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Das START-Kids-Programm ("Stress-Arousal-Regulation-Treatment for Kids") vermittelt Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren altersentsprechend und spielerisch Strategien zur Stressregulation, Gefühlswahrnehmung und Emotionsregulation sowie zum Aufbau von sozialen Kompetenzen. Adaptierte Elemente aus evidenzbasierten Therapieverfahren wie der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) und Verfahren zur Behandlung von Traumafolgen und Stressverarbeitung (TF-CBT, EMDR) kommen in den START-Kids-Interventionen zum Einsatz. Das Programm mit acht Modulen und bildreichen Materialien ermöglicht eine einfache praktische Anwendung in verschiedenen pädagogischen und therapeutischen Kontexten und ist auf die altersentsprechenden Bedürfnisse der Kinder zugeschnitten. Die Leitfigur KIM führt die Kinder durch das Programm und regt zur aktiven Teilnahme an. Auch für Eltern und Caregiver werden psychoedukative Informationen und praktische Handlungsempfehlungen bereitgestellt. Die einzelnen Module enthalten einen detaillierten Sitzungsleitfaden mit Informationen für Fachleute und Arbeitsmaterialien für Kinder zum Download.
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Seitenzahl: 178
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Die Autorinnen
Andrea Dixius
Andrea Dixius ist Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Leitende Psychologin der SHG-Kliniken Sonnenberg am Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Saarland und wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte der Universität des Saarlandes. Sie leitet die Kindertraumaambulanz (OEG) Saarland. Zu ihren Schwerpunkten zählen die Behandlung von Emotionsregulationsstörungen, Borderlinestörungen, Traumafolgestörungen und Essstörungen. Sie implementierte Behandlungskonzepte zu diesen Therapieschwerpunkten, so auch die Dialektisch-Behaviorale Therapie für Adoleszente (DBT-A) in den SHG-Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie, die durch den Dachverband DDBT e. V. zertifiziert wurden. Sie ist DBT-Therapeutin und DBT-A-Trainerin und hat eine langjährige Fachexpertise im Bereich der Psychotraumatherapie. Sie ist als Dozentin und Supervisorin tätig. Die Durchführung und Koordination klinischer Studien beschreiben eines ihrer weiteren Tätigkeitsfelder. Innovative Netzwerk- und Kooperationsprojekte mit Jugendhilfe, Schulen, psychosozialen Einrichtungen bilden neben der Arbeit mit minderjährigen geflüchteten Jugendlichen einen zusätzlichen Schwerpunkt ihrer Arbeit.
Bereits 2016 konzeptionalisierte und manualisierte sie als Erstautorin das mittlerweile international etablierte »START«-Konzept für Jugendliche (Stress-Traumasymptoms-Arousal-Regulation-Treatment) in Zusammenarbeit mit Eva Möhler. 2022 folgte START-Kids, das vorliegende Werk der beiden Autorinnen. Sie verfasste und illustrierte das Manual. Zu START und START-Kids sind Studien veröffentlicht und auf internationalen Kongressen präsentiert. Sie schätzt die fachliche und persönliche Zusammenarbeit mit Eva Möhler sehr.
Eva Möhler
Prof. Dr. med. Eva Möhler ist Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes und Chefärztin der SHG-Kliniken Sonnenberg. Zuvor war sie stellvertretende ärztliche Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Heidelberg. 2008 erhielt sie die Venia Legendi der Medizinischen Fakultät Heidelberg. In ihrer Habilitationsschrift sowie daran anschließenden Forschungsprojekten widmet sie sich dem Thema »Early Life Stress«. Ihre Habilitationsschrift »Determinanten der emotionalen Entwicklung« beschäftigt sich mit dem Einfluss adversiver früher Umgebungsbedingungen auf die emotionale Entwicklung in der Kindheit. Der Schwerpunkt ihres wissenschaftlichen und klinischen Interesses liegt an den Schnittstellen zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Erwachsenenpsychiatrie.
Im Jahr 2009 gründete sie die Eltern-Kleinkind-Ambulanz in Saarbrücken, im Jahr 2011 gemeinsam mit dem ärztlichen Direktor der Erwachsenenpsychiatrie Dr. Wolfgang Hofmann eine Transitionspsychiatrische Adoleszentenstation und im Jahr 2012 eine Mutter-Kind-Station. Seit 2016 personalisierte und supervidierte sie ein Clearing-Haus und die zentrale »Vorclearing«-Stelle für unbegleitete minderjährige Geflüchtete im Saarland. Die notwendige Stabilisierungsarbeit mit diesen sehr belasteten jungen Menschen hat zur Entwicklung des Programms START mit beigetragen. Die Manualisierung erfolgte unter der Federführung von Andrea Dixius. Mit ihr verbindet Eva Möhler eine über zehn Jahre währende exzellente und produktive Arbeitsbeziehung.
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.
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1. Auflage 2023
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-042942-0
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-042943-7
epub: ISBN 978-3-17-042944-4
Übersicht der Zusatzmaterialien zum Download
Einleitung
Teil I – Theoretischer Informationsteil
1 Emotionen
2 Stress
2.1 Stressreaktionen und physiologische Aspekte
3 Traumafolgen und Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
3.1 Was ist ein Trauma?
3.2 Traumafolgen und Symptome
4 Resilienz
TEIL II – Basics: START-Kids
5 Basisinformationen zu den START-Kids Modulen
5.1 Was sind Skills?
5.2 Achtsamkeit und Achtsamkeitsübungen
5.3 Stresswahrnehmung und Stressregulation
5.4 Emotionsregulation/Umgang mit Gefühlen
6 Didaktik, Strategien, grundlegende Haltung
6.1 Selbstwirksamkeit und Partizipation
6.2 Dialektik
6.3 Validieren
6.4 Commitment
7 START-KIDS im Überblick
TEIL III – Praxis
8 Grundlagen-Workshops für Eltern/Bezugspersonen/Caregiver
8.1 WS – Session 1: Eltern-/Caregiver-Workshop
8.2 WS – Session 2: Eltern-/Caregiver-Workshop
8.3 WS – Session 3: Eltern-/Caregiver-Workshop
9 START-Kids in der Schule
10 Praxis – START-Kids-Gruppen
10.1 Setting: Gruppenraum
10.2 Aufgaben und Rollenverteilung der TrainerInnen
10.3 Ablauf der Gruppensessions – wiederkehrende Struktur
10.4 Mitwirkung, Partizipation, Selbstwirksamkeit
10.5 Gruppenregeln
10.6 Umgang mit störenden Verhaltensweisen im Gruppensetting
10.7 Umgang mit Krisen
11 Basisübungen in allen START-Kids-Modulen
11.1 Begrüßung und achtsames Ankommen
11.2 Die »Stimmungsampel«
11.3 Skills üben und reflektieren
11.4 Aktive Achtsamkeitsübung
11.5 START-Kids – Hausaufgaben
11.6 Token und Schatzkarten
Teil IV – Module
START-Kids – Sitzungsleitfaden
START-Kids Modul 1 –Teil 1 (Achtsamkeit, Stressregulation)
START-Kids Modul 1 –Teil 2 (Achtsamkeit, Stressregulation)
START-Kids Modul 2 –Teil 1 (Achtsamkeit, Stressregulation)
START-Kids Modul 2 –Teil 2 (Achtsamkeit, Stressregulation)
START-Kids Modul 3 –Teil 1 (Achtsamkeit, Stressregulation)
START-Kids Modul 3 –Teil 2 (Achtsamkeit, Stressregulation)
START-Kids Modul 4 –Teil 1 (Achtsamkeit, Stressregulation)
START-Kids Modul 4 –Teil 2 (Achtsamkeit, Stressregulation)
START-Kids Modul 5 –Teil 1 (Achtsamkeit, Stressregulation)
START-Kids Modul 5 –Teil 2 (Achtsamkeit, Stressregulation)
START-Kids Modul 6 –Teil 1 (Achtsamkeit, Gefühlswahrnehmung)
START-Kids Modul 6 –Teil 2 (Achtsamkeit, Gefühlswahrnehmung)
START-Kids Modul 7 –Teil 1 (Achtsamkeit, Gefühlswahrnehmung)
START-Kids Modul 7 –Teil 2 (Achtsamkeit, Emotionsregulation)
START-Kids Modul 8 –Teil 1 (Achtsamkeit, Emotionsregulation)
START-Kids Modul 8 –Teil 2 (Achtsamkeit, Stresstoleranz, Emotionsregulation, Selbstwirksamkeit, zwischenmenschliche Skills)
Teil V – Schlusswort, Literatur und Anhang
START-Kids: Schlusswort an die TrainerInnen
Literatur
Anhang
Die folgenden Zusatzmaterialien sind enthalten (Hinweise zum Download finden Sie vor dem Literaturverzeichnis am Ende des Buchs):
• Abb. 5: Invalidierenden Kreislauf durchbrechen
• Abb. 6: Validieren
• Abb. 8: Stimmungsampel Flipchart
• Abb. 9: Beispiel Stimmungsampel Flipchart
• Abb. 10: Stimmungsampel
• Abb. 17 und Abb. 18: Skills-Ausschneideblatt 1 und 2 für die persönliche Skillsliste
• Abb. 30: Sicherheits-/Notfallkärtchen
• Abb. 31: START-Kids Urkunde
• Abb. 33: Rückseite Medaille
• Tab. 2: Positiv verstärken – Beispiel
• Tab. 3: Positiv verstärken – Vorlage
• Tab. 4: Verhalten positiv verstärken und »selective ignoring«
• Infokasten »Wirkungsvoll Loben« – Beispiele sammeln
• Skills for Kids – Skillsliste
• Audiodateien
Bereits 2016 haben wir das START-Programm (START: Stress-Trauma-Symptoms-Arousal-Regulation-Treatment, Dixius und Möhler, 2016, 2017a, 2017b) für Jugendliche im Alter von 13 bis 18 Jahren entwickelt. Die Wirksamkeit wurde in klinischen Studien (Dixius und Möhler 2017, 2018, 2019, 2021a, 2021b) evaluiert und seit 2020 ist START für Jugendliche Grundlage der vom Bundesministerium für Forschung und Bildung (BMBF) geförderte Multicenterstudie. Den positiven Erfahrungen von START folgend, haben wir im Abschluss »START-Kids« für Kinder im Alter von 6-12 Jahren ausgearbeitet. Das an der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) orientierte Interventionsprogramm fokussiert auf die Förderung von Stressresilienz, Selbstwirksamkeit, Stressregulation und Emotionsregulation bei Kindern. Das Programm ist sowohl für den therapeutischen als auch für den pädagogischen Einsatz konzipiert. START-Kids kann primär bis tertiär präventiv eingesetzt werden (Dixius et al. 2021). Die Förderung von Resilienz ist ein zentrales Anliegen des Konzepts. Die im Manual beschriebenen Übungen sind spielerisch gestaltet und leicht erlernbar. In klar strukturierten, niedrigschwelligen Gruppensettings (oder auch Einzelsetting) üben Kinder Strategien zur Stress- und Emotionsregulation, die einfach und praktisch ausprobiert werden können.
Kinder haben in ihrem Alltag vielfältige Anforderungen in Schule, Freizeit und Familie zu meistern. Die meisten Kinder kommen mit Anforderungen gut zurecht, wachsen mit ihren Herausforderungen und entwickeln Resilienz.
Auch die COVID-19-Pandemie hat unseren Lebensalltag verändert und stellt vieles auf den Kopf. In der »COPSY«-Studie (Ravens-Sieberer et al. 2021) werden die psychischen Folgen der Pandemie bei Kindern und Jugendlichen beschrieben. Unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie mussten die meisten Menschen viele Lebensgewohnheiten und Alltagsroutinen drastisch einschränken. Häufig entstanden durch massive Veränderungen Dauerstress und psychische Belastungen auch bei Kindern und Jugendlichen. Natürlich sind nicht alle Kinder und Jugendlichen unter Dauerstress, viele verfügen über genügend Widerstandskraft und Resilienz.
Die Stressdosis ist relevant. Stress kann durch Vielfalt und Dauer Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche von Menschen haben. Unterforderung kann genauso wie Überforderung zu Stress führen. Stress kann natürlich auch fördernd sein, sofern die Herausforderungen sich positiv auf Ressourcen, Selbstwert und Entwicklung auswirken.
Wenn sich stressige Situationen gut bewältigen lassen und geeignete Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, dann kann die Bewältigung von Anforderungen, Krisen, Stresssituationen und belastenden Gefühlen sogar wesentlich zur Entwicklung persönlicher Stärken, Resilienz, Stresstoleranz und Emotionsregulation beitragen (Luthar und Rutter 2000; Welter-Enderlein 2006; Wustmann 2004).
Manchmal überwiegt jedoch der Stress. Dies kann zur Belastung werden. Streitigkeiten, Auseinandersetzungen, innerfamiliäre Konflikte, Mobbingerfahrungen oder traumatische Erlebnisse, emotionale, körperliche oder sexuelle Gewalt und Missbrauch, überhöhter Medienkonsum, Pandemien (COVID-19-Pandemie), belastende Gefühle und Gedanken können Stress erzeugen. Sind die Stressbedingungen dauerhaft, dann ist ihre Wirkung häufig vulnerabel. Die Entwicklung und Aufrechterhaltung von psychischen Belastungen und Symptomen können die Folge sein (Felitti et al. 1998; Schmid et al. 2010) und zu einer Vielzahl von psychischen und körperlichen Symptomen und Störungen führen. Präventive und frühzeitige Hilfen können hingegen einer Chronifizierung entgegenwirken (Krüsmann und Müller-Cyran 2005).
Invalidierende und traumatische Ereignisse und deren Folgen: Die Prävalenz von Misshandlungserfahrungen in der Kindheit zeigt je nach Studie eine Varianz auf, allerdings ist die Zahl generell hoch. Witt et al. (2017; 2019) fanden in ihren Studien heraus, dass 31 % der Befragten mindestens eine Form von Misshandlung mit mindestens moderatem Schweregrad erlebt haben. Andere Studien (Herrenkohl und Herrenkohl 2009) zeigen, dass verschiedene Formen von Misshandlung häufig gemeinsam auftreten und höhere Risiken aufweisen, andere belastende Erfahrungen zu erleben (Finkelhor et al. 2007). In der Studie von Felliti et al. (1998) werden eindrücklich die Langzeitfolgen von traumatischen »Life Events« geschildert.
In einer besonderen Situation befinden sich Kinder mit Fluchterfahrungen und Migrationshintergrund. Sie haben oftmals einen erschwerten Weg, geeignete Hilfen bei bestehender Belastung zu finden. Minderjährige geflüchtete Kinder leiden häufig an gravierenden psychischen Belastungen (Witt et al. 2015; Möhler et al. 2015; Dixius und Möhler 2017a) wie Ängsten, Depressionen, Dissoziationen, Intrusionen, Schlafstörungen, Albträumen oder psychosomatischen Störungen.
Die Prävalenzzahlen für psychische Auffälligkeiten bei unbegleiteten geflüchteten Minderjährigen liegen zwischen 20 % und 81,5 % (Witt et al. 2015; Vervliet et al. 2014). Dies kann zu schweren psychischen Beeinträchtigungen und massiven Einschränkungen des allgemeinen Funktionsniveaus (Möhler et al. 2015; Dixius und Möhler 2016) führen und zu einer relativ hohen subjektiven Belastung durch Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (Hodes et al. 2008).
Eltern, Bezugspersonen und »Primary Caregiver« werden in START-Kids begleitet und erhalten hilfreiche Tipps in drei Workshops. Wissenschaftliche Erkenntnisse und adaptierte Interventionen inspirierten die Arbeit mit Eltern und wichtigen Bezugspersonen (Bachmann et al. 2011; Biringen und Robinson 1991; Biringen 2000; Fruzetti 2016). In drei Modulen erfahren Eltern und/oder wichtige Bezugspersonen, wie sie Kinder im Alltag unterstützen und natürlich auch eigene Skills für sich nutzen können. Neben Psychoedukation zu zentralen Themen wie Validieren, Skills, wirkungsvoll Loben, Positiv verstärken und Unterstützung in Erziehungsfragen wird das START-Kids Konzept vorgestellt. Die Eltern-/BetreuerInnen-Module sind niedrigschwellig konzipiert und validieren die Bezugspersonen. Auch hier wurden neben einer langjährigen Praxiserfahrung Inspirationen aus DBT-orientierten »Family Skills« (Fruzetti 2006) und Elemente aus Konzepten zur emotionalen Verfügbarkeit in der Eltern-Kind-Beziehung (Biringen 1985, 2000; Bachmann et al. 2011) genutzt. Das gemeinsame Üben zwischen Eltern, Bezugspersonen, Betreuern/Betreuerinnen und Kindern soll dazu beitragen, adaptive und hilfreiche Fertigkeiten im Umgang mit Stress und emotionaler Balance zu fördern. Im Workshop (in Präsenzform oder online) werden neben dem »Handout für Kinder« auch Materialien aus dem START-Kids-Reader für Eltern-/BetreuerInnen genutzt.
Um auch in einschränkenden Zeiten wie zum Beispiel der COVID-19-Pandemie die Arbeit mit Eltern, Familienmitgliedern und BetreuerInnen ermöglichen zu können, sind diese Module sowohl als Präsenz- wie auch als Online-Workshops konzipiert. »Hilfreiche Tipps für Eltern zur Stressprävention in Zeiten des Corona-Virus« (Dixius und Möhler 2021) wurden über Homepages (www.startyourway.de) bereits frühzeitig zur Verfügung gestellt.
START-Kids in Schulen: In Modellschulen wurde START im Nachmittagsbereich implementiert, womit gute Erfahrungen gemacht wurden.
Auch als Schulfach (Dixius und Möhler 2022) kann START-Kids im Rahmen der Gesundheitsförderung in Grundschulen die psychische Gesundheit von Kindern frühzeitig stärken und fördern. Als Primärprävention können den Schülerinnen und Schülern mit START-Kids frühzeitig Copingstrategien in der Stressbewältigung zur Verfügung gestellt werden. Dadurch wird ermöglicht, den Kindern in ihrem Lebensalltag Hilfen zur Stress- und Emotionsregulation anzubieten. Einfache Zugangswege für primär präventive Angebote und frühe Hilfen nach zum Beispiel belastenden Ereignissen werden eröffnet. Besonders wichtig ist, dass präventive Maßnahmen Kinder wirklich frühzeitig erreichen. In der Schule können Konzentration, Motivation und Lernen durch Stressfaktoren deutlich beeinträchtigt werden. START-Kids lässt sich sowohl in den bestehenden Schulunterricht integrieren als auch als spezielles Zusatzangebot in der Schule implementieren. LehrerInnen, SchulsozialarbeiterInnen oder BetreuerInnen1 können die Funktion von »Gatekeepern« einnehmen und auf Bedürfnisse der Kinder reagieren. Auch die Zusammenarbeit mit Eltern kann durch START-Kids unterstützt werden.
START-Kids und Jugendhilfe: START-Kids ist, ebenso wie bereits – national und international – »START für Jugendliche«, leicht in Jugendhilfeeinrichtungen zu implementieren. BetreuerInnen der Jugendhilfe können frühzeitig präventiv mit Skills arbeiten und im pädagogischen Prozess kontinuierlich Strategien und Skills mit den Kindern üben, Stressresilienz fördern und die Interaktionen im Alltag mit den Kindern stärken. Dies kann sowohl in Bezugspersonenzeiten, Gruppenabenden als auch in übergreifenden Gruppenangeboten stattfinden. Gerade Kinder, die mit Belastungen in Einrichtungen der Jugendhilfe oder in Pflegefamilien aufgenommen werden, haben in ihrer Biografie häufig emotional belastende Ereignisse erlebt und große Herausforderungen zu bewältigen, umso mehr ist eine profunde validierende Grundhaltung, wie in START-Kids verankert, wichtig. START-Kids-Skills sollen die Handlungssicherheit von BetreuerInnen unterstützen und nicht nur in Krisensituationen das Spektrum der validierenden Interventionsmöglichkeiten erweitern.
START-Kids und Psychotherapie: START-Kids ist ein stabilisierendes Interventionsprogramm und eignet sich sehr gut zur ersten stabilisierenden Therapie von Stressbelastungen und zur Emotionsregulation (Dixius et al. 2021). Oftmals zeigen Kinder nach START-Kids – so Beobachtungen aus der klinischen Praxis – ein Commitment (Kap. 6.4) zur weiteren Therapiearbeit, wie zum Beispiel bei einer vorliegenden Posttraumatischen Belastungsstörung zur »Traumafokussierten-Kognitiven Verhaltenstherapie« (Tf-KVT; Cohen et al. 2009) oder zu »KIDNET – Narrative Expositionstherapie für Kinder« (Schauer et al. 2011) oder zu anderen aufarbeitenden Psychotherapieverfahren.
Die Interventionen im vorliegenden Manual sind leicht zu erlernen. Sie gründen auf einer validierenden, dialektischen und ressourcenorientierten Grundhaltung.
Struktur und Inhalte der START-Kids Module: In acht Modulen für Kinder und drei Modulen für Eltern/Bezugspersonen/Betreuende werden altersentsprechend und mit spielerischen Strategien und Übungen Stressregulation, Gefühlswahrnehmung und Emotionsregulation sowie zwischenmenschliche Kompetenzen für Kinder vermittelt.
Im Manual erleichtern bildreiche Materialien und auch Audiofiles (multilinguales Zusatzmaterial zum Manual erhältlich über: www.startyourway.de), die praxisnahe und einfache Anwendbarkeit der Übungen. Zudem sind integrative und partizipatorische Wege für Kinder mit Migrationshintergrund im Manual explizit berücksichtigt.
Um auch in einschränkenden Zeiten wie zum Beispiel der COVID-19-Pandemie »Hilfreiche Tipps für Eltern zur Stressprävention in Zeiten des Corona-Virus« (Dixius und Möhler 2020) zu geben, wurden diese über die START-Homepage (www.startyourway.de) bereitgestellt.
Schwerpunkte in START-Kids: Im zentralen Fokus von START-Kids sind die Bereiche Achtsamkeit, Stressregulation, Emotionswahrnehmung und Emotionsregulation, Selbstwirksamkeit, Resilienzförderung, zwischenmenschliche Fertigkeiten. START-Kids validiert die Bedürfnisse zur Stress- und Emotionsregulation altersentsprechend für Kinder von 6 bis 12 Jahren.
In START-Kids sind Interventionen aus der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) (Auer und Bohus 2017; Bohus und Wolf 2011; Linehan 1996, 2015; Rathus und Miller 2014) adaptiert worden. Die dialektische Grundhaltung und schnellwirksame Skills aus den DBT-Modulen inspirierten die Entwicklung von START-Kids. Erfahrungen in der Psychotherapie (z. B. Tf-KVT) traumatisch erlebter Ereignisse oder »Life Events« haben das START-Kids-Konzept bereichert und beeinflusst. Auch Elemente aus der von Francine Shapiro entwickelten Therapiemethode »Eye Movement Desensitization and Reprocessing« (EMDR; Shapiro 1999, 2001, 2014) werden implizit in den aktiven Achtsamkeitsübungen zur bilateralen Stimulierung der Hirnstruktur berücksichtigt. Stress und belastende Gefühle beeinträchtigen Wahrnehmung und Lernkapazitäten der Kinder. Übungen, welche die bilaterale Hirn-Hemisphären-Stimulation begünstigen, können sich hilfreich auf die Stressverarbeitung auswirken und sind antidissoziativ (Greenwald 2002; Hase et al. 2015; Hensel 2020). Die Wahrnehmung und Psychoedukation der Kinder über den Zusammenhang von Körper und Psyche wird zudem im Manual aufgegriffen.
Module und Inhalte: In den ersten vier Modulen werden Achtsamkeit, Stabilisierungsmaßnahmen zur Stressregulation, Übungen zur Selbstwirksamkeit und für den Umgang mit Krisen durch die Anwendung von schnellwirksamen Skills geübt. Ressourcenaktivierung und Resilienzförderung sind Grundlagen aller Module.
In den Modulen sechs bis acht stehen Wahrnehmung und Regulation von Emotionen im Vordergrund. Die Module sind thematisch in den strukturierten Übungsphasen aufeinander abgestimmt. Nach den grundlegenden Übungen erlernen die Kinder Skills zur Emotionswahrnehmung und adaptive (angemessene) Strategien zur Emotionsregulation.
In allen Modulen wird die Mitwirkung der Kinder in den interaktiv gestalteten Gruppensessions (oder auch in der Einzelsitzung) gefördert und gestützt. Spaß und spielerische Didaktik fördern das Interesse für die START-Kids-Übungen.
»KIM« – die Leitfigur in START-Kids: KIM ist eine »gendergerechte« Figur, die im Manual und im begleitenden Arbeitsheft für Kinder Übungen und Themen »erklärt«. Auf diese Weise wird Kindern auf einfache Weise eine transparente Orientierung zu den Übungen angeboten. Das farbig gestaltete Arbeitsheft zum Manual richtet sich primär an Kinder, aber auch Eltern und »Caregiver« können die Übungen gemeinsam mit den Kindern im Alltag üben. Bei der Entwicklung der Figur KIM war es uns wichtig, dass sowohl Gesichtsausdruck als auch Körperhaltung verändert werden können. Auf diese Weise können sich Kinder dem Thema Emotionen im ersten Schritt spielerisch nähern. Das Thema Emotionswahrnehmung und -regulation wird vereinfacht in START-Kids aufgegriffen, Kinder und letztlich auch Bezugspersonen haben mit KIM ein niedrigschwelliges und unmittelbares, tatsächlich »greifbares« Arbeitsmedium. KIM kann zudem als eine Art »Übergangsobjekt« (wie z. B. ein Kuscheltier) fungieren und an Übungen erinnern und zur Beruhigung beitragen. KIM kann auch als Sprachrohr (Distanzierungstechnik) zum leichteren Ausdruck von Gefühlen in der Interaktion genutzt werden. Jedes Kind bastelt zu Beginn von START-Kids eine eigene »KIM-Figur«.
Die Grundhaltung: Die pädagogische und therapeutische Grundhaltung in START-Kids ist validierend, dialektisch und positiv verstärkend.
Mehrjährige Erfahrungen aus klinisch-therapeutischer Arbeit mit START und skillsbasierten Übungen in der Therapie mit Kindern und Jugendlichen prägten die Entwicklung des START-Kids-Manuals. Die Rückmeldungen der »eigentlichen ExpertInnen« – also der Kinder – wurden bei der Erstellung des Manuals und den Interventionen/Übungen berücksichtigt. Auch das Feedback von Eltern/Caregivern, BetreuerInnen, TrainerInnen, LehrerInnen und SchoolworkerInnen ist während der Entwicklungsphase in START-Kids eingeflossen.
Die Wirksamkeit von START-Kids wurde bereits in ersten Pilotstudien evaluiert und veröffentlicht (Dixius et al. 2021). Die Studienergebnisse werden zudem auf nationalen und internationalen wissenschaftlichen Fachkongressen vorgestellt.
Wir freuen uns, mit START-Kids ein innovatives Programm, Manual und begleitendes Arbeitshelft für Kinder im Alter von 6–12 Jahren und deren Eltern sowie wichtigen Bezugspersonen zur Verfügung stellen zu können. Besonders wichtig war uns bei der Entwicklung des Programms, dass START-Kids sowohl pädagogisch als auch therapeutisch genutzt werden kann.
Bedanken möchten wir uns auch bei allen Kindern, Eltern und Bezugspersonen, die uns an ihren Erfahrungen mit START-Kids partizipieren ließen.
Unser besonderer Dank gilt allen KollegInnen, die uns dabei unterstützt haben, START-Kids zu entwickeln, die es in der praktischen Arbeit angewendet und ihre Erfahrungen mit uns geteilt haben.
Andrea Dixius und Eva Möhler
1 Da wir Sie alle gendersprachlich ausgewogen ansprechen möchten, verwenden wir in der Regel eine Schreibweise mit Binnen-I. Wenn zur besseren Lesbarkeit in einigen Fällen abweichend jeweils nur die weibliche oder die männliche Form verwendet wird, sind jedoch alle Geschlechtsformen gemeint.
In diesem Teil werden die theoretischen Schwerpunkte Emotionen, Stress, Traumafolgen und Resilienz kurz skizziert.
Emotionen sind komplexe Muster, die durch psychische sowie physische Zustände und Prozesse bestimmt werden. Wahrnehmung und Bewertung von Situationen haben Einfluss auf die Entstehung und Ausprägung von Gefühlen (Emotionen) und korrelieren mit dem Ausmaß des physiologischen Hyperarousal (körperliche Übererregbarkeit mit hoher Anspannung). Emotionen, Selbstkonzepte, Identitätsüberzeugungen, Grundüberzeugungen, Kognitionen (Gedanken) und Verhalten beeinflussen sich untereinander (Petermann et al. 2017). Jede Emotion hat ein anderes Muster, so unterscheiden sich die Muster von Freude, Trauer, Wut, Ekel, Scham und Schuld.
Die Regulierung von Emotionen kann als ein mentaler Prozess mit unterschiedlichen Strategien verstanden werden und in adaptive (angepasste, angemessene) und maladaptive (wenig passende) Strategien (Barnow 2012; Heinrichs et al. 2017) unterschieden werden. Emotionsregulationsstrategien werden eingesetzt, um die affektive Erfahrung zu verstärken, aufrechtzuerhalten oder in ihrer Ausprägung zu reduzieren (Gross et al. 1998, 2015). Gefühle, Wahrnehmung, Körperreaktionen und Verhalten stehen dabei im Zusammenhang. Kinder und Jugendliche können mit Hilfe von eigenen Ressourcen und positivem Denken adaptive Problembewältigungsfertigkeiten nutzen (Compass et al. 2001). Emotionen werden durch die Bewertung von Situationen oder Ereignissen evoziert. Die Bewertung kann als Zugang zur Emotion verstanden werden. Verändert sich die Bewertung, dann kann sich auch die Emotion verändern und Auswirkungen auf subjektive Wahrnehmung, Kognitionen, Verhalten und auf die physiologischen Parameter haben (Gross 2015).