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Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen, meinte der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein. Doch nicht in diesem Fall. „Stimmabgabe“ lautet der Titel des persönlichsten Textes von Günther Payer. Obwohl er darin auch gerne übers Essen schreibt, behandelt er in leisen und lauten Tönen eine etwas schwerere Kost. Nämlich die Auswirkungen der Diagnose „Kehlkopfkrebs“. Eine Geschichte von emotionalen Höhen und Tiefen, wie sie nur das Leben schreiben kann. Von himmelhochjauchzend, wie schön dieses doch sei, bis zu Tode betrübt, dessen Manifestation sich in der lebensmüden Konfrontation eines Einbrechers mit den nackten Tatsachen zeigt. Eine Geschichte ohne tragisches noch glückliches Ende. Tragisch-komisch werden jedoch Szenen beschrieben, wie die Bestellung eines Leberkäsesemmerls an der Wurstabteilung oder eines Glases Leitungswasser in der Gastronomie ohne Stimme ablaufen kann. Die reflexiven Gedankengänge im Tagebuchjargon eines geschulten Sozialpädagogen geben Einblick in den Alltag eines Krebspatienten und alles was zu ihm gehört. Man vermutet dabei, dass die romantisch beschriebene Ärzte-Patienten-Beziehung nur Fiktion ist. Aber sie beruhigt für den Fall der Fälle. Und an vielen Passagen muss man tatsächlich lachen und wird darin bestätigt, dass Ironie wohl noch immer die beste Medizin ist. Dr. Thomas Stangl
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Seitenzahl: 135
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Günther Payer, geboren 1973, studierte Psychologie. In seiner Heimat Salzburg arbeitet er im Sozialbereich mit Kindern und Jugendlichen.
2013 erschien sein experimenteller Debütroman "Blackout", den er gemeinsam mit Sebastian Königsberger schrieb. 2015 veröffentlichte der Salzburger Tandem Verlag den ethischen Thriller "786", der u.a. auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt wurde.
Im April 2016 erhielt er überraschend die Diagnose „Stimmbandkarzinom“, im allgemeinen Sprachgebrauch auch „Kehlkopfkrebs“ genannt. Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit den vier folgenden Monaten nach der Diagnose.
Vorwort
1. April – Scherz?
Zwischenraum I
Biopsien und Dinge, die man nicht hören will
Zwischenraum II
Hurra, ich rede noch!
Danach tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte den Tag
Zwischenraum III
Manche Menschen sind wie Sterne – sie können leuchten und strahlen
Zwischenraum IV
Er ist wieder hier
Über sieben Brücken musst Du gehen, sieben lange Wochen überstehen
Zwischenraum V
Kleiner Mann, was nun?
Anhang: Mailverkehr mit Stefan
Stellen Sie sich vor, Sie haben Ihr Leben fest im Griff und umgekehrt ist es genauso.
Sie sind glücklich verheiratet, der Job ist vielleicht nicht mehr Ihr Traum, aber Sie können in jeder Hinsicht gut mit ihm auskommen.
Die schwierigen Zeiten liegen Gott sei Dank hinter Ihnen und Sie können sich den Luxus gönnen, sich über Kleinigkeiten des Alltags zu echauffieren.
Gesundheitlich ist soweit alles in Ordnung. Das eine oder andere Wehwehchen ist dem Alter geschuldet. Einem unangenehmen Gläubiger. Das weiß man aber. Die Verkühlung am Anfang des Jahres gehört traditionell dazu. Sie schnupfen mit der halben Bevölkerung um die Wette und die Heiserkeit begleitet die Erscheinungen.
Weil es einfach nicht besser wird, suchen Sie eben den Facharzt auf. In der Erwartung, dass er Ihnen Medikamente verschreiben wird.
Was Sie sicherlich nicht erwarten ist, dass Sie scheinbar plötzlich schwer krank sind.
Sie werden der Krebserkrankung verdächtigt. Und nur wenig später schuldig gesprochen.
Von einem Moment auf den anderen ist nichts mehr so wie es war. Ihre Welt droht, sich auf den Kopf zu stellen. Und Sie dazu.
Die gute Nachricht: Sie brauchen es sich nicht vorzustellen. Das tue ich für Sie.
Ich habe Anfang April 2016 die Diagnose „Kehlkopfkrebs“ erhalten. Aus heiterem Himmel. In einer Zeit, in der man das eigene Leben als glücklich und stabil bezeichnen würde.
Meine Frau Verena und ich haben im Vorjahr zwei Traumhochzeiten erlebt. Einmal standesamtlich in Golling im Kreise der Familie und einmal in Süditalien eine Woche lang mit Familie und Freunden.
Wir haben uns in einem der für mich/uns schönsten Plätze Salzburgs ein Refugium geschaffen, das wir unser zu Hause nennen dürfen.
Ein zu Hause, das meinen Vater miteinschloss und dem wir das Refugium zu verdanken haben. Der aber nach vielen Jahren multimorbider Belastungen schließlich im letzten Jahr an einem Lungenkrebs gestorben ist. Er wäre voraussichtlich auch ohne den Krebs bald von uns gegangen. Doch war dieser sein unbarmherziger Henker, der ihn leidend und unmenschlich aus dem Leben gedrängt hat.
Das Sterben hätten wir uns alle anders gewünscht. Der Tod selbst hingegen war eine Erlösung.
2016 sollte nun ein ruhigeres Jahr werden. Ein Jahr ohne extreme Höhen und Tiefen. Ein Jahr zum Ausruhen und Ankommen. Aber auch ein Jahr, um Neues zu probieren und Altes abzulegen.
Das erste Viertel sollte dies bestätigen. Wir konnten uns nach einer kurzen Zeit des Abschiedes bereits auf den (kleinen) Umbau des Hauses nach unseren Wünschen freuen.
Ich hatte mit meinem Debütroman „786“ die ersten Erfolge zu verzeichnen, durfte Lesungen halten und ein zwanzigminütiges Interview im Lokalradio geben.
Als Highlight konnte ich auf der Leipziger Buchmesse meinen Roman vorstellen und wurde fürs dortige Radio interviewt. Mit bereits leicht brüchiger Stimme diskutierte ich die Grundthemen meines Werkes, das sich mit Menschenversuchen im Nationalsozialismus und heute beschäftigt. Und mit der Krankheit Krebs.
Einzig die immer schlechter werdende Stimme störte den friedlichen und erfolgreichen Ablauf meines Lebens. Das allerdings in dem Maße, dass ein Arztbesuch unumgänglich wurde.
Ab diesem Zeitpunkt erzählt die vorliegende Geschichte. Eine Geschichte mit Höhen und Tiefen, an deren Ende weder ein Happy End winkt, noch düstere Szenarien die Zeilen beenden werden.
Es ist meine Geschichte. Und meine Art damit umzugehen. Sie in ein Buch zu verpacken und mit anderen zu teilen, die Interesse daran haben. Nicht an Mitleid oder Selbstdarstellung, sondern an einer Situation, die so oder ähnlich jedem passieren kann. Und mit der schon viele auf die eine oder andere Art konfrontiert wurden.
Es ist ein kurzer aber intensiver Abschnitt meines Lebens, zwischen Traurigkeit und Freude, Wut und Erleichterung, Resignation und Hoffnung aber auch Spannung und Banalität, Bestrahlung und EM.
Ich habe bei diesem Buch nur (relativ) wenig auf die korrekte Grammatik und Ausdrucksweise geachtet. Ich bitte daher schon im Vorhinein Unkorrektheiten und Alltagsjargons zu verzeihen. Manchmal sind sie auch der Absicht entsprungen.
Vielmehr war es mir jedoch wichtig, die Zeilen aus der Emotion heraus zu schreiben. Nahe am Moment, wann es passiert. Auch wenn mir das gerade am Anfang zugegebener Weise nicht immer gelungen ist.
Ich wünsche Ihnen auf alle Fälle eine interessante und interessierte Lesezeit!
Günther Payer
1. April 2016. Die Sonne scheint vom Himmel und taucht die Griesgasse in glänzendes Licht, als ich gemächlichen Schrittes in Richtung meines Zieles schlendere.
Der Satz klingt so banal wie es die Situation ist, bevor die darauffolgende Nachricht mein derzeitiges Leben grundsätzlich ändern wird.
Noch ist es aber nicht soweit. Ich bin am Schlendern. Vom Bürgerspitalsplatz, auf dem ich die Vespa meiner Frau Verena geparkt habe, über die Griesgasse, hin zu meinem HNO-Arzt.
Zu diesem hat mich mein Hausarzt geschickt. Drei Wochen Heiserkeit seien zu dieser Jahreszeit zwar nicht außergewöhnlich. Da sei ich nicht der Einzige. Doch müsse man die Sache genauer ansehen lassen. Beim Zusatz, dass eventuell auch etwas im Hals sein könnte, was da nicht hingehöre, habe ich wohl nicht richtig hingehört.
Ich komme also an im Wartezimmer und will einchecken. Trotz Termin dauert es ein bisschen länger und die Sprechstundenhilfe schickt mich nach draußen. Hinaus in die Sonne. In einer halben Stunde solle ich wiederkommen.
Die Wärme tut gut, nach dem langen, faden Winter. Aber es pressiert auch ein wenig, sollte ich doch ins Möbelhaus. Nächste Woche beginnt schließlich der Umbau in unserem Haus. Egal, ich bleibe im Schlendermodus. Für Stress ist der Tag zu schade.
Eine halbe Stunde später finde ich mich wieder brav im Wartezimmer ein. Es dauert dieses Mal nicht lange, bis ich aufgerufen werde. Dr. S., ein sympathischer und angenehmer Mann, bittet mich auf den Stuhl. Nachdem ich mich bequem hingesetzt habe beginnt ein kurzer, aber durchaus vertraulicher Plausch, bei dem wir feststellen, dass unsere beiden Väter vergangenes Jahr verstorben sind. Es folgt ein kurzer Moment der Verbundenheit, bevor seine Arbeit ruft und er die Geräte zur Untersuchung vorbereitet.
Noch bin ich der Meinung, dass ich ein paar Tabletten verschrieben bekommen werde. Ein kurzer Krankenstand ist eingeplant. Länger als eine Woche sollte er nicht dauern. Dann kommen ja die Handwerker.
Zuerst fährt mir jedoch der Mundwerker mit einem Endoskop durch den Rachen hinab in den Kehlkopf. Meine Würgereflexe machen das Ganze nicht einfacher. Doch Doktor S. hat genug gesehen.
Ziehen Sie nicht über “Los“! Gehen Sie direkt ins Krankenhaus! Und nachdem er mir sehr deutlich mitteilt, dass ich mich unter KEINEN Umständen dort wegschicken lassen solle, bevor sie mich nicht gründlich untersucht haben, überfällt mich das erste Mal das Gefühl, ganz nahe an einer Arschkarte dran zu sein.
Die Fahrt ins Landeskrankenhaus wirkt befreiend. Schon aufgrund meines Berufes als Sozialarbeiter neige ich zu sämtlichen Formen des Optimismus. Von Zweck-, Zwangs- und kalkuliertem bis hin zum Lebensoptimismus ist alles dabei. Der bringt mich zwar jetzt nicht wie geplant ins Möbelhaus. Das ist im Moment aber wirklich nicht wichtig. Ich bin dennoch wieder positiver eingestellt, als ich stattdessen im nächsten HNO-Wartezimmer ankomme und mich anmelde, ohne abgewimmelt zu werden. Es wird schon nicht so schlimm sein.
Es dauert nicht lange, da werde ich in den Untersuchungsraum gerufen. Dort herrscht reges Treiben. Ich setze mich wieder auf einen Behandlungsstuhl. Fast nebenbei wird mir von einer Krankenschwester ein Pfropfen in die Nase gesteckt. Zur lokalen Betäubung, wie es heißt. Der Warteraum hat sich für mich von außen nach innen verlegt.
In dieser Zeit trifft auch Verena ein. Irgendwie schön, wenn man jetzt nicht alleine ist. Doch Partner müssen draußen bleiben. Es ist einfach zu viel los.
Schließlich kommt eine Ärztin mit einer Auszubildenden im Schlepptau dazu. Jeder Griff wird kommentiert. Ganz klar ist nicht immer, ob sie zu mir spricht oder zur angehenden Kollegin. Etwas süffisant meint sie: „Na dann schauen wir mal, ob es so dringend ist, wie der Herr Kollege Dr. S. meint!“
Dieses Mal findet das Endoskop den Weg über die Nase in den Kehlkopf. Es kitzelt etwas, ist aber deutlich „angenehmer“, als über den Rachen. Es folgt ein Fotoshooting im Kehlkopf. Zuerst ruhig atmen – Bild. Dann „Hiiiiii“ sagen – Bild. Ich glaube, ich mache mich ganz gut.
Im Anschluss spricht sie eindeutig zur werdenden Kollegin: „Ja, da hatte Herr Dr. S. wohl recht. Das gehört dringend untersucht!“ Der nächste Arschkartenalarm.
Ich würde gerne mitreden. Noch befindet sich allerdings eine Kamera in meinem Kehlkopf, was das Ganze so gut wie unmöglich macht.
Als die Ärztin diese schließlich herauszieht, schaffe ich die krächzende Frage, was denn jetzt los sei. Die Schläuche haben meine Bänder nicht unbedingt gestreichelt und die Stimme wird immer schlechter.
Das könne man nicht genau sagen. Jedenfalls sei im Kehlkopf etwas, was dort nicht hingehöre. Wieder dieser Satz. Und es wird immer schwerer, ihn zu überhören.
Ich frage etwas näher nach und werde etwas bestimmter darauf hingewiesen, dass man das nicht genau sagen könne. Von bis sei alles drinnen (im Kehlkopf?). Mir kommt vor, als müsse ich der Ärztin die Fragen aus der Nase ziehen, wie sie mir zuvor die Kamera.
Von „gutartiger und harmloser Geschwulst“ bis „bösartigem Tumor“ sei alles möglich, lautet schließlich die Antwort.
Da haben wir es das erste Mal ausgesprochen, das schlimme Wort. Ich frage mich, warum sie mir das überhaupt sagt, weiß aber gleichzeitig, dass ich selbst schuld bin.
Zur Sicherheit wird im Anschluss noch ein Halsultraschall durchgeführt. Wieder gehen die Kommentare eher an die Kollegin als an mich. Außer, sie ist der Meinung, dass ich Medizin studiert habe und alle Fachtermini verstehe. Die Zusammenfassung ist aber erfreulich. Sie kann keine Streuung oder Metastasen finden. Das klingt doch zumindest mal gut.
Zum Schluss stellt sie noch die Frage, wie lange ich schon rauche und wieviel. Ich sage, ca. eine bis eineinhalb Packungen am Tag und das seit ca. 20 Jahren. Sie schaut mich ungläubig an. Nicht wegen der Menge. Da sollte sie doch Schlimmeres gewöhnt sein. Ich werde doch nicht als Kind schon damit angefangen haben, fragt sie.
Ich merke schnell, dass sie das nicht als Kompliment meint, was es nur umso besser macht. Das Kompliment. Es glauben mir die wenigsten, dass ich mittlerweile 42 Jahre alt bin. Was in der Jugend oft ein tückischer Nachteil ist, erfreut einen im fortschreitendem Alter, wenn man das juvenile Aussehen mitnehmen kann.
Mitnehmen kann ich auch eine Anweisung. Am Montag müsse ich gleich morgens einen Termin auf der HNO-Station für eine OP vereinbaren. Stationär natürlich. Man müsse Gewebe entnehmen, um sicher zu sein, um was es sich hier handelt. Auf Wiedersehen. Der nächste bitte.
Wäre ich jetzt alleine, wäre ich auch allein gelassen mit den Informationen. Aber meine tapfere Frau sitzt gespannt im Wartebereich. Nicht gespannt im Sinne vonüberaschungseierwasdawohldrinistkindlichevorfreudepositivgespannt sondern hoffentlichkeineböseüberraschungwasdaimhalsdrinnenistnegativgespannt. Ich versuche das Ganze zusammenzufassen und zu relativieren. Professionell wie ein Arzt, als ginge es nicht um mich. Ja, da sei wohl etwas in meinem Hals, was da nicht hingehöre (dieser Satz wird mich im Laufe der Woche noch häufiger begleiten). Das böse Wort erspare ich ihr und ebenso mir. Es wird schon nichts Schlimmes sein. Man muss ja nicht jetzt schon die Pferde scheu machen. Oder über ungelegte Eier reden. Oder so ähnlich. Der Optimismus greift Gott sei Dank wieder. Die Verdrängung auch.
Am Abend treffen wir uns noch mit meinem Schwiegervater Toni und seiner Frau Romana im „Das Kino“. Er hat sich das zum Geburtstag gewünscht. Es gelingt mir weiterhin ganz gut, abzuschalten und die vielen Informationen ruhend zu stellen. Im Kino muss man nichts reden, was gar nicht so schlecht ist. Auch beim anschließenden Lokalbesuch darf ich mich dezent zurückhalten. Es haben alle verstanden, dass ich nicht viel sprechen kann und darüber jetzt nicht sprechen will.
Und ein bisschen habe ich noch immer die Hoffnung, dass ich wie Michael Douglas 1997 im Film „The Game“ übel an der Nase herumgeführt werde und mir mit drastischen Mitteln gezeigt werden soll, dass ich doch mit dem Rauchen aufhören müsse. Nachdem bis Mitternacht aber keine Verwandten oder Bekannten mit Sekt vor mir stehen und „1.April!“ rufen, begrabe ich die winzige Möglichkeit auf einen schlechten Scherz.
Und überhaupt: Es wird schon nicht so schlimm sein.
In der Nacht habe ich überraschend gut geschlafen. Mein treuer Sandmann dürfte ordentliche Arbeit geleistet haben und ich fühle mich nach dem Aufwachen bestätigt, dass ich mich in der Zwischenzeit, bis die Probe genommen wird, nicht allzu verrückt machen lasse. Es ergibt ohnedies keinen Sinn, wenn ich dann erfahre, dass alles ganz harmlos ist und gut wird.
Also Alltag ausgepackt und wieder Umbau geplant – wie geplant. Wir bestellen Möbel im Internet, was tatsächlich stundenlang dauern kann und klappern im Anschluss die Möbelhäuser in der freien Wildbahn ab. Irgendwie hat das Ganze aber dennoch einen fahlen Beigeschmack und die richtige Freude will bei uns beiden nicht so recht aufkommen.
Zwischendurch rufen immer wieder Freunde und Familienmitglieder an, oder schreiben SMS um sich zu erkundigen, wie es mir geht. Lieb gemeint, aber das brauche ich im Moment so nötig wie einen (Kehl)Kropf, werde ich so doch immer wieder an meine derzeitige, unklare Situation erinnert.
Am Samstagabend setze ich mich schließlich bei Sonnenuntergang auf den Balkon und gönne mir ein Bier. Dazu ziehe ich genüsslich an meiner Pall Mall, einer Mischung aus Zigarillos und Zigaretten. Im Kopf manifestiert sich schon der Gedanke, dass sich dieses schöne Ritual dem Ende zuneigt. Den Schuss vor den Bug sollte man schließlich volley annehmen. Zuerst wiederhole ich das Ganze aber. Also noch ein Bier und noch eine Pall Mall. Es wird mir abgehen. Das weiß ich schon jetzt.
In diesem Moment recht entspannt nehme ich mein Handy zur Hand und beginne im Internet nachzuforschen. Ich gebe dazu „Leukoplakie“ ein. Die erste Diagnose, die im Raum schwebt. Etwas mulmig ist mir dabei schon.
Man muss dazu sagen, dass ich kein Freund dieser amateurhaften Recherchen bin. Allzu oft sind die Ergebnisse verwirrend, unklar und auf den Einzelfall angewandt teilweise einfach falsch. Dennoch will ich natürlich wissen, was das überhaupt ist.
Ich erfahre nach und nach, dass man Leukoplakie auch die Weißschwielenkrankheit nennt und dass es sich um weiße Flecken auf der Schleimhaut handelt, die meist eine Krebsvorstufe (Vorstufe!!!) darstellen. Die Ursachen sind Tabakkonsum (erwischt!) und erhöhter Alkoholkonsum (früher vielleicht?). Sie tritt meist ab dem 50. Lebensjahr auf (sprach ich nicht zuerst von meiner Juvenilität?!). Bei Männern eher als bei Frauen. Die weißen Flecken verursachen in der Regel keine Beschwerden (da bin ich keine Ausnahme). Manchmal wird es erkannt, wenn nach zumindest drei Wochen langer Heiserkeit eine Untersuchung gemacht wird (so ist es). Gewissheit hat man aber erst nach Entnahme und Untersuchung des Gewebes (folgt…).
Je mehr ich mich einlese, desto beruhigter bin ich. Die erste Diagnose bedeutet tatsächlich überhaupt nicht, dass ich Krebs habe. Nun kann ich auch den bösen Ausdruck verwenden, weil ich innerlich jetzt schon weiß, dass es nicht so ist.
Die Statistik bestätigt mich darin. Bei der einfachen Leukoplakie (also sicherlich mein Stadium) beträgt das Risiko der Entartung nur 3%. Und selbst bei den fortgeschrittenen Leukoplakien sprechen wir „nur“ von einer Wahrscheinlichkeit von 20% bis 35%.
Die Achterbahn fährt wieder nach oben! Noch dazu, weil mir im Internet durch die frühe Erkennung im Vergleich zu anderen Krebsformen eine sehr gute Prognose bescheinigt wird.
Ausnahmsweise beschließe ich, den Recherchen im Netz Vertrauen zu schenken. Verena kommt nach eigenen Internetfeldforschungen auf ein ähnliches Ergebnis. Auch wenn sie naturgemäß skeptischer ist als ich. Also können wir zumindest vorerst das Ergebnis einloggen und die Sache optimistischer sehen.