Storchennest – Wenn mit der Liebe Chaos einzieht - Fritzi Teichert - E-Book
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Storchennest – Wenn mit der Liebe Chaos einzieht E-Book

Fritzi Teichert

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Beschreibung

Von knisternder Anziehung, Herzenstönen und Bauchgefühlen der besonderen Art Auf Wolke Sieben kann die Luft dünn werden. Das muss auch Madita, die quirlige Hebamme aus der Praxis Storchennest, feststellen. Nach einem Streit mit ihrem Freund, dem attraktiven Polizisten Silas, fällt sie unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück, wo sie nicht nur ein übervoller Terminkalender, sondern auch ihre Schwester Lotta mit einem immer größer werdenden Problem erwarten. Auch Maditas Kollegin Helga befindet sich im Gefühlschaos. Denn obwohl sich auch Noch-Ehemann Hans rührend um das gemeinsame Baby kümmert, leben sie weiterhin getrennt. Gleichzeitig sorgt Nachbar Jim für Herzklopfen der besonderen Art. Helga und Madita müssen wolkenhoch über sich hinauswachsen und stellen dabei fest: Zusammen halten sie besser als allein. Die Fortsetzung der »Storchenherzen« – ein romantisch-chaotischer Wohlfühlroman für Mütter, Schwestern und beste Freundinnen. Für Leserinnen von Kerstin Gier, Petra Hülsmann und Emma Sternberg.

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Seitenzahl: 698

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Über das Buch

Warum muss Liebe immer so kompliziert sein?

 

Auf Wolke Sieben kann die Luft manchmal dünn werden. Das muss auch Madita, die quirlige Hebamme aus dem »Storchennest« feststellen. Nach einem unschönen Streit mit ihrem Freund Silas fällt sie unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück, wo sie nicht nur ein übervoller Terminkalender, sondern auch ihre große Schwester Lotta erwartet, die plötzlich mit einem immer größer werdenden Problem vor der Tür steht. Maditas resolute Kollegin Helga befindet sich ebenfalls im Gefühlschaos. Nach der Geburt ihrer süßen Tochter Lovis muss sie sich nicht nur durch ihren neuen Alltag als Mutter, sondern außerdem durch diverse Beziehungsturbulenzen navigieren. Denn obwohl Noch-Ehemann Hans verantwortungsvoll seine Vaterrolle erfüllt, leben sie weiterhin getrennt. Gleichzeitig sorgt Nachbar Jim für Herzklopfen der besonderen Art. Klar, dass die Nerven bei all den Aufs und Abs mitunter blank liegen. Helga und Madita müssen wolkenhoch über sich selbst hinauswachsen und stellen dabei fest: Zusammen halten sie besser als allein.

Fritzi Teichert

Storchennest

Roman

Lärm

Helga

»Nein, Helga, du kannst keine Schwangeren betreuen, keine Wöchnerinnen und auch keinen Kurs übernehmen«, sagt Monika in meinem Ohr. »Das erlaube ich dir erst, wenn Lovis tagsüber mindestens sechs Stunden keine Brust mehr verlangt …«

»Ich werde Milchmahlzeiten dalassen, die Pumpe steht schon bereit.«

»… sie nachts durchschläft und du mir saubere und trockene Wochenbettbinden auf den Schreibtisch legst.«

»Kriegst du«, verspreche ich und versuche, mir das nicht bildlich vorzustellen. »Tröpfelt eh nur noch.«

»Außerdem sollten sich deine Bauchmuskeln komplett geschlossen haben und deine Augenringe verschwunden sein«, doziert meine Freundin, Kollegin, Chefin und Leiterin der Hebammenpraxis Storchennest. Ich kenne Monika so lange, dass ich ihr Gesicht vor mir sehe, die Nachdenklichkeit, mit der sie mich mustern würde, säßen wir einander gegenüber. Gut möglich, dass sie auch jetzt, irgendwo unterwegs am Telefon, die Stirn runzelt.

»Zum Abtasten und Herztöne-Horchen brauche ich keine Bauchmuskeln«, werfe ich ein.

»Sag mal, wovor läufst du eigentlich davon? Vor deinem Kind?« Ist es Belustigung, die in Monikas Stimme klingt, oder Sorge?

Ich seufze und lasse mich in den Kissenberg fallen, der seit Maditas Einzug das Sofa beherrscht. »Nein, natürlich nicht. Lovis ist zauberhaft.« Da. Schon wieder. Seit einiger Zeit schleichen sich regelmäßig Madita-Worte in mein Vokabular; neben »zauberhaft« schlüpfte mir unlängst »supi« aus dem Mund, als das Küken verkündete, zum Abendessen gebe es Spaghetti mit ihrer legendären Kräutersoße. Und heute Morgen habe ich mich dabei ertappt, wie ich eines jener Nonsenslieder vor mich hin summte, die Madita Lovis so gern vorsingt. Simsalabimbambaseladuseladim …

»Also, was hast du?«

Ich reibe mir die Schläfen, ahne, dass Monika viel besser weiß als ich, was ich habe. Immerhin ist sie Hebamme und kennt frischgebackene Mütter wie mich. Obwohl ich selbst Hebamme bin, macht es mich noch immer fassungslos, dass ich dieses Wunder bekommen habe, dass ein Kind in mir heranwuchs, sich in mir regte und schließlich das Licht der Welt erblickte – wenn die Geburt auch nicht so einfach verlief, wie ich es nach all den Jahren meiner Berufserfahrung erwartet hatte. Statt meinen Körper souverän machen zu lassen, probte ich den hysterischen Aufstand. Ich schlug und trat um mich, und ich glaube, ich habe sämtliche Menschen um mich herum beschimpft. Überlegungen, was geschehen wäre, wenn Madita nicht dazugekommen und mich zur Besinnung gebracht hätte, vermeide ich. Es ist peinlich genug und inzwischen gut sechs Wochen her.

Ich richte mich in meinen Kissen auf, gerade so weit, dass ich einen Blick in den Stubenwagen werfen kann, der neben der Couch steht. Da liegt sie, meine Tochter, und schläft. Dass ein Gesicht so winzig sein kann, müsste ich wissen, schließlich entbinde ich mein halbes Leben lang schon Babys, und dennoch. Dieses Kind ist anders, natürlich ist es das.

Ich spüre ein Lächeln in mir, breit und glücklich, warm. Allerdings bleibt es innen, bricht nicht durch meine Mundwinkel hinaus, die herabhängen wie der Rest meines Gesichtes, wie mein Körper an sich. Ich brauche mich gar nicht erst zu fragen, ob ich jemals so müde war wie zurzeit, denn ich weiß, dass mich nicht einmal die längste Geburt meiner Laufbahn derart erschöpft hat wie die letzten Wochen. Dabei dauerte besagte Entbindung dreiundfünfzig Stunden.

»Helga?«

Ich zucke zusammen, apropos eingenickt, schiebe das Handy, das mir zwischen Kopf und Schulter herabzurutschen droht, aufwärts.

»Ich habe nichts«, murmle ich. »Ich bin bloß müde.«

»Und dann willst du wieder arbeiten?« Monika lacht. »Nein, meine Liebe, du bleibst schön zu Hause bei deiner hübschen Tochter und konzentrierst dich voll und ganz auf die Milchproduktion. Und aufs Kuscheln.«

»Hmm.« Meine Lider senken sich herab. »Soll … ja nur … bisschen.«

Als ich das nächste Mal hochfahre, ist es still im Handy, die Verbindung unterbrochen. Dafür rabatzt es im Stubenwagen. Lovis brüllt, was das Zeug hält, das Geräusch fräst sich in meine Ohren. Komisch, das Geschrei anderer Babys kommt mir leiser vor, ich kann es ausblenden. Dieses nicht. Es zerrt an mir und weckt ein Erbarmen, das mir die Eingeweide umdreht und völlig unangemessen ist. Immerhin kommunizieren Babys über Gebrüll, sind gar nicht in der Lage, auf andere Weise zu äußern, dass es ihnen an etwas mangelt. Aber seit wann empfindet man verzweifeltes Mitleid, wenn jemand sagt: »Ich habe Hunger.« Muttergefühle sind eigenartig.

Ich denke daran, dass ich nicht nur einmal eine frischgebackene Wöchnerin dazu aufgefordert habe, sie möge sich zusammenreißen, wenn sie, den Tränen nahe, das schreiende Bündel an sich drückte und überlegte, den Notarzt zu rufen, weil Jonte, Karlo oder Fabia sich einfach nicht beruhigen lassen wollte.

»Lass gut sein«, winkte ich ab und schob vielleicht auch »Krieg dich wieder ein« hinterher. Säuglinge schreien eben. Die Welt ist neu für sie, und das müssen sie erst mal verarbeiten; manchen fällt das leichter, andere stresst es. Wie gern hätte ich mancher Frau ihr Baby aus dem Arm genommen, damit es endlich einmal eine Pause vom ständigen Geschaukelt-, Besungen-, Getröstetwerden bekäme. Manchmal müssen Eindrücke einfach rausgebrüllt werden. Ich habe nie verstanden, warum Mütter von Erstgeborenen das nicht begreifen.

Nun, jetzt dämmert es mir.

Obwohl ich seit der Geburt ein paar Kilo abgenommen habe, ist mein Körper schwer, hievt sich nur mühsam in die Höhe, um sich vorzubeugen und Lovis aus ihrer Decke zu schälen.

»Na, was hast du denn?«, frage ich, lege sie bäuchlings auf meine Schulter, sodass sich ihr Köpfchen gegen meine Wange schiebt. Keine gute Position für mein Trommelfell, und Lovis gefällt sie auch nicht. »Schon wieder Hunger?« Ich überlege, wie lange es her ist, seit sie die letzte Brust leer getrunken hat, erinnere mich jedoch nicht, weiß nicht einmal, wie spät es ist. Vor dem Fenster herrscht seit Tagen Einheitsgrau, der Blick hinaus verrät mir also nichts.

Oder doch. Ein Mann steht dort drüben, im Fenster des Hauses gegenüber. Die Hände in den Hosentaschen wirkt er unschlüssig, als wisse er nicht, was er mit dem nächsten Moment anfangen soll. Gut möglich, dass ich das auch nur denke, weil ich mich frage, ob sein Anblick mir tatsächlich etwas verrät. Über ihn oder mich.

Weil ich keine Ahnung habe, wie er heißt, habe ich ihn Jim genannt, meinen Nachbarn dort drüben, der in den vergangenen Monaten immer mal zu mir herüberschaute, wie es Nachbarn eben so tun, bis er eines Tages damit anfing, Botschaften auf Zetteln an seine Scheibe zu halten. Verschiedene Smileys zunächst, später … mehr.

Bis heute weiß ich nicht, was es ist, das uns verbindet, ob er ein Verehrer ist oder nicht. Weder kommt er zu mir herüber noch habe ich je bei ihm geklingelt, und vielleicht ist das gut so, denn mir gefällt das Namenlose zwischen uns; es ist erwartungsfrei.

Abgesehen davon hatte ich in den letzten Wochen kaum einen Blick für Jim übrig, denn die Tage mit einem Säugling sind zwar lang, bevor sie in noch längere Nächte übergehen, die Zeit an sich jedoch rennt vorüber, peitscht Stunde um Stunde an mir vorbei, sodass ich plötzlich bereits seit mehr als einem Monat Mama bin.

Mama. Ein Wort, das sich so fremd anfühlt in meinem Mund, dass ich mich in den ersten Tagen dazu zwingen musste, es auszuhusten. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, und ich glaube, für Lovis wird es gut sein, mich so zu nennen.

Jim hebt die Hand zu einem zaghaften Winken, das ich erwidere, woraufhin mir die Erinnerung an unsere abendlichen Begegnungen am Fenster als leichtes Ziepen durch den Leib huscht.

»Das ist so was von ein heißer Flirt«, würde Madita eventuell benennen, was Jim und ich eine Weile lang per Handzeichen und Zettelbotschaften austauschten und das möglicherweise irgendwohin gewachsen wäre, wenn nicht und hätte nicht.

Als ich mich aufraffe und mit Lovis auf der Schulter ans Fenster trete, hin- und herschaukelnd, weil sie die Bewegung möglicherweise beruhigt, kann ich meinen Gesichtsausdruck, der sich in der Scheibe spiegelt, nicht deuten. Erschöpft trifft es wohl am ehesten, vielleicht mischt sich auch ein wenig Traurigkeit hinein, wobei ich nicht sagen könnte, was mich bekümmern sollte.

Ich schiebe meine Tochter auf die andere Seite, weil mir das Ohr klingelt, lehne mich ans Fenster, mir selbst zu schwer.

Gegenüber drückt Jim seinen ersten Zettel seit Wochen an die Scheibe: Wie geht es dir?, fragt er.

Bevor ich das rausfinden oder irgendeinen anderen Gedanken fassen kann, ruft es von nebenan: »Brauchst du Hilfe?«

Das ist Hans, der Vater meines Kindes. Er muss gekommen sein, während ich geschlafen habe; das tut er regelmäßig, um zu helfen. Ich überlege, ob er unsere gemeinsame Zeit nicht beendet hätte, wäre ich ein paar Wochen früher schwanger geworden. Ob ihm ein Kind Veränderung genug gewesen wäre, um unser Eheleben fortzuführen, das ihm nach all den Jahren zu … ja, was? Vorhersehbar vorgekommen ist?

Du wärst gar nicht schwanger geworden ohne die Trennung, raunt es in meinem Kopf. Und das stimmt wahrscheinlich.

Ich höre Hans in der Küche herumwerkeln, vermutlich macht er belegte Brote fürs Mittag- oder Abendessen, je nachdem, welche Tageszeit wir haben; ich weiß es immer noch nicht. Es ist wohl ein Irrtum zu glauben, man sei an Schlafmangel gewöhnt, bloß weil man als Hebamme einige unruhige Nächte pro Monat oder auch mal mehrmals in der Woche hat. Seit ich Mutter bin, habe ich ausschließlich unruhige bis hin zu anstrengenden Nächten, was aufreibt, zehrt.

»Nein, danke, ich brauche nichts«, rufe ich, streiche mit der freien Hand über Lovis’ Köpfchen; sie fühlt sich heiß an vom Schreien.

»Na, dann hast du wohl doch Hunger«, vermute ich. Schon wieder. Gemeinsam wanken wir zum Sofa zurück, ich sinke in die Kissen, fummle mit einer Hand unter meinem Pullover herum. Erst als ich die rechte Brust entblößt habe, fällt mir ein, dass Jim immer noch herüberguckt. Sei’s drum. Hat er jetzt eben gesehen, was ihm letzten Sommer wegen Unterbrechung verwehrt blieb. Falls er überhaupt etwas erkennen kann auf die Entfernung.

Während Lovis andockt und saugt, dass es ziept, denke ich an die heiße Augustnacht zurück, in der mein Nachbar und ich … was auch immer taten. Läge kein Hof zwischen unseren Fenstern sowie ein Abgrund von drei Etagen, könnte ich es wohl Fummeln nennen – die Knöpfe meiner Bluse waren bereits geöffnet, während ich am Fenster stand. Gegenüber geriet Jim sichtlich ins Schwitzen. Aber so? Bevor das brennende Pulsieren, das unsere Begegnung am Fenster auslöste, zu etwas werden konnte, das nur durch Erlösung in den Griff zu bekommen gewesen wäre, klingelte es an der Tür, und meine Kollegin Madita zog ein, frisch aus ihrer WG geflogen, im Gepäck Vicky, das vor ihrem narzisstischen Vater ausgerissene und polizeilich gesuchte Teenagermädchen, das sich dem Küken anvertraut hatte, weil es im zweiten Monat schwanger war.

In den Wochen darauf ergaben sich wenig Chancen auf weiteres Fenstergeschehen, denn obwohl Vicky nach knapp zehn Tagen von Maditas Schnuckelpolizisten entdeckt wurde und nach Hause zurückkehrte – das Küken blieb, und das Wohnzimmer mitsamt seinem Fenster avancierte zu ihrem Reich. Es verging mehr als ein Monat, bevor sie ins Gästezimmer umsiedelte, und dann gab es so viel zu tun, dass ich einfach nicht hinüberschaute.

Die nächste Begegnung mit Jim, die letzte vor Lovis’ Geburt, war jene am Heiligen Abend, den ich allein verbrachte, weil Madita zu ihrer Familie gefahren war. Unvermittelt tauchte Jim auf, nachdem sein Fenster tagelang dunkel geblieben war. Über den Hof hinweg hörten wir Weihnachtsmusik aus einem Lautsprecher, und mithilfe eines Lineals schoss er Vanillekipferl zu mir herüber. Was mich aus nostalgischen Gründen anrührte – und beinahe dazu bewogen hätte, doch noch hinüberzugehen, um herauszufinden, ob oder was zwischen Jim und mir passiert, wenn kein Hof zwischen uns liegt. Bevor ich die Wohnung jedoch verlassen konnte, schickte Hans eine SMS und stoppte meinen Impuls.

Ich höre Lovis’ Schmatzen zu und finde, dass es kein schöneres Geräusch auf der Welt gibt; bin überwältigt von der Tiefe meiner Empfindungen für dieses winzige Menschlein und werde nie wieder etwas anderes brauchen als das.

Gleichzeitig summt Hans durch meine Seele, mit dem ich weiterhin verheiratet bin, obwohl er nicht mehr mein Mann ist; der mir letztes Jahr eine Wohnung gekauft hat, weil er nach vierundzwanzig Jahren Seite an Seite Angst vor der gemeinsamen Zukunft bekam; dass sie vorhersehbar sein könnte. Hans, den ich wochenlang nicht anrief, wenngleich ich überraschend, endlich und so viel zu spät schwanger von ihm geworden war.

Und Jim, mein Fensternachbar, der gegenüber wohnt und dessen Vornamen ich mir ausgedacht habe; den ich tage- und wochenlang vergessen kann, bevor er plötzlich wieder aufglüht in mir, bloß weil er herüberwinkt. Der mich auf seinen Zettelbotschaften Nachtvogel nennt, was ich mag, auch wenn es mir albern vorkommt.

So ist sie also, die Situation: Ich bin zweiundvierzig, vor Kurzem zum ersten Mal Mutter geworden und lebe eher zufällig mit dem Küken, meiner Kollegin, zusammen. Mein Ehemann geht seinen eigenen Weg, was ihn nicht davon abhält, nebenan saure Gurken als Verzierung für belegte Brote in kleine Scheiben oder geschlitzte Schnitze zu schneiden, weil er seiner Verantwortung als Vater nachkommen möchte, zu der es genauso gehört, die Mutter seines Kindes bei Kräften zu halten. Währenddessen lässt mein Verehrer von gegenüber die Schultern hängen und bleibt trotzdem hartnäckig. Warum eigentlich?

Im Flur öffnet sich eine Tür. »Heißa-hopsa, ihr Lieben!« Es rumst; das muss Maditas Hebammentasche sein, die das Küken täglich unter die Garderobe pfeffert in dem rosaroten Glauben, ein Fetaldoppler halte so einen Sturz schon aus, wenn die Wucht nur fröhlich genug in die Wege geleitet wird. So ist sie. Madita Sternberg, Wirbelwind mit schokolierter Sahnehaube und von Geburt an Lovis’ Patentante, weil Buntglitzer etwas ist, das ich nicht kann, jedoch glaube, dass es gut ist, wenn mein Kind zumindest ein paar Prisen davon abbekommt. Ach, verflixt, ich mag das Küken einfach.

»Ich war noch bei Nelly.« Madita rauscht herein, fliegt durch den Raum und landet kniend neben mir vor dem Sofa, um der trinkenden Lovis mit der Nasenspitze in die Wange zu stupsen. »Na, du süßestes Wonnebaby ever!«

Lovis gluckst, als würde sie lachen, und Milch tropft aus ihrem geöffneten Mundwinkel. »Ich soll dich von Vicky grüßen, also indirekt. Hat Monika mir ausgerichtet, nachdem sie heute bei den Glossbergs war.«

»Ah, wie geht es ihr?«

Madita sieht auf, macht ein besorgtes Gesicht. »Geht so; die Schambeinfuge macht ihr trotz aller Maßnahmen immer noch zu schaffen, und sie zählt die Tage bis zum Kaiserschnitt.«

»Davon ist sie nicht abzubringen?« Den eigenen Körper aufzuschneiden sollte immer die letzte Wahl sein, meine ich, zumal auch bei gelockerter Symphysis pubica, wie sie Vicky quält, eine spontane Geburt möglich ist.

Madita schüttelt den Kopf. »Die Geburt zu planen passt ihr ganz gut. Drei Tage vorher hat sie eine Klausur in Mathe. Das ist ihr wichtig.«

Meine Augenbrauen heben sich, doch ich sage nichts, weil es ja nicht Madita ist, die ich überzeugen muss. Vielleicht kann ich Vicky in den nächsten Tagen einen Besuch abstatten, nicht als Hebamme, das erlaubt Monika ja nicht, sondern als ehemalige Komplizin, und unsere Teenagerin beraten. Über die Wichtigkeit von Mathe versus Gesundheit des eigenen Körpers aufklären. Auch wenn ich mir kaum Chancen ausrechne, Vicky von einem einmal gefassten Entschluss abbringen zu können. Das Mädchen hat eine bewundernswerte Resistenz, was äußere Einflüsse betrifft. Wägt ab, bewertet und legt sich fest; die Verletzlichkeit, mit der sie zu uns kam, verblasst immer mehr und macht der Entschlossenheit einer werdenden Mutter Platz.

»Es hat auch sein Gutes«, meint Madita, während sie mit dem Zeigefinger über Lovis’ blond beflaumtes Köpfchen streicht. »Immerhin kann sie so einige Tage in der Klinik bleiben und muss nicht gleich zurück in die Überwachungsanstalt.«

Das Küken meint Vickys Elternhaus, das Herr und Frau Glossberg zwar weder mit Gittern noch mit Kameras ausgestattet haben, das durch die herrschende Attitüde des Herrn Klinikdirektors dennoch kein Ort ist, an dem sich aufatmen lässt.

»Ich weiß nicht, was besser ist«, werfe ich ein. »Den Kaiserschnitt lässt Glossberg doch bestimmt in seinem eigenen Spital vornehmen und vermutlich von ausgesuchtem Personal. Ich fürchte, dass Vicky da besser überwacht ist als zu Hause.«

Madita kaut auf ihrer Unterlippe herum. Es war ein schweres Stück Arbeit, Dr. Corvin Glossberg, Ärztlicher Direktor der Lindenklinik, davon abzubringen, sein ungewolltes Enkelkind pränatal loszuwerden, und aus der Welt ist die Problematik an sich damit natürlich auch nicht.

»Stehst du nicht im Kontakt mit diesem Schutzhaus für Frauen? Dem Shelter?«

Die Brustwarze rutscht Lovis aus dem Mund, und ich drehe mein Kind, damit es die andere Seite leer trinken kann. »Ja, und die haben Vicky auf ihre Liste gesetzt für einen Platz in möglichst einem Einzelzimmer. Aber das sollte lediglich die allerletzte Möglichkeit sein. Uns mit einem so großen Tier wie Glossberg anzulegen, können wir uns einfach nicht leisten.«

Madita legt ihren Kopf auf der Sitzfläche des Sofas ab, auch sie ist müde, haucht Lovis einen Kuss aufs Köpfchen. Wir schweigen eine Weile, beobachten das trinkende Kind.

»Ich hasse das«, murmelt das Küken irgendwann. »Dass man einfach nicht das Richtige tun kann.« Letzten Sommer wurde sie verhaftet, weil sie aus Angst vor einer erzwungenen Abtreibung im Vorgarten der Glossbergs den Aufstand probte.

Lovis beendet ihre Mahlzeit, und ich hebe sie auf meine Schulter; in ihrem Bäuchlein gluckert es schwer. Sie schmatzt.

»Ach, ich habe übrigens was für dich.« Madita richtet sich auf, Unwillen über die Bewegung im Gesicht. Sie nimmt zu viele Kundinnen an, gibt zu viele Kurse, kommt viel zu vielen Bitten nach. Das Küken ist eine Pfütze aus flüssiger Schokolade, die sich ausbreitet, wenn niemand sie in Förmchen gießt, und die Frauen, die sie fürs Storchennest betreut, bedienen sich schamlos. Du bist so lieb, Madita – kannst du nicht schnell noch mal vorbeikommen? Warum bietet ihr eigentlich keine Kurse zur Rückbildung, für Mehrgebärende, zum Thema Hypnobirthing an? Seit das Küken Teil des Storchennests ist, haben wir drei neue Lehrkonzepte im Programm, und ich warte darauf, dass sie auch noch Übungsabende für werdende Tanten anbietet oder Kochstunden, um den perfekten Babybrei zu kreieren. Vielleicht sollte ich ihr eine Teilnahme bei Ich-muss-nicht-jede-retten buchen.

»Das lag auf der Fußmatte.« Sie zieht einen Umschlag aus der Tasche ihrer hüftlangen Strickjacke, rechteckig, dunkelblau mit winzigen silbernen Sternchen wie ein Stück des Nachthimmels.

»Woher weißt du, dass der für mich ist?«, frage ich, weil ich keine Beschriftung entdecke.

Madita zuckt mit den Achseln. »Es ist deine Wohnung.«

»In der wir beide leben.«

»Na, aber es sieht aus wie eine Gratulationskarte, und du hast gerade ein Kind bekommen.«

»Das ist sechs Wochen her.«

»Vielleicht hast du Geburtstag?«

Ich habe ihr das Datum nie verraten, weil ich Anlässe nicht leiden kann. Genauso wenig habe ich Madita nach ihrem Jubiläum gefragt. Vermutlich sollte ich es tun, bestimmt liebt sie Überraschungspartys. Geburtstagskuchen zum Frühstück auf jeden Fall.

»Schnitten sind fertig!« Hans’ Kopf taucht in der Tür auf. »Hallo, Madita!«

»Hi, Hans.« Sie strahlt ihn an; von Anfang an haben sich die beiden gut verstanden; das Küken bringt meinen formellen Ehemann zum Lachen, wie ich es lange nicht gehört habe bei ihm, und seine Stimme lässt etwas in mir vibrieren, wenn sie in lustigen Wellen durch den Raum schwappt. Genauso wie der Blick, mit dem er unsere Tochter betrachtet.

»Ich hab mich noch gar nicht bei dir entschuldigt«, murmelte er neulich in Lovis’ kleines Ohr, während er neben unserem Baby auf der Spieldecke lag und sich mit ihr beschäftigte, damit ich Zeit zum Duschen hatte. »Dafür, dass ich deiner Mutter gegenüber behauptet habe, ich wolle dich nicht.«

Ich war in den Türrahmen getreten, frisch gewaschen, die Haare noch feucht, und hatte den beiden zugesehen, wie sie dalagen als Papa und Kind. Jener Moment im Treppenhaus tauchte vor meinen Augen auf, nachdem Hans – nicht von mir – erfahren hatte, dass ich schwanger war. Die Fremdheit seiner Wut, seine Worte Ich will kein Kind, Helga, hörst du! Ich will es nicht!, die wochenlang in mir klirrten.

»Das war gelogen«, flüsterte Hans. »Ich will dich unbedingt und bin so froh, dass du da bist.«

Seit Lovis’ Geburt kommt er nun also regelmäßig, um sich um sie zu kümmern und Madita und mich im Haushalt zu unterstützen, und ich mag es, wenn er da ist. Auch wenn er sich jedes Mal irgendwann verabschiedet und »Bis dann!« sagt.

»Boa, ich hab Kohldampf.« Madita erhebt sich, und ich folge ihr in die Küche, wo der Esstisch steht. Hans hat frische Blumen mitgebracht und Servietten mit hübschen Ringen eingeführt, weil er das praktisch findet. Wir hatten früher auch welche, fällt mir ein; bei meinem Auszug sind sie wohl bei ihm geblieben.

Obwohl er nicht gern kocht, bemüht Hans sich, dass das Essen hübsch aussieht. Eingeritzte und aufgefächerte Gurkenscheiben zieren die Brote, Radieschenraspeln, Möhrenschnitze.

»Es ist so toll, dich zu haben, Hans, ehrlich!« Im Vorbeigehen drückt Madita ihn an sich, bevor sie sich auf ihren Stuhl plumpsen lässt. »Uff, langer Tag. Drei Vor-, zwei Nachsorgen, ein Kurs und ein Kennenlerngespräch – ich hab das Gefühl, die ganze Stadt ist schwanger.« Sie greift nach einem Käsebrot mit drei Olivenringen.

Als ich mich Madita gegenüber an den Tisch setze, beginnt Lovis zu schreien. Laut und durchdringend, mein Körper seufzt, denn auch ich habe Hunger. Ein weit verbreiteter Irrglaube meint, dass Schwangere für zwei essen müssen. Tatsächlich erhöht sich der Energiebedarf in der Zeit des Austragens lediglich um durchschnittlich dreihundert bis fünfhundert Kalorien pro Tag. Solange man voll stillt, fließen dagegen täglich sechs- bis siebenhundert Kalorien von Mutter zu Kind. Zelebrierte ich bisher gern das, was Hans, als wir noch zusammenlebten, als Künstlerfrühstück bezeichnete – frisch gemahlener schwarzer Kaffee, eventuell mit ausgewähltem Gewürz, dazu fünfzehn Minuten gepflegtes Schweigen, was mir Energie lieferte bis zum Mittag –, so hängt mir heute bereits vor dem Aufstehen der Magen zwischen den Knien, sodass ich noch im Bett ein Schälchen Nüsse oder eine Banane verputze. Manchmal beides.

»Was hat sie denn?«, fragt Hans und deutet auf Lovis, die an Lautstärke zulegt und ein Tremolo in ihrer Stimme vibrieren lässt, das jede Sängerin vor Neid erblassen ließe.

»Ich nehme an, es ist die Verdauung«, erwidere ich im selben Moment, in dem meine Tochter Milch spuckt in einem Schwall, den ich warm durch den Pullover sickern und meinen Rücken hinunterlaufen spüre. Gleichzeitig ertönt ein Knall aus der Windel gepaart mit einem Gluckern, das uns drei Erwachsene Blicke tauschen lässt.

»Ups, Katastrophenwindel?« Hans streckt mir die Arme entgegen. »Soll ich das machen?«

»Oder ich«, quetscht Madita an einem Bissen vorbei.

»Nein, nein, ich erledige das schon.« Ich ächze mich vom Stuhl hoch. »Du hast den ganzen Tag gearbeitet, Madita, und Hans geht einkaufen, putzt das Bad und macht Essen.« Ich schlurfe in Richtung Schlafzimmer. Murmle: »Ich saß nur herum.«

Tatsächlich habe ich seit dem Aufstehen sechsmal gestillt, achtmal die Windeln gewechselt – einmal davon inklusive kompletter Neueinkleidung –, fünfmal festgestellt, dass ich Liedchen singe, und es wieder bleiben lassen, um das Kind vor zu viel Input zu bewahren. Zweimal waren wir spazieren, denselben Weg, weil ich meinen müden Füßen folgte, ohne auf die Route zu achten. Stundenlang habe ich Lovis betrachtet. Und irgendwann Monikas Nummer gewählt, um zu fragen, wann ich wieder einsteigen kann, da das Storchennest dringend Personal braucht.

»Ach, ich kann dir helfen.« Madita springt auf.

»Lass mal«, rufe ich über die Schulter. Es klingelt an der Tür. »Erwarten wir Besuch?«

»Wir erwarten das Unmögliche, weißt du doch!«, flötet das Küken, während es nun, statt mir zu folgen, im Flur verschwindet, um die Tür zu öffnen.

Lovis brüllt weiterhin, und ich spüre Feuchtigkeit an der Hand, mit der ich ihren Po stütze. Definitiv eine Katastrophenwindel, die zweite heute. Einhändig krame ich ein Handtuch aus einer der Schubladen der Wickelkommode, halte mit der anderen Hand meine Tochter und brabble gleichzeitig vor mich hin. »Ist ja gut. Das haben wir gleich, hm? Da hatte dein Bäuchlein aber zu tun, kleines Sternchen.« Manchmal werde ich das Gefühl nicht los, dass solcher Wortbrei eher die Eltern beruhigt als das Kind, denn er ist so blödsinnig, dass der eigene Intellekt in eine Art Trance verfällt. Geistige Ohnmacht, ein Kniff der Natur, damit auch die verkopfteste Mutter ihre Ansprüche, Zweifel und Bedenken vergisst und sich auf das Elementarste besinnt. Dabei hatte ich mir vorgenommen, meiner Tochter keinen Nonsens vorzubrummeln.

»Oh, wir essen schon – Hans hat Schnitten gemacht«, höre ich Madita im Flur sagen, als Lovis ein paar Momente lang nach Luft ringt.

»Schon wieder?«

Das ist das Bübchen, Silas, Maditas Streifenpolizist, von dem ich bis heute nicht sicher bin, ob er und Madita etwas Festes miteinander haben oder nur unverbindlich herumflirten. Ich werde den Eindruck nicht los, dass die beiden das selbst nicht wissen. Mal säuselt das Küken Sätze in ihr Telefon, denen ich nicht mal eine Altersfreigabe für Erwachsene erteilen würde. An anderen Tagen murren und knurren die beiden sich an und reden aneinander vorbei, als sprächen sie in verschiedenen Zungen. Tatsächlich sind mir noch nie zwei Menschen begegnet, deren Kommunikation derart verquer lief, obwohl offensichtlich ist, dass sie sich gegenseitig wollen.

Der Nachtwind steht dir, schießt mir beim Stichwort ungeklärte Verhältnisse eine von Jims Zettelbotschaften durch den Kopf, was mich erschaudern lässt. Aber nur kurz, weil Lovis zu Atem gekommen ist und ihr Geschrei wieder aufnimmt.

»Verquer, das trifft es«, sage ich zu meiner Tochter, lege sie auf dem Handtuch ab und knöpfe den Body auf. Gelbe Bescherung quillt mir entgegen.

»So ist das nun mal mit Neugeborenen. Und im Gegensatz zu deinem Dienstplan sind die wenigstens süß«, motzt Madita draußen.

»Es ist doch aber nicht dein Kind.«

»Dein Ernst? Aus welchem Jahrhundert stammt denn bitte dein Rollenverständnis?«

Ein neuer Anlauf im Lautstärketest meiner Tochter übertönt Silas’ Reaktion auf Maditas Frage. Ist vermutlich besser so. Ich versuche, Lovis den schmutzigen Body über den Kopf zu ziehen, ohne sie komplett einzusauen, nehme mir vor, in Zukunft ausschließlich Wickelbodys zu verwenden, die man auch am Brustteil knöpft, als sie genau im falschen Augenblick das Köpfchen dreht und die Bescherung voll abbekommt. Großartig.

»Hans?« Ich brülle über Lovis’ Geschrei und das Gespräch im Flur hinweg, kann meinem Kind die Ohren nicht zuhalten, weil ich mit beiden Händen die Füßchen fixiere, damit die nicht auch noch gelb werden.

»Was ist los?« Das ruft Madita.

»Kannst du Hans bitten, mit der Wanne zu kommen? Hier ist jemand reif für ein Vollbad.«

»Ach herrje – Hans? Helga braucht die Waschschüssel. Und du, guck nicht so, ich habe eben kein Luxuseigenalleinheim.«

»Bin gleich da! Sorry, darf ich mal durch?« Gleich darauf rauscht im Bad das Wasser.

»Du drehst es so hin, dass ich der Böse bin?«

»Da muss ich überhaupt nichts drehen und …«

»Ach, ich bin also böse?«

»Das habe ich nicht gesagt …«

»Entschuldigt bitte, bin gleich weg.« Schritte nähern sich. Das ist Hans. Sein Gang ist unverkennbar, grundsätzlich zielgerichtet. Sekunden später tritt er neben mich, stellt unseren zur Babywanne umfunktionierten Waschkorb, in dem lauwarmes Wasser hin- und herschwappt, auf dem Wickeltisch ab.

»Danke. Würdest du dich um die Wäsche …?«

»Sicher.« Hans langt an mir vorbei, greift nach dem durchsifften Kleiderstapel und verschwindet im Flur. »Sorry, ich muss noch mal durch …«

»Boa … können wir uns vielleicht kurz in dein Zimmer setzen?«

Im Wohnzimmer dudelt Wer hat an der Uhr gedreht von Beatbone los. Maditas Telefon. Ich hebe Lovis ins Wasser, sie brüllt weiterhin und strampelt meinen Pullover nass.

»Hm, sonst magst du das doch«, höre ich mich sagen, »heute nicht?« Blöde Frage.

»Musst du da jetzt rangehen? Kannst du es nicht einmal klingeln lassen?«

»Lasst ihr die Notrufe bimmeln, wenn ihr gerade was Privates zu regeln habt?« Es erstaunt mich immer wieder, wie bissig das Küken klingen kann, wenn sie mit dem Mann spricht, in den sie Herz über Kopf, Leib und Seele verliebt ist.

»Das ist ja wohl was anderes …«

»Ach ja? Banküberfälle sind dir also wichtiger als das Leben geborener und ungeborener Kinder? – Ja? … Was? Lotta?«

»Lotta? Tja, wenn das mal kein Notfall ist …« Klang Silas bis eben gereizt, so beherrscht nun kalte Wut seine Stimme. Weder er noch ich sind Maditas Containerschiffkapitäninschwester bislang begegnet, und doch ist Lotta eine feste Größe in unser aller Leben. Sei es, dass sie uns durch Madita mit Lebensweisheiten und Ratschlägen aus aller Welt beglückt, sei es, dass das Küken alles stehen und liegen lässt, sobald sich Lotta telefonisch meldet. Sie ist Madita wichtig, so viel steht fest, trotzdem beschleicht mich hin und wieder das Gefühl, dass das Küken seine Schwester weniger mag, als sie selbst ahnt.

»Nun bist du wieder sauber, Lovis-Mäuschen« – Himmel, seit wann benutze ich denn Kosenamen? –, »jetzt können wir dir was Frisches anziehen.« Wir, natürlich. Mama und ich. Am liebsten möchte ich mir mit der Hand vor den Kopf schlagen. Ich wickle Lovis in ein sauberes Handtuch, trockne sie ab, was sie genauso wenig mag wie alles andere in den letzten zwanzig Minuten: Sie brüllt immer noch.

Vor der Tür wird Madita ähnlich schrill. »Papa, mach mal langsam. Was genau ist mit Lotta?«

Also doch nicht die Kapitänin, auch wenn es allem Anschein nach um sie geht.

Das Festnetz klingelt, na klar, wann sonst. Ich schiebe eine Windel unter Lovis’ Po, will sie schließen und mit dem halbnackten, brüllenden Kind hinüber ins Wohnzimmer laufen, um ranzugehen, als es flatscht und an den Rändern der Windel gelb rausglitscht. Simsalabimbambaseladuseladim …

»Hören Sie mal, für den Lärmpegel im Haus wäre es besser, wenn Sie die Wohnungstür schließen würden.« Kemnich. Mein Treppenabsatznachbar, den Madita Darth Vader nennt, weil er gern schwer atmend hinter seiner Tür darauf lauert, herauszuschießen und ein Lamento zu starten. Hans meint, Kemnich sei vermutlich einsam, ich finde, dann soll er einfach klingeln und fragen, ob er auf ’ne Tasse Kaffee rüberkommen darf. Madita würde ihm sofort auch noch eine Sahnetorte backen, mit Marmeladefüllung, Zuckerguss und Schokohaube.

Kemnich wird genauso nach Gesellschaft fragen, wie du zu Jim hinübergehst, murmelt es in meinem Kopf, was ich gar nicht hören kann, weil Lovis sich über das zweite Bad beschwert, Silas im Flur mit Kemnich diskutiert und im Wohnzimmer weiterhin das Telefon klingelt.

»Kannst du mal rangehen, Hans?«, brüllt Madita. »O Mann, kacke.«

Augenblicke später erscheint Hans mit dem Telefon zwischen Schulter und Wange und bedeutet mir, dass es für mich ist. Ich schüttle den Kopf und hebe die Achseln, weil meine Hände ein glitschiges Baby über Wasser halten, das durchdringend schreit. Hans verschwindet. Und Lovis pupst einen dritten gelben Schwall in ihr Becken. Schlagartig verstummt sie. Offensichtlich ist die Verdauung endlich abgeschlossen.

»Gehen Sie doch einfach zurück in Ihre Wohnung und lassen uns unser Irrenhaus«, motzt Silas.

»Oh, hallo, Herr Kemnich.« Madita. Warum klingt sie so zittrig?

»Fertig telefoniert? Können wir jetzt endlich vernünftig miteinander reden?«

»Nein. Helga?«

Ich hebe meine zufriedene Tochter aus dem schmutzigen Wasser, wickle sie in das nächste frische Handtuch, lege sie an meine Schulter und drehe mich um. Hans und Madita stehen nebeneinander in der Tür, er mit gerunzelter Stirn, sie blass.

»Ich geh dann mal«, ruft es aus dem Flur, worauf niemand reagiert.

»Das war deine Mutter.« Hans deutet auf das Telefon in seiner Hand. »Sie kommt übernächste Woche vorbei.«

Zwei Becken knallen in meinem Inneren gegeneinander. Lovis’ Dauergebrüll von eben ist nichts gegen das Geräusch, das sie dabei erzeugen. Gar nichts. »Scheiße«, sage ich. »Was will die denn!?«

Hans zuckt mit den Schultern. »Ich vermute mal, ihr Enkelkind kennenlernen.«

Ich schüttle den Kopf, um das Taubheitsgefühl, das vom Scheppern in meinem Körper herrührt, loszuwerden. »Tja … sie weiß gar nicht, dass sie eins hat.«

»Was?« Hans starrt mich an.

Im selben Moment bricht Madita in Tränen aus. »Lottas Frachter ist von Piraten überfallen worden – oh Gott, die Reederei hat einen Notruf erhalten und Leute geschickt, aber was, wenn die bis dahin alle erschossen haben?«

Die Stille, die sich plötzlich über uns senkt, drückt gegen mein Trommelfell. Im Flur fällt die Wohnungstür ins Schloss.

Mondlicht

Madita

Ein sichelförmiger Mond gießt sein fahles Licht auf die Häuser der Rosenstraße und lässt den Frost glitzern. Ich wiege die winzige Lovis in meinem Arm vor dem Fenster, betrachte die unwirklichen Formen der Schatten in den Gärten und denke an Lotta. Schicke tausend Wünsche ans Universum, dass es ihr gut geht und endlich die erlösende Entwarnung kommt. Mögen irgendwelche Spezialeinheitshelden diese beschissenen Piraten vertrieben haben und die Mannschaft des Containerfrachters vorm Kap der Guten Hoffnung außer Gefahr sein. Das kann doch verdammt noch eins nicht so schwer sein?! Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, es ist an der Zeit, dass Piraterie und Kriege endlich genauso nachhaltig aussterben wie die Dinosaurier. Man sollte doch meinen, die Menschheit habe Dringenderes zu erledigen, als sich gegenseitig Gewalt anzutun. Die Rettung des Klimas und der Weltmeere zum Beispiel.

Und doch bestätigt das Internationale Schifffahrtsbüro, dass es allein im letzten Jahr 195 Piratenangriffe gab. Außerdem sagt das Internet, dass die unsichersten Handelswege zurzeit vor Somalia, Nigeria und Indonesien liegen – also eigentlich nicht mal da, wo Lotta entlanggeschippert ist, verdammte Axt. Genauso kacke ist, dass es sich bei diesen Piraten natürlich nicht um die bekannten Abenteuergestalten handelt, die nach irgendeinem coolen Kodex handeln, sondern um einfache Fischer und Seeleute, die an den Küsten leben und von purer Verzweiflung getrieben werden. Nicht selten nehmen die Geiseln, und viele Überfälle enden tödlich für die Crewmitglieder.

Mir ist immer noch schlecht, als ich daran denke, und ich hasse Google dafür, dass es vorhin so bereitwillig alle Grausamkeiten vor mir ausgebreitet hat.

Ich atme zitternd ein, schaue auf meine geliebte Hello-Kitty-Armbanduhr, die einst Lotta gehörte. Sie zeigt dreizehn Minuten nach Mitternacht, und mir geht durch den Kopf, dass meine Schwester diese erste Stunde des neuen Tages seit jeher als magisch empfindet. Laut ihrer Aussage tauchen dann nämlich die Sirenen aus den Wellen des Meeres auf, um Lieder zu singen. Ach Lotta, komm nach Hause, und wir singen zusammen, meinetwegen sogar einen Song von Blümchen oder Mark Forster. Und wir trinken dabei Caprisonnen. So wie früher, als du mir den Strohhalm in die Tüte gesteckt hast, weil ich zu blöd dafür war.

Lovis’ verweinte Äuglein fallen langsam zu, eine meiner Tränen löst sich aus meinem Wimpernkranz, fällt und mischt sich mit ihren. Helga ist nach dem letzten Stillen so erschöpft eingeschlafen, dass sie das Quengeln im Bettchen neben ihrem tatsächlich überhört hat. Eine Premiere. Und da ich sowieso nicht schlafen konnte und im Wohnzimmer auf und ab tigerte, hab ich mir das ebenso schlaflose Baby geschnappt. Zu zweit tigert und weint es sich gleich viel besser. Das sagte Lotta schon, als ich das erste Mal an gebrochenem Herzen litt und sie zur gleichen Zeit durch die Führerscheinprüfung rasselte.

Sehnsüchtig wandert mein Blick erneut hinüber zu den Schatten der Sitzgruppe, auf der ich mein Handy abgelegt habe. Wenn es doch nur endlich klingeln würde und gute Nachrichten brächte.

»Madita, hier bist du«, flüstert es plötzlich aus Richtung meines Zimmers. Silas steht verschlafen im Türrahmen und sieht mich an. Verstohlen wische ich die letzte Träne aus dem Augenwinkel, schaukle Lovis ein wenig hektischer, was sie aberwitzigerweise entspannter werden lässt. Ihre kleine Hand öffnet sich und wippt im Takt.

»Restless-Legs-Syndrom, ich kann einfach nicht stillliegen«, sage ich. Wobei, mit wem, wenn nicht mit ihm, hätte ich auch nur die kleinste Chance auf Schlaf in solch einer Situation? Silas strahlt oft so viel Ruhe aus, dass es mir meist leichtfällt, mich zu entspannen – eigentlich ein Wunder, wenn man bedenkt, wie turbulent der Herr Kommissaranwärter und meine Wenigkeit gestartet sind. Wir brauchten eine halbe Ewigkeit, um ein Paar zu werden, was vielleicht daran lag, dass ich ihn bei unserer ersten Begegnung mit meiner Autotür beinahe vom Fahrrad holte und bei der zweiten verhaftet wurde, weil ich Vicky, unserer minderjährigen Schwangeren, gegen ihre übergriffigen Eltern beistehen wollte. Das sorgte für allerlei Missverständnisse und Vorurteile, die Silas und ich inzwischen zum Glück hinter uns gebracht haben.

Und jetzt kann er mir nicht lange böse sein, mein Traumprinz, mal abgesehen davon, dass er streng genommen gar keinen Grund hatte, sich gestern Abend so angepisst vom Acker zu machen. Schließlich ist er es, dem mit erschreckender Regelmäßigkeit jedes Verständnis für meine Hebammen-Wochenbett-getrennte-Eltern-Frauen-WG fehlt, was eher mich wütend machen sollte als ihn. Doch auch in mir verpufft jeder Groll, wenn ich bloß an seine graublauen Augen denke oder einer seiner zerknirschten Entschuldigungen lausche, wenn er einsieht, dass ich nun mal recht habe. Oder wie er mich vorhin von meinem letzten Termin des Tages abholte, mit Streifenwagen, Nervennahrung und einer so großen Umarmung ohne Worte, dafür mit umso mehr Gefühl, dass ich dahinschmolz und ein paar Atemzüge lang die Angst um meine Schwester vergaß.

»Alles wird gut«, hatte er irgendwann in meinen Haaransatz geflüstert, während seine Fingerspitzen über meinen Rücken strichen. »Ich bin sicher, ihr Sternbergs habt die besten Schutzengel, die es gibt.«

»Woher weißt du eigentlich, was passiert ist?«, fragte ich ihn später, während wir beim Thailänder auf unser Abendessen to go warteten, weil ich zu aufgerieben war, um zu kochen, Silas nach seiner Schicht zu müde und Helga insgesamt zu feindlich gegenüber Küchen an sich eingestellt ist.

»Helga hat mir’s erzählt, ähm … du bist nicht ans Handy gegangen, also hab ich auf dem Festnetz angerufen.« Er schob seine Augenbrauen auf diese unvergleichbare Weise zusammen, die mir jedes Mal einen Schauer durch den Körper jagt. »Ich wollte mit dir reden, über die … die Situation gestern, das ganze Kuddelmuddel, nur du und ich. Ich hatte einen Tisch reserviert. Im Bluebird.«

Dass er jenes Restaurant für eine Aussprache wählte, in dem unser erstes Date mit Pauken und Trompeten gegen die Wand polterte, zauberte ein kleines Lächeln auf mein Gesicht, und er küsste mich warm und innig, bevor ihm der geschäftige Thai-Kellner unsere Tüte mit drei großen Styroporpaketen in die Hand drückte.

Nach dem Essen blieb er einfach bei mir und hielt mich fest, wann immer mich die Sorge um Lotta zu überrollen drohte, und schließlich war ich an ihn gekuschelt eingeschlafen. Wenigstens für eine Weile.

Nun schlendert er langsam zu mir, schlingt seine Arme um meinen Körper und seufzt.

»Ach, Süße. Ich versteh dich ja.« Sein Geruch hüllt mich ein, tröstet ein wenig, und ich lehne meinen Hinterkopf an sein Schlüsselbein. »Ich könnte auch nicht schlafen an deiner Stelle.« Seine Stimme ist sanft, und als er meine vom seelischen Stress papierdünne Haut streichelt, möchte ich mich den Berührungen gleichermaßen hingeben wie sie abschütteln.

Ich kann Papa in meinem Kopf hören, wie er sagte, er habe es geahnt, jedoch gehofft, Lotta würde endlich zur Vernunft kommen und Gefahren aus dem Weg gehen. Allerdings war sie schon als Kind diejenige von uns beiden, die lieber skatete, als mit Puppen zu spielen. Sie gab den Ton an, den ich mit kläglichem Erfolg zu imitieren versuchte. Ich sah zu ihr auf – nicht nur, weil sie schon immer einen halben Kopf größer war als ich – und bewunderte sie für ihre Durchsetzungskraft. Tja, bis heute schicken wir uns jede Woche Snaps, telefonieren, und ich schätze ihren Rat in jeglicher Lebenslage.

Trotzdem: Lotta mag wild sein, unbesiegbar ist sie nicht. Andererseits sind Gefahren ja doch irgendwie das halbe Leben, oder nicht? Es kann überall etwas passieren, beim Überqueren der Straße, Fahrradfahren oder Joggen. Ich hab neulich sogar von einem Mann gelesen, der hat sich an Erbsen verschluckt und ist gestorben. Beim Abendessen.

»Ich fühle mich schuldig, dass ich nicht mehr auf Lotta eingewirkt und ihr diese Tour ausgeredet habe. Besonders weil Papa bald seine Herzoperation hat und Stress sich echt negativ auswirken könnte.« Meine Worte prallen gegen die kalte Fensterscheibe, und Silas’ Griff auf meinen Armen verstärkt sich. »Ich verstehe meine Schwester manchmal nicht, in einem Moment schwärmt sie von ihrem neuen Freund und erzählt etwas vom Spießigwerden, und dann nimmt sie solche Aufträge an.«

Ja, Lotta hat seit einigen Wochen was Festes laufen, was sie ganz schön lange verheimlich hat. Weihnachten predigte sie noch Wasser, trank aber schon Wein. Ich hatte säuerlich reagiert, als sie mir Mitte Januar am Telefon von ihrem Mehr-als-Lover erzählt hat, weil ich mich ernsthaft verarscht fühlte. Inzwischen dämmert mir, warum sie mir ihren Mr Right verschwiegen hat. Vermutlich hat sie Angst, dass so etwas wie Beziehung für sie nicht funktioniert und sie blöd dasteht, falls es schiefgeht, weil sie ihre Prinzipien gebrochen hat. Sosehr sie immer für mich da ist, wundere ich mich, dass das umgekehrt für sie schwer zu sein scheint. Anscheinend nimmt sie mich nicht für voll und traut mir nicht zu, eine Hilfe zu sein. Oder denkt sie, ich halte das nicht aus? Kennt sie mich überhaupt?

Ich schlucke schwer.

»Wenn dein Vater und deine Schwester nur halb so stark sind wie du, dann schaffen sie das«, ist ein schwacher Versuch mich zu trösten, aber mein Mundwinkel hebt sich ganz leicht. Ich bin froh, dass Silas seinen Dienst tauschen konnte, um bei mir zu sein. Und dass er diese Umstände überhaupt auf sich genommen hat für mich. Er ist sogar außerordentlich gut darin geworden, so zu tun, als könne er meinen sprunghaften Gedanken folgen. Wir finden nicht immer alles gleichermaßen lustig, aber das ist okay. Humor ist eine Sache, vielmehr kommt es doch aber auf andere Werte an. Und darauf, dass er jetzt, wo ich ihn brauche, da ist. Ohne wenn, aber und mal sehen.

»Alles wird am Ende gut«, wiederhole ich Silas’ Worte wie ein Mantra. Wenn ich es oft genug sage, wird es wahr werden müssen.

Er küsst meinen Nacken, blickt auf die kleine Lovis, die im Halbschlaf ihren Mund bewegt. Sie hat unfassbar lange Wimpern, keine Ahnung, wo die herkommen. Weder Hans noch Helga können eine solche Pracht vorweisen.

»Du siehst süß aus mit Baby auf dem Arm«, findet mein Freund, nachdem wir eine ganze Weile schweigend im Halbdunkel des Zimmers gestanden haben.

»Na hör mal, ich sehe auch ohne Baby auf dem Arm süß aus.« Gespielt empört blinzle ich zu ihm auf, versuche ein paar Sekunden, die Angst um Lotta zu vergessen, und genieße die Wärme seiner Anwesenheit. Draußen beginnt es wieder zu schneien, Flocken schweben ans Fensterglas, bleiben daran kleben.

»Natürlich«, beeilt Silas sich, und ich höre das breite Lächeln in seiner Stimme. »Aber dieses Baby ist besonders süß.«

»Ja, das ist wohl wahr.«

Er dreht mich zu sich herum. Ich forsche in seinem Gesicht mit den dunklen Augenringen. Er sieht genauso müde aus, wie ich mich fühle. Unweigerlich stelle ich mir uns beide als übernächtigte frischgebackene Eltern vor. Wie wir uns abwechseln mit Windeln anlegen und Bäuchlein massieren und vor Glück nur so dahinschmelzen. Es ist seltsam, was das mit mir macht, diese winzige Vorstellung, und ich kann mir nicht verkneifen zu sagen: »Was wir beide wohl für hübsche Babys machen würden?« Vermutlich ist das kein günstiger Zeitpunkt, so eine Überlegung laut auszusprechen, aber mir ist alles recht, was mich von Gedanken an hohe See und gewalttätige Kriminelle ablenkt.

Silas wirkt mit einem Schlag wacher. »Dafür müssten wir erst mal üben.«

Er erinnert mich daran, dass ich seit Tagen unser erstes gemeinsames Mal plane, weil ich finde, dass dieser Moment einfach besonders sein muss. Es gibt kein zweites erstes Mal in einer Beziehung, und obwohl ich keine Jungfrau mehr bin, will ich diesen Meilenstein unseres Zusammenseins zelebrieren. Leider kommt immer wieder was dazwischen. Vorzugsweise Schichtpläne und Schulungen seinerseits und Schwangere und Babys meinerseits. Als würden irgendwo kleine fiese Feen sitzen, die sich in Sabotage üben und über mein vergebliches Bemühen totlachen. Und jetzt, wo wir eigentlich ein traumhaftes Date angehen wollten, zogen die vier Reiter der Apokalypse ein. Mit den feixenden Feen auf den Schultern. Fuck!

Mein Blick wandert erneut zum Fenster, ich drücke Lovis an mich, konzentriere mich auf die Schatten im Mondlicht, die sich wie Getier in die Ecken der Häuser ducken, und versuche, mich nicht von ihnen bedroht zu fühlen. Wenn man sich nur lange genug in Empfindungen wie Unbehagen und Angst reinsteigert, beschwören sie Unheil herauf – so wie meine Mutter den Tod unseres Hundes voraussagte, bis er eines Tages tatsächlich unter die Räder eines Autos geriet.

Ich lache trocken auf.

»Was ist los?«, fragt Silas.

»Kennst du das Gefühl, wie ein Blatt im Wind umhergetragen zu werden, nicht wissend, wo du landest?«

»So fühlst du dich, wenn du an Sex mit mir denkst?«, scherzt er wenig überzeugend.

»Ich meine, es gibt so viele Möglichkeiten, wie das alles ausgehen könnte. Lotta könnte verletzt sein oder …« Meine Stimme versagt, mein Magen krampft, und meine Kehle wird eng. Ich mache mich von Silas frei, um die jetzt tief schlafende Lovis zurück zu Helga zu bringen. Auf dem Weg dorthin findet mein nackter Fuß mindestens drei Kaffeebohnen, die sich irgendwie selbstständig gemacht haben müssen. Memo an mich: Unbedingt staubsaugen, bevor Lovis krabbeln lernt.

Sacht lege ich das schlafende Engelchen ins Bettchen, schleiche auf Zehenspitzen aus Helgas Zimmer und schließe leise die Tür. Im Flur schnappt Silas meine Hand und zieht mich mit sich in mein Reich, hinein ins Bett, breitet die Decke über uns aus und murmelt: »Hör auf, alles zu überdenken. Wir müssen warten, was der Morgen bringt.«

Ich kann im Halbdunkel sehen, wie er seinen Mund zu einem schmalen Strich verzieht, bevor er mich an sich drückt. Während sein Bein sich über meines schiebt und mich noch näher an seinen Körper rückt, entspanne ich mich ein wenig. Wie lieb Silas ist in seinem Bemühen, mich zu erden. Ich habe wirklich Glück mit ihm. Ein Lächeln zupft an meinem Mundwinkel. Sollte er wirklich derjenige sein, auf den ich gewartet habe?

»Du wärst bestimmt ein toller Papa«, höre ich mich plötzlich sagen. Silas hält die Luft an.

»Ich weiß nicht«, antwortet er sehr zeitverzögert.

»In ganz weit entfernter Zukunft natürlich«, springe ich ihm bei. »Ich bin auch noch lange nicht bereit für eigene Kinder.« Die Frage, ob er mich überhaupt als Mutter seiner Kinder in Erwägung zieht, geht in einem Anflug von Panik unter. Denn mein Blick klebt an meiner Hello-Kitty-Armbanduhr. Sie ist stehengeblieben. Verweilt auf fünf vor eins und rührt sich nicht mehr. Eine Millisekunde später klingelt mein Handy mit einem schrillen Ton, der mir sämtliches Blut aus dem Kopf sacken lässt.

*

Jetzt, in diesem Moment gut zwölf Stunden später, in dem ich gemeinsam mit Monika vor einer jungen Asiatin knie, die im Begriff ist, ihr fünftes Kind still leidend im Wohnzimmer ihrer Vierzimmerwohnung eines Hochhauses zur Welt zu bringen, kann ich über den Schock beinahe lachen, den die stehengebliebene Uhr vergangene Nacht in mir ausgelöst hat. Aberglaube ist eine gewaltige Macht. Ob schwarze Katzen von links nach rechts kreuzend oder zerbrochene Spiegel – ich bin empfänglich für alle Dinge, die zwischen den Welten passieren und als schicksalhafter Wink verstanden werden können. Keine Ahnung, wie lange ich vor Erleichterung geheult habe, nachdem mit dem Anruf meiner Eltern endlich die Nachricht kam, dass Lotta und ihre Mannschaft befreit und wohlauf seien.

Die Rettungsaktion, von der Mama mir berichtete, während Papa im Hintergrund noch immer aufgewühlt hin- und herpolterte, muss dramatisch abgelaufen sein. Angeblich feuerten die Piraten mit Maschinengewehren um sich, um Lottas Schiff zu entern, und die Besatzung hatte sich zunächst gewehrt und dann verschanzt, als klar war, dass die Angreifer in Überzahl an Bord stürmten. Mir wird jetzt noch übel, wenn ich mir vorstelle, wie sich das angefühlt haben muss.

Lotta wird als Heldin gefeiert, weil sie erst einen Notruf absetzte, bevor sie sich in den winzigen, hinter der Brücke gelegenen Panikraum zurückzog. Wie man meiner Mutter mitteilte, führte das besonnene Handeln meiner Schwester dazu, dass in kürzester Zeit Unterstützung vor Ort war und die Piraten außer Gefecht setzte, bevor es zu einer Geiselnahme kommen konnte. Lotta wird deswegen vom Unternehmen besonders geehrt werden, versicherte die Reederei meiner Mutter, und ich hoffe für meine Schwester, dass es mehr sein wird als ein feuchter Händedruck. Lotta mag materielle Anerkennung.

Leider habe ich immer noch nicht mit ihr sprechen können, was mich aufkratzt und mir bewusst macht, dass bereits der nächste Mond am Himmel glänzt. Ich schlucke trocken, meine Kopfhaut prickelt.

Zu all dem kommt jetzt also diese seltsame Situation mit der Asiatin hinzu, zu der uns der Ehemann spontan herbeirief, damit wir sein Baby entbinden.

»Ist schneller als denken«, sagte er am Telefon und legte auf, bevor ich ihn darauf hinweisen konnte, dass er sich in einem solchen Fall ans nächste Krankenhaus wenden muss. Ich hatte mir vorgenommen, die Situation vor Ort einzuschätzen und dann den Krankenwagen zu rufen, und nun sitze ich hier.

»Die Mutter ist erfahren, und wenn wir jetzt verlegen, wird es nur kompliziert«, urteilte Monika, die ich herbeigerufen habe, nachdem der energische Vater mich daran gehindert hatte, einen Transport in die Klinik anzufordern. Die Leiterin des Storchennests drückte dem Mann die nötigen Formulare in die Hand, die uns die Geburtshilfe in seinen vier Wänden gestatten, und kniete sich anschließend neben mich und die Schwangere.

Mir persönlich ist es ja immer lieber, man lernt sich beizeiten kennen und begleitet die gesamte Schwangerschaft. So hingegen gleicht die Geburt irgendwie einem Blindflug. Ein Storch im Nebel, der nicht einschätzen kann, wie genau es seiner Schutzbefohlenen gerade geht. Wie sie so tickt und was ihr wichtig ist.

Im Gegensatz zu mir ist Monika tiefenentspannt und schätzt, es pünktlich zum Bachelor nach Hause zu schaffen. Ist ja schließlich schon das fünfte Kind, das Siriphorn bekommt.

Während wir neben der werdenden Mutti sitzen und ihr beim Atmen zuhören, horcht mich Monika aus, wie es im Hause Fronau so läuft:

»Und Hans kommt regelmäßig vorbei?«

»Ja, der ist wirklich sehr bemüht und süß mit Lovis. Er kann sogar mittlerweile eine Windel richtig herum anziehen.« Ich tupfe der Schwangeren die Stirn mit einem Tuch ab. Ihr Ehemann schleicht die meiste Zeit zwischen Wohnzimmer und dem Kinderzimmer hin und her. Vermutlich versteht er genauso viel Deutsch wie ich Spanisch: buenas noches, adios, por favor.

»Und Helga und du, ihr kommt weiterhin gut klar in eurer famosen WG?«

»Natürlich, sie hat mich gerade gestern erst so lieb getröstet, nachdem ich die Internetbeiträge zu Piraterie gelesen hatte und kurz vorm Hyperventilieren war. Ohne sie wäre ich ausgeflippt.« Monikas Augen werden groß. Es hört sich aber auch zu verrückt an.

»Helga hat dich getröstet?« Die Verblüffung steht ihr ins Gesicht geschrieben.

»Ja, über wen reden wir denn gerade?« Ich lache trocken, massiere das Becken der Schwangeren, die so still ist, als läge sie hier gerade gar nicht in den Wehen. Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie sehr sich der Umgang mit Schmerzen in den verschiedenen Kulturen unterscheidet.

»Sie hat sich ganz schön verändert, unsere Helga«, schließt Monika.

»Ist es nicht immer so, dass Muttersein alles neu justiert?« Hab ich zumindest schon oft gehört und erlebt. Ich blinzle zu Monika auf, als Siri meinen Arm plötzlich schmerzhaft kneift. Sie zeigt also doch Regungen.

»Nein, ich meine nicht nur das. Du hast sie genauso verändert. Seitdem du Teil des Teams bist, musste sie ganz schön aus ihrer Komfortzone heraus.« Monika runzelt die Stirn, fixiert mich eine Weile mit nachdenklichem Blick, und mir gehen all die Dinge durch den Kopf, in die ich Helga verwickelt habe. Nicht zuletzt die prekäre Sache mit Vicky. Eine Krise der besonderen Art, die wir schlussendlich gut meisterten – gemeinsam. Ich allein wäre aufgeschmissen gewesen und muss grinsen, als ich daran denke, wie Helga diesen arroganten Fatzke, der sich Vickys Vater nennt, um den Finger wickelte und es schließlich schaffte, dass er seine Tochter nicht zu einer Abtreibung zwang.

»Ich finde es jedenfalls toll, dass es so super mit euch funktioniert und alle glücklich sind. Sogar die Schwangeren, die das Storchennest betreut, sind so zufrieden wie nie. Wir haben wirklich unfassbar schöne Bewertungen bekommen.« Monika wächst um ganze drei Zentimeter, weil das in den letzten Jahren keine Selbstverständlichkeit war und Helgas manchmal ruppige Natur für das Verlöschen nicht weniger Google-Sterne gesorgt hatte, was sich wiederum in sinkenden Kundinnenzahlen niederschlug.

»Das freut mich.«

Unsere Schwangere wird unruhiger. Die Intensität der Wehen nimmt zu, das kann ich spüren.

»Siriphorn, wir sollten die Position wechseln, um deinem Kind dabei zu helfen, seinen Weg durch den Geburtskanal zu finden«, versuche ich ihr mit Händen und Füßen zu erklären, denn scheinbar hat das Baby Schwierigkeiten damit, auch wenn die Gebärende sich das kaum anmerken lässt, so leise, wie sie dann und wann seufzt.

Jetzt jedoch gerät der Vorgang ins Stocken, und Pana, der Ehemann, scheint sich auf eine lange Nacht einzustellen. Jedenfalls zündet er Räucherstäbchen an, beginnt eine Melodie zu summen und geht anschließend nach seinen vier anderen Kindern im Alter von zwei bis sieben schauen, die es nicht wagen, auch nur aufs WC zu schleichen. Als hätten sie Order, sich unsichtbar zu machen.

»Besser«, findet Siriphorn ein Wort, das ich verstehe, nachdem sie sich auf die Seite gelegt hat und ein Bein auf meine Schulter stützt.

»Du wirst sehen, schon bald ist dein Baby da. Du hast es fast geschafft«, rede ich ihr gut zu und lächle sie an.

Sie blickt auf, in Richtung ihres Mannes, der ins Zimmer zurückgekehrt ist und andächtig eine bunte Kiste vor sich herschleppt. Irgendetwas auf Thailändisch wird besprochen, und bald darauf finden kleine Elefanten aus Holz auf dem Stubentisch Platz. Kurios.

»Ach, die hübschen Figuren bekommen sicher auch nicht jeden Tag so was zu sehen, was?«, scherze ich, und Monika guckt komisch.

»Das Glückbringer, heilig«, erklärt der werdende Papa und gestikuliert wild. Monika und ich tauschen einen Blick, weil wir nicht verstehen, was seine Gesten bedeuten, und er gibt lächelnd auf. Überhaupt wird hier echt viel gelächelt.

»Na, solange Ihre Frau keinen Elefanten gebärt, ist ja alles tutti.« Ich grinse dümmlich, bekomme von Monika ein erheitertes Schnaufen zu hören, während sie von der anderen Seite des Sofas die Hände der kleinen Frau packt, bei der die Austreibungsphase beginnt.

Siriphorn verschluckt ein Kreischen, zwei der aufgereihten Elefanten kippen, als ich aus Versehen mit dem Po gegen den Tisch stoße. Vater Pana beeilt sich, die Tiere wieder in Reih und Glied aufzustellen. Zwischen Siriphorns Beinen kommt eine ballonartige und klare Blase zum Vorschein.

»Wow. Monika. Eine Glückshaubengeburt«, stoße ich so aufgeregt aus, dass Siri mich irritiert ansieht. »Nur ein Aberglaube. So nennt man es, wenn ein Baby mit intakter Fruchtblase zur Welt kommt. Das bringt Glück.« Wem sag ich das. Hauptsache, keine Uhr bleibt stehen.

Pana murmelt weitere Gesänge und tätschelt nervös seine Elefanten. Er sollte lieber ein Foto machen von dieser medizinischen Besonderheit, die nicht alle Tage vorkommt. Ich würde ja, wenn ich könnte, doch die Geburt geht mit großen Schritten voran.

»Noch einmal pressen, Siri«, kommandiere ich und betrachte die sich blähende Blase vor mir. Von Helga weiß ich, dass sie urplötzlich platzen kann. Und ehe ich diesen Gedanken in meinem Kopf zu Ende forme, passiert es auch schon.

»Argh!« Mich erwischt ein fetter Schwall Flüssigkeit, tropft von meiner Nase und meinem Haar. An Abwaschen ist nicht zu denken, meine Hände werden anderswo gebraucht, also eilt Monika an meine Seite und tupft mich notdürftig sauber. Sie lacht sich scheckig, und auch mich durchströmt helle Freude: Beim nächsten Herzschlag rutscht das Baby in meinen Arm.

»Kein Elefant«, stellt Monika zufrieden fest und reicht mir ein sauberes, vorgewärmtes Handtuch, in das ich die neue Erdenbürgerin einwickle.

»Wie süß sie ist«, freut sich meine Kollegin, übernimmt das schwarzhaarige und ziemlich zerknautschte Mädchen und legt es in den Arm der Mutter.

»Ist Junge?« Pana, der einen respektvollen Abstand zu uns wahrt, klingt etwas panisch und wagt es offenbar nicht, den kleinen Monchichi genauer anzusehen. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass die Geschlechterfrage für ihn wichtig sein könnte. Dass die Elefanten einen Zweck beziehungsweise einen Wunsch zu erfüllen hatten.

»Ein gesundes Mädchen, es ist alles dran. Fünf Zehen, fünf Finger an jeder Hand und jede Menge Haare. Ist das nicht zauberhaft?«, lasse ich ihn wissen. Wenn das kein Grund zum Feiern ist!

Seltsamerweise schlägt er die Hände über dem Kopf zusammen. »Haben schon Mädchen, viele Mädchen«, setzt er zu einer Erklärung an.

»Mädchen sind toll«, finde ich und warte auf die Nachgeburt.

»Toll, gut, gut. Wir gute Mädchen, aber wir Jungen auch brauchen.«

Wahrscheinlich werden Pana und Siriphorn so lange Elefanten aufstellen, bis der ersehnte Stammhalter der Familie geboren wird. Tja, nicht nur der Umgang mit Schmerzen variiert offenbar von Kulturkreis zu Kulturkreis, sondern auch die Prioritäten.

Später, als wir alles dokumentiert und versorgt haben, erfahren wir noch, dass die Kleine Narisara heißen wird, was so viel wie die Wundervolle bedeutet. Und dass wir nicht zur Nachsorge auftauchen müssen, weil Panas Mutter zu Besuch kommt, die eigentlich auch die Geburt hätte begleiten sollen, wenn es nicht verfrüht losgegangen wäre. Ich werde den Verdacht nicht los, dass Pana uns indirekt dafür verantwortlich macht, dass er wieder keinen Sohn bekommen hat. Die eingeflogene Mutti hätte das bestimmt besser hinbekommen.

Monika und ich traben nebeneinander die geschwungene Treppe hinunter, und ich zwirble mir eine verklebte Locke um den Finger. Es ist wirklich enorm, wie die Ekelgrenze sich mit meinem Job verschiebt. Als ich Teenager war, habe ich mal neben unseren Hund gekotzt, weil der die Kacke eines anderen gefressen hat. Heute bringt mich nichts so leicht aus der Fassung.

»Na, wenn das kein Abenteuer war«, meint Monika und stupst mich in die Seite. »Hat mich gefreut, das mit dir gemeinsam zu begehen.«

»Ganz meinerseits. Ist echt gut gelaufen, auch wenn ich die heiligen Elefanten umgekippt habe.« Es grunzt aus Monikas Richtung, und ich fange auch an zu lachen. »Im Ernst, das reiht sich ganz oben in die exotischen Erfahrungen ein.«

»Aber der Name ist zauberhaft, den merk ich mir. Narisara.«

»Lotta würde der auch total gefallen«, denke ich laut, und wieder zerrt es an meinem Herzen, weil ich meine Schwester unbedingt sprechen will. Ich suche nach meinem Handy, kein Anruf verzeichnet. Ob sie noch bei der offiziellen Befragung sitzt? Papa sagte so etwas.

»Und du und dein Polizist?« Wenngleich Monika nie aufdringlich ist, stellt sie heute echt viele Fragen.

»Läuft wirklich gut. Ich plane gerade den nächsten Schritt«, gebe ich zu und falle fast über meine eigenen Füße, weil Monikas Miene so schockiert wirkt.

»Nächster Schritt?«, quietscht sie.

»Nein, nein. Keine Hochzeit oder so etwas.«

Sie bekreuzigt sich, was irgendwie lustig ist, weil Monika nicht mal zu Weihnachten in der Kirche auftaucht. »Ich kann in naher Zukunft nicht noch eine schwangere Hebamme im Stall gebrauchen. Nach Helga schon gar nicht. Wie stur kann man sein: ›Mutterschutz? Was ist das? Wochenbett, kenn ich mich aus, ist für alle wichtig, brauch ich selbst aber natürlich nicht.‹ Ich hoffe wirklich, du kannst sie bändigen.«

»Ich? Wo denkst du hin.« Wir lachen beide aus vollem Herzen.

»Welchen nächsten Schritt machst du denn dann mit deinem Freund?«, fragt Monika, als wir die Haustür erreichen. »Du willst Helga doch noch nicht allein lassen? Oder will Hans etwa, dass sie wieder bei ihm einzieht?« Sie greift nach der Klinke. Draußen stürmt es. Die eisige Luft verschlägt mir sofort den Atem.

»Solange Helga mich nicht satthat, würde ich gern bei ihr bleiben. Ich könnte mir zwar was Eigenes leisten, aber ich liebe es, mit ihr und Lovis zu leben. Von Hans weiß ich nichts. Der Mann ist ein Buch mit sieben Siegeln.« Witzig, dass ich das Gleiche über Helga dachte, bevor ich sie näher kennenlernte. Wenn man erst mal ansatzweise verstanden hat, wie sie tickt, ist sie nämlich total einfach im Umgang. »Ich plane mein erstes Mal mit Silas.« Ich zwinkere Monika linkisch zu. »Es muss etwas ganz Besonderes sein. Ich denke darüber nach, eine Nacht im Schmetterlingshaus zu mieten. Also, offiziell ist so was natürlich nicht möglich, aber eine Schwangere von mir kennt den Betreiber.«

Blöderweise ist der noch nicht so überzeugt von der Grandiosität meiner Idee und hat Angst um seine Tiere. Als würden wir denen was tun, sie verspeisen oder ihnen die Flügel stutzen. Dabei weiß doch jeder, dass es genau umgekehrt ist und es die Schmetterlinge sind, die einem Menschen gefährlich werden können. Besonders wenn sie einem im Bauch umherflattern.

Fröstelnd zieht Monika den Reißverschluss ihrer Jacke zu und eilt zu ihrem Auto. »Auf die Idee muss man erst mal kommen«, ruft sie mir übers Geheul des Windes zu. »Ich wünsche dir viel Glück und eine unvergessliche Nacht.«