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Vulkan will aus der Föderation austreten!
Auf Vulkan haben die Sezessionisten ein Referendum durchgesetzt, in dem der Austritt aus der Föderation beschlossen werden soll. Spock und sein Vater, Botschafter Sarek, kehren mit der
Enterprise in ihre Heimat zurück, um öffentlich Stellung zu nehmen. Auch Captain Kirk und Dr. McCoy wollen im "Saal der Stimme" für den Verbleib in der Föderation plädieren.
Die Mehrheit der Vulkanier aber will sich für die freiwillige Isolation entscheiden. Furcht vor Überfremdung durch die unkontrollierten Emotionen der Menschen hat sich auf dem Planeten breitgemacht. Dr. McCoy muss erkennen, dass man die öffentliche Meinung gezielt manipuliert hat.
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Seitenzahl: 519
Auf Vulkan haben die Sezessionisten ein Referendum durchgesetzt, in dem der Austritt des Planeten aus der Föderation beschlossen werden soll. Spock und sein Vater Sarek kehren mit der Enterprise in ihre Heimat zurück, um öffentlich Stellung zu nehmen. Auch Captain Kirk und Dr. McCoy wollen im »Saal der Stimme« für den Verbleib in der Föderation plädieren.
Die Mehrheit der Vulkanier aber will sich für die freiwillige Isolation entscheiden. Furcht vor Überfremdung durch die unkontrollierten Emotionen der »primitiven« Menschen hat sich auf dem Planeten breitgemacht. Doch Dr. McCoy muss entdecken, dass die öffentliche Meinung gezielt manipuliert wurde …
DIANE DUANE
SPOCKS WELT
Star Trek™
Classic
Für Kim und Nic Farey
in Gedenken an den VFP-Con 1986:
Mit bestem Dank
für den klingonischen Radaumacher,
durch den ich bei allen
Mein Dank gilt den Sysops des SF-Forums von Compu-Serve: Jim Schneider, Rita McConville und dem Chef-Sysop Wilma Meier. Sie halfen mir, dieses Buch rechtzeitig fertigzustellen.
Darüber hinaus möchte ich mich bei Susie und Mike bedanken, die mir halfen, als ich in der Klemme saß …
Und bei Dave Stern, dessen unerschütterliche Ruhe der eines Vulkaniers in nichts nachsteht.
In Starfleet heißt es, nur Nachrichten seien schneller als Warp 10.
Man erzählt sich viele Witze in Starfleet, doch für diesen gibt es eine reale Grundlage. Für eine Föderation, die aus Hunderten von Planeten besteht, wie Kometenstaub über Tausende von Lichtjahren verstreut, sind Nachrichten der Lebensnerv. Ohne sie wäre jede Welt so isoliert, als existierten überhaupt kein anderes Leben, keine anderen Gedanken und Perspektiven. Heute sind nur wenige Zivilisationen so unnahbar und paranoid, dass sie allein in der Dunkelheit verharren wollen, und deshalb ist die Übermittlung von Informationen eigentlich noch wichtiger als Kriege und das individuelle Bemühen, reich zu werden. Subraum-Sendungen (schneller als das Licht, aber nicht schnell genug), von Phasern ›gestauchte‹ Datenpakete aus Tachyonenimpulsen, Wurmloch-Übertragungen, die ›Seitenschritt‹-Technologie des komprimierten Kontinuums, Sinus-Neutralisierung und (innerhalb von Sonnensystemen) verschiedene Trägersysteme, von Radiowellen bis hin zu Holotrans – all das dient dazu, Nachrichten zwischen den vielen Föderationswelten und anderen Planeten auszutauschen, Abermilliarden von Kilometern und Tausende von Lichtjahren zu überbrücken, zu durchstoßen, zu umgehen oder einfach zu überlisten.
Die unvorstellbaren Weiten des Alls bleiben nicht ohne Einfluss auf die Informationen. Subraumstatik stört Signale; Daten verlieren wichtige Bits und Bytes; Übersetzungen sind ungenau oder mehrdeutig. Durch die große Entfernung erscheinen manche Nachrichten weniger wichtig, als es eigentlich der Fall sein sollte, und Nähe führt dazu, dass eher banale Mitteilungen eine Bedeutung bekommen, die ihnen gar nicht zusteht. Keine einzige Nachricht bleibt ohne Wirkung, nachdem sie die stumme Unendlichkeit des Universums durchquert hat. Sie verändert die Gedanken derjenigen, die sie entgegennehmen, führt dabei zu unterschiedlichen Reaktionen.
Diese besondere Nachricht bildete keine Ausnahme.
Die Tür glitt beiseite, und der Mann betrat sein Quartier. Ein oder zwei Sekunden lang blieb er still stehen, sprach dann ein Wort, das den Zugang wieder schloss und die Geräusche draußen fernhielt. Sein Terminal summte leise – ein akustischer Hinweis, den die meisten Bewohner dieses Planeten nicht wahrnehmen konnten. Die Frequenz war zu hoch.
Der Mann streifte den dunklen Umhang ab und hängte ihn an einen Haken neben der Tür. Darunter trug er eine ebenfalls dunkle, braunschwarze Kombination aus Hemdjacke und Hose, und am Kragen der Jacke zeigte sich das goldene Familiensiegel. Es handelte sich um eine diplomatische Uniform, die durch seine Statur noch beeindruckender wirkte. Er war groß und nicht mehr ganz schlank – eine Folge des Alters. Sein Erscheinungsbild entsprach der Kleidung: dunkle Haare, dunkle, ernst blickende Augen, das Gesicht scharfgeschnitten und – für die meisten Menschen an diesem Ort – völlig ausdruckslos. Etwas in seiner Haltung deutete auf Kraft hin, auf starke Kraft, die einer strengen Selbstbeherrschung unterlag. Das Ausmaß der Kontrolle blieb den Beobachtern verborgen: Niemand von ihnen wusste, dass manchmal Risse in seiner mentalen Abschirmung entstanden, wodurch ihm ihre Gedanken entgegenfluteten. Vielleicht wäre er darüber verlegen gewesen – aber derartige Emotionen existierten nur in Kindern, Tieren und wahrhaft fremdartigen Aliens.
Er drehte sich um, blickte in den messingfarbenen und goldenen Nachmittag, beobachtete den braun gewordenen Rasen. Die Abenddämmerung eines Tages begann, den die Einheimischen für außerordentlich heiß hielten, viel zu heiß für die Jahreszeit. Mehrmals hatte der Mann entschuldigende Bemerkungen gehört: »Wenigstens ist es eine trockene Hitze.« Offenbar wussten die betreffenden Menschen nicht, dass er solche Temperaturen als angenehm empfand. Für ihn war es ein kühler, anregender Frühlingstag, mit Hunderten von verschiedenen Pflanzen, die Triebe entwickelten oder bereits blühten; er entsann sich an Jagdausflüge in seiner Jugend.
Die eidetische Erinnerung hatte auch Nachteile. Ob er es wünschte oder nicht: Für einige Augenblicke kehrte er auf die Ebene unter dem brennenden Himmel zurück, roch die Luft, spürte brodelndes Entsetzen und konnte dieses Gefühl nicht kontrollieren – am Ende des Tages würde er entweder ein Mann sein oder tot. Dann kehrte das memoriale Fragment – es kam einem holographischen Standbild gleich – an die vom mentalen Index bestimmte Stelle im Gedächtnis zurück. Der Mann wölbte eine Braue angesichts dieser Nachgiebigkeit gegenüber sich selbst, beschloss, an diesem Abend etwas mehr Zeit mit den Disziplinen zu verbringen, und ging zum Terminal.
Als er es berührte, verklang das hochfrequente Summen. Innerhalb einer Sekunde las das Terminal sein EEG durch die Haut und identifizierte die charakteristischen Muster. Blaue Symbole bildeten Kolonnen auf dem Schirm, gaben Auskunft über die Anrufe während seiner Abwesenheit. Die meisten waren unwichtig, wenn man sie mit dem Namen und Kommunikationscode auf der rechten Seite der Liste verglich. Er hatte gehofft, dass ihn die Botschaft heute nicht mehr brauchte. Andererseits: Hoffnung und Logik schlossen einander aus. Im Leben ging es darum, sich mit konkreten Fakten zu befassen. Er berührte den Schirm, und der Computer stellte eine Verbindung her.
Er zögerte kurz, bevor er sprach. Die Mitteilungen wurden verschlüsselt, und bevor der Kontakt erfolgen konnte, musste sich der Computer mit dem anderen Terminal auf den achtstelligen Code einigen, der die Geheimhaltung sicherstellte. Der Mann brachte dem Chiffrier-Vorgang uneingeschränktes Vertrauen entgegen – er hatte dieses spezielle Codierungsverfahren vor sechsundneunzig Jahren erfunden.
Er wartete genau zwei Komma drei Sekunden, und dann konnte die Kommunikation beginnen.
»Sarek«, sagte er.
Der Computer übermittelte die antwortende Stimme in einer Frequenz, die kaum ein Individuum auf diesem Planeten hörte. Ein Lauscher hätte nur leises Zischen und Zirpen vernommen, das mehrere Sekunden lang anhielt. Schließlich fragte Sarek: »Mit welcher Mehrheit?«
Erneut das Flüstern. »Nun gut«, sagte er. »Von wem stammt das Ersuchen?«
Ein zartes Raunen. »Sagen Sie ihr, dass ich kommen werde«, erwiderte Sarek. »Wenn alle Transportmöglichkeiten richtig funktionieren, treffe ich in vier Komma neun sechs Tagen ein. Ende.«
Er berührte eine andere Datenfolge auf dem Schirm, und diesmal hielt er sich nicht mit einer Codierung auf. »Sarek«, wiederholte er. »Man hat mich abberufen. Inoffiziell. Treffen Sie alle notwendigen Reisevorbereitungen und beauftragen Sie Svaid und T'Aimnu, meine Termine wahrzunehmen.«
»Bestätigung«, entgegnete der Attaché. »Ich kümmere mich sofort darum. Welchen Grund nennen wir dem Föderationsrat und der Einwanderungsbehörde?«
»Persönliche politische Angelegenheiten«, sagte Sarek. Er hörte T'Lies wortlose Neugier und fügte hinzu: »Man hat das Referendum anberaumt. Ich soll für den Antrag sprechen.«
Eine kurze Pause. »Diese Information fehlte im Bulletin von heute morgen. Vielleicht ein Versehen.«
»Nein. Ich bin gerade erst benachrichtigt worden. Mit ihrer nächsten Verlautbarung gibt die Exekutive eine Erklärung heraus. Veranstalten Sie eine Pressekonferenz, sobald Ihnen eine kontextpositive Übersetzung vorliegt.«
»Ja, Sir.«
»Ende.«
Der vulkanische Botschafter bei der Vereinten Föderation der Planeten – gleichzeitig vertrat er Vulkan auf der Erde – wandte sich vom Schirm ab und nahm langsam im Sessel vor dem Fenster Platz. Licht und Wärme strömten in ein stilles Zimmer. Sarek lehnte sich zurück, schloss die Augen und versuchte, mit der Stille und Wärme zu verschmelzen. Doch es gelang ihm nicht – die Ruhe war eine Illusion. Chaos herrschte hinter seiner Stirn. Deswegen wäre er bestimmt verlegen gewesen – aber ein derartiges Empfinden hätte das psychische Durcheinander nur verschlimmert.
Wenn ich versage, dachte er, verliere ich die Ehre, und dann trägt meine Familie für immer das Stigma der Schande. Man wird uns ächten. Wenn ich Erfolg habe … Dann rette ich die persönliche Ehre, und mein Gewissen bleibt intakt. Aber es würde gleichzeitig das Ende meines Hauses bedeuten – oder ich muss damit rechnen, zu einem Ausgestoßenen und Verbannten zu werden. Und die Erde …
Er hob die Lider und blickte aus dem Hochhausfenster. Ein Rotschwanzbussard ließ sich vom warmen Aufwind tragen und schwebte, wie ein verharrender Gedanke. Weit dahinter, in der dunstigen Ferne des blauen Himmels, jenseits der Hügel, die wie ausgeschnittene Kartonschnipsel wirkten, strichen cremefarbene Wolken über den Horizont, verdichteten sich allmählich und gebaren Gewitter.
Dann ist die Erde für uns tot, dachte Sarek und stand auf, um ein Gespräch zu führen, das er bisher hinausgeschoben hatte.
Vom Weltraum aus betrachtet, gewann die viele Kilometer tiefe, in einem ständigen Wandel gefangene Atmosphäre eine ganz neue Perspektive. Die unendliche, von Sternen durchsetzte Schwärze presste sich auf eine dünne Hülle aus Luft hinab, eine gläserne, marmorierte Kugel, die glänzte, wo das Sonnenlicht sie berührte, ihre blauen Ozeane von vagem Dunst umschmiegt. Ein zerbrechliches, überaus empfindliches Etwas, ein Kunstobjekt, rund und perfekt. Aber für wie lange? Aus der hohen Umlaufbahn gesehen, hatte es den Anschein, als könne man die Erde auf den Boden der Nacht schleudern und dort zerplatzen lassen. Man fühlte sich veranlasst, behutsam zu schreiten und leise zu sprechen – um nicht jenes unsichtbare Wesen zu erschrecken, das die Kugel trug.
Die weite Wölbung des Planeten, blau und braun und grün, hier und dort weiße Flecken … Häufig betrachtete Spock diese Darstellung, wenn er sich allein auf der Brücke befand, so wie jetzt. Schon seit fast sechzehn Tagen hielt sich außer ihm niemand im Kontrollraum auf, abgesehen von einigen Wartungstechnikern und Brückenoffizieren, die gelegentlich zu Besuch kamen. Eigentlich erstaunlich: Selbst wenn sie Landurlaub hatten, zog es sie immer wieder ins Schiff zurück.
Aber Jim hätte vermutlich darauf hingewiesen, dass auch Spock der Enterprise nicht für längere Zeit fernbleiben konnte. Vorstellungsbilder formten sich … Jim Kirk, der über Spocks Versuche schmunzelte, rationale Gründe für seine Anwesenheit an Bord zu nennen, obgleich es dafür überhaupt keine Logik gab: Alle Instrumente und Geräte funktionierten einwandfrei und waren so gut justiert, dass selbst der Erste Offizier mit seinen erbarmungslos hohen Ansprüchen keinen Grund zur Kritik fand. Jim hätte die Gelegenheit sicher genutzt, um seinen vulkanischen Freund gutmütig zu verspotten. Nun, es war natürlich das Privileg des Captains, Spock nicht ernst zu nehmen – so wie Spock das Recht beanspruchte, angesichts des irrationalen, emotionalen menschlichen Verhaltens (äußerlich) die Brauen zu heben und (innerlich) darüber zufrieden zu sein, dass ihn jemand gut genug kannte, um ihn trotz seiner vulkanischen Herkunft zu belächeln.
Spock saß stumm im Kommandosessel, beobachtete die Erde und ging in Gedanken einige Listen durch. Nach den umfangreicheren und komplexeren Reparaturarbeiten – sie galten in erster Linie dem Warptriebwerk und der Antimaterie-Abschirmung in einer Warpgondel; hinzu kam die Installation neuer Dilithiumkristalle – beorderte Starfleet die Enterprise aus dem Hauptdock von San Francisco High in einen Parkorbit über dem Nordatlantik, wo das Schiff mit neuen Vorräten ausgestattet wurde. Dazu gehörten eher banale Dinge wie der vollständige Austausch von mehr als einer Million Kubikmeter Luft in der Enterprise. Zwar verfügte das Raumschiff über hochmoderne und sehr leistungsfähige Wiederaufbereitungsanlagen, aber nach mehreren Jahren roch die Luft muffig und verbraucht. Während jener Phase hatte Spock das Schiff verlassen – er fand es ästhetisch unbefriedigend, für längere Zeit Vakuum zu atmen. Er verbrachte den Tag in der Nähe von Reykjavik, beschäftigte sich mit heißen Quellen und allgemeiner vulkanischer Aktivität.
Anschließend kehrte er zurück, um den Transport anderer Fracht zu überwachen: Nahrungskonzentrate für die Synthetisierer, hydroponische Komponenten, Kurzwaren, Textilien, Maschinenteile, Datenkassetten und -würfel, Reinigungsmittel, Wartungsmaterialien, all die hunderttausend Kleinigkeiten, die eine Besatzung benötigte, wenn sie längere Zeit im All blieb. Eigentlich brauchte Spock dabei gar nicht die Aufsicht zu führen – er hatte ebenfalls Landurlaub –, aber er legte großen Wert darauf (und glaubte, damit seinen Verpflichtungen als Erster Offizier gerecht zu werden), selbst festzustellen, dass die Enterprise in jeder Hinsicht raumtüchtig war. Er gab sich nicht damit zufrieden, eine entsprechende Meldung entgegenzunehmen.
Irgendwann wurde es zu einer Art Spiel, dem Quartiermeister und seinen Mitarbeitern in Dingen zuvorzukommen, an die sie von selbst hätten denken sollen. Daraus ergab sich etwas, das Spock für eine gesunde Konkurrenz hielt. Wer dachte als erster daran, dem einzigen Horta an Bord – manchmal wies er humorvoll darauf hin, dass der Mensch nicht allein von Nickel und Eisen lebte – genau den richtigen Granit und (als besonderen Leckerbissen) Marmor zu besorgen? Wer wusste, wo es genau die richtigen Haferflocken für den Chefingenieur gab, der gelegentlich einen ›ordentlichen‹ Porridge zum Frühstück verlangte? Wem gelang es, hunderttausend Tonnen arabischen Kaffee zum günstigsten Preis einzukaufen? (Spock hatte eine ebenso einfache wie elegante Methode entwickelt, um Kaffee zu lagern: Man beamte ihn in kleinen Mengen an Bord und unterbrach den Transfer unmittelbar vor der Rematerialisierung; er blieb als Strukturformel im Datenspeicher des Transporters, bis man ihn anforderte. Diese Technik war inzwischen in der ganzen Flotte zur gängigen Praxis geworden, soweit es um ›irrelevante‹ Fracht ging. Dadurch stand der Kaffee, bisher ein Luxus für wenige Personen, allen Besatzungsmitgliedern zur Verfügung. Insbesondere McCoy und Kirk hingen sehr an der schwarzen, koffeinhaltigen Flüssigkeit – und sie mochten sie frisch.)
Außerdem gab es noch angenehmere Formen der Wartung: vor allen Dingen die Erneuerung der Datenbibliotheken. Spock verbrachte fast hundert Stunden damit, Informationen zu sortieren, die vom Britischen Museum übermittelt wurden, im Auftrag der Smithsonian Institution in Washington, der Kongressbibliothek, der Ryeshva Moskva, des Schweizerischen Landesmuseums, der Bibliothèque Nationale und anderer Institute. Sie mussten überprüft, katalogisiert und in elektronischen Verzeichnissen erfasst werden. Anschließend kam der mindestens ebenso wichtige Austausch von Daten: Nach der Rückkehr in ihren Heimathafen gab die Enterprise all das Informationsmaterial frei, das keinen speziellen Geheimhaltungsstufen unterlag. Nach dieser Arbeit schlief Spock siebenundzwanzig Stunden lang – wie ein Klotz, hätte McCoy sicher bemerkt. Allerdings blieb es dem Vulkanier ein Rätsel, wie ein Klotz schlief, und sicher wusste auch der Bordarzt keine Antwort auf diese Frage.
Die Ausstattung mit neuen Vorräten ging nun dem Ende entgegen. Spock ließ die gedanklichen Listen ruhen und betrachtete die Darstellung des Nordatlantiks. Er beobachtete die winzigen, präzisen Wettermuster aus weißgrauen Strudeln und Wirbeln, während die Sterne im Hintergrund den Eindruck erweckten, sich um eine stationäre Kugel zu drehen. Dem Ersten Offizier bot sich ein vertrauter Anblick dar. Als Zeitvertreib und Übung in Logik hatte Spock damit begonnen, Prognosen in Hinsicht aufs irdische Wetter zu erstellen. In diesem Zusammenhang gab es eine faszinierend große Anzahl von Variablen: jahreszeitlich bedingte Tendenzen, Sonnenstürme, Fluktuationen in der irdischen Ionosphäre, die gelegentlich erfolgreichen Versuche, das Klima auf lokaler Ebene zu kontrollieren – und die endlosen Veränderungen, Störungen und Bewegungen des Jetstream und vieler anderer Winde. Spock brauchte eine Woche, um einen genauen Eindruck vom nordamerikanischen Wetter zu bekommen. Er schrieb einen Algorithmus mit den notwendigen jahreszeitlichen Variationen, schickte ihn dem für die westliche Hemisphäre zuständigen Wetterdienst und suchte dann nach einer größeren Herausforderung. Großbritannien und Irland versprachen ihn für längere Zeit beschäftigt zu halten: Alles deutete auf einen sehr komplexen Algorithmus hin. Vielleicht benötigte er diesmal mehr als eine Woche, etwa zehn Tage. Der Vulkanier fragte sich, ob sich die dort lebenden Menschen darüber freuen würden, dass endlich jemand ihr Wetterproblem löste.
Während Spock auf drei kleine, fleckige Tiefdruckgebiete über den Britischen Inseln sah, kehrten die mentalen Listen ins Zentrum seiner Aufmerksamkeit zurück. Inzwischen war fast alles komplett. Die letzten Lieferungen bestanden aus Fracht und Post für Föderationswelten, die kaum von Raumschiffen angeflogen wurden – zumindest nicht von Einheiten, die so gut bewaffnet waren wie die Enterprise: zwölf Tonnen Container mit schweren Maschinenteilen und Elektronik, das Äquivalent von fünfzig Tonnen Post, ein kleiner Teil davon in Form gegenständlicher Daten, der größere ebenso in der ›Schwebe‹ wie der Kaffee. Es kostete viel, bedrucktes Papier über interstellare Entfernungen zu transportieren, aber wichtige Dokumente, Währung und persönliche Post mussten sowohl beim Absender als auch beim Empfänger in Form von Papier (beziehungsweise Kunststoff oder Metall) bestehen, und dafür gab es verschiedene Gründe. Auch hier bot sich die Kaffee-Lösung an, denn der Transport von Energie war billiger als der von Materie – trotz der zusätzlichen ›statischen‹ Energie, die gebraucht wurde, um die Strukturformeln im Datenspeicher des Transporters stabil zu halten. Sicherheitsprobleme existierten nicht: Spock hatte einen Code entwickelt, der verhinderte, dass sich jemand Zugang zur elektronischen Post verschaffen konnte, solange sie sich im Transit befand. Es handelte sich um eine sehr komplizierte Verschlüsselungsmethode, und ihre Grundlagen kamen von einer vollkommen zuverlässigen Quelle …
Ein Kom-Signal erklang.
Der Erste Offizier betätigte eine Taste in der Armlehne des Kommandosessels.
»Enterprise, Spock spricht.«
»Sarek«, erklang es aus dem Lautsprecher, und Spock wölbte die Brauen.
»Vater«, sagte er. »Geht es dir und Mutter gut?«
In der trockenen, fernen Stimme ließ sich ein Unterton von Ironie vernehmen. »Hast du dir das menschliche Verhalten so sehr zu eigen gemacht, Sohn, dass du versuchst, mit mir zu ›plaudern‹?«
Spock schwieg einige Sekunden lang und erwiderte dann: »Vater, für gewöhnlich setzt du dich nur dann mit mir in Verbindung, wenn es Mutter nicht gut geht. Deshalb bin ich der Ansicht, dir eine logische Frage gestellt zu haben.«
Die kurze Stille wiederholte sich. »Dieses Argument erscheint mir gerechtfertigt«, sagte Sarek. »Nun, deine Mutter und ich sind gesund und wohlauf.«
»Dann nehme ich an, dass du Kontakt mit mir aufgenommen hast, um die Abstimmung zu erörtern, die heute morgen auf Vulkan stattfand.«
»Liegt dir eine Mitteilung vor?«
»Nein. Aber es ist eine logische Schlussfolgerung. Wie lautete das Ergebnis?«
»Viertausenddreihunderteinundfünfzig Stimmen für die Sezession.«
Spock saß völlig reglos, und ein Teil seines Bewusstseins konzentrierte sich wieder auf die Britischen Inseln, beobachtete ein Tiefdruckgebiet, das sich langsam den Midlands näherte. Ein weiteres befand sich im Bereich der Borders, der englisch-schottischen Grenzdistrikte, und dadurch fiel es schwer festzustellen, ob das erste nach Norden oder Süden ziehen würde. Eins stand fest: Bestimmt regnete es in den Cotswold Hills.
»Dann hat man dich sicher gebeten, nach Vulkan zurückzukehren und für die Sezessionisten zu sprechen«, vermutete Spock.
Wieder eine Pause. »In der Tat. Mehr noch: Das Ersuchen stammt von T'Pau.«
»Wirst du ihm nachkommen?«
Eine längere Pause. »Du kennst meine Gründe, Sohn.«
Spock schwieg erneut und betrachtete ein Wolkenband über Ayrshire. »Nur zu gut, Vater«, antwortete er. »Doch du musst nach deinem Gewissen handeln.«
»Das gilt ebenso für dich. Der Rat erwartet auch deine Aussage.«
Spock überlegte, welche Konsequenzen sich daraus für den wohlverdienten Urlaub der Besatzung ergaben. Er empfand kurzes Bedauern und verdrängte dieses Gefühl rasch. »Damit hätte ich rechnen sollen«, sagte er. »Zur Kenntnis genommen. Ich gebe alle erforderlichen Meldungen heraus und benachrichtige auch Starfleet – obgleich ich mir vorstellen kann, welche Entscheidung man dort treffen wird.«
»Einverstanden. Wir sehen uns zu Hause, Sohn. Ich schätze, du erreichst Vulkan vor mir.«
»Das glaube ich auch«, erwiderte Spock. Er zögerte einmal mehr und fügte dann hinzu. »Bitte richte Mutter aus, dass ich an sie denke.«
Das stille Geräusch einer vulkanischen Braue, die sich irgendwo in Los Angeles wölbte. »Etwas anderes wäre unlogisch«, sagte Sarek mit einem Hauch von Humor in seiner trockenen Stimme. »Ende.«
Spock betätigte den Schalter in der Armlehne zum zweiten Mal und beobachtete den Süden von Großbritannien und Wales. Die kleine Wolke, die von Gwynedd nach Osten über die Irische See reichte – vielleicht bot sie eine Lösung. Die beharrliche Rückströmung vereinte sich mit dem primären, nach Nordosten reichenden atmosphärischen Fluss. Spock berechnete Bewegungsvektoren und Wahrscheinlichkeiten, wandte sich dann widerstrebend von einem Algorithmus ab, der allmählich Konturen gewann. Ein wundervoll komplexes Problem – doch das Leben hatte ihm ein noch komplizierteres gegeben. Das Wetter musste warten.
Er stand auf, verließ den Befehlsstand, kehrte zu seiner wissenschaftlichen Station zurück und gab die ersten Meldungen heraus.
Sturm kam auf. Böiger Wind schleuderte Regen an die von der Nacht verdunkelten Fenster des Pubs und ließ die Luftklappe im Kamin rasseln. Einmal hörte Jim lautes Knacken und Krachen – eine gelöste Dachpfanne, die am Schornstein zerbrach –, gefolgt von einem Arpeggio aus mehrfachem Klacken, als einzelne Bruchstücke in die Regenrinne fielen. Aber James T. Kirk kümmerte sich nicht darum. Er saß in einem Sessel vor dem Kamin, die Füße zum Feuer ausgestreckt, in der einen Hand einen irischen Whisky. Er hatte es warm und behaglich, und es warteten keine Pflichten auf ihn. Entspannt lauschte er dem Stöhnen und Ächzen des Windes im Rauchfang.
»Ah, hier sind Sie, Jim«, erklang eine vertraute Stimme hinter ihm.
»Ronan«, sagte er und sah auf. »Die anderen Gäste halten Sie beschäftigt, wie?«
»Heute Abend nicht.« Ronan Boyne nahm in dem anderen Sessel Platz, einer üppig gepolsterten Rosshaar-Antiquität, die mehr als hundert Jahre alt sein mochte. Die Kneipe gehörte ihm, und alle nannten sie Willow Grove, obgleich ›Deveraux's‹ über der Tür stand. Ronan stellte seinen allgegenwärtigen Orangensaft-mit-Zitrone-Drink ab und strich sich das Haar glatt; er war so schwarzhaarig, wie es ein Ire nur sein konnte, hatte ein breites, offenes Gesicht und große, kräftige Hände. »Nur Narren und vollkommen Verzweifelte sind heute Abend draußen«, sagte er. »Selbst die Fähren von Wales verkehren nicht mehr.«
»Überrascht mich kaum. Wer will bei diesem Wetter unterwegs sein? Die Wellen sind mindestens drei Meter hoch.«
»Wenn Sie nicht unterwegs sein wollen, sollten wir anderen besser zu Hause bleiben! Wie wär's später mit Schach?«
»Klingt gut.«
»Also abgemacht.« Ronan stand wieder auf und kümmerte sich um einen ›Verzweifelten‹, der mehrere leere Krüge zur Theke brachte.
Jim seufzte und lehnte sich wieder zurück. Schon seit zwei Wochen genoss er diesen Frieden: eine Frage, vielleicht auch zwei, und dann ließ man ihn wieder in Ruhe. Aber gleichzeitig hatte er immer Gesellschaft, wenn ihm der Sinn danach stand. Er konnte sich keinen besseren Ort für einen Urlaub vorstellen.
Er brauchte diese Möglichkeit, richtig auszuspannen. Der Zwischenfall mit den Romulanern, danach die zahllosen Versorgungsflüge nach Gamma Muscae V, wo eine Hungersnot herrschte, schließlich die 1210-Circini-Mission, bei der die Enterprise ins Kreuzfeuer von vier Planeten geriet – so etwas genügte, um graue Haare zu bekommen. Als schließlich eine routinemäßige Wartung in den irdischen Raumdocks auf dem Plan stand, ließ sich Kirk dazu hinreißen, die Vorteile seines Rangs zu nutzen, um der Besatzung und auch sich selbst eine Abwechselung zu gönnen. Eine Stunde nach dem Erreichen der terranischen Umlaufbahn setzte er sich mit dem Flottenkommando in Verbindung, machte von seinem Recht Gebrauch, den Urlaub der letzten beiden Jahre in einem Stück zu nehmen – und bereitete sich auf eine Auseinandersetzung vor. Doch Starfleet antwortete schlicht, die Enterprise sei längst überfällig für eine gründliche Überholung: Die Versorgung mit neuen Vorräten und das gründliche Testen aller Bordsysteme nehme mindestens einen Monat in Anspruch. Der Captain und seine Mannschaft bekamen unbefristeten bezahlten Urlaub – es sei denn, sie wollten vorübergehend an Bord von anderen Raumschiffen Dienst tun. Jim lächelte und wusste genau, dass niemand einen solchen Antrag stellen würde. Er packte seine Sachen, verabschiedete sich bis auf weiteres von seiner Crew und versuchte, spurlos zu verschwinden.
Durch die Technik wurde der Planet Erde kleiner, als er es jemals zuvor gewesen war, aber man konnte noch immer alle Spuren hinter sich verwischen, wenn man sich wirklich Mühe gab. Jims Reise dauerte nur drei Stunden, und mit voller Absicht verhielt er sich dabei wie ein gewöhnlicher Tourist. Er sah keinen Sinn daran, sich einfach ans Ziel zu beamen, als sei Terra nur ein anderer Ort, wo es irgendeine Pflicht zu erfüllen galt. Mit einer Raumfähre der Enterprise flog er zum Orbitalzentrum der Flotte, begab sich per Transporter nach San Francisco Interplanetar und ging an Bord eines hyperbolischen Shuttles, das ihn von SFO nach London brachte. Dort nahm er den Spas-Lingus-Ionenspringer, der vom Luton-Raumhafen nach Dublin startete. Für die letzte Etappe, nach Süden über die Küstenstraße, mietete sich Kirk einen Bodengleiter. Normalerweise hätte die Reise nicht länger als zwei Stunden gedauert, aber in Luton wartete er, mit einer Mischung aus Ärger und Erheiterung, fast sechzig Minuten lang auf die Starterlaubnis. Jim hatte nicht auf das richtige Timing geachtet und geriet dadurch in die Rush-hour der Pendler, die nach Europa und Asien zurückkehrten.
Aber als er den Gleiter über die Küstenstraße lenkte, wurde er für die Verzögerung mit einem herrlichen Anblick entschädigt. Vorn und rechts ragten die Wicklow Mountains auf, zeichneten sich als schiefergraue und smaragdgrüne Umrisse vor dem purpurnen und goldenen Sonnenuntergang ab. Links erstreckte sich das Meer, blaugrau wie stille Augen, die Brandung in leiser Ferne zu Füßen der Bray Head. Es gab nicht viele Häuser, um die raue Herrlichkeit von Bergen, Wasser und Himmel zu beeinträchtigen. Die Orte schienen sich auf eine maximale Höhe von ein oder zwei Stockwerken zu ducken, blieben klein und unauffällig. Die vielgepriesene und oft bewunderte Stadt Dublin war in viele Richtungen gewachsen, aber nicht hierher. Man sah nur ihre Türme, wenn man übers Watt der Dublin Bay blickte – Zivilisation, die angemessen auf Distanz gehalten wurde, auf dass die Pferde nicht erschraken. Die Iren hatten gewisse Prioritäten.
Jim ließ den Bodengleiter noch tiefer sinken, steuerte ihn an hohen Hecken vorbei, passierte das Pub Willow Grove und schenkte dem Bed-and-breakfast-Schild nur beiläufige Beachtung. Doch nach einem knappen Kilometer drehte er um und kehrte zurück. Das Gasthaus wirkte auf eine ruhige Art und Weise einladend: ein altes georgianisches Gebäude, groß für diesen Teil der Welt, vorn zwei hohe Erkerfenster, drinnen fröhliche Trinker. Kirk trat ein und erkundigte sich nach den Preisen und dem Zahlungssystem. Eine halbe Stunde später saß er in diesem Sessel, aß Eintopf mit Lammfleisch, trank ein Guinness und ertrug die Neugier der Einheimischen.
»Hallo, Jimmy, wie geht's heute Abend?«
»Bestens«, erwiderte er automatisch. Es spielte keine Rolle, wer die Frage stellte – die Antwort entsprach immer der Wahrheit. Als er den Kopf hob, sah er die Rücken von Riona und Erevan Fitzharris, die zur Theke gingen, um sich das übliche Pint zu genehmigen: ein großer blonder Mann und eine große Rothaarige, zwei Computerberater, die in Hamburg arbeiteten und jeden Abend nach Wicklow zurückkehrten. Sie waren die ersten, die Jim erkannten.
Ronan behauptete, gar nicht darüber nachgedacht zu haben, bis man ihm die wahre Identität seines Gastes enthüllte. »Es ist nicht meine Schuld«, sagte er später. »Meine Güte, hier gibt's ebenso viele Kirks wie Kuhfladen. Und ich hocke nicht dauernd vor der blöden Kiste«, fügte er hinzu, womit er den Holo-Fernseher meinte. Angeblich nahm er nur davor Platz, wenn ein Fußballspiel übertragen wurde. Nun, Jim zweifelte an diesen Auskünften des Wirts – immerhin hatte er beobachtet, wie Ronan seine spezielle Kreditmarke fotografierte. Erst als ihm Riona und Erevan eines Abends in aller Öffentlichkeit vorwarfen, zu Starfleet zu gehören und der James T. Kirk zu sein, legte er ein Geständnis ab. Daraufhin lachte die Gruppe im Pub und grölte vor Vergnügen, als Jim errötete (er versuchte sich einzureden, dass es am Whisky lag), aber anschließend verhielten sich alle so, als sei überhaupt nichts geschehen. Wenn er aus reiner Angewohnheit sein Übersetzungsmodul aktivierte, hörte er nur ab und zu, wie ein Ire einem anderen zumurmelte: Ar captaen an t-arthaigh an rhealtai Eachtra – unser Raumschiffkommandant, der von der Enterprise. Und dann wandte er sich ab, damit niemand sein Lächeln sah.
Jim nippte an dem Whisky und streckte sich ein wenig im Sessel. Die Menschen hier interessierte nur, wer er war; seine Tätigkeit kam erst an zweiter Stelle. Gerade deshalb fühlte er sich an diesem Ort so wohl. Die Einheimischen waren neugierig geworden, weil ihnen niemand gesagt hatte, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente. Als dieser Punkt geklärt war, als sie ihn ordentlich dafür gefoppt hatten, ein galaktischer Held zu sein, sprachen sie über wichtigere Dinge: das Wetter, die Landwirtschaft, Sport und insbesondere den lokalen Klatsch. Fast alle fanden mehr oder weniger offensichtlichen Gefallen daran, Jim damit vertraut zu machen. Die Stammgäste im Pub schienen es für eine Frage der Ehre zu halten, dass er sie und ihre Nachbarn ebenso gut kannte wie alle anderen. Kirk fand sich damit ab, hörte geduldig zu und sah darin eine Parallele zu seiner Arbeit als Captain. Es gehörte zu den Aufgaben eines Raumschiffkommandanten, den Klatsch der Crew zu kennen – zu wissen, wann man darüber lachte, wann man ihn weitererzählte, wann man schwieg und einfach nur schmunzelte.
Wenn ihn abends doch jemand in Versuchung führte, ein wenig zu fachsimpeln, so geschah das auf eine sanfte und zurückhaltende Weise. Einmal erwähnte jemand beiläufig die berühmt-berüchtigte Piratin Grainne, die zu Lebzeiten der Königin Elisabeth I. Handelsschiffe in der Irischen See überfiel, und daraufhin schien es ganz natürlich zu sein, über orionische Piraten, die von ihnen angerichteten Verwüstungen und den abscheulichen Handel mit grünen Sklavenmädchen zu sprechen. Bei einer anderen Gelegenheit gab jemand zu, dass sein Urururururgroßvater zu den ›Gentlemen‹ gehört hatte – vor einigen Generationen war der Schmuggel eine Art Nationalsport gewesen. Jim trug eine möglichst unschuldige Miene zur Schau und erklärte, wie man romulanisches Bier durch die Neutrale Zone brachte, ohne dass der Zoll Verdacht schöpfte …
»Bei ihm dauert das Zapfen eine Ewigkeit«, sagte Riona, als sie an Jims Platz vorbeitrat und sich in den anderen Kaminsessel sinken ließ.
»Das ist kein Laster, sondern eine Tugend«, kommentierte Erevan und nahm ebenfalls Platz. In der rechten Hand hielt er ein bis zum Rand gefülltes Pint und setzte es vorsichtig auf einem kleinen Tisch ab. »Stimmt's, Jimmy?«
»Klar stimmt es«, erwiderte Kirk sofort. Und dann: »Was meinen Sie eigentlich?«
»Dieses Zeug hier darf man nicht zu schnell zapfen«, führte Erevan aus. »All die kleinen Blasen, pah – sie geraten hinein und ruinieren den Geschmack.«
»Wenn man halb verdurstet ist und es eine halbe Stunde dauert, bis man etwas zu trinken bekommt, spielt der Geschmack keine Rolle«, behauptete Riona. Sie setzte das große Glas an die Lippen, und beigefarbener Schaum blieb an ihrem Mund zurück. Sie wischte ihn heimlich fort. »Ronan sollte sich an den Wirten in der Stadt ein Beispiel nehmen, Pints im Voraus zapfen und sie auf der Theke bereitstellen.«
»Schlabberwasser«, sagte Erevan. »Es wäre Schlabberwasser. Jimmy, ignorieren Sie diese Frau.«
»Schlagen Sie mich, wenn ich Ihren Rat nicht beherzige«, antwortete Jim. »Da fällt mir ein: Sicher würden Sie mich schlagen, wenn ich Ihre Frau einfach übersähe.«
»Dann seien Sie still. Muss was erklären. Man stelle sich einen Wirt vor, dessen Kneipe fast den ganzen Abend über leer war. Jetzt wird's Zeit, das Pub zu schließen, und er hat nicht alle Pints verkauft – was nun? Vielleicht schüttet er sie ins Fass zurück, um sie am nächsten Tag noch einmal zu zapfen. Schlabberwasser.« Erevan wiederholte dieses Wort mit Genuss. »Jedem Gast sein frisches Pint. Und wenn er warten muss … der Preis für Qualität. Dieses Bier ist es wert, sich ein wenig in Geduld zu fassen.«
Jim lächelte, schwieg und nippte an seinem Whisky. Zu seinem großen Bedauern sah er sich außerstande, die Vorliebe der Iren für die braunschwarze Brühe namens Stout zu teilen. Seiner Ansicht nach schmeckte sie wie Teer. Er hatte solche Gespräche schon mehrmals gehört. Manchmal wurden die Diskussionen über verschiedene Stout-Arten so ›lebhaft‹, dass Schlägereien drohten. In solchen Fällen griff Ronan ein und ließ keinen Zweifel daran, dass er so etwas nicht zuließ; außerdem wies er auf die Gefahr hin, dass etwas verschüttet wurde.
»Was trinken Sie da?«, fragte Erevan.
»Whisky«, entgegnete Kirk.
»Lieber Himmel, warum schütten Sie denn das Zeug in sich hinein?«
Jim setzte zu einer Antwort an, als in seiner Jacke – sie lag über der Rückenlehne des Sessels – der Kommunikator summte. Er hatte dieses Geräusch schon so lange nicht mehr gehört, dass es ihn fast ebenso sehr verwunderte wie Riona und Erevan. »Jemand möchte mich sprechen«, sagte er so beiläufig wie möglich, griff in die Tasche, berührte den Codeschlüssel des Bodengleiters, ertastete einige Münzen und fand schließlich den Kommunikator. Er zog das Gerät hervor und klappte es auf.
»Hier Kirk.«
»Hier Spock, Captain«, tönte es aus dem kleinen Lautsprecher. Aus den Augenwinkeln stellte Kirk amüsiert fest, dass Riona und Erevan einen bedeutungsvollen Blick wechselten. Sie hatten gerade einen Namen gehört, den sie ebenfalls aus den Nachrichtensendungen kannten. »Sind Sie beschäftigt?«
»Ich plaudere mit Freunden. Möchten Sie, dass ich zurückrufe?«
»Nicht notwendig, Captain. Es geht um Neuigkeiten, die bald publik sein werden – wenn das nicht bereits der Fall ist. Vermutlich wird man alle Besatzungsmitglieder an Bord des Schiffes zurückbeordern. Ich dachte mir, dass Sie einen rechtzeitigen Hinweis zu schätzen wissen.«
»Danke. Was liegt an?«
»Heute morgen fand auf Vulkan eine Abstimmung statt, mit der das Referendum anberaumt wurde. Meine dortige Präsenz ist erforderlich. Ich bin ziemlich sicher, dass man die Enterprise schicken wird – um den Planeten daran zu erinnern, dass ihm die Föderation viele Dienste erwiesen hat.«
Kirk überlegte einige Sekunden lang. Dieses besondere Problem kündigte sich schon seit einer ganzen Weile an; er hatte damit gerechnet, dass es früher oder später aktuell wurde. Bei solchen Gelegenheiten verabscheue ich es, recht zu behalten, dachte er. »Es sind keine Befehle eingetroffen?«
»Nein, Sir. Aber die Wahrscheinlichkeit dafür, dass man uns bald Einsatzorder übermittelt, beträgt nach meiner Berechnung mindestens dreiundneunzig Prozent.«
Mit anderen Worten: Er ist völlig sicher, fuhr es Kirk durch den Sinn. Aber er lässt mir die Möglichkeit, meinen Urlaub um einen Tag zu verlängern. Er fühlte sich in Versuchung geführt, schüttelte dann andeutungsweise den Kopf. Bringen wir es hinter uns. Er trank seinen Whisky aus. »Na schön«, sagte er. »Ich brauche etwas Zeit, um meine Sachen zu packen und hier alles zu regeln. In einer halben Stunde bin ich bereit, mich an Bord zu beamen.«
»Bestätigung. Enterprise Ende.«
Kirk klappte den Kommunikator zu, sah die beiden Fitzharris an und zuckte mit den Schultern. »Damit ist der Urlaub beendet.«
»Eine Schande, jawohl«, sagte Riona.
Jim war der gleichen Meinung, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als den angenehmen Platz am Kamin aufzugeben und alle notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Er zog sich zehn Minuten lang in die Kommunikationsnische zurück und sorgte dafür, dass jemand den gemieteten Gleiter abholte. Weitere fünf Minuten dauerte es, um mit Ronan zu reden und die Rechnung zu bezahlen. Die restliche Zeit verbrachte er damit, diverse Dinge aus dem Fahrzeug zu holen und zu packen. Anschließend verabschiedete er sich von seinen neuen Freunden, während er darauf wartete, dass der Kommunikator erneut summte.
Kirk stand in der Tür und schüttelte Ronan die Hand, als das leise Zirpen erklang. »Es ist soweit«, sagte er traurig. »Die Schachpartie müssen wir verschieben. Geben Sie gut auf sich acht.«
»Verlassen Sie sich drauf.« Mehrere Personen im Schankraum winkten ihm zu. Sogar Renny, Ronans Tochter und Helferin, die hinter der Theke stand, rief etwas. Jim verstand die Worte nicht, doch Rennys Reaktion stimmte ihn neugierig. Normalerweise war sie sehr scheu und hatte nur das eine oder andere Wort an ihn gerichtet. »Bitte?«, erwiderte er.
»Go maire tú bhfad agus rath!«
Jim bedauerte es nun, das Übersetzungsmodul nicht eingeschaltet zu haben. Er sah Ronan an. Der Wirt hob die Brauen und sagte: »Ein traditioneller irischer Gruß. Er lautet: ›Glück und langes Leben.‹«
Kirks Lippen deuteten ganz langsam ein Lächeln an. »Ich kehre zurück«, versprach er. Da sich nur ein galaktischer Held mitten aus einem Pub gebeamt hätte, trat er in die schwarze, stürmische Nacht und schloss die Tür, hielt sie vorsichtig fest, damit sie der Wind nicht zuknallte.
Einige Sekunden später löste sich seine Gestalt auf, und der Regen fiel durch die Stelle, an der er eben noch gestanden hatte.
Der Speer im Herzen des anderen
ist der Speer in deinem eigenen:
Du bist Er.
Es gibt keine andere Weisheit
und keine andere Hoffnung für uns,
Stellen Sie sich am richtigen Ort vor, zum Beispiel auf der Oberfläche des Mondes, irgendwo in der Nähe des langsam dahinkriechenden Terminators oder in einem der L5-Habitate, die den Planeten in friedlicher Gefangenschaft umkreisen. Dann kann man es ganz deutlich sehen: die alte Erde in den Armen der neuen. Manche Leute ziehen sie auf diese Weise vor. Sie lehnen die große, blaue Scheibe mit den weißen Wolkentupfern und die von ihr symbolisierte Sicherheit ab. Sie verlangen Geheimnisse und Mysterien. Sie wollen das nächtliche Bad in der alten Dunkelheit. Nun, sie kommt immer wieder zum Vorschein, aber später (zur großen Erleichterung dieser Leute) taucht sie erneut hinein: Blaues Feuer verblasst durchs Spektrum, bildet einen Regenbogen am Rand der Atmosphäre, glüht scharlachrot und weicht der Finsternis.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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