10,99 €
Kurz nach der epischen Schlacht des Raumschiffs Enterprise gegen Shinzon nahmen viele langjährige Besatzungsmitglieder von Captain Jean-Luc Picard neue Posten und neue Herausforderungen an. Unter den vielen Veränderungen war auch William Rikers Beförderung zum Captain und sein neues Kommando, Rikers Hochzeit mit Counselor Deanna Troi und Dr. Beverly Crushers neue Karriere beim Medizinischen Korps der Sternenflotte. Doch die Geschichte, wie es dazu kam, wurde nie erzählt … BIS JETZT. Nach der skandalösen Tezwa-Affäre erzwingt der Rücktritt des Föderationspräsidenten eine Wahl, bei der die Zukunft der Vereinigten Föderation der Planeten durch die Person entschieden wird, die aus einer heiß umkämpften Abstimmung als Sieger hervorgehen wird. Doch auf Qo'noS könnte sich das Schicksal der gesamten Galaxis entscheiden, denn als die Botschaft der Föderation von Terroristen besetzt wird, deckt dies Intrigen auf, die bis in die höchsten Ebenen der klingonischen Regierung reichen. Botschafter Worf muss sein ganzes Können aufbieten, um die fragile Allianz zwischen Föderation und Klingonen vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Während dieses intergalaktische Chaos droht, muss sich die Enterprise einer gnadenlose Inspektion unterziehen, aus der die Besatzung möglicherweise nicht unbeschadet hervorgehen wird …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 454
Veröffentlichungsjahr: 2024
Mit großer Zuneigung und aufrichtigem Staunen ist dieses Buch zum einen den beiden Mars-Rovern Spirit und Opportunity gewidmet, die beide auf dem Roten Planeten gelandet sind, während ich an diesem Buch gearbeitet habe, und zum anderen den wunderbaren Forschern der NASA, die für ihre Entwicklung verantwortlich sind. Die Bilder, die sie geschickt haben, haben mich nur zusätzlich motiviert, weiter über eine Zukunft zu schreiben, in der wir zu den Sternen reisen werden.
HISTORISCHE ANMERKUNG
01 QO’NOS
02 U.S.S. ENTERPRISE
03 ERDE
04 QO’NOS
05 ERDE
06 QO’NOS
07 U.S.S. ENTERPRISE
08 ERDE
09 U.S.S. ENTERPRISE
10 QO’NOS
11 U.S.S. ENTERPRISE
12 QO’NOS
13 SARONA VIII
14 U.S.S. ENTERPRISE
15 ERDE
EPILOG
DANKSAGUNG
ÜBER DEN AUTOR
Der Großteil dieses Romans spielt in den Wochen vor der Handlung des Kinofilms STAR TREK – NEMESIS – etwas weniger als vier Jahre nach »Das, was du zurücklässt« (der letzten Episode der Serie STAR TREK – DEEP SPACE NINE), etwas weniger als zwei Jahre nach »Endspiel« (der letzten Episode der Serie STAR TREK – RAUMSCHIFF VOYAGER) und etwa ein Jahr nach ZEIT DES WANDELS »Geburt« (dem ersten Buch dieser Reihe). STAR TREK – NEMESIS spielt zu Sternzeit 56844,9 – das entspricht nach dem menschlichen Kalender dem Ende des Jahres 2379.
Und nach dem Streit des Kriegesbeginnt der Streit des Friedens.– Carl Sandburg
Der Sonnenaufgang auf Qo’noS hatte für Botschafter Worf seinen Reiz verloren.
Noch vor nicht allzu langer Zeit war dieser Moment der beste seines Tages gewesen. Er hatte sein Büro in der Botschaft der Föderation betreten und durch das riesige Panoramafenster, das den Großteil der hinteren Wand einnahm, zugesehen, wie die Sonne über dem Horizont aufging. In seinen fast vier Jahren als Föderationsbotschafter im Klingonischen Reich war dies der Teil seiner Tagesroutine gewesen, der ihm stets Vergnügen bereitet hatte: der spektakuläre Anblick der Sonne, deren feuriger Schein zur Begrüßung eines neuen Tages die Erste Stadt überzog.
Allerdings hatten die jüngsten Ereignisse diese Begeisterung erheblich gedämpft. Durch die Taten weniger ehrenhafter Personen war Worf in eine Position gedrängt worden, in der er sich kompromittieren musste, um dem Allgemeinwohl zu dienen. Die Alternative wäre gewesen, ein noch größeres Übel zuzulassen. Das hatte er nicht erlauben können, ungeachtet der Konsequenzen.
Es war ein Zustand, der dem Sohn von Mogh nur allzu vertraut war.
Vor etwas mehr als einem Monat hatte er seine Position – als Botschafter und Mitglied des Hauses des klingonischen Kanzlers – genutzt, um seinen ehemaligen Mannschaftskameraden der U.S.S. Enterprise eine Waffe zu liefern, mit der sie imstande waren, eine Selbstmordmission der klingonischen Flotte auf Tezwa zu verhindern. Offiziell konnte niemand beweisen, dass er der Enterprise die notwendigen Kommandocodes übergeben hatte, um die Flotte auszuschalten. Inoffiziell war jedoch jedem klar, dass es niemand sonst gewesen sein konnte.
Wie oft habe ich das nun schon getan?, fragte er sich. Wie oft habe ich meine eigene Ehre geopfert, um Unwürdige zu schützen? Und wie oft werde ich es noch tun müssen?
»Es soll heute ziemlich heiß werden«, erklang plötzlich eine Stimme hinter ihm.
Seufzend drehte Worf sich um. Dies war ein weiterer Teil seiner Routine: Sein Assistent Giancarlo Wu betrat das Büro und machte eine beiläufige Bemerkung über das Wetter, um damit den Beginn des Arbeitstages einzuläuten. Er trug sein übliches einfarbiges Hemd, die dazu passende Hose und eine andersfarbige Weste – heute in Rot und Grün. So stand Wu im Türrahmen des Büros und griff in seine Westentasche.
Allerdings holte er entgegen Worfs Erwartung nicht das obligatorische Padd hervor. Es ruhte für gewöhnlich immer in Wus Hand oder in der Westentasche. Worf fürchtete sogar, dass sein Assistent Entzugserscheinungen erleiden würde, wenn er einmal längere Zeit von dem Gerät getrennt wäre. Stattdessen zog Wu jedoch diesmal einen optischen Chip hervor und brachte ihn zum Schreibtisch, an dem sein Vorgesetzter saß. »Ich vermute, dass Sie das hier sofort sehen wollen, Sir. Es wurde auf sicherem Weg von T’Latrek an Sie geschickt.«
Nachdem Worf den Chip einen Moment lang gemustert hatte, schob er ihn seitlich in sein Arbeitsterminal. T’Latrek repräsentierte nicht nur Vulkan im Föderationsrat, sie war auch Rätin für auswärtige Angelegenheiten und somit genau genommen Worfs Vorgesetzte.
Der Bildschirm leuchtete auf und das Symbol des Föderationsnachrichtendiensts war zu sehen. Sonderbar, dachte Worf. Warum schickt T’Latrek mir eine Nachrichtenmeldung?
Das Gesicht einer Pandrilitin ersetzte das Symbol. »Die wichtigste Meldung ist heute der überraschende Rücktritt von Föderationspräsident Min Zife. In einer Wendung, die den gesamten Quadranten erschüttert hat, sind Präsident Zife, sein Stabschef Koll Azernal und Nelino Quafina, der Sekretär des militärischen Geheimdiensts, mit sofortiger Wirkung von ihren Ämtern zurückgetreten. Diese Erklärung wurde heute Morgen in der gesamten Föderation veröffentlicht.«
Das Bild wechselte nun zu Zife, der an seinem Schreibtisch im präsidialen Büro in Paris saß. Die blauen Hände des Bolianers ruhten auf dem ansonsten leeren Schreibtisch. Vor dem riesigen Fenster, das einen Panoramablick auf die Stadt der Lichter bot, hing an einer Stange hinter ihm die Flagge der Föderation. Worfs eigener Ausblick auf die Erste Stadt verblasste angesichts dieser Aussicht. Die einzige Sehenswürdigkeit in Sichtweite war der Eiffelturm.
»Mit einem Gefühl sowohl des Bedauerns als auch der Freude verkünde ich meinen Rücktritt als Präsident der Vereinigten Föderation der Planeten sowie den meines Stabschefs Koll Azernal und den Nelino Quafinas als Sekretär des militärischen Geheimdiensts. Bedauern, weil das Erreichen dieses Amtes der Höhepunkt meines lebenslangen Dienstes für die Föderation war und sich für mich – und hoffentlich auch für die Föderation, insbesondere während der düsteren Zeiten des Dominion-Krieges – als unglaublich lohnend erwiesen hat.
Freude, weil ich das Gefühl habe, dass dieser Rücktritt vielleicht der größte Dienst ist, den ich der Föderation erweisen kann. Auch wenn mein Stabschef und ich während des Krieges gute Dienste leisten konnten, sind wir, wie es mir scheint, für Friedenszeiten weniger geeignet. Da der Krieg immer weiter hinter uns liegt, ist Koll und mir zunehmend klar geworden, dass ich zum Wohle der Föderation Platz machen muss. Das Modell, mit dem wir den Krieg und die Monate danach durchgestanden haben, ist nicht mehr tragfähig, jetzt, wo wir und unsere Verbündeten versuchen, eine neue Ära des Friedens einzuleiten.
Eine Binsenweisheit empfindungsfähigen Lebens in der Galaxis lautet, dass unterschiedliche Umstände unterschiedliche Führungsqualitäten erfordern. Auf Bolarus ist eine der von uns am höchsten verehrten historischen Persönlichkeiten eine Monarchin aus der Zeit, bevor der Planet vereint wurde. Sie hieß Königin Vaq und führte die Nation von Alnat in ihre wohlhabendste Ära, nachdem sie mehrere Kriege in Folge gewonnen hatte. Eines vergessen die meisten dabei jedoch: Als Alnat zur größten Macht auf Bolarus wurde und alle Feinde besiegt waren, drängte man Vaq abzudanken, da sie ohne Feinde, die sie bekämpfen konnte, die Nation in den wirtschaftlichen Ruin führte.
Anders als Vaq werde ich nicht erst auf einen Staatsstreich warten. Mein Mandat erhielt ich direkt vom Volk der Föderation – nicht nur einmal, sondern zweimal. Es war meine Aufgabe, es durch schwierige Zeiten zu führen und schnelle und schwierige Entscheidungen zum Wohle der Allgemeinheit zu treffen. Nun jedoch ist meine Herangehensweise zunehmend unangebrachter. Schnelle und schwierige Entscheidungen sind nicht mehr zum Besten der Föderation oder unserer Verbündeten. Der Zeitpunkt ist gekommen, da ich das Mandat des Volkes am besten erfüllen kann, indem ich zurücktrete, um Platz zu machen, damit das Volk einen Vertreter wählen kann, der uns in Friedenszeiten so effektiv führen möge, wie ich es in Kriegszeiten getan habe.
Gemäß der Föderationscharta wird innerhalb eines Monats eine Wahl stattfinden. Der Föderationsrat wird vorübergehend die Amtsgeschäfte führen, bis ein neuer Präsident gewählt wurde.
Ich danke Ihnen allen für Ihre Unterstützung, Ihre Geduld und Ihr Verständnis. Auf Wiedersehen.«
Erneut war die Pandrilitin zu sehen. »Der Föderationsrat äußerte sich nicht zu den Rücktritten, veröffentlichte jedoch eine Erklärung: Ratsmitglied Ra’ch B’ullhy wurde zur Interimspräsidentin ernannt und der Rat wird ab sofort Vorschläge für das Präsidentenamt entgegennehmen. Die Liste der Namen jener, die die Kriterien für eine Kandidatur erfüllen, wird vom Rat in einer Woche bekannt gegeben. Die Wahl wird Ende des Monats stattfinden.
Zu den derzeitigen Favoriten für die Präsidentschaftskandidatur gehören T’Latrek von Vulkan, seit acht Jahren Rätin für auswärtige Angelegenheiten, Nan Bacco, die planetare Gouverneurin von Cestus III, Fel Pagro, der oberste Sonderabgesandte von Ktar und Admiral William Ross von der Sternenflotte. Natürlich kursieren bereits zahlreiche Spekulationen darüber, was Präsident Zife und Stabschef Azernal gerade jetzt zu ihrer Entscheidung veranlasst hat. Die nächste Wahl hätte schließlich ohnehin in weniger als einem Jahr stattgefunden.«
Erneut war das Symbol des Föderationsnachrichtendiensts FNN zu sehen. Dann wurde der Bildschirm schwarz.
Worf lehnte sich in seinem wuchtigen schwarzen Ledersessel zurück. »Eine … überzeugende Umdichtung der Wahrheit.«
»Sir?«
»Die Gründe für den Rücktritt von Zife und Azernal liegen auf Tezwa.«
»Das habe ich mir gedacht, Sir. Dennoch darf die breite Öffentlichkeit das nicht wissen, oder?«
Worf faltete seine Hände. »Nein. Dieser freiwillige Rücktritt ist eine weitaus annehmbarere Lösung, als zuzugeben, dass man die Tezwa heimlich bewaffnet hat.« Würden Martok oder der klingonische Hohe Rat jemals herausfinden, dass der Föderationspräsident einen Feind des Reichs bewaffnet hatte, könnte das zu einer erneuten Aufhebung des Khitomer-Abkommens führen und damit unter Umständen zu einem Krieg zwischen dem Reich und der Föderation. Keine der beiden Mächte war aktuell in der Lage, einen langwierigen Krieg zu führen. Ein Zusammenbruch ihrer Allianz würde den gesamten Alpha-Quadranten destabilisieren. In Zeiten wie diesen konnte sich das niemand leisten.
Ein weiteres Geheimnis, das ich vor einem Mann bewahren muss, den ich meinen Bruder genannt habe, dachte Worf verbittert. »Manchmal bereue ich es, in die Politik gegangen zu sein«, murmelte er.
Wu neigte den Kopf. »Ich würde meinen, dass Sie sich nach all den Jahren daran gewöhnt haben sollten, Sir.«
Worf starrte seinen Assistenten finster an und sagte: »Die Zeitspanne, seit ich das Amt des Botschafters angenommen habe, kann man kaum als ›all die Jahre‹ bezeichnen.«
»Bitte entschuldigen Sie, Sir. Ich dachte, Sie meinten, Sie bedauern es, je die politische Bühne betreten zu haben, damals, als Sie vor dreizehn Jahren die Große Halle betraten, um den Anschuldigungen zu widersprechen, Ihr Vater habe den Romulanern auf Khitomer geholfen.«
Worfs Blick wurde noch finsterer. »Wie bitte?«
Wu vergrub seine Hände in den Westentaschen. »Sie haben die Entehrung auf sich genommen, um die Verbrechen des Hauses Duras zu vertuschen und die Einheit im Hohen Rat zu wahren. Dabei haben Sie Ihren Bruder, einen hochrangigen Offizier der Flotte, vor Ihrer Entehrung geschützt. Als Gowron im Bürgerkrieg Hilfe brauchte, konnten Sie Kurns Position nutzen, um die Ehre Ihres Hauses wiederherzustellen und zu verhindern, dass das Haus Duras an die Macht kam.« Er zog seine Hände wieder aus den Taschen und hielt nun in der rechten ein Padd. »Die beiden letzten Kanzler und sogar der Imperator selbst verdanken ihre Positionen im Grunde genommen Ihnen. Sie hatten vermutlich mehr Einfluss auf die politische Lage der klingonischen Heimatwelt als jeder andere in den vergangenen zwanzig Jahren. Das Amt des Botschafters anzunehmen ist nur die Fortsetzung eines Prozesses, der vor sehr langer Zeit eingeleitet wurde.«
Die Worte seines Adjutanten ähnelten denen, die Botschafter Spock drei Jahre zuvor während einer Shuttlereise zu einer diplomatischen Konferenz zu Worf gesagt hatte. Damals waren sie Worf wie eine freundliche Übertreibung vorgekommen. Auch jetzt wollte er sie als eine solche abtun, zögerte jedoch. Weder Spock noch Wu neigten zu solchen Dingen. Und in der Tat war Wu immer, nicht zuletzt auf Worfs eigenes Drängen, vollkommen ehrlich zu ihm gewesen.
»Diese Analyse … so sehen Sie also, was ich in den vergangenen Jahren getan habe?«, fragte er schließlich.
Wu zuckte mit den Schultern. »Nicht wirklich. Es sind einfach die Fakten, wie ich und viele andere sie wahrnehmen. Ich bin immer davon ausgegangen, dass man Ihnen diese Position überhaupt nur deswegen übertragen hat. Sie waren schon immer ein hervorragender Politiker, Sir.«
Obwohl er bereits seit zehn Jahren auf Qo’noS und unter Klingonen arbeitete, war Wu doch ein Mensch. Allein aus diesem Grund ließ Worf ihm die Beleidigung durchgehen. Abgesehen davon würde er nie wieder einen derart talentierten Assistenten finden.
Wie üblich bemerkte Wu, dass Worf mit dem Verlauf des Gesprächs nicht zufrieden war. Daher senkte er seinen Blick, starrte auf das Padd und wechselte das Thema. »T’Latrek hat auch noch eine persönliche Nachricht mitgeschickt. Sie lässt Sie wissen, dass sie keinerlei Absichten hegt, für das Präsidentenamt zu kandidieren. Genauso wenig wie die letzten zwölf Male, seit sie dem Föderationsrat beigetreten ist. Sie wird Sie innerhalb der nächsten Stunde mit weiteren Anweisungen kontaktieren, damit Sie wissen, wie Sie diese neuen Informationen dem Hohen Rat präsentieren können. Das ist sehr nützlich, da der Hohe Rat morgen Mittag um Ihre Anwesenheit gebeten hat.«
»Natürlich.« Worf spürte ein Knurren in seiner Kehle aufsteigen, unterdrückte den Impuls jedoch.
»Ich habe mir die Freiheit genommen, all Ihre Termine bis auf einen für heute abzusagen. Dadurch haben Sie Zeit, mit T’Latrek zu sprechen und am Treffen des Hohen Rats teilzunehmen. Ich nehme an, dass diese Angelegenheit Priorität vor allen anderen hat.«
Worf erhob sich aus seinem Sessel. »Diese Annahme ist korrekt.« Er begann, im Raum auf und ab zu gehen. Vor dem Fenster blieb er stehen. »Und welchen Termin haben Sie nicht abgesagt?«
Nun musste Wu grinsen. »Die Ya’Vang wurde gestern zur Wartung nach Qo’noS zurückbeordert. Die Mannschaft erhält Landurlaub. Ihr Sohn wird in zwanzig Minuten hier sein.«
Früher hätte eine Nachricht wie diese bei Worf Besorgnis, vielleicht sogar Zorn ausgelöst. Alexander war der Sohn von K’Ehleyr, Worfs erster Liebe. Als sie von Duras auf der Enterprise-D getötet worden war, hatte Worf ihr Ableben angemessen gerächt und auch die Verantwortung für seinen Sohn übernommen. Alexander war seitdem abwechselnd auf der Enterprise und bei Worfs menschlichen Pflegeeltern auf der Erde aufgewachsen. Doch keine der beiden Lösungen hatte sich als ideal erwiesen. Sergey und Helena Rozhenko hatten zwar ihr Bestes gegeben, waren aber zu alt gewesen, um ein weiteres Kind großzuziehen. Und Worf selbst war für die Rolle als Vater schlicht ungeeignet.
Der Dominion-Krieg hatte Alexander schließlich einen Weg eröffnet. Er schloss sich den Verteidigungsstreitkräften an und diente während des Konflikts auf verschiedenen Schiffen. Obwohl man den jungen Mann nie für einen großen Krieger halten würde, war er schließlich doch zu einem passablen Soldaten geworden.
In den Jahren seit dem Krieg hatten Vater und Sohn sich bis zu einem gewissen Grad versöhnt, wofür Worf sehr dankbar war. Sein Versagen Alexander gegenüber hatte immer an ihm genagt. Lange Zeit hatte es sich angefühlt, als habe er K’Ehleyr verraten. Sie hatte etwas Besseres verdient – und ihr Sohn ebenso. Um die Sache noch komplizierter zu gestalten, war die Ya’Vang auf Tezwa an vorderster Front gewesen. Obwohl es Worf natürlich primär darum gegangen war, den Frieden und klingonische Leben zu schützen, war ihm auch stets bewusst gewesen, dass er damit seinem Sohn einen sinnlosen Tod ersparte.
Die Sprechanlage auf Worfs Schreibtisch erklang und die Stimme von Damir Gorjanc, einem der Botschaftsmitarbeiter, meldete: »Sir, eine verschlüsselte Nachricht von der Erde ist für Sie eingetroffen.«
»Das«, warf Wu ein, »wird sicher T’Latrek sein.«
»Zweifellos.« An Gorjanc gerichtet ergänzte Worf: »Stellen Sie das Gespräch durch.«
Worf erwartete, die vulkanischen Züge von T’Latrek zu sehen, und war umso überraschter, stattdessen das blaugrüne Gesicht und den gehörnten Kopf eines anderen Mitglieds des Föderationsrats zu erblicken, dem Worf vor fast einem Jahrzehnt bereits einmal begegnet war.
»Ratsmitglied Ra’ch. Schön, Sie wiederzusehen.«
»Ganz meinerseits, Botschafter.« Ra’ch B’ullhy, die ehemalige Gouverneurin von Damiano, lächelte. »Wir beide haben es weit gebracht, seit Sie mir bei meiner Amtseinführung das Leben gerettet haben.«
Worf, damals Sicherheitschef auf der Enterprise, hatte ein Attentat auf Ra’chs Leben verhindert, als sie ihr Amt angetreten hatte. »Sie sind Botschafter und ich Interimspräsidentin.«
»Ich gratuliere Ihnen.«
Ra’chs Miene verfinsterte sich. »Sie haben leicht reden – Sie sind auf Qo’noS in Sicherheit. Glauben Sie mir, ich habe dieses Amt nie gewollt. Aber da ich nun einmal die Verantwortung trage, wollte ich Ihnen mitteilen, wie Sie all das dem Hohen Rat unterbreiten können.«
Worf fragte sich, ob das der Grund war, warum nicht T’Latrek sondern Ra’ch sich bei ihm meldete. Auch wenn allseits bekannt war, dass die Vorstellung, Vulkanier – ebenso wie Klingonen – würden niemals lügen, eine Idealisierung war, die nicht unbedingt der Realität entsprach, änderte das nichts an der Tatsache, dass sich die meisten Vulkanier beim Lügen unwohl fühlten.
»Ich nehme an«, sagte er trocken, »dass die Wahrheit um jeden Preis geheim bleiben soll.«
»Eine treffende Annahme. Erklären Sie Kanzler Martok, dass Zife und Azernal diese Entscheidung schon eine ganze Weile mit sich herumgetragen haben. Nun schien ihnen der Zeitpunkt gekommen zu sein, sie publik zu machen.«
»Und wenn sie fragen, warum es bisher keinerlei Anzeichen für diese … Überlegungen gab?«
»Die Tatsache, dass der Präsident und sein wichtigster Berater einen Rücktritt erwägen, ist nichts, womit man vorab hausieren gehen würde. Die größtmögliche Geheimhaltung wurde gewahrt, um die Stabilität zu sichern und die Arbeit des Präsidenten nicht zu gefährden.«
Worf nickte. »Er wollte nicht wie eine lahme Ente dastehen.«
Ra’ch runzelte die Stirn. »Wie bitte?«
Mit einem Kopfschütteln antwortete Worf: »Entschuldigen Sie bitte. Das ist eine menschliche Metapher. Sie bezieht sich auf eine Person in einer Machtposition, von der bekannt ist, dass ihre Tage gezählt sind.«
»Oh.« Ra’ch wirkte noch immer verwirrt. »Ich verstehe nicht, was ein gehbehinderter Wasservogel damit zu tun hat.«
»Es ist wie gesagt eine menschliche Metapher. Die sind oft ein wenig … abstrus.«
»Wohl wahr. Gibt es sonst noch etwas, das Sie wissen müssen, Botschafter?«
Da gab es in der Tat so einiges. Allerdings verfügte Worf über andere Quellen, die er dafür kontaktieren konnte und die allesamt weniger beschäftigt waren als die Person, die vorübergehend als Präsidentin des größten Regierungsorgans des Quadranten fungierte. »Nein. Ich werde morgen Mittag vor dem Rat sprechen.«
»Gut. Ich bin sicher, dass Sie der Föderation auch weiterhin ehrenvoll dienen werden.«
Worf war sich nicht sicher, ob ihm das bisher immer gelungen war, entgegnete aber nur: »Danke, Frau Präsidentin.«
Ra’ch zuckte zusammen. »Um Ho’nigs willen, nennen Sie mich bloß nicht so. Ich bin immer noch Ratsmitglied und das soll auch so bleiben. Nennen Sie den Unglücklichen, der diese Wahl gewinnt, so – damit habe ich kein Problem. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss heute noch mit einem guten Dutzend anderen Botschaftern sprechen.« Sie grinste. »Es war mir eine Freude, Sie wiederzusehen, Worf.«
»Die Freude war ganz meinerseits, Ratsmitglied.«
Damit wurde der Bildschirm vor ihm schwarz.
Worf drehte sich zu Wu um. »Bey soll eine offizielle Erklärung mit den Anmerkungen von Ratsmitglied Ra’ch vorbereiten. Ich möchte sie innerhalb der nächsten Stunde auf meinem Schreibtisch haben.« Diplomatie beinhaltete eine Menge Papierkram, was nicht gerade zu Worfs Stärken gehörte. Er konnte einen Sternenflottenbericht schreiben, um den ihn andere Offiziere aufgrund seiner Vollständigkeit und Detailtreue beneideten. Er konnte anständige Verse verfassen, wenn das Thema des Gedichts ausreichend inspirierend war. Doch die Formulierungen eines offiziellen Statements aus dem Büro des Botschafters entzogen sich ihm bis heute. Glücklicherweise waren Fähigkeiten dieser Art aber auch nicht erforderlich. Bey Toh hatte zwei Premierministern Bajors als Redenschreiber gedient und war kurz nach dem Beitritt des Planeten zur Föderation dem Botschaftspersonal beigetreten. Er hatte nicht lange gebraucht, um sich auf Worfs besonderen Redestil einzustellen, und seinen Schreibstil entsprechend angepasst.
Während er sich Notizen machte, sagte Wu: »Selbstverständlich, Sir. Noch etwas?«
»Ich nehme an, dass die Beschlüsse, die Sie mir gestern vorgelegt haben, immer noch bis Ende des Tages bearbeitet werden sollen?«
Wu lächelte verschmitzt. »Es ist möglich, dass sie auf der Prioritätenliste aufgrund der heutigen Ereignisse ein wenig nach hinten gerutscht sind, Sir. Aber ich habe nichts Konkretes gehört.«
»In Ordnung. Ich sehe sie mir an, während ich auf meinen Sohn warte. Irgendjemand soll mir aus der Küche etwas gagh besorgen.«
Wu nickte. »Noch etwas?«
»Nein, das wäre alles.«
»Sehr gut, Sir.«
Der Assistent verabschiedete sich. Worf wandte sich wieder seinem Terminal zu und rief die angesprochenen Beschlüsse auf. Es war vermutlich am besten, sie einfach abzuarbeiten. Nach Zifes Rücktritt würde eine Menge Arbeit auf Worf zukommen. Er machte sich insbesondere darüber Sorgen, wie einige im Hohen Rat das Machtvakuum in der Befehlskette der Föderation bewerten würden, selbst wenn es nur vorübergehend war. Es gab viele innerhalb des Reichs, die glaubten, dass es nach dem Ende des Dominion-Krieges keinen Grund mehr für die Allianz zwischen der Föderation und dem Reich gab. Einige sehnten sich sogar nach den Zeiten vor Praxis zurück, als die Föderation noch zu der langen Liste von Feinden gehört hatte, die man unter der Schuhsohle des Reichs zerquetschen wollte.
Die Ereignisse auf Tezwa würden derart radikale Positionen nur noch weiter befeuern.
Als Föderationsvertreter im Reich war es Worfs Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sein Volk ein standhafter Verbündeter blieb. Seine Position als Mitglied von Martoks Haus und die Überzeugung des Kanzlers, dass eine Allianz mit der Föderation notwendig war, würden seine Aufgabe zwar leichter, aber noch lange nicht leicht machen.
Dann klingelte es. »Herein.«
Eine junge Klingonin betrat den Raum. Sie trug ein Tablett. Worf blickte auf, um die wurmähnlichen Kreaturen in der Schüssel auf dem Tablett zu begutachten. Obwohl die Replikatoren bei Bedarf angemessene Nahrung liefern konnten, gab es manchmal einfach keinen Ersatz für echtes, lebendes gagh.
Worf erkannte die Bedienstete nicht. Da er jedoch normalerweise stolz darauf war, den gesamten Stab der Botschaft zu kennen, fragte er: »Wer sind Sie?«
Die Frau stand mit gefalteten Händen vor ihm. »Ich bin Karra.« Keine Mutter. Kein Haus. Das bedeutete, sie war eine Bürgerliche. Nicht überraschend, bedachte man ihre Position beim Küchenpersonal. Jemand aus einer adligen Blutlinie würde kaum in einem solchen Job arbeiten. Man überließ sie Bürgerlichen oder jeghpu’wI’. »Ich arbeite erst seit einer Woche hier.«
Die Erwiderung, dass ihm keine Veränderungen im Küchenteam bekannt seien, erstarb auf Worfs Lippen. Normalerweise überließ er solche Nichtigkeiten Wu, insbesondere in den letzten Monaten. »In Ordnung«, sagte er daher. »Sie können gehen.«
Karra nickte und verließ den Raum.
Stirnrunzelnd rief Worf die Personalakten der Botschaft auf. Karra war tatsächlich vor sieben Tagen angeheuert worden. Man hatte im vergangenen Monat insgesamt sogar fünfzehn neue Küchenmitarbeiter eingestellt. Es handelte sich ohnehin um Positionen mit einer hohen Fluktuation. Daher war das vermutlich nicht ungewöhnlich. Dennoch nahm Worf sich vor, mit dem Leiter der Personalabteilung, einem mürrischen alten Klingonen namens Mag, nach seinem Abstecher in die Große Halle über das Thema zu sprechen. Immerhin stellte ein so umfassender Personalwechsel ein Sicherheitsproblem dar, wenn nicht sogar ein ausgewachsenes Sicherheitsrisiko.
Das Rufsignal ertönte. Es war erneut Gorjanc. »Sir, Ihr Sohn ist hier. Gerade passiert er die Sicherheitsvorkehrungen am Haupttor.«
Worf erlaubte sich ein Lächeln. Später bleibt noch genug Zeit für Sicherheitsbedenken und Politik. »Ich bin auf dem Weg.«
Er deaktivierte sein Terminal und betrat den schmalen Gang vor seinem Büro. Die Botschaft hatte die Form einer umgedrehten Pyramide und Worfs Büro nahm die gesamte südliche Hälfte des ersten Stocks ein. In der nördlichen befanden sich Wus Büro und die Botschaftsbibliothek sowie ein schmaler Flur, der im Westen zu einem Turbolift und im Osten zum Nottreppenhaus führte. Im Zentrum des Flurs stand ein breiter Empfangstresen, an dem Carl Murphy saß. Der Mensch kümmerte sich um Worfs Termine innerhalb der Botschaft.
Als Worf Murphy zunickte, während er zum Turbolift ging, kam ein weiterer Küchenmitarbeiter auf ihn zugeeilt. Worf erkannte ihn nur, weil er sich die Personalakte des Jungen gerade noch angesehen hatte. Er hieß Kl’rt und war erst vor vier Tagen zum Team gestoßen.
»Botschafter!«
»Was wollen Sie?«, fragte Worf anstelle einer Begrüßung.
»Personalleiter Vark muss Sie sofort sprechen, Sir.« Vark war der Leiter des Küchenstabs.
»In welcher Angelegenheit?«
»Das weiß ich nicht, Sir. Er hat nur gesagt, dass es eilt.«
Worf drehte Kl’rt den Rücken zu. »Ich habe einen wichtigeren Termin. Sagen Sie Vark, dass er mit Mr. Murphy einen Termin absprechen soll.«
»Sir, Personalleiter Vark hat mir aufgetragen, Sie zu suchen und nicht ohne Sie zurückzukehren. Er wird mich töten, wenn ich seinen Befehl missachte.«
Worf schloss die Augen und dachte: Ich habe keine Zeit für so was. Er sah Kl’rt an. »Dann werden Sie sterben, da ich Vark jetzt nicht aufsuchen kann.«
In diesem Moment sah er es.
Alle Küchenbediensteten der Botschaft trugen die gleiche zweiteilige weiße Kleidung. Es handelte sich dabei um ein einfaches Hemd und eine Hose. Sie waren im Allgemeinen figurbetont, auch wenn die von Kl’rt etwas locker saßen. Tatsächlich wirkten sie sogar zu weit. Der Quartiermeister war normalerweise kompetenter darin, die richtige Größe herauszusuchen.
Kl’rts Dienstakte, die Worf gerade erst zusammen mit denen der anderen Neuankömmlinge durchgesehen hatte, wies keine Informationen über Verletzungen oder Missbildungen irgendeiner Art auf. Solche Dinge wurden jedoch stets in den Akten vermerkt – so stand in Varks Akte zum Beispiel, dass ihm zwei Finger an der linken Hand fehlten, was entweder im glorreichen Kampf gegen die Kinshaya oder bei einem Unfall in der Küche des Hauses von K’mpec geschehen war. Das kam ganz darauf an, wie betrunken der Klingone beim Erzählen der Geschichte war.
Doch in der Akte des Jungen gab es keinen Hinweis auf die Herkunft der Beule, die Worf nun an Kl’rts rechter Hüfte auffiel.
Der Botschafter zögerte nur einen Augenblick. Doch das reichte Kl’rt, der eine kleine Waffe unter seinem Hemd hervorzog und direkt auf Worf abfeuerte.
Das Leben als Diplomat hatte Worfs Reflexe kaum verlangsamt. Daher gelang es ihm, sich auf den Boden zu werfen, um dem Waffenfeuer auszuweichen, das er als das eines Breen-Disruptors erkannte.
Murphy besaß zumindest die Geistesgegenwart, sofort den Panikknopf auf seinem Schreibtisch zu drücken – eine von vielen Sicherheitsmaßnahmen, die Worf eingeführt hatte. Der Panikknopf sollte die Sicherheitskräfte überall in der Botschaft über den Vorfall informieren und einen Alarm im gesamten Gebäude auslösen.
Dieser Alarm blieb jedoch stumm.
Worf griff in die Tasche seines bodenlangen Ledermantels, zog einen handlichen Ferengi-Phaser hervor und feuerte ihn auf Kl’rt ab …
… genau in dem Moment, als dieser sein Feuer auf Murphy richtete.
Beide Männer gingen nur eine Sekunde später zu Boden.
»QI’yaH«, fluchte Worf. Er rannte zu Murphys Schreibtisch. Worf hatte Kl’rt nur betäubt – man würde ihn schließlich befragen müssen. Der Mensch hingegen war tot. Carl Murphy war ein guter Mann gewesen und hatte der Föderation stets gute Dienste geleistet. Worf schwor, dass die Verantwortlichen für seinen Tod bezahlen würden.
Ein kurzer Blick auf Murphys Terminal offenbarte, dass das Sicherheitssystem nicht aktiv war. Das passte zur Fehlfunktion des Panikknopfs. Worf tippte schnell den Code ein, den nur er kannte – beziehungsweise er und Wu –, um das Sicherheitssystem einzuschalten.
Kurz darauf war das System aktiviert. Bevor er jedoch ein zweites Mal den Panikknopf betätigte, nahm Worf sich noch die Kamerabilder der Sicherheitsaufzeichnungen aus der Botschaft vor. Er brauchte Informationen, bevor er weitermachen konnte.
In jedem Raum sah er Leute in den weißen Uniformen des Küchenpersonals. Sie trugen allesamt Breen-Disruptoren und trieben das Botschaftspersonal zusammen.
Jemand vom Sicherheitspersonal zog seinen Sternenflottenphaser und versuchte zu schießen. Die Waffe versagte jedoch. In einem anderen Teil der Botschaft probierten zwei Sicherheitskräfte mit klingonischen Disruptoren das gleiche. Auch ihre Waffen versagten.
Die Angreifer haben nicht nur die Sicherheitssysteme ausgeschaltet, sie müssen auch ein Störfeld errichtet haben, um die Waffen der Föderation und der Klingonen zu deaktivieren. Worf dankte insgeheim Nog. Der junge Lieutenant und erste Ferengi in der Sternenflotte hatte Worf den Phaser als Abschiedsgeschenk überlassen, als dieser Deep Space 9 verlassen hatte, um Botschafter zu werden. Nog hatte behauptet, dass er gegen die meisten Versuche äußerer Einflussnahme geschützt und somit vielleicht eines Tages hilfreich sein könnte. Er hatte recht.
Mit einem tiefen Knurren begutachtete Worf weiter die Bilder der Sicherheitskameras. So undenkbar das auch vor ein paar Minuten noch erschienen sein mochte, die Botschaft wurde belagert und stand kurz vor einer feindlichen Übernahme.
Worf nahm an, dass die fünfzehn neuen Mitglieder des Küchenpersonals die Drahtzieher waren. Die Sicherheitsmonitore zeigten, dass etwa ein Dutzend Klingonen das Personal in den großen Besprechungsraum im Zentrum der obersten Etage trieben. Da Kl’rt nun zu seinen Füßen lag, fehlten noch drei von ihnen – sofern Varg dazu gehört. Mag, der Personalverantwortliche, schien nicht beteiligt zu sein, da er zu jenen gehörte, die man mit vorgehaltener Waffe in den Besprechungsraum führte.
Das galt auch für Alexander, wie Worf bemerkte. Gerade scheuchte man ihn in Richtung des Treppenhauses im Erdgeschoss.
Dann wurden die Bildschirme wieder schwarz. Wer auch immer die Sicherheitssysteme manipuliert hat, behält alles sehr genau im Blick. Er versuchte es ein zweites Mal mit seinem persönlichen Reaktivierungscode. Ohne Erfolg.
Ich muss mit den Informationen auskommen, die ich habe.
Er lief zu seinem Büro zurück, holte einen Trikorder und seinen Sternenflottenkommunikator aus der Schreibtischschublade und ließ den Trikorder in seiner Tasche verschwinden. Beide Geräte funktionierten unabhängig von den Systemen der Botschaft und waren somit von der Sabotage nicht betroffen.
Er war jedoch nicht überrascht, dass der Versuch, den Kommunikator zu benutzen, zu nichts führte. Wenn sie ein Störfeld erzeugen können, um Waffen und Sicherheitssysteme der Botschaft zu neutralisieren, werden sie damit auch Kommunikationsversuche verhindern. Dennoch ließ er auch dieses Gerät in seine Tasche gleiten, falls er es später noch brauchen würde. Dann betrat er erneut den Gang vor seinem Büro.
»Kl’rt, bitte melden.« Worf erkannte die Stimme von Vark. Sie drang aus Kl’rts Kleidung. Irgendwo musste der betäubte Bedienstete also ein Komm-Gerät bei sich tragen. »Er antwortet nicht.«
»In Ordnung«, hörte Worf eine andere Stimme, die er nicht kannte. »Gitak, Akor, geht in die erste Etage und seht nach, was mit Kl’rt passiert ist.«
Eine dritte Stimme, diesmal die von Karra, erklang. »Warum schicken wir zwei Leute, um einen einfachen Diplomaten aufzuhalten?«
»Er ist kein einfacher Diplomat, eher ein ausgezeichneter Krieger, der fünfzehn Jahre lang in der Sternenflotte als Sicherheitsoffizier gedient hat und für strategische Operationen zuständig war. Er ist die gefährlichste Person in der ganzen Botschaft.«
Vark knurrte. »Verdammt, Rov. Warum hast du nicht gewartet, bis Worf weg war, wie ich es vorgeschlagen …?«
»Dann hätten wir aber nicht unsere wertvollste Geisel, oder?«
Worf fragte sich, ob Rov wusste, dass sie bereits den Sohn ihrer wertvollsten Geisel in ihrer Gewalt hatten. Wenn nicht, würde sich das sicher bald ändern. Vark kannte Alexander von dessen regelmäßigen Besuchen.
Der Botschafter musste diese Etage sofort verlassen.
Als er seinen Trikorder überprüfte, erkannte er, dass die einzigen Lebenszeichen im Gebäude, die sich nicht im Besprechungsraum befanden, die beiden auf dieser Etage waren – sein eigenes und das von Kl’rt – sowie dreizehn weitere, die sich durch die Botschaft bewegten.
Eine äußerst effiziente Operation. Worf wusste, dass er sich verstecken musste, um einen Gegenangriff zu planen. Glücklicherweise habe ich das perfekte Versteck.
Er nahm sich die Zeit, die Komm-Einheit zu suchen, die sich in Kl’rts Gehörgang befand. Dann steckte er sie sich selbst ins Ohr.
Gerade in diesem Moment sagte Rov: »Schließt den Kanal und wartet, bis Gitak und Akor sich melden.« Dann verstummte das Gerät.
Worf behielt es für alle Fälle erst einmal im Ohr. Es könnte noch nützlich sein.
Die Tür zum Treppenhaus öffnete sich und zwei weitere Klingonen kamen zum Vorschein. Worf knurrte, sprang hinter Murphys Schreibtisch und feuerte seinen Phaser ab, der nun auf Töten eingestellt war. Ich brauche nur einen Gefangenen.
Während er sich hinter den großen Metallschreibtisch duckte, hörte er das dumpfe Geräusch eines Körpers, der zu Boden fiel. Das bedeutete, dass er sein Ziel exakt getroffen hatte und nur noch ein Feind übrig war.
Zwei Disruptorschüsse heulten über Worfs Kopf hinweg. Dann hörte er eine Stimme – sowohl in seinem Ohr als auch von der anderen Seite des Raums. Die schrille Entladung des Disruptors verhinderte jedoch nicht, dass Worf die Nachricht dank seiner gestohlenen Komm-Einheit deutlich hören konnte.
»Hier spricht Akor. Kl’rt ist außer Gefecht und der Botschafter treibt sich noch hier rum. Er hat Gitak getötet. Ich brauche Verstärkung.«
»Ich schicke B’Eko und Kralk.«
Worf erlaubte sich ein winziges Lächeln und zog den Trikorder hervor. In diesem Moment zischte ein weiterer Disruptorschuss über ihn hinweg, diesmal jedoch aus einer anderen Richtung. Akor wechselte also seine Position und setzte Worf hinter dem Schreibtisch fest, während er selbst näher kam. Man hätte ihm beinahe eine gute Taktik attestieren können, wenn er nicht den Befehl zur Funkstille gebrochen hätte. Dadurch konnte Worf nämlich den Trikorder benutzen, um den Ursprung seiner Nachricht zu bestimmen.
Kurz darauf hatte er genau das getan und verfolgte Akors Bewegungen, um vorherzusagen, wo er sich im nächsten Augenblick befinden würde.
Disruptorschüsse zischten weiterhin über seinen Kopf hinweg und hörten auch nicht auf, als Worf hinter den Schreibtisch und direkt unter den Stuhl kroch, auf dem noch immer Murphys Leiche saß. Er zielte mit seinem Ferengi-Phaser durch die Stuhlbeine auf eine Stelle direkt auf der anderen Seite des Schreibtischs.
Fünf, vier, drei, zwei, eins.
Er feuerte, als Akor gerade in Sichtweite kam. Der Schuss traf unglücklicherweise nur die Schulter des Angreifers. Daher konnte Akor noch im Rückwärtstaumeln das Feuer erwidern. Diesmal hatte Worf jedoch Glück: Die Entladung traf nur den metallischen Stuhl, ohne Schaden anzurichten. Diese Art von Breen-Disruptor, die das vermeintliche Küchenpersonal benutzte, zerstörte nur lebendes Gewebe und beschädigte keine anorganischen Objekte.
Worf schoss erneut und nutzte das größere Ziel, das Akor im Fallen bot. Diesmal traf sein Schuss ins Schwarze. Akors letzter Versuch der Gegenwehr traf nur noch die Decke. Dann starb er.
»Akor, was ist passiert?«, fragte Rov über die Komm-Einheit. »Akor!«
Worf kam hinter dem Schreibtisch hervor, beugte sich herunter, um den bewusstlosen Körper von Kl’rt aufzuheben und warf ihn sich über die Schulter. Immer noch jaulte Rovs Stimme in seinem Ohr, während der Botschafter Kl’rts Körper zum Turbolift schleppte.
Die Botschaft verfügte auf den unteren Ebenen nur über einen Turboliftschacht. Da sich das Gebäude nach oben in alle Richtungen verbreiterte, gabelte sich der Schacht und verfügte ab dem fünften Stock sowohl an der Ost- als auch an der Westwand über einen Zugang.
In der ersten Etage jedoch gab es nur diesen einen. Worfs Trikorder zufolge hatte man beide Aufzüge ganz oben im Gebäude angehalten und deaktiviert.
Da kam Worf gerade recht. Er brauchte nur den Schacht, nicht die Kabine.
Mithilfe der manuellen Überbrückung stemmte er die Türen des Aufzugsschachts auf und hob dann Kl’rt wieder auf. Im Schacht gab es an den drei Wänden ohne Türen Notfallleitern. Worf stöhnte unter dem Gewicht seines Gefangenen, während er sich zu einer der Leitern hinüberhangelte und seinen Abstieg begann.
Studierte man die Pläne der Föderationsbotschaft etwas genauer, erkannte man neben den überirdischen Bereichen auch ein ausgedehntes Kellergeschoss. Besaß man eine entsprechend hohe Sicherheitsfreigabe, konnte man weitere Pläne einsehen, die ein weiteres Untergeschoss zeigten, zu dem nicht einmal all jene Zutritt hatten, die davon wussten. Für Worf galt das jedoch nicht.
Darüber hinaus existierte aber noch ein drittes Untergeschoss, von dem kaum mehr jemand wusste und das auch auf keinem existierenden Plan des Gebäudes verzeichnet war. Worf nahm an, dass man diejenigen, die darüber Bescheid wussten, an einer Hand abzählen konnte.
Der Botschafter selbst hatte nur aufgrund familiärer Beziehungen davon erfahren. Ein hochrangiges Mitglied des Geheimdiensts des Reichs namens Lorgh war ein Freund von Worfs inzwischen aufgelöstem Haus gewesen und hatte ihm von dem geheimen Bunker unter der Botschaft erzählt. Er stand offenbar unter der Kontrolle von Leuten, die vermeintlich dem Sternenflottengeheimdienst angehörten, in Wahrheit aber eine viel undurchsichtigere Agenda verfolgten und keiner Lorgh bekannten Aufsicht unterstanden. Um Captain Picard auf Tezwa zu helfen, hatte Worf sich in dieses geheime, dritte Untergeschoss begeben und den dort arbeitenden Commander um Unterstützung gebeten. Kurz danach hatte irgendjemand den Raum vollständig ausgeräumt. Nicht einmal Spuren auf subatomarer Ebene waren von der Basis geblieben, die Worf dort gesehen hatte. Es blieb nur ein leerer Raum, von dem niemand wusste.
Damit handelte es sich aber auch um den idealen Ort für Worf, um seinen Plan zur Rückeroberung der Föderationsbotschaft in Gang zu setzen.
»Ich danke Ihnen allen für Ihre Unterstützung, Ihre Geduld und Ihr Verständnis. Auf Wiedersehen.«
Nachdem die Aufzeichnung der Rücktrittsrede von Präsident Zife vom Bildschirm der Beobachtungslounge verschwunden war, blickte William Riker in die Runde, um die Reaktionen der Führungsoffiziere der Enterprise abzuschätzen.
Zufälligerweise waren sie genau entlang des Tischs in zwei Lager gespalten. Captain Jean-Luc Picard und die zu seiner Linken Sitzenden, Deanna Troi, Data und Beverly Crusher, wirkten alle ungerührt oder zumindest gelassen. Die auf der anderen Seite neben Riker hingegen – Christine Vale und Geordi La Forge – sahen aus, als würden sie jeden Moment aus der Haut fahren.
Vale war die Erste, die mit zusammengebissenen Zähnen das Wort ergriff. »Na, das war ja mal ein beeindruckender Haufen Scheiße.«
Riker konnte der unverblümten Einschätzung seiner Sicherheitschefin nur zustimmen.
La Forge rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Ich kann nicht glauben, dass wir ihnen das durchgehen lassen.«
Data sah den Chefingenieur fragend an. »Haben Präsident Zife und Stabschef Azernal denn nicht zugestimmt, dass ihr Rücktritt die bessere Alternative ist, statt die Öffentlichkeit über ihre geheime Aufrüstung der Tezwaner zu informieren?«
Die nüchterne Sprechweise des Androiden allein brachte Riker schon fast zum Grinsen. Die Ereignisse im ehemaligen Kampfgebiet von Rashanar waren mittlerweile fast ein Jahr her und hatten, neben anderen Entwicklungen, auch zur Entfernung von Datas Emotionschip geführt. Riker hatte sich nach sieben Jahren endlich daran gewöhnt, ihn mit Emotionen zu erleben. Nun musste er erst wieder lernen, wie es war, Data so emotionslos zu sehen. Es war ein langsamer Prozess – andererseits hatte er in den Monaten nach Rashanar aber auch genug andere Dinge im Kopf gehabt.
»Mag sein, Data, aber das bedeutet nicht, dass es mir gefallen muss.« La Forge lehnte sich vor und rutschte weiter unruhig herum, als wüsste er nicht, wohin mit seinen Händen.
»Mir gefällt das doch auch nicht, Geordi«, sagte Riker nun. »Sie können mir glauben, dass ich noch mehr Gründe habe, wegen der Tezwa verbittert zu sein.« Unwillkürlich kehrte der Geruch von verfaultem Essen und Fäkalien aus der Grube auf dem Planeten zu ihm zurück. Kinchawn, der abgesetzte Premierminister, und seine Widerstandsgruppe hatten ihn dort wochenlang festgehalten. Der Gestank hing ihm noch immer in der Nase. Langsam fragte er sich, ob er jemals vergehen würde. »Dennoch war es der cleverste Schachzug.«
»Und wenn Politiker in irgendetwas gut sind, dann sind es clevere Schachzüge«, ergänzte Vale verbittert. »Das ändert aber nichts daran, dass seine Rede ein Haufen Schwachsinn war.«
Die ganze Zeit hatte Picard mit der Hand am Kinn dagesessen und auf einen imaginären Punkt in der Mitte des Konferenztischs gestarrt. Riker wollte den Captain gerade ansprechen, als dieser von selbst das Wort ergriff. »Ihre Sichtweise ist zur Kenntnis genommen, Lieutenant. Dennoch war es die beste Lösung für das Problem. Die Alternative wäre ein Krieg mit den Klingonen gewesen.«
»Oh, das bestreite ich gar nicht, Sir«, räumte Vale schnell ein. »Ich würde es nur gern erleben, dass ein Politiker zur Abwechslung mal die Wahrheit sagt. Nur einmal. Das wäre mal echt erfrischend.«
Picard ließ seine Hand sinken und zog die Uniformjacke nach unten, während er sich zurücklehnte. »Leider leben wir in einer unvollkommenen Welt, Lieutenant.«
Troi verschränkte die Arme vor der Brust. »Was mich viel mehr interessieren würde, ist, wer kandidieren wird.«
Riker bewunderte den Schiffscounselor – seine Imzadi und nun auch Verlobte – für ihre Fähigkeit, das Thema zu wechseln. Die Mission auf Tezwa war eine Katastrophe und eine Tragödie gewesen und niemand hatte etwas davon, wenn man sich immer weiter damit beschäftigte. »Ich wette, dass T’Latrek endlich nachgeben wird«, sagte er mit ausdrucksloser Miene.
Data legte den Kopf schief. »Da Ratsmitglied T’Latrek sich geweigert hat, in einer der zwölf Präsidentschaftswahlen zu kandidieren, an denen sie hätte teilnehmen können, und wenn ich Ihren üblichen Erfolg beim Glücksspiel bedenke, Commander, kann ich nur zu der Schlussfolgerung gelangen, dass Sie scherzen.«
Emotionen oder nicht, Data bleibt Data, dachte Riker. »Und wieder einmal haben Sie mein Pokerface durchschaut, mein Freund.«
»Es wäre in der Tat nicht das erste Mal, Sir, wie unser letztes Pokerspiel beweist.«
Riker zuckte bei der Erinnerung zusammen, wie er vor etwa einem Monat einen besonders großen Pot durch einen kühnen Bluff verloren hatte. Immerhin hatte sein Manöver Crusher, La Forge und Troi zum Aussteigen bewegt. »Da haben Sie recht. Mit etwas Glück bin ich heute Abend in besserer Form.«
La Forge lehnte sich zurück. »Wenn Ross antritt, gewinnt er mit links.« Riker stellte fest, dass die Hände des Chefingenieurs nun reglos auf den Armlehnen ruhten. Der Themenwechsel des Counselors hatte die gewünschte Wirkung erzielt.
»Das halte ich für höchst unwahrscheinlich, Mr. La Forge«, sagte Picard trocken. »Admiral Ross ist kein Politiker.« Der Captain erlaubte sich ein verschmitztes Grinsen. »So dumm ist er nicht. Ich für meinen Teil würde es begrüßen, wenn Gouverneurin Bacco kandidiert.«
Riker nickte zustimmend. Einer der Aufträge der Enterprise während des Dominion-Krieges hatte darin bestanden, die Gorn im Kampf an die Seite der Alliierten zu ziehen. Allerdings hatten sie deren Heimatwelt inmitten eines Staatsstreichs erreicht. Nachdem sich die Besatzung aus dieser Situation befreit hatte, hatten die Gorn die Kriegsbemühungen der Föderation unterstützt. Großen Anteil daran hatten die hervorragenden Verhandlungskünste zwischen der neuen Führung der Gorn und Nan Bacco, der planetaren Gouverneurin von Cestus III, der nächstgelegenen Föderationswelt.
»Ich weiß nicht«, mischte Vale sich ein. »Es ist schon ein ziemlicher Unterschied, ob man einen Planeten leitet oder die ganze Föderation anführt.«
»Das hängt vom Planeten ab«, wandte Riker ein und sah die Sicherheitschefin an. »Wenn es dabei nur um irgendeine gewöhnliche Föderationskolonie ginge, die sich in den letzten zweihundert Jahren kaum verändert hat, mag Ihre Einschätzung stimmen. Aber bedenken Sie bitte, was auf Cestus alles los war. Dort kam es vor zehn Jahren zu einer gigantischen Bevölkerungsexplosion, als sie Flüchtlinge aus der cardassianischen entmilitarisierten Zone aufnahmen. Das hat massive Veränderungen in der Führung der Kolonie erfordert. Dann wurden sie von den Gorn angegriffen und mussten danach sowohl ihre Infrastruktur als auch ihre diplomatischen Beziehungen neu aufbauen. Dank Gouverneurin Bacco hat die Föderation jetzt nicht nur einen Vertrag mit den Gorn sondern auch mit den Metronen. Jeder hier am Tisch weiß, wie schwer es ist, mit Energiewesen zu verhandeln, ganz zu schweigen davon, sie dazu zu kriegen, irgendwelche diplomatischen Beziehungen einzugehen.« Für seine Worte erntete Riker zustimmendes Nicken der versammelten Führungsriege.
»Außerdem«, ergänzte Data, »gibt es keine Aufgabe in der Galaxis, die mit den Pflichten eines Föderationspräsidenten vergleichbar wäre. Daher ist es ohne eine Grundlage für diesen Vergleich unmöglich, exakt zu bewerten, wie jemand, der diese Aufgaben noch nie ausgeführt hat, dazu befähigt ist.«
»Etwas einfacher ausgedrückt«, half La Forge seinem Freund grinsend aus, »werden wir nicht wissen, wie jemand es hinbekommt, ohne dass er oder sie es versucht.«
»Ich glaube, das habe ich gerade gesagt, Geordi.«
»Sicher, Data … deswegen sagte ich ja auch ›etwas einfacher ausgedrückt‹.«
Vale schüttelte den Kopf. »Dennoch ist das ein sehr geringer Einflussbereich. Ich meine, es ist nur ein Planet. Mir wäre jemand wie Fel Pagro lieber. Er war schon überall in der Föderation und hat mit Dutzenden verschiedenen Regierungen zusammengearbeitet. Für eine Aufgabe wie diese hätte ich gern jemanden mit ein bisschen mehr Erfahrung.«
»Also einen Alleskönner statt eines Experten auf nur einem Gebiet, Lieutenant?«, hakte Picard nach.
Vale nickte. »Ja, so was in der Art, Sir.«
»Für mich klingt das«, sagte Troi, »als wäre jemand aus der Sternenflotte für Sie der ideale Kandidat. Was uns wieder zu Admiral Ross bringt.«
Grinsend antwortete Vale: »Ja, aber der Captain hat schon ausgeschlossen, dass er kandidieren wird. Und der Captain hat immer recht.«
Picard nickte Vale knapp zu. »Hört, hört.«
»Ich möchte das Einschleimen des Lieutenants nicht unterbrechen«, bemerkte Riker mit einem Augenzwinkern in Richtung Vale, »aber was Sie sagen, bringt mich zu einem anderen Thema. Seit Tezwa drehen wir hier im Xarantine-System Däumchen und führen Reparaturen aus. Was wird mit uns geschehen?«
Picard runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen, Nummer Eins.«
»Rashanar ist ein Jahr her. Wir waren die ganze Zeit der Bodensatz der Sternenflotte. Trotzdem haben wir ein zweihundert Jahre altes Rätsel gelöst, einen historischen Erstkontakt hergestellt und zwei große Kriege verhindert – alles mit erheblichen Verlusten. Ich würde meinen, dass das doch irgendwas wert sein sollte.«
»Ich glaube, das ist nicht die eigentliche Frage, die Sie stellen möchten, Nummer Eins. Sie möchten wissen, was mit mir ist. Ich stand schließlich im Fadenkreuz der Untersuchungen nach dem Rashanar-Vorfall, nicht die Enterprise.« Erneut lächelte er. »Außerdem, Captain, haben Sie doch bestimmt auch eigene Sorgen, oder nicht?«
Riker weigerte sich, den Köder zu schlucken, ungeachtet des Stolzes, den er angesichts seines ersten eigenen Kommandos empfand. »Bis ich mich tatsächlich zum Dienst auf der Titan melde, Captain, bin ich immer noch Ihr Erster Offizier.«
»Das sind Sie in der Tat.« Picard holte tief Luft. »Lassen Sie es mich so ausdrücken: Es ist noch nicht entschieden. Allerdings sind wir nicht das einzige Schiff der Sternenflotte in einer solch schwierigen Lage.« Der Captain faltete die Hände auf dem Tisch. »Ich habe zusammen mit der Kopie der Rücktrittsrede von Präsident Zife eine Nachricht von Admiral Nakamura erhalten. Wie viele von Ihnen sicher wissen, hat man in den vergangenen Monaten einige Sternenflottenschiffe genauen Inspektionen unterzogen. Die Enterprise ist nun ebenfalls auf dieser Liste gelandet.«
Troi stutzte. »Um was für eine Art von Inspektion handelt es sich dabei genau?«
»Wie es scheint, befürchtet die Admiralität, dass einige Schiffe ähnliche Schwierigkeiten haben könnten wie die, die Präsident Zife in seiner Rücktrittsrede angedeutet hat. Möglicherweise haben einige Besatzungen sich vier Jahre nach dem Krieg noch nicht ganz an den Dienst in Friedenszeiten angepasst. Das gilt insbesondere für Captains, die ihren Rang während des Krieges erlangt haben. Es ist schließlich viel einfacher, vom Pferd zu fallen, als wieder aufzusteigen.«
La Forge schüttelte den Kopf. »Was wollen die denn? Sicherstellen, dass wir vorschriftsmäßig geblutet haben?«
Riker seufzte. »Na, immerhin sind wir diesmal nicht die Einzigen, auf die sie es abgesehen haben.«
»Das ist wahr, Nummer Eins. Das Inspektionsteam wird in einer Woche eintreffen. Während es hier ist, muss sich die gesamte Besatzung bereithalten.«
»Wissen wir denn wenigstens schon, wer zum Team gehören wird?«, wollte La Forge wissen.
Und Vale ergänzte: »Oder wie lange man uns auf die Nerven gehen will?«
»In beiden Fällen lautet die Antwort nein. Tut mir leid«, sagte Picard.
»Na toll«, murmelte Vale.
»Auf jeden Fall lautet der Befehl, unsere Position im Xarantine-System zu halten und bis das Team eintrifft, alle Reparaturen der Kampfschäden abzuschließen, die wir auf Tezwa erlitten haben.«
»Damit werden wir deutlich früher fertig sein, Captain«, merkte La Forge mit seiner üblichen Selbstsicherheit an.
»Ich bin froh, das zu hören, Mr. La Forge.« Picard sah Riker an. »Nach der Inspektion sollen wir uns auf der Erde zurückmelden. Und das, Will, ist Ihr Stichwort.«
Riker grinste. »Die letzten Wochen waren Deanna und ich ein wenig zu beschäftigt, um uns genauer mit den Hochzeitsplanungen zu befassen. Aber jetzt, wo wir keinen Guerillakrieg mehr führen oder in irgendwelchen Gefangenenlagern vor uns hin siechen, hatten wir ein wenig Zeit, uns zu überlegen, was wir machen möchten.« Erneut musste Riker die Erinnerungen an das Loch im Boden auf Tezwa zurückdrängen. Er konzentrierte sich auf die Entscheidung zu heiraten, die sie auf Delta Sigma IV getroffen hatten. »Wir möchten eine kleine Zeremonie mit ein paar Freunden. Jeder in diesem Raum gehört natürlich dazu. Ich habe dafür einen Ort in den Denali-Bergen im Auge. Ganz in der Nähe bin ich aufgewachsen.«
La Forge erschauderte. »Wir müssen aber keinen Berg hochklettern, um dort hinzugelangen, oder?«
Riker sah Troi an. »Was denkst du? Sollen wir Transporter und Shuttles zulassen?«
Troi nickte mit gespielter Ernsthaftigkeit und erwiderte: »Ich denke, dass man darüber nachdenken könnte, ja.«
»Dann hast du wohl Glück, Geordi.«
»Gut … Nach Tezwa habe ich für den Rest meines Lebens genug von Bergen.«
»Oh.« Riker fiel noch etwas ein und er warf Troi einen wissenden Blick zu. »Über eine Sache müssen wir noch sprechen.«
Picard verzog das Gesicht. »Worum geht es, Nummer Eins?«
»Es ist ja in menschlichen Zeremonien traditionellerweise so, dass der Bräutigam einen Trauzeugen wählt – jemanden, der ihm nahesteht und ihm auf dem Weg in den Hafen der Ehe zur Seite stehen kann.« Er wandte sich an Picard: »Es wäre mir eine Ehre, wenn du diese Rolle übernehmen würdest.«
Es kam selten vor, dass Jean-Luc Picard sprachlos war. Und wenn es denn passierte, hielt es in der Regel nur kurz an. Daher wusste Riker jede Gelegenheit zu schätzen, in der ihm dieses Kunststück gelang. Ganze drei Sekunden lang weiteten sich Picards Augen, sein Mund stand offen, seine Nasenflügel blähten sich und seine Hände erschlafften. Riker konnte sich nicht erinnern, wann der Captain das letzte Mal so … bedröppelt ausgesehen hatte.
Wie üblich erholte er sich jedoch schnell. Er zog seine Uniformjacke zurecht – obwohl sie bereits glatt war – und sagte: »Danke, Nummer Eins. Ich akzeptiere.«
Dann meldete sich Data zu Wort. »Darf ich etwas fragen?«
»Natürlich, Data«, antwortete Riker.
»Habt ihr bereits Counselor Trois Mutter über dieses Ereignis informiert?«
»Ich habe ihr eine Nachricht geschickt«, erwiderte Troi. »Sie hat aber noch nicht geantwortet.«
Riker runzelte die Stirn. »Warum fragst du?«
»Basierend auf meinen Beobachtungen der letzten fünfzehn Jahre, sechs Monate und zweiundzwanzig Tage seit meiner ersten Begegnung mit Lwaxana Troi auf der Enterprise-D komme ich zu der Schlussfolgerung, dass sie eine ›kleine Zeremonie mit ein paar Freunden‹ nicht als angemessen für den Counselor erachten wird.«
Picard sah seinen Ersten Offizier an. »Er hat recht, Nummer Eins.«
Riker hob die Hand und sagte: »Deanna und ich haben das bereits besprochen. Es ist unsere Hochzeit und wir werden sie so feiern, wie wir wollen.«
»Außerdem«, wandte Troi ein, »ist meine Mutter viel zu beschäftigt mit dem Wiederaufbau von Betazed.«
Eine weitere unangenehme Erinnerung, die weiter zurücklag, aber sich ebenso wie die Grube auf Tezwa in Rikers Bewusstsein eingebrannt hatte, kam ihm in den Sinn. Diesmal sah er sich vor fünf Jahren in genau diesem Besprechungsraum sitzen, während er den Bericht von Admiral Masc, dem Kommandanten der Zehnten Flotte, erhielt, dass Betazed in die Hände des Dominions gefallen war. Es war nicht nur einer der üppigsten und grünsten Planeten in der Föderation, sondern auch Trois Heimatwelt und der Planet, auf dem die Hälfte ihrer Wurzeln lag. Erst später erfuhren sie, dass das Haus, in dem Troi aufgewachsen war, von den Cardassianern und Jem’Hadar dem Erdboden gleichgemacht worden war. Das galt auch für einen Großteil der Hauptstadt.
Lwaxanas Diener, Mr. Homn, war dabei ums Leben gekommen. Sie selbst und ihr Sohn Barin hatten jedoch überlebt und schon bald darauf hatte Deannas Mutter eine Widerstandsbewegung auf dem Planten angeführt. Durch ihre Bemühungen und eine Taskforce aus fünf Schiffen unter der Führung der Enterprise war Betazed Monate später befreit worden. Das schwarze Loch, das sich in Rikers Bauch aufgetan hatte, als er die Nachricht von Admiral Masc erhalten hatte, konnte aber auch dadurch nie ganz ausgefüllt werden.
Wann immer diese Erinnerung hochkam – und das tat sie oft, egal wie sehr er sich dagegen wehrte –, versuchte Riker, sie mit glücklicheren Gedanken an seinen Einsatz auf Betazed zu überlagern. Er dachte an sein erstes Treffen mit Deanna und ihre aufkeimende Beziehung, die nun endlich, zwanzig Jahre später, in den Hafen der Ehe führte. Eines Tages, so hoffte er zumindest, würde die andere Erinnerung dahinter vollständig verblassen.
Troi riss ihn aus seinen Gedanken. »Außerdem hat sie ja auch mit der Erziehung des kleinen Barin alle Hände voll zu tun.«
»So klein ist er gar nicht mehr.« Riker schmunzelte und war seiner Imzadi ein weiteres Mal dankbar, dass sie den Fokus auf ein angenehmeres Thema lenkte. »Dein Halbbruder ist inzwischen wie alt, sechs?«
»Sieben«, korrigierte Troi.
»Richtig, sieben! Und er ist schon über eins fünfzig.«
»Der Junge ist zur Hälfte Tavnianer«, sagte Data. »Die sind nach menschlichen Maßstäben von Natur aus eine große Spezies.«
Troi schmunzelte nun auch. »Das macht es nur noch anstrengender. Meine Mutter ist schließlich nicht mehr die Jüngste …«
»Wer von uns ist das schon?« Picard lächelte ironisch.
»… und sie hat weder die Zeit noch die Energie, um neben ihren üblichen Aufgaben eine große Hochzeit zu organisieren.«
Data sah Troi an. »Deine Zuversicht ist möglicherweise fehlgeleitet.«
»Ich verstehe, warum du das denkst, Data. Aber der Krieg hat sie verändert. Wirklich.«
Riker lehnte sich vor und sagte in einem vorgetäuscht verschwörerischen Tonfall: »Wisst ihr, was ich denke? Er hat nur Angst, dass er tanzen muss, falls Deannas Mutter die Hochzeit organisiert.«
Das brachte La Forge und Vale zum Lachen. Doch Data sah Riker nur aus seinen goldenen Augen an. »Selbst wenn ich noch immer mit dieser Emotion ausgestattet wäre, würde ich in dieser Hinsicht keinerlei Ängste hegen. Ich erinnere mich noch gut an jede Einzelheit aus dem Tanztraining von Dr. Crusher vor zwölf Jahren, einem Monat und acht Tagen zur Vorbereitung auf die Hochzeit der O’Briens.«
Nun wandte Riker sich Crusher zu. »Dann brauchen wir wohl keine Anleitung mehr vom tanzenden Doktor.«
Crusher blinzelte zweimal, starrte Riker einen Moment lang ausdruckslos an und sagte dann leise: »Tut mir leid, Will. Worum ging es?« Nun dämmerte auch dem Ersten Offizier, dass die Ärztin von der gesamten Unterhaltung seit dem Ende von Zifes Rede nichts mitbekommen hatte.
»Alles in Ordnung, Beverly?«, fragte Picard mit offensichtlicher Besorgnis.
Crusher schüttelte den Kopf und ihre roten Locken folgten der Bewegung. »Mir geht es gut, Jean-Luc. Wirklich. Es tut mir leid, ich war nur … abwesend.« Sie lächelte beschwichtigend.
Riker kaufte ihr das jedoch nicht ab. Ihm war bewusst, dass Dr. Yerbi Fandau in einer Woche in den Ruhestand als Chef der medizinischen Abteilung der Sternenflotte gehen würde. Der Posten gehörte Crusher, wenn sie ihn denn wollte. Er wusste auch, dass sie noch nicht offiziell zugesagt hatte. Wenn sie Fandau nicht bald eine Antwort gibt, wird er jemand anders auswählen.
Vale sah Riker verwirrt an. »Der tanzende Doktor?«
Doch bevor der Commander antworten konnte, sagte Crusher selbst: »Fragen Sie nicht.«
»Keine falsche Bescheidenheit, Beverly.« Picard hatte ein Funkeln in den Augen, während er weitersprach. »Wenn ich mich recht erinnere, bist du eine göttliche Tänzerin.«
»Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um zu wiederholen«, sagte Data nun mit einem Seitenblick auf Crusher, »dass ich deinen Wünschen in dieser Angelegenheit nachgekommen bin und nie auf deine Vergangenheit als Tänzerin Bezug genommen habe.«
»Ich weiß, Data«, gab Crusher mit einem lieblichen Lächeln zurück. Dann drehte sie sich zu Riker um. »Ich habe meine ganze eigene Theorie, wer diese Tatsache aufgedeckt hat.«
Riker grinste. »Du hättest es nicht in deiner Personalakte stehen lassen sollen, wo jeder es finden kann.«
»Wir haben keinen Einfluss darauf, was da drin landet. Das ist wie bei medizinischen Akten. Natürlich kann man in manchen Fällen etwas abändern … wie zum Beispiel den wahren Grund für deinen gebrochenen Arm auf Elamin IX.«
Sämtliche Farbe wich aus Rikers Gesicht. »Beverly …«
»Worüber redet sie da?«, fragte Troi empört.
»Gar nichts«, beteuerte Riker schnell.
Crusher lächelte den Counselor an. »Nichts, worüber man sich irgendwelche Gedanken machen müsste, Deanna. Außerdem steht alles in der Akte, die ich für den medizinischen Leiter der Titan vorbereitet habe.«
Riker stürzte den Kopf in die Hände und murmelte: »Toll. Wirklich toll.«