Stakeholder Economy - Michael Winter - E-Book

Stakeholder Economy E-Book

Michael Winter

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Beschreibung

Das Spiel der Wirtschaft ändert sich grundlegend. Unternehmen müssen transparenter werden und offenlegen, welche Wirkungen sie auf den Klimawandel haben und umgekehrt. Dafür hat der Gesetzgeber EU-weit strengere Richtlinien erlassen, die für alle Unternehmen künftig verbindlich sein werden. Gefragt sind neue, smarte Wellenreiter in der Stakeholder Economy. So nennt Michael Winter diese fundamentale Transformation. In ihr geht es nicht mehr nur um die Maximierung des Profits, sondern auch um die Übernahme von Verantwortung, die sich stärker am Gemeinwohl ausrichtet. Genau deshalb muss jedes Unternehmen gläsern werden! Und über seine neue Rolle Rechenschaft ablegen. Dieses Buch beschreibt die großen, unberechenbaren Megawellen, die auf alle Unternehmen zukommen werden. Wie ordne und strukturiere ich sie richtig, welche Ausrüstung brauche ich und wie gelange ich wieder sicher ans Ufer? Von der Transparenzwelle bis zur Kundenwelle, von der Sinnwelle zur Managementwelle. Michael Winter weiß, wie kaum ein Zweiter, wovon er spricht. Als Gründer des Hamburger Beratungsunternehmens Stakeholder Reporting ist er seit vielen Jahren auf den stürmischen Meeren unterwegs, er hat riesige Wellen in den Griff bekommen und zahlreiche Unternehmen bis hin zu DAX-Konzernen mit Wissen, Know-how und Ausrüstung versorgt.

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STAKEHOLDERECONOMY

Michael Winter

STAKEHOLDER ECONOMY

Wie Unternehmen die Megawellen der Zukunft nachhaltig surfen können

Inhalt

Einleitung

01 Transparenzwelle

Stakeholder-Erwartungen als Treiber

Erste freiwillige Berichtsstandards

Wenig Impuls vonseiten der Politik

Politischer Transparenzdruck durch CSRD

EU-Taxonomie-Verordnung

Lieferketten Gesetzesinitiativen

Transparenzdruck durch den Kapitalmarkt

Transparenzdruck durch Geschäftskunden

Herausforderung und Ausrüstung

Dynamische Gesamtentwicklung

Global Reporting Initiative

Value Reporting Foundation

Task Force on Climate-related Financial Disclosures

World Economic Forum und Stakeholder Capitalism

Regulatorische Dynamik der europäischen Offenlegungsverpflichtung

Konsolidierung der Transparenzanforderungen

Eine Herausforderung Für Unternehmen

Umsetzung

Eine Basis für Nachhaltigkeitsberichterstattung

Gute Governance und offene Kommunikation

Der Wesentlichkeitsprozess als Scharnier

Entwicklung von Indikatorensets

Aufbau von Reporting-Strukturen

Passende IT-Lösungen finden

Effizienz und Kooperation als Voraussetzungen

Mehrdimensionale und dynamische Nachhaltigkeitsberichterstattung

Den Schleier des Ungewissen akzeptieren

Risiko-Reporting als fester Bestandteil

Value Reporting

Integrated Reporting

Impact Measurement and Valuation und SDG Reporting

Lieferkettenportale als Trainingsplatz

EcoVadis – der Platzhirsch

Bündnis für nachhaltige Textilien – das

amfori und BSCI – die Treiber der Lieferkettentransparenz

Zusammenfassung: Nachhaltigkeitsberichterstattung als Transformationstreiber

02 Sinnwelle

Corporate Purpose als Treiber

Diskussion und Einführung

Kunden und Mitarbeiter erwarten einen Purpose

Die öffentliche Debatte zum Sinn des Wirtschaftens

Purpose als Steuerungsinstrument

Herausforderung und Ausrüstung

Frameworks als Orientierungshilfen

Das Konzept der Planetary Boundaries

Sustainable Development Goals (SDGs)

Shared Value

Future-Fit Business Benchmark

B Corp

Die Gemeinwohl-Ökonomie

Verantwortungseigentum

Umsetzung

Wesentlichkeitsprozess als Standardinstrument

Methodenmix im Wesentlichkeitsprozess

Die Durchführung eines Wesentlichkeitsprozesses

Frameworks für die Inside-out-Perspektive

Vom Wesentlichkeitsprozess zum Corporate Purpose und zur Nachhaltigkeitsstrategie

Zusammenfassung: Eine Nachhaltigkeitsstrategie verschafft Sinn und Managementgrundlagen

03 Bewertungswelle

Sustainable Finance als Treiber

Akteure und Verstärker

Der EU-Aktionsplan zu Sustainable Finance

Die große Nachfrage nach nachhaltigen Investments

Die Unternehmensbewertung eigeninitiativ aufbauen

Herausforderung und Ausrüstung

Nachhaltigkeitsrating als Bewertungsinstrument

Nachhaltigkeitsrater im Überblick

Die Debatte um Ratingagenturen

Impact Measurement and Valuation in der Nachhaltigkeitsbewertung

Der Aufbau von Wirkungsketten

Nichtfinanzielle Kapitalgüter als Valuation-Ansatz

Naturkapitalprotokoll

Protokoll zu Human- und Sozialkapital

Erste Umsetzungsversuche

Wege zu einer vollständigen Unternehmensbewertung

Impact Institute

Value Balancing Alliance e. V. (VBA)

Umsetzung

Robuste ESG-Daten als sichere Grundlage

ESG-Strategie und ESG-Profil

ESG-Vorstandsvergütung

Auswahl und Verbesserung des Nachhaltigkeitsratings

Die Umsetzung von Impact Measurement and Valuation

Strategische Annäherung

Steuerung

Ökonomische Bewertung

Integration der Steuerung der Impacts in Unternehmensprozesse

Zusammenfassung:Die Finanzierung Der Transformation in ihrer Zielgenauigkeit schärfen

04 Managementwelle

Haftungsfragen als Treiber

Sustainable Corporate Governance und die Folgen

Veränderungen im Deutschen Corporate Governance Kodex

Die persönliche Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat

Die EU-Lieferketten-Richtline

Das Recht auf Zukunft und das Grundrecht auf Klimaschutz

Herausforderung und Ausrüstung

Managementmöglichkeiten

Nachhaltigkeitsmanagement

Nachhaltiges Lieferkettenmanagement

Risikomanagement

Mögliche Schritte für eine strategische ESG-Risikosteuerung

Umsetzung

Readiness Check zur Corporate Sustainability Due Diligence Directive der EU

Readiness Check zur EU-Taxonomie-Verordnung

CSRD- Readiness-Check

Zusammenfassung:Durch einen ganzheitlichen Blick die Zukunft der Organisation sichern

Resümee: Stakeholder-Partizipation als Kennzeichen der Stakeholder Economy

Zitierte und weiterführende Literatur

Glossar

Verweisindex

Über den Autor

Dank

Einleitung

Als ich vor zwanzig Jahren meiner Familie erklärte, mich selbständig machen zu wollen mit einer Firma namens Stakeholder Reporting, die Nachhaltigkeitsberatung als Dienstleistung anbietet, stieß ich nicht nur auf deutliches Unverständnis, sondern auch auf einige Besorgnis: wie man denn eine berufliche Existenz auf solch ein Nischenthema bauen könne und was eigentlich Stakeholder Economy und Nachhaltigkeit für die Wirtschaft bedeute. Für welche Beratung genau sollten Unternehmen hier Geld ausgeben?

Vielleicht war es ja nur ein Problem der Begrifflichkeit. Immerhin vertrat mein Vater als ehrbarer Hamburger Kaufmann immer schon die Ansicht, dass auch Unternehmen in ihrer Geschäftstätigkeit dem Gemeinwohl verpflichtet sind. Dass diese Haltung nicht die Regel war (und ist), wusste ich natürlich. Das brachte mich zu dem Schluss, dass es eines eigenen Beratungsansatzes bedarf, um das, was in meiner Familie als vollkommen selbstverständlich galt, eben auf dem Weg der Beratung zu etwas Selbstverständlichem zu machen. Wie genau das geschehen kann und heute auch geschehen muss – davon handelt dieses Buch.

Also erklärte ich meiner Familie, dass Stakeholder – verstanden als alle mit einem Unternehmen in Beziehung stehenden Interessensgruppen, wie Mitarbeiter, Kunden, Eigentümer, zivilgesellschaftliche Akteure, Kommunen, Politik etc. – ihrerseits Ansprüche und Erwartungen gegenüber diesem Unternehmen haben, insofern also auch für sie »etwas auf dem Spiel steht« in dieser Beziehung. Daraus wiederum ergibt sich eine wechselseitige Einflussnahme im Hinblick auf die Erreichung der Unternehmensziele, sprich eine gemeinsame Verantwortung. Dies war der Ausgangspunkt, von dem aus ich den Beratungsansatz des Stakeholder Reportings zu entwickeln begann und über die Jahre immer weiter ausarbeitete.

Eine Beziehung zwischen interessegeleiteten Menschen in gemeinsamer Verantwortung kann ein gutes Frühwarnsystem sein für potenzielle Risiken und Chancen, die sich aus gemeinsam wahrgenommenen gesellschaftlichen Entwicklungen für ein Unternehmen ergeben können. Und sie ist im Weiteren Basis für eine zielgerichtete Sondierung und Qualifizierung erkannter Handlungsspielräume. Die Einbindung von Stakeholdern in die Entscheidungsprozesse des Unternehmens stärkt also dessen kollektive Intelligenz und kann – ist die Zusammenschau der unterschiedlichen Perspektiven gut organisiert – die erreichte Lösungskompetenz enorm steigern.

Das Reporting an Stakeholder ist, wie mir schnell klar wurde, ein wichtiger Transformationstreiber. Denn diese Berichtspflicht hilft nicht nur die sogenannte »social licence to operate« zu sichern, sondern auch die Resilienz- und Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens insgesamt zu stärken. Es bleibt auf diese Weise immer nah an den sich verändernden Erwartungen der Stakeholder, also der Kunden, die faire und nachhaltige Produkte nachfragen; der Arbeitskräfte, die sich für Arbeitgeber mit einem verantwortlichen Umgang mit Gesellschaft und Umwelt entscheiden wollen; der NGOs, die verbesserte Umwelt- und Sozialstandards in der Lieferkette einfordern; der Investoren, die ihr Geld in zukunftsrobuste Organisationen investieren wollen. Kennt ein Unternehmen diese Erwartungen, kennt es die Erfordernisse erfolgreichen wirtschaftlichen Handelns heute und in Zukunft.

In einer so rasant sich verändernden Welt müssen auch Unternehmen umdenken und erfolgreiches Wirtschaften und gute Unternehmensführung neu definieren – was heute bedeutet, jenseits der Fixierung auf den Shareholder Value anzusetzen. Nicht nur, dass Unternehmen die ökologischen Auswirkungen ihres Handelns – die planetarischen Grenzen – stärker berücksichtigen müssen, auch den Verletzungen von Sozialstandards, insbesondere der Menschrechte, gilt es entlang der gesamten Wertschöpfungskette konsequent vorzubeugen. Gerade das wiederholte Scheitern der internationalen Politik im Bereich nachhaltiger Entwicklung wird Unternehmen hier eine immer stärkere Gestaltungsrolle abverlangen – ob sie wollen oder nicht. Sie werden sich in ihrem gesamten Handeln eindeutiger am Gemeinwohl orientieren müssen, was am Ende eine neue Form der Wirtschaft – die Stakeholder Economy – etablieren wird.

Diese Transformation ist schon in Gang – sie wird forciert durch die wichtigen Akteure, die hier an einem Strang ziehen: Politik, Zivilgesellschaft und der Kapitalmarkt mögen zwar unterschiedliche Motive haben, bringen zusammen aber die Voraussetzungen einer Stakeholder Economy energisch voran. Wie eine riesige Welle baut sich der Veränderungs- und Anpassungsdruck vor den Unternehmen auf: ganz klar als gewaltige Herausforderung, aber nicht als Gefahr, wenn es gelingt, mit der nötigen Ausstattung und Kenntnis die Wucht der anrollenden Wellen zu nutzen für den Aufbau gemeinwohlverpflichteter Organisations- und Managementstrukturen. Ein Großteil des Anpassungsdrucks geht aus von der Verrechtlichung dessen, was früher als Anforderungskanon der »social licence to operate« galt. Stakeholder-Erwartungen werden zu Soft Law und Soft Law wird zu Hard Law.

Kern des laufenden Prozesses ist die »Transparenzwelle«, die vielen bislang nicht betroffenen Unternehmen neue Offenlegungsverpflichtungen auferlegen wird. Hier ist die Europäische Kommission mit zahlreichen Initiativen, wie insbesondere der »Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)«, der wichtigste Treiber. Unternehmen sollen – so das Ziel – einer umfänglichen Rechenschaftspflicht nachkommen, nicht nur gegenüber Eigentümern, sondern allen Stakeholdern gegenüber. Diese erweiterte Rechenschaftspflicht in Form eines zu veröffentlichenden Nachhaltigkeitsberichts wird nach Auffassung der Regulatoren zwangsläufig unternehmerisches Handeln in Verantwortung zur Folge haben.

Schon länger spürbar ist der Veränderungsdruck, der durch die »Sinnwelle« entsteht. Ein Beispiel dafür sind aktuelle Bewerbungsgespräche, in denen inzwischen regelhaft die Frage nach dem Nachhaltigkeitsengagement eines Unternehmens auftaucht – heute maßgeblicher Grund, sich für oder gegen eine Mitarbeit zu entscheiden. Oder auch die laufend wachsende Anzahl von Kunden, die nach nachhaltigen Produkten verlangt. Auf solche neuen Erwartungshaltungen ist es zurückzuführen, dass Unternehmen sich heute vermehrt um die Entwicklung eines eigenen Corporate Purpose bemühen, eines übergeordneten Sinns also, der das Geschäftsmodell auf Gemeinwohlorientierung ausrichtet und einer eigenen Nachhaltigkeitsstrategie bedarf.

Der für die Transformation der Wirtschaft und den Green Deal erforderliche Finanzbedarf treibt als dritte große Welle, die »Bewertungswelle«, voran. Unternehmen sind gezwungen, ihre ESG-Performance und ihren vorgesehen Transformationspfad zu einer nachhaltigeren Wirtschaft darzustellen. Tun oder können sie dies nicht, droht über Kurz oder Lang der Wertverlust. Kein Investor bietet sein Geld Geschäftsmodellen an, die morgen schon veraltet sein könnten. Der positive Impact bildet von nun an den Fokus der Unternehmensbewertung – Impact als neue Währung.

Der von Politik und Zivilgesellschaft erzeugte Druck auf die Unternehmensführung, alle Folgen des Geschäftshandelns, also auch die für Gesellschaft und Umwelt, zu berücksichtigen und sie gegebenenfalls hierfür in Haftung zu nehmen, bricht sich in der »Managementwelle« Bahn. Dabei geht es nicht nur um Sorgfaltspflichten, sondern auch – zum Beispiel im Falle des Klimaschutzes – um eine angemessene Ausrichtung der Unternehmensstrategie auf Grundlage wissenschaftlicher Zielsetzungen. Es geht also letztlich um eine Neuformulierung von Unternehmensinteresse wie auch Unternehmensführung und damit verbunden um Anpassungen der Managementsysteme.

Natürlich gilt wie in fast allen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen auch für die Stakeholder Economy, dass regulatorische Eingriffe zwar nötige Impulse setzen, gleichzeitig aber die Balance zwischen notwendigen Vorgaben und eigener Ausgestaltung empfindlich stören können. Nicht nur droht die Politik immer wieder in die für das Thema Nachhaltigkeit so typische Komplexitätsfalle zu tappen mit der Folge von Überregulierung – dabei ist gerade hier der Raum für die eigenständige Übersetzung der vorgegebenen Leitplanken in das Wirtschaftsleben und den Unternehmensalltag so wichtig. Auch sind viele für den Kapitalmarkt vorgesehene Instrumente, wie zum Beispiel das Impact Assessment oder Monetarisierungsmethoden und quantitative Messgrößen für die Unternehmensbewertung, längst nicht als Standards entwickelt und eingeführt. Das heißt, die Unternehmen sind gezwungen auf den Grundlagen ihres erreichten Reifegrades, weitere sehr bereichsspezifische Schritte in Richtung Transformation zu gehen.

Insofern darf ein Beratungsansatz, der Unternehmen in diesem Veränderungsprozess begleiten will, nicht so sehr in einzelnen Tools, IT-Lösungen oder standardisierten Managementsystemen denken. Er muss sich vielmehr als ganzheitlichen Ansatz für Organisationsentwicklung begreifen. Die Unternehmen beratend zu unterstützen, im kontinuierlichen Austausch mit den Stakeholdern das Thema Nachhaltigkeit immer tiefer in den Unternehmensprozessen zu verankern – das kennzeichnet den Job eines Nachhaltigkeitsberaters. Seine Expertise im Bereich unternehmerische Nachhaltigkeit, die Lösungsansätze und Umsetzungsprozesse, aber auch die Kenntnis der strukturellen und branchenspezifischen Herausforderungen und Chancen – hervorgerufen durch neue gesetzlich geregelte und gesellschaftlich gestellte Anforderungen – bieten Unternehmen Hilfestellung bei der Umgestaltung zu einer dem Gemeinwohl verpflichteten Organisation.

Auf der Basis eines integrierten Beratungsansatzes soll einer Unternehmensführung die Möglichkeit eröffnet werden, Gemeinwohlinteresse als Bezugspunkt wirtschaftlichen Handelns nicht nur im Kern zu erfassen, sondern darüber hinaus das eigene Potenzial zu erkennen, es aktiv zu stärken. Um dieses Wirkungspotenzial positiv zu beeinflussen und gleichzeitig den Unternehmenswertwert zu steigern, bedarf es unterschiedlicher Managementsysteme, wie Risikomanagement, Lieferkettemanagement und eben Nachhaltigkeitsmanagement, die ineinandergreifen und aufeinander abgestimmt sein müssen. Die so entstehende Organisationsstruktur hilft den Unternehmen nicht nur, den Umstellungsprozess zu bewältigen, sondern auch wichtige Einzelstrategien, wie zum Beispiel die Klimaschutzstrategie, effizient und passgenau durchzusteuern – am Ende also gewünschte Gemeinwohleffekte zu erzeugen. Fester Bezugspunkt dieser Transformation bleiben dabei immer die Stakeholder, die es systematisch einzubinden gilt, um der neuen Rolle langfristig gerecht zu werden.

01Transparenzwelle

 

 

Stakeholder-Erwartungen als Treiber

Vor mehr als zwei Jahrzehnten schon begannen erste Unternehmen, das Thema der ökologischen Nachhaltigkeit auch in ihre strategische Kommunikation aufzunehmen. Unter dem Motto »Tue Gutes und rede darüber« machten sie neben ihrem sozialen Engagement auch ihre Maßnahmen zum Schutz der Umwelt öffentlich. Es entstanden erste Nachhaltigkeitsberichte, in denen Themen, wie Stiftungsarbeit, Kunst- und Kultursponsoring oder Naturschutz, viel Raum einnahmen.

Der Druck, eine transparente und umfassende Leistungsbilanz – im Sinne der Rechenschaft – zum Thema Nachhaltigkeit zu veröffentlichen, kam zunehmend aus den Reihen der eigenen Stakeholder. In der Folge kam bei Unternehmen die Sorge auf, ihre »social licence to operate« zu verlieren, die Grundlage eines gesellschaftlich akzeptierten unternehmerischen Handelns, verschafft oder eben auch nicht verschafft durch die Stakeholder: Kunden also, die faire und nachhaltige Produkte nachfragten und schlimmstenfalls zum Kaufboykott aufriefen; talentierte Arbeitskräfte, die nur noch in Unternehmen arbeiten wollten, die einen nachweislich positiven Beitrag leisten für Gesellschaft und Umwelt; vor allem aber auch NGOs, die in der Rolle des »watchdog« die stetige Verbesserung der Umwelt- und Sozialstandards der Unternehmen einforderten, nötigenfalls auch einklagten.

Ausgelöst wurde die Transparenzwelle also durch viele, sehr unterschiedliche Stakeholder-Gruppen, die ihre Informationsbedürfnisse an die Unternehmen herantrugen und sie vor allem durch den Nachhaltigkeitsbericht bedient wissen wollten. Zu den ersten, die hier reagierten, gehörten Unternehmen, wie Otto Versand oder Weleda, die bereits aus einer Selbstverpflichtung zu nachhaltigem Handeln heraus berichteten, aber auch Unternehmen, wie Shell oder BASF, die klar in der Kritik von Öffentlichkeit und ihren Stakeholdern standen.

Erste freiwillige Berichtsstandards

Das Sammelsurium an Themen in Nachhaltigkeitsberichten lässt sich also als Versuch, die veränderten Stakeholder-Erwartungen zu erfüllen, interpretieren. Bedingt durch die Freiwilligkeit und die Themenbreite stellte sich schnell die Frage nach Glaubwürdigkeit und Vergleichbarkeit der Berichte, letztlich also nach einer Norm oder einem verbindlichen Mindeststandard. Nicht der Gesetzgeber trat jetzt allerdings auf die Bühne, sondern die Global Reporting Initiative (GRI) als Multi-Stakeholder-Initiative – die neben einigen wissenschaftlichen Rankings, wie zum Beispiel dem in Deutschland bekannten IÖW-Ranking, die Funktion der Standardsetzung und Qualitätssicherung übernahmen.

1997 in Boston gegründet veröffentlichte die GRI schon im Jahr 2000 einen ersten Berichtsstandard mit klar definierten Themen und Prinzipen, nach denen Rechenschaft im Sinne der Nachhaltigkeit abzulegen sei. Seitdem die GRI in Amsterdam 2002 als unabhängige nicht gewinnorientierte Organisation eingetragen ist, veröffentlicht sie in regelmäßigen Abständen und unter Einbindung von Stakeholder-Gruppen immer neu überarbeitete Berichtsstandards. Einer KPMG-Studie aus dem Jahr 2020 zufolge berichteten bis dahin knapp 75 Prozent der größten 250 Unternehmen weltweit und insgesamt mehr als 10 000 Unternehmen freiwillig nach den Standards der GRI. Die Organisation hat sich historisch unter anderem dadurch verdient gemacht, dass sie ähnlich wie in der Finanzberichterstattung das Thema Wesentlichkeit auf die Agenda gesetzt und so den ausufernden Umfängen und der »Anything-goes-Ausrichtung« der ersten Nachhaltigkeitsberichte ein Ende gesetzt hat.

Bei der Frage der Wesentlichkeit geht es darum, Themen zu identifizieren, die im Kontext des eigenen Handelns relevante Auswirkungen auf die finanzielle Lage des Unternehmens und/oder die Gesellschaft beziehungsweise Umwelt haben. Dabei wird heute weniger von Stakeholder- oder Unternehmensperspektive gesprochen als von Betrachtungen, die inside-out (die Wirkung eines Unternehmens auf sein Umfeld) oder outside-in (die Wirkung des Umfeldes auf ein Unternehmen) anzustellen sind. Die Definition von Wesentlichkeit ist zentral für die gesamte Transparenzdebatte, weil sie am Ende nicht nur die zu berichtenden Inhalte, sondern auch den Verantwortungsbereich von Unternehmen festlegt. Die Gesamtzahl der nach GRI möglichen Themen beläuft sich dabei immer noch auf rund 200 Einzelthemen – eine Vielzahl, die unverändert dem Grundgedanken der freiwilligen Nachhaltigkeitsberichterstattung geschuldet ist, nämlich möglichst viele unterschiedliche Stakeholder-Interessen als Adressaten zu bedienen. Und deren Erwartungs- und Informationshunger ist weiterhin groß.

Dass vor allem kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) dieses Ausmaß an vollumfänglicher Nachhaltigkeitsberichterstattung nach GRI-Standards fürchteten, ist wenig erstaunlich. Diejenigen, die dennoch einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen wollten, konnten dann seit 2010 auf den freiwilligen Berichtsstandard des Deutschen Nachhaltigkeitsrats, den Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK), ausweichen. Mit seinen 20 Kriterien bot der Kodex öffentlichen und privaten Organisationen einen geeigneten Einstieg in die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Mehr als 500 Unternehmen jedes Jahr nutzen dieses kostenlose Angebot. Zusätzlichen Aufschwung hat der DNK in den letzten Jahren bekommen, weil er verstärkt in der öffentlichen Beschaffung Anwendung findet, die im Übrigen für staatliche Unternehmen inzwischen verpflichtend ist.

Unternehmen, die freiwillig einen GRI- oder DNK-Nachhaltigkeitsbericht machen, sehen sich jedoch immer wieder der Kritik ausgesetzt, damit bloßes Greenwashing, wenn nicht sogar schlicht Marketing zu betreiben. In den allermeisten Fällen trifft diese Kritik so nicht zu, zu normiert sind die darzustellenden Inhalte, und auch der kritische Blick von NGOs oder Wissenschaftlern ist stets so gewiss wie – im Falle unzutreffender Angaben – der anschließende öffentliche Protest. Um den Einwand von vornherein zu entkräften, entschließen sich manche Unternehmen, ihre Berichte einer unabhängigen Prüfung unterziehen zu lassen.

Einer durchaus ernsten kritischen Erörterung bedarf dagegen der echte Schwachpunkt solcher Berichte, der darin liegt, dass dort nichtfinanzielle Informationen überwiegend getrennt vom Kerngeschäft dargestellt sind. Ein freiwilliger Nachhaltigkeitsbericht gibt selten Auskunft darüber, inwiefern das Unternehmen, sein Geschäftsmodell und seine Produkte zukunftsfähig sind. Durch die Trennung von Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht finden sich nichtfinanzielle Kennzahlen und Nachhaltigkeitsziele nur in dem einen und relevante finanzielle Kennzahlen und der Ausblick auf die Geschäftsentwicklung im anderen Bericht. Zu Recht wird also die gängige Praxis kritisiert, dass beide Berichtsformen unverändert von fast vollständig getrennten Reporting-Prozessen gefüttert werden, sodass gemeinsame Themen und die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens im Ganzen an keiner Stelle zur Darstellung kommen.

Dies hat schon 2010 Robert Eccles in seinem Buch One Report erkannt und beklagt. Eccles ist einer der Pioniere der Integrierten Berichterstattung und hat maßgeblich am ersten, 2012 veröffentlichten Rahmenwerk des »Integrated Reporting« (IR) mitgearbeitet. Der Ansatz des Integrierten Reportings stützt sich auf ein ganzheitliches, mehrdimensionales Verständnis der Wertschaffung eines Unternehmens, wonach Transparenz und Berichterstattung verstärkt aus der Innenperspektive gedacht werden: Unternehmen durchlaufen verschiedene ressourcenbezogene Input-/Output-Prozesse, wobei die Ressourcen als Kapitalien betrachtet werden, die in Bezug stehen zu Abläufen, über die ein Unternehmen in einem integrierten Bericht nach dem Integrated Reporting Framework berichten sollte. Dazu gehören zum Beispiel der Verbrauch von Naturkapital in der Produktion oder aber interne Weiterbildungsmaßnahmen zur Steigerung des Humankapitals.

Für die freiwillige Nachhaltigkeitsberichterstattung ist dies eine Drehung um 180 Grad: Nicht externe Informationsbedürfnisse, sondern unternehmensinterne Wertentwicklungen strukturieren den Bericht. Nicht umsonst heißt es allgemein, dass es kein integrated Reporting ohne »Integrated Thinking« geben kann.

Der integrierte Bericht legt also Rechenschaft ab über die gesetzten Ziele der Wertschaffung und der daraus folgenden Maßnahmen sowie über den Stand der Zielerreichung – nicht aber über einzelne und konkrete Erwartungshaltungen der Stakeholder. Da diese Form der Berichterstattung offensichtlich hohe Anforderungen stellt, findet sie nur in sehr wenigen Unternehmen wirklich Anwendung. Insofern muss die Bedeutung dieses Ansatzes stärker in seinem möglichen Impuls für die aktuellen politischen Debatten um Regulation und Standardsetzung einer transparenten, umfassenden und verbindlichen Unternehmensberichterstattung gesehen werden.

Wenig Impuls vonseiten der Politik

So sehr die Politik, insbesondere auf Ebene der Europäischen Union, zurzeit den Eindruck vermittelt, die nachhaltigkeitsorientierte Transformation der Wirtschaft allein über allumfassende Offenlegungsverordnungen erreichen zu wollen – dies im festen Vertrauen auf den vermeintlichen Mechanismus, dass hohe Transparenz in den Märkten der Finanz- und Realwirtschaft am Ende auch zu vernünftigem Verhalten in den Bereichen Konsum, Handel und Warenproduktion führen wird –, so gleichgültig schien dieser Politik über lange Zeit eben diese Unternehmenstransparenz als Steuerungsinstrument. Und das sage ich durchaus als Betroffener, der den Unternehmen mit viel Zeit und Aufwand erklären musste, warum sie einen Nachhaltigkeitsbericht machen sollten. Denn die Notwendigkeit für Vergleichbarkeit, Qualitätsverbesserung und Verbreitung der freiwilligen Nachhaltigkeitsberichterstattung war schon genauso lange erkennbar wie die Möglichkeit, sie als Transformationshebel zu nutzen.

Einen Startpunkt für die regulatorischen Entwicklungen bezüglich der Transparenz und Governance von Nachhaltigkeit im Unternehmen gab 2014 die EU Directive 2014/95/EU – die Non-Financial Reporting Directive (NFRD). Sie sah vor, dass Unternehmen von öffentlichem Interesse (börsennotierte Unternehmen sowie Banken und Versicherungen) mit mehr als 500 Beschäftigten eine sogenannte nichtfinanzielle Erklärung erstellen müssen. Als Mindestanforderung an zu veröffentlichenden Informationen waren Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange genannt sowie Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung.

In Deutschland trat diese Richtlinie im April 2017 mit dem CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz (CSR-RUG) in Kraft. Die erweiterten Berichtspflichten können erfüllt werden in Form einer nichtfinanziellen Erklärung (nfE), eines vollintegrierten oder besonderen Teils des Lageberichts oder eines gesonderten nichtfinanziellen Berichts (nfB) außerhalb des Lageberichts, aber auch als Teil eines freiwilligen Nachhaltigkeitsberichts. In der geforderten Erklärung sollen die Unternehmen ihre Konzepte für einen Umgang mit möglichen und bestehenden Risiken in den genannten Themenbereichen darlegen. Die gesetzliche Pflicht zur inhaltlichen Prüfung der nfE oder des nfB liegt allein in der Verantwortung des Aufsichtsrats.

Lässt man die vielen Sparkassen einmal außen vor, so betrifft die CSR-RUG nur wenige Hundert deutsche Unternehmen, von denen ein Teil bis dahin bereits einen freiwilligen Nachhaltigkeitsbericht erstellt hatte. Insofern ist dieses Transparenzgesetz hinsichtlich der Ausweitung der Nachhaltigkeitsberichterstattung auf die Wirtschaft insgesamt nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. Auch für die inhaltliche Weiterentwicklung brachte es sichtbar keine relevanten Fortschritte.

Studien dazu konnten zeigen, dass die dargestellten Inhalte in der nichtfinanziellen Erklärung insgesamt und zu Details in den geforderten fünf Bereichen weniger umfassend und detailliert waren als in einem freiwilligen Nachhaltigkeitsbericht nach GRI-Standards. Das ging vor allem auf die uneinheitliche Anwendung des Wesentlichkeitsansatzes zurück. So berichteten manche Unternehmen nur das, was am Ende auf die finanzielle Geschäftsentwicklung einzahlte, ohne auf die Auswirkungen ihres Handelns auf Gesellschaft und Umwelt weiter einzugehen. Ein Vorgehen, das in einem GRI-Bericht mit seiner doppelten Wesentlichkeit und einem Und/oder-Verständnis nie möglich wäre.

Das heißt, die nfE wurde letztlich im Checkbox-Verfahren mit Minimalaufwand abgearbeitet. Und trotzdem – dies mag jetzt überraschen – war sie ein Erfolg. Brachte sie doch in vielen Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit erstmals in den Aufsichtsrat, dessen Rückfragen immer wieder die Schwachstellen freilegten. Fehlte es doch oft genug an den entsprechend belastbaren Reporting-Strukturen – insbesondere zu nichtfinanziellen Risiken – und damit an der Voraussetzung für den Aufsichtsrat, die vollumfängliche Verantwortung übernehmen zu können. Obwohl also die inhaltliche Qualität der nfE bescheiden war, bewirkte sie vielfach den Aufbau von stabileren Reporting-Prozessen, was dann durchaus als Erfolg gewertet werden kann.

Politischer Transparenzdruck durch CSRD

Über den Green Deal der Europäischen Union soll, wie im Dezember 2019 verkündet, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent gemacht werden. Als Voraussetzung dafür gilt ein kompletter ökologischer Umbau der Wirtschaft in ein modernes, ressourcenschonendes und dennoch wettbewerbsfähiges System, das am Ende keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr aufweist, in seinem Wachstum abgekoppelt ist vom Ressourcenverbrauch und keine Region mehr vernachlässigt. Dabei soll dieser Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft insgesamt gerecht und für alle inklusiv ablaufen. Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, müssen riesige Geldströme in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten gelenkt werden, was nicht nur den Einsatz staatlicher Gelder, sondern vor allem Privatinvestitionen notwendig macht.

Mit dem Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wirtschaftens hat die EU 2018 ein umfassendes Regelwerk auf den Weg gebracht, das durch Umlenkung der Kapitalflüsse langfristiges Denken und Handeln im Finanz- und Wirtschaftsbereich fördern und die dafür notwendige Transparenz schaffen soll. Der im Juli 2021 noch einmal angepasste Regulierungsrahmen zielt darauf ab, umweltbezogene und soziale Erwägungen in alle wichtigen Investitionsentscheidungen einfließen zu lassen wie auch in die aus Klimawandel, Ressourcenknappheit, Umweltzerstörung und sozialen Problemen resultierenden finanziellen Risiken. Um das zu erreichen, müssen Nachhaltigkeitsstandards auch in das Risikomanagement der Banken und die Aufsichtsvorschriften von Bankenkontrolle integriert werden, was mit der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) angestrebt wird.

Um nun ermitteln zu können, wo Ansätze für den Aufbau einer nachhaltigeren Realwirtschaft zu finden sind, soll die Transparenzpflicht für Unternehmen bezüglich ihrer Nachhaltigkeitsanstrengungen verschärft werden. Dies geschieht über zwei Regulierungen: zum einen über die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), also den Vorschlag der EU-Kommission zur Neufassung beziehungsweise Weiterentwicklung der ersten CSR Directive zur nichtfinanziellen Berichterstattung. Zum anderen über die EU-Taxonomie und deren Klassifizierung von Wirtschaftsaktivitäten gemäß EU-Nachhaltigkeitszielen. Danach wird geprüft, ob Unternehmensprojekte die Ziele des Green Deal unterstützen oder nicht, ob sie also taxonomiekonform sind oder nicht.

Nach der CSRD, die bis Ende 2022 wahrscheinlich in nationales Gesetz überführt wird, müssen von 2023 an deutlich mehr Unternehmen über Nachhaltigkeit berichten als bisher. Davon betroffen sind alle Großunternehmen – ob kapitalmarktorientiert oder nicht –, die zwei der drei folgenden Kriterien erfüllen: mehr als 250 Beschäftigte im Jahresdurchschnitt, mehr als 20 Millionen Euro Bilanzsumme und mehr als 40 Millionen Euro Umsatz.

Während bisher EU-weit etwa 12 000 Unternehmen über Nachhaltigkeit berichten mussten, ist davon auszugehen, dass rund 50 000 Unternehmen in Europa, und davon 15 000 in Deutschland, zur Offenlegung verpflichtet sind. Ab 2026 sollen noch KMUs hinzukommen, sofern sie kapitalmarktorientiert sind und mindestens zehn Mitarbeiter haben. Auch wenn es für die KMUs einen abgeschwächten Standard geben wird, so wird spätestens jetzt eine riesige Welle auf den deutschen Mittelstand zurollen und ihn in voller Breite treffen. Auch in anderen Bereichen verschärft die EU die Transparenzanforderungen.

EU-Taxonomie-Verordnung

Als Bindeglied zwischen Kapitalmarkt und Realwirtschaft soll die seit 1. Januar 2022 rechtskräftige EU-Taxonomie-Verordnung helfen, die für die Transformation der Wirtschaft notwendigen Kapitalströme in die geeigneten Bahnen zu lenken. Dafür hat sie für alle relevanten Wirtschaftszweige in einem 1000-seitigen Katalog detailgenau technische Kriterien festlegt, anhand derer die geforderte Nachhaltigkeit geprüft werden kann. Diese Kriterien beziehen sich auf NACE-Codes und werden so inventarisiert. Allen, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit und Wirtschaft beschäftigen, muss dieses Vorgehen einigermaßen verdächtig, fast schon unsinnig erscheinen, denn das Erste, was gute Nachhaltigkeitsberatung tut, ist, Komplexität aus der Betrachtung rauszunehmen statt zusätzlich aufzubauen. Insofern überrascht es nicht, dass die EU sich zunächst auf Branchen und Aktivitäten mit den höchsten Scope-1-Emissionen fokussiert hat und erst sukzessive den Blick auf weitere Umweltziele ausweiten wird.

Konkret spricht die EU-Taxonomie davon, dass eine wirtschaftliche Aktivität dann taxonomiefähig ist, wenn sie einen wesentlichen Beitrag für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel leistet. In Zukunft wird dies, wie gesagt, auf die weiteren Umweltziele ausgedehnt werden: das heißt auf die nachhaltige Nutzung und den Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, den Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme. Von »Taxonomie-Konformität« spricht die Verordnung, wenn eine Aktivität den technischen Bewertungskriterien (zum Beispiel Grenzwerten in Bezug auf die Umweltleistung, wie THG-Emissionen) entspricht, dabei keine signifikante Beeinträchtigung der übrigen Umweltziele verursacht (»do no significant harm«) und durchgeführt wird in Übereinstimmung mit den sozialen Mindeststandards (OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, ILO-Kernarbeitsnormen und Menschenrechtscharta).

Im Grunde wird hier also weiterhin das alte statische Prinzip des Aufaddierens von Mindestanforderungen zur Basis der Lenkung riesiger Kapitalströme und der Transparenzanforderung an Unternehmen gemacht. Dabei muss es den Machern der Taxonomie wohl selbst etwas mulmig geworden sein, schieben sie doch zwei weitere, durchaus sinnvolle Kriterien hinterher, die eine dynamischere und innovationsfreudigere Perspektive beinhalten. Als taxonomiekonform gelten auch Aktivtäten, die als »transitional activities« den Übergang ermöglichen zur klimaneutralen Wirtschaft, wie die Herstellung von CO2-armem Stahl, oder die als »enabling activities« zu taxonomiekonformen Aktivitäten in anderen Sektoren befähigen, wie die Herstellung von Batterien für die Elektromobilität.

Die Taxonomie ist quasi das Herzstück vieler von der EU auf den Weg gebrachten politischen Regulierungen, die alle auf dieses Klassifizierungssystem zurückgreifen. Die EU will damit Anreize für die Finanzierung einer nachhaltigen Transformation setzen, indem sie taxonomiekonformen Unternehmen ein zusätzliches Kapitalangebot ermöglicht oder die Kapitalkosten für nachhaltige Investitionen senken hilft. Näheres regelt dann der freiwillige EU Green Bond Standard und die SFDR. Und um »Greenwashing« bei der Vermarktung nachhaltiger Finanzprodukte zu vermeiden, soll ein EU-Ecolabel für nachhaltige Finanzprodukte geschaffen werden, wie nicht zuletzt auch an der Herstellung einer Kohärenz zwischen Taxonomie und CSRD gearbeitet werden soll, um die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen vergleichbarer zu machen.

Lieferketten Gesetzesinitiativen

Auch die nationale Politik hat Offenlegungsverpflichtungen auf den Weg gebracht, die die gesamte Wertschöpfungskette hinsichtlich der Einhaltung von Mindeststandards betreffen. Das verpflichtet alle großen deutschen Unternehmen, ihren Sorgfaltspflichten in der Lieferkette nachzukommen. Das heißt, den Schutz der Menschenrechte in den globalen Lieferketten zu verbessern und dafür Sorge zu tragen, dass grundlegende Menschenrechts- und Sozialstandards, wie das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, sowie Umweltschutzstandards eingehalten werden. Betroffen sind ab 2023 alle Unternehmen mit einer Größe von mehr als 3000 Mitarbeitern und ab 2024 ab 1000 Mitarbeitern – was auf rund 2900 Unternehmen zutrifft.

Die mit dem Gesetz verbundene Transparenzanforderung ergibt sich aus der Verpflichtung zu einer zu veröffentlichenden Grundsatzerklärung. In ihr müssen Unternehmen ihre Menschenrechtsstrategie darlegen und die Verfahren beschreiben, mit denen sie ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen wollen. Zudem müssen festgestellte Risiken im Rahmen einer Analyse erläutert sowie die menschenrechtsbezogenen Erwartungen, die das Unternehmen an seine Zulieferer richtet, genannt werden. Des Weiteren fordert der Gesetzgeber dazu auf, einen jährlichen Bericht zu erstellen und über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten im zurückliegenden Geschäftsjahr zu berichten.

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle prüft das Vorliegen des Berichtes sowie die Einhaltung der Anforderungen und kann bei Nichterfüllung der Anforderungen eine innerhalb einer angemessenen Frist nachzuweisende Nachbesserung verlangen. Bislang gelten die Kernelemente des Gesetzes nur für unmittelbare Zulieferer – also für direkte Geschäftspartner und somit für die erste Stufe der Lieferkette. Falls ein Unternehmen jedoch Kenntnis von Verstößen bei mittelbaren Zulieferern erlangt, die tiefer in der Lieferkette verankert zu sein scheinen, müssen sie auch dort tätig werden und eine Risikoanalyse durchführen sowie angemessene Präventionsmaßnahmen verankern.

Das Gesetz sieht zwar keine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen oder Entschädigungen der Opfer von Menschenrechtsverletzungen vor. Der im Sommer 2021 von der EU vorgestellte Entwurf eines Europäischen Lieferkettengesetzes geht aber insofern darüber hinaus, als er neben weiteren Themen, wie die Vermeidung von Korruption, die gesamte Lieferkette in den Blick nehmen will und zivilrechtliche Haftung nicht mehr ausschließt. Mit einer verbindlichen EU-Richtlinie wird 2023 gerechnet. Studien zu den Erfahrungen mit dem CSR-RUG zeigen, dass gerade beim Thema der Lieferkettentransparenz und insbesondere beim Thema Sorgfaltspflicht und Menschrechte, Unternehmen sich zurzeit noch schwertun, robuste und aussagefähige Informationen zu liefern – eine Baustelle, die absehbar noch eine Zeitlang bestehen bleiben wird.

Entwicklung Offenlegungsverpflichtung

Transparenzdruck durch den Kapitalmarkt

Mit »Shifting Trillions« ist die aktuelle Empfehlung des deutschen Sustainable-Finance-Beirates an die Bundesregierung und die EU betitelt. Und in der Tat ist der Investitionsbedarf zur Transformation der globalen Wirtschaft enorm groß: Allein zur Erreichung ihrer eigenen Energie- und Umweltziele zwischen 2021 und 2030 rechnet die EU mit notwendigen zusätzlichen Investitionen im Wert von jährlich rund 260 Milliarden Euro. Dies entspricht rund 1,5 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts (bezogen auf 2018-BIP). Zur Finanzierung des Green Deal insgesamt legte die EU-Kommission im Januar 2020 den Green-Deal-Investitionsplan vor, der darauf abzielt, im nächsten Jahrzehnt mindestens eine Billion Euro für nachhaltige Investitionen zu mobilisieren. Die Vereinten Nationen rechnen im UNCTAD World Investment Report von 2014 für die Umsetzung ihrer 17 globalen Nachhaltigkeitsziele in den Entwicklungsländern sogar mit 2,5 bis drei Billionen Dollar an zusätzlichen Investitionen bis 2030 – und zwar jährlich.

Auch der Kapitalmarkt bereitet sich seit einiger Zeit auf Investitionen in diesem Bereich vor. Dabei geht es Investoren nicht nur darum »stranded assets« zu vermeiden, sondern selbst am großen Rad der Transformation mitzuverdienen. Deshalb ist für Larry Fink, den CEO des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, der Klimawandel auch »zu einem entscheidenden Faktor für die langfristigen Aussichten von Unternehmen geworden«.

Wollen Kapitalmarktakteure nachhaltig investieren, dann holen sie bei Unternehmen Auskünfte über deren ESG-Performance – Environment (E), Social (S) und Governance (G) – ein, weshalb der Nachhaltigkeitsbericht dort auch oft ESG-Report genannt wird. Die Nachhaltigkeitsbewertung von Unternehmen ist ein eigener Markt geworden, in dem spezialisierte Ratingagenturen ihre eigene Bewertungsmethodik entwickelt haben und anpreisen.

Um ihren großen Informationshunger zu stillen, versenden diese Agenturen unter anderem Fragebögen, die eine große Schnittmenge haben mit den im Rahmen von Berichtspflichten zurzeit diskutierten beziehungsweise durch den GRI-Standard schon vorgegebenen Themen. Solange es keine gesetzlichen Transparenzanforderungen gab, haben kapitalmarktorientierte Unternehmen solche Anfragen weitestgehend bereitwillig ausgefüllt, obwohl der damit verbundene Aufwand nicht gering war. Es ist aber damit zu rechnen, dass mit der Ausweitung gesetzlicher Berichtspflichten zu Nachhaltigkeitsthemen auch die Agenturen verstärkt auf diesen Vorgaben aufsetzen müssen.

In Deutschland liegt der Anteil an Socially Responsible Investments (SRI) zurzeit nur bei circa acht Prozent am gesamten Investmentmarkt, in anderen Ländern ist er etwas höher. Angesichts des gewaltigen Investitionsbedarfs scheint es also sinnvoller, hier auf den Mainstream-Kapitalmarkt zu schauen, in dem sich inzwischen alles um den von Larry Fink angesprochenen Klimawandel und die Frage dreht, wie gut Unternehmen hierauf vorbereitet sind.