Störung im Betriebsablauf - Henry Spietweh - E-Book

Störung im Betriebsablauf E-Book

Henry Spietweh

4,8

Beschreibung

Wissen Sie, wie man dank versteckter Wurmlöcher in Schwimmbädern durch die Zeit reisen kann? Dass die ausufernde Bürokratie keine deutsche Erfindung ist? Wo die Marillen abgeblieben sind, warum französische Autos aus Berlin kommen? Oder wie man seine Freunde optimal mit der Beaufsichtigung des Telekom-Technikers beschäftigt? Henry Spietweh und JP Bouzac erzählen es Ihnen in einer unterhaltsamen, augenzwinkernden Erzählweise, die dazu führen wird, dass Sie dieses Buch gar nicht mehr aus der Hand legen wollen. Illustriert von Anna Rother.

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Über das Buch

Wissen Sie, wie man dank versteckter Wurmlöcher in Schwimmbädern durch die Zeit reisen kann? Dass die ausufernde Bürokratie keine deutsche Erfindung ist? Wo die Marillen abgeblieben sind, warum französische Autos aus Berlin kommen? Oder wie man seine Freunde optimal mit der Beaufsichtigung des Telekom-Technikers beschäftigt? Henry Spietweh und JP Bouzac erzählen es Ihnen in einer unterhaltsamen, augenzwinkernden Erzählweise, die dazu führen wird, dass Sie dieses Buch gar nicht mehr aus der Hand legen wollen. Illustriert von Anna Rother.

Über Henry Spietweh

Spietweh wird zur Zeit Solidarnośćs im Speckgürtel der Hauptstadt der DDR geboren. Seine Eltern sind renitente Regimekritiker, die stets dafür sorgen, dass sein Pioniertuch verschwindet. Die Kindheit verbringt er im Angelverein oder mit den Großeltern auf dem werkseigenen Campingplatz des Plastewerks Köpenick nahe der mecklenburgischen Siedlung Kratzeburg. Seine Jugend am Berliner Rand verläuft ohne große Zwischenfälle. Im ersten Anlauf fällt er durch die Führerscheinprüfung, weil er die Geschwindigkeit in einer 30-Zone um mehr als 20 km/h überschreitet. Seitdem gehört Autofahren und Reisen allgemein zu seinen liebsten Beschäftigungen. Spietweh studierte Betriebswirtschaftslehre in Berlin und Brüssel, arbeitet in Berlin, Köln und Aachen für große und kleine, deutsche, französische, amerikanische und schwedische Unternehmen und reist für diese und für sich selbst durch die Welt zwischen Hennepin County, Petrosawodsk und Batumi.

VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE

Vielen Dank allen Lesern, Besuchern der Lesungen und Fans, die in den letzten fünf Jahren dafür gesorgt haben, dass dieses Buch ein Erfolg wurde. Die Verkaufszahlen sprechen für sich, Amazon hat das Buch dauerhaft am Lager und die letzte Lesung war überbucht. Das ist großartig!

Wenn eine Neuauflage aus distributionstechnischen Gründen notwendig wird, steht man als Autor vor der großen Frage, ob man nur ein paar Schreibfehler korrigieren will, die sich noch in die erste Auflage geschlichen hatten oder ob man der Versuchung verfällt, alle Geschichten dem aktuellen Schreibstil anzupassen. Dem konnte ich widerstehen, ich kann Sie beruhigen. Dennoch habe ich aus innerer Überzeugung heraus eine Geschichte weggelassen. Dafür finden Sie nun, als Vorgeschmack auf das langersehnte zweite Buch, was 2018 endlich erscheinen wird, einige Illustrationen. Sie werden nichts vermissen.

Darüber hinaus ist es erstaunlich, wie viel von dem was man fünf Jahre zuvor überspitzt darstellen wollte, inzwischen nicht mal mehr als Überspitzung wahrgenommen wird. Schon bei der Erwähnung des Namens „Deutsche Bahn“ bekommt auch heute noch jeder, der schon einmal mit ihr zu tun hatte, Gänsehaut. Obst hat heute nicht mehr coole Namen sondern Logos wie jedes andere Konsumgut, so dass der Apfel „Pink Lady“ wirklich in jedem Supermarkt der ganzen Welt gleich verpackt ist. Der Flughafen Tegel ist aktueller denn je und dass eine Mode namens „Half Tuck“ das zur Mode macht, was mir früher versehentlich passierte, hätte ich 2012 auch nie zu träumen gewagt. Alles in allem steht die Welt wohl ähnlich absurd da wie zuvor, ein paar Gesichter kommen und gehen aber im Großen und Ganzen ist es immer noch eine dankbare Welt für alle Humoristen.

Herzlichst

Ihr Henry Spietweh

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur zweiten Auflage

Die Leiden des jungen Henri

Wurmloch im Schwimmbad

Tourist

Terrorist werden, Lektion 1

Werden Sie Brüsseler – aber nicht heute!

Europa spart Geld

Störung im Betriebsablauf – Polyglotte Verwirrung am Gleis

No luggage today

Keine Bank für Ausländer

Strandtrennung

Die internationale Obstmafia schlägt zurück

La patronne à Berlin

Meine A

*****SPAM***** Sehr dringend bitte!!!

Ich hätte gern eine Monatskarte?

Man(n)gold

Frühstück beim Bürgermeister

Deutsche Wahrheiten

Umtausch nur in Originalverpackung

Zweisprachig – aber nicht perfekt

Postbotenhumor

Französische Autos aus Berlin

3ZKB

M

on

Maison

No man’s land

Bilder vom Reisen, Unterwegssein und Ankommen

Der graue Textmarker

I have sizes

Betonleitplanken

Straßenbahnhäuschenputzer

Mythos Packstation

Doppelbetten

Änderung im Mailrouting

Gibt es Belgien?

No Drink – No Friend

Elite 2012

Zweeachtzich

Der Unfall

T7 im Wald

Vermutlich kultische Stätte entdeckt

Das teuerste Zimmer

Gestorben wird immer!

Babel ist überall

Eine Art Nachwort

DIE LEIDEN DES JUNGEN HENRI

„Hier in Frankreich ist mir gleich nach meiner Ankunft in Paris mein deutscher Name „Heinrich“ in „Henri“ übersetzt worden, und ich musste mich darin schicken und auch endlich hierzulande selbst so nennen, da das Wort Heinrich dem französischen Ohr nicht zusagte und überhaupt die Franzosen sich alle Dinge in der Welt recht bequem machen. Auch den Namen „Henri Heine“ haben sie nie recht aussprechen können, und bei den meisten heiße ich Mr. Enri Enn; von vielen wird dieses in ein Enrienne zusammengezogen, und einige nannten mich Mr. Un rien.“

Diese Zeilen sind fast 200 Jahre alt und stammen aus der Feder von Heinrich Heine. In seinen Memoiren schrieb er sie über seine Ankunft in Frankreich 1831.

„Enri Enn“, „Enrienne“ und „Un rien“ klingen bei flüssiger Aussprache nahezu gleich. „Un rien“ bedeutet so viel wie „ein Niemand“.

Trotz der legendären Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Franzosen zur korrekten Aussprache deutscher Namen verlor Heine nie seine Liebe zu Frankreich, heiratete dort und lebte 25 Jahre mit seinem neuen Vornamen Henri in Paris. Man muss eben kleine Kompromisse machen.

Die europäische Einigung hat seit der Zeit Heines sicher einige Fortschritte zu verbuchen. Jüdische Autoren werden in Deutschland auch gelesen und wertgeschätzt und nicht mehr verstoßen. Lesenswert und nahezu prophetisch bleiben dennoch große Teile des Werkes von Heine, die hiermit empfohlen seien, wenn die vorliegende Lektüre für genug Unterhaltung gesorgt hat.

Bis heute geblieben ist die Abneigung der Franzosen für fremdländische Namen. Und bis heute geblieben ist die Tatsache, dass der ausländische Gast sich damit zu arrangieren hat, wenn er denn unbedingt am schönen Leben teilhaben will.

Meine Eltern gaben mir einen Namen, der, so war es in der späten DDR Mode, so klingt, als käme er aus einem Land, in das man nie reisen durfte. Damit bin ich schon näher am französischen „Ongri“ als Heinrich Heine, aber das bedeutet keinesfalls, dass meine französischen Freunde sich diesen Namen merken könnten. Schließlich hat er ein „y“ am Ende. Auch diejenigen, die ich seit mehr als 20 Jahren kenne, schreiben den Namen konsequent falsch: Mit „i“. Und noch weniger schützt ein fast-französischer Name davor, in weitere typische Klischeefallen zu geraten. In diesem Sinne: Viel Spaß beim Lesen!

Heinrich Heine, 1820

Der Pressefreiheit gewidmet

ARTIKEL 5 GRUNDGESETZ

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

WURMLOCH IM SCHWIMMBAD

Einstein war nie in Belgien, da bin ich mir sicher. E=mc2: Irgendwo in dieser Formel steht, dass Reisen in die Vergangenheit nur möglich sind, wenn sich zwei verschiedene Bereiche der Raumzeit durch Wurmlöcher verbinden. Wo genau das in dieser kurzen Formel steht, kann ich Ihnen nicht sagen, ich bin leider nur Betriebswirt, kein Astrophysiker. Aber Einstein, der war einer. Und er hat kundgetan, dass solche Wurmlöcher nur durch extrem hohe Konzentrationen von hypothetischer Materie mit negativer Energiedichte stabil zu halten sind. Dummerweise hat so etwas noch niemand beobachtet. Bis ich kam.

Die innerhalb Brüssels autonome Kommune Schaerbeek unterhält wie jeder Stadtteil natürlich ein eigenes Fußballstadion (gut, das von Schaerbeek hat schon bessere Tage gesehen, aber immerhin) und ein kräftig subventioniertes öffentliches Schwimmbad – logisch. Neptunium. Warum auch nicht? Die Schilder leuchten überall. Es ist Dienstag, keine Uni, also nichts wie hin.

Am Eingang begrüßt uns, wie überall hier, die Büste des Erbauers. Unter dem üblichen Hoch auf den grandiosen Stadtvater steht das Jahr der Eröffnung: 1953. Darunter: Erweitert und umgebaut 1957. Danach: Nichts mehr. Es hätte uns Warnung genug sein sollen. Denn dieser Eingang, verehrte Leser, ist ein Wurmloch und ich bin mir ganz sicher, die Büste ist die vorher noch nicht beobachtete Materie mit negativer Energiedichte, die alles zusammenhält.

Für Schaerbeeker kostet der Eintritt 2,25 Euro, für andere Belgier & Ausländer 2,50 Euro. Obwohl ich eine vorläufige Meldebescheinigung des Königreichs Belgien in der Tasche habe, zahlen wir zu zweit 5 Euro. Ich habe keine Lust, Formulare auszufüllen oder meinen Ausweis zu zeigen. Und der Stadtkasse tut das bestimmt auch gut!

Beim Gang zur Umkleide bemerken wir schon, dass alles etwas altertümlich aussieht, aber für den Preis kann man da nix sagen. Ein Beamter weist uns eine Kabine zu. Es gibt keine Schlüssel, nur Kabinennummern. Die merkt sich der Beamte zu jedem Gesicht und schließt für jeden Besucher immer auf und zu.

Ich trete heraus und werde abrupt gestoppt.

„Pas de shorts, pas de shorts – keine Shorts hier, Monsieur!“

„Wie meinen?“

Er zeigt auf mein Beinkleid.

„Pas de shorts ici, s’il vous plait!“

Meine etwas länger gehaltene Badehose in dezentem schwarz widerspreche der Badeordnung von 1957. Das stehe doch am Eingang! Kopfschütteln. Man könne entsprechendes Material an der Kasse entleihen. Gehe zurück auf Los!

Die Beamtin an der Kasse führt ein längeres privates Telefonat. Ich habe Zeit und betrachte noch ein wenig die Vergangenheit. Stilecht eingerichtet, denke ich mir. Telefon mit Wählscheibe, dickem Hörer und verheddertem Kabel. Graugelbe Tapeten mit Blümchen, braune Fliesen, antiquierte Schrift.

„Au revoir“, spricht’s endlich ins Telefon.

„Ich würde gern eine Hose entleihen, Madame.“

„Einen Euro bitte.“

Ich bezahle. Sie schaut mich an.

„Noch was?“

„Oui, bien sûr, Ihren Personalausweis natürlich auch.“ Wozu auch immer sie den nun wieder braucht.

Sie gibt mir eine Hose. Ich entfalte das edle Stück von 1957.

„Welche Größe ist das?“

„Wir haben hier keine Größen, Monsieur!“

Ich schaue an mir herab. Dass das edle Textil vor einer Stunde noch von einem Erstklässler benässt wurde, stört mich ja nicht, aber ich habe Angst. Angst, die Hose zu zerstören. Ich schaue an mir herab, dann die Dame an. Solange bis sie sich bequemt, sich selbst leicht aus ihrem 57er Stuhl zu erheben und zu schauen. Sie hat ein Einsehen und tauscht meine Erstklässlerhose gegen eine Viertklässlerhose.

Wahrscheinlich hatte sie auch Angst um ihren Bestand. 57er

Hosen sind schwer zu bekommen außerhalb dieser Mauern.

Nun habe ich realistische Chancen, in die Hose zu kommen.

„Haben Sie auch Mützen?“ fragt sie darauf.

„Mützen?“

„Ja, Mützen. Mützen sind auch Pflicht!“

Logisch, wir sind 1957! Ich male mir kurz aus, was passiert wäre, wenn das Schwimmbad von 1927 wäre. Wahrscheinlich Ganzkörperbadeanzug für Männer und Geschlechtertrennung?

„Eine Badekappe für Madame und eine für Monsieur. Macht 2 Euro und Ihren Personalausweis.“

Ich trete aus der Kabine. Meine Bademütze ist viel zu klein und sitzt eher wie eine Kippa. Man hat es so gewollt. Sie ist schwarz-gelb gestreift. Meine Hose bedeckt mit Mühe das Allernötigste und ist vor 40 Jahren mal blau gewesen. Meine Freundin hat zu ihrem pinkfarbenen Bikini eine neongrüne

Mütze erwischt, Voll-Latex. Muss eine Neuanschaffung sein.

Endlich ab ins Bad.

„Duschen ist obligatorisch vor dem Bade“ mahnen auf den nächsten Metern dutzende 1957 handgemalte Schilder.

Die Duschen stehen offen und mitten in der Halle. Keine Abtrennung. Nackt duschen entfällt also. War 1957 wohl noch nicht in Mode – ich muss daran denken, meine Großmutter danach zu fragen.

Wir laufen erst einmal daran vorbei und bestaunen den Rest. Drei-Meter-Turm und Rutsche scheinen außerhalb dieses Bereichs der Raumzeit zu liegen. Sie sind wegen Baufälligkeit „vorübergehend“ außer Betrieb. Es gibt sechs Bahnen. Etwa fünf Schulklassen üben das Schwimmen, jede in einer extra abgetrennten Bahn. Die Lehrer geben stimmlich ihr Letztes vom Beckenrand.

„Schwimm ordentlich, sonst komm ich dir hin!“

„Anne-Emmanuelle, lass das!“

„Lucas, du kommst sofort her!“

Es sind mehr als genügend Bademeister verfügbar, aber es scheint gerade Plauschzeit zu sein – das Betriebsklima ist, wie überall in Belgien, hervorragend.

Nachdem wir einige Minuten teilnahmslos am Beckenrand sitzen, trauen wir uns doch zu den Duschen. Schnell an der 57er Schnur gezogen und das Wasser fällt vom Himmel. Das Treiben immer im Blick, schwimmen wir schnell eine Bahn, damit wir wenigstens nass werden. Ab zurück in die Kabine, aufschließen lassen, umziehen, Leihsachen abgeben, Ausweis abholen, durch das Wurmloch, nach Hause und nie mehr wiederkommen. Zumindest nicht während der Schulzeit und nicht bevor wir nicht eigene, geeignete Textilien erworben haben. Irgendwo im Jahre 1957.

Könnte einer von Ihnen, geneigte Leser, mich vielleicht beim Nobelpreiskomitee für die nächstjährige Auszeichnung im Bereich Physik vorschlagen? Immerhin habe ich ein Wurmloch entdeckt. Dies kann „lundi au vendredi“ von 8h à 19h30 sowie „le dimanche“ von 9h à 18h von Jedermann in der Rue de Jérusalem 56-58, 1030 Bruxelles-Schaerbeek, Belgien, besichtigt werden.

Synchronschwimmen im Neptunium von Schaerbeek (Abbildung ähnlich) Quelle: Eigenes Foto Henry Spietweh

TOURIST TERRORIST WERDEN, LEKTION 1

„Non, Monsieur, das dürfen Sie wirklich nicht mitnehmen!“

„Aber… Schauen Sie, das habe ich doch gerade dort drüben gekauft.“

Der Blick des Sicherheitsmanns verrät gar nichts – ich setze nach:

„Sie haben das doch gesehen, allez – kommen Sie schon...“

Ich versuche es auf die kumpelhafte Tour. Offensichtlich der falsche Weg.

„Non, keine Ausnahmen, Monsieur!“

Ich wage einen letzten Versuch:

„Regardez – schauen Sie – ich…“ – ansetzen, langen Zug nehmen, auffällig laut schlucken, schmatzen – „… ich trinke das. Würde ich Sprengstoff trinken?“

„Wäre es Ihnen nicht egal, Sprengstoff zu trinken, wenn Sie das Flugzeug sprengen wollten? Sie würden ja in jedem Fall sterben!“

Ich schaue auf meine halbvolle Colaflasche. Sieht echt gefährlich aus.

„Wieso sollte ich riskieren, noch in der Wartehalle mit einer Vergiftung zusammenzubrechen, wenn ich doch das Flugzeug sprengen will?“

Offensichtlich argumentiere ich zu sehr wie ein Terrorist, der Sicherheitsmann wird immer energischer.

„Sie geben mir jetzt diese Flasche!!“

Ich tue, was man mir sagt. Allerdings erst nach einem weiteren kräftigen Schluck. Restwert einer leeren Flasche in Deutschland: 25 Cent Flaschenpfand. Restwert außerhalb Deutschlands: Null. Der Verlust ist also zu verschmerzen. Der Mann lagert die hochexplosive Flasche daraufhin in einer Mülltonne direkt neben sich, die mir nicht unbedingt nach einem Hochsicherheitsgefäß aussieht. Aber ich habe ja auch keine Ahnung und dieser Hinweis ist ihm auch nicht willkommen.

Sein Kollege 10 Meter weiter wird gleich noch mehr Spaß mit mir haben:

„Kann ich mal in Ihre Tasche sehen, s’il vous plaît?“

„Naja, wenn es denn sein muss.“

Man kramt und sucht eine Weile.

„Ha! Hab ich’s doch gesehen: eine Nagelfeile!“

Das Ding aus dem Hotel habe ich ganz vergessen.

„Die ist vom Hotel, steht doch drauf“

„Das beweist ja nichts, das könnten Sie ja vorbereitet haben.

Die muss ich Ihnen leider abnehmen! Es tut mir leid, an uns liegt es ja nicht, aber diese neuen europäischen Sicherheitsbestimmungen. Sie wissen schon.“

Ich bin traurig, dass Europa immer nur für die negativen Ereignisse des Lebens herangezogen wird.

Um eine leere Flasche und eine geklaute Nagelfeile ärmer, dafür mit aufgeblähtem Colabauch, betrete ich den Sicherheitsbereich.

Der erstbeste Shop ist meiner. Der Betreiber scheint der gleiche zu sein, wie der, dem ich eben schon einmal eine Cola abgekauft habe. Ich betrete den Laden und sehe mich um.

Mein Terroristenherz schlägt höher. Die gleiche Cola wie draußen, aber hier bestimmt weniger gefährlich. Und da hinten: Wein und Schnaps in Glasflaschen – damit könnte ich wenigstens jemanden K.O. schlagen. Es gibt Tabakwaren und Feuerzeuge sowie Deos und Parfüms. Dass Feuer und Parfüm zusammen ein explosives Gemisch ergeben, hat hier wahrscheinlich noch keiner gemerkt. Als ich verächtlich schnaubend das Geschäft verlassen will, sehe ich sie: Diamant-Nagelfeilen. Ich drehe um. Ich kaufe ein Feuerzeug, eine Flasche Wodka, eine Cola, ein neues Parfüm und ein Nagelpflegeset. Wirklich brauchen kann ich die Sachen im Moment nicht, aber ich will es einfach ausprobieren.

Die Stewardess sieht meinen Großeinkauf, schreckt aber nicht vor mir zurück.

„Bienvenue à bord!“

Um das teure Zeug nicht abgeben zu müssen, frage ich sie nicht, ob sie sich durch mein Nagelpflegeset bedroht fühlt. Aber ich schaue mir die anderen Passagiere genau an: viele betreten das Flugzeug mit großen Einkaufsbeuteln.

Eine Stunde später werde ich geweckt.

„Chicken oder Pasta?“

„Äh, Chicken, bitte“

„Gerne, mein Herr, bitteschön… et voilà.“ Klack! Man legt mir ein Messer aus Metall auf mein Tischchen. Ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken.

Ja, jetzt fühle ich mich wirklich sicherer!

Fundstücke

Wenig schmeichelhafte Umschreibung von Unterwäsche in großen Größen Quelle: Eigenes Foto Henry Spietweh

Alles was der Schüler von heute wissen muss Quelle: Eigenes Foto Henry Spietweh

Mehrwertsteuer oder Kabeljau Quelle: Eigenes Foto Henry Spietweh

WERDEN SIE BRÜSSELER – ABER NICHT HEUTE!

Sollte es Sie einmal für längere Zeit nach Belgien verschlagen, können Sie sich glücklich schätzen, wenn Sie in Brüssel landen. Denn dort ist alles zweisprachig. Es gibt nämlich Gegenden in Belgien, wo man sich nur anmelden kann, wenn man flämisch spricht.

Flämisch ist im Grunde Niederländisch, aber das sollten Sie weder den Flamen noch den Niederländern sagen. Und dass es eigentlich gar keine Sprache, sondern bestenfalls ein niederdeutscher Dialekt ist, schon gleich gar nicht. Flämisch jedenfalls wird von den Flamen gern als Sprache postuliert, hat aber keinen eigenen ISO-Code und da die Dialekte zwischen den einzelnen flämischen Gegenden so stark abweichen, versieht das flämische Fernsehen flämische Passanten gern mit hoch-niederländischem Untertitel.

Einen Sprachkurs zum Erlenen dieses „Flämisch“ an einer öffentlichen Bildungseinrichtung zum Erwerb ausreichender Sprachkenntnisse für eine Anmeldung kann man in jedem Fall erst absolvieren, nachdem man offiziell gemeldet ist.

Eines schönen donnerstags Anfang September gehe ich voller Optimismus zum Einwohnermeldeamt, in Brüssel wohlgemerkt. Der September ist in Belgien, ähnlich wie in Frankreich, traditionell der eigentliche Januar. Das Jahr beginnt mit der „Rentrée“ am ersten Montag im September. Es ist der Tag, an dem das ganze Land nach zweimonatigen Generalferien aus dem Dornröschenschlaf erwacht: Schulen, Ämter, Universitäten, Busfahrpläne, Friseure und Bäcker. Juli und August kann man getrost vergessen – es sind verlorene Monate, in denen sich nichts bewegt.

Vielleicht haben Sie sich schon einmal innerhalb Deutschlands umgemeldet. Das funktioniert im Wesentlichen so, dass man zum Bürgeramt der zuständigen Stadt oder Gemeinde geht, ein Formular unterschreibt, einen Aufkleber auf den Ausweis bekommt und – Wartezeit nicht mitgerechnet – nach zehn Minuten wieder das Amt verlässt. Sollte die Stadt mehr als ein Bürgeramt unterhalten, ist es egal, welches Sie aufsuchen. Aber Belgien ist nicht Deutschland. Selbstverständlich nicht. Allein die Flagge. Gelb in der Mitte, Rot außen – und überhaupt irgendwie verkehrt herum. In Brüssel ist alles davon abhängig, in welcher „Kommune“ man durch Zufall landet. Nein, nicht was Sie jetzt denken, ich bin auch in Belgien kein Kommunarde geworden! Eine Kommune ist eine Art Stadtteil. Ein Stadtteil mit weitgehender Autonomie – bis hin zur eigenen Polizei. Mein Stadtteil heißt Schaerbeek. Also darf man auch nur in das Rathaus von Schaerbeek.

Ein Donnerstag also. Das Rathaus ist groß und leer. Wirklich weitläufig, großzügig, fast dekadent schlosshaft. Und kein einziger Bürger weit und breit. Aber ein netter Mann am Empfangsschalter, der, wie alle hier, froh ist, seine fünf Wörter Deutsch loszuwerden, gibt mir einen zweifach gestempelten, in etwa DIN A6 großen Zettel mit dem Termin, an dem ich mich dem zuständigen Schalterbeamten vorstellen dürfte. Nachdem er in mühevoller Handarbeit meinen Ausweis abgeschrieben hat. Montag zwischen 8 und 11 Uhr, aber wer früher kommt, müsse weniger warten. Gut, meine Anmeldung wird am Donnerstag nicht weit kommen, das verstehe ich schnell. Brüssel ist halt nicht Berlin.