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Belastende Lebensereignisse oder -bedingungen können hohe Anspannung und emotionale Instabilität bei Kindern und Jugendlichen erzeugen. Insbesondere die Situation junger Flüchtlinge erforderte neue Konzepte zur emotionalen Stabilisierung. Das Buch fasst die aktuelle Stress- und Traumaforschung zusammen und berichtet über die Lebensumstände geflüchteter Minderjähriger. Neben anderen Therapiekonzepten stellt es das neu entwickelte Verfahren START vor, das international zur Erststabilisierung im Einsatz ist. Die resilienzfördernde und kulturintegrative Kurzintervention wird in Kliniken und Praxen, in Jugendhilfe und schulpsychologischen Diensten nachgefragt.
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Seitenzahl: 193
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Andrea Dixius ist Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und leitende Psychologin der SHG Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Saarbrücken und Idar-Oberstein. Zu ihren Schwerpunkten zählen die Behandlung von Essstörungen, Emotionsregulationsstörungen, Borderlinestörungen und Traumafolgestörungen. Sie implementierte Behandlungskonzepte zu den Therapieschwerpunkten, so auch die Dialektisch-Behaviorale Therapie für Adoleszente (DBT-A) in den SHG Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Saarbrücken und Idar-Oberstein, die durch den Dachverband DDBT e.V. zertifiziert sind. Sie ist DBT-Therapeutin, DBT-A Trainerin und besitzt eine langjährige Fachexpertise im Bereich der Psychotraumatherapie. Sie ist Dozentin in Ausbildungsinstituten und als Supervisorin tätig. 2016 entwickelte sie in Zusammenarbeit mit Eva Möhler ein kulturintegratives Konzept und Manual zur Erststabilisierung für stark belastete Kinder und Jugendliche – »START-Stress-Traumasymptoms-Arousalregulation-Treatment«.
Eva Möhler ist Chefärztin der SHG Kliniken für Kinder und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und Fakultäts-Mitglied der medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg, wo sie einen Lehrauftrag und eine Professur für Kinder und Jugendpsychiatrie innehat.
Ihre Habilitationsschrift trägt den Titel »Determinanten der Emotionalen Entwicklung« und beschäftigt sich mit dem Einfluss adversiver früher Umgebungsbedingungen auf die emotionale Entwicklung in der Kindheit. Der Schwerpunkt ihres wissenschaftlichen und klinischen Interesses liegt an den Schnittstellen zwischen Kinder und Jugendpsychiatrie und Erwachsenen-Psychiatrie.
Im Zuge der Flüchtlingswelle wurde sie angefragt, ein Clearing-Haus für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu entwickeln und aufgrund der positiven Gesamtbeurteilung dieser stabilisierenden Arbeit in der Folge die gesamte Erstaufnahme für unbegleitete Minderjährige im Saarland seit Anfang 2016 zu personalisieren und supervidieren. Bis zum Zeitpunkt der Drucklegung wurden knapp 900 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufgenommen und teilweise in andere Bundesländer verteilt. Die notwendige Stabilisierungsarbeit mit diesen sehr verstörten jungen Menschen hat zur Entwicklung des Programms »START« mit beigetragen.
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1. Auflage 2019
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-033744-2
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-033745-9
epub: ISBN 978-3-17-033746-6
mobi: ISBN 978-3-17-033747-3
Einleitung
Teil I – Trauma und Traumafolgestörungen
1 Was ist eigentlich ein Trauma?
2 Stress und Trauma – eine kurze Einführung
2.1 Stress und seine Auswirkung auf die Entwicklung
2.2 Stressreaktionen und physiologische Aspekte
2.3 Traumatisierung und »Fight-Flight-Freeze«
3 Die Posttraumatische Belastungsstörung
3.1 Symptomatik
3.1.1 Die Kriterien der PTBS in den Klassifikationssystemen
3.1.2 Komorbide Störungsbilder und Posttraumatische Belastungsstörung
3.1.3 Kriterien nach DSM-5
3.1.4 Dissoziationen
4 Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (KTBS)
5 Traumafolgen und Vermeidung
6 Traumafolgen und Emotionsregulation
6.1 Emotionsregulation und Strategien
7 Traumabelastungen bei Kindern und Jugendlichen mit Fluchthintergrund
7.1 Sequentielle Traumatisierung und Flucht
8 Identität und Adoleszenz
9 Resilienz und Krisenbewältigung
Teil II – Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
10 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – aber vor allem: Kinder und Jugendliche!
10.1 Einleitung und Überblick
10.2 Situation der minderjährigen Flüchtlinge
10.3 Rechtliche Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
10.4 Psychosoziale Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
10.5 Neue Screeningtools und diagnostische Erfordernisse
10.6 Fallbeispiel: Lula
Teil III – Therapie und Behandlung
11 Therapie und Behandlung
11.1 Behandlung und Struktur
11.1.1 Stabilisierung
11.1.2 Traumabearbeitung
11.2 Traumafokussierte-kognitive Verhaltenstherapie (Tf-KVT)
11.3 Narrative Expositionstherapie (NET)
11.4 Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)
11.5 Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT) und die Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)
Teil IV – START
12 START – Ein Konzept für stark belastete Kinder und Jugendliche
12.1 Hintergrund des Konzepts
12.2 Der zweite Schritt der Konzeptualisierung
12.3 START in Einrichtungen der Jugendhilfe, Schulen, Beratungsstellen
12.4 Grundlagen des START-Konzepts
13 Was sind Skills?
13.1 Achtsamkeit
13.2 Stressregulation
13.3 Emotionsregulation/ Umgang mit Gefühlen
14 Grundlagen von START
14.1 Inhalte des Manuals
14.2 Aufbau des Manuals
14.3 Die START-Gruppe
14.4 Struktur, Module und Sitzungen
15 Ein Blick ins Manual – Sitzungsleitfaden und einige exemplarische Übungen
15.1 Auszug aus dem START-Modul 1
15.2 Durchführung von Achtsamkeitsübungen
15.3 Exemplarische Beispiele für Achtsamkeitsübungen
16 Skillstraining – Stressregulation
17 Der Spannungsbogen und seine Funktion
17.1 Einleitende Information für Jugendliche
18 Persönliche Skillsliste und Ausschneidebilder
19 START im Überblick: Thematische Schwerpunkte der fünf START-Module
19.1 Fallbeispiel Ali (16 Jahre) und seine Erfahrungen mit START
19.2 Pilotstudie – START
20 Schlusswort
Literatur
Register
Jugendliche im Hochstress – dieses Phänomen ist kaum einer Zeitungsausgabe fremd und prägte bereits viele Schlagzeilen, insbesondere in den vergangenen fünf Jahren, in denen wir von Sprengstoffanschlägen, Messerattacken und Axtanschlägen lesen mussten. Allgemeine Aufregung ist eine natürliche Folge, löst aber das Problem nicht.
Die Bedürfnisse von schwer belasteten Kindern und Jugendlichen mit starken Stresserleben und Traumafolgen und auch den Belastungen nach Flucht und Kriegserlebnissen werden in Ausführungen in diesem Buch validiert. Wenn nach Stress- und Traumbelastungen vieles im Leben fremd geworden ist, Gefühle aus dem Gleichgewicht geraten sind, verändert sich nicht nur das eigene Leben gravierend, sondern auch die Partizipation am sozialen Leben. Nicht in jedem Fall entwickeln sich bei extrem bedrohlichen Ereignissen eine Posttraumatische Belastungsstörung, psychische Erkrankungen oder Traumafolgestörungen. Vielmehr befähigen Resilienzfaktoren Kinder und Jugendliche trotz belastender sozioökologischer Faktoren wie Armut, Gewalterfahrung und Traumatisierung, immer wieder eine ausreichende psychosoziale Anpassung zu erreichen und sich dennoch altersentsprechend entwickeln zu können.
Laut Shaffera et al. (2009) haben andererseits schwere Gewalterfahrungen zur Folge, dass die Fähigkeit zur Bewältigung typischer Entwicklungsschritte in den verschiedenen Altersstufen beeinträchtigt ist. In der Säuglings- und Kleinkindzeit führt Misshandlung zu Bindungsstörungen (Ciccetti und Barnett 1991). Dies bedeutet langandauernde, persistierende Störungen im Beziehungs- und Bindungsverhalten, insbesondere mit desorganisierten und/oder hochambivalenten Bindungsmustern. Im Kleinkindalter haben misshandelte oder anderweitig traumatisierte Kinder Schwierigkeiten, über innere Zustände und Gefühle von sich und anderen zu erzählen (Beeghly und Ciccetti 1994). In fortschreitender Kindheit und Adoleszenz treten vermehrt Verhaltensprobleme auf. In der Schulzeit kommt es zu Problemen im Umgang mit anderen Kindern: Die missbrauchten Kinder sind im Vorschulalter und in den ersten Schuljahren oft impulsiver, weniger beliebt und eher verschlossen oder distanzlos (Shaffera et al. 2009; Dodge et al. 1994). In der Adoleszenz zeigen sie dann vermehrt impulsives und/oder antisoziales Verhalten (Shaffera et al. 2009). Auch Selbstverletzungen oder Depressionen sind beschrieben. Impulshaft ausagierendes Verhalten wiederum kann zu Störungen in vielen Bereichen führen, insbesondere hinsichtlich Promiskuität, Drogen- und/oder Alkoholkonsum, Schulversagen, Delinquenz und/oder Weglauftendenzen.
Diese Kinder und Jugendliche, die aufgrund außergewöhnlicher und bedrohlicher Erlebnisse psychisch belastet sind, können von psychotherapeutischen und psychiatrischen Hilfen sehr profitieren. Aber gerade auch die Schwere der Beeinträchtigungen und Erkrankungen verhindert häufig, dass sich Kinder und Jugendliche für eine weiterführende aufarbeitende Psychotherapie überhaupt entscheiden können. Sie greifen nicht selten zu maladaptiven Bewältigungsstrategien, die negative Auswirkungen auf die psychische Entwicklung und sie soziale Integration in die Familie, Kindergarten, Schule, Ausbildungsstelle und in der Gruppe der Peers haben. Erste stabilisierende Hilfen sind wichtig bei schwer belasteten Jugendlichen, denen buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen worden ist. Erste stabilisierende Hilfen, um Krisen selbstwirksam überstehen zu können, können der Türöffner zu weiteren Hilfen und Regulationsprozessen sein. Hier setzen niedrigschwellige Hilfen wie START an.
Grundsätzlich gibt es zwei Schwerpunkte der Psychotraumatologie, die parallel oder aber auch einzeln zur Anwendung kommen können.
Der Ressourcenarbeit kommt nicht nur in der Psychotherapie, sondern auch im häuslichen Umfeld, Schule, Jugendhilfe etc. eine wesentliche und wichtige Stabilisierungsfunktion zu. Letztere ist unerlässlich insbesondere bei schwer und komplex traumatisierten Kindern und Jugendlichen und arbeitet an Basis-Kompetenzen wie Affektregulation, Impulskontrolle, Selbstwertstärkung und Selbststeuerungskompetenzen sowie Selbstwirksamkeitserwartungen und den Objektbeziehungen, und insbesondere bei Patienten mit maladaptiven Bewältigungsversuchen wie z. B. Selbstverletzungen und impulsdurchbrechende Verhaltensweisen kommen diesen Kompetenzen eine Schlüsselrolle in der Therapie zu. Der Ressourcenarbeit, in ihren gesamten Aspekten, trägt ganz besonders das eigens von den Autorinnen entwickelte START-Programm Rechnung, dessen Komponenten im Einzelnen in diesem Buch beschrieben werden.
Trauma-Exposition, die auf verhaltenstherapeutische Trauma-Therapieverfahren basiert, funktioniert nach dem Prinzip der Habituation, bzw. Desensibilisierung.
Inwieweit eine Trauma-Exposition wichtig und anzustreben ist, muss der Therapeut1 abwägen unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten des Patienten, seines Umfelds, seiner Stabilität und nicht zuletzt auch seiner Motivation. Eine Exposition setzt in der Regel immer eine vorherige Stabilisierungsarbeit voraus im Sinne einer Stärkung der Ressourcen, z. B. hinsichtlich einer Regulation der bei einer Exposition unvermeidlich entstehenden heftigen Affekte. Auf Expositionsarbeit basiert unter anderem die traumafokussierte, kognitiv-behaviorale Therapie (TF-KVT), das am besten evaluierte Verfahren, dessen Einsatz auf der kinderpsychiatrischen Station wird im Folgenden beschreiben wird.
Die wertschätzende Wahrnehmung der jeweils anderen Perspektive, das konstruktive Aushandeln von Vereinbarungen und tragfähigen Kompromissen unter gleichzeitiger Beachtung von Beziehungssicherung und Selbstachtung sind zentrale Ziele dieser therapeutischen Arbeit.
Eine affektive Instabilität, aber insbesondere die Symptome von Trauma-Folgestörungen wie dissoziative Störungen, Wiedererleben in Form von Intrusionen, Flashbacks, Albträume, Vermeiden/emotionale Taubheit als auch ein vegetatives Hyperarousal und damit einhergehende Reizbarkeit, Wutausbrüche und Konzentrationsprobleme sowie dysfunkionale Coping-Strategien wie Alkohol- und Cannabisabusus machen eine aufarbeitende Trauma-therapeutische Behandlung oft nicht möglich.
Vor der Exposition muss dabei immer und unbedingt auch eine Stabilisierung stattfinden.
Für eine spezifische expositionsbasierte Arbeit ist eine vorausgehende, ausführliche spezifische Diagnostik zu Traumatisierung und Trauma-Folgestörungen (CATS, IBS-KJ, KIDDIE-SADS) unerlässlich, denn nicht jedes Kind oder jeder Jugendliche, das oder der eine Traumatisierung erfahren hat, entwickelt auch eine Trauma-Folgestörung.
Weitere Voraussetzungen für eine traumatherapeutische Behandlung sind grundlegend die Wiedererlangung und Kontrolle über Bereiche wie Umgang mit Suizidalität, Selbstverletzungen und Dissoziationen. Ein Ziel besteht in der Verbesserung der Lebensqualität. Therapeuten sollten in einem trauma-therapeutischen Verfahren gut ausgebildet sein und über entsprechende Erfahrung verfügen.
Dieses Buch beschreibt daher auch Elemente der »Traumafokussierten kognitiven Verhaltenstherapie« (Cohen et al. 2006, deutsche Übersetzung Goldbeck 2009) und der »Narrative Exposure Therapy« (Schauer et al. 2005) und EMDR (Shapiro 1999/2014) und als möglichen Ausblick auch im Adoleszentenbereich das Konzept der DBT-PTBS Behandlung (Bohus 2013, Steil et al. 2015).
Einen besonderen Schwerpunkt des Buches bildet die Darstellung von START, das kulturintegrative, niedrigschwellige Erststabilisierungskonzept für Kinder und Jugendliche zur Arousalregulation und Bewältigung von Hochstressphasen. Die Intervention fokussiert im zweiten Schritt auf die Stärkung der Selbstwirksamkeit und Resilienzförderung.
Grundlagen und Basiswissen zum Thema Trauma, Stress und Behandlungsstrategien, sowie die besondere Situation von Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrungen werden dem interessierten Laien und Fachmann in diesem Band im vermittelt. Besonders für die Anwendung des START-Programms wird eine fundierte Wissensbasis zugrunde gelegt.
Die Aktualität und Brisanz der Situation wird deutlich durch den Abschnitt über die psychosoziale und emotionale Situation von Flüchtlingskindern. Die Vorstellung des von den Autorinnen selbstentwickelten Stabilisierungsprogramm START, das für alle belasteten Kinder und Jugendlichen interkulturell und integrativ einsetzbar ist, sollte den Leser ermutigen, seine eigenen Schritte damit zu wagen.2
Neben den Grundlagen zu Trauma- und Stressfolgen und der Vorstellung des START-Programms werden in diesem Buch exemplarisch evidenzbasierte Therapiemethoden vorgestellt. Anhand von Fallbeispielen werden die einzelnen Themenschwerpunkte plastisch präsentiert.
Die Autorinnen haben ein Konzept entwickelt mit dem Titel »START – Stress- Traumasymptoms- Arousal- Regulation- Treatment«, das Kindern und Jugendlichen ermöglicht, Hochstressphasen und emotionale dauerhafte oder wiederkehrende Belastungszustände möglichst unbeschadet zu überwinden. Das Programm kann dabei helfen, Kurzschlussreaktionen und Übersprungshandlungen zu vermeiden und so größere Schäden für andere und für das Individuum selbst – z. B. selbstschädigendes Verhalten, Substanzkonsum, Suizidhandlungen, Impulsdurchbrüche – zu verhüten. Zumal problematische Verhaltensmuster und schwere Stresszustände eine Integration in psychosozialen Kontexten wie Schule, Wohngruppen und in der Gruppe von Peers erschweren.
Mit START wird im Rahmen einer Kurzintervention Kindern und Jugendlichen in ihrer emotionalen Not eine Hilfe zur Verfügung gestellt, einerseits um zunächst akute Krisen überstehen zu können und andererseits Selbstregulationsmöglichkeiten wiederzuerlangen. Zentral fokussiert START durch den Einsatz von Skills auf das Wiedererlangen von Selbstkontrolle und Steuerung des eigenen Verhaltens in Krisensituationen.
Anhand von Fallbeispielen und der Darstellung der angewendeten Methoden wird dem Leser auf einfache und verständliche Weise vermittelt, wie die Betroffenen Stress reduzieren können und auch Gefühle zu regulieren lernen. Strategien, um positive Erfahrungen und Gefühle wahrzunehmen und eigene Ressourcen zu erkennen und zu stärken, sind bedeutsam und finden explizite Berücksichtigung im Konzept. Eine Grundüberlegung ist, dass durch den Einsatz von Fertigkeiten und Skills das Erleben von Selbstwirksamkeit und Resilienz gefördert werden kann. Neben unmittelbaren Stressregulations- und Emotionsregulationsstrategien werden in START Achtsamkeitsübungen und Selbstberuhigungstechniken zur Anwendung gebracht.
Kinder und Jugendliche, die aufgrund von vielfältigen, vielleicht sehr belastenden, invalidierenden oder auch traumatischen Erfahrungen leiden, können von START profitieren.
Die rasche Verbreitung des START-Programms in Kliniken und Jugendhilfeeinrichtungen und in Schulen zeigte, dass es das richtige Konzept zur richtigen Zeit ist. Ein Effekt, den auch die in diesem Band vorgestellten Evaluationsdaten belegen.
Im Buch wird zudem der besonderen psychosozialen, klinischen und wissenschaftlichen Ausgangslage, in der sich auch die elementaren Grundzüge des START-Programmes begründen, ein weiterer großer Abschnitt gewidmet.
Wir wünschen viel Freude beim Lesen und der Umsetzung von Anregungen in Therapie und Pädagogik!
Andrea Dixius und Eva Möhler
1 Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit zumeist die männliche Schreibweise verwendet, es sind jedoch immer beide Formen gemeint. Wir danken für Ihr Verständnis.
2 Eine Schulung oder ein Workshop durch die Autorinnen kann jederzeit angefragt werden unter: www.startyourway.de.
Trauma (griechisch: »Wunde«) ist sowohl ein medizinischer, als auch ein psychologischer Begriff. Medizinisch definiert er größere körperliche Verletzungen oder Wunden und kann psychologisch analog als »seelische Wunde« beschrieben werden. Ein Trauma kann durch ein Ereignis oder durch mehrere extrem bedrohliche Erlebnisse verursacht werden, was zu einer tiefgehenden Erschütterung führen kann.
In diesem Moment der traumatischen Erlebnisse stehen vereinfacht ausgedrückt keine Bewältigungsmöglichkeiten zur Verfügung. Fischer und Riedesser (1999, S. 84) beschreiben dies als ein »vitales Diskrepanzerleben zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, welches mit dem Gefühl der Hilflosigkeit und schutzlosen Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt«.
Bereits in der Kindheit erlebte Traumata oder existentiell bedrohliche Erlebnisse können ihre Spuren während der gesamten Entwicklung hinterlassen, stressbedingte Störungen nach sich ziehen und im Erwachsenenalter den Gesundheitszustand beeinträchtigen (Felitti et al. 1998, Witt et al. 2017, Münzer et al. 2017).
Den Beschreibungen von Traumafolgen liegen verschiedene Theorien und Entwicklungsmodelle zugrunde. Im Folgenden soll an dieser Stelle auf die grundlegenden und übergreifenden Prozesse und Symptome, die mit einem Trauma in Verbindung gebracht werden, eingegangen werden.
Das Erleben von traumatisierten Menschen ist oft kräftezehrend. Das Gefühlserleben wird oft als fremd und unkontrollierbar wahrgenommen. Das emotionale Erleben von traumatisierten Personen ist häufig durch intensive Angst, Schuld, Scham, Traurigkeit, Ärger oder auch emotionale Taubheit geprägt, häufig existieren Entfremdungsgefühle, sozialer Rückzug, Symptome autonomer Übererregung, z. B. eine erhöhte Reaktionsbereitschaft, starke Schreckreaktionen, Reizbarkeit, Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen und Albträume. Aber auch selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität, Dissoziationen können als Folge eines Traumas auftreten ( Kap. 3).
Traumatische Belastungen haben Auswirkungen auf die psychosoziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Existentiell bedrohliche Lebensereignisse beeinflussen den psychischen und auch körperlichen Gesundheitszustand. Besonders Kinder und Jugendliche werden durch traumatische Erlebnisse in ihren Entwicklungsschritten eingeengt (Hensel 2017). Entwicklungsaufgaben wie sich an die Schule zu gewöhnen, sich von Eltern zu lösen, Selbstkonzept und Persönlichkeit auszubilden und weitere zentrale Entwicklungsaufgaben werden durch Traumatisierung eingeengt. Das Kind oder der Jugendliche kann seine Interessen verlieren und in seiner Identitätsentwicklung negativ beeinträchtigt werden. Auch gesellschaftliche Anforderungen können oft nicht mehr gut erfüllt werden, wie z. B. Schulleistungen zu erbringen, Hobbies nachzugehen oder auch einfach im Kontakt mit Peers zu sein. Es ist leicht nachvollziehbar, dass dies zu weiteren Komplikationen und zu sozialen und psychischen Beeinträchtigungen und Störungen führen kann.
Die Ausprägung von Traumafolgen ist vom Entwicklungsstand und vom Alter des Kindes oder des Jugendlichen abhängig. Die Traumaerinnerungen bzw. fragmentierte Erinnerungen entsprechen dem physischen, mentalen, emotionalen und kognitiven Entwicklungsstand des Betroffenen zum Zeitpunkt des Traumas. Bei jüngeren Kindern sind Traumaerlebnisse oder Aspekte davon oft in Spielszenen wiederzuerkennen. Albträume können ohne erinnerbaren Inhalt auftreten. Das Zusammenspiel von (Gehirn-)Entwicklung und Stressfaktoren und deren Interpretation sowie der Verarbeitung von traumatischen Ereignissen ist abhängig vom Entwicklungsstand des Kindes. Beobachtbare Symptome drücken sich zusätzlich in Rückzugsverhalten, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Trennungsängsten, Reizbarkeit, Wutausbrüchen, neu auftretenden Ängsten, externalisierenden Verhaltensproblemen und einem Verlust von schon erworbenen Fähigkeiten aus (Steil et al. 2009). Zudem kann ein Zurückverfallen in vergangenes Verhalten, wie z. B. erneutes Einnässen, Baby-Sprache, häufiges Weinen, bei Kindern beobachtet werden.
Sekundäre Stressoren, veränderte Lebensumstände, Beziehungsabbrüche und Trennungen oder auch psychisch belastete oder erkrankte Eltern spielen eine wichtige Rolle für die Entwicklung von psychischen Belastungen bzw. Erhöhung der Vulnerabilität bei Kindern.
Bei älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sind dissoziative Zustände, Flashbacks, Vermeidungsverhalten, Entwicklung intensiver Ängste, somatoforme Beschwerden, emotionale Dysregulation, Depressionen, aggressive und impulsive Verhaltensweisen, Schlafstörungen, Albträume, selbstverletzendes Verhalten, reduzierte Belastungstoleranz, Drogenkonsum, Suizidgedanken unter anderem zu beobachten (Steil et al. 2009).
Häufig fühlen sich Menschen nach einem erlebten traumatisierenden Ereignis sehr verändert. Dabei können Bereiche der Gefühlswahrnehmung, des Denkens, des Verhaltens und der Körperwahrnehmung beeinträchtigt sein. Manchmal können ungesteuert, willkürlich und plötzlich belastende »innere Bilder« oder »innere Filme« mit traumaassoziierten Inhalten auftreten. Selbst Stimmen, Gerüche, Köpersensationen, Geräusche und Gedanken, die mit dem traumatischen Ereignis gekoppelt sind, führen zu Beeinträchtigungen im Erleben und Verhalten. Letztlich reagieren Psyche und Körper auf einen erlebten Ausnahmezustand. Dies kann als eine Reaktion beschrieben werden, um mit dem »unfassbaren« traumatisierenden Ereignis einen Weg zu finden, das traumatisierende Ereignis zu überstehen. Plötzlich erscheint das Leben aus der Balance geraten.
Traumatisierende Ereignisse sind vielfältig. Eine Klassifikation nach Terr (1991) unterteilt Trauma dabei in Typ I –Traumata als ein kurzandauerndes, einmaliges Ereignis und in Typ II –Traumata als langandauende, sich wiederholende Ereignisse (Landolt 2004, Landolt und Hensel 2008).
Typ I-Traumata umfassen schicksalhafte, meist einzelne Ereignisse wie z. B. den Tod eines geliebten Menschen, einen Unfall oder eine lebensbedrohliche Erkrankung, aber auch die Ansicht eines Films mit stark ängstigenden Inhalten kann zu einer außerordentlichen Belastung führen, genauso wie die Zeugenschaft eines Bedrohungserlebnisses.
Typ II-Traumata beschreiben sogenannte »man-made-disasters« – von Menschen verursachte Traumata wie z. B. Kindesmisshandlung, intrafamiliäre Gewalt, sexuellen Missbrauch, schwere emotionale und körperliche Vernachlässigung, Kriegs-, Terror- und Fluchtbelastungen. »Man made disaters« sind besonders gravierend, da sie das basale Sicherheitsbedürfnis erschüttern, das Vertrauen zu anderen Menschen. Die von Menschen erzeugten Traumata sind häufig die Ursache einer schwerewiegenden, meist komplexen Traumatisierung. Die Folgen sind in einem breiten Spektrum psychischer Symptome und Störungen zu finden.
Kinder sind während ihrer Entwicklung oft über Jahre hinweg chronischen, emotionalen und körperlichen Vernachlässigungen, Gewalt und Misshandlungen sowie inadäquater Versorgung ausgesetzt. Diese interpersonellen Traumata werden in bisherigen Klassifikationssystemen nicht entsprechend abgebildet.
Diskutiert wird die Einführung der Diagnose Entwicklungstrauma-Störung (Developmental Trauma Disorder – DTD; van der Kolk 2009). Belastende und traumatische Kindheitserfahrungen sind einengend und haben tiefgreifenden, negativen Einfluss auf die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes. Mangelnde Sicherheit, chronische Überforderung und permanenter Stress führen bei vielen Kindern und Jugendlichen zu massiven psychischen, psychosomatischen, körperlichen und emotionalen Störungen. In einer großen Studie – Adverse Childhood Experiences (ACE) von Felitti et al. (1998) – wurden 17.337 Personen im Alter von 19–92 Jahre retrospektiv nach ihren Kindheitsbelastungs-Erfahrungen im Alter unter 18 Jahren befragt. Die Studienergebnisse zeigten eine höhere alltägliche Belastung als angenommen und u. a. einen signifikanten Zusammenhang von Kindheitsbelastungen und psychischen Erkrankungen, Substanzabusus, psychosomatischen und körperlichen Erkrankungen und einer Vielzahl weiterer Erkrankungen (Felitti et al. 1998).
Wenn die wichtigsten Bezugspersonen intensiven, hochbelastenden Stress verursachen, dann führt dies zu Entwicklungsbeeinträchtigungen der betroffenen Kinder. Eine regelrechte, chronische Dauerüberforderung führt zum Gefühl des Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit. Bewältigungsstrategien sind noch nicht vorhanden oder können nicht altersentsprechend entwickelt werden. Das Kind befindet sich in dem Dilemma, sich einerseits auf Bezugspersonen nicht verlassen zu können und andererseits enormen emotionalen, psychischen oder physischen Belastungen ausgesetzt zu sein (van der Kolk 2009).
Fegert (2017) schildert, dass Misshandlungsformen am häufigsten in der eigenen Familie vorkommen. Bei einer respräsentativen Befragung mit dem Childhood Trauma Questionnaire (CTQ) wurden 2510 Personen im Alter zwischen 14 und 94 Jahren in Deutschland interviewt. Die Ergebnisse der Befragung zeigte, dass 6,5 % der Befragten über 14 Jahre von erheblicher emotionaler Misshandlung, 6,7 % von körperlicher Misshandlung, 7,6 % von sexuellem Missbrauch, 13, 3 % von emotionaler Vernachlässigung und 12,5 % von körperlicher Vernachlässigung nach Angaben im CTQ betroffen waren (Witt et al. 2018).
Fehlende soziale und familiäre Bezüge begünstigen die Entwicklung von Traumafolgen oder einer PTBS (Trickey et al. 2012). Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind davon besonders betroffen und können unter einer permanenten Überforderung leiden. Bezugspersonen können in der Regel ihren Kindern zur Wiedererlangung von Sicherheit nach belastenden oder traumatischen Erlebnissen beistehen (van der Kolk 2009) und maßgeblich zur Stabilisierung beitragen.
Die Zahl psychischer Störungen ist bei der besonders vulnerablen Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge deutlich erhöht (Gavranidouet al. 2008, Fazel et al. 2005, Huemer et al. 2009, Derluyn und Broekaert 2009, Unterhitzer et al. 2015, Plener et al. 2017, Kaltenbach et al.2017).
Die Mehrzahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge hat traumatische Erfahrungen, häufig Flucht- und Kriegserfahrungen.
Kinder und Jugendliche, denen durch traumatische Erfahrungen buchstäblich »der Boden unter den Füßen weggezogen wurde«, versuchen mit viel Angst, aber auch Mut und Kraft ins Leben (zurück) zu finden.
Einem hohen Anteil der Kinder und Jugendlichen begegnen wir in unserer Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe und in therapeutischen Kontexten und Kliniken.
Allerdings führen nicht bei jedem Menschen traumatische Ereignisse zu psychischen Störungen, belastenden Traumafolgen oder zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Vielmehr reagieren Menschen sehr unterschiedlich. Resilienzfaktoren, Stärken und individuelle Ressourcen spielen eine große Rolle bei der Krisenbewältigung und schützen vor dauerhafter Erkrankung oder starken Einschränkungen des Funktionsniveaus.