufzuhalten.

«Steig wieder ein», befahl Asher und deutete auf den Fahrersitz.

In der Eile, den Mann in den Wagen zu schieben, stieß er mit dem Kopf an den Rahmen. Er war eine schwere Last, und sie versuchten, ihn in der anderen Ecke aufrecht hinzusetzen, doch er kippte mit dem Gesicht voran gegen Brand.

«Legt ihn quer über den Sitz», sagte Asher, und dann zu Brand: «Fahr zum Hintereingang. Sie warten auf dich.»

«Wie lautet das Losungswort?»

«Es gibt kein Losungswort. Sie erwarten dich. Fahr.»

Um diese Uhrzeit dauerte die Fahrt zum belgischen Hospiz, das im christlichen Viertel hinter dem Muristan versteckt lag, nur drei Minuten. Er brauchte keinem Kontrollposten auszuweichen. Brand musste bloß das armenische Viertel durchqueren. Er schaltete das Radio aus, als wäre der Mann irgendein Fahrgast, und konzentrierte sich auf die Straße.

Vorn, hinter der beschatteten Kolonnade der St.-Jakobus-Kathedrale, zeichneten sich der Davidsturm und der imposante Block der Zitadelle ab, von hinten beleuchtet durch die Scheinwerfer am Jaffator. Normalerweise war er ein vorsichtiger Fahrer. Aber jetzt lenkte er den Peugeot durch die nassen Straßen, als wäre er mit Sprengstoff gefüllt, drosselte bei jeder Gasse das Tempo und fuhr jede Kurve in großem Bogen.

In der David Street stand kein weiß behandschuhter Polizist auf dem kleinen Podest, war kein wüstenfarbener Jeep mit Suchscheinwerfer und hinten aufmontiertem Maschinengewehr zu sehen. Brand bog ab und glitt am dunklen Fischmarkt vorbei. Hinter dem breiten Platz des Muristan erhob sich wie ein großer schwarzer Finger der Glockenturm der Grabeskirche. Seltsam, dachte Brand. Morgen würde er ein Dutzend Fahrgäste dort hinfahren und keinen von ihnen im Gedächtnis behalten.

Hinter ihm stöhnte der Sabra, und Brand blickte in den Spiegel. Der Mann lag so auf dem Rücksitz ausgestreckt, dass Brand sein Gesicht nicht sehen konnte. Er ächzte wieder, als ob er zu sprechen versuchte.

«Wir sind gleich da», sagte Brand und fuhr schneller.

Die Rückseite des Hospizes war dunkel. Als er hielt, schwangen die Türen auf. Statt des Arztes, den Asher versprochen hatte, kamen zwei Männer mit Halstüchern vor den Gesichtern, als wären sie Eisenbahnräuber, die Stufen hinuntergerannt.

Brand stieg nicht aus. Wortlos zogen die Männer seinen Fahrgast aus dem Wagen und schlossen die Tür, und Brand fuhr davon, wieder frei.

Als er auf dem Rückweg an der David Street das Tempo drosselte, kreuzte vor ihm ein Panzerwagen die Straße, der ins armenische Viertel unterwegs war.

«Baruch Hashem», sagte Brand, blinkte und fuhr in die andere Richtung.

Asher hatte ihm keine Anweisungen gegeben, was er tun sollte, nachdem er den Mann abgeliefert hatte, aber Brand hatte für diese Nacht genug. Er mied den Kontrollposten, indem er durchs Jaffator fuhr, und als er, in Sicherheit auf der anderen Seite der Mauer, am Zionstor vorbeiglitt, sah er, dass der Verkehr sich immer noch staute.

Als er zu Hause aus dem Wagen stieg, sprang die Deckenbeleuchtung an. Über den Rücksitz zog sich eine nasse Blutspur. Er konnte von Glück sagen, dass man ihn nicht angehalten hatte. Er schloss die Tür, holte einen Topf Wasser und schrubbte eine halbe Stunde lang mit zwei seiner besten Lappen die Polster, wobei er sich sagte, dass das bloß ein kümmerliches Opfer war. Eigentlich war es ein Wunder, wie viel Blut man verlieren konnte, ohne zu sterben. Er kniete sich hin, grub die Finger in die Nähte, und das Blut setzte sich unter seinen Nägeln fest, doch ein Teil war durchgesickert und von der Polsterung aufgesaugt worden. Obwohl keiner seiner Fahrgäste sich beklagte, konnte Brand es bei Regen noch wochenlang riechen.

2

Der Mann gehörte zur Irgun. Über Nacht tauchten ihre Handzettel auf, überall in der Stadt an Mauern und Laternenpfähle geklebt, auf denen sie sich zu einem Überfall aufs Polizeihauptrevier bekannten und in dem anmaßenden, schulmeisterlichen Stil marxistischer Propaganda zu offener Revolte aufriefen. Sie waren Terroristen und verübten Gewalttaten direkt gegen das britische Militär, eine Vorgehensweise, die die Hagana, zu der Brand und seine Zelle gehörten, vehement ablehnte, da es die Weltöffentlichkeit gegen ihre Sache aufbrachte. Wenn man britische Soldaten tötete, änderte Großbritannien nicht seine Einwanderungspolitik, und das härtere Durchgreifen nach den Überfällen der Irgun erschwerte es der Hagana, eigene Operationen durchzuführen. Erst vor ein paar Monaten hatten sie durch eine Zusammenarbeit mit der Polizei versucht, die Irgun und die noch kompromisslosere Stern-Bande auszulöschen. Und jetzt gab Asher diesem Mann Brands Pullover?

«Die Zeiten ändern sich», sagte Eva. «Wir wollen alle dasselbe.»

«Die wollen bloß unsere Waffen», sagte Lipschitz.

Asher betrachtete gemeinsame Operationen als Möglichkeit, Kontrolle über die Irgun zu erlangen. Kein eigenmächtiges Handeln mehr. Jede größere Aktion musste vorab genehmigt werden.

«Einen Wolf kann man nicht an der Leine führen», sagte Fein.

«Du willst ihm lieber freien Lauf lassen?», fragte Yellin.

Brand stimmte allen zu. Es war sowieso zu spät.

Auf den Waffenstillstand folgte eine Ruhepause, als könnten sich die verschiedenen Lager, nachdem sie sich verbündet hatten, nicht darauf einigen, was sie als Nächstes tun sollten. Es war Urlaubszeit, und Brand war damit beschäftigt, Touristen nach Bethlehem zu kutschieren. Seine Kollegen Pincus und Scheib weihten ihn in eine kleine Mauschelei ein. Ein paar von ihnen legten zusammen, um von einem rumänischen Großhändler Filme zu kaufen, und verkauften die Rollen mit einem Aufschlag an ihre Fahrgäste. Brand, der unter den Taxifahrern als humorloser Grünschnabel galt, tat empört, steuerte aber seinen Anteil bei.

«Eigentlich sollte es mir ein schlechtes Gewissen machen», sagte Pincus, «einen naiven Jungen so zu verderben.»

«Was?», sagte Scheib. «Er ist doch erwachsen.»