Sterne glitzern auch im Schnee - Meike Werkmeister - E-Book

Sterne glitzern auch im Schnee E-Book

Meike Werkmeister

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Beschreibung

Das zauberhafte Wohlfühlwinterbuch von SPIEGEL-Bestsellerautorin Meike Werkmeister

Nur noch acht Tage bis Weihnachten, aber im gemütlichen Bremer Häuschen von Anni und Thies mag sich die rechte Stimmung nicht einstellen. Anni steht unter Druck, da sie noch einige Illustrationen fertig machen muss. Und Thies verkündet plötzlich, er sei auf Diät. Ausgerechnet Thies, der sonst Unmengen an Plätzchen backt, überall funkelnde Lichterketten aufhängt und »Last Christmas« in Dauerschleife laufen lässt. Als dann auch noch eine Überraschung aus Norderney hereinschneit, wird Annis Welt endgültig durcheinandergewirbelt. Da braucht es schon ein kleines Wunder, damit es doch noch Weihnachten werden kann …

Liebevoll gestaltete Geschenkausgabe mit zahlreichen farbigen Illustrationen von Renata Wolff (»Sterne sieht man nur im Dunkeln«) und tollen Weihnachtsideen zum Nachmachen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 187

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Buch

Nur noch acht Tage bis Weihnachten, aber im gemütlichen Bremer Häuschen von Anni und Thies mag sich die rechte Stimmung nicht einstellen. Anni steht unter Druck, da sie noch einige Illustrationen fertig machen muss. Und Thies verkündet plötzlich, er sei auf Diät. Ausgerechnet Thies, der sonst Unmengen an Plätzchen backt, überall funkelnde Lichterketten aufhängt und »Last Christmas« in Dauerschleife laufen lässt. Als dann auch noch eine Überraschung aus Norderney hereinschneit, wird Annis Welt endgültig durcheinandergewirbelt. Da braucht es schon ein kleines Wunder, damit es doch noch Weihnachten werden kann …

Autorin

Meike Werkmeister ist Buchautorin und Journalistin. Ihre Romane stehen regelmäßig auf der Spiegel-Bestsellerliste. Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Wann immer sie Zeit hat, fährt sie an die Nordsee, wo sie oft auch die Ideen für ihre Geschichten findet.

Weitere Informationen unter www.meikewerkmeister.de

Meike Werkmeister

Sterne glitzern auch im Schnee

Ein kleiner Winterroman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Annis illustrierte Weihnachtssprüche gibt es als Postkarten oder Poster zu bestellen unter: www.hausnr26.de

Originalausgabe September 2022

Copyright © 2022 by Meike Werkmeister

Copyright © dieser Ausgabe 2022

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Michael Gaeb.

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Innenseiten und Anhang: FinePic®, München

Illustrationen: © Renata Wolff, »Haus Nr. 26«

Autorinnenfoto: © Ulrike Schacht

LS · Herstellung: ik

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-29680-3V001www.goldmann-verlag.de

Für Almuth

Es geschah auf unserer dritten Weihnachtsfeier in diesem Advent. Wir waren bei einer Kollegin von Thies eingeladen, deren Wohnzimmer ein bisschen aussah wie ein Geschäft für Christbaumdeko. Der ganze Raum glitzerte und funkelte, und über jedem Türrahmen baumelte ein Mistelzweig. Ich spürte schon den ganzen Abend diese Unruhe in mir. Eigentlich musste ich noch an den Schreibtisch. Eigentlich hatte ich zu viel zu tun für Glühweingespräche über Familientraditionen an Heiligabend.

Ich beteiligte mich gerade halbherzig an einer Diskussion über die Frage »Fondue oder Würstchen mit Kartoffelsalat?«, als mein Blick auf Thies fiel. Er unterhielt sich mit zwei Kollegen, die bereits rote Lippenränder vom Cranberrypunsch hatten und sich über irgendetwas kaputtlachten. Thies stand milde lächelnd dabei, ein Glas Wasser in der Hand. Ich sah an ihm herunter und dachte: Seine Jeans sitzen lockerer als sonst. Die Gastgeberin kam gerade mit einem Teller frisch gebackener Vanillekipferl vorbei und blieb vor Thies’ Gruppe stehen. Die anderen griffen zu, mein Freund winkte dankend ab.

Unsere Blicke trafen sich. Ich hob sachte die Augenbrauen. Er verzog sein Gesicht zu einem schrägen Lächeln und fasste sich mit einer Hand an den Oberbauch. Ich schob mitleidig die Unterlippe vor. Er machte eine kurze Kopfbewegung in Richtung Haustür, und ich nickte.

Minuten später liefen wir durch den nebligen Dezemberabend nach Hause. Die Luft war so feucht, dass sich kleine Tropfen in den Strähnen meines Pagenkopfes sammelten, die vorne aus dem Strickstirnband herausschauten. Thies griff nach meinem langen Mantelärmel und tastete darin nach meiner Hand.

»Wir hätten gern noch bleiben können«, sagte ich und umschloss seine Finger, die wie immer herrlich warm waren.

»Och, mir war auch eher nach Sofa.« Er grinste hinter seinem riesigen gestreiften Wollschal hervor, den seine Mutter Mo ihm letzte Weihnachten gestrickt hatte. Ob sie ihm dieses Jahr eine passende Mütze schenken würde? Oder beglückte sie uns wieder mit einem ihrer Ölgemälde, das sie wie jedes Mal mit dem Hinweis überreichen würde, es passe perfekt über unser Sofa? Bekamen wir überhaupt etwas geschenkt, da sie in diesem Jahr erstmals nicht mit uns feierte?

»Was ist mit deinem Bauch?«, fragte ich Thies, der angefangen hatte, Last Christmas mitzusummen, das von einem Schmalzkuchenstand an der Straßenecke zu uns herüberklang.

Er unterbrach sein Summen. »Ich will gerade mal den Zucker weglassen.«

Ich prustete los. Thies blieb stehen und sah mich empört an. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und drückte ihm noch immer lachend einen Kuss auf seinen weichen Mund, wobei wir beide einen kleinen Stromschlag bekamen.

Ich küsste ihn erneut, diesmal ohne Stromschlag, und sagte: »Entschuldige, aber du weißt schon, dass in acht Tagen Weihnachten ist?«

»Für so etwas ist nie der richtige Zeitpunkt.« Er klang eingeschnappt.

»Aber ein bisschen bessere gibt es schon. Schließlich ist nur einmal im Jahr Weihnachten.« Ich schob meine kleine kalte Hand zurück in seine große warme und zog ihn weiter. »Ich würde jedenfalls ungern auf deine Zimtsterne verzichten.«

»Ich back dir welche.«

»Und die Unmengen an, na ja, sagen wir, etwas fest geratenen Lebkuchen, die Mo uns dagelassen hat, kann ich auch nicht alle alleine essen.«

»Ich nehme welche mit ins Büro.«

Ich wollte wieder lachen, als mir bewusst wurde, dass er es ernst meinte. Mein gemütlicher Genießerfreund, für den ein ganz normaler Mittwoch Anlass genug war, uns ein Dreigängemenü zu zaubern, und für den die Weihnachtszeit mit ihren Versuchungen die schönste Saison des Jahres war – er wollte auf Zimtsterne und Lebkuchen verzichten?

Wir bogen von der Hauptstraße in eine ruhigere Nebenstraße des Bremer Viertels ab, in dem wir seit einem Jahr wieder Vollzeit zusammenwohnten. Thies war zuvor zwei Jahre nach Berlin gependelt. Früher war dies das Studentenviertel der Stadt gewesen, und noch immer gab es jede Menge Kneipen und Cafés in Fußnähe. Aber die hübschen Bremer Altbauten in den Kopfsteinpflastergassen waren dank Gentrifizierung fast nur noch von Leuten bewohnt, die das Studium lange hinter sich hatten. Wie wir.

»Wann fliegt Mo eigentlich?«, versuchte ich das Thema zu wechseln.

Thies stöhnte leise auf. Er hatte mit der Sache noch keinen Frieden gemacht, auch wenn er es nicht zugeben wollte. »Überübermorgen, glaub ich.«

»Fährst du noch mal hin?«

»Ja, ich muss, eine der Rollen an ihrem Koffer klemmt.«

Wir kicherten beide.

Die Pflastersteine unserer schmalen Straße glänzten feucht im Laternenlicht. Vergnügt ließ ich den Blick über die Häuser wandern, an denen wir vorbeiliefen. Einige unserer Nachbarn hatten leuchtende Rentiere im Vorgarten stehen, bei Herrn Meyerhoff waren Lichterketten um die efeuumrankten Treppengeländer geschlungen. Familie Siemers hatte die Fensterrahmen mit blinkenden Girlanden geschmückt. Es sah ein wenig aus wie in einer Coca-Cola-Werbung, ein bisschen too much, aber trotzdem wunderschön, und mir wurde ganz feierlich zumute.

Nur unser kleines Häuschen lag still und ungeschmückt im Dunkeln da. Thies hatte seit dem ersten Dezember gesagt, er würde die Dekoration bald aus dem Keller holen. Bisher hatte ich mir darüber keine Gedanken gemacht, aber so langsam wunderte es mich doch, dass es bei der Ankündigung geblieben war. Sogar in den Jahren, in denen er unter der Woche in Berlin gelebt hatte, hatte er als einer der Ersten in unserer Straße die Lichterketten aufgehängt.

Wir traten durch unser quietschendes Vorgartentörchen. Ich drehte mich zu Thies und umfasste sein Gesicht, das er eindeutig länger als drei Tage nicht rasiert hatte, mit beiden Händen.

»Alles okay bei dir?«, fragte ich sanft und sah ihn eindringlich an.

Er beugte sich ein Stück zu mir runter und stupste mit seiner Nase gegen meine. »Ja, wieso?«

»Na, du bist doch mein Weihnachtself.« Ich strich ihm über die stoppeligen Barthaare. »Hab ich recht, dass du in diesem Jahr nicht richtig in Weihnachtsstimmung bist?«

Er stupste erneut mit seiner Nase gegen meine. »Ich häng die Sachen am Wochenende auf, versprochen.« Er küsste mich, und wir gingen rein ins Warme.

Im Flur streiften wir die Mäntel und Schuhe ab, und ich schlüpfte in die Rentierhausschuhe, die ich mal beim Schrottwichteln in meiner alten Firma bekommen hatte und jedes Jahr in der Adventszeit hinten aus dem Schrank holte. Das Erdgeschoss unseres Häuschens bestand aus einem einzigen großen Raum, in dem sich die Küche, ein Esstisch, ein großes Sofa und mein Arbeitsplatz befanden. Weil Thies bisher nicht dekoriert hatte, hatte ich vor ein paar Tagen auf den Fensterbänken und Tischen einige Kerzen verteilt, die ich nun anzündete. Thies kramte in der Küche herum, es sah fast so aus, als wolle er noch backen.

Ich holte mir ein Glas Wasser und setzte mich damit an meinen vollgestellten Flohmarkt-Schreibtisch. Zwischen Notizbüchern und Emaillebechern mit Stiften und Pinseln lagen die ersten Entwürfe für einen Adventskalender mit illustrierten Sprüchen, Rezepten und Bastelanleitungen. Auch wenn er erst im nächsten Winter erscheinen sollte, musste ich noch vor Weihnachten erste Illustrationen beim Verlag vorlegen. Da im Advent auch mein Onlineshop für Karten, Poster und Prints brummte, kam ich kaum hinterher. Umso dankbarer war ich Thies, dass wir uns so früh von der Feier verabschiedet hatten und ich nun noch etwas arbeiten konnte.

Gelegentlich hatte ich den Eindruck, meine Kreativität wäre eine Fledermaus. Sie kam oft erst raus, wenn es dunkel wurde, vor allem zu dieser Jahreszeit, wenn von draußen die Weihnachtsbeleuchtung der Nachbarn durch die Fenster schien. Thies saß dann entweder mit Kopfhörern vor dem Fernseher, oder er beantwortete noch Mails oder bereitete wie jetzt gerade etwas in der Küche vor, wobei er leise vor sich hin summte. Manchmal kam er vorbei und stellte mir mit einem Augenzwinkern einen Tee neben den Computer oder massierte kurz meine Schultern. Und ich saß hier und zeichnete friedlich vor mich hin. Niemand rief an um diese Zeit. Niemand wollte etwas von mir. Es gab nur mich und meine Ideen.

Gerade als ich ein kleines Rentier skizzierte, an dessen Geweih Lichterketten hingen, hörte ich es. Acht Tage vor Weihnachten, an einem ganz normalen Wochentag, während draußen der Dezembernebel über die Bürgersteine kroch. Da klopfte jemand an unserer Tür.

Thies reagierte zuerst und lief zur Haustür. Er wechselte ein paar Worte mit jemandem. Kalte Luft zog ins Wohnzimmer.

»Anni?«, rief Thies aus dem Flur. »Kommst du mal?«

Etwas missmutig entknotete ich meine Beine, schlüpfte wieder in die Plüschpantoffeln und schlurfte zur Haustür. Thies hatte kein Licht angemacht, sodass ich nur seine große Silhouette im Dunkeln sah und dahinter an der Türschwelle eine kleinere, schmalere Gestalt. Sie bewegte sich, und das Außenlicht sprang an.

Da stand ein junges Mädchen in einem Militärparka, einen fusseligen Schal um die untere Gesichtshälfte geschlungen, einen Gitarrenkoffer auf dem Rücken. Ihre Haare waren schwarz gefärbt, die Augen dunkel geschminkt, weshalb ich einen Moment brauchte, um sie zu erkennen.

»Hi Anni«, sagte sie in ihren Schal hinein.

»Morlen!« Ich lief auf die Tochter meiner besten Freundin zu und umarmte sie, was ihr offensichtlich unangenehm war. Dreizehnjährige nicht einfach umarmen, notierte ich innerlich, nicht mal, wenn du sie kennst, seit sie klein waren. Laut sagte ich: »Komm rein, es ist kalt.«

Ich winkte sie zu Thies und mir in den Hausflur. Sie kam hinter uns her und stellte ihre Gitarre und eine abgewetzte Sporttasche neben meine Sneakers-Sammlung und Thies’ gute Lederschuhe für die Arbeit.

»Erzähl, was machst du hier?« Ich nahm ihr den Parka und den Schal ab und warf beides über die Garderobe.

»Willst du was Warmes? Du siehst halb erfroren aus.« Thies war schon auf dem Weg in die Küche.

Ich schob Morlen ins Wohnzimmer, wo sie sich unauffällig umsah. Sie war vor einiger Zeit einmal mit ihrer Mutter Maria hier gewesen. Eigentlich lebte sie bei ihrem Vater Jan in Düsseldorf, aber ich sah sie regelmäßig im Sommer auf Norderney, wo Maria wohnte. Jedes Mal, wenn ich Morlen begegnete, staunte ich, wie sehr sie sich seit dem letzten Treffen verändert hatte. In diesem Alter reichten manchmal wenige Monate, um aus einem süßen kleinen Mädchen einen Teenager mit Hautproblemen zu machen. Bei Morlen war die Sache bisher glimpflich verlaufen. Sie hatte die großen braunen Augen und die langen Arme und Beine ihres Vaters geerbt – was dazu führte, dass sie in ihrem ausgeleierten Strickpulli und den löchrigen Leggings etwas Rockstarhaftes an sich hatte.

Ich ließ mich aufs Sofa plumpsen. »Setz dich doch. Magst du was trinken?«

»Ich mache uns einen Tee.« Thies kramte in seiner Teeschublade.

Morlen stand noch immer mit skeptischem Blick in unserem Wohnzimmer und zog die Ärmel ihres Pullis lang. Schließlich setzte sie sich ganz außen auf die Sofakante.

»Das ist ja eine Überraschung!« Ich lächelte ihr aufmunternd zu. »Was machst du in Bremen?«

Sie schaute mich zum ersten Mal direkt an. »Bin auf dem Weg nach Norderney«, nuschelte sie. »Zug ist ausgefallen. Kann ich hier pennen?«

»Klar, sicher, kein Problem.«

Morlen erwiderte mein Lächeln nicht.

»Weiß Maria, was los ist? Sollen wir ihr kurz Bescheid geben?« Ich schaute auf die Uhr über dem Kühlschrank. Es war kurz nach zehn. Nicht zu spät, um bei Maria anzurufen. Aber viel zu spät, um noch nach Norderney zu kommen, ob mit oder ohne ausgefallenen Zug.

»Mama und Papa wissen Bescheid.« Morlen schaute zu Boden und knibbelte an einem Loch in ihren Leggings herum. Sie war viel zu dünn angezogen für die Temperaturen. Aber das sagte ich nicht laut, nach der Sache mit der Umarmung wollte ich mich nicht komplett unbeliebt machen.

»Ist meine Weihnachtsmischung, ich hoffe, das schmeckt dir.« Thies stellte eine nach Zimt und Nelken duftende Kanne und drei Becher vor uns hin. »Ich backe gerade Kekse. Hast du Lust mitzumachen?«

Morlens Blick wanderte zu ihren kurzen Nägeln, auf denen Reste von schwarzem Nagellack klebten.

»Hast du vielleicht Hunger?«, fügte ich hinzu und kam mir langsam vor wie meine Großtante früher, die uns bei unseren Besuchen mit Aufmerksamkeit überschüttet hatte. »Oder willst du noch etwas gucken? Also … wir haben auch die üblichen Streamingdienste, falls du gerade eine Serie schaust.« Gott, ich klang alt.

Morlen ließ ihre schmalen Schultern noch ein Stück weiter nach vorn sinken. »Ich bin eigentlich müde.«

Ich sah zu Thies und dann wieder zu Morlen. »Also … du könntest hier auf dem Sofa schlafen … oder im Souterrain, da hast du deine Ruhe und ein eigenes kleines Bad. Aber ich weiß nicht, ob du dich da allein fürchtest?«

»Nö.« Sie zog wieder die Pulliärmel lang. »Dann da.«

»Okay.« Ich stand auf. »Und du willst sicher nichts essen oder trinken?«

Sie schüttelte den Kopf.

Ich lief nach oben, um Bettzeug aus dem Schlafzimmerschrank zu holen. Von unten hörte ich Thies, der wieder in der Küche werkelte und vor sich hin summte. Wie lieb, dass er jetzt noch backte. Bestimmt, weil ich mir Zimtsterne gewünscht hatte. Während ich eine Decke, ein Kissen und Bezüge aus dem obersten Schrankfach nahm, grübelte ich über diesen überraschenden Besuch nach. Morlen und ich hatten immer einen guten Draht zueinander gehabt, und auch Thies und sie kamen prima miteinander klar. Aber dass sie hier einfach so unangekündigt vor unserer Tür stand, das war doch ziemlich ungewöhnlich.

Ich bezog das Gästebett im Untergeschoss und zeigte Morlen alles. Dann wünschte ich ihr eine gute Nacht, und sie verschwand im Bad. Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, knetete Thies gerade Teig. Er drehte sich mit einem fragenden Gesichtsausdruck zu mir um.

Ich lehnte mich schulterzuckend neben ihn an den Kühlschrank. »Ich bin genauso ratlos wie du.«

Er hielt mitten im Kneten inne. »Es ist Donnerstag. Sie muss doch bestimmt morgen zur Schule.«

»Stimmt.« Ich strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. »Es sind noch keine Ferien, oder?«

»Nein, ich hab schon nachgesehen, die beginnen erst in einer Woche.« Thies wischte klebrige Teigreste von seinen Fingern. »Hast du Maria schon angerufen?«

»Das mach ich jetzt.« Ich holte das Handy aus der Brusttasche meiner Latzhose und wählte ihre Nummer.

»Du bist aber spät dran«, meldete sich meine Freundin mit ihrer lauten Stimme. »Ich wollte gerade ins Bett.«

»Sorry, ging nicht anders. Sag mal, weißt du, dass Morlen bei uns ist?«

Thies schob mich sanft ein Stück zur Seite, weil er an eine Schublade musste.

Einige Sekunden herrschte Stille am anderen Ende. »Wie bitte? Was … wieso?«

»Oh! Sie meinte, du und Jan wüssten Bescheid. Sie sagte, dass sie auf der Durchreise zu dir wäre und der Zug ausgefallen ist.«

Eine Etage tiefer wurde ein Wasserhahn auf- und wieder zugedreht. Dann schloss sich die Tür zum Gästezimmer.

»So ein Quatsch, sie kommt doch erst nächste Woche.« Maria atmete laut in den Hörer. »Jan hat vorhin angerufen. Er meinte, sie hätten sich gestritten und Morlen wollte daraufhin heute bei einer Freundin übernachten.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Was macht die denn für Sachen?«

»Keine Ahnung, sie war nicht gerade gesprächig.«

Maria stöhnte wissend auf. »Frag mich mal.« Sie überlegte einen Moment. »Ich bespreche mich mit Jan, und dann holt einer von uns sie morgen ab, ja?«

»Alles klar.«

Thies wischte um mich herum Mehl von der Arbeitsfläche.

»Ich danke dir, du bist die Beste. Melde dich, wenn etwas ist, okay? Und Anni …«

»Ja?«

»Morlen ist gerade superkompliziert mit Essen und überhaupt allem. Mach dir keinen Stress damit, ja? Im Notfall tut es immer ein Toast mit Butter.«

»Okay.«

Wir legten auf. Ich amüsierte mich insgeheim über Marias Ratschlag zum Schluss. Da haute ihre Tochter von zu Hause ab, und das Erste, worum sie sich sorgte, war, dass sie bei uns verhungern könnte.

»Sie holen sie morgen ab.« Ich schlang von hinten die Arme um Thies. »Du bist schmaler geworden«, sagte ich in seinen warmen Rücken hinein.

»Pffft«, machte er. »Das wäre schön. Dann wirkt der Zuckerverzicht offenbar.«

»Du weißt, jedes Gramm an dir ist wertvoll für mich.«

Sein Bauch bebte leicht unter meinen Armen, weil er lachen musste. Er drehte sich zu mir und küsste mich sanft. »Du bist süß.«

Kurze Zeit später duftete das ganze Haus herrlich nach frisch gebackenen Keksen, und ich schaffte es doch noch, ein bisschen zu arbeiten. Von Morlen sahen und hörten wir an diesem Abend nichts mehr.

Als ich am nächsten Morgen aus dem Fenster sah, traute ich meinen Augen kaum. Es hatte über Nacht geschneit. Unser Vorgarten war von einer zarten weißen Puderschicht bedeckt. Herr Meyerhoff von nebenan schippte mit kratzenden Geräuschen den Gehweg vor seinem Haus. Ein paar Nachbarskinder mit Schulranzen auf dem Rücken steckten sich gegenseitig kalte Klumpen in den Nacken. Schnee so kurz vor Weihnachten – das brachte selbst einen Morgenmuffel wie mich zum Lächeln.

Ich lief ins Bad und schlüpfte in meine Weihnachtshausschuhe, die ich dort gestern ausgezogen hatte. Dabei fiel mein Blick auf mein Gesicht im Spiegel. Unter meinen Augen lagen dunkle Schatten, und ich sah blass aus, weil ich viel zu selten vor die Tür ging vor lauter Arbeit. Auf meiner schmalen Nase tanzten um diese Jahreszeit keine Sommersprossen mehr. Als würden sie sich verstecken bis zum Sommer, wenn sie mit einer Polonaise zurückkehrten, über mein ganzes Gesicht. Ich versuchte, meine verknoteten Haare wieder zu einem Pagenkopf zu kämmen. Dann stieg ich die knarrenden alten Stufen hinunter.

Morlen saß schon am Frühstückstisch. Vor sich einen großen Teller Pancakes mit Speck, die sie in sich hineinschaufelte, als hätte sie seit Tagen nichts gegessen. So viel zum Thema »superkompliziert mit Essen«. Thies stand am Herd und schöpfte neuen Teig in die brutzelnde Pfanne.

»Guten Morgen, ihr zwei.« Ich lächelte Morlen zu, die dies halbherzig erwiderte, und küsste dann meinen Freund, der zu meiner Überraschung seine Schluffi-Jogginghose trug.

Er bemerkte meinen Blick. »Die haben vorhin eine Rundmail geschickt. Wer mag, darf Homeoffice machen, Verkehrschaos bei den Öffis.«

Ich lachte. »Winter in Bremen. Anderthalb Zentimeter Schnee, und alles bricht zusammen.«

Thies lachte mit. Morlen schaufelte weiter Pancakes in sich hinein. Sie hatte sich bereits angezogen, fiel mir auf. Die löchrigen Leggings von gestern Abend, nur der Pulli war einem Nirvana-Longsleeve gewichen.

»Hast du alles gefunden?«, fragte ich. »Ich hab dir Handtücher hingehängt.«

»Hm.« Morlen sah nicht von ihrem Teller auf. Am Ansatz schimmerte es mittelblond durch das schwarz gefärbte Haar. Sie hatte es unordentlich zu einem Zopf zusammengebunden. Geschminkt hatte sie sich noch nicht, was sie gleich viel kindlicher wirken ließ.

»Hier kommen deine.« Thies stellte einen Teller mit einem Pancake-Turm vor mich auf den Tisch. So opulent frühstückten wir sonst nie unter der Woche, aber ich fand es süß, dass sich Thies unserem Gast zuliebe solche Mühe machte.

Ich probierte und schloss genüsslich die Augen. »Megagut, danke!«

Thies drehte sich geschmeichelt grinsend um. »Sehr gern geschehen.«

In der Mitte des Tisches stand das Blech mit den Keksen, die er gestern noch gebacken hatte. Es waren keine Zimtsterne, sondern runde dunkle Klumpen – offenbar ein neues Rezept. Ich konnte nicht widerstehen und griff nach einem.

»Die schmecken nicht«, sagte Morlen ungerührt, ohne den Blick zu heben.

»Hey!« Thies räusperte sich. »Das verletzt meine Gefühle.«

Morlen verzog das Gesicht. »Verletzt es sie weniger, wenn ich lüge?«

Ich sah überrascht zwischen den beiden hin und her und steckte mir dann den Keks in den Mund. Er war ungewöhnlich fest und schmeckte nach irgendeinem Gewürz, das ich nicht sofort benennen konnte. Ich merkte, dass Thies mich beobachtete, während ich kaute.

»Schmeckt gesund«, sagte ich. Und musste sehr gründlich gekaut werden. Beinahe hätte ich mich verschluckt.

»Tonkabohnen-Buchweizen-Shortbread.« Thies wendete mit einer schwungvollen Handbewegung einen weiteren Pancake in der Pfanne. »Ohne Zucker, die darf ich also auch essen.«

»Ich übernehme gleich mal«, sagte ich und schob mir ein Stück Pfannkuchen in den Mund, der herrlich fluffig war. »Du sollst auch was frühstücken.«

»Hab ich schon«, antwortete er und stellte die Pfanne wieder ab. »Ich bin schon länger wach als ihr.«

In diesem Moment klingelte mein Handy. Ich hatte Maria erwartet, die mir sagen wollte, dass sie oder Jan sich auf den Weg machten, aber es war meine Quasischwiegermutter Monika, die alle nur Mo nannten.

»Kannst du reden?«, raunte sie verschwörerisch in den Hörer.

Ich schluckte ein weiteres Stück Pancake herunter. »Guten Morgen.«

»Sag Thies, er soll heute nicht kommen, zu gefährlich bei dem Wetter.«

Ich lachte auf. »Mo, das bisschen Schnee da draußen ist bestimmt bald geschmolzen.«

»Es soll weiterschneien, außerdem hat Dieter den Rollkoffer bereits repariert. Wegen der Geschenke schauen wir noch mal, sonst kriegt ihr die nach den Feiertagen.«

»Sehen wir uns nicht mehr vor eurer Reise?« Ich bemerkte, dass Thies bei meiner Frage den Kopf vom Herd zu mir gedreht hatte. Auch Morlen hob interessiert den Blick.

Aber Mo ging nicht auf meine Frage ein. »Kannst du mal in einen anderen Raum gehen? Ich will mit dir über Thies’ Geschenk reden.«

»Du weißt schon, dass er nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubt.« Ich tat ihr den Gefallen und stand mit sehnsüchtigem Blick auf meinen Pancake-Teller auf. »Dann leg los«, sagte ich, oben im Schlafzimmer angekommen.

»Anni, ich mach mir Sorgen.«

»Weshalb?« Ich stellte mich ans Fenster und sah hinaus. Mo hatte recht. Es hatte wieder angefangen zu schneien.

»Thies hat mir gesagt, was er sich in diesem Jahr von meinem Weihnachtsgeld kaufen will.«